Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
631
Kristol De StefaniDanièle Godard (ed.), Les langues romanes. Problèmes de la phrase simple, Paris (CNRS Éditions) 2003, 436 p.
121
2004
Andreas Schor
vox6310258
Danièle Godard (ed.), Les langues romanes. Problèmes de la phrase simple, Paris (CNRS Éditions) 2003, 436 p. Das Buch enthält 7 Studien zu Problemen des einfachen Satzes in einer gesamtromanischen Perspektive, wobei jeweils die Hauptsprachen (Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Rumänisch, manchmal auch Katalanisch) berücksichtigt werden. Diese Berücksichtigung aller romanischen Hauptsprachen unterscheidet diese Untersuchungen von anderen, die meist einer Sprache gewidmet sind oder die vielleicht den Kontrast zwischen zwei Sprachen hervorheben. Liliane Tasmowski und Sanda Reinheimer («Variations dans le radical du verbe roman») versuchen zu zeigen, dass die Verben in allen romanischen Sprachen - ungeachtet der phonetischen Entwicklung aus dem Latein, die jeder von ihnen eigen ist - einem Restrukturierungssprozess unterliegen mit dem Ziel, einen einheitlichen Verbstamm herauszubilden. Dabei kommen die Autorinnen insbesondere zum Schluss, dass die Situation mit den drei lateinischen Stämmen für die Zeiten des infectum, des perfectum und des supinum in den romanischen Sprachen aufgegeben wird zugunsten einer Situation, in der der Stamm des Präteritum und des Partizips von demjenigen des Präsens abgeleitet wird. Die Strategien zur Regulierung sind dieselben für die Zeiten der Gegenwart und der Vergangenheit, nämlich der Übergang von stammbetonten Formen zur Betonung auf dem thematischen Vokal oder auf der Endung, die Vereinheitlichung des Vokalismus und schließlich die Regelung des Stammes vom Gesichtspunkt des Konsonantismus aus. Diese Regulierungsstrategien bedeuten eine teilweise Rückkehr zur ursprünglichen Situation, denn der Präsensstamm zeigte im Latein grundsätzlich keine Variationen und für die starken und schwachen Präterita haben die verschiedenen Untergruppen der Verben teilweise eine Verbindung mit der phonologischen Struktur des Etymon im infectum. Philip Miller und Paola Monachesi («Les pronoms clitiques dans les langues romanes») untersuchen die syntaktischen, morphologischen und phonologischen Eigenschaften der klitischen Pronomen in den romanischen Sprachen. Dabei zeigt sich, dass es eine große Vielfalt im Verhalten dieser Pronomen sowohl innerhalb einer Sprache als auch von einer Sprache zur anderen gibt. Die Autoren kommen jedoch zum Schluss, dass trotzdem in der Mehrzahl der romanischen Sprachen eine Tendenz besteht, wonach sich die klitischen Pronomen wie morphologische Elemente verhalten und dass ihre Eigenschaften denen der Flexionsaffixe nahe stehen. Ausnahmen bilden das Portugiesische und das Rumänische; in diesen Sprachen befinden sich die klitischen Pronomen in einem Zwischenstadium der Morphologisierung. Mit den komplexen Prädikaten in den verschiedenen romanischen Sprachen beschäftigen sich Anne Abeillé und Danièle Godard («Les prédications complexes dans les langues romanes»). Unter komplexem Prädikat versteht man eine Folge von Verben oder Prädikaten, die gegenüber gewissen syntaktischen oder semantischen Eigenschaften wie ein einziges Verb funktionieren. In den romanischen Sprachen gibt es dabei drei verschiedene Strukturen: die Struktur, die die Autorinnen als complexe verbal bezeichnen, die flache Struktur und die hierarchische Struktur. Wenn man einen Satz wie lo vuole dare a Maria anhand der drei Strukturen untersucht, gibt es im complexe verbal ein Nominalsyntagma (a Maria) und eine Verbgruppe, die sich in Verb (lo vuole) und einen Infinitiv (dare) unterteilen lässt. In der flachen Struktur werden ein Verb (lo vuole), ein Infinitiv (dare) und ein Nominalsyntagma (a Maria) aneinandergereiht. Die hierarchische Struktur setzt sich zusammen aus einem Verb (lo vuole) und einer Infinitivgruppe, die aus einem Infinitiv (dare) und einem Nominalsyntagma (a Maria) besteht. Bei der Untersuchung der komplexen Prädikate