eJournals Vox Romanica 64/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2005
641 Kristol De Stefani

Dictionnaire toponymique des communes suisses DTS. Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen LSG. Dizionario toponomastico dei comuni svizzeri DTS, herausgegeben vom Centre de Dialectologie an der Universität Neuchâtel unter der Leitung von Andres Kristol, Frauenfeld/Lausanne (Verlag Huber/Éditions Payot), 2005, 1102 p.

121
2005
Max Pfister
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gua), malus + (gallo-rom. Malalengua, ibéro-rom. Malalengue), medius + (it. Mezzalingua), + bonus (gallo-rom. Colignon Languebone), + dulcis (rom. Limb ù -Dulce), + latus (rom. Limb ù lat ù ), + aurum (gallo-rom. Languedor), + vacca (it. Linguadivacca), etc. Selon les auteurs, à une certaine époque, il semblerait aussi que lingua ait été concurrencé par bucca quand il s’agissait des noms composés. Dans l’ensemble, cet ouvrage présente donc un vrai panorama onomastique des langues romanes. Quelques-uns d’entre nous y retrouveront les traces de leurs propres ancêtres . . . Saluons aussi les efforts des éditeurs d’offrir un ouvrage qui intéressera non seulement les linguistes mais aussi d’autres spécialistes. Les historiens, les anthropologues et les généalogistes apprécieront sans doute eux aussi d’avoir sous la main un ouvrage facile à consulter et riche en informations: un «florilège d’étymons dont la gestation fut longue et douloureuse, mais qui laisse présager de beaux lendemains» (vi). Cette belle aventure lexicographique continuera dans le prochain tome (II/ 2) qui concernera d’autres étymons, toujours dans le domaine du corps humain (bucca, beccus, g u la, c ù pillus, etc.). Adrian Chircu ★ Dictionnaire toponymique des communes suisses DTS. Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen LSG. Dizionario toponomastico dei comuni svizzeri DTS, herausgegeben vom Centre de Dialectologie an der Universität Neuchâtel unter der Leitung von Andres Kristol, Frauenfeld/ Lausanne (Verlag Huber/ Éditions Payot), 2005, 1102 p. Das hier zu besprechende Lexikon der Schweizerischen Gemeindenamen ist «eines der bleibenden Ergebnisse der Schweizerischen Landesausstellung Expo. 02», ein gelungenes Auftragswerk, für die schweizerische Toponomastik die neue Grundlage. Anhand einer selektiven Datenbank (ursprünglich 7400 Ortschaften der Schweiz, reduziert auf 2866 politische Gemeinden) wurden alle relevanten publizierten und unpublizierten Materialien bearbeitet und über 20’000 historische Belege zusammengetragen. Es handelt sich um den ersten Versuch, alle schweizerischen Gemeindenamen zu erklären, wobei je nach Sprachgebiet die Artikel entweder deutsch, französisch oder italienisch abgefasst sind. Wie im Rätischen Namenbuch von Andrea Schorta werden die rätoromanischen Ortsnamen auf deutsch erklärt. Die grundlegende Einleitung (19 Seiten) wird ebenfalls in diesen drei Sprachen präsentiert. Dieses unter der Gesamtleitung von Andres Kristol (Universität Neuchâtel) stehende Unternehmen hat ein epochales Werk geschaffen, zu dessen Realisierung alle Beteiligten zu beglückwünschen sind. Dank sechsjähriger Forschung, der Arbeit von 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Drucklegung durch den Verlag Huber (Frauenfeld) und der finanziellen Unterstützung von maßgebenden wissenschaftlichen Institutionen, Stiftungen und Vereinen der Schweiz, ist ein Grundlagenwerk entstanden, das die hohen Erwartungen erfüllt. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass ein derartiges Opus nicht perfekt sein kann. Es ist hier zwar für rund ein Drittel der schweizerischen Gemeindenamen ein erster und z. T. neuer Deutungsansatz vorgeschlagen worden, 10-15 % der in diesem Lexikon besprochenen Namen bleiben aber ungedeutet. Einen Schwachpunkt, wenigstens für einzelne Landesteile, bildet die Quellenlage und deren Publikation. