Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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2003
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Kristol De StefaniLiber de pomo/Buch vom Apfel. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Elsbeth Acampora-Michel, Frankfurt (Klostermann) 2001, 203 p.
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Arnold Arens
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210 Besprechungen - Comptes rendus kritisch angemerkt - für einen Leser recht schwer rezipierbar. Denn man muß stets den entsprechenden Teil der in den vorangehenden vier Bänden enthaltenen Edition zur Hand haben; begrüßenswerter, da leichter lesbar, wäre es gewesen, wenn sich die hier gelieferten Kommentare in einem kritischen Apparat zur Edition jeweils unten auf einer Druckseite befunden hätten. Und außerdem ist es (zumindest zunächst einmal) schwierig, sich in der Fülle der verwendeten Abkürzungen zurecht finden, wie z. B. «c 13, 14 et 15 can les c 13, 14 et 15 sont des paleas absentes également dans les mss lat. ABCEGH et L» (123). Den fünften Teil des Werkes bildet dann ein «Glossaire» (426-76), dessen Ziel es ist, eine Hilfe zu bieten für «la lecture du texte édité et la comparaison de la traduction avec le texte latin» (426). Angesichts der Tatsache, daß M. T. Matsumura aus Tokoyo bereits an der Erstellung eines umfassenden Glossars der Übersetzung arbeitet (cf. 1 und 426), hat sich L. Löfstedt hier auf dieses recht kurze Glossar beschränkt und außerdem auf «les listes des noms de personnes . . . et de lieux» (426) verzichtet. So begrüßenswert das Unternehmen des japanischen Kollegen sein mag, es hat zur Folge, daß man, um die altfranzösische Fassung von Gratians Dekret ganz nutzen will, mindest drei verschiedene Bände einsehen muß: den jeweiligen Editionsband von L. Löfstedt, den hier angezeigten Kommentarband und das vollständige Glossar von M. T. Matsumura, wenn dieses ediert ist. Eine umfassende und mit größter Sorgfalt erstellte «Bibliographie» (477-81) beschließt diesen Band. Zusammenfassend ist festzuhalten: Trotz einiger im Grunde nur marginale Aspekte betreffende kritischer Anmerkungen kann L. Löfstedt nicht nur mit Freude, sondern mit berechtigtem Stolz auf die von ihr erbrachte Leistung blicken, deren Erträge sie in innerhalb von nur neun Jahren vorgelegt hat. Dazu muß man ihr einen ganz herzlichen Glückwunsch aussprechen. Die Mediävistik ist durch dieses Werk reich beschenkt worden. Natürlich sind noch viele mit dieser altfranzösischen Übersetzung zusammenhängende Fragen und Probleme zu lösen, wie es ja L. Löfstedt auch selbst sagt (1, 81); dies kann aber ab jetzt auf einer soliden und obendrein umfassend kommentierten Textgrundlage geschehen, und das ist schön so. A. Arens H Liber de pomo/ Buch vom Apfel. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Elsbeth Acampora-Michel, Frankfurt (Klostermann) 2001, 203 p. Bei dem Liber de pomo handelt es sich um einen der rund hundert Traktate, die im 13. und 14. Jahrhundert unter dem Namen des Aristoteles herausgegeben wurden. Das kurze pseudo-aristotelische Werk ist, wie man in dessen Prolog erfährt, die lateinische Übersetzung einer (von Abraham ibn H. asd y erstellten und 1235 in Barcelona erschienenen) hebräischen Fassung, die ihrerseits wiederum auf eine arabische Version des Textes zurückgeht. Die lateinische Übersetzung wurde im Jahre 1255 auf Veranlassung von Manfred (1232-66), dem Lieblingssohn des Stauferkönigs Friedrich II. (1194-1250), angefertigt, nachdem Manfred in Tagen schwerer Erkrankung das angeblich aristotelische Werk auf Hebräisch gelesen und durch dessen Lektüre Hilfe gefunden hatte. In dem von ihm verfaßten und dem Liber de pomo vorangestellten Prolog sagt Manfred: «Da sich dieses Buch bei den Christen nicht fand, haben wir es, weil wir es auf Hebräisch in einer Übersetzung aus dem Arabischen ins Hebräische gelesen hatten, nach unserer Genesung zur Belehrung vieler aus der hebräischen in die lateinische Sprache übersetzt» (75). Mit «übersetzt» ist hier wahrscheinlich gemeint ‘die