eJournals Vox Romanica 68/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
681 Kristol De Stefani

Corinne Pierreville (ed.), Claris et Laris, Paris (Champion) 2008, 1134 p. (CFMA 157)

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2009
Arnold  Arens
vox6810315
als Basismanuskript gewählt. Die Lesarten des Manuskripts A werden hinter dem Zeichen V] im textkritischen Apparat verzeichnet. Um diesen laut P. Nobel nicht zu überlasten, werden die Varianten der provenzalischen Handschrift N 2 hingegen in den Anmerkungen am Ende der Edition angeführt. Dies ist ein recht ungewöhnliches Verfahren; es erschwert obendrein dem Leser, der seine Informationen an zwei verschiedenen Stellen der Arbeit suchen muss, die Überprüfung der Richtigkeit der Textedition. In Fällen, in denen die Lesart von A der von N vorgezogen wird, befindet sich die Variante von N im textkritischen Apparat hinter dem Zeichen C]. Es ist nicht die Absicht von P. Nobel - und das ist richtig so - «de créer une copie hybride» (lxv). Darum verbessert er anhand der Lesarten von A und N 2 die Handschrift N nur dann, wenn ein evidenter Fehler des Kopisten oder ein Sinnfehler vorliegt. Im Text von N fehlende Elemente werden ebenfalls anhand von A und N 2 ersetzt. Sie stehen im Text zwischen den Klammern . . . und werden in der Regel in den nach der Edition stehenden Anmerkungen kommentiert. Die Textedition ist mit größter Sorgfalt in mustergültiger Weise erstellt worden. Bei zahlreichen stichpunktartig durchgeführten Überprüfungen habe ich keine Textstelle gefunden, an der eine Korrektur anzuzeigen wäre. Die umfangreichen «Notes à l’édition» (113-96), die der Textedition folgen, geben Kommentare zu sprachlichen Problemen einzelner Wörter oder Stellen des edierten Textes. Hier stellt P. Nobel insgesamt gesehen eine weite und profunde Sachkenntnis und eine beste Kenntnis der altfranzösischen Sprache unter Beweis. Deshalb sind die Erläuterungen in den allermeisten Fällen auch vollkommen überzeugend. Schade ist es aber, dass sich der Editor an mancher Stelle der Anmerkungen auch auf den Pfad der puren Spekulation begibt, was deutlich durch Formulierungen wie «pourrait» (113, 114, 119, 125, 141 u. a.), «peut(-)être» (113, 115, 119 u. a.), «Il nous semble» (114, 147, u. a.), «On a l’impression (127, 129, 137 u. a.) angezeigt wird. In solchen Fällen bleiben die vorgetragenen Thesen natürlich ohne Beweiswert. Ein mit Sorgfalt erstelltes «Glossaire» (197-237), ein «Index des noms propres» (239-249) sowie eine umfassende, bestens strukturierte «Bibliographie» (253-62) beschließen den Band. Wenn ich auch an einigen Stellen Negatives angeführt habe, bleibt insgesamt festzuhalten, dass P. Nobel eine gekonnte und insgesamt überzeugende Edition vorgelegt hat, mit der eine seit langem bestehende Forschungslücke geschlossen wird. Und es ist nur zu hoffen, dass in Kürze auch die übrigen alttestamentlichen Bücher, die in den Manuskripten der Bible d’Acre enthalten sind, in ebenso trefflicher Weise in einer Textausgabe zugänglich gemacht werden. Arnold Arens ★ Corinne Pierreville (ed.), Claris et Laris, Paris (Champion) 2008, 1134 p. (CFMA 157) Claris et Laris ist mit insgesamt 30372 Achtsilbnern «un des plus longs romans arthuriens en vers de la littérature médiévale» (9). Das von einem anonymen Autor geschriebene Werk entstand, wie aus den Anspielungen des Prologs auf zeitgenössische Ereignisse, zum Beispiel auf die Einnahme von Antiochia (1260) oder von Konstantinopel (1268), zu entnehmen ist, in den Jahren zwischen 1268 und 1291, wahrscheinlich «aux années 1270» (9). Während in der Forschung bislang Uneinigkeit über die Frage bestand, ob der Roman im pikardischen oder lothringischen Dialekt geschrieben sei, weist die Editorin anhand einer exhaustiven Analyse der Sprache des Romans (59-88) überzeugend nach, dass der Text «présente un nombre bien plus élevé de traits lorrains que picards» (87). Inhaltlich wird in dem Werk Folgendes dargestellt: Claris, ein junger hübscher Mann im Dienst des greisen gascognischen Königs Ladon und dessen nur 15 Jahre