Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2004
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Kristol De StefaniChristiane Wanzeck, Zur Etymologie lexikalisierter Farbwortverbindungen. Untersuchungen anhand der Farben Rot, Gelb, Grün und Blau,Amsterdam/New York (Rodopi) 2003, xv + 428 p. (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 149)
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2004
Joachim Lengert
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parenté directe et légitime. L’ouvrage se clôt par une rétrospective et des remerciements de H. Spilling (493-94), la liste des participants (495), une table des manuscrits et documents cités (497-505), une table des illustrations (506-09). M.-C. Gérard-Zai ★ Christiane Wanzeck, Zur Etymologie lexikalisierter Farbwortverbindungen. Untersuchungen anhand der Farben Rot, Gelb, Grün und Blau,Amsterdam/ New York (Rodopi) 2003, xv + 428 p. (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 149) Farbbezeichnungen haben in der Linguistik nicht nur bei Semantikern und Ethnolinguisten, sondern auch in ihrer Funktion als Komponenten phraseologischer Einheiten Interesse gefunden, aber umfangreiche Studien wie die vorliegende sind selten. Die 1996 als Dissertation in München vorgelegte, primär germanistische, aber auch für den Romanisten nicht ganz uninteressante Arbeit wurde, so die Autorin, für die Drucklegung überarbeitet 1 . Nach einer kurzen Einleitung (1-7) folgen allgemeinphraseologisch orientierte summarische Ausführungen zu Definition, Klassifikation sowie Entstehungs- und Fixierungsprozessen der «Farbphraseologismen» (9-48), bevor der Hauptteil der Arbeit die Beschreibung der Phraseologismen (im folgenden: Phr) mit den ausgewählten Komponenten beinhaltet (49-343). Eine theoretische Systematisierung der Motivation der Farbphraseologismen (347-64) resümiert die Resultate der Untersuchung, ein Anhang (365-428) beinhaltet Siglenverzeichnis, die umfangreiche Bibliographie und einen Sach- und Phraseologismenindex. Der einführende theoretische Teil kann in Anbetracht seiner Kürze nicht viel Neues beitragen, was sowohl für die Klassifikation der Farbphraseologismen wie auch in den in starkem Maße auf Seebold (1981) 2 beruhenden Ausführungen zur Entstehung von Phr gilt, die selektive germanistische Titel resümieren. Der für den Leser interessanteste Teil liegt folglich in der Beschreibung der einzelnen Phr, die in den vier den ausgewählten Farbbezeichnungen gewidmeten Kapiteln derselben Strukturierung folgt: auf knappe, zwei bis drei Seiten nicht übersteigende Bemerkungen zu kulturgeschichtlichen Spezifika der jeweiligen Farben werden zunächst die auf «natürlichen Farbmerkmalen» basierenden Phr und dann die «farbsymbolischen», also auf diversen Idiomatisierungsprozessen beruhenden Phr interpretiert. Im Inneren dieser beiden Haupttypen wird dieser semantische Klassifikationsansatz jeweils fortgeführt - in der Unterscheidung verschiedender Grade von Idiomatisierung - wie auch, darüber hinaus, eine binäre morphosyntaktische Subklassifikation angewandt, die zwischen adnominalen und nicht-adnominalen Phr differenziert. Letzterer Ansatz ist insofern problematisch, da er die Frage nach der realen Fixierung der Phr auslässt: bestehen adnominale Phr nur aus einer NP des Typs «Adj.-Subst.», oder beinhalten sie obligatorisch ein fixiertes Verb, so dass es besser wäre, sie ganz traditionell als verbale Phr zu klassifizieren? Das Buch weist eine Reihe von Problemen auf. Da ist zunächst die Korpusbildung, die durchaus lückenhaft ist. Die Einengung auf vier Grundfarben mag man bedauern, sie ist aber im Sinne der Begrenzung des Objektbereiches nachvollziehbar. Man akzeptiert auch, dass manche Typen von Phr wie die festen Vergleiche ausgelassen worden sind. Weniger 255 Besprechungen - Comptes rendus 1 Wobei durchaus hinsichtlich neuerer Titel Lücken in der Literaturverarbeitung auftreten (zumindest aus romanistischer Sicht), es fehlt z. B. A. Mollard-Desfour, Le Dictionnaire des mots et expressions de couleur du XX e siècle. Le Rouge, Paris 2000. 