eJournals Vox Romanica 60/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2001
601 Kristol De Stefani

Laurent Gosselin, Sémantique de la temporalité en français. Un modèle calculatoire et cognitif du temps et de l’aspect, Louvain-la-Neuve (Duculot) 1996, 291p. (Champs linguistiques, Recherches)

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2001
G.  Ineichen
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Laurent Gosselin, Sémantique de la temporalité en français. Un modèle calculatoire et cognitif du temps et de l’aspect, Louvain-la-Neuve (Duculot) 1996, 291p. (Champs linguistiques, Recherches) Die Beschäftigung mit Zeit innerhalb der Gegebenheiten der Sprache zeigt methodologisch überall eine Doppelung der Gesichtspunkte. Zur Diskussion stehen einerseits allgemein erkenntnistheoretische und sprachphilosophische Überlegungen im Hinblick auf einen irgendwie begriffenen theoretischen Rahmen; andererseits die Erörterung spezifisch einzelsprachlicher Regularitäten, die systemintern und damit ideosynkratisch sind. Die Vergleichbarkeit von einem System zum anderen ist deshalb nicht in den Einzelheiten selbstverständlich, und man muß den Titel im Opus Gosselins stringent verstehen. Dieselbe Voraussetzung gilt für William E. Bull, Time, Tense, and the Verb. A Study in Theoretical and Applied Linguistics, with paricular Attention to Spanish, Berkeley 1960. Cf. dazu in Italien die Festschrift für Lorenzo Renzi: Rosanna Brusegan/ Michele M. Cortelazzo, Il tempo, i tempi, Padova 1999. Das intellektuell sehr elegante Buch Gosselins ist anspruchsvoll und eigenwillig durchgeformt. Die vorliegende Rezension nimmt deshalb nur auf markante Ansatzpunkte Bezug. Das Buch ist gut dokumentiert und deshalb benutzerfreundlich. Es gibt eine umfassende Bibliographie, wo man auch Gustave Guillaume - eher diskret - verzeichnet findet und wo die sprachbezogene Diskussion im vorhin genannten Sinn eher französisch ist. Dazu kommt eine Bibliographie der verwendeten literarischen Texte: französische Literatur seit dem 16. Jh. und einschlägige Übersetzungstexte, insgesamt 40 Titel an der Zahl. Funktional ergänzt wird diese Bibliographie durch einen punktuell seitenbezogenen Namenindex. Zur weiteren Ausstattung gehört außerdem ein Anhang. Anhang i, Notions et symboles, benutzt man vorteilhaft als Begriffslexikon zum Opus von Gosselin als solchem. Anhang ii ist technologisch. Gosselin hat das aus seiner Theorie abgeleitete Modell der Temporalität mit Hilfe eines computergestützten Verfahrens verifiziert. Man findet dazu keine näheren Angaben, aber einige Beispiele. Dazu nun zum Thema: Neu im Ansatzpunkt Gosselins (Kap. 1, 15-40) ist das Faktum, daß der linguistische Begriff der Temporalität nicht wie üblich auf einen Zeitpunkt t der Zeitachse rekurriert, sondern daß der Begriff des Zeitpunkts durch denjenigen des Intervalls ersetzt wird. Dieser Unterschied ist fundamental. Zur Diskussion stehen dann das gegenseitige Verhältnis von Intervallen und die entsprechenden Grenzrelationen (Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit, Nachzeitigkeit, Zusammentreffen, p. 19). Dazu nach Gosselin: «Par ailleurs, le fait de remplacer les points de Reichenbach par des intervalles permet de rendre compte de certaines différences aspectuelles . . . (16, 21)», z. B. die Unterscheidung von imparfait (179) und passé simple (197). Kognitiv gesehen beruhen diese Intervalle auf vier Arten von Vorstellungen, die mit Hilfe von bestimmten Merkmalen festgelegt sind. Es sind dies (17): (1) ein und nur ein Äußerungsintervall [01, 02]. (2) für jeden Haupt- oder Nebensatz mindestens ein Vorgangsintervall [B1, B2], (3) für jeden Haupt- oder Nebensatz mindestens ein Referenzintervall [I, II], (4) für jedes Adverbiale der Zeit mindestens ein Umstandsintervall [ct1, ct2]. Dieses Modell ist rein semantisch. Die Beschreibung muß deshalb kompositionell erfolgen (41). Es führt zu einer Textgrammatik. Gosselin benutzt auch schematische