Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2002
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Kristol De StefaniHeidi Aschenberg, Kontexte in Texten. Umfeldtheorie und literarischer Situationsaufbau, Tübingen (Niemeyer) 1999, XII+354 p. (Beih.ZRPh. 295)
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2002
Ursula Bähler
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Heidi Aschenberg, Kontexte in Texten. Umfeldtheorie und literarischer Situationsaufbau, Tübingen (Niemeyer) 1999, XII+354 p. (Beih.ZRPh. 295) 1981 hielt J. Lyons fest: «No simple answer . . . can be given to the question, ‹what is context›? » (103). Angesichts der Komplexität des hier angesprochenen Themas, der sprachlichen Kontextanalyse, muss eine solche Aussage geradezu als euphemistisch gelten, und es ist kein geringes Verdienst der vorliegenden Arbeit (zugleich Heidelberger Habilitationsschrift), diese hochkomplexe Materie in eine sowohl analytisch als auch synthetisch stringente Überblicksform gebracht zu haben. Dass diese Form nur über eine Auswahl und eine bewusste Ausklammerung vieler Aspekte und gar ganzer Theorieansätze erfolgen konnte, ist kein Mangel, sondern Notwendigkeit. Denn über sprachliche Kontexte nachdenken, heisst letztlich nichts anderes, als über das (sprachliche) Verstehen überhaupt zu reflektieren. Nach einer kurzen Einleitung (1-5) referiert und diskutiert die Verf. in den vier Hauptkapiteln des ersten Teils (Zur Theorie der Kontexte, 7-176) auf detaillierte und (trotzdem) sehr angenehme Art und Weise ganz unterschiedliche (sprach)philosophische (u. a. Urban, Schleiermacher, Heidegger, Gadamer, Derrida, Simon), sprachtheoretische (u. a. Bühler, Coseriu, Slama-Cazacu, Eco), sprachwissenschaftliche (u. a. Malinowski, Firth, Lyons, Wunderlich, van Dijk, Rosch, Lakoff, Fillmore) und schliesslich texttheoretische (u. a., ausser einzelnen schon Genannten, Gülich, Raible, de Beaugrande, Petöfi, Scherner, Hirsch, Grünewald, Kerbrat-Orecchioni, Stierle, Ingarden, Lachmann, Genette, Broich, Pfister, Wegener, Koch, Oesterreicher) Modelle der Kontextanalyse oder - dies gilt insbesondere für die philosophisch-hermeneutischen Richtungen - ihr anverwandter Forschungskomplexe. Dabei ist sie sich natürlich bewusst, dass die Grenzen zwischen den so unterschiedenen und benannten Gegenstandsbereichen, v.a. was die drei letztgenannten angeht, in vielen Fällen fliessend sind. Im Verlaufe dieses dichten Forschungsüberblicks, der durch regelmässige Rekapitulierungen vorbildlich skandiert ist und in zunehmendem Masse die zuweilen fast schwindelerregende Komplexität des untersuchten Gegenstandes eindrücklich vor Augen führt, reduziert Aschenberg in ihrem letztlich heuristisch motivierten Unterfangen - im zweiten Teil der Arbeit sollen die aus den linguistischen Überlegungen gewonnenen Erkenntnisse für die literarische Textanalyse fruchtbar gemacht werden - die Kontextproblematik sukzessive auf drei «durch ontische Bereichsdifferenzen motivierte» (132) Grundtypen, wobei sie als Basis hierfür in erster Linie die Arbeiten ihres langjährigen Lehrers Coseriu nimmt (74- 75; cf. auch VII): auf den Situationskontext (oder situationelles Umfeld), den Redekontext (oder textuelles Umfeld) und den Wissenskontext (oder subjektives Umfeld). Gegenüber dem als «objektivistisch» gewerteten Theorieansatz Coserius (76) betont die Verf., wie mir scheint völlig zu Recht, die Notwendigkeit, den «subjektiven Wissensbeständen» (ib.) bei der linguistischen (Kon)textanalyse grössere Bedeutung beizumessen, weshalb sie selbst das bei Coseriu dem Ausser-Rede-Kontext angehörige «lebensweltliche Wissen in seiner ganzen Vielfalt» (75) in einer eigenständigen, den anderen beiden gleichberechtigt gegenüberstehenden Kategorie, eben derjenigen des Wissenskontextes, erfasst. Die Betonung der hermeneutisch-subjektiven Interpretationsprozesse geht nun aber keineswegs mit einer positiven Einschätzung poststrukturalistischer und dekonstruktivistischer Richtungen einher, zielen diese doch in letzter Konsequenz tatsächlich auf nichts anderes als auf eine Auflösung sämtlicher Kontextkategorien schlechthin (30-35). Im zweiten Teil des Buches (Zur suppletiven Konstruktion situationeller Umfelder in literarischen Texten, 178-318) wird