Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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2002
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Kristol De StefaniMaria Colombo Timelli, L’Histoire d’Érec en prose.Roman du XVe siècle. Édition critique, Genève (Droz) 2000, 347 p. (Textes Littéraires Français 524)
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2002
Arnold Arens
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Godefroy u. a. die sprachhistorische Perspektive miteinbezogen und somit ein Beitrag zur Lexikographie des Mittelfranzösischen geliefert wird. Störend ist allerdings, daß hier immer wieder auf vorangehende Ausgaben oder Textpassagen verwiesen wird; man muß schon alle edierten Bände zur Hand haben, um aus den «Notes» einen Gewinn zu ziehen. Nach einer Auflistung der «Proverbes et expressions sentencieuses» (573-75) und einer «Table des noms propres» (577-88) findet der Leser dann ein umfangreiches «Glossaire» (589-701), das erfreulicherweise auch den Kontext der verzeichneten Wörter darstellt. Roussineau gebührt höchste Anerkennung für die von ihm erbrachte Leistung. Und man kann nur wünschen und hoffen, daß er sein Editionsprojekt zu einem erfolgreichen Abschluß führen wird. Jeder Mediävist wird ihm dafür dankbar sein. A. Arens H Maria Colombo Timelli, L’Histoire d’Érec en prose. Roman du XV e siècle. Édition critique, Genève (Droz) 2000, 347 p. (Textes Littéraires Français 524) Am Hof der großen Herzöge von Burgund (1363-1477) kam es im 15. Jahrhundert zu einem regelrechten «mouvement des mises en prose» (17): Versdichtungen der vorangehenden Jahrhunderte wurden hier in großer Zahl in Prosaform übertragen. Im Zuge dieser Bewegung erstellte auch ein anonymer Autor eine neue Prosafassung von Chrétiens Versroman Erec et Enide 1 . Diese Überarbeitung ist uns in nur einer einzigen vollständigen Handschrift (ca. 1450-60) überliefert, die ursprünglich zur Bibliothek Philipps des Guten (1419-67) gehörte und sich heute in der Bibliothèque Royale in Brüssel (Sigel 7235) befindet. In dem Manuskript, hier als B bezeichnet, wird Chrétiens Stoff auf 71 Folios, durch Überschriften in 42 Abschnitte gegliedert, in neuer Sprache und neuer Fassung dargeboten. Neben B existieren noch zwei weitere Handschriften, die aber einerseits nur ein großes Segment und andererseits lediglich ein kurzes Fragment der burgundischen Prosaversion enthalten. Es ist dies zum einen das um 1470 entstandene Manuskript P (Paris, BN, f.fr. 363), das zur Bibliothek des am burgundischen Hofs hochangesehenen bibliophilen Louis de Bruges gehörte und das die umfassende Kompilation des Guiron de Courtois enthält. In diese ist eine längere Passage der Histoire d’Erec interpoliert, die in ihrem Inhalt den ersten 17 Abschnitten von B entspricht. Und es ist dies zum anderen die auf die Jahre 1480-1500 zu datierende Handschrift O (Oxford, Bodleian Library, Douce 383), in der auf nur einer einzigen Seite ein kurzer Abschnitt der burgundischen Prosaversion vorzufinden ist. Zwar wurde der Text des Manuskripts B bereits von E. Foerster im Annex zu seiner Edition von Erec et Eneide 2 und der des Manuskripts P von B. L. Bakelaar im Anhang zu ihrer Dissertation 3 transkribiert. Hierzu gilt es nun aber hervorzuheben, daß die von Foerster vorgelegte Transkription nicht nur veraltet ist und somit modernen Editionsstandards nicht mehr genügt, sondern auch weder eine kritische noch eine diplomatische Edition darstellt. Und ebensowenig wie Foerster hat auch Bakelaar den von ihr transkribierten Text mit dem Text der beiden anderen Versionen kollationiert, was für eine textkritische Ausgabe aber zwingend notwendig ist. Mit M. Colombo Timelli, Professorin der Universität Mailand, 331 Besprechungen - Comptes rendus 1 Eine erste Prosaversion war bereits im 13. Jahrhundert enstanden. C. E. Pickford (éd.), Erec, roman arthurien en prose, publié d’après le manuscrit fr. 112 de la Bibliothèque Nationale, Genève, Paris 1968. 2 Christian von Troyes sämtliche Werke, Erec et Enide, Halle 1890, 253-94, 334-36. 