Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2006
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Kristol De StefaniInteralloglotte Kommunikation
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2006
Sigrid Behrent
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Interalloglotte Kommunikation oder: Wie sich Nichtmuttersprachler verschiedener oder gleicher Erstsprachen in ihrer gemeinsamen Zielsprache verständigen Cet article présente les résultats d’un projet de thèse consacré à l’interaction en situation de contact entre locuteurs non-natifs de langue primaire différente ou identique qui communiquent en français, leur langue cible commune. L’analyse conversationnelle des particularités de cette forme de communication que l’auteur appelle «interalloglotte» est basée sur un large corpus de conversations en français entre étudiants de provenance internationale effectuant un séjour en France. La communication interalloglotte partage certaines caractéristiques avec la communication exolingue car les deux types de situation confrontent les interlocuteurs aux mêmes tâches conversationnelles et sont caractérisés par une certaine asymétrie quant aux niveaux de compétence linguistique. Mais la communication interalloglotte présente également de nombreuses particularités qui s’expliquent entre autres par le fait que les interlocuteurs partagent la perspective d’apprenant et que la langue de communication est en même temps leur langue cible. Ainsi, les non-natifs s’entraident différemment et analysent et traitent la langue d’une manière particulière. Leur désir d’apprendre est omniprésent. Ils profitent de la patience de leurs interlocuteurs mais luttent en même temps pour le rôle d’expert. La présence de différentes langues primaires est exploitée à des fins diverses. Au niveau de l’organisation structurelle, la communication interalloglotte se caractérise par une très grande complexité. Plusieurs particularités sont susceptibles d’avoir une influence positive sur le processus d’acquisition. L’article s’achève sur une présentation du potentiel acquisitionnel de la situation interalloglotte, qui mène à quelques implications pour la didactique des langues secondes. 1. Einleitung Der vorliegende Artikel stellt die wichtigsten Ergebnisse eines konversationsanalytischen Dissertationsprojektes vor, in dessen Rahmen unter der Bezeichnung «interalloglotte Kommunikation» die Interaktion zwischen Nichtmuttersprachlern in ihrer gemeinsamen Zielsprache Französisch untersucht wurde 1 . Studien zur Interaktion in Kontaktsituationen konzentrierten sich bislang vor allem auf so genannte «exolinguale» Gespräche zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern 2 . Die Kommunikation zwischen Nichtmuttersprachlern fand 1 Das Dissertationsprojekt «Communication interalloglotte. Communiquer dans la langue cible commune» wurde von Prof. Dr. Rita Franceschini (Freie Universität Bozen, vormals Universität des Saarlandes), Prof. Dr. Wolfgang Schweickard (Universität des Saarlandes) und PD Dr. Ulrich Dausendschön-Gay (Universität Bielefeld) betreut. 2 Cf. insbesondere das Bielefelder Forschungsprojekt zu Formen kommunikativer Interaktion in Kontaktsituationen mit Franzosen und deutschen Französischlernern (geleitet von E. Gülich, U. Dausendschön-Gay und U. Krafft) und die Schweizer Arbeiten (G. Lüdi, B. Py und andere) zur Kommunikation zwischen Welsch- und Deutschschweizern. Auch im Rahmen des großangeleg- Vox Romanica 65 (2006): 1-24 Sigrid Behrent lediglich im Rahmen von Arbeiten zu verschiedenen Linguae francae (insbesondere Englisch) Beachtung 3 . Die meisten dieser Studien fokussieren jedoch die Besonderheiten der von den Nichtmuttersprachlern gesprochenen Varietät (non-native speaker variety) und nicht die Charakteristika der Interaktion (cf. z. B. Nelson 1984, eine nennenswerte Ausnahme bildet Firth 1990, 1996). Zudem lassen sie häufig das Spracherwerbspotential der beschriebenen Situationen außer Acht. Der genannte Aspekt steht zwar im Mittelpunkt von Arbeiten zur Kommunikation zwischen Lernern; diese beschränkten sich bislang jedoch vor allem auf den schulischen Kontext (cf. Long/ Porter 1985). Interalloglotte Kommunikation findet häufig zum Beispiel im Rahmen von universitären Austauschprogrammen oder internationalen Sprachkursen statt. In dem hier vorgestellten Projekt wurden Gespräche aufgezeichnet, die deutsche Studierende während ihres «Erasmus-Aufenthaltes» in Paris oder Metz mit ausländischen Kommilitonen oder aber Landsleuten 4 in der gemeinsamen Zweit- (oder Dritt)sprache Französisch führten 5 . Außerdem wurden die Studierenden auch in exolingualen Situationen aufgenommen, um das interaktive Verhalten derselben Sprecher in verschiedenen Interaktionsformen vergleichen zu können. Darüber hinaus wurden die Hauptinformanten zu Beginn, während und am Ende des Aufzeichnungszeitraums interviewt. Die Analyse der «interalloglotten Kommunikation» beruht so auf Aufzeichnungen von Gesprächen und Interviews mit insgesamt 46 Personen 9 verschiedener Erstsprachen in einer Gesamtlänge von 55 Stunden. Die interalloglotten Gespräche stellen mit 36 Stunden den Großteil des Korpus dar, der Rest setzt sich aus exolingualen Gesprächen (7,5 Stunden) und Interviews (11,5 Stunden) zusammen. Die Gespräche wurden auszugsweise mit Hilfe des Partiturtranskriptionspro- 2 ten Forschungsprojekts der European Science Foundation zum Spracherwerb bei Migranten (unter der Leitung von C. Perdue und W. Klein, cf. Perdue 1993a/ b) wurden Gespräche zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern analysiert. 3 Einen guten ersten Überblick überArbeiten zur lingua-franca-Kommunikation bietet die ausgewählte Bibliographie von Ch. Meierkord (http: / / www.sw2.euv-frankfurt-o.de/ Doktoranden/ ling.franca.html). 4 Dieser zweite Typ interalloglotter Kommunikation mag zunächst seltsam erscheinen, da die Wahl der Erstsprache als Mittel der Verständigung natürlicher wäre. Ein Teil der Informanten erklärte auch, nicht mit anderen Deutschen in Französisch zu kommunizieren, da sie dies «lächerlich» fänden. Diejenigen Studierenden, die bei französischen Gesprächen mit anderen Deutschen aufgezeichnet wurden, versicherten jedoch, dass sie diese Situationen nicht als künstlich empfänden. Einige fanden es sogar unangenehm, während ihres Aufenthalts Deutsch zu sprechen. Die Existenz dieses Typs interalloglotter Kommunikation erklärt sich aus mehreren Faktoren wie zum Beispiel dem Wunsch, schnell Fortschritte in der Zielsprache zu machen oder auch aus der Angst, Nichtmuttersprachler anderer Erstsprachen oder Muttersprachler vom Gespräch auszuschließen. 