eJournals Vox Romanica 62/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
621 Kristol De Stefani

Otfried Lieberknecht, Allegorese und Philologie. Überlegungen zum Problem des mehrfachen Schriftsinns in Dantes Commedia, Stuttgart (Steiner) 1999, x + 256 p. (Text und Kontext 14)

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2003
L.  Gnädinger
vox6210232
232 Besprechungen - Comptes rendus nischen, den das Buch bahnen möchte, nicht immer leicht. Dennoch bietet es einen konzisen und interessanten Überblick über zentrale Bereiche der rumänischen Sprache und Sprachgeschichte, deren vertiefende Behandlung zugleich angeregt wird. A. Gerstenberg H Otfried Lieberknecht, Allegorese und Philologie. Überlegungen zum Problem des mehrfachen Schriftsinns in Dantes Commedia, Stuttgart (Steiner) 1999, x + 256 p. (Text und Kontext 14) Das einfach formulierte Inhaltsverzeichnis - es zeigt allerdings schwierigste Gedankengänge an, wie man bald sieht - leuchtet wohl jedem Mediävisten und Kenner mittelalterlicher Dichtwerke unmittelbar ein: 1. Das Problem der Allegorie und Dantes Publikumserwartung (1-29); 2. Deutungsansätze der Danteforschung (31-58); 3. Biblischer Subtext und allegorischer Sinn: Paradiso 10/ 12 (59-119); 4. Zur Identifizierung der bibelexegetischen Quellen (121-32) und schliesslich: 5. Sonderprobleme der Zahlenallegorese (133-200). Alle diese Themenkreise mit gegenseitigem Zusammenhang wecken im potentiellen Leser der vorliegenden Untersuchungen starke Neugier und hohe Erwartungen. Diese werden denn auch, dies sei vorweggenommen, nicht etwa enttäuscht; eher denn fühlt man sich durch das zumeist in äusserster Verdichtung und in akribischer, wenn nicht pedantischer Darstellungs- und Formulierungsweise Gebotene beinahe überfordert. Das wohl als Einstiegshilfe für Uneingeweihte 1998 geschaffene Vorwort (vii-ix) lässt selbst dem Lernwilligen und Wissbegierigen gleichsam wenig Luft . . . Deshalb sei hier versucht, die Grundprobleme dieser wichtigen und für die künftige Forschung wegweisenden Dante-Studie in einer Art Komplexitätsreduktion, gewiss mit dem damit verbundenen Differenzierungsverlust, vereinfacht zu umschreiben. Die fundamentale Frage, ob Dante die in patristischer und mittelalterlicher Zeit in der Bibelexegese angewandte Methode für sein Dichtwerk in Anspruch nimmt und somit dessen Interpretation (mindestens stellenweise oder gar durchgängig) nach dem mehrfachen Schriftsinn fordert, wird erneut und ganz grundsätzlich aufgenommen. Wenn ja, können über Dantes Adaption der bibelexegetischen Methode auf das poetische Werk der «Commedia» wissenschaftlich haltbare Aussagen gemacht und sichere Ergebnisse bei der Textdeutung erzielt werden? Richtet sich ein Dichtwerk mit mehrfachen Sinnschichten wie die «Commedia» ununterschieden an die Menschheit insgesamt oder rechnet Dante mit einem in seiner Erwartung differenzierten Publikum (Lesern oder Hörern)? Richtete sich Dante an ein exegetisch versiertes Publikum, das in der Unterscheidung mehrfacher Sinnschichten geschult, intertextuelle Parallelen und Verweise zu erkennen vermochte, dann sind solche im «Commedia»-Text auch zu erwarten. Kapitel 2 sodann stellt die Charakterisierung der biblischen Deutungstradition in den Mittelpunkt, um schliesslich den für die Danteforschung durch Charles S. Singleton (vgl. die in der Bibliographie p. 237 aufgeführten Titel) vertretenen Interpretationsansatz bevorzugt weiterzuverfolgen. Scharfsinnig, zuweilen recht schonungslos rechnet der Verfasser Otfried Lieberknecht (fortan O. L.) mit den meisten Vertretern der Danteforschung bis heute ab. Am Beispiel der Weisheitslehrer im Sonnenhimmel (Par. 10/ 12) erfolgt in Kapitel 3 bei kritischer Durchsicht der bisherigen Kommentartradition wie auch der speziell quellenkundlich orientierten Forschung der Nachweis, dass intertextuelle Parallelen zur Bibel in erstaunlichem Ausmass verkannt wurden (65s.). Kapitel 4 nun will eine praktikable Quellenforschung aufzeigen. Die von Dante adaptierten exegetisch