3 From Verse to Prose: A Study of the 15 th -Century Versions of Chrétien’s Erec and Cligès, Ohio 1973, 227-330. muß man deshalb feststellen, daß «une édition critique faisait défaut jusqu’à présent» (12). Und diese Forschungslücke zu schließen ist das Anliegen, das M. Colombo Timelli mit der hier anzuzeigenden Arbeit verfolgt. Für diese Aufgabe ist sie geradezu prädestiniert, da sie sich in ihrer Forschungsarbeit schon seit mehreren Jahren mit der burgundischen Histoire d’Erec befaßt und dazu auch bereits mehrere Publikationen vorgelegt hat (cf. «Bibliographie», 330). Und wie nicht anders zu erwarten, ist hier auch eine insgesamt überzeugende, von großem Fleiß und von grundlegender Kenntnis der Materie zeugende Ausgabe vorgelegt worden. In der Edition werden zunächst (100-69) die einander entsprechenden Textabschnitte von B und P - es sind dies, wie bereits erwähnt, die ersten 17 der insgesamt 42 Abschnitte von B - in synoptischer Form gegenübergestellt (der Text von P auf der jeweils linken, der von B auf der jeweils rechten Druckseite). Somit hat der Leser die Möglichkeit, beide Versionen miteinander zu vergleichen und deren Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede zu erkennen. Daran schließt sich die textkritische Edition der Abschnitte von B (also Abschnitte 18-42) an, die in P keine Entsprechung haben (170-212). Der knappe kritische Apparat zu beiden Versionen enthält zum einen Angaben zum «aspect matériel du texte» (96), hier insbesondere Hinweise auf die vom Kopisten vorgenommenen Ergänzungen und Streichungen, und zum anderen Angaben zu den «interventions de l’éditeur, limitées à la correction des fautes les plus flagrantes» (96). Und die in der Wiedergabe beider Versionen vorzufindenden Kennzeichnungen durch * verweisen auf die Notes zu B (213-17) und P (218-23), in denen auf «les passages controversés ou obscurs; les fautes problematiques, et, pour B, les solutions eventuellement adoptés par Foerster; . . . quelques renvois significatifs au roman de Chrétien; . . . quelques observations ponctuelles sur la langue et le style» (98- 99) eingegangen wird. Zu den Notes ist nun allerdings zu sagen - und das ist meine erste kritische Bemerkung zur Textedition - daß sie bei weitem zu knapp geraten sind und leider überhaupt nicht auf inhaltliche Probleme eingehen. Gerade im letztgenannten Bereich hätte sich der Editorin die Möglichkeit geboten, das spezifisch Neue der burgundischen Prosaversion im Vergleich zu Chrétiens Roman herauszuarbeiten. An diesen Editionsteil schließt sich sodann die textkritische Ausgabe der Passagen der Handschrift P (ff. 213v o - 222r o ) an, die in Manuskript B keine Entsprechung finden (224-36), sowie des Fragments der Handschrift O (237-38). Ich frage mich - und das ist meine zweite kritische Bemerkung zur Textedition - warum zu diesen Textabschnitten keine Notes angefügt werden. Denn immerhin bietet das Fragment von O, wie M. Colombo Timelli selbst hervorhebt, die Möglichkeit, «de combler une lacune du manuscript parisien [= P]» (15); und auf der Basis der Lesarten von P kann so manche Stelle in B korrigiert werden. Das hätte unbedingt einer Kommentierung bedurft. In der ausführlichen «Introduction» (9-99) bietet Maria Colombo Timelli dem Leser die für das Verständnis des Textes notwendigen Hintergrundinformationen. Zunächst (9-15) werden hier die drei Handschriften beschrieben; und an späterer Stelle (64s.) wird aufgezeigt, daß die Versionen von B, P und O zwar insgesamt auf einen gemeinsamen «archétype α » (66) zurückgehen, daß P und O ihrerseits aber in vielen Abscnitten «sans doute la même origine» (15) haben, nämlich in einem «sub-archétype γ » (66). Dies wird in minuziöser und überzeugender Weise durch einen Vergleich der drei Versionen (Unterschiede, Übereinstimmungen) nachgewiesen (44-66). Sodann geht es M. Colombo Timelli in der Introduction darum nachzuweisen, daß die burgundische Prosaversion von Chrétiens Werk nicht, wie es noch G. Paris in seiner Rezension zu der oben erwähnten Edition von Foerster