5 Ein Großteil der Aufnahmen entstand im internationalen Studentenwohnheim von Paris, der Cité Universitaire Internationale, in dem 5500 Studierende 132 verschiedener Nationalitäten in 37 Häusern untergebracht sind (www.ciup.fr). Interalloglotte Kommunikation gramms Exmaralda 6 und nach den im Anhang des Artikels aufgeführten Konventionen transkribiert. 2. Fragestellungen Das Forschungsinteresse besteht darin, die Art und Weise zu beschreiben, in der Teilnehmer an einer Kontaktsituation in einer Sprache kommunizieren, die nicht ihre Erst-, wohl aber ihre Zielsprache ist. Es wurde analysiert, - welche Methoden das Funktionieren der Kommunikation ermöglichen, d. h. wie es den Gesprächsteilnehmern gelingt, sich in der Fremdsprache zu verständigen; - was geschieht, wenn die Gesprächsteilnehmer Verständigungsproblemen begegnen; - ob die Nichtmuttersprachler ähnlich wie Muttersprachler in exolingualer Kommunikation die Expertenrolle übernehmen können und - wenn ja - unter welchen Bedingungen; - ob sie sich gegenseitig helfen, sich korrigieren und ob sie sprachliche Aspekte anders erklären als Muttersprachler; - wie sie über ihre Zielsprache reden; - ob, und - wenn ja - in welcher Form der Interaktionsablauf dadurch beeinflusst wird, dass das Kommunikationsmedium gleichzeitig Zielsprache ist, und schließlich - ob es Hinweise gibt, die es erlauben, Hypothesen über das Spracherwerbspotential der interalloglotten Kommunikation aufzustellen. Nach einem kurzen Einblick in die methodische Vorgehensweise werden im Folgenden die Besonderheiten der interalloglotten Kommunikation vorgestellt und anschließend ihr Spracherwerbspotential skizziert. Der Artikel schließt mit einigen Implikationen für die Fremdsprachendidaktik. 3. Methoden Die Gespräche wurden mit einem Konferenzmikrophon auf Minidisc aufgezeichnet. Den Tonaufnahmen wurde aufgrund der geringeren «Invasivität» und größeren Praktikabilität gegenüber Videoaufzeichnungen der Vorzug gegeben. Um den Einfluss der Aufnahmesituation auf das Verhalten der Gesprächsteilnehmer (Labovs observer’s paradox, Labov 1972) zu minimieren, wurden sehr lange Aufzeich- 3 6 Das Programm wurde von Thomas Schmidt, Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 538 «Mehrsprachigkeit» der Universität Hamburg, entwickelt (cf. Schmidt 2005). Es kann nach Anmeldung beim Autor von der Internetseite http: / / www.rrz.uni-hamburg.de/ exmaralda heruntergeladen werden. Sigrid Behrent nungen, häufig mit denselben Sprechern, gemacht. Bezugnahmen auf das Mikrophon sind selten und eher am Anfang der Gespräche zu finden, was dafür spricht, dass die Präsenz desselben im späteren Verlauf nicht mehr wahrgenommen wurde. Es lassen sich außerdem keine Unterschiede zwischen den in Anwesenheit und den in Abwesenheit der Forscherin geführten Gespräche feststellen, was Effekte der «teilnehmenden Beobachtung» ( 4 ⁄ 5 des Korpus) auf den Verlauf unwahrscheinlich macht. Die Gesprächsdaten wurden nach den Prinzipien der Konversationsanalyse ethnomethodologischer Prägung 7 analysiert. Bei diesem Ansatz wird das Gespräch, Grundform sozialer Organisation, als geordnetes Konstrukt und als Koproduktion der Gesprächsteilnehmer beschrieben. Konversationsanalytiker untersuchen die formalen Strukturen des Kommunikationsablaufs und die Methoden, die die Teilnehmer in ihren alltäglichen Gesprächen nutzen, um ihre Aktivitäten zu organisieren und zu koordinieren. Der Ansatz zeichnet sich durch eine spezielle «Analysementalität» aus, die beinhaltet, dass die Untersuchungsmethoden in Abhängigkeit vom Gegenstand entwickelt und die authentischen Gesprächsaufnahmen nicht auf im Voraus bestimmte Kategorien hin analysiert werden. Dem natürlichen Gesprächsablauf folgend und die Perspektive der Sprecher einnehmend, wird bei der Analyse versucht, aus den verwendeten sprachlichen Verfahren die von den Gesprächsteilnehmern zu lösenden Aufgaben zu rekonstruieren. Zur Einschätzung des Spracherwerbspotentials der interalloglotten Kommunikation wurden vor allem die Ergebnisse interaktionistischer und soziokultureller Studien zum Zweitspracherwerb herangezogen 8 . 4. Besonderheiten der interalloglotten Kommunikation Die interalloglotte Kommunikation weist einige Gemeinsamkeiten mit der oben bereits erwähnten exolingualen Interaktion zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern auf. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sind die Gesprächteilnehmer in beiden Kommunikationstypen mit denselben Aufgaben konfrontiert: Sie müssen Formulierungs- und Verstehensschwierigkeiten wenn möglich vorbeugen, sonst anzeigen bzw. identifizieren, müssen implizit oder explizit Hilfe einfordern und eine angemessene Lösung suchen und vorbereiten. Der Lösung von Formulierungsschwierigkeiten dienen so zum Beispiel Definitionen oder Paraphrasen (z. B. une bouteille avec de l’eau chaude für ‘Wärmflasche’, fr. bouillote), Neuschöpfungen (z. B. lapin de labo für ‘Versuchs- 4 7 Die ersten und wichtigsten Vertreter der ethnomethodologischen Konversationsanalyse sind H. Sacks, E. A. Schegloff, G. Jefferson und J. Schenkein. Zur Einführung empfehle ich Bergmann 1981 und Gülich 1991. 8 Einen interessanten Überblick über Konzepte und Perspektiven dieser Forschungsrichtung liefert Pekarek-Doehler 2000. TA euh faire confiance à ((rire)) non mais ça va je crois c’est FA (...? ) si tu ne fais pas confiance au crème (j’en ai aussi? ) TA faire une phrase s’il te plaît ((rire)) FA ouis mais euh je ne trouve pas un mot ... to trust.. en français Interalloglotte Kommunikation kaninchen’, fr. cobaye), Heckenausdrücke (z. B. presque des noisettes für ‘Mandeln’, fr. amandes), Sprachwechsel (s. Abschnitt 4.5), Rückgriffe auf enzyklopädisches Wissen etc. In beiden Kommunikationstypen werden Verständigungsprobleme gemeinsam gelöst: unvollständige Äußerungen werden interaktiv vervollständigt (cf. Gülich 1986), Probleme gemeinsam analysiert und metalinguistisch kommentiert. Der zweite Grund für die Ähnlichkeit ist die Tatsache, dass auch in interalloglotten Gesprächen verschiedene Sprachkompetenzniveaus aufeinander treffen. So können fortgeschrittenere Lerner, ähnlich wie Muttersprachler in exolingualer Kommunikation, gegenüber weniger fortgeschrittenen Lernern die «Expertenrolle» übernehmen. Sie tun dies jedoch in einer ganz bestimmten Art und Weise, die in den folgenden Kapiteln näher erläutert werden soll. 4.1 Gegenseitige Hilfe Die Verständigung wird vor allem durch die von den Gesprächspartnern geteilte Lernerperspektive auf das Kommunikationsmedium vereinfacht. Diese spiegelt sich zum Beispiel in der Schnelligkeit wider, mit der die Gesprächsteilnehmer die Ursache eines Problems identifizieren. Sie können aber nicht nur besser einschätzen, was für einen Nichtmuttersprachler problematisch ist, sondern sie erklären sprachliche Aspekte auch anders. Die Erklärungen zeugen oft von der Art und Weise, in der die Sprecher Französisch im gesteuerten