eJournals Vox Romanica 60/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2001
601 Kristol De Stefani

Monika Sokol, Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura, Tübingen (Niemeyer) 1999, vii + 218 p. (Linguistische Arbeiten 409)

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2001
Edeltraud  Werner
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ren deren Perzeption (bei Gosselin frz. perception/ monstration, Kap. 3), vergleichsweise geht es um das, was man in der Logik unter Zeigbarkeit (fr. ostensibilité) versteht. Bei der Kategorisierung diskutiert Gosselin das Phänomen des Wandels. Gemeint ist damit der Übergang von einer Situation (sit 1) über eine Phase des Wandels (chgt) zu einer anderen (sit 2), d.h. frz. le schéma cognitif du changement (50, 54). Wichtig ist dabei der Begriff der Verschiebung (fr. glissement). Also: il est mort en deux heures vs. il s’est passé deux heures avant qu’il ne meure (Tableau p. 62). Begibt man sich nun in den Text (Kap. 4), wo man eine lineare Abfolge von Syntagmen auf der Zeitachse vorfindet, dann trifft man auf den Begriff der Anapher. Analog zur nominalen Anapher (110), die sich sprachlich in der Beziehung zwischen Nomen und nachfolgenden Pronomen etabliert, spricht man von temporaler Anapher (113) im Falle der kontextuellen Beziehung unter Verben. Die Konzeption Gosselins ist jedoch von besonderer Art. Ansatzpunkt für die Regularitäten der Temporalität sind nicht die jeweiligen Verbbedeutungen, von denen oft behauptet wird, sie seien grundsätzlich anaphorisch, sondern die Intervalle als solche. «Il nous paraît, en revanche, possible d’associer de telles règles aux intervalles eux-mêmes, qui se trouvent donc conçus comme des entités linguistico-cognitives douées des propriétés spécifiques» (119). Gosselin geht im Folgenden auf diese Auffassung ausführlich ein. Mit Hilfe des verfügbaren Inventars an grammatischen und semantischen Merkmalen, die bestimmte Instruktionen kodieren, organisiert sich die Bedeutung. Das Verfahren ist kompositionell, aber global bezogen und ordnet das Verhältnis der Teile zum Ganzen (fr. calcul compositionnel holiste, p. 164). Das Inventar enthält auch Merkmale, die sich widersprechen. Es entstehen Konfliktsituationen, die es aufzulösen gilt. In den zwei folgenden Beispielen geht es um ein Adverbiale der Zeit und ein verbales Tempus. In den beiden Äußerungen Le 10 avril 1517, Pierre se lève très tôt bzw. Maintenant, il se reposait à l’ombre dominiert im ersten Fall das Adverbiale, im zweiten Fall das Tempus, die bei der Auflösung beide zu berücksichtigen sind; «autrement dit, l’instruction temporelle codée par un circonstantiel de date a plus de force que celle qui est associée au présent, tandis que celle qui est codée par maintenant en a moins que celle qui est marquée par l’imparfait» (165). Zur genaueren Analyse dient der hier vorgestellte Formalismus. Nach diesen Ausführungen eröffnet Gosselin einen kurzen, sehr instruktiven Ausblick auf die zugrundeliegende Wissenschaftstheorie (179-85). Abschließend findet man (Kap. 6) Überlegungen dazu, wie sich eine Grammatik der Temporalität in diesem Modell konkret darstellen würde. G. Ineichen ★ Monika Sokol, Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura, Tübingen (Niemeyer) 1999, vii + 218 p. (Linguistische Arbeiten 409) Die Bamberger Dissertation widmet sich dem Konzept der Futurität, das in ein Modell der Kategorieninteraktion eingeordnet wird, da die traditionelle