Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2006
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Kristol De StefaniBarbara Hans-Bianchi, La competenza scrittoria mediale. Studi sulla scrittura popolare, Tübingen (Niemeyer) 2005, 351 p. (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 330)
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2006
Roger Schöntag
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Barbara Hans-Bianchi, La competenza scrittoria mediale. Studi sulla scrittura popolare, Tübingen (Niemeyer) 2005, 351 p. (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 330) Das italiano popolare, welches im Allgemeinen als eine diastratisch niedrig markierte Varietät des Italienischen begriffen wird, ohne dass ihm jedoch eine verbindliche, einheitliche Definition zugrunde läge, war bereits Gegenstand zahlreicher sprachwissenschaftlicher Arbeiten, worunter sich auch einige zu den schriftlichen Äußerungen der sogenannten semicolti befanden (z. B. die Analyse der Kriegsgefangenenbriefe von Leo Spitzer). Der Schwerpunkt der bisherigen Untersuchungen lag dabei in der Regel auf der Erfassung der Unterschiede zum italiano standard im syntaktischen, morphologischen, semantischen oder auch (soweit erschließbar) phonologischen Bereich. Hans-Bianchi legt im Gegensatz dazu erstmalig eine systematische Erfassung aller möglichen Divergenzparameter in Bezug auf die äußere Textgestalt vor, d. h. es werden Textaufbau, Schriftbild, Orthographie und Interpunktion zum zentralen Untersuchungsgegenstand, um Rückschlüsse auf die schriftliche Kompetenz der Textproduzenten in Korrelation zur schulischen Ausbildung und anderen maßgeblichen Faktoren ziehen zu können. In dem knapp 100 Seiten umfassenden theoretischen Vorbau zur eigentlichen Diskussion und Korpusauswertung gibt Hans-Bianchi bereits tiefe Einblicke in die kognitiven Zusammenhänge von Schreibkompetenz und Textkonzeption. Die mediale Umsetzung des phonischen Kontinuums der gesprochenen Sprache in graphischen Einheiten stellt die Sprecher des italiano popolare oft vor große Probleme, genauso wie die adäquate Unterteilung in syntaktisch-semantische Sinnabschnitte oder eine größere textuelle Gliederung und Formgebung. Die verschiedenen Phasen, die notwendig sind, einen kohärenten Text zu erstellen (planning [generating, organizing, goal getting], translating, reviewing [reading, editing]), werden dann nicht in vollem Umfang gemeistert und lassen im Text entsprechende Fehlleistungen erkennen. Eine wichtige Kategorie sind dabei die verschiedenen Arten des Hyperkorrektismus, der anzeigt, dass sich der Schreiber bereits einer bestimmten Strukturregel bewusst ist, diese aber nicht korrekt in den vorgegebenen Grenzen anwendet, sondern generalisierend einsetzt. Formen von Hyperkorrektismus findet man bei der Akzentsetzung ebenso wie bei der Interpunktion oder bestimmten orthographischen Regeln. Grundlage der empirischen Auswertung bildet ein Korpus von Texten des Archivio Diaristico Nazionale von S. Stefano (Arezzo), wobei dieses corpus totale 37 Texte von Autoren unterschiedlichen Bildungsgrades umfaßt. Um eine für das Untersuchungsziel strukturierte Vergleichsbasis zu erhalten, wird eine Aufteilung in ein corpus base mit drei Untergruppen und insgesamt 26 Texten (gegliedert nach 3, 4 oder 5-6 Jahren Schulunterricht der Verfasser) und in ein corpus comparativo mit zwei Untergruppen und acht Texten (mittlere Schul- und Weiterbildung der Verfasser und höhere Schulbildung mit Abschluss) vorgenommen. Die sehr heterogene Zusammenstellung der ausgewerteten Texte zeigt sich in den aufgeführten sozio-kulturellen Parameter zur Erfassung der anonymisierten Autoren und ihrer schriftlichen Produkte. Die Texte entstanden zwischen 1912 und 1993, ihre Verfasser waren zum Zeitpunkt der Abfassung zwischen 15 und 78 Jahre alt (m/ w), sie arbeiteten in verschiedenen Berufszweigen und stammten alle aus größeren und kleineren Orten bzw. Städten der Toscana. Zur systematischen Erfassung der verschiedenen Bereiche der Textgestalt kann Hans- Bianchi demgemäß auf folgende Vergleichsparameter zurückgreifen, die miteinander in Beziehung zu setzen sind: livello di istruzione, periodo di redazione, età, generazione scolastica (giolittiana, fascista, dopoguerra), sesso, tipo di occupazione, area diatopica, località di provenienza, tipo di testo (lettera, diario, memoria). 