Fremdspracherwerb gelernt haben. So liefert die Deutsche Tabita zum Beispiel in der folgenden Sequenz ihrem flämischen Gesprächpartner Fabien nicht nur die französische Übersetzung (faire confiance) des englischen Verbs to trust, sondern auch gleich die passende Anschlusspräposition à: Féta Epinards 4 - trust [3] [4] An anderen Stellen werden Erklärungen, für alle verständlich, logisch hergeleitet. Im folgenden Ausschnitt zögert die Deutsche Dagmar zwischen der femininen und der maskulinen Form des Adjektivs frais in Bezug auf das Substantiv légumes. Ihr Kommilitone Hans präsentiert die richtige Form zusammen 5 HA les/ le/ le/ légume . DA oui j’aime bien les légumes fraîches .. frais c’est frais ou c’est fraîches SI bonne idée HA c’est frais alors parce que j’ai problème dans le restaurant de ma de ma école c’est le DA frais ok Sigrid Behrent mit einer einfach nachvollziehbaren Herleitung («c’est le légume, c’est frais alors»): Miracoli 4 - Légumes frais [3] [4] Diese Vorgehensweisen, die sich zum Teil deutlich von der kommunikativen Praxis von Muttersprachlern unterscheiden, sind für jeden Sprachlerner leicht verständlich und eignen sich so hervorragend für die gegenseitige Unterstützung. Dieser «Vorteil» der interalloglotten Kommunikation wird auch in den Interviews von den Befragten hervorgehoben (cf. Abschnitt 4.6). Allgemein kann man feststellen, dass die Gesprächteilnehmer implizit oder explizit eine Art «Kooperationsvertrag» geschlossen zu haben scheinen. Diese Vereinbarung ähnelt dem «didaktischen Vertrag» (De Pietro/ Matthey/ Py 1989), den Mutter- und Nichtmuttersprachler häufig in exolingualer Kommunikation schließen. Er erlaubt den Interaktanten, ohne Gesichtsverlust gemeinsam Probleme auf lexikalischer, morphosyntaktischer, phonetischer und pragmatischer Ebene zu bearbeiten. Bei Schwierigkeiten, die das Lexikon betreffen, finden sich häufig Rückgriffe auf andere Sprachen (s. auch Abschnitt 4.5), bei morphosyntaktischen dagegen hauptsächlich innersprachliche Vergleiche. 4.2 Strukturelle Organisation Die Bearbeitung der verschiedenen Probleme findet in der Regel in Nebensequenzen (side sequences, Jefferson 1972) statt, die mindestens ebenso zahlreich sind wie in exolingualer Kommunikation. Sie können an jedem beliebigen Punkt des Gesprächs eingeschoben werden und beinhalten häufig weitere Nebensequenzen zur Behandlung anderer Hindernisse (multiple embeddings, cf. Varonis/ Gass 1985). Sie werden erst geschlossen, wenn sich alle Gesprächsteilnehmer mit der gefundenen Lösung einverstanden erklären, abhängig von deren Priorität, die auf der (Wieder)herstellung der Verständigung oder auch auf der Orientierung an der Norm liegen kann. Dies alles führt zu einer komplexen strukturellen Organisation der Gespräche, die hier exemplarisch anhand der in Schema 1 veranschaulichten Sequenz «Soap opera» vorgeführt werden soll. 6 MA hmhm AL venezuela .. colombie et: .. c’est très drôle parce que tu écoutes ils parlent vraiment différent vraiment FR la différence MA hm AL mais c’est très drôle parce que l’espagnol change bEAUcoup pour euh/ pour région et aussi nous AL avons des: : / par exemple les: : / ... comment s’écrit/ que s’appelle en anglais par exemple la novela AL si oui si (.....nombre de singolar? ) FR novela’ en anglais’ telenovela’ ... soap opera RA novela de: télévision’ AL soap opera .. est-ce que tu connais qu’est-ce que c’est un soap opera’ ... je sais pas comment s’appelle MA soap operA’ peut-être non ((rire)) AL ça en francais ... oui . et soap opera de venezuela et de colombie FR soap operA MA mais attends je connais le mot . c’est ... Ah . attends AL non ça c’est des FR c o m m e w e e k - E N d ’ ( ( ri r e ) ) MA .. il faut me chercher . mais comment je le cherche’ .. parce qu’en allemand on dit aussi soap opera AL alors . nous avons des/ de les de les de les soap operas .. de mexico .. FR tu peux trouver soap opera ici RA ah oui’ Interalloglotte Kommunikation Maison argentine 14 - soap opera [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] In dieser Passage, die sich als «interaktive Vervollständigung einer unvollständigen Äußerung» (cf. Gülich 1986) beschreiben lässt, will die Argentinierin Alicia der Deutschen Maja die Vielfalt an Spanischvarietäten anhand der unterschiedlichen Versionen von Seifenopern in Kolumbien, Venezuela, etc. verdeutlichen. Die Se- 7 Sigrid Behrent 8 Schema 1: Strukturelle Organisation einer Gesprächssequenz Interalloglotte Kommunikation quenz enthält mehrere Nebensequenzen, die zum Teil ineinander verschränkt sind. Zu Beginn (Zeile 2) unterbricht Alicia eine syntaktische Struktur und signalisiert dadurch - und mit prosodischen Markierungen (Verzögerungen, Pausen) - das Vorhandensein eines Hindernisses sowie die Unvollständigkeit ihrer Äußerung. Mit einer metadiskursiven Frage, die einen Rückgriff auf ihre Erstsprache Spanisch und eine Präzisierung der hier gewünschten Zielsprache Englisch beinhaltet, fordert sie die Hilfe ihrer Gesprächspartner ein und bereitet gleichzeitig die Vervollständigung vor. Die spezifische Platzierung der Unterbrechung in der Mitte des Gesprächszugs bestätigt das Ergebnis von Gülich (1986: 167s.), wonach la rupture se trouve chaque fois à un moment de la production de la phrase où la locutrice a déjà établi une structure syntaxique spécifique, qui définit d’une manière assez précise la nature grammaticale de l’élément qui fait défaut. . . . La rupture survient . . . à un endroit qui ne compte pas parmi les ‘places transitionnelles’ . . . où le tour de parole peut passer à l’interlocuteur. . . . L’organisation interactive de [la] séquence permet une ‘co-construction’ . . . de la phrase de la LNN [locutrice non-native], tout en évitant un changement du tour de parole. Die Platzierung der Hilfsaufforderung in der Mitte des Turns (und nicht an dessen Ende) kann also als Technik gesehen werden, mit deren Hilfe sich Alicia das Recht auf Fortsetzung der Erzählung sichern will. Das Phänomen ist relativ häufig, könnte aber auch als Zeichen für die begrenzte Planungsweite für Äußerungen interpretiert werden. In anderen Sequenzen befindet sich die Bitte um Hilfe am Turnanfang, wo sie als eine Art story preface (Sacks 1974) fungiert, die die Aufmerksamkeit wenn nicht sogar Neugier der Gesprächspartner auf das, wofür das gesuchte Wort benötigt wird, weckt. In der vorliegenden Passage öffnen die Gesprächsteilnehmer eine weitere, der Definition des gesuchten Wortes gewidmeten Nebensequenz (Zeile 3), indem sie verschiedene Teile von Alicias Frage mit steigender Intonation wiederholen (questioning repeats, Jefferson 1972: 299). Diese Sequenz schließt mit einer Reformulierung des spanischen Ausdrucks mit fallender Intonation. Francescos Vorschlag (soap opera) wird durch seine Wiederholung durch Alicia (Zeile 4) bestätigt. Die Argentinierin wendet sich zur Verständniskontrolle (comprehension check, Varonis/ Gass 1985: 78) direkt an die Deutsche Maja und will anschließend ihre Erzählung fortsetzen. Diese Rückkehr ist durch die Gliederungssignale oui (das nach Jefferson 1972: 317 «satisfactory termination» signalisiert und nach Varonis/ Gass 1985: 81 «a typical [response] when a speaker is ready to ‹pop› to the original conversation» ist) sowie et markiert («[which] tie[s] directly to the on-going sequence», Jefferson 1972: 319 9 ). 