Übersetzung veranlaßt’. Der Liber de pomo ist eine Nachbildung des platonischen Phaidon. Während bei Platon aber dargestellt wird, wie Sokrates an dem Tag, an dessen Abend er den Giftbecher leeren muß, seine Freunde um sich versammelt, ist es hier der von schwerer Krankheit gezeichne- 211 Besprechungen - Comptes rendus te Aristoteles, der im Angesicht des Todes seine Schüler um sich schart und ihnen seine Lehre über den wahren Sinn der Philosophie, den Sinn des Lebens, über das Sterben und das Weiterleben der Seele nach dem Tod vermittelt. Damit seine Kräfte für das lange Sprechen reichen, riecht Aristoteles an einem Apfel. Das Ende der Ausführungen fällt zusammen mit dem Fall des Apfels: In der Agonie des Todes beginnen die Hände des Philosophen zu zittern, der fallende Apfel ist Metapher und Tod zugleich. Dieser lange Zeit in Vergessenheit geratene kurze Traktat enthält zwar, wie Acampora- Michel in ihrer Einleitung auch feststellt, keine «tiefschürfende(n) philosophische(n) Gedankengänge», sondern ist vielmehr ein «Erbauungsbuch», eine «philosophisch begründete Anleitung zum richtigen Leben und Sterben» (4). Er ist aber insbesondere deshalb von großem philologischen Interesse, weil er zum einen ein Zeugnis der Neubewertung und Neuinterpretation des Aristoteles im Mittelalter ist; im Zuge der durch die Neuplatoniker eingeleiteten Harmonisierungstendenz wurde Aristoteles im platonischen Sinne uminterpretiert und war somit auch für eine monotheistische Kultur akzeptabel. Und der Traktat ist zum anderen von Bedeutung, weil er als «Ergebnis . . . eines hochkomplexen intertextuellen Mosaiks» (VII) Zeugnis abgibt von dem Weiterleben und der Umgestaltung griechisch-hellenistischer Kultur bei den Syrern und Persern, dann anschließend ab dem 9. Jahrhundert bei den Arabern und schließlich ab dem 11./ 12. Jahrhundert der Aufnahme und Umdeutung dieses Gedankengutes im jüdischen und christlichen Raum, vor allem in Spanien und Sizilien. All diese Probleme sowie weitere mit dem Verständnis des Liber de pomo zusammenhängende Fragen werden von E. Acampora-Michel in der insgesamt überzeugenden und äußerst informativen Einleitung zu dem von ihr besorgten Band behandelt (1-67). Hier wird der Leser u. a. über die philosophische Relevanz des Textes, über das geistige Leben am Hof der Staufer, über die Überlieferungsgeschichte der griechisch-hellenistischen Philosophie und speziell des Liber de pomo und dessen Quellen informiert; und es wird ihm ein minutiöser Vergleich des Liber de pomo mit den arabisch-persischen Versionen und dem platonischen Phaidon geboten. Zu diesen in der Einleitung gelieferten Ausführungen allerdings folgende kritische Anmerkungen: 1) Mehr als störend sind die zahlreichen Redundanzen; wiederholt wird vermerkt, daß der Liber de pomo dem platonischen Phaidon nachgebildet sei (VII, 3, 23 u. a.), daß Manfred die hebräische Version habe übersetzen lassen (VII, 11-12, 23, 24 u. a.), daß Manfred durch seinen Prolog Friedrich II. positiv darstellen wollte (6, 12) u. a. m. - 2) Es ist ein eindeutiger Widerspruch, wenn Abraham ibn H. asd y einerseits als «genauer Übersetzer» (27) seiner arabischen Quelle(n) bezeichnet wird, andererseits aber ausgeführt wird, daß sein Werk «mit Sicherheit keine wörtliche Übersetzung» (29) darstellt. - 3) Die Ausführungen zur Überlieferungsgeschichte des Liber de pomo sind und bleiben reine Vermutungen, da, wie Acampora-Michel auch ehrlicherweise sagt, «(b)is heute . . . kein arabischer Text bekannt (ist), von dem die hebräisch-lateinische Version als eine einigermassen wortgetreue Übersetzung zu betrachten wäre» (24). So verwundert es dann auch nicht, daß in diesem Abschnitt wiederholt Unsicherheit verratende Formulierungen gebraucht werden wie «Denkbar wäre», «könnte», «vielleicht», «wohl», «Möglich ist auch» (26-27) u. a. Der Einleitung folgt der lateinische Text des Liber de pomo (auf der linken Druckseite) nach der von M. Plezia 1960 besorgten Edition mit der deutschen Übersetzung (auf der rechten Druckseite) (69-130). Soweit ich feststellen konnte, ist die Übersetzung sehr