eJournals Vox Romanica 59/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2000
591 Kristol De Stefani

Peter Cichon, Sprachbewusstsein und Sprachhandeln. Romands im Umgang mit Deutschschweizern, Wien (Braumüller) 1998, 392 p. (Wiener Romanistische Arbeiten 18)

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2000
J.  Wüest
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Sehr schön ist es, daß im Kapitel v Noms allogènes et particularités onomastiques (94-116) auch die Regionen Berücksichtigung finden, die aufgrund ihrer historischen Entwicklung «ne font pas partie de l’ensemble linguistique roman» (94), nämlich Elsaß-Lothringen, Flandern, das Baskenland und Korsika. Fabre stellt hier jeweils die Besonderheiten der Namensbildung heraus, etwa den italienischen Einfluß in Korsika oder den fränkisch-alemannischen Einfluß in Elsaß-Lothringen. Und in dem Abschnitt «Particularités et usages» (106-16) geht er auf jüdische Namen, auf von der Mutter überkommene Namen und auf Besonderheiten bei Vornamen ein. - In der Conclusion (117-23) werden alsdann die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt. Und die - wenn auch recht magere - Bibliographie (125) verzeichnet einige der Standardwerke zum Thema; aber ergänzend dazu hat man ja die Vielzahl an Fußnoten mit bibliographischen Angaben. In der Einleitung drückt Fabre die Hoffnung aus, daß sein Werk, das - wie er selbst, Lebel zitierend, sagt - ja nur eine «esquisse provisoire» und ein «schéma très général» (5) sein kann, «aboutira à une présentation claire de donnés . . . et qu’il rendra ce petit livre d’un accès aisé» (4). Dieses Ziel hat er ohne Zweifel erreicht, indem er diese jedem empfehlenswerte und fein und übersichtlich gegliederte Abhandlung vorgelegt hat. A. Arens H Peter Cichon, Sprachbewusstsein und Sprachhandeln. Romands im Umgang mit Deutschschweizern, Wien (Braumüller) 1998, 392 p. (Wiener Romanistische Arbeiten 18) Es mag in der Schweiz einige Skepsis hervorrufen, wenn ein in Wien lebender Norddeutscher es unternimmt, sich mit der sprachlichen Situation der Romands zu befassen. Der Verfasser muss dies selber verspürt haben, weshalb er sein einleitendes Kapitel mit «einigen Bemerkungen zum Blick des Fremden in den Sozialwissenschaften» (23s.) abschliesst. Es soll deshalb gleich zu Beginn festgestellt werden, dass diese Skepsis hier unangebracht ist. Es unterlaufen dem Verfasser gewiss ein paar Fehler in jenen Abschnitten, die sich mit der Geschichte der Schweiz befassen 1 . Die Darstellung der heutigen sprachlichen Situation der Romands gegenüber der deutschschweizerischen Mehrheit darf jedoch rundherum als zutreffend bezeichnet werden. Das Buch Cichons beruht auf Gesprächen, die mit Romands in St. Gallen (117-82), in Biel (182-252), in Freiburg i. Ue. (253-312), sowie in Genf und Lausanne (313-58) geführt wurden. Die Auswahl der Aufnahmeorte erscheint insofern als sinnvoll, als dass einerseits Romands ausserhalb ihres Sprachgebietes (in St. Gallen) und andererseits solche in ihrem eigenen Sprachgebiet (in Genf und Lausanne) erfasst werden und den interessanten Grenzsituationen in Biel (mit deutschsprachiger Mehrheit) und in Freiburg (mit französischsprachiger Mehrheit) besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es haben so insgesamt 90 Gespräche in den Jahren 1990 bis 1993 stattgefunden (22 in St. Gallen, 25 in Biel, 20 in Freiburg und 23 in Genf bzw. Lausanne). Einzelne Gespräche wurden mit zwei oder sogar mehreren Gesprächspartnern durchgeführt, so dass insgesamt 340 Besprechungen - Comptes rendus 1 Cichon (90-91) geht eindeutig zu weit, wenn er die sprachliche Absonderung der deutschsprachigen Schweiz vom Hochdeutschen in die Zeit der Schwabenkriege zurückverlegt, denn damals gab es noch gar kein einheitliches Hochdeutsch. Auch der Charakterisierung des Kantons Bern vor 1815 als «rein deutschsprachiges Staatswesen» (185) kann man nicht zustimmen, denn Französisch war nicht nur bis 1798 die Umgangssprache in den waadtländischen Untertanengebieten Berns, sondern spielte auch in der vornehmen Berner Gesellschaft des 18. Jahrhunderts eine dominierende Rolle. Völlig unzutreffend ist ferner die Behauptung, die Schweiz sei am Ende des 18. Jahrhunderts «einer der am stärksten industrialisierten Staaten Europas» (81) gewesen. 