eJournals Vox Romanica 68/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
681 Kristol De Stefani

Hans W. Giessen/Heinz-Helmut Lüger/Günther Volz (ed.), Michel Bréal – Grenzüberschreitende Signaturen, Landau (Verlag Empirische Pädagogik) 2007, 406 p. (Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft 13)

121
2009
Yvonne  Stork
vox6810352
Ainsi, cet ouvrage nous propose plus que des actes de colloque où chaque contributeur proposerait uniquement l’état de ses recherches. Nous y voyons la pleine réalisation d’une démarche scientifique dont l’objectif avoué était d’associer, comme l’écrit Olivier Soutet dans la préface, «histoire interne et histoire externe . . . transcendant de la sorte certains clivages . . . entre histoire culturelle et histoire linguistique» (7). Langue littéraire et changements linguistiques nous démontre l’importance pour les diachroniciens - quelles que soient leur orientation et la manière avec laquelle ils abordent la question - de revaloriser les facteurs externes, de ne plus considérer la langue littéraire comme «marginale et artificielle» (8), voire même comme dangereuse, et la nécessité d’en revisiter les corpus afin de lui redonner la place qui doit être la sienne dans nos disciplines: celle d’une «simple» variété de langue. Dorothée Aquino ★ Hans W. Giessen/ Heinz-Helmut Lüger/ Günther Volz (ed.), Michel Bréal - Grenzüberschreitende Signaturen, Landau (Verlag Empirische Pädagogik) 2007, 406 p. (Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft 13) Der vorliegende Sammelband ist zum 175. Geburtstag Bréals in dessen Geburtsort Landau in der Pfalz erschienen. Bréal war nicht nur ein herausragender Sprachwissenschaftler, sondern auch eine bedeutende Person der Zeitgeschichte - so erklärt es sich, dass die im Sammelband enthaltenen Aufsätze ein sehr breites Spektrum abdecken und sich unter den Autoren neben romanistischen und germanistischen Sprachwissenschaftlern sowie Didaktikern u. a. auch ein Sportwissenschaftler und ein Informationswissenschaftler finden. Der Sammelband beginnt mit einer knappen Einführung der drei Herausgeber (9-12), in der diese das Leben Bréals skizzieren und die einzelnen Beiträge kurz vorstellen. Es folgen vier Teile: I. Michel Bréal in seiner Zeit, II. Michel Bréal und die neuere Sprachwissenschaft, III. Michel Bréal und die Sprachdidaktik, IV. Schriften Bréals. Der erste Teil umfasst vier Aufsätze. Günther Volz schildert in «Michel Bréal - ein Weltbürger aus Landau» (15-41) das Leben Bréals zwischen Deutschland und Frankreich. Der Aufsatz ist hochinformativ; seine Lektüre wird allerdings dadurch erschwert, dass der Autor sich nicht damit begnügt, eine Fülle von interessanten Angaben über das Leben Bréals zu liefern, sondern mit diesen Angaben verquickt eine Flut an zeitgeschichtlichen Informationen über das 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts ausbreitet. Pascale Rabault- Feuerhahn skizziert in «Wissenschaft im Krieg. Michel Bréal und der Indologe Albrecht Weber» (43-76) anhand der Briefe Bréals an Weber die Beziehung zwischen den beiden Wissenschaftlern. Die Autorin schließt hier eine Lücke in der Forschung. Weber war für Bréal - neben Franz Bopp - während seines Studienaufenthalts 1858 in Berlin der wichtigste Wissenschaftler. Doch während die Beziehungen Bréals zu Bopp recht gut dokumentiert sind, ist sein Verhältnis zu Weber bisher kaum untersucht worden. Da die Briefe aus den Jahren 1866 bis 1871 stammen, kann Rabault-Feuerhahn überzeugend aufzeigen, wie die Beziehung Bréals zu Weber - dessen wissenschaftliche Leistungen er stets positiv bewertete - durch den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges in eine Krise gerät, da Weber als Mitglied der National-Liberalen Partei den Krieg befürwortete. Vom Informationswissenschaftler Hans W. Giessen stammt der Aufsatz «Ein interkulturelles Puzzle. Michel Bréal, Ljew Nikolajewitsch Tolstoij und die ‹Eugubinischen Tafeln›» (77-92). Tolstoij spricht in seinem Roman Anna Karenina von einem «französischen Buch über die Eugubinischen Tafeln» (77). Dahinter verbirgt sich nach Giessen eine Anspielung 352 Besprechungen - Comptes rendus auf einen Text Bréals, Les Tables eugubines. Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung, Kommentierung und Übersetzung der Eugubinischen Tafeln (9 Bronzetafeln, die 1444 in der Nähe der umbrischen Stadt Gùbbio gefunden wurden). Für die Handlung des Romans sind diese Tafeln irrelevant. Warum also erwähnt Tolstoij, der Bréal nicht persönlich gekannt hat, den Text? Laut Giessen ist der Verweis ein Anzeichen für die Popularität des Bréal’schen Werks; der Text steht seines Erachtens emblematisch für «ein bekanntes, zeitgenössisches, Bildung bezeugendes Werk» (87). In «Bréal und die Idee des Marathonlaufs» (93-114) schildert Norbert Müller, dass es Bréal war, der den Marathonlauf als olympische Disziplin erfunden hat. Er riet Baron Pierre de Coubertin, auf den die Wiedereinführung der Olympischen Spiele im Jahr 1896 zurückgeht, den Lauf von Marathon zum Pnyx als offizielle Disziplin in das Programm der ersten Olympiade in Athen aufzunehmen - und stiftete nach de Coubertins Zustimmung auch gleich den Siegerpokal. Teil II, Michel Bréal und die neuere Sprachwissenschaft, ist mit Abstand der umfassendste. Er beinhaltet sieben Aufsätze, in denen Bréals Arbeiten zur Semantik im Mittelpunkt stehen. Heinz-Helmut Lüger betont in seinem Beitrag «Michel Bréal - ein bedeutender Sprachwissenschaftler? » (117-41) zu Recht die Aktualität Bréals. Sie lässt sich seiner Ansicht nach an einer ganzen Reihe von Aspekten festmachen, etwa daran, dass er in seinem Essai de sémantique über die Wortebene hinausgeht sowie die Polyfunktionalität sprachlicher Äusserungen unterstreicht. Aktuell sei Bréal zudem, weil er Sprache in erster Linie als Kommunikationsmittel betrachte und Sprechen als Handeln konzipiere, die Wichtigkeit von sprachlichem Kotext und situativem Kontext für die Bedeutungsbestimmung sehe und die Bedeutung des Hörers sowie des Verhältnisses von Sprecher und Hörer für die Kommunikation herausstelle. Insgesamt, so Lüger, finden sich bei Bréal viele Gedanken, die mehr als fünfzig Jahre später in der Sprechakttheorie einen zentralen Platz einnehmen. Dass Bréals Ideen nicht noch größere Durchschlagskraft beschieden war und sie nicht schon zu einer pragmatischen Wende wurden, führt Lüger wesentlich darauf zurück, dass sie in keinen umfassenden theoretischen Rahmen eingebettet wurden. Auch vermisst er eine «zugespitzte Begriffsbildung» (140). «Zu einer ‹menschlichen› Semantik bei Bréal» (143-69) lautet der Titel des Aufsatzes von Brigitte Nerlich. Von einer menschlichen Semantik spricht sie, weil Bréal im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen keine biologistisch-organische Auffassung von Sprache vertritt, sondern Sprache seines Erachtens «zuallererst von Menschen und für Menschen gemacht» (153) ist. Im Zentrum steht bei Bréal das Verstehen. Dieser Fokus führt dazu, dass der Sprachwissenschaftler Bréal zugleich auch Psychologe ist (er selbst sagt, von Taine beeinflusst worden zu sein; Nerlich nimmt zudem Einflüsse Schopenhauers und Eduard von Hartmanns an). Nerlich geht sogar so weit, Bréals sémantique, die bekanntlich extrem breit angelegt ist und neben der Semantik im engen Sinn Disziplinen wie Morphologie, Syntax, Spracherwerb und Sprachwandel, aber auch gewissermaßen avant la lettre Gesprächsanalyse, Pragmalinguistik und Kognitionswissenschaft umfasst, als ein «in der Tat . . . hauptsächlich psychologisches Unterfangen» zu bezeichnen, «denn in diesem Werk sucht er alle Aspekte der Sprache auszuleuchten, die durch die Psychologie, die Geschichte, die Sozialisierung des Menschen und seinen Status als in Gesellschaft wirkendes Wesen bedingt sind» (157). Anders als seine - von der Forschung bislang vernachlässigten - Vorläufer Chevallet und Pellissier in ihren «vorsemantischen» Arbeiten aus den 50er und 60er Jahren des 19. Jh. und auch anders als Darmesteter