Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniHelmut Glück (ed.), Metzler Lexikon Sprache. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart/Weimar (Metzler) 2000, 817 p.
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Besprechungen - Comptes rendus Helmut Glück (ed.), Metzler Lexikon Sprache. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart/ Weimar (Metzler) 2000, 817 p. Das 1993 in erster Auflage erschienene Metzler Lexikon Sprache gilt nach Konzeption und Umfang seit Jahren als Standardwerk. In der vorliegenden 2. Auflage wurde es überarbeitet und um 700 Einträge erweitert. Im Bereich der romanischen Sprachwissenschaft enthält es knapp 50 Artikel. Die Beiträge von maximal anderthalb Spalten Länge umfassen Romania, Romanische Sprachen, Romanistik, Latein, Vulgärlatein, Regionalgruppen (Iberoromania, Galloromania, Italoromania), die einzelnen romanischen Sprachen, ausgewählte Varietäten (Kastilisch, lateinamerikanisches Spanisch, Judenspanisch, Gaskognisch, Provenzalisch, Argot, Franglais, Québec-Französisch, Korsisch, Ligurisch, Lukanisch, Piemontesisch, Toskanisch, Moldauisch), fr., sp. und port. basierte Kreolsprachen, Lingua franca und Sabir. Sie gliedern sich in der Regel in drei Abschnitte mit 1. geographischen, dialektologischen, demographischen und historischen Angaben, 2. typologisch-strukturellen Merkmalen und 3. Literaturangaben. Daneben gibt es zahlreiche Verweislemmata und Querverweise auf die Artikel. In unserer Rezension der 1. Auflage (VRom. 53 [1994]: 253-57) haben wir sowohl auf die Komplexität, mit der sich ein Autor bei der Redaktion von Lexikonartikeln konfrontiert sieht, als auch auf diverse faktisch oder inhaltlich kritische Punkte hingewiesen. In der 2. Auflage wurde erfreulicherweise manches abgeändert, jedoch schlagen auch in der vorliegenden Fassung gerade auf dem Gebiet der Iberoromania einige nicht unerhebliche Fehler zu Buche. Darunter befinden sich auch solche, die bereits in der Rezension der 1. Auflage benannt worden waren. Die Behandlung des Portugiesischen (538a) ist nach wie vor besonders problematisch. In der Aufzählung der Sprachgebiete werden ehemalige «Kleinkolonien Asiens» erwähnt, jedoch fehlt die gesamte afrikanische Lusophonie (Amtssprachenbereich: Angola, Mosambik, Guinea Bissau, Kapverden, S-o Tomé und Príncipe). Von Brasilien wird - wie schon in der 1. Auflage - behauptet, das Land habe «ca. 150 Mio. Einwohner», wovon «ca. 100 Mio. Portugiesischsprecher» seien. Ein Leser dieses Artikels muß annehmen, es gebe in Brasilien 50 Mio. Menschen, die das Portugiesische nicht beherrschen. Bis auf eine verschwindend kleine Minderheit (von Indianern, Einwanderern) spricht jedoch die gesamte Bevölkerung Brasiliens (1999: 163 Mio) Portugiesisch 1 . Im Artikel zum brasilianischen Portugiesisch (115a) wird die Sprecherzahl hingegen mit «ca. 150 Mio.» angegeben, womit die Einwohnerzahl von 1993 ohne Aktualisierung übernommen wurde. Ferner wird behauptet, die «Zahlenangaben zu indigenen Sprechern» in Brasilien variierten «stark». Die indianische Bevölkerung Brasiliens liegt heute bei 350 000 Menschen, wie man dem nach den offiziellen Daten des IBGE jährlich aktualisierten Almanaque Abril entnimmt 2 . Dies entspricht 0,2% der Bevölkerung und stellt einen deutlichen Kontrast zu einem Land wie z. B. Paraguay dar, in dem 90% der Bevölkerung Guaraní sprechen. 1 Cf. V. Noll, Das brasilianische Portugiesisch. Herausbildung und Kontraste, Heidelberg 1999. 