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn im Original vorliegende urkundliche Belege klarer mit or. gekennzeichnet worden wären, um dem Spezialisten eine sichere Grundlage, auch für lautchronologische Studien verwertbare Belege zu liefern. Einige der verwendeten Quellen stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jh., z. B. Gremaud (1875-98) für das Wallis, Quellen, die unbedingt in 211 Besprechungen - Comptes rendus ihrer Gesamtheit paläographisch überprüft werden müssen. Ohne richtig gelesene Urkundenbelege ist eine toponomastische Grundlage brüchig, vor allem wenn man berücksichtigt, dass volksetymologische Pseudowissenschaft oder allzu subjektive Stellungnahmen einzelner Forscher dem Ruf der Ortsnamenforschung geschadet haben. Die Redaktionsequipe hat diese Schwierigkeiten deutlich gesehen und war um objektive sprachwissenschaftliche Argumentation bemüht. Der Forschungsstand ist freilich unterschiedlich für die deutsche, die welsche, die italienische Schweiz und für Graubünden. Das Bündnerromanische steht seit 1964 (Schorta, Rätisches Namenbuch) an der Spitze, das schweizerdeutsche Material ist vor allem dank der Studien von Stefan Sonderegger und der Namenbücher der Kantone Thurgau (Nyffenegger/ Bandle 2003) und Nidwalden (Weibel 2003) gut erfasst. Für die Westschweiz und den Tessin fehlen bisher umfassende, vertiefte Studien, von einzelnen, z. T. hervorragenden Dissertationen und Studien abgesehen. Für die einzelnen Lexikonartikel - die von jeweils mindestens zwei Autoren gezeichnet sind - ist begreiflicherweise die sprachwissenschaftliche Kompetenz und Erfahrung der Verfasser entscheidend, vor allem wenn man - wie p. 37 erwähnt - den «Nutzen einer grenzüberschreitenden, mehrsprachigen und interdisziplinären Ortsnamenforschung» mitberücksichtigt. Jeder Artikel ist folgendermaßen strukturiert: 1. Artikelkopf mit offiziellem Gemeindenamen, Kanton, Bezirk, phonetische Umschrift der Namen 2. Auswahl der historischen Belege mit Quellenangaben, kritischen Bemerkungen und mit punktuellen Präzisierungen zu einzelnen Belegformen 3. Besprechung der bisherigen «Deutungen», der «Deutungsvorschläge» oder «Deutungsversuche» 1 . Der letzte Punkt reflektiert die neueste Forschungslage und erfordert sprachwissenschaftliches Fingerspitzengefühl und kritisches Abwägen. Eindeutige Stellungsnahmen sind zwar dem Leser meistens willkommen, dem Spezialisten können sie gelegentlich als zu wenig abgewogen und apodiktisch erscheinen. Alle Besprechungen, die diesem über 1000-seitigem Werk, ausgestattet mit den farbigen Wappen der Gemeinden, gewidmet sind, werden bestimmt die reiche Information und die umfassende Dokumentation positiv hervorheben. In meiner Besprechung beschränke ich mich auf die Beurteilung der romanistischen Komponente. Von germanistischer Seite ist von Stefan Sonderegger in der NZZ vom 21. 3. 2005 eine erste Stellungsnahme erfolgt, die im Bereich der Interpretation althochdeutscher Formen einige Mängel feststellt, die zum Teil in einer Entgegnung von Kristol widerlegt werden. Vielleicht wäre es zweckmäßig gewesen, wenn man für ein Forschungsunternehmen dieser Dimension auch den Nestor der deutsch-schweizerischen Ortsnamenforschung in irgendeiner Form in das Projekt einbezogen hätte. Die romanistische Seite ist jedenfalls als vorzüglich und dem heutigen Forschungsstand angemessen zu beurteilen. Vor allem im Bereich der Suisse romande ist recht häufig die Handschrift von Wulf Müller zu erkennen, der, wie seine 37 in der Bibliografie aufgeführten Artikel auch zeigen, neben seiner Tätigkeit als Redaktor am GPSR in der Bearbeitung der toponomastique romande seine wissenschaftliche Lebensaufgabe sieht. Neben aller Anerkennung der geleisteten Arbeit betrachte ich es auch als Aufgabe eines Rezensenten, mit Korrekturvorschlägen und Ergänzungen an einer