betrachte Bréal die Semantik nicht nur als Teil der Sprachgeschichte, sondern als Teil der Sprachwissenschaft. Ihm gehe es nicht so sehr um den Beitrag, den die Semantik zur Sprachgeschichte und zur (Geschichte der) Völkerpsychologie leiste. Vielmehr sehe er in Psychologie und Geschichte «Hilfswissenschaften» (150) der Seman- 353 Besprechungen - Comptes rendus tik, die dieser helfen könnten, dem Phänomen des Bedeutungswandels auf die Spur zu kommen. Wie in ihren anderen Arbeiten zu Bréal gelingt es Nerlich auch hier wieder, die Sonderstellung Bréals sowie die Modernität vieler seiner Positionen herauszuarbeiten, aber gleichzeitig Verbindungslinien zu wesentlich unbekannteren Vorgängern und Zeitgenossen aufzuzeigen. Stéphanie Benoist zeigt in «Michel Bréal, Antoine Meillet, Gustave Guillaume und die Semantik» (171-89) die Verbindungslinien zwischen Bréal, dem «Vater der französischen Semantik», Meillet, dem Gründer der Soziolinguistik und Guillaume, dem Begründer einer «Psychomechanik der Sprache», auf. Meillet studierte bei Bréal und war später - nachdem er zunächst an der École Pratique des Hautes Études lehrte - sein Nachfolger am Collège de France (171). Durch Meillet kam Guillaume, der ursprünglich Bankangestellter war, zum Studium an das Collège de France. Später erhielt Guillaume einen Lehrauftrag an der École Pratique des Hautes Études. Diese Parallelen im Hinblick auf den Bildungs- und beruflichen Weg sorgen zum Teil für ähnliche inhaltliche Akzente. Eine Gemeinsamkeit sieht die Autorin allerdings im Vernachlässigen der Phonetik - dies gilt für Bréal jedoch nur bedingt, da er an den Anfängen der experimentellen Phonetik beteiligt war (cf. den Beitrag von F. Carton im 3. Teil des Bandes). Da Benoist auf wenig Raum viele biographische Stationen der drei Sprachwissenschaftler wie auch eine Fülle an inhaltlichen Gesichtspunkten abhakt, fehlt ihr die Zeit zur Vertiefung. So kommt es stellenweise zu arg grob gerasterten Urteilen, wenn sie etwa schreibt, Guillaume unterscheide sich von Bréal und Meillet durch die «Einzigartigkeit seines Denkens» (189). Zudem unterläuft ihr ein faux ami: Nach Benoist sind Meillet und Bréal «von der Existenz linguistischer Gesetze überzeugt» (178). Mit linguistischen Gesetzen sind natürlich keine sprachwissenschaftlichen Gesetze gemeint, sondern Gesetze bzw. vielmehr allgemeine Tendenzen der Sprachentwicklung. D. h. sie verwendet linguistisch irrtümlich - wie fr. linguistique - in der Bedeutung ‘die Sprache betreffend’ 1 . Umberto Eco weist in seinem Aufsatz «Fünf Bedeutungen des Begriffs ‹Semantik› - von Bréal bis heute» (191-210) lediglich in der Einleitung kurz auf Bréal hin. Im Verlauf des Textes stellt er fünf verschiedene Bedeutungen von Semantik vor und kommt zum Schluss, dass es keine Semantik gebe, die nicht auch Pragmatik sei - an dieser Stelle wäre es allerdings ein Leichtes gewesen, eine Querverbindung zu Bréals handlungsorientierter Konzeption der Semantik herzustellen. Christine Schowalter untersucht in «Michel Bréal - ein Wegbereiter der Kognitiven Semantik? » (211-30), inwieweit Bréal in seinem Essai de sémantique im Kapitel über die Metapher den Ansatz von Lakoff und Johnson vorwegnimmt. Da Bréal zeigen will, wie metaphernreich die Alltagssprache ist und er den Fokus weniger auf einzelne Metaphern als vielmehr auf ganze Metaphernverbände richtet, kann man ihn, so die überzeugende These Schowalters, durchaus als Vorläufer von Lakoff und Johnson und ihrem Werk Metaphors we live by ansehen. Bréal zeigt z. B. auf, dass schwere ist gut und leichtigkeit ist schlecht ein Metaphernkonzept im Lateinischen ist, das gemeinsam mit anderen Metaphernkonzepten das Denken und Handeln der Menschen strukturiert. Darüber hinaus streicht Bréal heraus, dass ganze Metaphernfelder sprachübergreifend gebraucht werden, da die «vieilles nations de l’Europe» über einen gemeinsamen, durch die Völker der Antike angelegten Metaphernvorrat verfügen. In «Bedeutung zwischen Bild und Text - Bréals