2 Almanaque Abril 2000, S-o Paulo 26 2000: 77-79. Bei der Behandlung einzelner sprachlicher Charakteristika liegt die Entscheidung zur Detailfreudigkeit beim Autor. Allerdings sollten die angeführten Merkmale stimmen. Als phonetische Charakteristika des bras. Port. werden u. a. die «Diphthongierung in betonter Stellung vor finalem [ ʃ ]» (cf. 1. Aufl.) und die «Affrikatisierung vor finalem [d, t]» genannt. Im ersten Fall geht es um finales [s], denn [ʃ ] ist im bras. Port. nur ein regional begrenzt verbreitetes Allophon von / s/ . Die Affrizierung von / t/ , / d/ ist keineswegs eine finale, sondern sie tritt bei nachfolgendem [i] in allen Stellungen auf (tio [t ʃ iu]). Für die Morphosyntax des bras. Port. sei die «Ersetzung des Gerundiums durch Infinitiv in Konstruktionen mit estar + Verb» typisch. Das Gegenteil ist der Fall. Das bras. Port. führt die Gerundialkonstruktionen fort, während das europ. Port. diese seit dem 19. Jh. durch estar a + Infinitiv ersetzt. Auch die beschriebene «Akzeptanz des unbetonten Pronomens in Initialstellung» verfehlt den Punkt. Gemeint ist die Proklise des unbetonten Objektpronomens, die in Initialstellung allerdings auch im bras. Port. nach Möglichkeit vermieden wird. Lexikalische «Innovationen» im bras. Portugiesisch sollen der Darstellung nach «stärker aus dem afrikan. als aus dem indigenen Bereich» kommen. Auch dies verkehrt die Tatsachen ins Gegenteil. Auf den Gesamtwortschatz bezogen liegt die Zahl der Tupinismen allein nach dem Aurélio bei 2 420 und wird einschließlich der Toponyme allgemein auf 10 000 geschätzt, während sich für die betroffenen afrikanischen Sprachen Yoruba und Kimbundu respektive nur 221 und 275 Einträge ergeben 3 . Darüber hinaus hat das Tupi auch Wortbildungselemente beigetragen wie -açu ‘groß’ und mirim ‘klein’. Für die portugiesisch basierten Kreolsprachen (538b) wird die Sprecherzahl auf den Kapverden, in Guinea Bissau, S-o Tomé und Príncipe mit «300 000-350 000» angegeben. Demgegenüber haben allein die Kapverden 417 000 Einwohner, auf S-o Tomé und Príncipe leben 137 000 Menschen, dazu kommen 60% der 1,1 Mio. Einwohner von Guinea Bissau (1997-98): dies ergibt über 1,2 Mio. Kreolsprecher. Im Artikel Spanisch (647a-b) wird die Sprecherzahl in Spanien auf «ca. 45 Mio.» beziffert, während das Land de facto nur 39,6 Mio. Einwohner hat (1999). Unter den offiziell hispanophonen Ländern Lateinamerikas nennt der Artikel u. a. das Land Belize. Das ehemalige Britisch-Honduras ist jedoch anglophon und hat nur eine spanischsprachige Minderheit. In den USA lebende Hispanophone werden als «Chicanos» bezeichnet. Der adäquate Terminus heißt Hispanos, denn «Chicanos» bezieht sich nur auf die aus Mexiko stammenden Sprecher, nicht aber auf die ebenfalls in den USA präsenten Kubaner und Puertorikaner. Unter span. basierten Kreolsprachen (647b-648a) wird die Bezeichnung Chicanos zutreffend auf die aus Mexiko stammenden Sprecher bezogen.Allerdings ist es abwegig, ihr Spanisch, das vorwiegend lexikalisch vom Englischen beeinflußt ist, in die Nähe einer Kreolisierung zu rücken. Das gilt auch für das in diesem Zusammenhang angeführte Cocoliche, das als «eine lingua franca» Argentiniens bezeichnet wird. Das Cocoliche war vor dem Hintergrund der zwischen 1870 und 1930 vor allem italienisch geprägten Immigration eine Interimsprache. Bei der Abfassung der Beiträge sollte grundsätzlich berücksichtigt werden, daß die Leser der Artikel zur romanischen Sprachwissenschaft in der Regel Fachleute anderer Disziplinen, Studierende und allgemein Interessierte sind. Deshalb muß die Darstellung in besonderem Maße darauf achten, Mißverständnisse zu vermeiden, die sich aus unscharfen Formulierungen ergeben können. So sind im Artikel Spanisch (647a-b) die sprachlichen Entwicklungen im späten Mittelalter auch in der 2. Auflage nicht klar zu fassen: «der bedeutendste südl. Dialekt war [sic] Andalus. (auch wegen seines Einflusses auf das la- 231 Besprechungen - Comptes rendus 3 C. A. Lacerda/ P. Geiger (ed.), Aurélio Buarque de Holanda Ferreira, Dicionário Aurélio Eletrônico Século XXI . 