eJournals Vox Romanica 59/1

Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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2000
591 Kristol De Stefani

Nils-Olof Jönsson (ed.), La Vie de Saint Germer et la Vie de Saint Josse de Pierre de Beauvais. Deux poèmes du xiiie siècle, publiés avec introduction, notes et glossaire, Lund (University Press) 1997, 207 p. (Etudes Romanes de Lund 56)

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A.  Arens
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- 38/ 39 Vois tu celui la par qui tu as fait ce que tu faisoies Guarda colui per colpa del quale tu hai commesso i peccati compiuti : Warum wird die Frage vois-tu durch einen Imperativ (guarda) ersetzt? Und wozu die interpretatorische Präzisierung von ce que tu faisoies durch i peccati compiuti? - 38/ 39 fisent grans plaies arrecandosi gran male : Verlust an Präzision. - 38/ 39 et se departirent finché se ne andarono : Es gibt keinen Grund et durch eine temporal-finale Konjunktion zu ersetzen. - 40/ 41 . . . nulle clarte n’auoient fors de l’aingle . . . senza aver altra luce se non quella che emanava dall’angelo : Wozu die Ergänzung von emanere? - 40/ 41 molt espoentable wird einfach durch orribile wiedergegeben, molt parfonde dagegen unmotiviert in tremendamente profonda verstärkt. - 40/ 41 grevoit a l’ame soffocante per l anima : grever wäre schlicht mit pesare wiederzugeben. 40/ 41 de nouvel torment ist nicht rinnovata tortura , sondern nuova/ altra tortura . - 40/ 41 mourdre (meurtre) ist mit delitto nicht hinreichend präzis wiedergegeben. 40/ 41 montagne . . . anguesseuse montagna . . . penosa ist inadäquat; angemessen wäre spaventosa. - Usw. Die Edition von Margherita Lecco ist im großen und ganzen solide, und es ist v.a. erfreulich, daß die altfranzösische Version der Visio Tungdali nun in einer bezahlbaren Ausgabe zugänglich ist. Für die Übersetzung gilt leider, was man von den meisten Übersetzungen mittelalterlicher Texte sagen muß: Sie ist mit großer Vorsicht zu genießen! P. W. H Nils-Olof Jönsson (ed.), La Vie de Saint Germer et la Vie de Saint Josse de Pierre de Beauvais. Deux poèmes du xiii e siècle, publiés avec introduction, notes et glossaire, Lund (University Press) 1997, 207 p. (Etudes Romanes de Lund 56) Die hier anzuzeigende Arbeit, eine im April 1997 von der Philosophischen Fakultät der Universität Lund angenommene Dissertation, bietet die textkritische und kommentierte Edition der Viten von zwei Lokalheiligen der Region des Beauvaisis, nämlich des hl. Geremarus sowie des hl. Jodocus. Die 874 bzw. 820 Achtsilbner zählenden und auf den Anfang des 13. Jahrhunderts zu datierenden Texte, die in der «koiné littéraire de l’époque, teintée de certains traits picards» (81) geschrieben sind, stammen aus der Feder von Pierre de Beauvais. Pierre de Beauvais, der als altfranzösischer Dichter erst 1851 von Ch. Cahier entdeckt wurde (14), hat insgesamt 12 Werke hinterlassen, darunter neben den beiden hier edierten Heiligenviten drei weitere hagiographische Texte 1 . Über Pierre besitzen wir nur äußerst spärliche Informationen, und diese sind ausschließlich seinen Dichtungen zu entnehmen: Wir wissen lediglich, daß er Ende des 12./ Anfang des 13. Jahrhunderts in der Region des Beauvaisis lebte und zeitweilig einen Förderer in Philippe de Dreux fand, der von 1175 bis 1217 Bischof von Beauvais war. Dieses Faktum ist auch der Grund dafür, daß Gaston Paris 1892 Pierre de Beauvais den seitdem gültigen Dichternamen gab (14). Alle Werke Pierres sind in nur einer einzigen auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu datierenden Handschrift überliefert, dem sogenannten Grand Recueil La Clayette, der 327 Besprechungen - Comptes rendus 1 Es sind dies: La Vie de Saint Eustache und Les trois Maries (jeweils in Achtsilbnern gehalten) sowie das Prosawerk La Translation et les Miracles de Saint Jacques. auf insgesamt 419 Folios 36 Texte und damit