eJournals Vox Romanica 67/1

Vox Romanica
vox
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2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2008
671 Kristol De Stefani

Jacques Charles Lemaire (ed.), Le Roman de Gligois. Récit arthurien du XIIIe siècle. Édition critique, Liège (Les Éditions de l’Université de Liège) 2005, 231 p.

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2008
Arnold  Arens
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d’Orange erstellen zu wollen 2 . Verhindert durch eine Vielzahl anderer Aufgaben konnte sie dann aber erst im Jahre 2000 gemeinsam mit Henrard und Gemenne den ersten Band der Edition publizieren, der die ersten 57 Kapitel des Romans umfasst. Diese Ausgabe fand in der wissenschaftlichen Kritik eine einhellig positive Aufnahme 3 . Mit der Vorlage der beiden hier anzuzeigenden Bände hat das Vorhaben nun erfreulicherweise seinen Abschluss gefunden. In Band II werden die Kapitel 58 bis 128 des Romans in derselben Weise ediert wie in Band I: Von den nur zwei erhaltenen Handschriften des Werkes wird Manuskript A (BNF f. fr. 1497) als Basishandschrift gewählt. Manuskript B (BNF f. fr. 796), das eindeutig eine Kopie von A ist, wird nur herangezogen, um Fehler oder Lücken im Text von A zu beheben. Die von den Editoren abgelehnten Lesarten von A sowie alle Varianten von B werden akribisch im textkritischen Apparat verzeichnet. Die mit einem * versehenen Textpassagen verweisen auf die wenigen Kommentare, die sich am Ende eines jeweiligen Kapitels befinden und im wesentlichen «de brefs commentaires critiques sur les passages problématiques, sur certaines fautes de copie ou certaines graphies déroutantes» (I, iii) bieten. Besser kann man eine Textedition nicht anfertigen. Band III, der von nur zwei Mitgliedern des dreiköpfigen Editionsteams erstellt wurde, enthält eine kurze Charakterisierung der zwei Handschriften (1-4), eine gründlichste «Étude de la langue du manuscrit de base» (5-36) sowie ein erfreulicherweise äußerst umfassendes Glossar (37-157). Ziel des Glossars ist es, «(de) faciliter la compréhension du texte par un large public de spécialistes comme d’étudiants» (37). Die soeben genannten Teile des dritten Bandes wurden von N. Henrard bearbeitet, der man zu dieser überzeugenden Leistung nur gratulieren kann. M. Tyssens hat die Erstellung des Index der Eigennamen und der Sprichwörter übernommen (159-214).Auf eine literarische Analyse des Roman de Guillaume d’Orange hat man hier mit gutem Grund verzichtet. Denn diese wurde bereits 1979 von François Suard 4 mit der Publikation seiner trefflichen Thèse d’État vorgelegt, auf die jeder zurückgreifen kann. Mit ihrer Arbeit haben die drei Editoren in gekonnter Weise ein Werk ediert und auch sprachlich kommentiert, «qui, assurément, ne mérite pas l’oubli où il était tombé» (I, iii). Diese bestechende Leistung verdient den Dank und die Anerkennung jedes Mediävisten. Arnold Arens ★ Jacques Charles Lemaire (ed.), Le Roman de Gligois. Récit arthurien du XIII e siècle. Édition critique, Liège (Les Éditions de l’Université de Liège) 2005, 231 p. Bei dem hier anzuzeigenden Werk, das von Lemaire neu ediert und ebenfalls erneut ins Neufranzösische übersetzt wurde, handelt es sich um einen der kürzesten Versromane des Artusstoffes. Der Roman wurde wahrscheinlich im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Autor verfasst. Er zählt insgesamt nur 2942 als Paarreime angelegte Achtsilbner, die im franzisch-pikardischen Dialekt geschrieben sind. Der Inhalt des Werkes ist von äußerster Einfachheit und gliedert sich in drei Handlungsteile. 1) Der deutsche 316 Besprechungen - Comptes rendus 2 «Le Roman de Guillaume d’Orange. Étude d’une mise en prose», in: Société Rencesvals, Proceedings of the Fifth Conference (Oxford 1970), University of Salford 1977: 45s. 3 Cf. etwa G. Holtus in ZRPh. 117 (2000): 677; C. Roussel in LR 54 (2000): 337s.; G. Roques in RLiR 64 (2000): 607; B. Guidot in Moyen Âge 107 (2001): 603s. 4 Guillaume d’Orange. Étude du roman en prose, Paris 1979 (Bibliothèque du XV e siècle 44). Knappe Gligois wird von seinem Vater an den Hof des Königs Artus geschickt, wo er in den Dienst Gauvains, des Neffen von König Artus, gestellt wird. Er wie auch sein Herr verlieben sich in Beauté, die Dienerin von Guenièvre. Dadurch gerät Gligois in einen Konflikt zwischen Liebe zu Beauté und Treue zu seinem Herrn. 