9 9 Nach Jefferson (1972), «a ‹return› to the on-going sequence is a task which, for alternative contingencies, is accomplished with alternative devices: ‹resumption› [and] ‹continuation›» (320). Sie präzisiert, dass «the work of ‹continuation› is specifically to incorporate the content of the side sequence into the syntax of the on-going sequence, but in effect deleting the [side] sequence» (319), während «‹resumption› marks that there is a problem in accomplishing a ‹return›». Im vorliegenden Beispiel scheint die Unterscheidung schwierig, da oui eher auf eine resumption hinweist, et jedoch eher auf eine continuation. Sigrid Behrent Maja unterbricht jedoch Alicias Erzählung und schlägt eine französisierte Version des englischen Wortes ([‘so: p ope’ra]) vor (Zeile 5), die von Francesco lachend und mit einem Hinweis auf den gebräuchlichen, phonetisch assimilierten Anglizismus week-end aufgegriffen wird (cf. Abschnitt 4.4). Indem Maja auf das Wort zurückkommt, öffnet sie erneut die der Lexikonarbeit gewidmete Nebensequenz. Alicia versucht zwar, das Rederecht wieder zu erlangen, doch Maja fordert sie explizit auf, die Erzählaktivität vorübergehend auszusetzen und widerspricht so der Sequenzschließung (Zeile 6). Sie möchte das Wort in einem Wörterbuch suchen, stolpert jedoch darüber, dass im Deutschen der Anglizismus soap opera sehr gebräuchlich ist, wodurch eine weitere Nebensequenz mit Überlegungen zum «wie» der Suche geöffnet wird (Zeile 7). Alicia interpretiert eine längere Pause offenbar als Zeichen der Beendigung dieser Sequenz und ergreift wieder das Wort (self-selection): nach dem Gliederungssignal alors schließt sie in identischem Wortlaut an den Beginn ihres Illustrationsversuches an. Ihre Äußerung überlappt mit einer Frage von Francesco an Maja, die zeigt, dass die Nebensequenzen zur Wortschatzarbeit/ Suchmethode noch nicht abgeschlossen sind. Alicia wartet bis zum ersten möglichen Sprecherwechselpunkt (transition relevant point, nach der Frage) und schafft es schließlich, sich durchzusetzen und ihre Erklärung zu beenden. Sie wiederholt auch den bewertenden Kommentar («mais c’est très drôle parce que . . . ») mit dem sie begonnen hatte und der so den Rahmen ihrer Illustration bildet. Obwohl die Bearbeitung eines Problems noch längere Zeit als im vorliegenden Fall in Anspruch nehmen kann, finden die Gesprächteilnehmer anschließend stets ohne Schwierigkeit zum Ausgangspunkt zurück und knüpfen wie hier häufig im identischen Wortlaut wieder an diesen an. Nebensequenzen können außerdem zu einem späteren Zeitpunkt wieder geöffnet werden: Sehr häufig kommen die Gesprächspartner auf frühere Diskussionen sprachlicher Schwierigkeiten zurück (vgl. Abschnitt 6). 4.3 Motivation Der Ablauf der Interaktion wird auch von der Tatsache beeinflusst, dass das Kommunikationsmedium gleichzeitig Zielsprache ist. Der Wunsch der Gesprächspartner, ihre Kompetenz zu vergrößern, ist allgegenwärtig. Diese Motivation zeigt sich zum Beispiel darin, dass sich die Nichtmuttersprachler im Allgemeinen nicht mit dem Gelingen der Verständigung begnügen, sondern insistieren, bis das adäquate französische Wort gefunden ist. Oft verbleiben sie auf metadiskursiver Ebene, ohne dass es gilt, ein Kommunikationsproblem zu lösen 10 . Über die Sprache zu 10 10 Auch in diesem Aspekt unterscheidet sich die interalloglotte von der exolingualen Kommunikation. Zwar wurde in letzterer ebenfalls die von Bange (1987) als «Bifokalisation» bezeichnete gleichzeitige Orientierung auf Inhalt und Form beobachtet. In exolingualer Kommunikation werden Formfokussierungen jedoch stets durch Verständigungsprobleme ausgelöst, was in interalloglotten Gesprächen nicht notwendigerweise der Fall ist. DA a beaucoup d’autres de ça [pje] pier import mais qu’est-ce que tu as fait après euh le SI oui oui (3sec) DA demie-année/ la demie-année comment tu as/ comment tu es arrivée de: euhm .. euhm .. ramener’/ DA remporter tous tes trucs/ tous tes affaires SI en fait il y a les parents d’une copine qui sont venus en Interalloglotte Kommunikation sprechen, die sie benutzen und gerade lernen, ist eine normale Aktivität, die nicht den Ablauf der Kommunikation stört. Ein weiterer Hinweis auf die Motivation der Gesprächsteilnehmer ist die Tatsache, dass diese ständig die Grammatikalität und Angemessenheit ihrer Äußerungen überwachen. Dies ist an den zahlreichen Selbstkorrekturen erkennbar, die häufig von Bitten um Bestätigung begleitet werden. Im folgenden Ausschnitt korrigiert sich die Deutsche Dagmar vier Mal innerhalb eines Satzes, wobei sie systematisch ganze Syntagmen wiederholt, selbst wenn sich das zu korrigierende Wort an dessen Anfang befindet: Miracoli 8 - Retour de Lyon-Paris [4] [5] [6] Schema 2 illustriert die spezifische, aber für Sprachlerner typische Struktur der Äußerung, die in mehrere kleine Einheiten fragmentiert ist: qu’est-ce que tu as fait après le demi-année la demieannée comment tu as comment tu arrivée de ramener es remporter tous tes trucs tous tes affaires Schema 2: Selbstkorrekturen Die Sprecher kontrollieren jedoch nicht nur ihre eigenen Äußerungen, sondern achten auch darauf, dass ihre Gesprächspartner sich korrekt ausdrücken und korrigieren sich gegenseitig. Fremdkorrekturen (insbesondere fremd-initiierte, d. h. other-initiated other-corrections, Schegloff/ Jefferson/ Sacks 1977) werden vor allem bei Interaktanten gleicher Erstsprache häufig wie Vorschläge intoniert und 11 MA hmhm DA ah il y avait un temps où je n’ai pas parlé beaucoup allemand ... parce que à mon fac il y a MA c’est LA fac’ hm DA personne’ .. qui parle allemand’ ou que le/ chais pas ou que les/ les français qui .. isch spresche Sigrid Behrent nicht immer als Verbesserungen akzeptiert. Beides wird in folgendem Ausschnitt deutlich, in dem die deutsche Maja einen Genusfehler ihrer ebenfalls deutschen Freundin Dagmar korrigiert: Résumé MD 1 - c’est la fac [10] [11] Dagmar reagiert auf die Korrektur mit «chais pas» (‘weiß ich nicht’) und erkennt damit Maja nicht als «Sprachexpertin» an. Letztere präsentiert ihre Verbesserung jedoch auch mit steigender Intonation, als wäre sie selbst unsicher und als handele es sich nur um einen Vorschlag 11 . Demnach kategorisiert sie sich auch selbst nicht als Expertin. Gleichzeitig reduziert sie so die Gefahr eines Gesichtsverlustes, die eine Fremdkorrektur in sich birgt, weil sie die Formulierungskompetenz des Sprechers in Frage stellt (cf. Dausendschön-Gay/ Krafft 1991) und das rituelle Gleichgewicht (Goffman 1974) im Gespräch stört. Das Streben danach, die eigene Kompetenz zu vergrößern, verbindet sich also mit dem Wunsch, gemeinsam Fortschritte zu machen. Von dieser Einstellung zeugen auch die kooperative Bearbeitung der Probleme, die sich in der Fremdsprache stellen, sowie die Weitervermittlung neuer Erkenntnisse («Übrigens, ich hab da grad einen neuen Ausdruck gelernt! ») an die Kommunikationspartner. 