Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniWolfgang Eichenhofer, Historische Lautlehre des Bündnerromanischen, Tübingen/Basel (Francke) 1999, 575 p.
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J. Kramer
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che immer präsent war, und gegenüber dem Friaulischen, wo das ebenfalls gilt und zudem der deutsche Einfluss so gering war und ist wie sonst überall in Norditalien auch.Wenn man, anders als Frau Liver es tut, den Aspekt der area laterale stärker in den Blick nimmt als die Verortung innerhalb der Italoromania, dann drängt sich notwendigerweise das Rumänische als Parallelfall auf, nicht so sehr wegen der von Frau Liver durchaus erwähnten (142, 169, 172 u.s.w.) Übereinstimmungen in einigen Konservativismen wie Fehlen des synthetischen Futurs und des Konditionals oder wegen einiger Wortschatzgemeinsamkeiten 5 , sondern vor allem wegen der Sonderstellung: slavisch beeinflusste Romanität archaisch-lateralen Typs mit geringen Kontakten zur lateinischen Kulturwelt. Die mehr als ein Jahrtausend währende Isolierung vom Rest der Romania hat in beiden Fällen, also beim Bündnerromanischen und beim Rumänischen, Sprachformen entstehen lassen, die gegenüber dem, was man romanischen Normaltyp nennen könnte, singuläre Spezifika aufweisen - Sonderromania, aber doch Romania! Alteritätserfahrung - das ist es wohl, was den linguae Romanicae minores immer wieder Adepten verschafft hat und verschaffen wird, selbst in einem universitären Umfeld, das immer stärker die Großen Drei favorisiert. Ricarda Liver müssen wir für ein gelungenes Einführungswerk dankbar sein, das auch Studierenden der vielen Hochschulen, an denen eine Veranstaltung zur alpinen Romanität immer zu den undenkbaren Allotria gehören wird, die Möglichkeit eröffnet, einen Zugang zu einer der faszinierendsten Weiterentwicklungen der Sprache Roms zu bekommen. J. Kramer H Wolfgang Eichenhofer, Historische Lautlehre des Bündnerromanischen, Tübingen/ Basel (Francke) 1999, 575 p. Als 1989 die Dissertation von Wolfgang Eichenhofer zur Diachronie des betonten Vokalismus im Bündnerromanischen herausgekommen war, schrieb ich, dass sie «eine beachtliche Vorarbeit zu der historischen Grammatik des Bündnerromanischen» darstelle, «die von allen, die sich mit dieser Sprache beschäftigen, dringend erwartet wird» (ZRPh. 112 [1996]: 201-03); ich hätte damals nicht zu hoffen gewagt, dass Herr Eichenhofer selbst derjenige sein könnte, der dieses Langzeit-Desiderat der sprachgeschichtlich orientierten Romanistik realisieren würde. Nun, das opus magnum liegt jetzt vor, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds, gefördert von der Universität Zürich und unterstützt von vielen Bündner Sprachinstanzen. Dass die Arbeit in der doch recht kurzen Frist von drei Jahren mit geringem Personal («eineinviertel Stellen» [5]) durchgeführt werden konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass die digitalisierten Daten des Handwörterbuches des Rätoromanischen (1994) genutzt werden konnten. Nach nur vier Seiten Vorbemerkungen (12-15), nach neun Seiten Literatur-Siglen und Abkürzungen (16-24) - das veraltete ZRPh. statt des heute gängigen ZrP stört etwas - und nach den (dem DRG entsprechenden) Orts-Siglen (25s.) folgt bereits die eigentliche historische Lautlehre (27-454); ein Fazit der Darstellung gibt es nicht, den Abschluss bilden lediglich die Register (p. 455-96 Etyma; p. 497-575 bündnerromanische Wörter und Formen). Das ist schnörkellose Beschränkung auf das strikt Notwendige, was Fachleute sicher nicht stören wird - dass aber irgendjemand außerhalb des sehr engen Kreises der Spezialisten für historische Lautlehre am Nordrand der Italoromania dieses Werk nutzen wird, 274 Besprechungen - Comptes rendus 5 Cf. (mit weiterer Literatur) J. Kramer, «Rumänisch-bündnerromanische Sprachparallelen», Balkan-Archiv 7 (1982): 143-59. darf füglich bezweifelt werden, denn verglichen damit kommt beispielsweise Gerhard Rohlfs’ Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten eingängig und leichtfüßig daher, und das will schon etwas heißen! Das vorliegende Werk stellt eine Synthese aus den zahlreichen Dialektmonographien (oft Dissertationen aus der Jakob-Jud-Schule) dar, die im letzten Jahrhundert zu Dorfmundarten Graubündens erstellt wurden. Beibehalten wird deren - praktisches und kompatibles - Aufbau-Schema: Zunächst kommt der betonte Vokalismus (27-177), wobei Vokal für Vokal zunächst der Tonvokal in freier, dann in gedeckter Stellung (leider verwendet Herr Eichenhofer die altmodische und missverständliche Terminologie «offene» bzw. «geschlossene Silbe») behandelt wird, und bei letzterer kommt zunächst die Kombination Tonvokal + stimmlose Konsonanz, dann Tonvokal + stimmhafte Konsonanz und schließlich Tonvokal + Nasal. Beim Konsonantismus (205-439) richtet sich «die Reihenfolge der Konsonanten nach dem folgenden Schema ihrer Artikulationsstellen: Bilabial vor Labiodental, Dental, Palatal, Velar; die Reihenfolge der Artikulationsarten ist: Okklusiv, Affrikate, Spirant, Liquid» (14). Als Besonderheit gegenüber traditionellen Werken ist festzuhalten, dass nicht nur Erbwörter, sondern auch Lehnwörter (Latinismen, Italianismen und Germanismen) behandelt sind, was interessante Erkenntnisse über die Wortschatzschichtung und die relative Lautchronologie zulässt (z. B. bei -stj- > -sˇ- / -zˇ- / -sˇt ˆ i- / -sˇc ´- [394] oder dt. Glück > kle.c ´ [123, 250, 432]). Die sogenannten «verschiedenen lautlichen Erscheinungen» (Assimilation, Dissimilation,Agglutination, Deglutination usw.) bilden den Abschluss (441- 45). In Eichenhofers historischer Grammatik findet man durchaus die Elemente zu einer inneren Sprachgeschichte des Bündnerromanischen. Als Beispiel diene die Darstellung der Entwicklung von cvor a: «Es darf . . . als gesichert gelten, dass c-, auch g-, in ganz Romanisch Bünden ursprünglich vor betontem, nicht aber vor nebentonigem oder unbetontem -apalatalisiert worden ist. Die Palatalisierung von c-, gvor nebentonigem oder unbetontem -atrat regional ein unter der Bedingung, dass die romanische Silbe k¿ -'offen war. Die Rückentwicklung von *c´ á-, *c´ ¿ -'zu ká-, k¿ -'scheint vom einstigen Zentrum Chur ausgegangen zu sein» (212). Zusammen mit dem Hinweis, dass die «Palatalisierung von c-, gvor -a- . . . von Oberitalien seit dem Ende des 14. Jahrhunderts nach Romanisch Bünden eindringt» und dass die «Regression von c´, g´ zu k-, gin Romanisch Bünden seit dem 16. Jahrhundert» stattfindet (209), erhält man das klare Bild einer Lautentwicklung, die in Norditalien im späten Mittelalter stattfand und mit der üblichen Verspätung von einigen Jahrhunderten in getrennten Schüben die verschiedenen Einzelbereiche der alpinen Romanität (Graubünden, Dolomiten, Friaul), also die nördliche area laterale der Italoromania, erreichte - in diesem Bild ist natürlich kein Raum mehr für eine im Gegensatz zu den «dialetti romanzi da mezzodì» stehende «serie d’idiomi romanzi, stretti fra di loro per vincoli di affinità peculiare» (G. I. Ascoli, AGI 1 [1873]: 1). Man sieht, Wolfgang Eichenhofer folgt keineswegs den alten Mythen zur Einordnung des Bündnerromanischen in die Romania, aber er macht es seinen Lesern auch nicht gerade leicht, die einschlägigen Stellen zu finden oder auf die entscheidenden Aussagen im eintönigen Strom der Lautregeln aufmerksam zu werden. Endlich hat die Romanistik dank Wolfgang Eichenhofer die lange schmerzlich vermisste Historische Lautlehre des Bündnerromanischen, und jeder Zweifel an der Solidität und Zweckmäßigkeit des Werkes wäre abwegig; schade nur, dass die Darstellung so wenig ansprechend ist und dass man auf die entscheidenden Punkte nicht wirklich aufmerksam gemacht wird. J. Kramer H 275 Besprechungen - Comptes rendus