in der Tat eine «véritable bibliothèque d’œuvres du xiii e siècle» (13) bietet. Das Manuskript wird unter der genannten Bezeichnung geführt, weil dessen seinerzeitiger Besitzer, der Marquis Claude-Alexis de Noblet, Herr des im Département Saône-et-Loire gelegenen Schlosses de la Clayette war. 1773 wurde die Handschrift zu dem berühmten Paläographen Jean-Baptiste de la Curne de Sainte- Palaye nach Paris gebracht, wo dessen Mitarbeiter Georges-Jean Mouchet zum Glück eine Kopie der Handschrift anfertigte (13). Denn ab diesem Zeitpunkt galt der Grand Recueil La Clayette als verschollen, bis er erst 1951 von Mlle. Solente wiederentdeckt und im folgenden Jahr von der B.N. Paris angekauft wurde (nouv.acq.fr. 13522). Durch diese Gegebenheiten der Manuskriptgeschichte ist es auch bedingt, daß frühere Texteditionen der Werke von Pierre de Beauvais, die ohnehin nicht mehr den Ansprüchen moderner Editionsverfahren genügen, auf der Basis der von Mouchet gefertigten Kopie erstellt wurden 2 . Neuere quellenkritische Editionen auf der Grundlage des wiederentdeckten Grand Recueil La Clayette fehlten bis heute nahezu völlig. Zwar wurden neben zwei anderen Werken Pierres auch die beiden hier edierten Viten bereits 1961 in einer amerikanischen Dissertation auf der Basis dieser Handschrift herausgegeben 3 . Da es sich aber um eine nicht publizierte, nur in maschinenschriftlicher Form in den Archiven der Universität Berkeley aufbewahrte Arbeit handelt, ist sie praktisch unzugänglich. Deshalb ist es nur zu begrüßen, daß Jönsson mit seiner Dissertation eine seit langem bestehende Forschungslücke schließt. Und zu begrüßen ist auch, daß er sich auf Anregung seiner akademischen Lehrer für die Edition gerade dieser beiden Werke von Pierre de Beauvais entschieden hat. Denn zum einen ist die Vie de Saint Germer «d’un intérêt particulier pour constater l’activité littéraire de Pierre dans sa ville natale» (16). Der hl. Geremarus wurde nämlich ca. 610 als Sohn einer adeligen Familie des Beauvaisis, der Heimat des Dichters, geboren. Er übte zunächst wichtige Funktionen am Königshof aus, vermählte sich mit einer am Hof einflußreichen Dame, entsagte dann aber - ähnlich wie Alexius - dem weltlichen Leben, wurde Priester und Abt und gründete mehrere Klöster. Sein Todesdatum ist der 24. September 658. - Zum anderen ist die Vie de Saint Josse «la version la plus importante parmi les vies en français de ce saint» (16). Der hl. Jodocus soll ca. 600 als Sohn eines bretonischen Grafen geboren und später zum Priester geweiht worden sein und eine Eremitage gegründet haben. Sein Todesdatum ist der 13. Dezember 658. Während der Kult des hl. Geremarus auf die Region des Beauvaisis beschränkt blieb, ist im Gegensatz dazu der Kult des hl. Jodocus «répandu dans une grande partie de l’Europe» (11). Den Texteditionen geht eine umfangreiche, von profunder Sachinformiertheit zeugende Einleitung (9-83) voran, in der zunächst die historisch gesicherten Fakten über das Leben und den Kult der beiden Heiligen (9-12) sowie die Manuskriptgeschichte, die älteren Editionen und die Person des Dichters dargestellt werden (13-19). Es folgen alsdann kurze Resümees der beiden Heiligenviten (20-27) und ein mit «Les sources latines» überschriebener und leider völlig enttäuschender Abschnitt (28-41), in dem die zwei altfranzösischen Texte mit ihren lateinischen Vorlagen verglichen werden. Diese Ausführungen sind bei weitem zu summarisch und zu oberflächlich; hier ist noch ein weites und zugleich fruchtbares Feld philologischer Arbeit gegeben. Von größter Gründlichkeit sind allerdings die sich anschlie- 328 Besprechungen - Comptes rendus 2 Die Vie de St-Germer wurde ediert von dem Vicomte de Caix de Saint-Amyour, «Vie versifiée de saint Germer, par Pierre, clerc à Beauvais, au commencement du xiii e siècle», in: Mémoires et documents pour servir à l’histoire des pays qui forment aujourd’hui le département de l’Oise, Paris 1898: 165-200. Die Vie de St-Josse wurde ediert von P. Hänsler, La Vie Saint Joce, Greifswald 1915. 