4.4 Analyse und Kreation In der interalloglotten Kommunikation ist die gemeinsame Zielsprache nicht nur ein Thema wie jedes andere, sondern auch eine Art Spielzeug und «Forschungsobjekt»: die Lerner analysieren ihre Strukturen und behandeln sie auf extrem interessante und kreative Weise. Wie oben bereits angedeutet werden häufig innersprachliche Vergleiche angestellt, um z. B. Regularitäten auf morphosyntaktischer Ebene aufzuspüren und analoge Formen zu bilden oder spielerisch neu zu kreieren. So bildet ein Deutscher basierend auf champignon de Paris den Ausdruck 12 11 Eine Beschreibung dieser Art von «Korrekturvorschlag» findet sich schon bei Schegloff/ Jefferson/ Sacks (1977: 50-52), die feststellen, dass Fremdkorrekturen häufig gewisse «Formmodulationen» erfahren, durch welche die Korrektur nicht einfach realisiert, sondern vielmehr zur Diskussion vorgeschlagen wird, wodurch der Sprecher Gelegenheit zur Selbstkorrektur bekommt. AL qu’est-ce qu’il faut mettre dans la/ ... (....? ) des (.....? ) RA ben . l’autre fois je l’avais avec des: : : [fewil] vertes ... je MA hae: avec de l’huile vert’ AL (il met? ) des tomates des des (....? ) champignons non parce que raoul RA sais pas tomates les [fewil] (....? ) MA une page ah: une feuille AL comme je sais pas RA comme ça (.........? ) oui: .. non ce qu’il y a dans les arbres feuille . MA et c’est comment en espagnol’ et pourquoi tu dis les/ les/ RA des feuilles vertes . n’importe quoi hoja MA l’huile (c’est faux? ) ... hae’ RA ben parce que je/ je voulais (...? ) [fewil] je l’ai ... essayir de prononcer ..comme ça Interalloglotte Kommunikation champignon de pierre (für ‘Steinpilz’, fr. cèpe) und ein Argentinier bastelt mit der Begründung «ils coupent tout en France» basierend auf der Kurzform comme d’hab’ (für comme d’habitude, dt. ‘wie gewöhnlich’) die doppelte Apokope sémé (für série mélo(dramatique), dt. ‘Seifenoper’). Der spielerische und zum Teil «respektlose» Umgang mit dem Französischen (cf. die Verballhornung der französischen Aussprache englischer Wörter wie soap opera, week-end) kann auch als identitätskonstruierende Aktivität verstanden werden: Indem sie sich über Eigenheiten ihrer Zielsprache lustig machen, bringen die Gesprächspartner ihre besondere «Nichtmuttersprachler»-Perspektive auf das Französische zum Ausdruck 12 . Den Kreationen liegt eindeutig eine Strukturanalyse der Ausgangswörter zugrunde. Daneben werden auch Fehler bzw. deren Ursachen untersucht. Im folgenden Ausschnitt ergründet Maja ein Verständigungsproblem, das durch die fehlerhafte Aussprache des Wortes feuille durch den Argentinier Raoul verursacht wurde. Maison argentine 8 - fe.huile [1] [2] [3] [4] [5] 13 12 Die Gesprächsteilnehmer grenzen sich außerdem von französischen Muttersprachlern ab, indem sie z. B. «deren» Weise, zu erklären oder Ausdrücke zu gebrauchen, kommentieren und ihrem eigenen Vorgehen als «Ausländer» gegenüberstellen. Hierdurch wird eine gemeinsame Gruppenidentität hergestellt; die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Sprachgruppen wird jedoch ebenfalls an zahlreichen Stellen relevant gesetzt (cf. Behrent, in Vorb.). MA (2sec) <<hésitant> oui> feuille .. ah: : RA s ’ écrit comme . comme .. [kome] [kome] la/ feuille et j’ai pensé [fehuile] MA ((rire, 3sec)) d’accord RA mais . c’est comme la prononciation .. j’ai jamais (voulu l’apprendre? ) ... feuille DI je réfléchisse euh: je suis (en train de? ) réfléchir parce que je l’ai fait avec des/ comment est-ce que se MA prenez . des assiettes .. messieurs dames DI dit . caldo ... avec le bouillon de poulet mais de vrai bouillon de poulet et: et: LE ... bouillon Sigrid Behrent [6] [7] Hier zählt Raoul Zutaten einer Salatkreation auf. Als Maja sich wundert, dass er «grünes Öl» (de l’huile verte, Zeile 2) nennt, korrigiert Raoul diese Interpretation zunächst, indem er die Laute [fewil] wiederholt, führt Maja dann zum Wort page und gibt ihr schließlich durch den Hinweis «non, ce qu’il y a dans les arbres» zu verstehen, dass er von feuilles vertes (‘grünen Blättern’) spricht. Maja gibt sich nicht mit der Wiederherstellung der Verständigung zufrieden, sondern geht der Ursache des Problems nach, indem sie die fehlerhafte Aussprache analysiert. Da ein Vergleich mit dem spanischen Äquivalent des Wortes feuille ‘hoja’ (Zeile 4) zu keinem Ergebnis führt, fragt sie Raoul direkt nach dem Grund. Dieser erklärt, er habe versucht, das Wort so auszusprechen, wie es sich schreibe (Zeile 5), was eine für Nichtmuttersprachler durchaus nachvollziehbare Begründung ist. 4.5 Sprachwechsel Sprachwechsel sind häufiger in Gesprächen zwischen Nichtmuttersprachlern verschiedener Erstsprachen als in solchen zwischen Sprechern gleicher L1 vorzufinden. Wenn sie vorkommen, beschränken sie sich zudem meist auf sogenannte oneword-switches, wie im folgenden Ausschnitt, in dem es erneut um ein Kochrezept geht: Maison Argentine 3 - bouillon [3] [4] Der kurze Wechsel ins Spanische (caldo) wird durch eine metadiskursive Frage in Französisch («comment est-ce que se dit») eingeleitet; die französische Übersetzung des fehlenden Wortes wird anschließend sofort in einen französischen Satz eingebettet. 