Behandlung dieses Bereichs als unzureichend und in vielerlei Hinsicht auch als inadäquat angesehen wird. Anteil an der konstatierten Interaktion wird den Kategorien Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität zugesprochen, die in der Arbeit einerseits autonom definiert und andererseits in ihrem Zusammenwirken vorgeführt und diskutiert werden. Die Arbeit umfaßt acht Hauptkapitel. Im ersten Kapitel (1-17) erfolgen in Form einer «Einleitung» die Begründung der thematischen Auswahl sowie ein knapper Überblick über 346 Besprechungen - Comptes rendus den Forschungsstand sowie zu den eigenen methodischen und methodologischen Optionen. Das zweite Kapitel (19-29) entwickelt ein «semantisches Rahmenmodell». Kapitel 3 (31-79) liefert ein «Modell der verbalkategorialen Inhalte», in dem die vier Kategorien Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität diskutiert und definitorisch fixiert werden. Im vierten Kapitel zur «Datenerhebung und -auswertung» (81-89) wird das zugrundegelegte Korpus vorgestellt und kommentiert. Die folgenden Kapitel widmen sich dem Korpusmaterial: Kapitel 5 thematisiert das présent futural (91-125), Kapitel 6 das futur simple (127-68) und Kapitel 7 das futur périphrastique (169-97). Das achte Kapitel enthält eine «Zusammenfassung» der vorhergegangenen Kapitel zu Rahmenmodell, kategorialen Inhalten und kategorialen Werten der futurisch fungierenden Zeichen des Französischen (197-205). In einem neunten Kapitel erfolgt die Ergebnispräsentation verbunden mit einem Ausblick in den übereinzelsprachlichen Bereich bezugnehmend auf Tempussystematik und aspektuelle Markiertheit (207-12). Den Abschluß bildet eine umfassende, wenn auch keineswegs exhaustive Bibliographie (213-18). Im Einleitungskapitel wird die terminologische sowie die methodische Problemsituation der jüngeren monographischen Futurforschung knapp skizziert und einerseits eine starke Theorielastigkeit, v.a. in allgemeinen sprachwissenschaftlichen Beiträgen, sowie andererseits eine starke Reduktion auf die Empirie im Falle einzelsprachlich orientierter Titel konstatiert. Folie für die vorliegende Dissertation bildet die Dissertation von Angela Schrott aus dem Jahre 1997 1 , was dazu führt, daß sich die Arbeit von Monika Sokol auf weiten Strecken wie eine Replik auf jene liest, bevor die eigenen Optionen formuliert werden - ein methodisches Vorgehen, das den Leser etwas irritiert und das auch nicht notwendig gewesen wäre angesichts der nicht unbeträchtlichen theoretischen und interpretierenden Kapazitäten von Verf. Schrott wird als permanente Referenz gewählt, weil sie die angebliche Aporie der aktuellen Forschungsliteratur weitgehend zu neutralisieren versuche, indem sie beide Positionen integriere. Verf. selbst setzt sich zum Ziel, die Futurität im Rahmen eines Modells der Kategorieninteraktion zu beschreiben, für das zunächst eine adäquate Metasprache erarbeitet wird, die alle einschlägigen Kategorien abdecken soll, also nicht nur Temporalität, sondern auch Modalität, die beide keineswegs als unhintergehbare Größen gesehen werden und die auf den hierarchisch vorgeordneten kategorialen Inhalten sprachlicher Zeichen von Aktionalität (Situationstyp) und Aspektualität aufbauten. An das Modell wird dabei der Anspruch auf übereinzelsprachliche und panchronische Geltung gestellt. - Immer wieder in Bezug auf die Schrott’sche Arbeit werden dort entdeckte Defizite herausgelöst und zum Leitfaden des eigenen Vorgehens genommen. Neben der