101 Personen interviewt wurden. In St. Gallen und in Biel gingen diesen Interviews zudem zwei Fragebogenuntersuchungen voraus, die aber keinen wesentlich grösseren Kreis von Informanten betrafen. Leider vernimmt man nichts über die Auswahl der Gesprächsteilnehmer. Man muss deshalb vermuten, dass sie nicht nach repräsentativen Kriterien erfolgt ist. Unklar ist vor allem, wieso auch neun deutschsprachige Interviewpartner erfasst wurden. Cichon selber bezeichnet seine Methode als diejenige des «Intensivinterviews» 2 . Er definiert sie als ein Verfahren, in dem «der Befrager seine Interviewsteuerung auf eine Moderatorenfunktion beschränkt, zwar seine Themenwünsche artikuliert und den individuellen Gesprächsverlauf durch fallweise Reizargumente bzw. Fragen in deren Kontext zu halten versucht, jedoch dem Interviewten die Möglichkeit gibt, selbst inhaltliche Akzente zu setzen und sie in gewünschter Breite darzulegen» (70). Cichon versucht seine Methode in einem längeren Kapitel über das Bewusstsein (25-58) gleichsam philosophisch zu begründen. Wie alle soziolinguistischen Untersuchungsmethoden stösst aber auch das «Intensivinterview» an Grenzen. Der Interviewer kann sich zwar grösste Zurückhaltung auferlegen, der Verlauf des Gesprächs hängt aber trotzdem zu einem guten Teil von ihm ab. Während der Lektüre dieses Buches habe ich mich so mehrfach gefragt, wieso eigentlich nirgends vom wachsenden Einfluss der englischen Sprache in der Schweiz die Rede ist. Dieser wird dann gerade noch auf den letzten beiden Seiten vor der Zusammenfassung (355s.) mit Bezug auf die Sprachsituation in Genf behandelt. In dieser Stadt mag das Problem tatsächlich früher akut geworden sein als anderswo; es stellt sich jedoch nicht nur in Genf. Dass davon anderswo nichts zu erfahren ist, wird wohl eher daher rühren, dass der Interviewer erst spät auf dieses Problem aufmerksam geworden ist, von dem er selber sagt, dass ihm eine erhebliche soziale Brisanz innewohne. Generell scheint mir die Methodik des Interviews weit eher angezeigt, wo es um Fragen des Sprachbewusstseins als um solche des Sprachhandelns geht, von denen im Titel des Buches ebenfalls die Rede ist. Tatsächlich nehmen denn auch in der Darstellung Cichons die Fragen über Sprachkompetenz und Kommunikationspraxis einen grossen Raum ein. Seine Darstellung gründet jedoch ausschliesslich auf den Selbsteinschätzungen der Interviewten. Wenn sich dabei das Bild einer eher beschränkten Sprachkompetenz der Romands im Deutschen ergibt, so ist dies sicher richtig. Diese Feststellung dürfte aber höchstens diejenigen überraschen, die immer noch glauben, alle Schweizerinnen und Schweizer seien mindestens zweisprachig. Wer sich auf diesem Gebiete einigermassen auskennt, erfährt da wenig Neues. Das ist wohl auch der Hauptvorwurf, den man dem Verfasser machen kann. Seine Darstellung enthält zwar eine Anzahl sehr nützlicher Hintergrundinformationen, über zu weite Strecken besteht sie jedoch aus einer Anreihung von Auszügen aus den Transkripten, die im Kommentar mehr paraphrasiert als wirklich interpretiert werden. Dabei stösst man freilich auch immer wieder auf sehr wertvolle Informationen. Ausführlich besprochen wird beispielsweise die Frage nach der Identität der Romands. Diese stellt sich als mehrfach gebrochen dar. Erstaunlich schwach ausgeprägt erscheint dabei ihre Identität als Schweizer, sehr stark jedoch diejenige als Frankophone 3 , wobei letztlich auch diese letztere Identität 341 Besprechungen - Comptes rendus 2 In Spracherziehung in der Diglossiesituation: zum Sprachbewusstsein von Okzitanischlehrern, Wien 1988, hatte Cichon noch den Begriff «Tiefeninterview» verwendet. 