eJournals Vox Romanica 60/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2001
601 Kristol De Stefani

Hans Stricker/Toni Banzer/Herbert Hilbe, Liechtensteiner Namenbuch. Die Orts- und Flurnamen des Fürstentums Liechtenstein, 6 vol., Vaduz (Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein) 1999, 556 + 721 + 527 + 471 + 609 + 653 p.

121
2001
G.A.  Plangg
vox6010291
Hans Stricker/ Toni Banzer/ Herbert Hilbe, Liechtensteiner Namenbuch. Die Orts- und Flurnamen des Fürstentums Liechtenstein, 6 vol., Vaduz (Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein) 1999, 556 + 721 + 527 + 471 + 609 + 653 p. In den Jahren 1986-1991 sind von Hans Stricker und seinen Mitarbeitern Anton und Roman Banzer, Alfred Goop, Herbert Hilbe, Lorenz Jehle und Mathias Ospelt die Ortsnamen der Gemeinden Balzers, Eschen (mit Nendeln), Gamprin, Mauren, Planken, Ruggell, Schaan, Schellenberg, Triesen, Triesenberg und Vaduz gesammelt und herausgebracht worden, jeweils in einem Schuber eine Karte (bei größeren Gemeinden auch 2 Blätter: Alpen 1: 10 000, Talgebiet und Dorfkerne 1: 5000) mit einem Begleitheft für die alphabetischen Namenlisten mit Präposition/ Artikel, Meereshöhe, Koordinaten und kurzer Beschreibung der Örtlichkeit. Nun sind in einem Zug gleich sechs stattliche, sauber und dauerhaft ausgestattete Bände vorgelegt worden, die diese vielen Namen auch erklären und aufschlüsseln: vol. 1 behandelt die Namen der südlichsten Gemeinden Balzers und Triesen, vol. 2 die von Triesenberg, Vaduz und Schaan, vol. 3 die von Planken, Eschen und Mauren, vol. 4 schließlich die Namen von Gamprin, Schellenberg und Ruggell. Vol. 5 stellt den gesamten Wortschatz (in alphabetischer Reihenfolge) dar, der in den einzelnen Namen aufscheint - ein deutlicher Hinweis darauf, daß unsere Ortsnamen nicht nur aus älteren Appellativa gebildet wurden, sondern eben auch integrierender Bestandteil des Wortschatzes sind, wie etwa deren Einbettung und sprachlicher Gebrauch erweist (Flexion, Syntax). Vol. 6 bringt eine Einführung mit einer Anleitung zu sachgerechter Benutzung des Werkes, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie die notwendigen Register (nach Orts-, Personennamen; Wörterverzeichnisse nach ihrer sprachlichen Schichtung; Stichwort- und Begriffsverzeichnisse, Suffixe je nach Sprache; abschließend Sach-, Orts-, Personenindizes). Das ganze Werk ist nicht nur sehr sorgfältig und genau gearbeitet, wie nach einer Vorstudie (T. Banzer/ H. Hilbe/ H. Stricker, Flur und Name, Schaan 1996) zu erwarten war: Ausstattung, Darstellung und Inhalt sind offensichtlich mit viel Hingabe und Liebe zum Detail gestaltet, wie man es heute nur mehr selten findet. So orientiert schon der Buchdeckel über das behandelte Gemeindegebiet, das die Innenseite illustriert. Wer das Gebiet kennt, gewinnt aus den Namendeutungen, den Beschreibungen und gelegentlichen Bildern ganz neue Perspektiven. Wer hingegen das Fürstentum nur vom Hörensagen kennt, wird einen nachhaltigen, wohl auch neugierig machenden Eindruck von Land und Leuten bekommen, den einige historische Skizzen und Pläne vertiefen. Im Lexikonteil haben etwa die namenbildenden Wörter mit A- (es sind gut 70 Lemmata aufgeführt von † Abart Familienname im Ortsnamen † Abarts Wingert, Mauren, bis avenal Haferacker in Fanál, -wegle, Schaan) mit fast 20 romanischen Ansätzen einen Anteil, den ich unterschätzt hätte. Bei Bfinden sich dann allerdings auf 155 ebenso nur 20 romanische Namenwörter, bei