eJournals Vox Romanica 63/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
631 Kristol De Stefani

Maria Iliescu/Guntram A. Plangg/Paul Videsott (ed.), Die vielfältige Romania. Dialekt – Sprache – Überdachungssprache. Gedenkschrift für Heinrich Schmid, Vigo di Fassa/ San Martin de Tor (Istitut Ladin Micurà de Rü/Istitut Cultural Ladin Majon di Fascegn) 2001, 335 p.

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2004
Sabine  Heinemann
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Leser, der regelmäßig Gottesdienste besucht, Zug fährt und/ oder seine Einkäufe auf dem Markt erledigt, durchaus mehrere Aha-Effekte hervorruft und die durchaus Anstoß zu weiteren Untersuchungen ähnlicher Bereiche gibt (wie z. B. der Prosodie von Fernsehmoderationen oder von Jahrmarktdurchsagen). A. Bianco ★ Maria Iliescu/ Guntram A. Plangg/ Paul Videsott (ed.), Die vielfältige Romania. Dialekt - Sprache - Überdachungssprache. Gedenkschrift für Heinrich Schmid, Vigo di Fassa/ San Martin de Tor (Istitut Ladin Micurà de Rü/ Istitut Cultural Ladin Majon di Fascegn) 2001, 335 p. Der von den Herausgebern ursprünglich als Festschrift zum 80. Geburtstag konzipierte Band, der aufgrund des bedauerlichen Todes von Heinrich Schmid im Jahre 1999 zur Gedenkschrift umgewidmet wurde, ist auf unterschiedliche Teilbereiche ausgerichtet, die das romanistische Arbeiten des Geehrten ausmachen, so insbesondere auf die Idiome Graubündens und der Dolomitentäler im Hinblick auf die Schaffung einer einheitlichen Schriftsprache. Den in Sektionen gegliederten Beiträgen geht neben dem Vorwort der Vorsitzenden der beiden dolomitenladinischen Kulturinstitute (entsprechend auf ladinisch, 5) ein solches der Herausgeber (auf deutsch und italienisch, 9, 11) sowie eine Präsentation des Menschen Heinrich Schmid durch seine Ehefrau Veronica Schmid-Bruppacher (13-15) und ein Schriftenverzeichnis (16-20) voraus. In der ersten Sektion zur Problematik der Dachsprache und ihrer Begrifflichkeit diskutiert Gaetano Berruto die Gegensatzrelation «überdachte» vs. «dachlose» Varietäten («Dialetti, tetti, coperture. Alcune annotazioni in margine a una metafora sociolinguistica», 23-40). Aufgrund der mangelnden soziolinguistischen Praktikabilität des Kloss’schen Begriffs der Dachsprache formuliert Berruto die Notwendigkeit einer Differenzierung in zwei Haupttypen der Dachsprache, eine solche auf soziokultureller und eine weitere auf sprachlicher Grundlage. Während letztgenannter Typ diasystematischen Bezug beinhaltet und somit etwa das Verhältnis der deutschen Standardsprache zu deutschen Varietäten z. B. in Italien beschreibt, ergibt sich der erstgenannte Typ aus der Relation zwischen Varietäten einer oder mehrerer Sprache(n) innerhalb eines territorialen Gefüges, das sich über die Nationenzugehörigkeit bestimmen lässt. So fungiert also das Italienische als Dach auf soziokultureller Basis nicht nur für die italienischen, sondern auch für deutsche, okzitanische etc. Varietäten. Im Falle homoethnischer Varietäten ist eine Koinzidenz beider Typen festzustellen, die letztlich zum Dachbegriff Kloss’ führt. Jakob Wüest spricht in seinem Beitrag diverse Faktoren an, die für Normierungsprozesse relevant sind (sprachpolitische Maßnahmen, Sprecherakzeptanz in derAnwendung des fraglichen Idioms auch in der schriftlichen Kommunikation, Schulsystem) und exemplifiziert diese vornehmlich am Okzitanischen («Sprachnormierung und Sprachausbau», 41-50). In der zweiten Gruppe der Beiträge, die unter «Rumantsch Grischun und Bündnerromanisch» zusammengefasst sind, stellt der erste (von Anna-Alice Dazzi Gross und Manfred Gross) einen Abriss über die Erfahrungen mit dem Rumantsch Grischun sowie über die Konzeption desselben seitens Heinrich Schmid dar («Erfahrungen mit der gesamtbündnerromanischen Schriftsprache Rumantsch Grischun», 53-73). Entgegen dem Ladin dolomitan erfährt die einheitliche Schriftsprache für die bündnerromanischen Varietäten mittlerweile größere Akzeptanz (so etwa auch bei Schriftstellern, die diesem Konstrukt Lebendigkeit verleihen). 