3 M. L. Berkey, Pierre de Beauvais. A Study of his Work with critical Editions of his Vie de Saint Germer, Vie de Saint Josse, Translation et Miracles de Saint Jacques and Olympiade, Berkeley 1961. ßenden Abschnitte über die Verstechnik (42-65) und die Sprache der beiden Viten (66-81). Knappe Darlegungen zum editorischen Verfahren (82-83) schließen die Einleitung ab. Die Edition beider Texte ist sorgfältig und, soweit ich feststellen konnte, korrekt. Jönssons Arbeitsprinzip ist es - und dem kann man nur zustimmen -, «de reproduire aussi fidèlement que possible le texte du grand recueil La Clayette» (82). Die nur in wenigen Fällen am Basistext primär aus metrischen Gründen vorgenommenen und insgesamt überzeugenden Korrekturen werden in Fußnoten angezeigt und in den «Notes» (130ss.) kommentiert. (In der Vie de Saint Germer, v. 53 muß allerdings, wie in der Handschrift, vraie und nicht veraie geschrieben werden.) Die «Notes» (130-52), in denen sprachliche und inhaltliche Kommentare gegeben werden, sind grundsätzlich informativ und hilfreich zum Verständnis der Texte. In den sprachlichen Kommentaren jedoch wird eine eklatante Unsicherheit des Editors deutlich; da wird immer wieder spekuliert, wie es auch durch Formulierungen wie «peut-être» (131, 133, 135, 136, 137 u.a.m.),«il est possible» (136, 147 u.a.), «il est probable» (142 u.a.m.) zum Ausdruck kommt. Der Ausgabe sind ein mit Gründlichkeit erstelltes Namensregister (153-55), ein umfangreiches Glossar (156-92) und eine Bibliographie (193-203) beigegeben. Im Glossar allerdings wird eine Vielzahl an Lexemen viel zu frei übertragen; cf. etwa die Übersetzungen von en afflictions mit «à genoux» (157), œuvre mit «texte» (178) u.a.m. Wenn ich auch einige (wenige) kritische Bemerkungen angeführt habe, bleibt festzuhalten, daß Jönsson insgesamt eine überzeugende, von großem Fleiß zeugende Arbeit vorgelegt hat. Gesamteindruck: positiv. A. Arens H Michel J. Raby (ed.), Le Huon de Bordeaux en prose du XVème siècle, edited by M.J.R., New York etc. (Lang) 1998, clviii + 300 p. (Studies in the Humanities 27) Die vorliegende Publikation ist eine Dissertation der University of Iowa, die unter der Leitung von Richard O’Gorman entstanden ist. Es handelt sich um einen Band, der nur schon von seiner äußeren Aufmachung her sehr einnehmend ist, und auch die Lektüre führt zu einem durchaus positiven Gesamturteil 1 , wenn sich auch im Detail einige Kritiken aufdrängen. Durchaus positiv zu bewerten ist auch die Tatsache, daß hier eine der meist mit Verachtung gestraften mises en prose des 14./ 15. Jahrhunderts nicht nur ediert, sondern auch sorgfältig untersucht wird. Der Band beginnt mit einem kurzen Avant-propos, der sich auf die unterschiedlichsten Danksagungen beschränkt. Darauf folgt eine substantielle, rund 150-seitige Introduction. Sie beginnt mit einem Kapitel über die Tradition der Handschriften und Drucke des Huon de Bordeaux und seiner Bearbeitungen, wobei - im Anschluß an Gautier - auch auf die Geringschätzung hingewiesen wird, mit der die mises en prose meist bedacht werden. Es gäbe nur wenige Ausnahmen, die ein echtes Interesse verdienten: der Joseph d’Arimathie (O’Gorman), der Guillaume d’Orange (en prose) (Suard), und eben der hier vorgelegte Huon de Bordeaux. Daß diese drei mises en prose von besonderer Qualität sind, ist unbestritten. Dies erlaubt es allerdings noch lange nicht, die übrigen Werke dieser Gattung einfach «auf den Müll zu kippen». Die ihnen entgegengebrachte Verachtung beruht in der 329 Besprechungen - Comptes rendus 1 Auch die Drucklegung ist recht gepflegt, und eigentliche Druckfehler sind selten. Störend ist die Tatsache, daß oft die Wortzwischenräume fehlen (v. a. in der Introduction), was wohl auf eine späte und nicht mehr kontrollierte Reformatierung zurückzuführen ist; auch einige Einzüge stimmen nicht.