alten Ehefrau 315 Besprechungen - Comptes rendus Lidaine, verliebt sich tief in die junge Königin. Um seinen Liebesqualen zu entfliehen, bittet er seinen Herrn, ihn zum Ritter zu schlagen und zum Hof des Königs Artus zu entsenden. Ladon entspricht dieser Bitte und stellt dem Claris als Gefährten Laris, den Bruder seiner Ehefrau, zur Seite. Die zwei Protagonisten, die fortan durch eine «amitié insigne» (hintere Einbandseite) miteinander verbunden sind, vollbringen auf dem Weg zu König Artus ihre ersten ritterlichen Taten, indem sie Gefangene befreien und Unheil sowie Leid stiftende Personen töten. Nachdem sie von Artus ehrenvoll in den Kreis der Table Ronde aufgenommen worden sind, tragen sie durch ihren Einsatz entscheidend dazu bei, dass der bretonische König den Sieg davonträgt im Kampf gegen die Römer, gegen Spanien, die Gascogne, Dänemark und Deutschland, «instaurant dans tous ses pays une ère de concorde universelle» (hintere Einbandseite). Nach dem Tod des alten Königs Ladon wird Claris mit der von ihm angebeteten Lidaine vermählt, und König Artus krönt das Paar zu Herrschern der Gascogne und Spaniens. Ebenso wird am Ende des Romans auch Laris mit der von ihm geliebten Marine, der Schwester Yvains, vermählt, und das Paar erhält die Königskrone über Deutschland und Dänemark. Im Zentrum des gesamten Handlungsgeschehens steht das Thema der Freundschaft der beiden Protagonisten. Der zweimalige Verlust des Freundes (einmal in der Bretagne, dann in Dänemark) treibt Claris dazu, sich gemeinsam mit Gefährten auf eine lange Suche nach Laris zu begeben (Textumfang: 13221 Verse); während dieser Suche, an der sich die meisten aus anderen Artusromanen schon bekannten Personen beteiligen, erleben die Ritter «(de) multiples aventures chevaleresques, sentimentales et merveilleuses» (hintere Einbandseite). Claris et Laris ist zwar einerseits «une œuvre visant à rassembler l’ensemble des motifs et des personnages arthuriens» (10). Andererseits sind aber auch signifikante Unterschiede zu den zeitlich vorangehenden Artusromanen festzustellen. Die beiden Protagonisten sind «(de) parfait(s) inconnu(s)» (41); Lancelot wird nur ein einziges Mal erwähnt (v. 7470); Galaad und Bohort sowie die Romane des Gralzyklus und La Mort le roi Artu werden mit Stillschweigen übergangen; und Perceval schließlich «redevient uniquement le vaillant guerrier qu’il était en Cligés» (46). Diese Abweichungen von der Artustradition zeigen, dass der Dichter «désacralise . . . l’éthique chevaleresque» (46). In seinem Werk geht es nicht um die zerstörerischen Inhalte des Artusstoffes und nicht um die spirituelle Suche nach dem Gral, sondern um die Suche nach Laris. «(L)’amitié est un principe fécond qui gagne l’ensemble des chevaliers que côtoient Claris et Laris et les inicite à se surpasser en luttant pour des causes justes» (45). Es ist somit das Menschliche, das in der gesamten Erzählung im Vordergrund steht. Der Dichter scheint davon überzeugt zu sein, dass «(l)a chevalerie arthurienne doit s’ouvrir sur des forces nouvelles pour s’y régénérer» (41). Und dieses neue Ritterethos, so vermittelt er, besteht darin, sich ganz den «tâches utiles ici-bas, la libération des peuples opprimés, la protection des faibles, le maintien de la justice et du droit» (46) zu widmen. Auf diese Weise kann dann «l’utopie d’une concorde universelle» (44) zur Realität werden. Somit ist das Werk ein «roman profondément optimiste» (51). Der Roman ist uns in nur einem einzigen wahrscheinlich zu Beginn des 14. Jahrhunderts enstandenen Manuskript überliefert (Paris BN, f. fr. 1447), dessen Kopist «a apporté beaucoup de soin à recopier le roman comme le prouvent les rectifications qu’il introduit lui-même dans les colonnes» (102). Auf der Basis dieser Handschrift erstellte dann Ende des 19. Jahrhunderts J. Alton die bislang einzige vorliegende Ausgabe des Werkes 1 . Da diese Edition absolut nicht mehr den heute gültigen Editionsstandards entspricht und außerdem eine beachtliche Zahl an fehlerhaften Lesarten und Auslassungen von Textpassagen aufweist (cf. «Liste des