14 Interalloglotte Kommunikation In Gesprächen zwischen Landsleuten werden Wechsel in die Erstsprache vermieden. Die Situation wird eher als «einsprachig französisch» definiert (cf. de Pietro 1988, Lüdi 2002). Interessanterweise werden lexikalische Probleme, die die Formulierung betreffen und solche, die beim Verstehen auftreten, diesbezüglich häufig unterschiedlich behandelt: Während der Wechsel in die L1 bei Formulierungsschwierigkeiten nicht die erste Wahl ist, greifen die Lerner schneller auf die Erstsprache zurück, wenn es darum geht, einem Gesprächspartner zu helfen. Dieses Phänomen lässt sich als facework (Goffman 1974) interpretieren: Während ein Sprecher durch die Wahl einer Kompensationsstrategie einen Gesichtsverlust riskiert, pflegt er sogar sein «Image», wenn er ein französisches Wort für einen Gesprächspartner übersetzt. Sprachwechsel dienen jedoch nicht nur der Kompensation lexikalischer Lükken, sondern auch verschiedenen anderen Zwecken, wie z. B. der Aushandlung von Bedeutungen. Dazu in anekdotischer Form folgendes Beispiel: Als die Argentinierin Alicia in einem Gespräch mit anderen Argentiniern und einer Deutschen das Radio wegen des Liedes «Let it be» lauter dreht, wird sie von einem Landsmann als «vieille dame» bezeichnet. Dies weist sie zunächst als Synonym von sp. solteróna (‘alte Jungfer’) zurück. Erst nach Umwegen über das Englische (old maid) und das Deutsche wird die eigentliche französische Entsprechung dieser pejorativen Bezeichnung, nämlich vieille fille, gefunden. In anderen Sequenzen wird der zwischensprachliche Vergleich genutzt, um Interesse für die Sprache des anderen zu demonstrieren («Welche Sprache spricht man denn in Kambodscha? » oder «Sag doch mal was auf Dänisch! »). Sprachwechsel dieser Form finden sich häufig zu Beginn von Gesprächen beim ersten Kontakt und können als Kategorisierungsaktivität und auch als low-risk topic interpretiert werden. Dass die Anderssprachigkeit der verschiedenen Gesprächsteilnehmer thematisiert und damit bewusst gemacht wird, schafft eine gemeinsame Basis, die die Interaktion in der gemeinsamen L2 und die Kooperation bei sprachlichen Problemen in späteren Gesprächen eventuell vereinfacht. Bei dieser Vielfalt von Funktionen liegt es nahe, die von Lüdi (1991) aufgeworfene Frage «Les apprenants d’une L2, code-switchent-ils? » wieder aufzugreifen. Auch wenn der Ausweitung des Begriffs «Code-Switching» wichtige Argumente entgegenstehen, lässt sich diesbezüglich festhalten, dass Sprachwechsel in interalloglotter Kommunikation genau wie Code-Switches in Gesprächen hochkompetenter bilingualer Sprecher multifunktional sind und es den Interaktanten in beiden Fällen unter anderem erlauben, ihrer reichen mehrsprachigen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. 4.6 «Wohlfühl»-Kommunikation Eine Reihe von Kommentaren der Informanten in den Interviews deuten darauf hin, dass diese die interalloglotte Kommunikation als «angenehm» empfinden. Die 15 Sigrid Behrent deutsche Studierende Christine spricht beispielsweise aus folgenden Gründen lieber mit anderen Ausländern: c’est plus confortable», «ils font des fautes aussi», «si personne ne sait le mot, on peut faire . . . quelque chose avec les mains ou . . . demander si quelqu’un des autres connaît le mot en anglais», «on peut pratiquer ensemble et faire des exercices ensemble» et «les Français ont souvent pas la patience . . . d’écouter ce que je veux dire» (Schlussinterview mit Christine) Mit anderen Lernern zu kommunizieren, die auch Fehler machen, scheint die Gefahr eines Gesichtsverlustes zu mindern - die Gesprächsteilnehmer fühlen sich dementsprechend wohler. Das Bewusstsein über die geteilte Unvollkommenheit, das «Wissen, nicht zu wissen», spiegelt sich zum Beispiel in der Tatsache wider, dass die Nichtmuttersprachler oft ihre reduzierte Kompetenz, ihre Schwierigkeiten und Unsicherheiten thematisieren. Die interalloglotte Situation zeichnet sich außerdem durch die «Geduld» der Gesprächsteilnehmer aus, von der die zahlreichen Unterbrechungen und langen Nebensequenzen zur Lösung sprachlicher Probleme zeugen. Dabei profitieren die Nichtmuttersprachler anders als in exolingualer Kommunikation vom gegenseitigen Verständnis für lernerspezifische Ausdrucksweisen und Erklärmethoden. Die Deutsche Maja beschreibt dies so: Quand tu es entre les étrangers et tu sais pas un mot et tu expliques quelque chose super-stupide, tout le monde te comprend - (der Schweizer Nicolas fügt hinzu: sauf les Français) - mais si tu le fais avec un Français, pour eux c’est pas évident, parce qu’ils connaissent pas les problèmes, les similarités entre les mots . . . Maja illustriert den Unterschied zwischen den beiden Kommunikationssituationen mit folgender Anekdote: J’étais à Grenoble pour rendre visite à une copine française et là j’ai cuisiné tout le temps pour elle parce qu’elle a travaillé . . . et une fois j’ai fait une tarte et j’étais dans la cuisine et la pâte était déjà prête . . . j’ai pas dit le bon article, mais j’ai dit la moule 13 . . . - elle m’a regardé comme ça (fait de grands yeux) . . . alors elle, elle a pensé à l’animal et j’ai dit: «mais la moule pour faire le gâteau» et elle n’a pas compris, pas du tout, . . . elle a commencé à rire et pour moi c’était tellement évident, j’ai juste pas dit le bon article! . . . Et pour un autre étranger c’est pas tellement nécessaire si tu dis le bon article.» (Préparation Fête Léon 5 - Moule; Maja erzählt dieselbe Anekdote im Ausschnitt Cocina 2 - saladier et moule) In der interalloglotten Situation darf sogar über die eigenen Fehler und die der anderen gespöttelt werden. In der folgenden Sequenz machen sich die Gesprächsteilnehmer gemeinsam über die Unsicherheit des Deutschschweizers Nicolas lustig, der in seinem spontanen Ausruf, Maja solle doch den fast verbrannten Kuchen 16 13 In Wirklichkeit unterbricht Maja ihre Anekdote an dieser Stelle, um das Genus des Wortes moule bei ihren Gesprächspartnern zu erfragen («c’est le moule ou la moule? »). Diese liefern ihr fälschlicherweise den Artikel la. Um das Verständnis dieser Anekdote zu erleichtern, wurde hier der Artikel la durch le ersetzt. MA <<crie sur un ton larmoyant> nO: : : : n (.......? ) no: : : n SI mais c’est encore bon’ [nv] ((Maja ouvre le four)) MA ((rire désespéré) NI enlève-le ... la . le . le la le gâteau ou la tarte ... ça (.........? ) maintenant ((rire)) DI le SI (.....? ) ((rire)) ((rire)) MA (3sec) ben ça va encore mais c’est NI c’était ça que je veux . là ((rire)) (bon c’était trop? ) ((rire)) SI ((rire)) Interalloglotte Kommunikation aus dem Ofen holen, zwischen der femininen und der maskulinen Artikelform schwankt: «Enlève-le la le la le la! » (Zeile 2). Préparation Fête Luis 6 - enlève-le la [1] [2] [3] [4] Interessanterweise zeigt auch Maja anschließend eine Unsicherheit, ebenfalls bezüglich eines Artikels: Der Kuchen ist gerade noch essbar, aber «c’est à la limite» - oder heißt es «le limite»? (Zeile 4).Anschließend werdenAnekdoten über dem «Holsie-ihn-sie-ihn-raus» ähnlichen Versprecher ausgetauscht und die Ursache ermittelt, die natürlich in der Genusdivergenz zwischen der deutschen und der französischen Sprache liegt. Diese Anekdoten könnten als einfache Beiträge zu dem durch Nicolas’ Selbstkorrektur eingeführten Thema interpretiert werden. Es ist jedoch auffällig, dass mehrere Sprecher hier ihre Grammatikschwächen offenbaren und sich so selbst als «Lerner» kategorisieren. So kann dasVerhalten auch als facework interpretiert werden, mit dessen Hilfe das durch Nicolas’ Versprecher oder die Schadenfreude der anderen eventuell gestörte rituelle Gleichgewicht wiederhergestellt wird. 4.7 Konkurrenz Dass die Kommunikationspartner sich «wohl fühlen» impliziert also nicht, dass keine