unterscheiden die Autorinnen zwischen attributiven Prädikaten, die in allen romanischen Sprachen eine flache Struktur aufweisen, und anderen komplexen Prädikaten 258 Besprechungen - Comptes rendus (temporale, kausative, aspektuelle, modale Hilfsverben und Bewegungsverben), bei denen jede romanische Sprache eine andere Struktur wählt (wobei das Rumänische nur eine Struktur für die temporalen Hilfsverben kennt, da bei den anderen Verben keine Infinitive möglich sind, cf. sp. Puedo hacerlo, rum. Pot s -l fac). Géraldine Legendre und Antonella Sorace («Auxiliaires et intransivité en français et dans les langues romanes») analysieren die intransitiven Verben insbesondere im Französischen und im Italienischen. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen inakkusativen Verben und inergativen Verben. Das einzige Argument der inakkusativen Verben ist ein Objekt in einer zugrunde liegenden Tiefenstruktur, das deshalb viele syntaktische Eigenschaften teilt mit dem direkten Objekt der transitiven Verben. Die inergativen Verben haben einziges Argument, ein Subjekt, das dieselben syntaktischen Eigenschaften wie das Subjekt der transitiven Verben aufweist. Dabei ist jedoch die Unterscheidung zwischen beiden Verbtypen nicht eindeutig, es gibt sogar Verben, die beiden Klassen angehören. Im Französischen und im Italienischen hat die Zuteilung zu einer der beiden Untergruppen Auswirkungen auf das gewählte Hilfsverb im Perfekt (être/ avoir, bzw. essere/ avere). Die Autorinnen schlagen eine Hierarchie vor, an deren oberen Ende die Verben, die eine Ortsveränderung anzeigen (arriver/ arrivare), stehen, während sich am unteren Ende, die Verben befinden, die einen kontrollierten Prozess ohne Bewegung (travailler/ lavorare) ausdrücken. Die Verben am oberen Ende der Hierarchie haben immer das Hilfsverb être bzw. essere, diejenigen am unteren Ende immer avoir bzw. avere. Bei den anderen ist die Wahl des Hilfsverbs das Ergebnis eines Konflikts zwischen den Regeln, die die Schnittstelle zwischen Lexik und Syntax bestimmen und die das eine oder das andere Hilfsverb begünstigen. Beim Studium der Substantive ohne Beziehungswort gehen Carmen Dobrovic-Sorin und Brenda Laca («Les noms sans déterminant dans les langues romanes») von der Hypothese «Die Substantive ohne Bestimmungswort bezeichnen Eigenschaften» (Jean est professeur) aus. Die Substantive ohne Bestimmungswort können jedoch auch in der Position des Arguments verwendet werden. Dabei lassen das Spanische, das Italienische und das Rumänische Substantive ohne Bestimmungswort im Plural zu: En el jardín hablaban mujeres. Nel giardino parlavano donne. În gr dina vorbeau femei. Im Französischen muss man in diesem Fall den Teilungsartikel des gebrauchen: Dans le jardin parlaient des femmes (in gewissen Kontexten). Im Portugiesischen, insbesondere im Brasilianischen sind Namen ohne Bestimmungswort weit verbreiteter als in den anderen romanischen Sprachen und können auch vor dem Verb stehen (was im Spanischen, Italienischen und Rumänischen nicht möglich ist): Mulheres falavam no jardim. Francis Corblin und Lucia M. Tovena («L’expression de la négation dans les langues romanes») beschäftigen sich mit der Negation in den romanischen Sprachen. Dabei stützen sie sich auf das Zusammenwirken von 3 Grundsätzen: 1. In einer grossen Zahl von Sprachen, ist es möglich, eine Variable des Arguments, die als Auswirkung der Verneinung des Verbs interpretiert werden muss, eindeutig zu markieren. 2. Es gibt eine Negation pro Verbalbereich und es kann höchstens zwei Verneinungen geben. 