eJournals Vox Romanica 59/1

Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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591 Kristol De Stefani

Michel J. Raby (ed.), Le Huon de Bordeaux en prose du XVème siècle, edited by M.J.R., New York etc. (Lang) 1998, clviii + 300 p. (Studies in the Humanities 27)

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P.  W.
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ßenden Abschnitte über die Verstechnik (42-65) und die Sprache der beiden Viten (66-81). Knappe Darlegungen zum editorischen Verfahren (82-83) schließen die Einleitung ab. Die Edition beider Texte ist sorgfältig und, soweit ich feststellen konnte, korrekt. Jönssons Arbeitsprinzip ist es - und dem kann man nur zustimmen -, «de reproduire aussi fidèlement que possible le texte du grand recueil La Clayette» (82). Die nur in wenigen Fällen am Basistext primär aus metrischen Gründen vorgenommenen und insgesamt überzeugenden Korrekturen werden in Fußnoten angezeigt und in den «Notes» (130ss.) kommentiert. (In der Vie de Saint Germer, v. 53 muß allerdings, wie in der Handschrift, vraie und nicht veraie geschrieben werden.) Die «Notes» (130-52), in denen sprachliche und inhaltliche Kommentare gegeben werden, sind grundsätzlich informativ und hilfreich zum Verständnis der Texte. In den sprachlichen Kommentaren jedoch wird eine eklatante Unsicherheit des Editors deutlich; da wird immer wieder spekuliert, wie es auch durch Formulierungen wie «peut-être» (131, 133, 135, 136, 137 u.a.m.),«il est possible» (136, 147 u.a.), «il est probable» (142 u.a.m.) zum Ausdruck kommt. Der Ausgabe sind ein mit Gründlichkeit erstelltes Namensregister (153-55), ein umfangreiches Glossar (156-92) und eine Bibliographie (193-203) beigegeben. Im Glossar allerdings wird eine Vielzahl an Lexemen viel zu frei übertragen; cf. etwa die Übersetzungen von en afflictions mit «à genoux» (157), œuvre mit «texte» (178) u.a.m. Wenn ich auch einige (wenige) kritische Bemerkungen angeführt habe, bleibt festzuhalten, daß Jönsson insgesamt eine überzeugende, von großem Fleiß zeugende Arbeit vorgelegt hat. Gesamteindruck: positiv. A. Arens H Michel J. Raby (ed.), Le Huon de Bordeaux en prose du XVème siècle, edited by M.J.R., New York etc. (Lang) 1998, clviii + 300 p. (Studies in the Humanities 27) Die vorliegende Publikation ist eine Dissertation der University of Iowa, die unter der Leitung von Richard O’Gorman entstanden ist. Es handelt sich um einen Band, der nur schon von seiner äußeren Aufmachung her sehr einnehmend ist, und auch die Lektüre führt zu einem durchaus positiven Gesamturteil 1 , wenn sich auch im Detail einige Kritiken aufdrängen. Durchaus positiv zu bewerten ist auch die Tatsache, daß hier eine der meist mit Verachtung gestraften mises en prose des 14./ 15. Jahrhunderts nicht nur ediert, sondern auch sorgfältig untersucht wird. Der Band beginnt mit einem kurzen Avant-propos, der sich auf die unterschiedlichsten Danksagungen beschränkt. Darauf folgt eine substantielle, rund 150-seitige Introduction. Sie beginnt mit einem Kapitel über die Tradition der Handschriften und Drucke des Huon de Bordeaux und seiner Bearbeitungen, wobei - im Anschluß an Gautier - auch auf die Geringschätzung hingewiesen wird, mit der die mises en prose meist bedacht werden. Es gäbe nur wenige Ausnahmen, die ein echtes Interesse verdienten: der Joseph d’Arimathie (O’Gorman), der Guillaume d’Orange (en prose) (Suard), und eben der hier vorgelegte Huon de Bordeaux. Daß diese drei mises en prose von besonderer Qualität sind, ist unbestritten. Dies erlaubt es allerdings noch lange nicht, die übrigen Werke dieser Gattung einfach «auf den Müll zu kippen». Die ihnen entgegengebrachte Verachtung beruht in der 329 Besprechungen - Comptes rendus 1 Auch die Drucklegung ist recht gepflegt, und eigentliche Druckfehler sind selten. Störend ist die Tatsache, daß oft die Wortzwischenräume fehlen (v. a. in der Introduction), was wohl auf eine späte und nicht mehr