Vox Romanica
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2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniPaul Fabre, Les noms de personnes en France, Paris (PUF) 1998, 127 p. (Que sais-je? 235)
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A. Arens
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Vor dem Inhaltsverzeichnis (383-85), einer Tabula gratulatoria (387-95) und einem Adressenverzeichnis der Beiträger folgt noch eine Art Schlußsynthese von Annick Englebert unter dem Titel Bal(l)ade sur le temps jadis (371-82). Genau besehen handelt sich allerdings weniger um eine Zusammenfassung, denn es wird nicht auf die einzelnen Beiträge des Bandes eingegangen. Vielmehr haben wir eine Art Echo auf die Einleitung von Robert Martin, eine zweite Würdigung von Wilmets wissenschaftlicher Leistung. Englebert unterstreicht nochmals, daß sich Wilmet in keine (linguistische) Schule habe einbinden lassen und jedem Dogmatismus abgeneigt sei. Die kritische Haltung richte sich oft sogar gegen sich selbst, so z. B. wenn er 1986 die Determinanten als Klasse, 1997 dagegen als Funktion behandele. Ganz besonderen Wert legt Englebert auf die Rolle des Faktors Zeit in seinem Werk und auf das Wechselspiel von synchronischer und diachronischer Sprachbetrachtung. Obwohl im strengen Sinne diachronische Arbeiten nach 1992 in der Bibliographie fehlen, spielt die Diachronie immer noch eine wichtige Rolle in Wilmets Denken: Probleme der Vergangenheit finden oft ein Echo in der Gegenwart, oder sie läßt die Gegenwart (oder gar die Zukunft) vorhersehen (was zu einer linguistique génétique führt); die Vergangenheit lebt in der Gegenwart nach; die Vergangenheit fungiert als Garant der Gegenwart; das Nachleben der Vergangenheit deformiert die Gegenwart; usw. Alle diese Themen und Blickpunkte sind im Werke von Marc Wilmet ständig präsent und machen es zu einem Musterbeispiel für das, was man mit den Worten Wartburgs (aber in einem etwas anderen Sinn) als das «Ineinandergreifen von synchronischer und diachronischer Sprachbetrachtung» bezeichnen könnte. Eine schöne, gehaltvolle, würdige Festschrift, die der hervorragenden Leistung des Geehrten angemessen ist und seine große Bedeutung für die französische und allgemeine Sprachwissenschaft in den letzten dreißig Jahren ins richtige Licht rückt. P. W. H Paul Fabre, Les noms de personnes en France, Paris (PUF) 1998, 127 p. (Que sais-je? 235) P. Lebels bereits 1946 in der Que sais-je? -Reihe erschienene Abhandlung über die französischen Eigennamen 1 bedurfte schon seit geraumer Zeit dringend einer Neubearbeitung. Denn Lebels ohne Zweifel seinerzeit äußerst verdienstvolle Arbeit entsprach nicht mehr dem Forschungsstand und den Methoden der heutigen Anthroponymie. Mit P. Fabre, Emeritus der französischen und romanischen Sprachwissenschaft der Universität Paul-Valéry zu Montpellier, hat nun der Verlag einen profunden Kenner der Materie 2 für diese Neubearbeitung engagiert. Lebel war methodisch so vorgegangen, daß er Diachronie und Synchronie miteinander verband und den Stoff nach dem Kriterium des linguistischen Ursprungs der jeweiligen Namen (gallisch, lateinisch, germanisch, französisch u. a.) gliederte. Dieses Vorgehen hatte, wie Fabre selbst sagt, den Vorteil, «de saisir faits et catégories au plus près de leur éxclosion» (4). Es hatte aber andererseits den Nachteil, dem mit der Materie noch wenig vertrauten Leser den Zugang zu erschweren und insbesondere nicht die verschiedenen Etappen der historischen Entwicklung deutlich herauszukristallisieren. Deshalb ist es nur begrüßenswert, daß Fabre sich bei seinem methodischen Vorgehen dafür entschieden hat, 338 Besprechungen - Comptes rendus 1 Les noms de personnes, Paris 1946. 