vorgegebenen biblischen 233 Besprechungen - Comptes rendus Stellen sollen in ihrer Herkunft identifiziert und in dem von Dante intendierten Verständnis präzisiert werden. Das letzte Kapitel (5) befasst sich mit einem ganzen Bündel methodischer Fragen im Rahmen der vorgegebenen Problematik: Insbesondere sollen sie sich hilfreich erweisen beim Aufspüren und Deuten von absichtsvollen Zahlenverwendungen in der «Commedia», die der Konstitution eines allegorischen Sinnes dienen. Dieses Vorhaben führt ungeahnt und überraschend weit, da O. L. mit erstaunlichem Kenntnisreichtum und mit Leidenschaft sämtliche Methoden der Zahlenexegese aus der Zeit der Patristik über das Mittelalter bis zur Moderne (hypothetisch postulierte Methoden) eingehend vorführt, um die für Dante historisch voraussetzbaren erkennen und am «Commedia»-Text evaluieren zu können. Sprach- und Literaturwissenschaft, die im Buchtitel genannte Philologie also, bilden zur bibelexegetisch fundierten Technik der Allegorese keinen unversöhnlichen Gegensatz, bringen Gewinn und Bereicherung an Textverständnis vor allem, wenn die von Dante beigezogene oder anvisierte bibelexegetische Quelle individualisiert zu werden vermag. Dante selbst nennt als seine theologischen Quellen einige Autoren und Werke, die zugleich als bibelexegetische Quellen fungieren konnten (121s.); es bedarf jedoch noch der Spezialforschung, um zu ermitteln, welche bibelexegetischen Kenntnisse Dante im einzelnen zum Tragen bringen wollte. Um die öfter hermetisch wirkende und manchmal fast schwindelerregende Studie von O. L. in ihrem Bemühen etwas eingehender zu würdigen, seien einige wenige Punkte eigens hervorgehoben. So wird Dantes eigene Stellungnahme zur exegetischen Praxis des mehrfachen Schriftsinns anhand des Widmungsbriefs an Cangrande und einer Stelle im Convivio (II,i,2-15) umschrieben und mit der diesbezüglichen bisherigen Danteforschung konfrontiert. Nach Auffassung von O. L. führt Dante im Convivio vor, wie mit einer partiellen Abweichung vom vierstufigen Modell in der Bibelexegese mehrfache Sinnebenen auch in der Dichterexegese gehandhabt werden können, wenn der gegebene Literalsinn des Textes nicht im geschichtlich-wörtlichen Sinne wahr zu sein hat. Für die Commedia habe Dante eine mehrfältige Sinndeutung nach dem Muster der Bibelexese durch die Theologen für notwendig gehalten. Aus der Perspektive der Publikumserwartung allerdings müsse mit Dante eine Trennlinie gezogen werden zwischen den «beati pochi», die das «Brot der Engel» am erhabenen Tisch verspeisen, und jenen «miseri», die sich wie das Vieh an «Gras und Eicheln» laben müssen. Für die Commedia rechnet Dante zwar mit beiderlei Publikumsgruppen (Par. II,1s.), besteht jedoch auf einer deutlichen Leser-Hierarchie: die «parvuli» haben sich in Anlehnung an die Speisemetaphorik des Apostels Paulus schlicht dem Literalsinn anzuvertrauen, während die Fortgeschrittenen, das heisst die mit der Methode der Bibelexegese vertrauten Gebildeten, sich auf die Suche nach den weiteren, «geistigen» Sinnbezügen machen dürfen. Der Weg von der Weide der «miseri» in die Gesellschaft der «beati pochi» steht bei Eigeninitiative zwar offen, wem es aber nicht gelingt, sich den «perfecti» anzuschliessen, fährt nach Dante eben nur «im kleinen Schiffchen», in piccioletta barca (Par. II,1). Die frühen Dantekommentare, so O. L., berücksichtigten zumeist nur einen zweifachen Schriftsinn, einen buchstäblichen und einen übertragenen. Die weiteren Sinnebenen der bibelexegetischen Tradition werden bis heute nur dort im Text der Commedia gesucht, wo dieser es selbst ausdrücklich verlangt. Eine solche Einschränkung wird von O. L. überzeugend bemängelt. Die Danteforschung erweise sich noch immer als ergänzungsbedürftig: die Vielschichtigkeit und Sinnfülle der Commedia müsste nach bibelexegetischer mehrfacher Auslegungsmethode erst recht herausgearbeitet werden. Auch Sinnparallelen zu Dantes eigenem spirituellem Entwicklungsgang und zur antiken Dichtung, etwa zur Unterweltreise