3 Dieses Bild steht im krassen Widerspruch zu demjenigen, das bei der Rekrutenbefragung von 1985 (cf. R. Schläpfer et al., Das Spannungsfeld zwischen Mundart und Standardsprache in der deutschen Schweiz,Aarau 1991: 158-60) unter deutschschweizerischen Rekruten gefunden wurde, für die ihre Identität als Schweizer am wichtigsten und diejenige als Germanophone am wenigsten wichtig war. zweideutig ist, da sich die Romands in Frankreich als Frankophone nicht voll anerkannt fühlen 4 . Da die Romandie nie eine wirkliche Einheit bildete, erscheint gleichzeitig auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kanton wichtiger als diejenige zur Romandie. Für verschiedene Auskunftspersonen bildet die Romandie mehr eine Art negativer Einheit gegenüber der deutschsprachigen Schweiz. Bei der Lektüre von Cichons Buch könnte man dabei den Eindruck erhalten, in Freiburg sei diese Identität der Romandie stärker ausgeprägt als anderswo (262ss.). Das hat allerdings damit zu tun, dass Cichon an den Anfang des entsprechenden Abschnittes die Aussage eines Deutschfreiburgers setzt, die in ihrer Absolutheit kaum haltbar sein dürfte. Dass das Bild des Deutschschweizers in der Romandie mit sehr negativen Stereotypen belegt ist, war schon aus anderen Untersuchungen bekannt. Ist dies der Grund, wieso Cichon diesen Aspekt eher summarisch behandelt? Wenn er dabei feststellt, dass diese Stereotype in St. Gallen in abgeschwächter Form erscheinen (194), so stimmt diese Beobachtung durchaus mit den Feststellungen überein, die Cecilia Oesch-Serra 5 bei Binnenwanderern in der deutschsprachigen Schweiz gemacht hat. Solche negative Stereotypen schwächen sich offenbar bei intensivem Kontakt mit der betreffenden Gruppe ab, ohne gänzlich zu verschwinden. Dass sie in Biel und Fribourg noch virulent vorhanden sind, spricht für die starke Segregation der beiden Sprachgruppen in diesen beiden Städten. Dabei zeigt Cichon (241ss.) sehr richtig, dass in Biel diese Segregation jüngeren Datums ist, wobei jedoch zu erwähnen wäre, dass seit den Befragungen Cichons in Biel wieder verstärkt Anstrengungen für den Bilinguismus unternommen werden. Was Cichon zu der (nicht nur in der Vergangenheit) ungünstigeren Stellung der germanophonen Minorität in Freiburg im Vergleich zur frankophonen Minorität in Biel sagt, ist unbestreitbar. Ebenso eindeutig ist die Feststellung, die an allen Orten der Befragung gemacht wird, wonach die Deutschsprachigen wesentlich schneller bereit sind, sich des Französischen zu bedienen, als die Französischsprachigen des Deutschen. Ob man dafür freilich die Frankophilie der Deutschschweizer verantwortlich machen kann, wie dies mehrere Auskunftspersonen tun, scheint mir fraglich. Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang die völlig unterschiedlichen Einstellung der beiden Sprachgruppen zur jeweiligen Hochsprache. Berechtigterweise räumt Cichon denn auch einen verhältnismässigen breiten Raum der deutschschweizerischen Diglossie ein. Dass dabei das Urteil der Romands gegenüber den schweizerdeutschen Dialekten mit ganz wenigen Ausnahme überaus negativ ist, war schon aus früheren Untersuchungen 6 bekannt. Ebensowenig überrascht, dass in St. Gallen und in den Grenzstädten die deutschschweizerische Diglossie immer wieder als ein Hindernis für den sprachlichen Kontakt zu Deutschschweizern genannt wird. In Genf und Lausanne sind dagegen die Kontakte zu Deutschsprachigen offenbar so selten, dass die Diglossie kaum als zusätzliches Hindernis empfunden wird. Überrascht haben mich dagegen die überwiegend positiven Urteile zur deutschen Sprache, die Cichon in diesen beiden Städten zu hören 342 Besprechungen - Comptes rendus 4 Cf. dazu auch P. Singy, L’image du français en Suisse romande: une enquête sociolinguistique en Pays de Vaud, Paris 1996. 5 «Das Fremdbild ändern: Die Entwicklung der Stereotype», in: G. Lüdi/ B. Py et al. (ed.), Fremdsprachig im eigenen Land. Wenn Binnenwanderer in der Schweiz das Sprachgebiet wechseln und wie sie darüber reden, Basel 1994: 156-67. 