Aktionalität erweist sich nach Verf. auch die Aspektualität als in der bestehenden Forschung nicht hinreichend gefaßt, weder im Hinblick auf ihre +/ -Markiertheit noch hinsichtlich einer hierarchischen Vor- oder Nachrangigkeit. Verf. nimmt sich vor, einen «gap» (8) in der Forschung um die fr. Futura zu schließen, indem sie die Zusammenhänge von aktionalen, aspektuellen und temporalen Werten aufzeigen will. Daß dieser «gap» keineswegs ein solcher der linguistischen Forschung zum Französischen generell ist, übersieht Verf., da sie praktisch die gesamte Literatur um die Verbsyntax und -semantik, insbesondere die seit 1970 - allerdings nicht immer allein auf den Futurbereich oder auf die aktuelle Sprache zentriert - komplett ausblendet. Rez. denkt hierbei an die in unterschiedlichem Maße Gustave Guillaume verpflichteten Arbeiten von Robert Martin, Marc Wilmet und Peter Wunderli, sowie auch an den eigenen Beitrag zu den Verbalperiphrasen des Mittelfranzösischen aus dem Jahre 1980, in denen überall mehr oder weniger systematisch und umfassend Affinitäten zwischen den 347 Besprechungen - Comptes rendus 1 Cf. Angela Schrott, Futurität im Französischen der Gegenwart. Semantik und Pragmatik der Tempora der Zukunft, Tübingen 1997. fokussierten Kategorien, einschließlich der Modalität durchaus vorgeführt werden 2 . Daß diese Arbeiten auch nicht in der Bibliographie auftauchen, ist auch deshalb nicht nachzuvollziehen, da sich Verf. selbst in das Paradigma Guillaumes stellt, ohne dann allerdings tatsächlich eine guillaumistische Position zu entwickeln. Kapitel 2 ist der Entwicklung eines semantischen Rahmenmodells gewidmet, wobei vier Ebenen der Beschreibung herausgelöst werden, um das Verhältnis zwischen der kognitiven Fassung der außersprachlichen Wirklichkeit, der sprachlichen Verarbeitung und der Kommunikation darstellbar zu machen (19). Verf. speist ihre Ausführungen erklärtermaßen einerseits aus dem im Rahmen der Generativen Transformationsgrammatik entwickelten Modell und andererseits aus dem in der mittelalterlichen Scholastik entwickelten modistischen Grammatikmodell. So wird ein Vierebenenmodell vorgestellt, welches über die folgenden Stufen verfügt (cf. p. 23): Ebene 1: Referent Ebene 2: Konzept Sinn/ Bedeutung Ebene 3: Inhalt Ebene 4: Ausdruck Dabei erfolgt die Sinnbzw. Bedeutungskonstituierung im Übergang von Ebene 2 (in direkter Beziehung zu biologisch-perzeptiven Möglichkeiten/ Weltwissen/ Deutungskorrelaten stehend) und Ebene 3 (Verweis auf nicht perzeptiv verfügbare «Gegenstände und Sachverhalte»). Diese vier Ebenen werden im folgenden verquickt mit einem in Anlehnung an Reichenbach erstellten Modell, welches in der von Verf. modifizierten Version die folgenden Elemente umfaßt (27-29): - einen natürlichen Betrachterstandpunkt S (ich-hier-Zentrum) - einen fiktiven Betrachterstandpunkt r (fiktives deiktisches Zentrum) - einen Archi-Betrachterstandpunkt R (aspektuelle Perspektivierung) - Ereignisse und Sachverhalte E (situationelle Bezugsgrößen) - Ereignis- und Sachverhaltskonturen A und O (Referenzrahmen/ Begrenzungen) Eingebracht in das vorher herausgelöste semantische Vierebenenmodell sieht dies folgendermaßen aus (29): Ebene 1: Gegenstände (Sachverhalte; Ereignisse) - Sprecher Ebene 2: E (ev. A und/ oder O); S Bedeutung Ebene 3: E (A und/ oder O); R, r, r‘ usw. Ebene 4: Sprachlicher Ausdruck/ formale Umsetzung Bedeutung konstituiert sich, wie auch oben, zwischen Ebene 2 und 3. Allerdings sind die beiden Füllungen