gesichtswahrenden Aktivitäten zu finden sind. Diese Aktivitäten sind im 17 MA vraiment à la limite c’est lE limite’ lA limite’ NI lA limite SI (1sec) ((petit rire)) une fois j’ai/ ((rire)) Sigrid Behrent Gegenteil sogar häufig und auffällig in Sequenzen, in denen die mehr oder weniger ausgeprägte Asymmetrie zwischen den sprachlichen Kompetenzen relevant wird (cf. das letzte Beispiel). Die Verteilung der Expertenrolle und der entsprechenden Positionen im Gespräch richtet sich nach den lokalen Bedürfnissen der Teilnehmer. Auf den ersten Blick ähneln einige Situationen, in denen ein Lerner die Rolle des Muttersprachlers übernimmt, der exolingualen Kommunikation. Die Selbstkategorisierung als Experte ist jedoch mit einem beträchtlichen Aufwand und facework verbunden. So muss der «Experte» seine Behauptungen rechtfertigen oder zumindest erläutern - das Vertrauen in die Kompetenz anderer Lerner ist nämlich begrenzt. Zweitens stört er das rituelle Gleichgewicht und riskiert eine Gesichtsverletzung des Gesprächspartners, der etwas nicht weiß oder einen Fehler gemacht hat. Diese Bedrohung wird durch gesichtswahrende Aktivitäten, wie zum Beispiel der oben bereits beschriebenen besonderen Intonation von Korrekturen, abgeschwächt (cf. Abschnitt 4.3). 5. Zwei Typen interalloglotter Kommunikation Die zwei Typen interalloglotter Kommunikation zwischen Gesprächspartnern unterschiedlicher (Typ 1) oder aber gemeinsamer (Typ 2) Erstsprache unterscheiden sich lediglich in zweierlei Hinsicht. Die erste Differenz betrifft den Wechsel in andere Sprachen, der in Typ 2 zumindest bei Formulierungsschwierigkeiten eher vermieden wird, wogegen er in Typ 1 zu verschiedenen Zwecken ausgenutzt wird. Die Präsenz von mehr als zwei Sprachen in (1) beeinflusst verschiedene Phänomene (wie z. B. die Arbeit am Lexikon), die in (2) nicht in derselben Weise ablaufen. Zum zweiten scheint das «Misstrauen» gegenüber der Kompetenz der Gesprächspartner im zweiten Typ interalloglotter Kommunikation größer, was sich zum Beispiel in der Art und Weise äußert, in der die Teilnehmer auf Fremdkorrekturen reagieren. Insgesamt gesehen betreffen diese Unterschiede nur Details und sprechen nicht gegen eine Zusammenfassung beider Typen unter einer Bezeichnung, die die Vielzahl an Gemeinsamkeiten nahe legt. Die Tatsache, dass in einem Fall die Sprecher gleicher Erstsprache sind, lässt einen völlig anders gearteten Kommunikationsablauf vermuten - die systematischen Anstrengungen der Lerner, Wechsel in die Erstsprache zu vermeiden oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken, haben jedoch zur Folge, dass dieser Aspekt nebensächlich erscheint. Die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Typen bestätigt die Relevanz der Faktoren, welche die interalloglotte Kommunikation von außen gesehen charakterisieren: Alle Gesprächspartner teilen die Lernerperspektive, sind Nichtmuttersprachler und verfügen lediglich über reduzierte Kompetenz in der Kommunikationssprache, die gleichzeitig Zielsprache ist. Die genannten Faktoren können demnach als für die interalloglotte Situation konstitutiv betrachtet werden. 18 Interalloglotte Kommunikation 6. Zum Spracherwerbspotential interalloglotter Kommunikation Einige Besonderheiten der interalloglotten Kommunikation haben möglicherweise einen positiven Einfluss auf den Erwerb der Zielsprache. Allein die Tatsache, dass die Studierenden sich in dieser Art von Situation ohne Scham und ohne Befürchtungen in ihrer Lernervarietät ausdrücken können und auf die Geduld, das Verständnis und die Kooperation ihrer Gesprächspartner zählen können, stellen einen ersten möglicherweise für den Spracherwerb förderlichen Aspekt dar. Gleichzeitig ist die interalloglotte Kommunikation jedoch wie oben beschrieben auch ein Ort der Konkurrenz, da die Positionen der Gesprächspartner nicht von vornherein festgelegt sind. Während die Kompetenz des Muttersprachlers in exolingualer Kommunikation unbestritten, seine Position quasi unerreichbar ist und seine Korrekturen nicht zur Diskussion stehen, müssen die Teilnehmer an einem interalloglotten Gespräch die Expertenrolle «erobern» und verteidigen. Sie sind dazu gezwungen, ihre Korrekturen zu rechtfertigen, Regeln zu erläutern und Beweise zu liefern. Diese Art von Konkurrenz hat möglicherweise ebenfalls einen positiven Effekt auf den Spracherwerb: Die beschriebenen Verpflichtungen bringen es in jedem Fall mit sich, dass die Nichtmuttersprachler sich intensiv mit ihrer Zielsprache auseinandersetzen. Die gesteigerte linguistic awareness, die sich zum Beispiel in den Wort- und Strukturanalysen der Lerner zeigt, ist meiner Meinung nach ebenfalls dem Spracherwerb zuträglich. Außerdem erfüllt die interalloglotte Kommunikation mehrere Bedingungen, deren positiver Einfluss auf den Spracherwerb aus anderen Studien hervorgeht: Zu nennen sind hier die Fokussierung sprachlicher Aspekte in den zahlreichen und langen metadiskursiven Sequenzen (cf. Dausendschön-Gay 1987, Krafft/ Dausendschön-Gay 1994, Long 1996), das implizite oder explizite Eingehen von didaktischen Verträgen bzw. Kooperationsvereinbarungen (de Pietro/ Matthey/ Py 1989), die Häufigkeit so genannter potentieller Erwerbssequenzen (séquences potentiellement acquisitionnelles, id. oder language learning opportunities, Brouwer 2003), die gegenseitige Unterstützung (collective scaffolding, Donato 1994) auf Basis der Komplementarität der Kompetenzen (Barthomeuf 1991, Nussbaum 1999), der instrumentelle Gebrauch der Zielsprache zu sozialen Zwecken (Pekarek-Doehler 2000) und die Tatsache, dass alle Beteiligten Verantwortung für die Gesprächslenkung übernehmen (Bialystok 1993). Ein weiterer Aspekt ist die omnipräsente Entschlossenheit der Studierenden, dazu zu lernen, conditio sine qua non eines erfolgreichen Spracherwerbsprozesses, sowie der gute Wille, den Gesprächspartnern zu helfen. Diese beiden Faktoren zeigen sich in den gegenseitigen Hilfestellungen, die sich als Methoden sozialer Vermittlung (social mediation, Vygotsky 1978) beschreiben lassen. In der Perspektive der soziokulturellen Theorien des Spracherwerbs, die von einer Interdependenz von kognitiven Prozessen und praktischen Aktivitäten ausgehen (cognition située, Mondada/ Pekarek Doehler 2000), können die interalloglotten Gespräche als Si- 19 Sigrid Behrent tuationen betrachtet werden, aus denen die Interaktanten Kontexte herstellen, die die sozialen Bedingungen für den Erwerb schaffen. Meine Herangehensweise erlaubt es nicht, den tatsächlichen Erwerbseffekt der interalloglotten Kommunikation systematisch zu überprüfen. Punktuell wurden zwar kurzfristige positive Effekte der Kooperation zwischen den Nichtmuttersprachlern beobachtet, eine systematische Kontrolle auch der langfristigen Effekte ist jedoch nur in Form einer experimentellen Langzeitstudie möglich. Meine Daten erlauben außerdem keine Aussage über eventuelle negative Effekte des beschriebenen Kommunikationstyps auf den Spracherwerb. Es ließen sich aber keine Anzeichen für dieses «Risiko» feststellen. Auch wenn der sprachliche Input «beschränkter» ist als in exolingualer Kommunikation, so unterscheidet sich die interalloglotte Situation doch durch verschiedene Besonderheiten - wie zum Beispiel die unterschiedlichen Kompetenzniveaus der Gesprächsteilnehmer, ihr Streben nach korrekter Ausdrucksweise und Lernfortschritten - deutlich von Kontexten, in denen sich Pidgin- oder Kreolsprachen entwickeln (cf. Andersen 1983). Auch einer Fossilisierung der Lernervarietät (Selinker 1972) wird durch die genannten Charakteristika entgegengewirkt. 