erreurs et coquilles de l’édition de Johann Alton», 1033s.), war die Vorlage einer 316 Besprechungen - Comptes rendus 1 Li Romans de Claris et Laris, Tübingen 1884 (Bibl. des lit. Vereins in Stuttgart 169); Neudruck Amsterdam 1966. neuen Textausgabe schon seit langem ein dringendes Desiderat. Erfreulicherweise schließt nun C. Pierreville 2 , «maître de conférences» an der Universität Jean Moulin-Lyon 3, mit der hier anzuzeigenden Arbeit in insgesamt gekonnter Weise diese Forschungslücke. Bei der Erstellung der Textausgabe ist es Pierrevilles Prinzip, «(de) respecter le plus fidèlement possible la forme du texte tel qu’il apparaît dans le manuscrit» (101s.). Ein solches Procedere ist absolut richtig, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Kopist bei seiner Arbeit mit größter Sorgfalt vorgegangen ist. Die Editorin hat nur dann in den Text eingegriffen, wenn in ihm evidente Verstöße gegen die Grammatik oder das Metrum vorhanden waren. In diesen nicht sehr zahlreichen Fällen wird die zurückgewiesene Lesart der Handschrift in einer Fußnote vermerkt und die vorgenommene Korrektur im Text in eckige Klammern gesetzt. Soweit ich stichpunktartig überprüfen konnte, ist dieser Teil der Editionsarbeit in fehlerfreier Form durchgeführt worden, was als ein großes Verdienst der Herausgeberin zu würdigen ist. Schade ist es allerdings, dass nicht an den Stellen, an denen im Manuskript Passagen des Textes fehlen, zumindest der Versuch einer Emendation unternommen worden ist. Aber vielleicht kann man ja auch nicht alles erwarten. Der Textedition ist eine recht ausführliche «Introduction» (9-109) vorangestellt, aus der vorangehend bereits mehrfach zitiert wurde. In ihr findet man die üblichen Angaben zum edierten Text: Kontext des Romans, Inhaltsangabe des Werkes, Beschreibung des Manuskripts, summarische literarische Interpretation des Textes sowie eine eingehende Analyse der Sprache und des Metrums. Dabei ist nach meinem Urteil der Abschnitt zur «intertextualité» (48-51), in dem die Quellen des Romans abgehandelt werden, viel zu kurz geraten. Aber angesichts des immensen Umfangs von Claris et Laris blieb offenbar aus Raumgründen gar keine andere Wahl; und außerdem kann man ja auf Pierrevilles bereits angesprochene philologische Analyse des Romans zurückgreifen. Was die von der Editorin vorgenommene Gliederung des Romangeschehens in sechs Handlungsabschnitte betrifft (11s.), so ist natürlich grundsätzlich zu sagen, dass einem jeden Dispositionsversuch eines Textes der Charakter des Subjektiven zwangsläufig anhaften muss. Aber auf jeden Fall ist aus inhaltlichen und textstrukturellen Gründen der von Pierreville unterbreitete Gliederungsvorschlag des Textcorpus überzeugender als die von D. Kelly 3 vorgelegte Disposition des Romans, wonach der Text aus nur drei Handlungsteilen besteht. Der Edition folgen in dem Abschnitt «Notes» (1011s.) einige sprachliche und inhaltliche Erläuterungen zum Text. Leider handelt es sich dabei um ein absolutes Minimum an Kommentaren, von denen etliche obendrein gänzlich überflüssig oder rein spekulativ sind; so etwa die Darlegungen zu den v. 21960, 23396, 23409 u. a. (1026s.). Anschließend werden die oben schon genannte Liste der Fehler in der Edition von J. Alton (1033-36), eine «Table des proverbes» (1037-41), eine «Table des noms propres» (1043-62) und ein «Glossaire» (1063- 1131) geboten, das leider nur ein Auswahlglossar ist. Trotz einiger keineswegs gravierender Mängel eine insgesamt überzeugende und verdienstvolle Leistung, zu der man C. Pierreville Dank und Anerkennung aussprechen muss. Arnold Arens ★ 317 Besprechungen - Comptes rendus 2 Die Editorin hat 2008 auch eine eingehende philologische Analyse des Romans vorgelegt: Claris et Laris, somme romanesque du XIII e siècle, Paris. In diesem Werk, auf das hiermit nachdrücklich verwiesen sei, findet man ausführlich all das abgehandelt, was in der Einleitung zur Edition fehlt oder zu knapp geraten ist. 3 «Multiple Quests in French Verse Romance: Merveilles de Rigomer and Claris et Laris, in: L’Esprit créateur 9 (1969): 257s.