Ckommen auf 31 Lemmata gar 25 (und einige Personennamen), bei Ksind dagegen alle 120 Lemmata wieder deutsch (mit einigen Lehnwörtern). Es ist richtig, daß die lange andauernde Symbiose zwischen dem Romanischen und dem Deutschen, die bis in die Zeit nach der Walser Zuwanderung im Hochmittelalter herauf reicht, manche hybriden oder doch nicht klar zuteilbaren Namenbildungen hinterlassen hat, insbesondere wenn Reliktwörter beteiligt sind oder Übersetzungen vorliegen, die dann ältere Benennungen offensichtlich überlagert und verdrängt haben. Nicht zu übersehen ist ebenso, daß heute immerhin gut ein Drittel der Namen (ausgezählt bei A-) aus urkundlichen Quellen stammen und abgegangen, also in Vergessenheit geraten sind. Breit vertreten sind im Lexikon die Namenbildungen mit Acker Stück Pflugland (oder Ufbruch, wie wir sagen); Wiese (über Fruchtwechsel, Dreifelderwirtschaft), Alp hochgelegene Sommerweide und Au mit Gebüsch bewachsene Weide am Wasser , womit die Exi- 291 Besprechungen - Comptes rendus stenzgrundlagen Ackerbau und Viehzucht, aber auch die Lage am Rhein durchschlagen. Vergleichbar sind Stichwörter wie Mahd Mähwiese; einmähdige Bergwiese , Halde Berghang, steile Bergwiese ; älteren und romanischen Ursprungs sind etwa *tabaláu < tabulatum (mit Metathese über *tlavau auch oft Glafáus), das im Montafon archaisch Taflá, diminutiv im Walsergebiet gern Glafadíel geworden ist oder, ganz neue Einblicke bietend, grial < grex bzw. gregalis Schafbock, Widder , das als Grialetsch u. ä. eine häufige Bezeichnung für Schafweiden im Rhein-Ill-Gebiet gewesen sein muß. Die Betonung läßt das hier wichtige Tobel enge, steile Schlucht, gew. mit Bach als deutsches Lehnwort - vorrömischen (oder romanischen) Ursprungs - erkennen gegenüber romanisch Tuál. Im flacheren Gelände gilt dt. Graben bzw. Graba oder ältere Entsprechungen wie rätorom. dutg Bach , fora Loch und fussáu Graben , vertreten als Dux (Schaan), vielleicht Fuera (Ruggell) und Fossát (Mauren). Gerade die Querverbindungen, auf die beim Lemma - innerhalb der Sprachen wie auch wechselweise vergleichend - verwiesen wird, ergeben sehr interessante landeskundliche Einblicke. Bach meint in Liechtenstein wie in Vorarlberg einen natürlichen Wasserlauf, insbesondere den Dorfbach schlechthin, den es in den meisten Schuttkegelsiedlungen gibt. Man sagt sprichwörtlich «dr Bach khunnt» bei Überschwemmungen, «i ho gnua, und wenn’s dr Bach brächt» für übersatt ; jeder kennt «es gåt da Bach ab» oder «(d) Katz dura Bach züha» (Bürs); Kinder tun bächla d. h. spielen mit, am Wasser (mda. auch tåra) u. a. m. Das Liechtensteiner Namenbuch, das Strickers Modell der Namenerklärung von 1974 konsequent weiterentwickelt hat, ordnet nun vorbildlich die Namenwörter nach Angaben zu Bedeutung und Wortbildung einzelner Namen und unterscheidet nach dem Lemma a) allein (mit üblichen Präpositionen, Artikel); b) abgeleitet (hier diminutiv Bächle, -li); c) nominal verbunden (Bestimmungs-, Grundwort). Bei deutschen Bildungen steht naturgemäß die Zusammensetzung im Vordergrund; hier etwa: Bachstotz steiles Wegstück beim Bach (Schaan, vol. 2: 466), vorarlb. Stutz oder wals. Bachbord Rand, Uferböschung (Triesenberg vol. 2: 20), cf. Lünersee-Part; Erlabach (Eschen), Mölebach (Gamprin) zu Erle, Mühle ; Gesabach (Mauren), Krottabach (Balzers) zu Gans, Kröte ; Bleikabach (Triesenberg), Höllbach (Mauren), Guschgerbach (Vaduz) zu wals. Bleike, zu dt. Hölle und zu rätorom. Guschg < codex Baumstrunk (vol. 5: 121). Auch Reliktwörter, Personenbezeichnungen, Adjektiva bzw. Ortsadjektiva werden noch unterschieden: † Gulabach (Balzers), Walserbach (Mauren), Altabach (Vaduz), Oberbach (Eschen) u. ä. Ein Vergleich mit A. Schorta, Rätisches Namenbuch, vol. 2, Bern 1964 oder gar mit A. Kübler, Die romanischen und deutschen Örtlichkeitsnamen des Kantons Graubünden, Heidelberg 1926 läßt erkennen, wie zunehmend differenziert wird und was inzwischen methodisch und sachlich erarbeitet worden ist. Bei vordeutschen Namen wie Quadra, eigentlich viereckiges Feld , das in vielen alten Gemeinden vorkommt und die Äcker in der besten Lage betrifft, findet man Belege für Balzers, Mauren, Ruggell, Schaan,Triesen und Vaduz, und zwar a) allein: Quadera (Balzers), Quaderröfi, -straße (Schaan); b) abgeleitet: † Quadratsch (Balzers), Quadretscha (Vaduz), † Quadrella (Triesen); c) mit deutscher Ableitung: Quäderli (Vaduz). Wie ein Vergleich von synonymen romanischen und deutschen Namen zeigt, verwendeten die Romanen -atsch, -ella zur Bezeichnung von Qualität und Größe einer Flur, wo die Deutschen eher Adjektiva gebrauchten (cf. etwa böse, vol. 5: 72, oder groß, vol. 5: 221), aber späterhin auch süddt. -lin, rom.-dt. -elti (cf. Indices, vol. 6: 595s.). Das Liechtensteiner Namenbuch setzt auch für die kleinräumige Behandlung einer Namenlandschaft neue Maßstäbe. Ein Name wird zuerst einmal genau und systematisch erfaßt, nach Höhe und Koordinaten örtlich situiert. Es folgt bei lebenden Namen die transkribierte Form, der Artikel- und Präpositionalgebrauch und eine Umschreibung der Lage mit Nachbarfluren, in Großfluren oder nach markanten Merkmalen. Die historisch geord- 292 Besprechungen - Comptes rendus neten Belege (mit sehr wertvollem, breiterem Kontext! ) erlauben den Nachvollzug einer Wertung, die bisher meist nur in nuce und eher implizit gegeben wurde bei der Erklärung von Namen, ohne näher auf den Hintergrund (Lautwert der Graphien bei einzelnen Belegen etc.) einzugehen. Man beachte auch im Quellenverzeichnis (vol. 6: 245ss.) die Regesten und den Kommentar zu einzelnen Urkunden und Urbaren mit wichtigen einschlägigen Hinweisen. Die kritisch gesichtete Namendiachronie führt zu einer Übersicht aller faßbaren bisherigen Deutungen in ihrer zeitlichen Abfolge bis zum «aktuellen Deutungsstand» (vol. 6: 203), der nicht selten mehrere Lösungen nennt, aber auch gegeneinander vorsichtig abwägt. Wenn Eggastálta 1510 als tristalden aufscheint, 1558 als Christhalden, so sprechen etwa die von Lesfehlern beeinträchtigten (tr für cr) und teilweise abgelenkten (costa, Halde) Urkundenformen eher für artr. crest’alta hoher Grat als für cost(a) alta hohe Leite, Halde . Spätere Entwicklungen und ein (übersetztes? ) Hochegg daneben plädieren aber für costa, das die heutige Reduktion im Vorton und die Verbindung mit dt. in > Estärker berücksichtigt. Übersetzungen alter Namen und Ablenkungen oder (ältere) Umdeutungen, sog. Volksetymologien, sind oft nur schwer abschätzbar, wenn sie nicht eindeutig und direkt dokumentiert sind. Manche Rumpfnamen, wie sie Stricker nennt, entziehen sich trotz aller methodischen Verfeinerung einer klaren Deutung, da hier oft nur mehr das Suffix, also der modifizierende romanische Wortteil oder ein einst (nachgestelltes) attributives qualifizierendes Adjektiv erhalten sind. Zu diesen passen nach Lage und Nutzung häufig mehrere Grundwörter, die an sich in der Toponomastik zwar einem spezifischen, enger begrenzten