Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
621
Kristol De StefaniMiora Avram/Marius Sala, Connaissez-vous le roumain? Traduit en français par Liana Pop, Bucarest (Éditions de la Fondation Culturelle Roumanie) 2001, 200 p.
121
2003
A. Gerstenberg
vox6210230
230 Besprechungen - Comptes rendus Miora Avram/ Marius Sala, Connaissez-vous le roumain? Traduit en français par Liana Pop, Bucarest (Éditions de la Fondation Culturelle Roumanie) 2001, 200 p. Mit dem «ansprechenden» Titel Connaissez-vous le roumain? liegt nun auch die französische Fassung des Einführungsbändchens zum Rumänischen von Miora Avram und Marius Sala vor, übersetzt von Liana Pop. Bereits erschienen sind zuerst die englische Fassung (May We Introduce the Romanian Language to You? , 2000) und die rumänische Originalversion Facet , i cunos , tint , cu limba român (2001). Wie die englische Fassung wurde auch Connaissez-vous le roumain? von der rumänischen Kulturstiftung Bukarest (Editura Fundat , iei culturale române) verlegt und trägt zudem das Emblem der Union Latine. Ernesto Bertolaja (Directeur de la Direction de la Promotion et de l’Enseignement des Langues, Union Latine) schreibt im Vorwort: «Nous considérons que la publication en français de la version roumaine de ce livre permettra une meilleure diffusion du roumain, langue officielle de l’Union Latine, au sein des pays membres, contribuant ainsi à la réalisation d’un des objectifs de l’Union Latine: la promotion des langues (néo)latines» (9). Um tatsächlich ein möglichst breites Publikum anzusprechen, sind die vier Kapitel des Buches in «différents niveaux de connaissance ou aires d’intérêt de nos lecteurs présumés» (11) angelegt: I. Carte d’Identité/ Curriculum Vitae (17-38; Mioara Avram); II. Le passé (39-96; Marius Sala), III. Le présent (97-164; Mioara Avram), IV. Annexes (165-99; Mioara Avram). Das auch typographisch klar gegliederte und somit leicht erschließbare erste Kapitel stellt wichtige Fakten über das Rumänische (Verbreitung, Herkunft, Sprachkontakte, sprachinterne Charakteristika) zusammen; bereits in diesem Abschnitt erhält die diachrone Sprachbetrachtung eigenes Gewicht. Abschließende Indications bibliographiques (32-38) zu Wörterbüchern, Grammatiken, Lehrwerken, Handbüchern und Nachschlagewerken runden diesen Überblick ab. Die historische Perspektive wird im zweiten Kapitel vertieft und durch zahlreiche, auf den innerromanischen Vergleich zugeschnittene sprachliche Beispiele illustriert. Auch werden forschungshistorisch kritische Fragen angesprochen (Faits incertains qu’il faudrait élucider, 66-69), deren Diskussion auf eine Entkräftung von Argumenten abzuzielen scheint, die gegen die Siedlungskontinuität einer romanisierten Bevölkerung im nördlichen Donauraum sprechen 1 . Während dieser zweite Teil sprachexternen Faktoren (in den Bereichen Sprachkontakte, Literatursprache) Beachtung schenkt und die Darstellung trotz der Auflistung zahlreicher Belege und hoher Faktendichte anschaulich ist, besteht der dritte Teil zum Großteil in einer detailreichen, dabei nicht immer übersichtlichen sprachinternen Beschreibung (Laut- und Schriftsystem, Morphologie, Syntax, Lexik, Wortbildung). Zuweilen fehlen notwendige Erklärungen und Beispiele, wie im Abschnitt Le verbe (125-31), wo zwar auf die Existenz von vier Konjugationen hingewiesen wird (125), diese jedoch nicht näher beschrieben werden, so dass die folgenden Erläuterungen zur Verbalmorphologie, die sich offenbar sogar an Lerner wenden, abstrakt bleiben (127). Im Bereich der Lexik wird ein weiteres Mal die historische Schichtung des Wortschatzes illustriert (140s.). Im Bereich der Slavismen (144) werden die jüngere Vergangenheit und soviétismes 2 jedoch gänz- 1 Zum neueren Forschungsstand cf. W. Dahmen, «Der Romanitätsgedanke: eine Konstante in der rumänischen Geistesgeschichte? », in: S. Grosse/ A. Schönberger (ed.), Dulce et decorum est philologiam colere. Festschrift für Dietrich Briesemeister zu seinem 65. Geburtstag, vol. 2, Berlin 1999: 1799-811; id., «Externe Sprachgeschichte des Rumänischen», in: G. Ernst/ M.