2 Fabre hat bereits mehrere Untersuchungen zu diesem Forschungsbereich vorgelegt. Ich verweise hier nur auf seine in Zusammenarbeit mit Charles Baylon erarbeitete Monographie Les noms de lieux et de personnes, Paris 1982. den Aufriß der historischen Entwicklung, in Kapitel iii (31-58) enthalten, von der Darlegung der Kategorien der Eigennamenbildung des Französischen, in Kapitel iv (59-93) präsentiert, deutlich zu trennen. Diese beiden genannten Kapitel bilden den Kern des Werkes. Ihm voran gehen zwei Kapitel, in denen zum einen in Kapitel i (7-16) der aktuelle Forschungsstand und die Methode der Anthroponymie dargestellt werden und zum anderen in Kapitel ii (17-30) das gallische, lateinische und germanische System der Namensbildung dargelegt wird. Und den zentralen Kapiteln iii-iv folgt mit Kapitel v (94-116) ein Abschnitt, der sich mit den «Noms allogènes et particularités onomastiques» befaßt. Auf diese Weise ist ein bestens strukturierter, bis in seine Einzelelemente detailliert und übersichtlich untergliederter Band entstanden, der jedem - dem Anfänger wie auch dem Fachmann - in geordneter Form und in präziser Weise das Wesentliche zur französischen Anthroponymie vermittelt. Sehr zu begrüßen ist es auch, daß immer wiederholt durch Fußnoten weiterführende Literatur zu einzelnen Bereichen angeführt wird, so daß jeder, der es will, sich mit dieser bibliographischen Hilfestellung vertieft in die Problematik einarbeiten kann. In Kapitel i Etat des lieux et méthodologie (7-16) werden in stringenter Weise die drei Stufen in der Entwicklung der ja noch relativ jungen anthroponymischen Forschung herausgestellt. Sodann (11-16) wird aufgezeigt, daß «(t)emps et lieu . . . les deux paramètres incontournables» (12) der Personennamenforschung sind, die durch eine profunde linguistische Analyse aufgearbeitet werden müssen. - Während frühere Forscher wie etwa A. Giry und A. Dauzat mit nur wenigen Worten auf die Bildung der gallischen, lateinischen und germanischen Personennamen eingegangen sind, da sie ja «n’appartiennent pas à l’anthroponymie française» (17), widmet Fabre - wie auch Lebel 1946 3 - diesem Bereich eine kurze Darstellung (= Kapitel ii), und das ist nur richtig. Denn die gallischen und lateinischen Personennamen «font partie de notre patrimoine» (4); und die Bildung der germanischen Personennamen, die insbesondere in der Zeit vom 5. bis 10. Jahrhundert verbreitet waren, stellt die erste Stufe in der Geschichte der französischen Anthroponymie dar. Während das gallische System «était fondé sur le nom unique» (19), der sich in drei Formen, «noms simples», «noms composés» und «noms dérivés» (19s.), präsentieren kann, ist das lateinische System das «des tria nomina» (22), bestehend aus praenomen, nomen gentilicum und cognomen (etwa Caïus Julius Caesar), wohingegen das germanische System wieder - analog zum gallischen System - «le système de nom unique» (27) ist. Kaipitel iii L’anthroponymie française (31-58) stellt dann klar und deutlich vier verschiedene Entwicklungsstufen im Prozeß der Personennamengebung heraus: Vom 5. bis 10. Jahrhundert findet man die Epoche des «nom unique» (32), der, da sich ja die Christianisierung vollzogen hatte, «le nom de baptême» (33) ist; auf die Zeit vom 10. bis Anfang des 13. Jahrhunderts ist die Periode «de la duplication du nom» (37) anzusetzen, in der zum Namen noch ein Beiname - und dieser kann in fünf verschiedenen Arten gebildet werden - hinzukommt; in der dritten Phase (13.-16. Jahrhundert) wird dann dieser Beiname erblich; und in der vierten Periode schließlich (16. Jahrhundert bis heute) wird der Beiname zum Familiennamen, und außerdem vollzieht sich ab der Renaissance, intensiviert ab der Französischen Revolution durch Gesetze und Reglementierungen der Namensgebung eine «mainmise progressive de l’État» (54). - Das Kapitel iv Les catégories de noms de personnes (59-63) versteht sich als Repertoire der Personennamen «selon la nature de leur origine et leur motivation sémantique» (59). Hier werden in detaillierter Form und immer durch eine Vielzahl von Beispielen angereichert und illustriert vier verschiedenene Kategorien unterschieden: Taufnamen (germanisch, biblisch, christlich), Herkunftsnamen, «noms de métier, d’état et de parenté» (80-85) und «sobriquets» (86-93). 