3.0, Rio de Janeiro 1999. teinamerikanische Spanisch und das Judenspanische). Durch die Reconquista, eine Kastilianisierung [sic] v. a. des Südens, die sich über 4 Jhh. erstreckte, verschwand das sog. Mozarab., und auch die rein roman. Dialekte wurden stark nivelliert». Der bedeutendste südliche Dialekt war nicht, sondern ist das Andalusische, das sich durch die Kastilisierung (< Kastilisch) 4 im Süden als sekundärer Dialekt erst herausbildete. Während die Reconquista knapp acht Jahrhunderte dauerte, erfolgte die Kastilisierung des Südens in maximal 250 Jahren, da die großen Zentren Córdoba, Sevilla und Cádiz erst ab 1236 erobert wurden. Die Kontrastierung des Mozarabischen mit den «rein roman.» Dialekten stellt eine ambigue Verbindung zum Arabischen her, zumal der Terminus Mozarabisch im Lexikon nicht erklärt und im Artikel Portugiesisch (538a) mit «Mischdialekten» charakterisiert wird. Das Mozarabische (< Mozaraber ‘unter islamischer Herrschaft lebende Christen’) ist der auf die Latinität der Baetica zurückgehende romanische Dialekt des Südens, der genau wie die hier sogenannten «rein roman.» Dialekte vor allem im Wortschatz arabische Adstrateinflüsse aufweist. Als Charakteristikum des Judenspanischen (325b-326a) wird der Erhalt von «á für x und j» angeführt (cf. 1. Aufl.). Dies kann auch ein Linguist nur verstehen, wenn die Klammerung zwischen Phonetik und Graphie unterscheidet: Erhalt von á für <x> und <j>. Es geht um die Aussprache [ ʃ ], die im Altspanischen graphisch mit <x> wiedergegeben wurde und sich phonetisch zu [x] (<j>) weiterentwickelt hat (z. B. asp. baxo [ba ʃ o] > nsp. bajo). Klarer wäre die Formulierung: Erhalt von [ ʃ ] für nsp. [x]. Die in dem Artikel angeführte Unterscheidung der Affrikaten «[ts - dz]» ist im Judenspanischen aufgehoben, da allein die stimmhafte Affrikate regional und nur in wenigen Wörtern (z. B. Zahlen, ondzi) noch auftritt. Ansonsten bestehen im Judenspanischen / s/ , / z/ fort. Der Artikel Okzitanisch (492a) führt in der dialektalen Gliederung des südlichen Sprachgebietes neben Languedokisch und Provenzalisch auch das Rhodanesische an. Das Rhodanesische des an der Rhône gelegenen Teils der Provence gehört der geläufigen Klassifikation nach jedoch zum Provenzalischen. Man spricht in diesem Zusammenhang von provençal rhodanien 5 . Wie bereits in der 1. Aufl. fehlt der Artikel «Franko-Provenzalisch». Das Verweislemma führt zum Artikel Provenzalisch (558a), der das Frankoprovenzalische jedoch nicht behandelt. Der Leser könnte irrtümlich eine Gleichsetzung vermuten. Bei der Behandlung des Rumänischen (588b-589a) fehlt nach wie vor eine Erwähnung der immerhin außergewöhnlichen sprachlichen Charakteristika wie enklitischer bestimmter Artikel, Genitiv-Dativ, Neutrum und präpositionaler Akkusativ. Der Artikel Kreolsprache (387a-b) nennt wie in der 1. Aufl. Jamaika, Haiti - und die Dominikanische Republik als Beispiele für kreolsprachige Gebiete. Der Leser kann daraus nicht ableiten, daß es sich in der hispanophonen Dominikanischen Republik dabei nur um die kleine Sprechergruppe des Samaná-Englischen handelt und keineswegs um die gesamte Bevölkerung wie in Jamaika (eng. Kreol) und Haiti (fr. Kreol). Weitere korrekturbedürftige Darstellungen, die ebenfalls auf die 1. Auflage zurückgehen, betreffen den Erhalt finaler Vokale in der Galloromania (228a), die Stellung des Ligurischen unter den norditalienischen bzw. galloitalienischen Dialekten (412b), die Etymologie von Lingua franca (413a-b) und die Lokalisierung des Sabir im Mittelmeerraum (591a) (cf. VRom. 53 [1994]: 253-57). 232 Besprechungen - Comptes rendus 4 Die in dem Artikel verwandte Bezeichnung «Kastilianisierung» erinnert an den in der Fachliteratur obsoleten Terminus «Castellanisierung», der sich allerdings auf die Hispanisierung Amerikas bezieht. Im spanischen Mittelalter geht es um eine Kastilisierung, die sich ausschließlich auf den kastilischen Dialekt bezieht - und dies nicht im Sinne von castellano als Bezeichnung für español. 