Visualisierungen. Nach dem Gesagten gibt es für Gosselin zwei grundlegende kognitive Prozesse. Es sind dies das Vorgangsintervall (l’intervalle du procès) und das Referenzintervall (l’intervalle de référence). Gemeint sind zum einen die Klassifikation von Vorgängen (Kap. 2), zum ande- 345 Besprechungen - Comptes rendus ren deren Perzeption (bei Gosselin frz. perception/ monstration, Kap. 3), vergleichsweise geht es um das, was man in der Logik unter Zeigbarkeit (fr. ostensibilité) versteht. Bei der Kategorisierung diskutiert Gosselin das Phänomen des Wandels. Gemeint ist damit der Übergang von einer Situation (sit 1) über eine Phase des Wandels (chgt) zu einer anderen (sit 2), d.h. frz. le schéma cognitif du changement (50, 54). Wichtig ist dabei der Begriff der Verschiebung (fr. glissement). Also: il est mort en deux heures vs. il s’est passé deux heures avant qu’il ne meure (Tableau p. 62). Begibt man sich nun in den Text (Kap. 4), wo man eine lineare Abfolge von Syntagmen auf der Zeitachse vorfindet, dann trifft man auf den Begriff der Anapher. Analog zur nominalen Anapher (110), die sich sprachlich in der Beziehung zwischen Nomen und nachfolgenden Pronomen etabliert, spricht man von temporaler Anapher (113) im Falle der kontextuellen Beziehung unter Verben. Die Konzeption Gosselins ist jedoch von besonderer Art. Ansatzpunkt für die Regularitäten der Temporalität sind nicht die jeweiligen Verbbedeutungen, von denen oft behauptet wird, sie seien grundsätzlich anaphorisch, sondern die Intervalle als solche. «Il nous paraît, en revanche, possible d’associer de telles règles aux intervalles eux-mêmes, qui se trouvent donc conçus comme des entités linguistico-cognitives douées des propriétés spécifiques» (119). Gosselin geht im Folgenden auf diese Auffassung ausführlich ein. Mit Hilfe des verfügbaren Inventars an grammatischen und semantischen Merkmalen, die bestimmte Instruktionen kodieren, organisiert sich die Bedeutung. Das Verfahren ist kompositionell, aber global bezogen und ordnet das Verhältnis der Teile zum Ganzen (fr. calcul compositionnel holiste, p. 164). Das Inventar enthält auch Merkmale, die sich widersprechen. Es entstehen Konfliktsituationen, die es aufzulösen gilt. In den zwei folgenden Beispielen geht es um ein Adverbiale der Zeit und ein verbales Tempus. In den beiden Äußerungen Le 10 avril 1517, Pierre se lève très tôt bzw. Maintenant, il se reposait à l’ombre dominiert im ersten Fall das Adverbiale, im zweiten Fall das Tempus, die bei der Auflösung beide zu berücksichtigen sind; «autrement dit, l’instruction temporelle codée par un circonstantiel de date a plus de force que celle qui est associée au présent, tandis que celle qui est codée par maintenant en a moins que celle qui est marquée par l’imparfait» (165). Zur genaueren Analyse dient der hier vorgestellte Formalismus. Nach diesen Ausführungen eröffnet Gosselin einen kurzen, sehr instruktiven Ausblick auf die zugrundeliegende Wissenschaftstheorie (179-85). Abschließend findet man (Kap. 6) Überlegungen dazu, wie sich eine Grammatik der Temporalität in diesem Modell konkret darstellen würde. G. Ineichen ★ Monika Sokol, Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura, Tübingen (Niemeyer) 1999, vii + 218 p. (Linguistische Arbeiten 409) Die Bamberger Dissertation widmet sich dem Konzept der Futurität, das in ein Modell der Kategorieninteraktion eingeordnet wird, da die traditionelle Behandlung dieses Bereichs als unzureichend und in vielerlei Hinsicht auch als inadäquat angesehen wird. Anteil an der konstatierten Interaktion wird den Kategorien Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität zugesprochen, die in der Arbeit einerseits autonom definiert und andererseits in ihrem Zusammenwirken vorgeführt und diskutiert werden. Die Arbeit umfaßt acht Hauptkapitel. Im ersten Kapitel (1-17) erfolgen in Form einer «Einleitung» die Begründung der thematischen Auswahl sowie ein knapper Überblick über 346 Besprechungen - Comptes rendus