2) Gligois, von tiefer Liebe zu Beauté erfüllt, nimmt viele Leiden auf sich; bei einem Turnier zeichnet er sich durch seine Tapferkeit aus. Die zentrale Episode dieses Handlungsteils ist der Ritterschlag Gligois’ durch die Schwester der Beauté auf dem Schloss von Lademore. 3) Der Held, dessen beispielloses Verhalten unterstrichen wird, gewinnt schließlich das Herz von Beauté: Amors li a gueredoné/ Tout le grant mal qu’il a soufert (v. 2906-07). Gauvain tritt selbstlos zurück und bittet König Artus, die beiden Liebenden zu vereinen. Der Roman verherrlicht also die fine amor (v. 2919), «qui privilégie le mérite personnel et la profondeur du sentiment» (7). Das Werk war in nur einem einzigen Manuskript überliefert, das im 15. Jahrhundert erstellt und später in der Nationalbibliothek zu Turin aufbewahrt wurde (Sigel: L iv 33). Durch einen verheerenden Brand wurde es leider am 25. Januar 1904 zerstört. Der Roman de Gligois wäre in Vergessenheit geraten, wenn nicht zum Glück W. Foerster, der eine Edition des Werkes plante, und J. Müller den Text in den Jahren zwischen 1872 und 1888 transkribiert und mit Anmerkungen versehen hätten. Der Tod Foersters im Jahre 1915 ließ sein Editionsvorhaben aber nicht mehr zur Vollendung kommen. Die von ihm und von Müller angefertigte Texttranskription wurde 1920 von der Harvard Universität für die Widener Bibliothek erworben (Sigel: 27271.57 F*); heute befindet sie sich in der Hougton Bibliothek (Sigel: FR 506). Auf der Basis der in Harvard aufbewahrten Materialien legte Ch. H. Livingston im Jahre 1932 die erste Edition des Romans 1 vor, von der 1966 ein Nachdruck erschien. Die Ausgabe wurde von der Fachwelt durchweg als gelungen begrüßt 2 ; andererseits wurden aber auch zahlreiche Textkorrekturen vorgetragen, insbesondere von A. Hilka, A. Jeanroy, A. Wallensköld und A. Långfors. Da die Ausgabe von Livingston nur noch schwer zugänglich war und im übrigen auch nicht mehr den modernen Editionsverfahren entsprach, war die Vorlage einer modernen Textausgabe schon seit langem ein dringendes Desiderat. Einen ersten, wenn auch sehr kleinen Schritt in diese Richtung machte 1953 A. Henry, als er eine Teiledition, nämlich die Ausgabe der Verse 612-721, erstellte 3 . Man musste aber noch bis zum Jahr 2003 warten, in dem dann M.-L. Chênerie, die schon 1989 eine neufranzöische Übersetzung des Romans veröffentlicht hatte 4 , endlich diese Forschungslücke schloss und eine vollständige Neuausgabe des Textes publizierte 5 . Diese Neuedition erschien, als Lemaire offenbar kurz vor dem Abschluss seines Publikationsvorhabens stand. Er sagt selbst: «Notre travail était quasiment sous presse quand a paru . . . une édition réalisée par Madame Chênerie » (11). In einer solchen Situation, die jeder Wissenschaftler bei der Arbeit an einem Werk fürchtet, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder gibt man sein Vorhaben auf oder man versucht, sich von dem Vorgänger abzusetzen. Lemaire hat den letztgenannten Weg gewählt. In mehrfacher Weise bemüht er sich, seine Arbeit anders zu gestalten als Chênerie. Zunächst einmal ist die grundsätzliche Zielrichtung seiner Edition eine ganz andere. 317 Besprechungen - Comptes rendus 1 Gligois. A French Arthurian Romance of the Thirteenth Century, Cambridge 1932. 2 Lemaire führt die insgesamt acht zu dieser Edition erschienenen Rezensionen in der Bibliographie an (cf. 225). 3 Chrestomathie de la littérature en ancien français, Berne 1953 ( 2 1960: 127-28). 4 In: D. Régnier-Bohler (ed.), La légende arthurienne. Le Graal et la Table Ronde, Paris 1989: 709-47. 