-D. Glessgen/ Chr. Schmitt/ W. Schweickard (ed.), Romanische Sprachgeschichte (HSK 23.1.), Berlin/ New York 2003: 727-46. 2 Cf. E. Büchi, «Bols , evic, colhoz, stahanovist: les ‹soviétismes› du roumain comparés à ceux des autres langues romanes», ZrPh 119/ 2 (2003): 296-322. 231 Besprechungen - Comptes rendus lich ignoriert; jüngere Neologismen werden aufgeführt, aber kaum diskutiert (146). Der das dritte Kapitel abschließende Abschnitt zur Frage von Usage et Norme (163s.) ist äußerst knapp und thematisch auf die Tätigkeiten der Academia român beschränkt; so bleiben die Fragen nach der aktuellen Dynamik des rumänischen Diasystems und dem heutigen Spektrum frequenter Textsorten außen vor 3 . Nur wenige Zeilen gelten dem Thema . . . l’introduction et la diffusion des innovations linguistiques (164). Hier hätten die im Bereich von Neologismen angesprochenen Sprachkontakte näher erläutert werden können. Der Anhang schließlich umfasst ein buntes Spektrum von Exempeln: einen Beispieltext in rumänischer Sprache mit phonetischer Transkription (165s.); die ersten Artikel der rumänischen Verfassung (166-70), wobei typographisch auf die Vielzahl für frankophone Leser verständlicher Wörter hingewiesen wird; Mihai Eminescus Gedicht La steaua auf rumänisch und in wörtlicher sowie in freier Übersetzung (170-72); ein Verzeichnis von Wörtern und Syntagmen rum.-fr., gegliedert nach Themenbereichen wie Questions usuelles, Unités de temps, La politesse chez les Roumains (173-90) und schließlich kurze originalsprachige Zitate (dt., fr., it.; 190-99), die aus wissenschaftlichen Gesamtdarstellungen der rumänischen Sprache - von Meyer-Lübke bis zum LRL - unter dem Gesichtspunkt ausgewählt wurden, die Romanität der rumänischen Sprache hervorzuheben. Auf die rumänische Romanität bzw. Latinität hinzuweisen ist ein zentrales Anliegen des Buches. Anlass hierzu ist sicherlich gegeben: um der rumänischen Sprache als romanischer Sprache in der Öffentlichkeit (nicht nur der Union Latine) zu mehr Prestige zu verhelfen, und außerdem, um unter diesem Gesichtspunkt auch wissenschaftlich mehr Aufmerksamkeit zu wecken 4 . Zuweilen erscheinen jedoch die Resumés - auch in Anbetracht der Tatsache, dass eine Einführung nicht allzu kleinschrittig argumentieren kann - simplifizierend oder verzerrend (u. a.: «La formule (re)torna (torna), fratre - citation du vi e s. reproduite ultérieurement par les historiens byzantins - pourrait constituer le texte roumain le plus ancien et en même temps le texte roman le plus ancien qu’on connaisse» - zu blass folgt der Einwand: «mais sur le caractère non latin de la formule il y a encore des controverses», 19; «Le substrat thraco-dace n’a pas modifié la nature latine du roumain», 56; «C’est ce qui a rendu possible que le roumain reste la langue romane la plus latine de toutes», 80; «C’est ce qui a fait du roumain la plus latine des langues romanes», 94). Zudem stellt sich die Frage, warum die etymologische Vielfalt des rumänischen Wortschatzes offenbar «eingestanden» werden muss («Il est vrai que pour l’ensemble du vocabulaire, les éléments d’origine est-européenne et particulièrement slaves sont relativement nombreux», 140), um daraufhin eine Tugend sprachlicher «Gastfreundschaft» anzuführen: «Le nombre de mots empruntés (dans le vocabulaire général ou/ et dans les vocabulaires individuels) illustrent bien l’hospitalité [im Original fett gesetzt] du roumain, qui, de ce point de vue, est proche de l’anglais, du maltais ou de l’albanais, pour ne prendre que des langues européennes» (142). Terminologisch stellt die Lektüre einige Ansprüche an die Leser. Auch dadurch macht Connaissez-vous le roumain? die Herstellung des «premier contact» (13) mit dem Rumä- 3 Bezeichnenderweise fehlt auch ein Abschnitt zur Gegenwartssprache in den bibliographischen Hinweisen; ergänzenswert wären z. B.: A. Stoichit , oiu-Ichim, Vocabolarul limbii române actuale. Dinamic , influen t , e, creativitate, Bucures , ti 2001; I. Toma, Limba român contemporan . Privire general , Bucures , ti 2001. 