6 Cf. vor allem D.Apothéloz/ L. Bysaeth, «Attitudes linguistiques: résultats d’une enquête», Travaux neuchâtelois de linguistique 2 (1981): 60-90. bekommen hat (339s.). Man möchte allerdings gerne genauer wissen, in welchen Kontexten Urteile wie « . . . L’allemand bien parlé c’est superbe . . . » (339) gefallen sind. Solche Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung sind aber äusserst selten. Wer sich ein Bild von der sprachlichen Situation der Romands in der Schweiz machen will, kann sich durchaus auf die Aussagen dieses Buches verlassen, auch wenn er darin nur wenig wirklich Neues findet. J. Wüest H Yvonne Stork, «Écologie»: Die Geschichte zentraler Lexien des französischen Umweltvokabulars seit 1968, Tübingen/ Basel (Francke) 1998, 381 p. (Kultur und Erkenntnis 21) Die Düsseldorfer Dissertation liefert einen empirischen Beitrag zum Sprachwandel, welcher der in der Forschung dominierenden theoretischen Diskussion ein Anwendungsmuster zur Seite stellen will. So ist ein - um es vorwegzunehmen - schönes Exempel einer mikrodiachronischen Untersuchung an einem wohlumrissenen Themenbereich entstanden. Gegenstand ist das Umweltvokabular des Französischen, soweit es - von der Fachsprache weg - zum alltagssprachlichen Bestand in der heutigen Sprache gehört. Das ausgewählte semantische Feld bietet sich insofern idealiter für eine Analyse an, als die Anfänge des Übergangs in den alltäglichen Sprachgebrauch relativ präzise fassbar sind, nämlich um das Stichjahr 1968 herum, als Fragen der Umwelt erstmals verstärkt auf breiter Basis in das öffentliche Bewusstsein eindrangen und das in diesem Zusammenhang immer wieder verwendete Vokabular zum allgemeinen Besitz auch des Nicht-Spezialisten zu werden begann. Die Auswahl ist also nicht zufällig und wird auch aus einer allgemein kulturellen Perspektive zusätzlich interessant. Sie markiert gleichzeitig einen tiefgreifenden mentalitätsgeschichtlichen Umbruch im Verhältnis der Franzosen zur Umwelt. Es wäre hier sicherlich wünschenswert, auch für andere Länder ähnlich fundierte Beiträge aus der sprachlichen Perspektive zu haben, die es ermöglichten, ein politisch-kulturelles und geistesgeschichtliches Phänomen nicht nur intuitiv, sondern im Befund der Sprachnutzung zu fassen. Die Dissertation umfasst sieben Hauptkapitel. Nach einer allgemeinen Einleitung zur Zielsetzung und zum Stellenwert innerhalb der historischen Semantikforschung (11-13) widmet sich das 1. Kapitel der Darstellung der Genese und Methodik der Untersuchung (15- 40). Das zweite Kapitel präsentiert Linguistische Untersuchungen zum Umweltvokabular, liefert also eine Art Forschungsübersicht (41-86). Im dritten Kapitel wird die Wortfamilie von écologie in der Lexikographie analysiert (87-122). Das vierte Kapitel enthält den ersten Teil der Korpusanalyse und liefert die Lexikologische Analyse zentraler Substantive aus dem französischen Umweltvokabular (123-93). Im fünften Kapitel erfolgt die Lexikologische Analyse zentraler Adjektive (193-264). Das sechste Kapitel präsentiert das Résumé der Korpusauswertung (265-80), und in den Schlussbemerkungen als siebtes Kapitel erfolgt ein Blick auf weitere Dimensionen der Thematik, der über den engeren französischen Rahmen hinausreicht (281-92). Den Abschluß bilden eine umfassende Bibliographie (293-306) sowie ein Anhang mit den Korpusbelegen (307-81). Im 1. Kapitel zur Genese und Methodik der Untersuchung gibt Verf. zunächst zum allgemeinen Verständnis der Relevanz der Themenauswahl (15-19) einen sorgfältig recherchierten, knappen aber nichtsdestoweniger präzisen Überblick über die Geschichte der französischen Umweltbewegung und deren ideengeschichtliche Herleitung, die bis auf die Aufklärung zurückgeführt wird. Bis in die 60er Jahre des 20. Jh.s bleibt die Sorge um Natur und Umwelt jedoch interessierten Laien und Wissenschaftlern vorbehalten. Die Wende - Verf. spricht von «Paradigmenwechsel» - kommt im Zuge der 68er Bewegung, als die Um- 343 Besprechungen - Comptes rendus