sicher zu erwartenden 212 Besprechungen - Comptes rendus 1 Dazu die Erläuterungen p. 42: Der Titel «Deutung» bedeutet, dass die Erklärung beim gegenwärtigen Wissensstand mit großer Wahrscheinlichkeit als gesichert betrachtet werden kann. «Deutungsvorschlag» bedeutet, dass wir aufgrund der vorhergehenden Überlegungen eine Erklärung in Betracht ziehen, die wir als sinnvoll betrachten. «Deutungsversuch» bedeutet, dass wir eine neue Erklärung vorschlagen, die nicht als gesichert gelten kann. Neuauflage dieses Grundlagenwerkes in einigen Jahren beizutragen. Allgemein gilt die Feststellung, dass das Romanische Etymologische Wörterbuch von Meyer-Lübke nach Nummern zu zitieren ist; es gibt keine Paragraphen im REW. Alle Originalbelege sollten in Zukunft mit dem Sigel or. versehen sein. Ich verwende folgende Abkürzungen: DT = Gasca Queirazza, G. et al. 1990, in der Bibliographie p. 1092 DocLingSR = Documents linguistiques de la Suisse Romande 2002, in der Bibliographie p. 1076 LEI = Lessico etimologico italiano , in der Bibliographie p. 1094 p. 78 Agno TI (Lugano): Die Richtigkeit der Etymologie *amnius wird auch durch Agno, ‘torrente del Veneto’ DT 10 bestätigt. p. 100 Arzo TI (Mendrisio): «Il toponimo Arzo deriva dal latino arsus ‘arso, bruciato’» ist nicht überzeugend: Die urkundlichen Formen Artiaco (756) und Arzio (1335) sprechen für den Personennamen Arcius + -iaco, cf. Arsago seprio DT 41, als Arciaco (976) bezeugt. p. 103 Asuel JU (Porrentruy): Als Erstbeleg für Esuel wird aus Trouillat III,553 1343 Gautherat d’Esuel aufgeführt. Früher ist 1293 Borquarz, chevaliers d’Eshuel aus Doc- LingSR 6,1. p. 109 Auvernier NE (Boudry): Wenn die von Müller/ Kristol aufgestellte Etymologie richtig ist: 1011 Averniacum (or.) ( *Alverniu + -acum) handelt es sich um den frühesten mir bekannten Beleg von Schwund des l vor Konsonant. p. 110 Avegno TI (Vallemaggia): Der Erstbeleg de Avenio legt die Vermutung nahe, dass die zweite Erklärung Avinius die richtige ist, cf. Avegno (Ge) «prediale asuffissale, dal gentilizio Avinius» (DT 48). p. 115 Bad Ragaz SG (Sargans): Der etymologische Vorschlag von Huber ( *regatia) erscheint mir überzeugend; cf. auch idg. *rêg- ‘feucht, bewässern’ (IEW 857) und meine Diskussion zum Ort Riegel nördlich von Freiburg im Breisgau (Friedhelm Debus, Romania-Germania, BNF, Beiheft 52,37, Heidelberg). p. 130 Bedigliora TI (Lugano): «è molto probabilmente il riflesso del sostantivo dialettale ticinese bedeja ‘betulla’, dall’aggettivo sostantivato latino betellea ‘betulla’.» betellea ist nicht belegt, cf. LEI 5,1390,9 s. *betul(l)ea mit dem Hinweis (ib. 1395,27) «non occorre recuperare la prima proposta di Salvioni (BSSI 20,35, ripresa da Bolelli REW,ID 17,155) di un *betellea der. agg. di *betella sorto da betulla per scambio di suffisso». p. 153 Bidogno TI (Lugano): Überzeugend ist die Herleitung aus biada ‘avena’, dessen Etymologie aber nicht als «di origine incerta» bezeichnet werden kann; cf. LEI 6,232,29 s. *blato. p. 158 Bioggio TI (Lugano): «non si conosce nessun tentativo di spiegazione». Da die ältesten Belege Biegio/ Blegio lauten, könnte man an die gleiche Etymologie denken wie bei Bleggio in den Giudicarie, cf. DT 82: 1223 Blecii «deriva dalla voce prelatina *blese ‘pendio erboso’.» p. 180 Braggio GR (Moesa): «il toponimo Braggio è da ricondurre al sostantivo baragia ‘landa, zona sterile e incolta’, dalla radice preromana *baranj- ‘sterile’.» lm LEI 4,1502,12 wird tic.prealp. (Isone) bar í a ‘landa incolta’ unter vorrom. *bar(r)aufgeführt. p. 184 Brenles VD (Moudon): Zur überzeugenden Erklärung ( frprov. br # nla ‘ciboulette’) cf. GPSR 2,797 (nicht 796). p. 184 Breno TI (Lugano): Zu Gunsten einer Etymologie kelt. Personenname Brennos äußert sich auch Carla Marcato in DT s. Breno (Bs): 1110 ad Brene. p. 190 Broglio TI (Vallemaggia): «Broglio è un fitotoponimo: deriva dalla