5 Le Roman de Gligois, Paris 2003. Die Edition fand die Aufmerksamkeit folgender Rezensenten: G. Roques in RLiR 67 (2003): 603; F. Le Saux in MAe. 73 (2004): 181s.; C. Jewers in Sp. 80 (2005): 539s. In der Einleitung hebt er hervor: «notre entreprise ne rappelle en rien (! ) celle qu’exécute ordinairement le médiéviste éditeur de textes, qui recherche les copies d’un écrit ancien, les collationne, choisit un manuscrit de base, le corrige éventuellement . . . explique ses options» (8). Ferner will er die Edition von Chênerie verbessern, die nach seinem Urteil aufgrund der zahlreichen Fehler - diese listet er auf insgesamt vier Seiten (11-14) akribisch auf - «insuffisant(e)» (11) ist. Und schließlich kritisiert er, dass die von Chênerie angefertigte Übersetzung des Roman de Gligois eine Vielzahl an Lücken und viel zu freien Übertragungen aufweise, so dass sie «risque de dérouter le lecteur» (10). Nachfolgend werde ich auf die soeben genannten drei Bereiche näher eingehen. Eine wissenschaftliche Textedition im herkömmlichen Sinn ist die Arbeit Lemaires nun fürwahr nicht. Es fehlt eine substantielle Einleitung, in der man über den Inhalt und den literarischen Wert des Textes, über die Text- und Editionsgeschichte, den möglichenAutor/ Kopisten, über die Sprache des Werkes u. a. m. lesen kann. In der kurzen «Introduction» (7-14) werden nur einige ganz summarische Informationen zu diesen Themen auf knapp zwei Seiten (7-8) geboten; der Rest der Einleitung ist der Auseinandersetzung mit der Übersetzung und der Edition von Chênerie gewidmet.Auch einen textkritischen Apparat 6 , ein Glossar und umfassende Kommentare in den Anmerkungen sucht man hier vergeblich. Selbst wenn hier der altfranzösische Text ins Neufranzösische übersetzt wird, wäre ein Glossar sehr hilfreich gewesen. Zu all den genannten und als fehlend monierten Bereichen bietet die Arbeit von Chênerie umfassende Informationen; darum ist sie nach wie vor unverzichtbar. Was nun die Erstellung der Textausgabe selbst angeht, so hat sich Lemaire ausschließlich auf die Edition von Livingston und die dazu erschienenen Rezensionen gestützt. Die Materialien von Foerster und Müller hat er, anders als Chênerie, nicht ausgewertet. Und wiederum anders als Chênerie, die in ihrer Ausgabe, wie er anmerkt, «une attitude ‹interventionniste›» (11) einnehme und «une confiance trop aveugle aux propositions de corrections des recenseurs de l’édition Livingston» (11) zeige, ist seine Haltung «la plus respectueuse possible de la version établie par Ch. Livingston», sie ist «une attitude philologique ‹conservatrice›» (8). Lemaire hat einerseits sehr viele Fehler von Chênerie (und auch Livingston) überzeugend korrigiert; diese Korrekturen werden aber leider nur in einigen wenigen Fällen in den «Notes» (178-213) kommentiert und begründet. So hat er den bei Chênerie fehlenden Vers 2178 anhand von Livingston eingefügt. Und auf dieser Grundlage hat er auch die bei Chênerie umgestellten Verse 713-14, 1131-32, 1413-14 wieder in die richtige Reihenfolge gesetzt. Weitere Beispiele für überzeugende Korrekturen, die aus metrischen, reimtechnischen, grammatikalischen oder inhaltlichen Gründen vorgenommen wurden, liefern die Verse 86, 99, 190, 639, 668, 709, 757, 905, 926, 1078, 1099, 1284, 1326, 1396, 1407, 2330, 2448, 2640, 2680, 2684, 2922. Andererseits hat Lemaire aber auch aus zu großer Treue zu Livingston an zahlreichen Stellen der Edition von Chênerie überflüssige oder falsche Korrekturen durchgeführt 7 : v. 43: en may, un jour d’esté] en m., en j. d’e.: das zweite en ist durch un zu ersetzen, es handelt sich dabei um eine «formule très connue» 8 v. 66: loissir] laissir: überflüssige Korrektur, es handelt sich um zwei dialektale Varianten; v. 619: chief] chiéz: hier muss aus grammatikalischen Gründen der Obliquus chief stehen; v. 741 en] enz: nicht einsichtige Korrektur, en 318 Besprechungen - Comptes rendus 6 Es ist zwar kein einziges Manuskript des Roman de Gligois mehr erhalten. Aber unterschiedliche Lesarten des Textes wären an dem von Foerster und Müller erstellten Material zu ermitteln gewesen. Außerdem hätten die Abweichungen von Livingston und Chênerie im textkritischen Apparat verzeichnet werden müssen. 