gründlich und fehlerfrei erstellt, wenn man auch über einige Stilfragen (aber das ist eine Geschmacksfrage) streiten könnte. Und die recht umfangreichen Kommentare zum Text (103- 130) zeugen von großer Erudition. Sehr schön ist, daß dem Werk vier Textanhänge (die lateinischen Texte mit deutscher Übersetzung) beigegeben sind, so daß sich eine Gesamtsicht zur Aristoteles-Rezeption im Mittelalter, zum geistigen Leben am Stauferhof sowie auch zu 212 Besprechungen - Comptes rendus den wissenschaftlichen Interessen Manfreds ergibt. Bei den Anhängen handelt es sich um die Epistula Manfredi (1263), ein Begleitschreiben Manfreds zur Übersendung von an seinem Hof entstandenen Übersetzungen an die Pariser Faculté des Arts (131-37); um einen Auszug einer zwischen 1258 und 1266 von Manfred initiierten Disputatio über die Frage nach der Ordnung in der Welt (139-51); um die 1892 von D. S. Margoliouth erstellte englische Übersetzung The Book of the Apple der persischen Version eines Apfelbuches (153- 77); und schließlich um das im Kreis Kölner Thomisten und heute nur schwer zugängliche Poëma uetus de uita et morte Aristotelis, über dessen Entstehungsdatum man aber leider nichts erfährt (179-88). Zu bedauern ist allerdings, daß zu den im Anhang gelieferten Texten absolut keine Kommentare und Erläuterungen geboten werden. So stehen diese Texte in gewisser Weise völlig isoliert im Raum. Mein Gesamturteil: ein «opus minor», das aber von philosophisch-philologischer Bedeutung ist, wurde hier in einer überzeugenden Gesamtschau und Textpräsentation sowie Übersetzung und, was den Liber de pomo betrifft, informativer Kommentierung vorgelegt. A. Arens H Oskar Panagl/ Hans Goebl/ Emil Brix (ed.), Der Mensch und seine Sprache(n), Wien/ Köln/ Weimar (Böhlau) 2001, 284 p. (Wissenschaft, Bildung, Politik, hg. von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft 5) Im Jahre 2001, das politisch als Europäisches Jahr der Sprachen definiert war, veröffentlichte die Österreichische Forschungsgemeinschaft einen anschaulichen Dokumentationsband zum angegebenen Thema. Dieser geht auf einen «Österreichischen Wissenschaftstag» zurück, der im Oktober 2000 mit großer Beteiligung stattfand. Wir gehen im folgenden die einzelnen Beiträge kurz durch, setzen den einleitenden Aufsatz von Wolfgang Raible allerdings an den Schluß, da wir mit der Beurteilung der Herausgeber nicht einverstanden sind. Der sehr interessante Beitrag von G. Boehm (Basel), «Botschaften ohne Worte.Vom Sprachcharakter der bildenden Kunst» (253-77), muß in dieser Rezension leider entfallen, nicht wegen der komplizierten Metaphorik der linguistischen Begriffe in der Kunstgeschichte, was dem Autor übrigens vollkommen klar ist, sondern aus Gründen der Systematik.Also: Man ist sich mit H. Haider (Salzburg), «Spracherwerb, Sprachverlust, Sprachvermögen» (25-26), über den hier angesprochenen Problemkomplex seit der berühmten Rezension von Chomsky zu Skinner heutzutage im Grunde einig. Wir gehen hier deshalb nicht weiter darauf ein; doch sei darauf hingewiesen, daß die Darstellung Haiders in jeder Beziehung ausgezeichnet ist. Haider arbeitet als Linguist, wohl wissend, daß das Erkenntnisinteresse der in diesem Zusammenhang betroffenen Kognitionswissenschaften verschiedene Verfahren einschließt: Neurologie, Psychologie, Künstliche Intelligenz und Philosophie, soweit sie in Deutschland zur Zeit (neben der Literaturwissenschaft) wieder Mode geworden ist. Man erinnert sich beim Sprachwandel an die «unsichtbare Hand», die in den Sprachen offenbar vorhanden ist (cf. hier Donhauser, 72 und N15, ferner Posner, 84). K. Donhauser (Berlin), «Sprachentwicklung und Sprachwandel» (57-76), bewegt sich mit Deutsch und seiner historischen Tradition im Rahmen der klassischen Indogermanistik 1 . Neuere Sprachen stehen im übrigen nicht zur Diskussion, außer Französisch (62), dessen historische Situation wie üblich missverstanden wird. Nach Donhauser steht das Fran- 1 Zum Begriff des Germanischen vgl. T. Vennemann, gen. Nierfeld: «Zur Entstehung des Germanischen», Sprachwissenschaft 25 (2000): 223-69.