des Aeneas, sowie Bezüge zu Orpheus, Jason, Hippolyt, Odysseus, die sogar als Präfigurationen von Dante eingesetzt werden können, sollten vermehrt berücksichtigt werden. Mit der Deutung der Weisheitslehrer im Sonnenhimmel (Par. 10/ 12) statuiert O. L. jedenfalls ein 234 Besprechungen - Comptes rendus eindrückliches, kaum überbietbares Exempel! Eine Vielzahl von Tabellen veranschaulicht nicht allein die bibelexegetisch möglichen Korrespondenzen, die sich als Interpretamente anbieten, auch traditionelle kosmische und andere Duodenare bestätigen in ihren Bezugsmöglichkeiten den von Dante mit Absicht angelegten mehrfachen allegorischen Sinn in der «Commedia». Fünf Empfehlungen an die heutige und künftige Danteforschung zur Überprüfung möglicher Verweisungsbezüge in der Commedia schliessen sich dem von O. L. gegebenen Beispiel an (118s.). Selbstverständlich muss das potentiell Mögliche stets daraufhin geprüft werden, ob es historisch gesehen von Dante überhaupt in Bezug gesetzt werden konnte. Ein knapp gehaltener Ausblick zum Schluss führt in die Praxis einer wissenschaftlichphilologisch kompetenten lectura Dantis zurück. Gefordert werden an der vorliegenden Untersuchung orientierte und geschulte Einzeluntersuchungen zur Commedia Dantes, deren Befunde - gleichgültig ob hinsichtlich einer mehrfältigen Allegorese positiv oder negativ ausfallend - den inhaltlichen wie formalen Mikroaufbau erschliessen helfen, um sodann auch für das Verständnis des Makroaufbaus förderlich zu werden. Dem unter dem höchsten Anspruch auf Sorgfalt und Präzision stehenden Buch (eine Anzahl Schreibversehen vermag dem keinerlei Abbruch zu tun; sinnstörend nur p. 87 N150: west-/ ostjordanisch? ) ist ein umfangreicher Anhang beigegeben (A. bis F., 203-56), das Abkürzungsverzeichnis, ein Quellenverzeichnis, die Liste der Dante-Ausgaben und -Kommentare, ein Verzeichnis der Sekundärliteratur und abschliessend ein Index nominum und Index rerum. L. Gnädinger H Rosario Coluccia, Scripta mane(n)t. Studi sulla grafia dell’italiano, Galatina (Congedo Editore) 2002, 176 p. Scripta mane(n)t ist ein Sammelband von 9 Arbeiten (davon zwei veröffentlicht), dessen verbindende Klammer die Graphie darstellt. Im Zentrum steht die tradizione scritta italiana, für die Beiträge 1-7 l’Italia meridionale und hier speziell Apulien. Der thematische Rahmen umfasst nicht nur die Literatursprache (z. B. Libro di Sidrac salentino nr. 3), sondern auch die Urkundensprache (notai pugliesi nr. 5). In jedem Artikel werden auch die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge reflektiert, z. B. in 1. La situazione linguistica dell’Italia meridionale al tempo di Federico II (7-26) oder 6. Gli esordi del volgare in Puglia tra integrazione e spinte centrifughe (69-84). Der vorliegende Sammelband gibt für Italien und im speziellen für Süditalien wichtige Hinweise für die Scripta-Forschung, die vor allem für die Galloromania eine 50-jährige Tradition aufweist (seit Remacle 1948) und für jenen Sprachraum sowohl für die literarische wie auch für die administrative Skripta zu gesicherten Ergebnissen geführt hat. 1 Sammelbände bergen die Gefahr einer zu weiten zeitlichen Streuung und der Wiederholung von Argumenten. Alle hier vereinten Beiträge stammen aus den letzten 14 Jahren (1988-2002), ausgenommen Artikel 3, Confluenza di tradizioni scrittorie nel Libro di Sidrac salentino (1974), der aber in Klammerzusätzen bibliographisch aktualisiert wurde; auch Wiederholungen kommen selten vor.Vorbildlich ist die dem neuesten Forschungsstand entsprechende Gesamtbibliographie (127-52), der Wortindex (154-64) und das Namensverzeichnis (165-74). Vielleicht hätte man als letzte Stufe der Perfektion noch einen Sachindex beigeben können, der z. B. enthalten hätte: lingua degli ebrei 17, 29; Bedeutung des Skripto- 1 M. Pfister, «L’area galloromanza», in: P. Boitani/ M. Mancini/ A. Vàrvaro (ed.), Lo spazio letterario del Medioevo. 2: Il Medioevo volgare, vol. II. La circolazione del testo, Roma 2002: 13-96.