des Vierebenenmodells keineswegs gleichwertig: zum einen wird der 348 Besprechungen - Comptes rendus 2 Cf. R. Martin, Temps et aspect. Essai sur l’emploi des temps narratifs en moyen français, Paris 1971; M. Wilmet, Le système de l’indicatif en moyen français. Etude des «tiroirs» de l’indicatif dans les farces, sottises et moralités françaises des xv e et xvi e siècles, Genève 1970; P. Wunderli, Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen. Eine syntaktisch-stilistische Studie, Tübingen 1970; Edeltraud Werner, Die Verbalperiphrase im Mittelfranzösischen. Eine semantisch-syntaktische Analyse, Frankfurt a.M./ Bern/ Cirencester 1980. Keine dieser auch methodisch interessanten Arbeiten erscheint in der Bibliographie der Dissertation. ⎯ → ⎯ → ⎯ → ⎯ → «Sinn» im zweiten Modell eliminiert, so daß sich die Frage aufdrängt, ob Sinn und Bedeutung synonym verwendet werden, was nicht unproblematisch ist. Zum anderen wird die jeweilige Spezifik von Ebene 2 und 3 nicht mehr so sauber faßbar wie im ersten Modell, da E auf beiden Ebenen auftaucht. Dann hätte man auf Ebene 3 auch S erwarten müssen. Im dritten Kapitel wird ein Modell der verbalkategorialen Inhalte Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität entwickelt. Aktionalität (Aktionsart) auf der einen Seite und Aspektualität (Aspekt) auf der anderen werden zurecht getrennt, eine Option, die zwar keineswegs neu ist, die aber für Verf. und ihr Anliegen grundlegend wird. Was an einer Form primär aktional, was aspektuell und was schließlich temporal ist, muß erst einmal separat bestimmt werden. Es wird dabei auch Fragen nachgegangen wie der nach der +/ -Eigenständigkeit der Aktionsart als sprachliche Kategorie. Aktionale Klassen konstituieren sich über außersprachlich ableitbare Merkmale, beruhten also nicht auf der Situation des Sprechenden in Sprechsituationen, sondern auf dessen Wahrnehmung und Fassung der außersprachlichen Wirklichkeit (34s.), was nur soviel bedeuten kann, daß Aktionsarten nicht deiktischer Natur sind. Darüber hinaus hätten sie ihren Platz an der Basis der kategorialen Architektur von Sprache und gehörten somit zu den kognitiv fundierten Entitäten, die in einem kognitiven Rahmen (frame) wirkten, innerhalb dessen es zu metonymisch motivierten Umdeutungen von Komponenten kommen kann. Als nicht-relationale Größen seien die aktionalen Kategorien zudem nicht temporal interpretierbar. Was die sprachliche Domäne von Aktionalität angeht, so werden Verbklassen als Manifestationsrahmen ausgeschlossen zugunsten der Vermutung, Aktionalität müsse auf der Ebene der gesättigten Verbvalenz (Verbprojektion, Satz) gefaßt werden. Und diese Ebene wird auch für die anderen ins Auge gefaßten Kategorien zum Bezugsbereich. Einen besonders geeigneten Testrahmen böten präsentische Verbformen aufgrund ihrer prinzipiellen aspektuell-temporalen Unmarkiertheit. Generell wird das Aktionale als ein für das sprachliche System relevanter Bereich angesehen, der sich daraus ableitet, wie Sachverhalte und Ereignisse kognitiv (v)erarbeitet werden. Ausdruckseitig wird die Kategorie von allen im Valenzrahmen geordneten Konstituenten einer Aussage getragen (also nicht durch das Verb allein) und ist den stärker sprachimmanenten, da «deiktischen» Kategorien Aspektualität und Temporalität hierarchisch vorgeordnet (44). Aktionale Muster, die für das Fr. relevant seien, ließen sich dabei umschreiben mit Merkmalen wie Dynamik, generelle Begrenztheit, phasische Strukturiertheit und