formuliert hatte, «une très médiocre rédaction en prose du XV e siècle» 4 ist, sondern vielmehr «un témoignage essentiel dans l’histoire de la réception du poète champenois à la 332 Besprechungen - Comptes rendus 4 Romania 13 (1884): 446. fin du Moyen Âge» (hintere Umschlagseite) darstellt. Um dies zu erkennen, so führt sie aus, sei es notwendig, den Bezug der Prosaversion «à son époque et à son publique» (20) zu berücksichtigen und «le piège du rapport exclusif avec la source» (20) zu vermeiden. Dem kann ich nur ganz zustimmen. Nicht mehr zustimmen kann ich dann allerdings M. Colombo Timelli in der Art und Weise, wie sie diese These nachzuweisen versucht. Hier vergleicht sie (15-44) einzig und allein Chrétiens Werk mit der Prosaversion. Bei diesem Vergleich werden zwar einige überzeugende Ergebnisse erbracht: Nicht-Erwähnung von Enide in den Kapitelüberschriften der Version B; unterschiedliche Gestaltung der Monologe und Dialoge bei Chrétien und in der Prosafassung; Wandel von histoire (so Chrétien) zu compte (so Prosaversion); Unterdrückung der psychologischen Dimension in der Prosafassung u. a. Wenn man aber nachweisen will, daß die Neufassung eines Stoffes dem Zeitgeschmack angepaßt ist, und wenn man richtigerweise betont, daß der ausschließliche Vergleich Chrétien - Prosaversion zu «appréciations . . . viciées» (19) führt, dann darf man sich selbst anschließend nicht allein auf eben diesen Vergleich beschränken. Hier hätten zeitgenössische Quellen (Chroniken, Viten u. a.) in die Analyse einbezogen werden müssen. Und in diesem Zusammenhang hat es nun absolut auch keinen Sinn, da keinerlei Beweiswert, die Anzahl der Verse bei Chrétien mit der Anzahl der Zeilen in der Prosaversion zu ermitteln und in Prozenten miteinander zu vergleichen (30-33 und Annex 2 [242]) und über den «accueil que notre Erec reçut dans le milieu même qui l’avait produit» (21s.) zu spekulieren. Die Einleitung hätte im übrigen an Wert gewonnen, wenn auf derartige wiederholt zu findende spekulative Äußerungen (16s., 28, 33s., 50s. u. a.) sowie auch auf die zahlreichen didaktisierenden Passagen (16, 18, 24, 33 u. a.) verzichtet worden wäre. Schließlich bietet M. Colombo Timelli in der Einleitung eine umfassende und sehr überzeugende Analyse der Sprache der Handschrift B (67-96). Der Edition sind am Ende beigegeben: fünf Annexe (239-55) (Verwendung von compte und histoire in den Handschriften B und P; Vers- und Zeilenlänge in Chrétiens Werk und in der Prosafassung; Kapitelüberschriften in B und P; «Interventions d’auteur» (246s.) und Kollation der Manuskripte B, P, O; drei «Table(s)» (257s.) (Eigennamen, Personifikationen und Sprichwörter); ein umfangreiches «Glossaire» (267-326),in dem erfreulicherweise «les termes qui n’ont pas survécu dans le français d’aujourd’hui», . . . «les mots dont le sens ou l’emploi ont varié» (267) erklärt werden, sowie schließlich eine umfassende Bibliographie (327-45). M. Colombo Timelli hat eine (von einigen kleinen Einschränkungen abgesehen) überzeugende, von enormem Fleiß und profunder Sachkenntnis zeugende Edition vorgelegt und damit eine seit langem vorhandene Forschungslücke geschlossen. Dafür gebühren ihr Dank und Anerkennung. Der Nachweis jedoch, daß die burgundische Prosaversion gegenüber der Originalfassung Chrétiens nicht «le simple ‘dérimage’ de l’œuvre originale» (hintere Umschlagseite) ist, sondern vielmehr «des critères d’acculturation . . . indispensables pour une approche objective . . . de la littérature bourguignonne» (20) liefert, ist ihr jedoch wegen ihres verfehlten methodischen Vorgehens nur zum Teil gelungen. A. Arens H Takeshi Matsumura (éd.), Jourdain de Blaye en alexandrins. Edition critique par T.M., 2 vol., Genève (Droz) 1999, lxxviii + 1162 p. (TLF 520) Späte chansons de geste in Alexandrinern, zudem noch aus mittelfranzösischer Zeit, gehören nicht gerade zu den Lieblingsobjekten der Mittelalterphilologie. Dabei sind sie keineswegs nur klägliche Dekadenzprodukte, wie oft behauptet wird, sondern dürfen in vie- 333 Besprechungen - Comptes rendus