5 P. Bec, La langue occitane, Paris 1978: 43-46, 60. Die Literaturangaben zu den Artikeln sind nur zum Teil überarbeitet worden. Für das Portugiesische bedeutet dies noch immer (cf. 1. Aufl.) den ausschließlichen Verweis auf Silva Netos Manual de filologia portuguesa (1957), bei dem es sich um Miscellanea aus der Lusitanistik handelt. Relevant wären vielmehr Teyssier, História da Língua Portuguesa 6 , oder Mattoso Câmara, The Portuguese Language 7 . Bei den Kreolsprachen sollte Holms grundlegende Publikation Pidgins and Creoles genannt werden, die sowohl eine theoretische Darstellung als auch eine ausführliche Einzelübersicht zu den Kreolsprachen bietet 8 . Beim Galicischen z. B. fehlt jegliche Literaturangabe. Hier könnte man auf den Band 6/ 2 des Lexikons der Romanistischen Linguistik (LRL) verweisen, das aufgrund seiner Bedeutung im übrigen auch bei den Hauptsprachen durchweg angeführt werden sollte (z. B. auch bei Okzitanisch, Portugiesisch). Es ist noch auf kleine Druckfehler aufmerksam zu machen: «pao» → p-o (538a); «Villers Cotterets» → Villers-Cotterêts (492a); «Île de France» → Île-de-France (217a); «Frz. Guyana» → Frz. Guayana (217a, 218a). Da Sprachennamen im Romanischen (im Gegensatz zum Englischen) allgemein klein geschrieben werden (cf. 1. Aufl.), sollte es in den Artikeln nicht «Eigenbez. Català», «Eigenbez. Français» etc. heißen, sondern → Eigenbez. català, Eigenbez. français etc. Die in der vorliegenden Rezension angesprochenen Punkte sind keinesfalls Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, sondern sie lassen sich anhand der Fachliteratur leicht nachvollziehen. Im Hinblick auf eine dritte Auflage des Metzler Lexikon Sprache, dessen grundsätzliche Bedeutung als Nachschlagewerk außer Frage steht, wäre eine definitive Überarbeitung der Artikel zur romanischen Sprachwissenschaft absolut notwendig. V. Noll ★ Benjamín García-Hernández (ed.), Estudios de lingüística latina. Actas del ix Coloquio Internacional de Lingüística Latina (Universidad Autónoma de Madrid, 14-18 de abril 1997), 2 vol., Madrid (Ediciones Clásicas) 1998, xviii + 1155 p. Dans ces actes, des latinistes, dont certains de la génération montante, présentent des communications qui s’inspirent de théories variées et plutôt modernes. Ils traitent pour la plupart de sujets spécifiques du latin écrit, voire classique. Quelques-uns se penchent pourtant sur le latin écrit non classique (en général appelé latin vulgaire), ainsi que sur des développements romans, ou bien abordent des sujets du latin classique qui se révèlent avoir des points communs avec les études romanes; c’est à leurs communications que je consacre ce compte rendu. Emilio Nieto Ballester, «Latín med (ac. sing.) y mihi» (89-105). À travers une analyse comparative de ce pronom dans les parlers indo-européens pertinents, l’auteur voit confirmée l’hypothèse selon laquelle le graphème h de mihi n’est plus, dans les anciens textes, qu’une graphie servant à indiquer une voyelle longue et que le pronom au datif se prononce mi avec i long; mibi, plus récent, est une forme refaite sur tibi et sibi. - L’auteur n’étend pas son enquête au protoroman de l’antiquité, qui représente la norme du latin parlé dont dérivent les parlers romans. Pourtant, son hypothèse intéresse le romaniste, parce qu’elle postule par l’étude des textes antiques une forme que les romanistes comparatistes postu- 233 Besprechungen - Comptes rendus 6 P. Teyssier, História da Língua Portuguesa, Lisboa 2 1984. 7 J. Mattoso Câmara Jr., The Portuguese Language, Chicago/ London 1972. 8 J.A. Holm, Pidgins and Creoles, 2 vol., Cambridge, 1988s.