339 Besprechungen - Comptes rendus 3 Dort Kapitel ii und iii, p. 19-35. Sehr schön ist es, daß im Kapitel v Noms allogènes et particularités onomastiques (94-116) auch die Regionen Berücksichtigung finden, die aufgrund ihrer historischen Entwicklung «ne font pas partie de l’ensemble linguistique roman» (94), nämlich Elsaß-Lothringen, Flandern, das Baskenland und Korsika. Fabre stellt hier jeweils die Besonderheiten der Namensbildung heraus, etwa den italienischen Einfluß in Korsika oder den fränkisch-alemannischen Einfluß in Elsaß-Lothringen. Und in dem Abschnitt «Particularités et usages» (106-16) geht er auf jüdische Namen, auf von der Mutter überkommene Namen und auf Besonderheiten bei Vornamen ein. - In der Conclusion (117-23) werden alsdann die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt. Und die - wenn auch recht magere - Bibliographie (125) verzeichnet einige der Standardwerke zum Thema; aber ergänzend dazu hat man ja die Vielzahl an Fußnoten mit bibliographischen Angaben. In der Einleitung drückt Fabre die Hoffnung aus, daß sein Werk, das - wie er selbst, Lebel zitierend, sagt - ja nur eine «esquisse provisoire» und ein «schéma très général» (5) sein kann, «aboutira à une présentation claire de donnés . . . et qu’il rendra ce petit livre d’un accès aisé» (4). Dieses Ziel hat er ohne Zweifel erreicht, indem er diese jedem empfehlenswerte und fein und übersichtlich gegliederte Abhandlung vorgelegt hat. A. Arens H Peter Cichon, Sprachbewusstsein und Sprachhandeln. Romands im Umgang mit Deutschschweizern, Wien (Braumüller) 1998, 392 p. (Wiener Romanistische Arbeiten 18) Es mag in der Schweiz einige Skepsis hervorrufen, wenn ein in Wien lebender Norddeutscher es unternimmt, sich mit der sprachlichen Situation der Romands zu befassen. Der Verfasser muss dies selber verspürt haben, weshalb er sein einleitendes Kapitel mit «einigen Bemerkungen zum Blick des Fremden in den Sozialwissenschaften» (23s.) abschliesst. Es soll deshalb gleich zu Beginn festgestellt werden, dass diese Skepsis hier unangebracht ist. Es unterlaufen dem Verfasser gewiss ein paar Fehler in jenen Abschnitten, die sich mit der Geschichte der Schweiz befassen 1 . Die Darstellung der heutigen sprachlichen Situation der Romands gegenüber der deutschschweizerischen Mehrheit darf jedoch rundherum als zutreffend bezeichnet werden. Das Buch Cichons beruht auf Gesprächen, die mit Romands in St. Gallen (117-82), in Biel (182-252), in Freiburg i. Ue. (253-312), sowie in Genf und Lausanne (313-58) geführt wurden. Die Auswahl der Aufnahmeorte erscheint insofern als sinnvoll, als dass einerseits Romands ausserhalb ihres Sprachgebietes (in St. Gallen) und andererseits solche in ihrem eigenen Sprachgebiet (in Genf und Lausanne) erfasst werden und den interessanten Grenzsituationen in Biel (mit deutschsprachiger Mehrheit) und in Freiburg (mit französischsprachiger Mehrheit) besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es haben so insgesamt 90 Gespräche in den Jahren 1990 bis 1993 stattgefunden (22 in St. Gallen, 25 in Biel, 20 in Freiburg und 23 in Genf bzw. Lausanne). Einzelne Gespräche wurden mit zwei oder sogar mehreren Gesprächspartnern durchgeführt, so dass insgesamt 340 Besprechungen - Comptes rendus 1 Cichon (90-91) geht eindeutig zu weit, wenn er die sprachliche Absonderung der deutschsprachigen Schweiz vom Hochdeutschen in die Zeit der Schwabenkriege zurückverlegt, denn damals gab es noch gar kein einheitliches Hochdeutsch. Auch der Charakterisierung des Kantons Bern vor 1815 als «rein deutschsprachiges Staatswesen» (185) kann man nicht zustimmen, denn Französisch war nicht nur bis 1798 die Umgangssprache in den waadtländischen Untertanengebieten Berns, sondern spielte auch in der vornehmen Berner Gesellschaft des 18. Jahrhunderts eine dominierende Rolle. Völlig unzutreffend ist ferner die Behauptung, die Schweiz sei am Ende des 18. Jahrhunderts «einer der am stärksten industrialisierten Staaten Europas» (81) gewesen.