kontrollierte Reformatierung zurückzuführen ist; auch einige Einzüge stimmen nicht. Regel auf einem unangemessenen Vergleich der Laissen- und Prosafassung aus der Perspektive der ersteren, wobei es meist nicht den geringsten Versuch gibt, dem unterschiedlichen Sitz im Leben (Köhler) der beiden Versionen Rechnung zu tragen: Alles wird vielmehr an der Laissen-Fassung gemessen, die gewissermaßen absolut gesetzt ist, und eine solche Voreingenommenheit kann natürlich nur zu ungunsten der späteren Bearbeitung ausgehen. Diese Haltung paßt auch zu der allgemein üblichen Negativbeurteilung des Mittelfranzösischen, seiner Sprache und seiner Literatur 2 . Während in der Linguistik in den letzten Jahrzehnten ein deutliches Umdenken festzustellen ist, zeigt hier die Literaturwissenschaft noch erhebliche Defizite. Es ist höchste Zeit, daß endlich angefangen wird, jede Epoche zuerst einmal in sich selbst zu begreifen und zu verstehen, und nicht gleich aufgrund von exozentrischen (und damit inadäquaten) Vergleichen zu ihrer Verurteilung zu schreiten. Oder mit anderen Worten: Die Literaturwissenschaftler sollten einmal Hugo Schuchardt lesen! Im zweiten Unterkapitel wird dann der «epische» Huon de Bordeaux (d. h. die Laissen- Version) diskutiert. Handschriften, Themen und Motive sowie die Datierungsproblematik werden relativ ausführlich vorgestellt 3 , und ähnlich wird im dritten Unterkapitel dann mit den «continuations» verfahren, zu denen Raby auch die Prosaversion zählt (nicht zu Unrecht, denn sie schließt auch Teile aus den Fortsetzungen ein). Deren ursprüngliche Fassung, die angeblich 1454 entstanden sein soll, ist nicht erhalten: Der Text ist nur aufgrund von 10 bzw. 11 Drucken überliefert, von denen Raby mit durchaus vernünftigen Argumenten nur die sechs vor 1550 entstandenen für seine Ausgabe berücksichtigt. Das zweite Hauptkapitel der Einleitung ist der Frage nach der Basis der Drucke und deren Relation untereinander gewidmet. Raby versucht zu zeigen, daß der Druck A (1513) die Referenzversion für alle übrigen Drucke ist, daß die Prosaversion im wesentlichen von der Laissenversion (und nicht von der Alexandrinerversion) abhängig ist, und daß A der von Ruelle seiner Ausgabe des Original-Huon zugrunde gelegten Handschrift M am nächsten steht. Seine Argumentation ist überzeugend und schlüssig, krankt aber bezüglich des letzten Punktes an einem gravierenden Defizit: Raby kennt die Handschriften der Laissenversion nicht aus eigener Anschaung, sondern begnügt sich mit den Angaben bei Ruelle und dessen Varianten-Apparat! Vielleicht reicht dies ja aus - aber es bleibt doch eine gewisse Unsicherheit und ein ungutes Gefühl. Das dritte Kapitel der Einleitung (liv ss.) trägt den Titel Composition et style. Raby befaßt sich zuerst mit den Modifikationen im Rahmen der mise en prose und kann leicht zeigen, daß praktisch alles getilgt wird, was durch Metrum und Assonanz in der Laissenversion bedingt ist; der Bearbeiter hat also gründliche Arbeit geleistet. Anschließend werden dann der Satz in den narrativen Passagen, die Subordination, die Tempusverwendung, der Wortschatz, die Stilfiguren und die Redewiedergabe analysiert. Raby zeigt sich dabei als sehr gut informiert 4 - es fehlt praktisch keine der einschlägigen Publikationen zu den verschiedenen Themen; und trotzdem . . . Seine guten Literaturkenntnisse veranlassen ihn leider nicht dazu, seine Ausführungen auch theoretisch zu fundieren; er verharrt vielmehr bei mehr als traditionellen Werturteilen. Dies gilt z.B. für die Beurteilung der endlos langen und verschachtelten Sätze, dies gilt ganz besonders für die Tempusverwendung, die von den Erkenntnissen von Wilmet und Martin kaum profitiert. So wird z. B. p. lxxii s. der Unterschied 330 Besprechungen - Comptes rendus 2 Cf. hierzu auch die p. vii zitierte Verurteilung Monstrelets durch Léon Gautier. 