Art der Begrenztheit (ein-, beidseitig). Die übergeordnete Differenzierung ist die bereits traditionell formulierte zwischen statisch und dynamisch. Für das Französische relevante aktionale Klassen im Bereich «-dynamisch» sind Stativ, L-Stativ (linksbegrenzte Stativa) und Interstativ (d. h. weder rechts noch links begrenzt); im Bereich «+dynamisch» sind dies Progressiv, Ph-Progressiv (Gliederung in Subintervalle), Transition (traditionell «punktuell»), R-Progressiv (rechtsbegrenzt) und Intergressiv. Das ganze wird abschließend in eine binaristische hierarchische Struktur überführt, die auf den Merkmalen «dynamisch», «begrenzt», «phasisch» und «geschlossen» aufbaut, wobei allerdings das letzte Merkmal nicht explizit eingeführt wird und offensichtlich die außersprachliche Determiniertheit eines Verbalgeschehens meint, bei der das sprachlich Vermittelte nicht die Hauptrolle zu spielen scheint: betroffen sind Interstativ (z. B. Ma mère a sa migraine) bzw. Intergressiv (z. B. Paul mange une pomme). Der zweite Bereich, der definitorisch und inventarisierend fixiert wird, ist die Aspektualität. Aspektualität wird gesehen als semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, die erkennen läßt, ob ein Betrachterstandpunkt außerhalb des versprachlichten Ereignisses anzunehmen ist (perfektive Aspektualität) oder nicht (imperfektive Aspektualität) (55). Die Definitionsgrundlage ist damit eine relationale und macht den Unterschied zur Aktionalität deutlich. Dabei kann Aspektualität eine Grundaktionalität verändern. Zur 349 Besprechungen - Comptes rendus typisch perfektiven Außenperspektive und zur typisch imperfektiven Innenperspektive wird noch eine (vermittelnde) iterative Sicht hinzugefügt, so daß man dann hätte: Perfektivum, Iterativum und Imperfektivum. Gerade das Iterativum liege in Grammatikalisierungsprozessen an der Schnittstelle zur Temporalität und wird für Verf. so zu einem wichtigen Posten. Das Zusammenspiel von Aktionalität und Aspektualität wird anhand von ausnahmslos deutschen Beispielen illustriert, solche für das Französische fehlen bzw. beschränken sich auf den Hinweis der Opposition zwischen passé simple und imparfait. Verf. nimmt dabei eine klassisch-normative Reduktion des Französischen in Kauf, da das ebenfalls hierher gehörige passé composé unerwähnt bleibt. Der dritte Bereich, der behandelt wird, ist die Temporalität, die sich diachronisch gesehen offensichtlich aus dem Zusammenspiel von Aktionalität und Aspektualität entwickelt hat. Diese formal nicht greifbare Temporalität wird «implizit» genannt. Problem aller angeführten Beispiele, wieder nur aus dem Deutschen, ist die Struktur des Deutschen, das im Verb immer Tempus zum Ausdruck bringt, also eigentlich gar keine echte implizite Temporalität in Verbprojektionen bzw. Sätzen ermöglicht. Explizite Temporalität wird definiert als semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, einen fiktiven, temporal verschobenen Betrachterstandpunkt r gegenüber dem natürlichen deiktischen Zentrum S zu etablieren (62). Temporalität wird dann gleich mit der Aspektualität kombiniert (cf. explizite perfektive bzw. imperfektive Temporalität) und offensichtlich nicht allein an die fr. Vergangenheitstempora angebunden. Die Behandlung von Futurität als Sonderfall der Temporalität schließt dieses Kapitel ab. Der vierte und letzte Terminus, der definiert wird, ist die Modalität. Die Kernfunktion der Modalität wird in der Relationierung von S, R (r) und E