191 Besprechungen - Comptes rendus Der erste Untersuchungsabschnitt gilt der äußeren Form und Gestaltung, d. h. die einzelnen Texte des Korpus werden nach Kriterien wie Seitenaufteilung, Schriftart, Textgliederung, Seitenzählung oder nachträgliche Verbesserungen ausgewertet. Hans-Bianchi bewertet den Grad der Korrektheit der einzelnen Texte in Bezug auf die genannten Kriterien und bekommt dadurch eine Übersicht der Defizite in den verschiedenen Bereichen der Textgestaltung. Diese objektiven Fehlleistungen, die die Lesbarkeit und das Verständnis des Geschriebenen beeinträchtigen, setzt sie dann in Relation zu sozio-kulturellen Parametern, die den Texten bzw. ihren Verfassern zugrunde liegen. Das Ergebnis, welche Faktoren am ehesten für die Mängel verantwortlich gemacht werden können, lässt sich in folgender abstufender Reihung der Parameter darstellen: scolarità - occupazione - sesso - località di provenienza (- età). Dies bedeutet, dass, wie man wohl auch vermuten würde, der Grad der Schulbildung am ehesten ausschlaggebend ist, wie viele Fehler man hinsichtlich des gesetzten Standards macht. Des weiteren können je nachdem auch Faktoren wie Beruf bzw. berufliche Weiterbildung, Geschlecht, Alter oder Herkunftsort die Lesbarkeit und Korrektheit des Textes positiv oder negativ beeinflussen. So verwenden beispielsweise Frauen in der Regel mehr Sorgfalt auf die Textform, Personen mit niedriger Schulbildung können diese bis zu einem gewissen Grad durch eine berufliche Tätigkeit in einem Umfeld mit hoher Schriftproduktion und -rezeption ausgleichen, und stadtferne, sehr kleine Herkunftsorte lassen eine niedrige Schreibbzw. Textkompetenz erwarten. Im zweiten Untersuchungsbereich, der die Anwendung der Interpunktionszeichen als syntaktisch-semantische Gliederungssignale zum Gegenstand hat, wird nach gleichem Schema vorgegangen. Hierbei auftretende Fehler bezüglich der gesetzten Norm wären z. B. der Gebrauch des Fragezeichens zum Ausdruck des Zweifels oder als Marker der indirekten Rede, die generalisierende Verwendung der Anführungszeichen bei Städte- oder Personennamen, sowie jede Art von unüblichem Gebrauch eines Interpunktionszeichens und auch seiner Auslassung an geforderter Stelle. Generell am häufigsten werden Punkt und Komma eingesetzt, dann Frage- und Ausrufezeichen, während Anführungszeichen, Klammern, Gedankenstrich und Suspensionszeichen selten oder oft gar nicht eingesetzt werden. Die abhängigen Faktoren sind dabei wieder in der Reihenfolge scolarità - occupazione - sesso zu gewichten, wenn auch nicht in gleicher Art und Weise. So war die Auswirkung einer beruflichen Anstellung im tertiären Beschäftigungssektor eines Verfassers mit geringer Schulbildung bezüglich der Textformgebung positiv zu bewerten, wohingegen die gleiche Konstellation im Hinblick auf die Beherrschung der Interpunktion eher negative Auswirkungen hatte, da eine überdurchschnittliche Anzahl von Hyperkorrektismen produziert wurden. Der dritte Untersuchungsteil ist schließlich den segni grafematici und paragrafematici gewidmet. Hier werden neben der korrekten Wiedergabe der einzelnen Buchstaben bzw. Wörter auch die dazugehörige Anwendung von Apostroph, Akzent, Maiuskel und Leerraum zwischen den Lexemen behandelt. Mögliche Abweichungen gliedert Hans-Bianchi dabei in devianze fonografiche (z. B. grafie fonetiche), errori morfolografici (z. B. Homophonendifferenzierung) und errori visivografici (andere spontane Fehler). Probleme bereiteten den Textproduzenten vor allem die korrekte Wiedergabe von phonetischen Realitäten, die keine 1 : 1 Entsprechung im graphischen System haben, wie z. B. Nasale oder bestimmte Palatale und inkohärente orthographische Eigenheiten, die oft auf einen etymologischen Hintergrund zurückzuführen sind (cuore vs. questo, famiglia vs. familiare). Weitere Arten der fehlerhaften Schriftproduktion führen zu Phänomenen wie regressiver Assimilation, Anaptyxe, Epithese, Elision und anderen