7. Implikationen für die Fremdsprachendidaktik Die Untersuchung bestätigt einige aus der Forschung zur exolingualen und zur Lerner-Kommunikation im schulischen Kontext hervorgegangene Implikationen für die Fremdsprachendidaktik. Das Bedürfnis der Lerner, genügend Zeit für ihre Äußerungen zur Verfügung zu haben und sich auf die Geduld der Interaktionspartner verlassen zu können (cf. z. B. Dausendschön-Gay/ Henrici/ Köster/ Winks 1986), erscheint auch hier als wichtiger Punkt. Die in den interalloglotten Gesprächen beobachtete gegenseitige Unterstützung gibt außerdem Hinweise darauf, wie man der Forderung nach Verständlichkeit metadiskursiverAktivitäten gerecht werden kann. Die effiziente Kooperation zwischen den Lernern spricht für den Einsatz von Gruppenarbeit im Fremdsprachenunterricht. Es sollte jedoch immer darauf Wert gelegt werden, dass Gespräche unter Lernern ein reales Ziel verfolgen, da diese erst in der Lösung «wirklicher» Probleme ihre Stärken entdecken und ihre Ausdrucksmöglichkeiten ausschöpfen und erweitern (Bange 1992). Auch die interalloglotte Kommunikation zwischen Gesprächspartnern verschiedener Erstsprachen kann in den schulischen Kontext integriert werden, und zwar im Rahmen von Austauschprogrammen mit unterschiedlichen Ländern, bei denen die Schüler und ihre Partner in einer gemeinsamen Fremdsprache kommunizieren. Dies wird in Deutschland bereits an einigen Schulen praktiziert, wissenschaftliche Untersuchungen zu Lernerfolgen liegen meines Wissens jedoch nicht vor. Nachstehend werden in Kurzform einige Beispiele aus Deutschland vorgestellt, an denen die Möglichkeiten erkennbar werden, die solche Projekte bieten. 20 Interalloglotte Kommunikation (1) Im Rahmen des Portugal-Projekts des «Gymnasiums in der Wüste» [sic! ] im niedersächsischen Osnabrück verständigen sich 11-jährige deutsche und portugiesische Schüler in ihrer ersten Fremdsprache Englisch. Die betreuende Lehrerin hat beobachtet, wie die Schüler während des Austausches ohne Hemmungen ihre Sprachkenntnisse erproben und dass sie sich anschließend deutlich sicherer in der Zielsprache bewegen (persönliche Mitteilung vom 12. 2. 2006). (2) Schüler der Hardenberg-Hauptschule Velbert in Nordrhein-Westfalen sind während des Englischunterrichts über Webcams und Headsets mit griechischen Gleichaltrigen der «Avgoulea Highschool» in Athen verbunden und kommunizieren über den Messenger Video Chat in der Fremdsprache 14 . (3) Englischlerner der «Bertha-Krupp-Realschule» in Essen und dem «Liemers College» in Zeenaar (Niederlande) tauschen sich per Email über verschiedene Themen aus und «erfahren [so] die gemeinsame Fremdsprache als Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, sich kennen zu lernen und direkte, persönliche Einblicke in unser Nachbarland zu gewinnen» (http: / / www.bks-essen.de/ workpage/ projekte/ nl/ start_a.htm). Beide Projekte fördern Sprachkenntnisse und Medienkompetenz zugleich. (4) Das Schüleraustauschprogramm «Go for Rotterdam» verbindet bilinguale Zweige des «Maria-Wächtler Gymnasiums» im Ruhrgebiet (Essen) und der Scholengroep Wolfert van Borselen, ebenfalls in den Niederlanden. Die Organisatoren erklären auf ihrer Webseite: Vor dem Hintergrund des Zusammenwachsens von Europa, des erweiterten Arbeitsmarktes und der bilingualen Ausrichtung (deutsch-englisch und niederländisch-englisch) beider Schulen ist, über herkömmliche Ziele hinaus, das Hauptziel dieses Austausches, Kommunikation, Kooperation, Toleranz und interaktives Handeln mit Partnerinnen und Partnern aus dem anderen Land zu fördern. Basis ist dabei die gemeinsame Fremdsprache Englisch. (http: / / www.mwschule.de/ de/ austausch/ rotterdam/ ) Im Rahmen dieses Programms bearbeiten die Schüler in Feldarbeit Projekte zu den Fächern Erdkunde, Politik, Biologie und Kunst. Die Teilnehmer müssen sich dabei in der gemeinsamen Zielsprache auf Arbeits- und Präsentationsweisen verständigen. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass die Schüler dabei ihre Fremdsprache in einem natürlichen Kontext, der alle genannten Vorteile der interalloglotten Kommunikation bietet, als Verständigungsmedium und Instrument zur Lösung realer Probleme entdecken und erproben können. Zusätzlich werden bei allen Programmen implizit oder explizit interkulturelle Kompetenzen und bei einigen darüber hinaus mediale Fähigkeiten gefördert. Projekte, in denen die gemeinsam erlernte Fremdsprache eine andere als Englisch ist, sind mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht bekannt. Eine syste- 21 14 Das Projekt startete im Februar und wurde Ende März 2006 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Informationen sind der Internetseite der Stiftung «Partner für Schule NRW» (http: / / www.partnerfuer-schule.nrw.de/ news_complete.php? id=3762) entnommen, die Meldung stammt vom 3. 4. 2006. Sigrid Behrent matische Erhebung der laufenden «interalloglotten» Austauschprogramme stellt genau wie ihre wissenschaftliche Begleitung und Analyse ihres Spracherwerbspotentials meines Erachtens ein Desiderat der Sprachlehrforschung dar. Saarbrücken Sigrid Behrent Transkriptionskonventionen Symbol Bedeutung Beispiel . kleine Unterbrechung innerhalb le livre . que j’ai lu einer Äußerung .. kurze Pause tu l’as trouvé .. le livre’ ... mittlere Pause j’ai lu ... un livre (x sec) lange Pause (Länge in Sekunden) (2sec) & schneller Anschluss &moi aussi ‘ steigende Intonation tu viens’) , fallende Intonation d’accord, Großbuchstaben Betonung ah BON’) : Verlängerung eines Lautes mais no: n) (....? ) unverständliches Wort oder hier j’ai (....? ) un truc Äußerung (xyz? ) Wort oder Äußerung, das/ die nicht (légume? ) mit Sicherheit identifiziert werden konnte / unterbrochenes Wort oder tu peux me/ euhm; con/ concombre Konstruktion [ ] phonetische Transkription [byt] ((xyz)) nonverbale Aktivität ((rire)) Bibliographie Andersen, R. W. 1983: «Introduction: a language acquisition interpretation of pidginization and creolization», in: id. 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