gesehen. Ihre nichtmarkierte Basis sei die Assertion, paraphrasierbar durch «ich sage, daß . . . ». Im Falle einer modal markierten Aussage rückt neben den Referenzraum E auch ein möglicher Referenzraum Nicht-E in den Fokus (cf. Rüdiger soll ein Idiot sein, bei dem neben Rüdiger ist ein Idiot auch Rüdiger ist kein Idiot als Interpretans möglich ist). Damit ist Modalität als Verlagerung des kommunikativen Schwerpunktes auf der Skala zwischen Nicht-E und E verstanden (75). Modalität wird schließlich definiert als semantische Eigenschaft von Verbprojektionen bzw. Sätzen, Nicht-E in die semantische Struktur einer Aussage einzuführen und zu signalisieren, welcher Stellenwert auf der Skala zwischen Nicht-E und E einer Entität zukommt (78). Verf. hat damit der Modalität einen Definitionsrahmen gegeben, der die traditionelle Unsicherheit darüber, wie Modalität im linguistischen Kontext definiert werden soll, umgeht. Und letztendlich wird auf die Verwobenheit von aspektueller, temporaler und modaler Semantik verwiesen, zu der die aktionale Spezifik im lexikalischen Fokus und deren sekundäre Modifizierbarkeit hinzukommt. Dies hat als Konsequenz, daß eine Reihe von Nutzwerten des futur simple, die bislang als modal geführt wurden, in den temporalen Bereich zurückverwiesen werden (nämlich volitives und permissives Futur). Die Analysen zum Fr. basieren auf drei Teilkorpora. Das literarisch-narrative Register wird durch Quefélecs Les noces barbares und Simenons L’affaire Saint-Fiacre abgedeckt, die sprechsprachliche Dimension durch ein Selegat aus den Korpora gesprochener Sprache von Ludwig 1988 und Eschmann 1984 und der pressesprachliche Teil aus einer Auswahl aus Le Monde vom 14./ 15. Juli 1996 sowie Les Echos vom 12./ 13. Juli 1996. Die relative Begrenztheit des Korpus wird damit gerechtfertigt, daß die registerübergreifende Statistik nicht verfälscht werden solle. Grundlage für die Auswertung ist eine Vorklassifizierung der Belegstellen von présent futural, futur simple und futur périphrastiqe nach aktionalen Klassen. Diese werden für die drei futurischen Formen hinsichtlich typisierbarer Nutzwerte untersucht, die aus dem Zusammenspiel von Aktionsart, Tempus, Aspekt und Modalität resultieren. Neben dem Verb werden die jeweiligen futurindizierenden Kontexte einbezogen, um kenntlich zu machen, welcher Redeeffekt aus welcher sprachlichen Einheit resultiert. 350 Besprechungen - Comptes rendus Die Analyse bleibt auf den Satzrahmen beschränkt. Die Klassifizierung erweist sich aufgrund der Option für den aktionalen Wert als Grundparameter als recht diffizil, bedeutet sie doch die Hinwendung von einer semasiologischen Vorentscheidung zu einer onomasiologischen Betrachtung, für die mindestens vier Parameter, nämlich Aktionalität, Temporalität, Aspektualität und Modalität, relevant werden können, die zudem formal nicht unbedingt greifbar werden. Abgeschlossen wird die Korpuspräsentation durch Statistiken zur Verteilung der drei futurisch nutzbaren Tempusformen in den Teilkorpora, zur Verteilung der drei Tempora auf aktionale Klassen und Kontexte und zur Verteilung auf grammatische Personen sowie zu heterogenen Restphänomenen. Gerade in Bezug auf das présent futural wird eine sorgfältige Abgleichung mit nichtfuturischen Nutzungsmöglichkeiten geliefert. Durch die Vorrangstellung der Aktionalität tritt allerdings der Grundwert des Präsens als nicht-markierte Tempusform stark in den Hintergrund, was nicht ganz unproblematisch ist, da die diversen