277 Besprechungen - Comptes rendus Gerold Hilty zeigt in seinem Aufsatz den Bedeutungswandel des Partizips Perfekt von adunare auf, das nur selten fortgesetzt wird, so z. B. im Bündnerromanischen, für das sich hier Konversion (als Adjektiv kategorisiert) zeigt («Adunatus», 75-86). Maria Iliescu erläutert das semantische und syntaktische Verhalten der Präposition cum im Bündnerromanischen und Rumänischen («Die ‘logisch-semantische’ Präposition ‘mit’ im Surselvischen und im Rumänischen», 87-99). cum kommt verglichen mit anderen Präpositionen insofern eine Sonderrolle zu, als die Verwendung mit definitem Artikel durch die Bezeichnung spezifischer Referenten mittels des Substantivs motiviert zu sein scheint. Somit sind Abweichungen im Gebrauch mit bestimmtem und unbestimmtem Artikel erkennbar. Auf dieser Grundlage grenzt die Autorin cum als logisch-semantische Präposition von grammatischen, aktantiellen und deiktischen Präpositionen ab. Dieter Kattenbusch ermöglicht mit seinem Beitrag zu den Abtönungspartikeln (der Autor schlägt die Bezeichnung «Satzsinnmodifikatoren» auf der Basis der Relevanz dieser Elemente in der schriftlichen Kommunikation vor) einen Vergleich zwischen engadinischen und surselvischen jugendlichen Sprechern («Abtönung im (Unter-)Engadinischen», 101- 19). Auf der Basis der Studie von Dahmen 1999 (W. Dahmen, «Abtönung im Surselvischen», in: D. Kattenbusch (ed.), Studis romontschs, Wilhelmsfeld 1999: 199-214) erfolgt hier die Auswahl von 73 deutschen Kurzsätzen, die 13-16jährigen Schülern zur Übersetzung vorgelegt wurden. Im Vergleich zu den surselvischen Schülern greifen die engadinischen Probanden offensichtlich seltener auf deutschsprachige Elemente zurück (mit Ausnahme von jo, halt). Die Problematik einer solchen Untersuchung besteht natürlich in dem geringen Grad an Spontaneität schriftsprachlicher Äußerungen, wie sie durch die Übersetzungen evoziert wird, sowie in der Tatsache, dass sprechsprachlich weitere Möglichkeiten (para- und nonverbal) für die Fokussierung oder Abschwächung von Aussagen zur Verfügung stehen. Ricarda Liver untersucht das bündnerromanische Adjektiv multifar(i) ‘vielfältig’, ‘variiert’, ‘vielseitig’, das v. a. in der Zeitungssprache verwendet wird («Extravagante Neologismen im Bündnerromanischen», 121-32). Ein weiteres romanisch auffälliges Lexem - hinsichtlich seiner Bedeutungsentwicklung - stellt expectorar dar, das bündnerromanisch die ursprünglich affektive Komponente verloren hat und nurmehr ‘ausführen’, ‘darlegen’ bedeutet. Die folgenden Beiträge sind der Sektion «Ladin dolomitan und Dolomitenladinisch» untergeordnet. Auch hier bezieht sich der erste Beitrag auf die Konzeption der einheitlichen Schriftsprache. Während das Rumantsch Grischun bereits über ein gewisses Maß an Akzeptanz verfügt, lässt sich dies für das Ladin Dolomitan noch nicht sagen. Rut Bernardi («Ladin Dolomitan als Sprache der Literatur - Kann man auf Ladin Dolomitan Literatur schreiben? », 135-49) sieht hier nicht nur Probleme in der Syntax (s. z. B. die innerladinischen Diskrepanzen in den Verb-Adverb-Konstruktionen), sondern auch in der Förderung des Ladin Dolomitan im Hinblick auf textgebundene und experimentelle Arbeiten, die SPELL im Rahmen des Ausbaus der Autorin zufolge anstreben sollte. Der Beitrag von Fabio Chiocchetti behandelt die Pluralbildung im Fassanischen, das eine auffällige Generalisierung des Flexionsaffixes -es zeigt («Tendenze evolutive nella morfologia nominale ladino-fassana: il plurale maschile in -es», 151-70). Bekannt ist -es v. a. von der Pluralbildung femininer Lexeme, die singularisch auf -a auslauten. Möglicherweise hat die Generalisierung von -es auch für Maskulina ihren Ursprung in den Paradigmen der Adjektive (aufgrund der Kongruenz). Die Verwendung von -es lässt sich v. a. bei jüngeren Sprechern zunehmend auch bei Possessiva finden. Hans Goebls Beitrag liefert eine Übersicht über die Stationen des ALD-I und kann als abschließender der vorausgegangenen, regelmäßig in Ladinia erschienen Arbeitsberichte gelten («Der ALD-I am Ziel. Ein Rückblick auf die zweite Halbzeit», 171-87). 