3. Es gibt eine Reihe von Einschränkungen bei der Verteilung der negativen Ausdrücke bei der Realisierung eines Satzes, die sich in den romanischen Sprachen als Variante einer einheitlichen Tendenz zur Stellung der Negation vor dem Verb betrachten lassen. Jean-Marie Marandin («Inversion du sujet et discours dans les langues romanes») untersucht, in welchen Fällen das Subjekt in den romanischen Sprachen nach dem Verb stehen kann. Er kommt zum Schluss, dass die Inversion nicht dazu herangezogen werden kann, um eine gewisse Informationsebene zu darzustellen. Ferner ist es nicht möglich, einen einfachen Bezug zwischen einer Konstruktion und einem Umstand der Annäherung an das Subjekt herzustellen. Mit anderen Worten greift die Inversion in den linearen Ablauf der Satzbestandteile und nicht in ihre hierarchische Position ein. 259 Besprechungen - Comptes rendus Am Schluss des Buches befindet sich eine Bibliographie, die aber nicht nach den in den einzelnen Beiträgen behandelten Sachgebieten unterteilt ist. Von den einzelnen Artikeln enthält nur derjenige von Liliane Tasmowski und Sanda Reinheimer eine kurze spezifische Bibliographie. Es wäre wünschenswert gewesen, dass die weiterführende Literatur jeweils im Anhang an die einzelnen Beiträge aufgeführt worden wäre, so dass man die Veröffentlichungen zum entsprechenden Thema einfach hätte überblicken können. Ansonsten gibt es an dem Band nicht viel zu kritisieren. Lediglich ein Übersetzungsfehler und ein Druckfehler sind mir aufgefallen: Im Artikel über die klitischen Pronomen (100) muss der Satz Nu tie c -l/ c-o/ c -i a teapt mama im Französischen mit (Il) ne sait (pas) que maman l’/ les attend übersetzt werden. Im Beitrag über die komplexen Prädikate (144) hat sich, ebenfalls in einem rumänischen Beispiel, ein Tippfehler eingeschlichen: Pentru a nu pierde tremul (richtig wäre trenul). Die im Buch vereinten Beiträge richten sich nicht an ein allgemeines Publikum, sondern an Spezialisten, die mit den neuesten Entwicklungen in der Linguistik und ihrer Terminologie vertraut sind. Die Beherrschung aller romanischen Sprachen wird nicht vorausgesetzt, denn die Beispiele, die nicht aus dem Französischen stammen, werden jeweils übersetzt. Für die interessierten Spezialisten enthalten die einzelnen Beiträge durchaus neue Erkenntnisse. Insgesamt wünscht man sich noch weitere solche gesamtromanischen Darstellungen von einzelnen Problemen der Sprachwissenschaft. Dabei ist die gesamtromanische Perspektive keineswegs ein Selbstzweck, denn gerade die Unterschiede, mit denen eine sprachliche Erscheinung in den einzelnen Sprachen auftritt, vermögen neue Ansatzpunkte für die Erklärung gewisser Phänomene zu bieten. A. Schor ★ Peter Blumenthal/ Jean-Emmanuel Tyvaert (ed.), La cognition dans le temps. Études cognitives dans le champ historique des langues et des textes, Tübingen (Niemeyer) 2003, 173 p. (Linguistische Arbeiten 476) Die grundlegende Idee des vorliegenden Bandes, der einige der Beiträge der von den Herausgebern veranstalteten Sektion zur kognitiven Semantik des Romanistentages 2001 in München (7.-10. 10. 01) umfasst, besteht in der Annahme von Schemata (s. schon bei Kant; cf. auch Nietzsche) oder mentalen Modellen, wie sie letztlich auch in der kognitiven Linguistik in der Formulierung von frames oder unter Rückgriff auf gestaltpsychologische Größen (Figur/ Grund) Verwendung finden. Auf der Basis solcher schemaorientierter Untersuchungen, die abstrakte und stabile lexematische Gehaltskerne aufzeigen helfen, rückt in der Semantik die Frage nach der Polysemie und Bedeutungsentwicklung sowie ihrer Erklärbarkeit wieder in den Vordergrund des Interesses. Die alphabetisch gegliederten Beiträge schließen somit neben der Auseinandersetzung in der Adaptierung des Figur- Grund-Schemas oder anderer kognitiv verankerter Strukturen zumeist auch die diachrone Perspektive ein (cf. die Vorbemerkung, 1-8). Der Beitrag von Martin G. Becker zeigt den Versuch, die gestaltpsychologischen Größen Figur und Grund für den Bereich der Textlinguistik fruchtbar zu machen («L’évolution cognitive et le principe ‹figure/ ground› dans l’organisation textuelle - l’exemple des chroniques», 9-26). Mit der qualitativen Prüfung der textuellen Organisation erfolgt die Bestimmung des Gleichgewichts zwischen Informationsgehalt und Rezeptivität des Textes. Für die Untersuchung wählt der Autor zwei Texte, zum einen Villehardouins Conquête de Constantinople (Anfang 13. Jh.) und de Commynes’ Mémoires (Ende 15. Jh.). Während im 260 Besprechungen - Comptes rendus