Nutzwerte so vordergründig in den Kontext verlagert werden. Die allgemeinen Ausführungen erfolgen überwiegend anhand des Englischen und Deutschen, ein nicht ganz ungefährliches Vorgehen, da weder diese beiden Sprachen noch das Französische hinsichtlich Grund- und Nutzwerten analog gelagert sind. Die futurische Reinterpretation des hinsichtlich des Merkmals «perfektiv» nicht markierten fr. Präsens könne nur aufgrund einer durchscheinenden Aktionalität erfolgen. Verf. bewegt sich damit im Rahmen der modernen Grammatikalisierungstheorie und ihrem kognitiven Bezug zur Figur-Grund-Relation, nach der Werte aus dem Hintergrund, vor dem eine Kategorie wirkt, akzidentell in diese selbst Eingang finden können bis hin zu einer definitiven Verlagerung in diese. Die Korpusanalyse liest sich nun wieder wie eine Replik auf Schrott und vollzieht sich erneut überwiegend anhand deutscher Beispielmaterialien. Das Französische wird nachrangig behandelt, d. h. am Deutschen aufgedeckte semantische Mechanismen und Konfigurationen werden mit relativ einfachen fr. Beispielen noch einmal illustriert. Praktisch ist die Übereinzelsprachlichkeit der herausgearbeiteten vier Kategorien gesetzt, so daß es bis zu einem bestimmten Grad beliebig erscheint, an welcher der betroffenen Sprachen diese expliziert wird. Erst in einem zweiten Schritt werden einzelsprachspezifische Nutzungsmöglichkeiten herausgearbeitet. Da v. a. Nutzwerte und Sinneffekte im Rahmen der vier Kategorien erklärt werden, muß sich Verf. recht hohen interpretativen Anforderungen stellen, und sie tut dies gründlich und ehrlich. Die Analysen sind im gewählten Rahmen überzeugend und vermögen durchaus auch aus kontrastiver Perspektive dt.-fr. interessante Erklärungsmuster zu bieten. Hinzu kommen eine Reihe von Vermutungen zur Sprachentwicklung im Übergang bzw. in der Reanalyse von aktionalen Merkmalen als temporale Informationsgeber. Den prinzipiellen Überlegungen folgt die Korpusauswertung nach den angeführten Kriterien, in der die Erklärungsvorschläge der einleitenden Kapitel konkret überprüft werden. Die Dissertation von M. Sokol stellt einen originellen Zugriff auf das Verhältnis von Aktionalität, Aspektualität, Temporalität und Modalität dar und zeigt, daß eine die anderen drei Domänen hintergehende Aktionalität eine ganze Reihe von Erklärungsmustern für sprachliche Nutzwerte liefert, die bei der traditionell üblichen Bevorzugung (einer) der anderen Dimensionen nicht in dieser Komplexion möglich waren. Durch dieses «Quer»- Denken eröffnen sich für die künftige Diskussion durchaus neue Perspektiven. Das Einbeziehen eines ausdifferenzierten Korpus findet dabei allerdings nur in den Statistiken und deren Erläuterung seinen pauschalen Niederschlag, die theoretische Diskussion wird anhand anderer, oft auch konstruierter und fast durchgängig dem Deutschen entnommener Beispiele geführt, so daß das Französische, auf das im Titel der Arbeit verwiesen wird, tatsächlich im Dienste einer allgemeinen sprachwisschenschaftlichen Fragestellung instrumentalisiert erscheint. Verf. kennt sich gut in der aktuellen Diskussion aus, was allerdings auf Kosten älterer Beiträge speziell zum Französischen geht, die von ihr nur selten rezipiert 351 Besprechungen - Comptes rendus zu werden scheinen. Die Rolle aktionaler Werte für den Futuritätsausdruck wird dabei anhand des Französischen zumindest abschließend illustriert, wenn im Schlußkapitel resümiert wird, daß das Präsens ohne futurisierenden Kontext