278 Besprechungen - Comptes rendus Roland Verra leistet mit seinem Aufsatz eine Ehrung der Tätigkeit Heinrich Schmids mit Blick auf das Ladin Dolomitan und das SPELL-Projekt («Das Ladin Dolomitan: Probleme und Perspektiven», 189-200). Der Autor stellt dabei die für das Dolomitenladinische kritische politsch-gesellschaftliche Situation die Region betreffend heraus, die letztlich Verra zufolge als eine Bedrohung der lokalen Varietäten aufgefasst werden kann. In dem Beitrag von Paul Videsott werden klare Vorgaben für die Adaption italienischer Lehnelemente - die natürlich nur eine Möglichkeit der Wortschatzerweiterung darstellen - formuliert, deren Ziel die Einheitlichkeit in der jeweiligen Assimilation ist («Die Adaptierung des Lehnwortschatzes im Ladin Dolomitan», 201-21). In die Vorschläge für die Suffixe fließt dabei auch die Übereinstimmung mit regulär entwickelten Affixen ein, so dass etymologisch gleiche Elemente nicht zu heterogenen Ergebnissen im Dolomitenladinischen führen und nicht genuine Affixe nicht erkennbar sind. Die beiden Beiträge zur «Toponomastik» beziehen sich zum einen auf das Deutsche, wo sich einige Toponyme offensichtlich romanischen Ursprungs (im unterrätischen Gebiet) finden; Julia Kuhn geht in der Deutung des auffälligen finalen -s mit Schmid konform, dass es sich vermutlich um ehemalige Nominativformen handelt («Reflexe des Ortsnamen-s in Toponymen der Gemeinden Walenstadt und Quarten/ St. Gallen/ Schweiz», 225-44). Zum anderen wird ein Bezug auf romanische Toponyme um Marul und Raggal geleistet, wobei Guntram A. Plangg hier für die Erklärung auf geophysiologische Gegebenheiten und landwirtschaftliche Nutzung abhebt («Romanische Namen um Marul und Raggal (Großwalsertal, Vorarlberg)», 245-53). In der Rubrik «Varia» finden sich Beiträge, die Themengebiete berühren, die Heinrich Schmid in Einzelstudien beschäftigt haben. So erklärt Michele Loporcaro sardisches [issoro] aus lat. ipsorum, das genuin entwickelt *[issoru] hätte ergeben müssen, über spätlateinischen Einfluss («L’etimo del possessivo sardo logudorese iss { ro, campidanese ins { ru ‘loro’», 257-63). Ottavio Lurati untersucht sehr detailliert italienische Redensarten und zieht dabei Vergleichsmaterial aus norditalienischen Dialekten heran, die Hinweise geben zur Klärung der Etymologie («Cinque ‘schede’ in ssulla prelatinità e l’onomatopea (far scalpore, essere sciatto, perderla scrima, fare uno scherzo da prete, avere uno screzio)», 265- 79). Die auftretende Problematik bei der etymologischen Beschreibung liegt nach Lurati vielfach in der Ausblendung der Semantik zugunsten lautlicher Adäquatheit begründet. Victoria Popovici geht in ihrem Artikel der interessanten Frage bezüglich der Verbreitung der dolomitenladinisch und bündnerromanisch (schwächer friaulisch) auftretenden Verb-Adverb-Konstruktionen im Altitalienischen nach («Die italienischen Partikelverben als sprachimmanentes Phänomen: zur Diachronie der Verbfügungen mit fuori», 281-304). Da die heutigen Verbreitungsgebiete eine kontaktbedingte Entwicklung nahe legen könnten (dt. Einfluss, s. auch Afrz.: hier zumeist auf fränkisches Superstrat zurückgeführt), ist von Interesse, dass die Daten, die sich mithilfe des TLIO-Korpus ermitteln lassen, in die Richtung von Gsell 1982 weisen, der eine unabhängige analytische Bildung im Romanischen annimmt (O. Gsell, «Las rosas dattan ora - les röses dà fora - le rose danno fuori: Verbalperiphrasen mit Ortsadverb im Rätoromanischen und im Italienischen», in: S. Heinz/ U. Wandruszka (ed.), Fakten und Theorien. Beiträge zur romanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft. Festschrift für Helmut Stimm zum 65. Geburtstag, Tübingen 1982: 71- 85). Die geographische Distribution ist zwar prinzipiell altitalienisch-neuitalienisch vergleichbar; für die ältere Sprachstufe lässt sich aber der benannte Konstruktionstyp auch für das emiliano, das veneto und das toscano nachzeichnen. Giovanni Rovere untersucht die kontextuelle Bedeutung