Wortschatz zugehören. Dieser kann dann nach Häufigkeit in der Namenbildung, Belegbarkeit im weiteren Umfeld und Realitätsbezug für die Argumentation herangezogen werden (cf. etwa Ler, 1719 Lähr kaum Artikel mit ager oder area, eher verkürztes *malariu oder ähnlich; vol. 1: 147). Sehr gut ergänzen sich Lexikonteil (vol. 5), wo man alle Liechtensteiner Namenbildungen rund um ein bestimmtes Namenwort findet, und Namenschatz einer Gemeinde, der über die Karten auch das Umfeld, die situative Namengruppierung im Gelände erkennen läßt (vol. 1-4). Gar nicht so selten helfen Übersetzungen von abgegangenen oder abgedrängten Namen weiter. So wird ein Maschlína (Triesen; vol. 1: 428) aus marcidus + -olu + -inu in der Bedeutung kleines Sumpfgebiet nicht nur durch die Realprobe, sondern auch durch eine angrenzende Flur Riet gestützt. Dieser Name taucht schon 1458 in der Schreibung an maschlinen auf, 1724ss. Amaschlina und ähnlich mit agglutiniertem dt. an. H. Stricker, «Eine Besonderheit der unterrätischen Sprachlandschaft» hat schon 1976 auf eine besondere Schicht von zahlreichen rätoromanischen Fremdnamen hingewiesen, die im alemannischen Rhein- und Illtal angewachsenes in oder an zeigen (AnSR 89: 147-81). Eine zeitliche und räumliche Eingrenzung (13./ 14. Jh.) läßt ein ganz bestimmtes Stadium der Integration vordeutscher Namen erkennen, erhalten in einigen Gebieten, die diesen Weg zur Eingliederung von Namen mit fremder Betonung gegangen sind.Vorher gab es noch andere Wege wie das Vorziehen der Wortbetonung (etwa bis 1000 herauf), das etwa Balzers < 842 Curtis Palazóles zeigt (vol. 1: 29), ein *palatiola in der Bedeutung kleiner Herrensitz, Zwischenstation . Damit muß auch eine Reduktion der unbetonten Silben verbunden gewesen sein, wie sie 1208, 1222 Balzols aufweist, weiterhin ab 1305 -ors, ab 1322 -ers im neuen Nachton. Über eine wesentlich längere Zeit nach dem Sprachwechsel ist die Eingliederung der Fremdnamen in das alemannische Artikelsystem zu beobachten. Ein Mösma < rätorom. muschna Haufe zusammengetragener Steine (Eschen; vol. 3: 239) mit 35 historischen Belegen wird nur einmal (2. Hälfte 17. Jh.) mit dem Artikel gebraucht (ab dem Mysnen), aber 27 mal mit ze oder später zuo, 2 mal mit von, 2 mal ohne Präposition, je einmal mit in, an, auf. Das mundartliche Lett(a) < ahd. letto ist Ortsname in Ruggell (vol. 4: 375) mit 16 Be- 293 Besprechungen - Comptes rendus legen aus dem 17. und 18. Jh. und zeigt dagegen 13 Belege mit Artikel, davon 6 mal der, 2 mal im, 2 mal das (Lettengu[e]th), 2 mal der (Letten Ackher), einmal an die; es bleiben nur 2 mal in und einmal Ø (cf. L. Jutz, Vorarlbergisches Wörterbuch: mit Einschluß des Fürstentums Liechtenstein, vol. 2, Wien 1965: 272). Zwischen Angleichung von Reliktnamen an die deutschen, motivierten Namen, Übersetzung und volksetymologischer Umdeutung gibt es mehrere Möglichkeiten, die im einzelnen bisher nur in sehr auffälligen Proben behandelt worden sind. Stricker regt zu Recht eine systematische Bearbeitung dieser wichtigen Hinweise auf einen lange andauernden Sprachkontakt an (vol. 6: 74ss.). Weitere Versuche, dem fremden romanischen Wortakzent gerecht zu werden, sind m. E. neben den vorgenannten Interferenzen einerseits im Trend zu sehen, die Endsilbenbetonung durch geschriebene Doppelkonsonanz nach dem Tonvokal anzudeuten, auch bei Langvokal, etwa: Badäl < pratella (Gamprin; vol. 4: 19), gesprochen [badè˛ ´], in 9 Belegen von 11 mit -ll geschrieben; Bartlegrósch < prata grassa (Vaduz; vol. 2: 275) zeigt von 37 Belegen 20 mal -sch und 2 mal -st, 10 mal -ss (davon 5 -sß) und nur ein -s; es kann hier aber auch rom. grass und dt. groß hereinspielen. Andrerseits behilft man sich mit den traditionellen Längezeichen für die deutschen Tonvokale an ungewohnter Stelle: Gaschló < castellone (Schaan; vol. 2: 535) ist 1798 Gastloh; † Grasilen < clusa + -ilia (Eschen; vol. 3: 170) ist im 15. Jh. Grasylen (wie 1514 Gampryn u. a.); † Garnila < canna + -ilia (Schellenberg; vol. 4: 189) ist 1579 als Carnielen, 1603 als Carnyla, 1651 als Cornillen belegt, alles Hinweise auf ein betontes -í-. Schließlich hat man - wenn auch nicht durchgängig - versucht, durch Unterteilung längerer romanischer Namen Gebilde zu erreichen, die der deutschen Wortbetonung entgegenkommen. Salúms < *solamen Hofstatt, Grund (Gamprin; vol. 4: 121) wird 1364 ze Lùns geschrieben (cf. wals. Silúm, Triesenberg; vol. 2: 206); Meldína, vordt. unbekannten Ursprungs (Mauren; vol. 3: 449) wird 1667 als Einmel Deinen «verhochdeutscht», 1727 ebenso Inel Dinen; Maschlína (Triesen) ist 1722 am Schlinen (vol. 1: 428); Pralawísch < pratum aloisi (Balzers; vol. 1: 190s.) wird 1735 zu Bralla Wisch; Runkelétsch < runcale + -aceu (Balzers; vol. 1: 206s.) wird 1692 als Runckhell Etsch geschrieben. Besonders im 17./ 18. Jh. findet man (auch in Vorarlberg) viele entsprechend der Betonung aufgespaltene Fremdnamen, die vor der Tonsilbe getrennt wurden. Damit werden sie im Sprachrhythmus den deutschen Zusammensetzungen angeglichen, die (unter romanischem Einfluß? ) den Hauptton auf das Grundwort verlegt haben und nur den Nebenton auf das vorangestellte Bestimmungswort legen: Schaanwald wird [áàwál] gesprochen, 1506 Schain Wald, 1640 Schan Wald u. ä. geschrieben. Man sagt Bèrgerwáld (Schellenberg), bim àlta Schlóß, aber auch am áltabàch (Ruggell). Wenn man bedenkt, daß unsere alemannische Mundart dem Rätoromanischen mehrere Phoneme (wie k, zˇ vs. dt. kh, á) verdankt, dann sind auch im Wort- und Satzton Einflüsse nicht ganz von der Hand zu weisen (cf. vol. 6: 409ss.). Vol. 6 enthält eine Beschreibung und einen kurzen Abriß der Geschichte der Region, aber auch eine Sprachgeschichte des Fürstentums, die den ausgezeichneten Kenner dieser Sprachlandschaft verrät. Von den ersten bündnerromanischen Einschüben und Übersetzungsversuchen, die ein Jahrtausend zurückliegen, bis zu den heute eher spärlichen romanischen Relikten, die sich aber noch immer auf Laut-, Wort-, Satz- und Bedeutungsebene des alpinen Alemannischen finden lassen, wird berichtet. Trotz weiter Strecken, die oft nur sehr lückenhaft dokumentiert werden können, gelingt es Stricker, die Namen plausibel aufzugliedern in einzelne zeitlich getrennte Schichten nach Betonung, Wortform, grammatischer Einbettung bis hin zu Ersatzformen. Die Zusammenschau zielgerichteter, vom langsamen Sprachwechsel bedingter Entwicklungen auf der Achse der Integration romanischer Fremdnamen ergibt zum Teil völlig neue und interessante Perspektiven bezüglich Interferenz und Ablöse des Romanischen in diesem Raum. 294 Besprechungen - Comptes rendus Eine Orientierung über die folgende Zielsetzung des Liechtensteiner Namenbuches sowohl im vorliegenden Ortsnamenteil wie auch im Hinblick auf das geplante Personennamenbuch als Gegenstück zum Rätischen Namenbuch, vol. 3 ist sehr lesenswert für jeden, der an Familiennamen interessiert ist. Auch wenn jedem Leser klar ist, daß großflächige, kantonsweite