im Hinblick auf die zu leistenden konkreten Textinterpretationen der kontextanalytische Ansatz noch einmal eingegrenzt, und zwar auf zwei Arten. Einerseits soll innerhalb der erwähnten Umfeldertrias der Akzent nun auf die «suppletive Konstruktion» (178) von Situationsumfeldern gelegt werden, d. h. auf die Art und 275 Besprechungen - Comptes rendus Weise, wie in literarischen Texten Situationskontexte gegenüber den hierbei als Referenzgrössen gesetzten nicht-fiktionalen mündlichen Texten (oder funktionalen Alltagserzählungen) verbal kompensiert werden (179). Es geht, mit anderen Worten, um die «fiktionale Ersetzung der Situation durch den Redekontext» (208). Andererseits soll, «[i]n Anlehnung an Bühlers Ausdeutung der origo durch die Positionen des ‘ich’, ‘hier’ und ‘jetzt’» (182), das Augenmerk innerhalb dieser Konstruktion in erster Linie auf die fundamentalen Parameter Personen (Figuren), Raum und Zeit (182-83) gerichtet werden (viele andere Parameter, so scheint mir, bleiben allerdings nicht übrig). Es wird ausserdem bestimmt, dass sich die literarischen Analysen innerhalb des so definierten Rahmens in erster Linie mit dem Verhältnis von Erzählsituation (Erzählstrategie) und erzählter Situation zu befassen haben (188). Zur Klärung des Verhältnisses dieser beiden Situationsebenen rekurriert die Verf., was die Figuren anbelangt, auf den Typenkreis Stanzels (189-92), für Raum und Zeit in erster Linie auf Ingarden, der sich, in Anlehnung an Husserls Phänomenologie, gegen eine morphologisch-objektive und für eine «erlebnismässige» Perspektivierung von Raum und Zeit (193-96) ausspricht, was, wie bereits gesagt, durchaus der generellen Interpretationshaltung Aschenbergs entspricht. Die letzten hundert Seiten sind dann den konkreten Textanalysen gewidmet, wobei den Textanfängen, die sich tatsächlich in vielen Fällen durch eine hohe Dichte an situationsrelevanten Faktoren auszeichnen, besonderes Gewicht beigemessen wird. Folgende literarische Werke werden nacheinander untersucht: Balzacs Le Père Goriot, Flauberts Salammbô, «L’invitation au voyage» von Baudelaire, und zwar sowohl das Versals auch das entsprechende Prosagedicht, L’expérience de la nuit des wenig bekannten Marcel Béalu und schliesslich zwei Theaterstücke aus zwei gänzlich verschiedenen Epochen: Racines Bérénice und L’air du large von Obaldia. Was nach den komplexen Überlegungen des ersten Teils etwas zu befürchten war, tritt leider tatsächlich auch ein: das Gefälle von der Theorie im 1. Teil zur Praxis im 2. Teil ist relativ gross. Dabei, und dies sei hier in aller Deutlichkeit gesagt, liegt das Problem nicht eigentlich bei der Qualität der gelieferten Textanalysen oder vielmehr «Interpretationsskizzen» (257), sondern beim Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil. Die konkreten literarischen Analysen sind fast durchs Band ansprechend und enthalten manch feine interpretatorische Beobachtung (dies gilt m. E. insbesondere für die Analyse von Salammbô), bleiben aber als Gesamtkonstrukt hinter dem nach der Exposition der theoretischen Elemente zu Erwartenden zurück. Das Ganze bleibt sehr häufig auf dem Niveau einer - durchaus exakten - Beschreibung, wobei statt der von der Verf. gewählten Terminologie Stanzels gerade so gut auch diejenige von Genette hätte verwendet werden können, ohne dass sich dadurch signifikante Interpretationsunterschiede ergeben hätten. In einigen Fällen werden ausserdem die Analysen zirkelhaft zur Untermauerung von bereits zur Genüge bekannten Forschungsresultaten verwendet, etwa, was die Typisierung der Figuren bei Balzac angeht. Ein sehr kurzer Ausblick (319-21), der aber doch mehr ein Rückblick ist, ein Literaturverzeichnis (322-47) sowie ein Namen- und Sachregister (348-54) beschliessen das Buch. Ein grundsätzliches Problem dieser Arbeit aus literaturwissenschaftlicher Sicht besteht m. E. darin, dass der Totalitätsbegriff, welcher letztlich an die Idee des linguistischen Situationskontexts gekoppelt ist, sich nicht in erster Linie am Text, sondern an der Welt orientiert. Ist der literarische Text aber nicht sich selbst Totalität genug? Oder anders formuliert: Die für die Sinnkonstitution relevanten Kategorien sollten nicht prioritär über das Verhältnis des Textes zu dem