für Subjektspronomina der dritten Person im nach Durante so benannten italiano togato («Sociolinguistica dei pronomi soggetto di terza persona», 305-13). Ein Einfluss auf das italiano neo-standard lässt sich allerdings kaum ausmachen, vielmehr bleiben Pronomina wie esso der Literalität verhaftet, 279 Besprechungen - Comptes rendus das italiano togato erweist sich als konservativ. Interessant für die Beurteilung von esso ist die nur partielle Opposition zu egli: Da esso durchaus auch auf menschliche Referenten Bezug nehmen kann, erweist sich die Opposition anders als gemeinhin vermutet also auf die Referenz beschränkt (persönlich (egli) vs. unpersönlich (esso)). Die komplexe Bildung von Ortsadverbien in den alpinlombardischen Varietäten der Schweiz ist das Thema des Beitrages von Federico Spiess, der jedoch die Motivation für die Komplexität in dem Wunsch nach Präzision im sprachlichen Ausdruck gegeben sieht («Pleonasmus und Expressivität bei Ortsadverbien in den Dialekten der italienischen Schweiz», 315-21). Trotz der auffälligen geophysiologischen Bedingungen ist aber gerade diese Besonderheit in angrenzenden Idiomen nicht gegeben, die weniger expressiv, aber deshalb nicht notwendigerweise weniger präzise im Ausdruck sind. Der abschließende Beitrag von Lotte Zörner ist der lautlichen Untersuchung frankoprovenzalischer Varietäten im Piemont (Orco- und Soanatal) gewidmet («Das Frankoprovenzalische des Orco-Tals, ein ‹français retardé›? », 323-34). Ausgehend von der Frage Schmids, ob das Frankoprovenzalische ein in der Entwicklung verlangsamtes Französisch sei, hebt die Autorin hervor, dass zwar die untersuchten Varietäten sehr wohl konservative Züge besitzen, aber auch originell innovativ sind, was etwa in der Auflösung der Nexus bestehend aus s + Konsonant zu sehen ist (z. B. mittels Palatalisierung: fraxinu *frásnu [fra u]). Abschließend lässt sich zu dem vorliegenden Band sagen, dass die wenn auch z. T. sehr heterogenen Artikel einen interessanten Überblick über Thematiken erlauben, die den Geehrten in seinen Schriften und in der Konzeption des Rumantsch Grischun und Ladin Dolomitan beschäftigt haben, aber auch Projektbeschreibungen und Rückblenden einbinden. Somit werden Fragestellungen in den Vordergrund gerückt, die Minderheitensprachen im Allgemeinen betreffen, zu denen z. T. detailorientierte Analysen gegeben werden. Gerade in der Auseinandersetzung mit Schmid wichtigen Themenkreisen wird die Anteilnahme an seinem romanistischen Schaffen besonders deutlich. S. Heinemann ★ Biblioteca agiografica italiana (BAI). Repertorio di testi e manoscritti, secoli XIII-XV a cura di Jacques Dalarun, Lino Leonardi e di Maria Teresa Dinale, Beatrice Fedi, Giovanna Frosini et al. Prefazione di Claudio Leonardi, André Vauchez, 2 vol., Firenze, Edizioni del Galluzzo, 2003, ix + 297 e x + 734 p. + un fascicolo con CD-ROM (Archivio romanzo 4) In splendida veste tipografica esce, dopo dieci anni di lavoro, la Biblioteca agiografica italiana, massiccio e nuovo censimento di manoscritti e stampe a carattere agiografico, dunque di fonti scritte dedicate ai santi, diretto da Lino Leonardi, Jacques Delarun e condotto a buon esito da una larga équipe di collaboratori: Maria Teresa Dinale, Beatrice Fedi e Giovanna Frosini, che hanno allestito la maggior parte dei dossiers (e condividono la curatela) e Luchina Branciani, Patrizia Frosini, Paolo Mariani, Silvia Nocentini, Domenico Cinalli, Raffaella Pelosini, Fabio Zinelli, Myriam Chopin e Tommaso di Carpegna, che hanno collaborato in modo fondamentale al censimento, proceduto sotto la consulenza di Claudio Leonardi e Antonella Degli Innocenti. L’impresa si inserisce in una linea di ricerca sulla letteratura italiana medievale che ha dato esiti di grande importanza come i quattro volumi de I canzonieri della lirica italiana delle Origini, curati da Lino Leonardi nel 2001 (un progetto che si estenderà all’inventariazione dei codici d’epoca stilnovistica fino a Dante e oltre) ed è il risultato della collabora- 280 Besprechungen - Comptes rendus