oder doch mehrere Bezirke deckende einschlägige Unternehmen nicht mit der Akribie und Vollständigkeit der Liechtensteiner «kapillaren» Studie ausgeführt werden können, weil ganz einfach die Mittel dafür nicht aufzubringen sind, so kann doch die wichtige Leitlinie und der wissenschaftliche Ertrag solcher bahnbrechender Arbeiten nicht genug betont werden. Darüber hinaus wird erst die grenzüberschreitende Erfassung der Namen zwischen Bodensee, Comersee und Nonsberg fundierte und genauere Einsichten in ältere Sprach- und Lebensverhältnisse erlauben (cf. vol. 6: 89). Hundert Seiten Werkgeschichte sind für Namenkundler und Projektleiter interessanter als für allgemeiner interessierte Leser. Sie lassen aber die einzelnen Arbeitsetappen, Planung und Fortgang der Arbeiten zwischen Feldforschung, Archivarbeit, Kontrolle und Organisation der vielen Materialien sowie Bearbeitung und Deutung erkennen, woran ein gutes Dutzend von großteils jungen Philologen im Laufe von 18 Jahren mitgearbeitet hat, ganz abgesehen von den langen Listen der Gewährsleute (vol. 6: 136ss.; in Vaduz waren es sogar 19). Mehr als 200 Seiten Register (vol. 6: 441ss.) verbinden die beiden Teile und erlauben verschiedene Zugänge zu den einzelnen Namen, die je nach Fragestellung wichtig werden. Nicht gefunden habe ich eine Auflösung der Verweise Tschugmell 1931, 1941 und Ospelt 1939 (cf. vol. 5: 386 s. Öhri) unter den breiten Literaturangaben (vol. 6: 381-405), sie beziehen sich aber auf Personennamen, deren Behandlung ja noch aussteht. Es ist nicht möglich, hier all das auszubreiten, was man an Neuem, bisher Unbekanntem, an Wissenswertem und an speziellem Sachwissen in den sechs Bänden findet. Es ist ein Vergnügen, im Materialteil zu lesen oder im Lexikonteil zu blättern und auf den Karten einzelne Etyma zu verfolgen. Sicher wird hinfort das Liechtensteiner Namenbuch bei einschlägiger Arbeit in Reichweite zu halten sein, für Germanisten wie für Romanisten. Dem Leiter des Unternehmens wie auch den Mitarbeitern ist die Namenkunde und die Liechtensteiner Landeskunde im besonderen für dieses mustergültige Opus sehr zu Dank verpflichtet. G. A. Plangg ★ Roland Bauer, Sprachsoziologische Studien zur Mehrsprachigkeit im Aostatal. Mit besonderer Berücksichtigung der externen Sprachgeschichte, Tübingen (Niemeyer) 1999, xviii + 518 p. (Beih.ZRPh. 296) La situazione (socio)linguistica della Valle d’Aosta appare assai complessa e per molti aspetti peculiare nel panorama romanzo, ma nonostante il suo estremo interesse è stata stranamente sinora poco studiata sul campo. Regione autonoma bilingue dello stato italiano, com’è noto la comunità valdostana costituisce l’unica minoranza francofona in Italia legislativamente riconosciuta, con italiano e francese entrambe lingue ufficiali. La configurazione sociolinguistica della Valle d’Aosta sembrerebbe dare luogo a prima vista a un caso di diglossia bifida, con i patois locali francoprovenzali varietà low e l’italiano e il francese varietà high; o anche di interessante doppia diglossia, con il francoprovenzale e il dialetto piemontese (pure presente nel panorama linguistico locale) low e con le rispettive lingue tetto francese e italiano high, e con una enclave minoritaria di secondo grado, l’area germanofona walser dell’alta Valle del Lys. In realtà, la situazione di gran lunga prevalente nella (parte autoctona della) comunità linguistica valdostana è quella di una diglossia (o 295 Besprechungen - Comptes rendus