2 E. Seebold, Etymologie. Eine Einführung am Beispiel der deutschen Sprache, München 1981. verständlich ist dagegen, dass Belege aus Werken, die in der Bibliographie der Autorin erscheinen, unberücksichtigt bleiben. Beispiele hierfür aus Küpper 3 : gelbe Engel ‘Pannenhilfsdienst eines Automobilklubs’ (2, 740), gelb quatschen ‘geziert reden (auf junge Damen bezogen)’ (3, 1023), gelbes Gewerbe ‘Prostitution’ (3, 1074), gelber Onkel ‘Rohrstock’ (6, 2080s.) etc. 4 Nicht zum Vorwurf machen kann man der Autorin, dass sie Varietäten nur unsystematisch berücksichtigen konnte, beispielsweise die Dialekte; es ist im Gegenteil positiv zu werten, dass die Perspektive nicht nur die Standardsprache umfasst. Es fällt auf, dass nominale Phr im Korpus deutlich bevorzugt sind. Ein Blick in den Index s. grün verdeutlicht symptomatisch die Proportionen, wobei im übrigen die formale Interpretation und Repräsentation von Phr hinsichtlich der Fixierung ihrer Komponenten und somit ihre Klassifizierung von der Autorin durchaus uneinheitlich gehandhabt werden kann (z. B. (etwas) vom grünen Tisch aus (entscheiden) beurteilen [122], . . . (entscheiden/ beurteilen) [424] versus etwas auf der grünen Wiese errichten [98, 424] - was ist hier fixierte Komponente des Phr, was betrifft seine Valenz? ): nominale Phr 69 (71,9 %), verbale Phr 19 (19,8 %), Satzphr (darunter ein Sprichwort) 5 (5,2 %), adverbielle Phr 3 (3,1 %). Inwiefern diese sich bei den anderen Farbbezeichnungen wiederholende Verteilung der Materialien die tatsächliche sprachliche Situation oder nicht etwa Strategien der Korpusbildung widerspiegelt, sei dahingestellt, nicht nur im Bereich der Sprichwörter wäre sicher noch die eine oder andere Ergänzung zu treffen. Ein ganz anderes, wenngleich seltenes Problem ist die Differenzierung zwischen lexikalisierten und okkasionellen Phr, so wenn ein allem Anschein nach nur bei Schiller bezeugter phraseologischer Hapax wie grüner Brief hier (112s.) behandelt wird. Kritische Anmerkungen lassen sich auch zur historischen Interpretation der Phr durch die Autorin treffen. Zum Teil fehlen konkrete Nachweise für die historisch-etymologische Erklärung, so (124) ach du grüne Neune! , was hier an alle Neune! im Kegelspiel angebunden wird, ohne dass außer der formalen Ähnlichkeit der Konversion Belege für diese Etymologisierung beigebracht werden - es handelt sich also um eine spekulative Hypothese, die allerdings eine gewisse formal-semantische Wahrscheinlichkeit für sich hat 5 .Aus dieser Perspektive wäre auch ein positivistischerer Umgang mit Erstbelegen, die nicht immer genannt werden, wünschenswert gewesen. Die historische Interpretation hebt bevorzugt auf außersprachliche Phänomene ab und versucht, eine entsprechende sach- und kulturgeschichtliche Dokumentation zusammenzutragen, eine Betrachtungsweise, die durchaus im Sinne der traditionellen historischen Phraseologieforschung zu sehen ist.Auf diesem Hintergrund ist verständlich, dass die abschließenden Ausführungen zur Entstehung der betrachteten Phr knapp bleiben und im wesentlichen drei Typen von Motivation herausarbeiten, nämlich durch formale Merkmale des Nomens, durch nicht explizite Formmerkmale «aus dem weiteren Kontext des Bezugsnomens» (352) - wobei der Terminus Kontext durchaus diffus verwandt wird (sprachlich oder außersprachlich? ) und man selbigen «Kontext» z. B. für Gefahr in dem hier als Beispiel genannten Phr gelbe Gefahr präziser benennen müsste als in der Paraphrase ‘gefärbte Haut’ - sowie durch eine lexikalisierte, von der ursprünglichen Bedeutung partiell oder völlig divergente Semantik des Farbadjektivs. Der romanistische Anteil des Buches ist im allgemeinen vernachlässigenswert. Quantitativ gesehen ist er deutlich geringer. So stehen laut Index den 96 dt. Phr mit der Kompo- 256 Besprechungen - Comptes rendus 3 H. Küpper, Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache, 8 vol., Stuttgart 1982-84. 4 Dasselbe gilt im übrigen für Bedeutungsnuancen. So wird (80s.) gelbe Gefahr ‘von den ostasiatischen Völkern ausgehende Gefahr’ besprochen, abgeleitete Bedeutungen, die in Küpper, 3, 1004 stehen (‘Bananenschale’, ‘Möhren’, ‘Prügelstock des Lehrers’ etc.) jedoch - als für die Betrachtung irrelevant? - vernachlässigt. 