gewonnen werden, was ausserhalb von ihm ist, sondern durch die Organisation der in ihm gegebenen Elemente selber. Noch deutlicher: Es muss nicht alles vollständig «ausmalbar» sein. Und ich meine hier in der Tat ‘ausmalbar’ und nicht ‘ausgemalt’. Denn auch die von der Verf. vielfach geäusserte Vorstellung, dass ein Text im Bezug 276 Besprechungen - Comptes rendus auf den ausserliterarischen «totalen» Situationskontext Leerstellen hat oder aber dass er diesen Kontext auf irgendeine Art und Weise transformiert, pervertiert oder ad absurdum führt, situiert sich letztlich dennoch immer nur im Rahmen des allgemein anerkannten Weltwissens und, allenfalls, dessen Grenzen, und so macht sich der Verdacht breit, Aschenberg operiere mit einem zutiefst mimetisch-referentiellen Verfahren. Dass ein solches aber literarischen Texten nicht «beizukommen» vermag, oder jedenfalls doch nur sehr oberflächlich, braucht hier nicht im Detail ausgeführt zu werden. Kategoriebildungen in literarischen Texten gehen wohl von unserem sprachlichen Weltwissen aus, rekonfigurieren sich aber zu neuen, meist noch nicht gekannten, noch nicht benannten Totalitäten. Ob ein Text, wie Flauberts Salammbô, Raum und Zeit «realistisch» gestaltet oder aber, wie das Baudelairesche Versgedicht L’invitation au voyage, der rein subjektiven Vorstellungswelt des Dichters unterstellt, ist dabei vielleicht deskriptiv-typologisch wichtig, analytisch-interpretatorisch letztlich wohl aber unerheblich. Trotz diesen grundsätzlichen Einwänden kann zusammenfassend gesagt werden: Aschenbergs Abhandlung enthält einen sehr instruktiven ersten und einen ansprechenden zweiten Teil, doch sind leider die theoretischen Bezüge zwischen den beiden Teilen eher schwach ausgeprägt. Insgesamt aber handelt es sich allemal um ein sehr lesenswertes Buch. U. Bähler H Sorin Stati, Principi di analisi argomentativa. Retorica Logica Linguistica. Bologna (Pàtron) 2002, viii + 172 p. (Manuali universitari per lo studio interdisciplinare del linguaggio e delle lingue). Non sono pochi i cantucci o, per meglio dire, gli ampi settori dell’argomentazione che sono ancora interamente inesplorati. Purtroppo, la letteratura specialistica consacrata all’oggetto dell’argomentazione non ha raggiunto l’unanimità nemmeno sulle questioni di massima rilevanza di teoria e di metodo, e forse non la raggiungerà mai. È ben noto che gli studi sull’argomentazione, mentre sono assai progrediti sul piano della pragmatica e della retorica - che dispongono di ricche e sicure illustrazioni generali - sono ancora agli inizi per quanto concerne l’analisi prettamente linguistica. Il vasto campo di tali ricerche è stato in parte dissodato negli ultimi vent’anni da una serie di saggi e capitoli di monografie dovuti a J.-C. Anscombre/ O. Ducrot 1983, V. Lo Cascio 1991, E. Eggs 2000 1 ; a Vincenzo Lo Cascio spetta il merito di averci procurato un modello di analisi del discorso argomentativo concepito secondo un approccio prettamente linguistico che si ispira alla metodologia e alla relativa terminologia delle grammatiche generative-trasformazionali. Non si dimenticherà, inoltre, di sottolineare come gli studi di strutture argomentative abbiano spesso attirato l’attenzione di linguisti italiani e stranieri sull’analisi dei connettori che uniscono segmenti di discorso argomentativo facendone individuare la funzione; pare anzi questo un ambito di ricerca che un madrelingua - che dispone di un sistema linguistico materno profondamente integrato - sia assai incline a ricercare e a sistemare con una curiosità ed una oculatezza sovente non comuni ad un non-madrelingua. Meritori sono per tanto i tentativi di indicare nelle varie lingue quelle congiunzioni, avverbi o relative locuzioni, definiti appunto connettori (oppure ‘connettivi’), che regolano l’attività argomentativa che svolgiamo, in parte, automaticamente e in parte - si crede - come risultato di un apprendimento, e quindi consa- 277 Besprechungen - Comptes rendus 1 Cf. J.-C. Anscombre/ O. Ducrot, L’argumentation dans la langue, Bruxelles 1983; V. Lo Cascio, La grammatica dell’argomentare, Firenze 1991; E. Eggs, «Vertextungsmuster Argumentation: Logische Grundlagen», in: K. Brinker (ed.), Text- und Gesprächslinguistik, Berlin 2000: 397-414.