4 Cf. W. Dietrich: «Das Rumänische ist also eine Balkansprache, die sich trotz ihrer Gemeinsamkeiten mit den übrigen Balkansprachen durch ihren romanischen Grundcharakter im Wortschatz wie in der Grammatik auszeichnet. . . . So gesehen ist das Rumänische eine der interessantesten und wichtigsten romanischen Sprachen, deren Erforschung gerade für uns im Westen besonders reizvoll, nützlich und notwendig ist», in: «Das Rumänische als Balkansprache», RGG 7/ 2 (2001): 153. 232 Besprechungen - Comptes rendus nischen, den das Buch bahnen möchte, nicht immer leicht. Dennoch bietet es einen konzisen und interessanten Überblick über zentrale Bereiche der rumänischen Sprache und Sprachgeschichte, deren vertiefende Behandlung zugleich angeregt wird. A. Gerstenberg H Otfried Lieberknecht, Allegorese und Philologie. Überlegungen zum Problem des mehrfachen Schriftsinns in Dantes Commedia, Stuttgart (Steiner) 1999, x + 256 p. (Text und Kontext 14) Das einfach formulierte Inhaltsverzeichnis - es zeigt allerdings schwierigste Gedankengänge an, wie man bald sieht - leuchtet wohl jedem Mediävisten und Kenner mittelalterlicher Dichtwerke unmittelbar ein: 1. Das Problem der Allegorie und Dantes Publikumserwartung (1-29); 2. Deutungsansätze der Danteforschung (31-58); 3. Biblischer Subtext und allegorischer Sinn: Paradiso 10/ 12 (59-119); 4. Zur Identifizierung der bibelexegetischen Quellen (121-32) und schliesslich: 5. Sonderprobleme der Zahlenallegorese (133-200). Alle diese Themenkreise mit gegenseitigem Zusammenhang wecken im potentiellen Leser der vorliegenden Untersuchungen starke Neugier und hohe Erwartungen. Diese werden denn auch, dies sei vorweggenommen, nicht etwa enttäuscht; eher denn fühlt man sich durch das zumeist in äusserster Verdichtung und in akribischer, wenn nicht pedantischer Darstellungs- und Formulierungsweise Gebotene beinahe überfordert. Das wohl als Einstiegshilfe für Uneingeweihte 1998 geschaffene Vorwort (vii-ix) lässt selbst dem Lernwilligen und Wissbegierigen gleichsam wenig Luft . . . Deshalb sei hier versucht, die Grundprobleme dieser wichtigen und für die künftige Forschung wegweisenden Dante-Studie in einer Art Komplexitätsreduktion, gewiss mit dem damit verbundenen Differenzierungsverlust, vereinfacht zu umschreiben. Die fundamentale Frage, ob Dante die in patristischer und mittelalterlicher Zeit in der Bibelexegese angewandte Methode für sein Dichtwerk in Anspruch nimmt und somit dessen Interpretation (mindestens stellenweise oder gar durchgängig) nach dem mehrfachen Schriftsinn fordert, wird erneut und ganz grundsätzlich aufgenommen. Wenn ja, können über Dantes Adaption der bibelexegetischen Methode auf das poetische Werk der «Commedia» wissenschaftlich haltbare Aussagen gemacht und sichere Ergebnisse bei der Textdeutung erzielt werden? Richtet sich ein Dichtwerk mit mehrfachen Sinnschichten wie die «Commedia» ununterschieden an die Menschheit insgesamt oder rechnet Dante mit einem in seiner Erwartung differenzierten Publikum (Lesern oder Hörern)? Richtete sich Dante an ein exegetisch versiertes Publikum, das in der Unterscheidung mehrfacher Sinnschichten geschult, intertextuelle Parallelen und Verweise zu erkennen vermochte, dann sind solche im «Commedia»-Text auch zu erwarten. Kapitel 2 sodann stellt die Charakterisierung der biblischen Deutungstradition in den Mittelpunkt, um schliesslich den für die Danteforschung durch Charles S. Singleton (vgl. die in der Bibliographie p. 237 aufgeführten Titel) vertretenen Interpretationsansatz bevorzugt weiterzuverfolgen. Scharfsinnig, zuweilen recht schonungslos rechnet der Verfasser Otfried Lieberknecht (fortan O. L.) mit den meisten Vertretern der Danteforschung bis heute ab. Am Beispiel der Weisheitslehrer im Sonnenhimmel (Par. 10/ 12) erfolgt in Kapitel 3 bei kritischer Durchsicht der bisherigen Kommentartradition wie auch der speziell quellenkundlich orientierten Forschung der Nachweis, dass intertextuelle Parallelen zur Bibel in erstaunlichem Ausmass verkannt wurden (65s.). Kapitel 4 nun will eine praktikable Quellenforschung aufzeigen. Die von Dante adaptierten exegetisch vorgegebenen biblischen