5 Cf. dazu E. Riesel, Der Stil der deutschen Alltagsrede, Moskva 1964: 246, die auf die grüne Neun im Kartenspiel verweist. nente grün nur 13 fr. und je zwei it. und sp. Phr gegenüber; zudem dienen die romanischen Belege zumeist der Illustration oder werden als Parallelen zu ähnlichem dt. Material angeführt. Die Dokumentation ist lückenhaft 6 , was dazu führen kann, dass die Präsentation von Belegen verfälscht wird, so wenn ein Archaismus wie (58) livre rouge auf der Basis von Littré als Element des heutigen Fr. dargestellt wird («In der französischen Justiz bezeichnet [! ] livre rouge ein Buch, sur lequel on enregistrait [! ] les défauts prononcés à l’audience») 7 . Das kann bis zu fehlerhaften Darstellungen führen, so wenn (85) fr. le jaune d’œuf als vorgebliches Äquivalent von dt. etwas ist nicht das Gelbe vom Ei präsentiert wird. Zumindest im Gegenwartsfr. ist nur die eigentliche Bedeutung gängig (GLLF, GR und TLF, dementsprechend fehlt eine figurative phraseologische Verwendung in - von Wanzeck nicht genutzten - phraseologischen Standardwörterbüchern wie Duneton und Rey/ Chantreau) 8 . Dabei gelingt es der Autorin durchaus, kritisch an die Thematik heranzugehen, so wenn sie (290, N1184) die Etymologisierung von fr. sang bleu durch die Fluchformel par sang bleu zurückweist 9 . Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Buch von Wanzeck weniger als theoretischer Entwurf im Rahmen der diachronen Phraseologie als vielmehr als sehr materialreiche Studie überzeugt, die zu den behandelten dt. Phr eine Fülle von außersprachlichen Informationen, aber ebenso (zumeist literatur-)sprachlichen Belegen zusammengetragen hat. In einigen Fällen, so bei blauer Montag, dessen Darstellung sich auf mehr als 50 Seiten erstreckt (157-211), ist das Resultat eine umfängliche phraseologische Studie - und stellt so für die historische Interpretation der ausgewählten Materialien sicher eine Referenz dar. Speziell für den Romanisten scheinen einzig die Ausführungen zu sp. sangre azul etc. (290- 315) von Interesse. J. Lengert ★ 257 Besprechungen - Comptes rendus 6 Nur zwei Beispiele: Zu dem (55) beiläufig zitierten fr. faire chanter le coq rouge zu dt. jmd. seinen roten Hahn aufs Dach setzen cf. weitere Informationen in dem hier fehlenden Beitrag von E. Legros, «L’incendie dénommé ‹le coq rouge› ou ‹la chèvre rouge›», in: Enquêtes du Musée de la Vie Wallonne 9 (1960-62): 253. Der Nachweis von lateinamerikanisch sangre azul ‘Mischling’ nur aus zwei fr. Quellen, nämlich Littré und dem Larousse du XX e siècle (wobei letzterer nicht, wie hier «zitiert», auf deutsch schreibt und zudem auf Littré fußt, so dass es sich wohl um eine einzige Quelle handelt), ist etwas dürftig; der Leser hätte gern unterstützende Belege z. B. aus der Lexikographie des lateinamerikanischen Spanisch. Die Beobachtung gilt übrigens auch für das Englische, so wenn hier (145) blau sein ‘betrunken sein’ erwähnt wird, nicht aber das australienengl. Äquivalent blue ‘drunk’, cf. E. Partridge, A Dictionary of Slang and Unconventional English, vol. 1, London 1970: 69. 7 So E. Littré, Dictionnaire de la langue française, Paris 1878, hier 4, 1766c s. rouge, wo dieser nominale Phr explizit als Archaismus (‘anciennement’) markiert wird. Anders definiert im übrigen Littré 3, 327a s. livre: ‘registre sur lequel étaient portées les dépenses secrètes de la cour, pendant les règnes de Louis XV et de Louis XVI’ - ein Hinweis darauf, dass man in den Wörterbüchern nicht nur die den entsprechenden Farbbezeichnungen gewidmeten Artikel hätte konsultieren sollen. 8 Der beigebrachte Beleg aus dem dt.-fr. Wörterbuch von Peter Rondeau (1740) wäre im übrigen zu überprüfen, denn auch Wörterbücher der Zeit (cf. Dictionnaire de l’Académie française, vol. 1, Paris 1694: 581 s. jaune) verzeichnen den dort aufgeführten idiomatisierten Gebrauch nicht. 9 Ein weiteres Indiz für die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorschlags findet sich in der materialreichen Arbeit von R. Zöckler, Die Beteuerungsformeln im Französischen, Chemnitz/ Leipzig 1906, der p. 62 nur parsambleu etc. und par la sambleu, nicht aber einfaches sambleu nachweisen kann. Die in der Einleitung (21) von Wanzeck noch stehen gebliebene Einordnung von sambleu/ sangbleu als Farbphraseologismus ist natürlich falsch.