3 Man fragt sich allerdings, warum hier nicht einfach auf die Ausgabe von Pierre Ruelle verwiesen wird. 4 Eine Informationslücke ist es allerdings, wenn er den Tobler-Lommatzsch mit dem Jahr 1976 enden läßt (cf. p. lv N5). Daß das Werk nach dem Tod von Eberhard Lommatzsch von Hans-Helmut Christmann weitergeführt wurde, scheint ihm entgangen zu sein. zwischen passé antérieur und plus-que-parfait einfach auf ein Variationsbedürfnis reduziert - und dies, obwohl die angeführten Beispiele sich alle ohne Schwierigkeiten auf das Schema +/ - unmittelbare Anteriorität zurückführen lassen! Wenig überzeugend ist auch die Behandlung der Stilfiguren. Zwar ist gegenüber den Ausführungen zu Anapher, Aufzählung, Vergleich, Antithese, Praeteritio usw. nichts einzuwenden; nur fragt man sich, was die Sprichwörter und die Autorkommentare unter den Stilfiguren zu suchen haben. Und warum fällt kein Wort über Metapher, Metonymie, Synekdoche, Ellipse und viele andere der klassischen Stilfiguren, die im Text in Hülle und Fülle dokumentiert sind? Und schließlich kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn unter dem Titel Les passages parlés (c s.) ausführlich über die oratio recta gehandelt wird, aber kein Wort über die oratio obliqua und die oratio reflexa (Hilty) fällt und auch nicht der Ansatz eines Versuches gemacht wird, die Verteilung und Konkurrenz dieser Redewiedergabe-Arten in der Laissen- und der Prosaversion in den Blick treten zu lassen. Außerordentlich detailliert ist schließlich das vierte Kapitel der Einleitung, das sich mit den Écarts entre le Huon épique et le Huon en prose (cxi s.) befaßt. Die sehr ausführlichen, aber gleichwohl keine Vollständigkeit beanspruchenden Analysen lassen sich (im Anschluß an Gautier) in Beifügungen, Auslassungen und «modifications diverses» einteilen, was allerdings nicht gerade sehr spezifisch ist. Raby bemüht sich denn auch um etwas mehr Substanz. Die Beifügungen haben entweder präzisierenden oder aber psychologisch-motivierenden Charakter. Die Auslassungen betreffen v. a. für die chanson de geste typische Elemente: epische Formeln und Versatzstücke, lange Gebete, Details von Schlachten und Zweikämpfen, unwahrscheinliche bzw. übernatürliche Elemente. Die Modifikationen schließlich zielen auf mehr Realismus und vraisemblance ab, sie versuchen archaisch-primitive Elemente abzumildern und die höfischen Elemente zu verstärken. Im wesentlichen haben wir also - und mit aller Deutlichkeit - eine dezidierte Anpassung an die Erwartungshaltung eines gründlich veränderten Zielpublikums, und man kann nur bedauern, daß der Herausgeber diese Elemente zwar sauber herausarbeitet, die Gelegenheit aber verschenkt, seine Ergebnisse auch in literatursoziologischer Sicht auszuwerten und zu interpretieren. Der schönen und gut lesbaren Edition geht eine Offenlegung der Editionsprinzipien voran (clvii s.), die durchwegs modernen Standards entsprechen und keinen weiteren Kommentar erfordern. Der Text selbst ist in Viererschritten nach Zeilen durchnumeriert, was das Verweisen und Zitieren erleichtert; die Varianten finden sich am Seitenende, die Anmerkungen des Herausgebers dagegen werden als Endnoten präsentiert (259-66), was zur Folge hat, daß man sie kaum zur Kenntnis nimmt; sie hätten sich auch ohne weiteres in einer Art zweiten Stufe am Seitenende plazieren lassen und so deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren. Die Ausgabe schließt mit einem Index des doublets (lexikalische Binome, einschließlich Synonymendoppelungen; 267-77), einem Verzeichnis der Eigennamen (278-81), einem vielleicht etwas zu kurz geratenen Glossar (282-89) und einer Bibliographie (290ss.). Abschließend kann man sicher sagen, daß Raby hier eine schöne und durchaus brauchbare Ausgabe vorgelegt hat. Auch die Einleitung kann als handwerklich solide bezeichnet werden, krankt aber an zahlreichen unnötigen Längen, während andererseits viele Gelegenheiten zur Vertiefung und substantiellen Erweiterung einfach verschenkt werden. V. a. in theoretischer Hinsicht würde man sich oft einen etwas moderneren Zugriff wünschen. P. W. H 331 Besprechungen - Comptes rendus