7 Im Folgenden steht links der Klammer ] die Lesart von Chênerie und rechts der Klammer die von Lemaire. 8 Rezension zu Livingston von A. Jeanroy in: R 62 (1934): 250. ist richtig; v. 747: S’el refuzera] Se r.: das feminine Subjektpersonalnomen kann im Pikardischen ohne End-e stehen; v. 974: gré] gié: nur gré ergibt einen Sinn; v. 1040: Se] Ne: grammatikalisch und inhaltlich falsche Korrektur; v. 1093: liëment] bonement: die Korrektur ist überflüssig, beide Lesarten ergeben einen Sinn; v. 1509: jes] je le: vorher war mit maint . . . homme der Plural angezeigt, darum ist jes = je les zwingend; v. 1559: Li poés] Si poés: nur Li ergibt einen Sinn; v. 1707: cel nus] c. nu: aus reimtechnischen Gründen muss nus stehen; v. 1781: le val] la val: val ist maskulin, darum ist der Artikel le korrekt; v. 1872: l’ajournee] la journee: überflüssige Korrektur; v. 2141: al gésir] et g.: nur al g. = zum Ruhen ergibt einen Sinn; v. 2276: que] qui: beide Formen des Relativpronomens ergeben einen Sinn; v. 2581: Felon] Selon: diese Korrektur «n’a aucun sens» 9 ; v. 2688: l’ont loé] sont loé: Gligois hat Gaben verteilt, deshalb haben die Jongleure ihn gelobt; v. 2868: par un brief] par brief: Chêneries Lesart ist die grammatikalisch korrekte. Hinsichtlich der neufranzösischen Übersetzung des Werkes ist zunächst einmal sehr positiv hervorzuheben, dass bei Lemaire der altfranzösische Text jeweils auf der linken und dessen neufranzösische Übertragung auf der rechten Druckseite steht.Auf diese Weise wird jedem Leser eine problemlose Vergleichsmöglichkeit geboten. Dies ist bei Chênerie leider nicht der Fall. Bei ihr muss man zum einen auf zwei verschiedene Publikationen zurückgreifen. Und außerdem wird der Vergleich von Original und Übersetzung noch dadurch zu einer wahren Sisyphusarbeit, dass anders als bei Lemaire in Chêneries Übersetzung keine einzige Versangabe zu finden ist, durch die ein Bezug zum altfranzösischen Text hergestellt wird. Das Anliegen Lemaires ist es, die Übertragung so anzufertigen, dass sie «la plus précise possible, la plus proche de l’œuvre médievale» (10) ist. Dies ist ihm auch gelungen. Zum einen hat er die insgesamt 37 von Chênerie offenbar aus Unachtsamkeit nicht übersetzen Verse ins Neufranzösische übertragen 10 . Zum anderen hat er die bei Chênerie an zahlreichen Stellen nicht nur viel zu freien, sondern gelegentlich auch falschen Übersetzungen 11 textnäher gestaltet bzw. korrigiert. Insgesamt bleibt festzuhalten: Auch wenn hier keine neue Textedition im engeren wissenschaftlichen Sinn vorliegt, wird mit dieser Studie Chêneries Ausgabe und insbesondere deren Übersetzung in entscheidenden Punkten verbessert. Das ist eine durchaus lobenswerte Leistung, die aus einer äußerst gründlichen Beschäftigung mit dem Stoff hervorgeht. Wie man den Worten Lemaires (10) entnehmen kann, richtet sich die Arbeit an Leser, die in der altfranzösischen Sprache und Literatur keine Spezialisten sind. Für diesen Personenkreis ist das Ausgabe gut geeignet. Arnold Arens ★ Julia C. Szirmai (ed.), Un fragment de la Genèse en vers (fin XIII e -début XIV e siècle). Édition du Ms. Brit. Libr. Harley 3775, Genève (Droz) 2005, 284 p. (TLF 574) Das hier edierte Bibelfragment, in dem Auszüge der Kapitel Genesis 22,24 bis 42,14 in altfranzösische Verse übertragen werden, enthält Teile der Geschichte der alttestamentlichen Figuren Abraham, Isaak und Jakob. Das Fragment wird eröffnet mit der Erwähnung, dass 319 Besprechungen - Comptes rendus 9 Id. 251. 10 Lemaire listet die nicht übersetzten Verse in seiner Arbeit (10) auf; ergänzt werden muss noch der von Chênerie bei der Übersetzung ebenfalls vergessene v. 44. 11 Hier einige ausgewählte Beispiele aus Chêneries Übersetzung. Mit Ch in Klammern wird diese Übertragung angezeigt, die Ziffer führt die Seite an: v. 618-22 (Ch 720), v. 786 (Ch 722), v. 822s. (Ch 723), v. 941s. (Ch 724), v. 1038 (Ch 725), v. 1271 (Ch 728), v. 1308 (Ch 729) u. a. m.