Abweichungen, die z. T. auch dialektal beeinflusst sein können. Bei Akzent und Apostroph sind ebenfalls zahlreiche regelabweichende Verwendungen festzustellen, Auslassung und hyperkorrekter Gebrauch inbegriffen. Die Hierarchie der maßgeblichen sozio-kulturellen Faktoren kann für diesen 192 Besprechungen - Comptes rendus Bereich folgendermaßen dargestellt werden: scolarità - sesso - occupazione - età/ generazione scolastica - provenienza. Die Schulbildung bleibt demgemäß also die wichtigste Determinante für eine korrekte Orthographie, und zwar insbesondere bezüglich der beiden Extreme, d. h. sehr geringe Ausbildung ist in dieser Hinsicht kaum kompensierbar und liefert entsprechend schlechte schriftliche Ergebnisse, wohingegen sehr gute Schulbildung in jedem Fall für die in diesem Vergleich fehlerfreisten Texte verantwortlich ist. Innerhalb dieses Kontinuums ist jedoch einige Variation möglich, beeinflusst durch die oben genannten Faktoren in der angeführten Gewichtung. Die unbestreitbare Leistung dieser klar gegliederten Arbeit besteht unzweifelhaft in der Hervorhebung der zugrundeliegenden Prozesse, die zu den zum Teil schon bekannten Abweichungen in den Texten der semicolti führen, wie sie es selbst treffend beschreibt: «La ricchezza del nostro corpus ha permesso di mettere a nudo le tracce di meccanismi della scrittura popolare quale risultato di un processo scrittorio da un lato e quale espressione di una competenza acquisita secondo un determinato percorso dall’altro lato.» (289) Problematisch ist dabei allerdings die gerade für spezielle Aussagen zu dünne empirische Grundlage, die nicht mehr als statistisch relevant angesehen werden kann, wobei natürlich der Umfang des Korpus immer im Rahmen der Realisierbarkeit einer solchen Studie bleiben muss. Roger Schöntag ★ Giovanni Rovere, Capitoli di linguistica giuridica. Ricerche su corpora elettronici, Alessandria (Edizioni dell’Orso) 2005, 263 p. (Studi linguistici e retorici 9) Non molti, ma pregiati, i lavori prodotti negli ultimi due decenni da linguisti sul complesso universo del linguaggio giuridico. I Capitoli di linguistica giuridica, per il taglio microlinguistico dell’indagine, si pone a fondamentale complemento di lavori di filosofia del diritto, come quello di U. Scarpelli e P. Di Lucia, Il linguaggio del diritto, Milano 1994, che si concentrano su fenomeni di modalità e atti linguistici, e costituisce un naturale approfondimento di temi e problemi posti nel mirabile quadro introduttivo offerto da Mortara Garavelli, Le parole e la giustizia. Divagazioni grammaticali e retoriche su testi giuridici italiani, Torino 2001. I dati provengono da un corpus elettronico comprendente massime, sentenze, note, monografie e articoli di giurisprudenza costituzionale e civile, penale, amministrativa, comunitaria e straniera. L’analisi tocca tutti i livelli: dal piano della variazione grafica (Cap. 1), a fenomeni di morfosintassi quali l’uso dell’articolo (Cap. 2), dei pronomi (Cap. 3), della costruzione da + infinito (Cap. 4), del suffisso -ità (Cap. 5), la posizione dell’aggettivo nei sintagmi tecnici (Cap. 6), la distribuzione dell’avverbiale strumentale (Cap. 7), per poi estendersi ai livelli testuale e lessicale, con lo studio delle funzioni di connettivi (Cap. 8) e verbi (Cap. 9 e 10). Fin dalle Premesse metodologiche emerge la portata innovativa del lavoro: ogni fenomeno è indagato partendo da attestazioni reali, con un continuo confronto tra dati provenienti dai corpora giornalistico e giuridico che permette di individuare con finezza e rigore sia le condizioni che governano l’uso di determinati fatti linguistici in diverse varietà dell’italiano sia i tratti distintivi dell’uso di tali costrutti all’interno dei testi giuridici. Quando pertinente, l’analisi è estesa ad altre varietà, come l’italiano parlato nell’individuazione delle caratteristiche stilistiche di altrettanto correlativo (23), o un corpus di manuali di genetica per la valutazione della posizione dell’avverbiale strumentale (129), con cenni alla diacronia (66, 114, 143-55). I risultati integrano e talora superano per valore esplicativo le descri- 193 Besprechungen - Comptes rendus