lediglich bei grenzbezogener Prädikation futurisch lesbar ist, wohingegen sich das futur simple als insgesamt perfektivierend erweise, und das auch in seiner futurischen Funktion. Das futur périphrastique schließlich vereine beide Faktoren, da es statistisch gesehen am häufigsten im Zusammenhang mit einem grenzbezogen-perfektiven Verbalgeschehen auftrete. Die Arbeit von M. Sokol kann als Diskussionsbeitrag zu einem Themenbereich gelten, der es verdient, auch über die Romanistik hinaus rezipiert zu werden. Aufgrund dieses allgemeinen Interesses hätte man sich gewünscht, daß zumindest ansatzweise Forschungsliteratur aus dem Bereich der Indogermanistik einbezogen worden wäre, wo ja gerade das Zusammenwirken von Aktionsart und Aspekt eine ganz zentrale Rolle spielt. Interessante Hypothesen werden zudem auch für eine Neuinterpretation des Sprachwandels der Futurformen vom Lateinischen bis heute vorgeführt, die es durchaus gestatten, auch für andere Bereiche aus ausgefahrenen Erklärungsgeleisen auszubrechen. Insgesamt gesehen ist die Arbeit von Sokol sehr anregend, so daß die geäußerte Kritik im Sinne einer interessierten Auseinandersetzung mit den vorgeführten Ideen und Sehweisen zu sehen ist. Edeltraud Werner ★ Jean-Pierre Chambon/ Jean-Paul Chauveau/ Sandrine Gastaud-Correia/ France Lagueunière/ Pierre Rézeau, Mélanges sur les variétés du français de France, d’hier et d’aujourd’hui ( III ), Paris (Champion) 2000, 205 p. (Matériaux pour l’étude des régionalismes du français 14) Drei Jahre nach dem zweiten Band der Mélanges liegt hier ein weiterer vor, der sich von seinen Vorgängern partiell unterscheidet: Er ist nicht nur lexikalisch orientiert, widmet sich neben der reinen Inventarisierung von Regionalismen auch methodologischen Fragestellungen, ist geographisch divergent, ist sowohl diachron wie synchron ausgerichtet und umfaßt knappe Wortstudien ebenso wie umfänglichere Arbeiten. Ingesamt beinhaltet er sieben Beiträge. J.-P. Chambon behandelt eingangs (7-13) eine wortgeschichtlich-etymologisch unklare mfr. Form aigassadour etc. aus Godefroy, die als Regionalismus der Auvergne identifiziert und als Germanismus zu einem Etymon wa ð gestellt wird. Derselbe Autor nutzt anschließend (15-22, 23-30) die regiolektalen Spracheigentümlichkeiten zur Lokalisierung zweier mittelfranzösischer Farcen aus der Ausgabe von G. Cohen (Tarabin, Tarabas et Triboulle-Ménage und La farce nouvelle de la trippiere) und interpretiert (31-42) in derselben Perspektive zwei parodistische Texte des 16. Jhs. (La vraye medecine qui guarit de tous maux . . . und La medecine de Maistre Grimache). Für den Regionalismenforscher ist der Ertrag an inventarisierten Regionalismen, die jeweils ausgiebig in ihrer Geschichte und Geographie beschrieben werden, begrenzt. Reichhaltiger ist die Untersuchung von J.-P. Chambon/ J.-P. Chauveau (43-72) der anonymen Histoire maccaronique de Merlin Coccaïe von 1606, die ein Inventar von 80 alphabetisch lemmatisierten, ausgiebig kommentierten (Geographie, Geschichte, Quellen) Regionalismen liefert. Der umfangreichste Beitrag stammt von P. Rézeau (73-182), der das bislang nur in einem schwer zugänglichen Auszug 1 und ansonsten in Manuskriptform vorliegende Glossaire breton 352 Besprechungen - Comptes rendus 1 «Extrait du Glossaire breton, ou Recueil des expressions vicieuses, surannées ou rustiques, usitées dans la ci-devant province de Bretagne», Mémoires de la Société Royale des Antiquaires de France 4 (1822): 322-37.