voce celtica brogilos ‘frutteto, verziere, brolo, giardino’.» Da es sich - wie richtig vermerkt - um eine Ableitung von kelt. *broga ‘Rand’ handelt, kann nicht von einer Pflanzenbezeichnung gesprochen werden, cf. LEI 7,586s. 213 Besprechungen - Comptes rendus p. 207 Buseno GR (Moesa): Die Herleitung aus *b ü cinu ‘condotto’ ist zweifellos richtig, cf. Soazza busen m.pl. ‘condotte per l’acqua’ (1554, VSI 2,1236a) und die Angaben im LEI 7,1394,25-39. p. 214 Cadro TI (Lugano): Die ältesten urkundlichen Formen lauten: Cadelo (735), Cadolo (774), Càdulo (11. Jh.). «L’origine e il significato di Cadro sono ignoti.» Möglicherweise handelt es sich wie bei Coppet VD, Brontallo TI (Vallemaggia) *brenta ‘recipiente per portare’ um eine Senke (‘conca’), cf. LEI s. *catula ‘oggetto curvo’, das zu lat. catulus ‘specie di catena’ (4. Jh., Itala; ThesLL 3,623,1) gestellt wird. p. 217 Caneggio TI (Mendrisio): Die Etymologie tic. canecc ‘casa diroccata, costruzione in rovina’ ist überzeugend. Fast zeitgleich wie der toponomastische Erstbeleg (1261, territorio de Caneçio) findet sich das mittellat. Appellativum cum multis canegiis seu casaritiis (1298, CDT 1,150). p. 218 Carabbia TI (Lugano): «L’origine del toponimo Carabbia è incerta. È possibile però il rinvio al sostantivo dialettale ticinese carabia ‘sostegno longitudinale della pergola’ *c ù l ù b u la sorta dal latino c ù t ù b u la, plurale di c ù t ù b u lum ‘stalla’, o latino c ù t ù b ö la, *c ù l ù b ö la «deposizione», rifatta su calare, VSI 4,20.» Der Hinweis auf tic.alp.centr. karábya ist zutreffend, cf. lat.mediev.tic. calabias et trastos (San Vittore 1495, VSI 4,20) und die etymologische Bearbeitung s. cala ‘legno, fusto’ in LEI 9,727,3-6. p. 218 Carabietta TI (Lugano): Bei der Interpretation sollte der toponomastische Erstbeleg La Carabieta (1375) mit dem Appellativ tic.alp.occ. (Brione Verzasca) carabieta f. ‘palo minore della pèrgola’ (VSI 4,20b) zusammengestellt werden. p. 222 Cavagnago TI (Leventina): «Cavagnago riflette un toponimo prediale *(fundus) Cavanniacus ‘podere di Cavannius’.» Es könnte auf die Verbreitung dieses Ortsnamens in der Galloromania hingewiesen werden, cf. Buchmüller-Pfaff n° 194 Chavigny. Zusammenfassend kann man feststellen, dass der romanistische Teil des DTS/ LSG die für die entsprechenden Regionen verfügbaren Informationen von Grund auf erneuert. Wenn es auch, wie der Herausgeber in der Einleitung 39 vermerkt, «den Umständen entsprechend kein völlig homogenes Werk» darstellt, so hat der DTS/ LSG doch einen entscheidenden Fortschritt gebracht. Ich bin überzeugt, dass dieses Werk das Interesse einer breiten Bevölkerungsschicht finden wird und die schweizerische toponomastische Forschung dadurch einen neuen Antrieb erhält. Max Pfister ★ Frank Jodl, Francia, Langobardia und Ascolis Ladinia. Die Bedeutung außersprachlicher Faktoren im Zusammenhang mit innersprachlichen Entwicklungen in drei Teilgebieten der Romania, Frankfurt/ M. (Peter Lang) 2004, xiii + 367 p. Wie bereits der Titel der vorliegenden Arbeit zeigt, verfolgt Verf. das Ziel, durch sprachlichen Kontakt induzierte innersprachliche Entwicklungsprozesse aufzudecken, die einen Kommunikationsraum Nordfrankreich - Norditalien für das Mittelalter offen legen sollen. Wie Verf. bereits in seinem Vorwort angibt, versteht sich die Arbeit als interdisziplinärer Forschungsbericht, was sogleich an der Einbindung historischer Bedingungen und germanistischer Forschungsergebnisse erkennbar wird. Das zweite Ziel der Studie, nämlich die Überprüfung der Adäquatheit des substratbasierten Modells zur dialektalen Gliederung, wie es Ascoli vertritt, gerät dabei ein wenig in den Hintergrund, wenngleich an dieser Stelle das diesbezügliche Ergebnis vorweggenommen werden kann, das nämlich in der Akzeptanz und Verteidigung des Modells Ascolis besteht. 214 Besprechungen - Comptes rendus