Polysemiekonzept im Spiegel der multimodalen Inszenierung von Werbetexten» (231-59) zeigt Gudrun Held «die Relevanz [Bré- 354 Besprechungen - Comptes rendus 1 Cf. auch eine Passage auf p. 182, wo sie «linguistische Umstände» anführt, die Wörter wie homme und chose beträfen und dazu beitrügen, dass diese konkreten Wörter zu grammatischen Wörtern würden (182). als] diachrone[r] Bedeutungskriterien für eine aktuelle semiotisch orientierte Linguistikkonzeption» (234). Anhand eines Korpus, das aus italienischen Print-Anzeigen der letzten Jahre besteht, zeigt sie, dass Printtexte heutzutage keine rein sprachlichen Produkte sind, sondern eine Mixtur aus Bild, Sprache und Typographie, weshalb man auch von multimodalen Texten spricht. Bild und Text sind in vielfältiger Hinsicht, z. T. auf sehr komplexe Art, miteinander verknüpft; häufig spielen rhetorische Figuren dabei eine wichtige Rolle. Semantische Phänomene wie die Polysemie werden auf diese Weise «aktiv hinterfragt und subjektiv durchschaubar gemacht» (256); der Rezipient wird aktiv am Prozess der Semiose beteiligt. Held rekurriert diesbezüglich auf Bréal, der im «côté subjectif» - laut Bréal «la partie la plus ancienne du langage» - den Grund sieht, dass es in der Sprache sowohl im Bereich des Wortschatzes als auch in der Grammatik viele Phänomene gibt, die Regeln außer Kraft setzen. Diese Anbindung ist m.E. durchaus plausibel. Der zweite Teil schließt mit einem kurzen Aufsatz von Jiri Panyr zum Thema «Bréals diachronische Semantik, Korpuslinguistik und das Semantic Web» (261-71). Das Semantic Web möchte Inhalte im Netz so aufbereiten, dass sie «auch von Maschinen zumindest soweit erfasst werden können, dass Automatisierung auch auf der Ebene der Bedeutung möglich wird» 2 . Panyr geht es in seinem Beitrag um die fachsprachlichen Kontexte im Semantic Web und zwar speziell um die Identifizierung von z. T. willkürlich zustande gekommenen Polysemien in diesen Kontexten. Er äußert die Hypothese, dass die diachronische Semantik und die Korpuslinguistik in diesem Punkt hilfreich für das Semantic Web sein könnten. Teil III trägt die Überschrift Michel Bréal und die Sprachdidaktik. Der Sprachdidaktik einen eigenen Teil zu widmen, ist meines Erachtens absolut gerechtfertigt, da Bréal auch in diesem Bereich zahlreiche Publikationen, darunter Lehrwerke und Aufsätze für pädagogische Zeitschriften, vorgelegt hat, die allerdings nur wenig rezipiert worden sind. Der erste Aufsatz stammt von Françoise Hammer und dreht sich um «Michel Bréal und die moderne Fremdsprachendidaktik» (275-300). Als Grenzgänger zwischen Deutschland und Frankreich, aufgrund seines Studiums der Indogermanistik und der historischen vergleichenden Sprachwissenschaft, seiner Stelle am Collège de France und der Zusammenarbeit in der Schuladministration mit dem Erziehungsminister Jules Ferry ist Bréal laut Hammer geradezu prädestiniert, der Fremdsprachendidaktik neue Impulse zu verleihen. Die Autorin konzentriert sich auf den 1893 veröffentlichten Band De l’enseignement des langues vivantes, conférences faites aux étudiants en lettres de la Sorbonne, zehn lose miteinander verbundene Vorlesungen über den Unterricht lebender Fremdsprachen, in denen Bréal seine Vorstellungen über Sprachdidaktik und Lehrerausbildung darlegt. Dabei geht es ihm allerdings nicht um eine Systematisierung seiner Gedanken; die Vorlesungen haben, wie Bréal selbst einräumt, eher den Charakter von causeries (cf. p. 294), was der Rezeption natürlich nicht zuträglich ist. Bréal zeigt sich in den Vorlesungen zunächst innovativ, indem er das Erlernen lebender Sprachen mithilfe der - in Deutschland damals schon angewandten - méthode directe befürwortet, derzufolge lebende Sprachen so gelernt werden sollen, wie die Muttersprache erworben wird und nicht wie Latein oder Griechisch. Sein Plädoyer für diese Methode trägt mit dazu bei, dass sie 1902 in Frankreich eingeführt und dann auch weiterentwickelt wird. In der siebten und achten Vorlesung kommt es allerdings zu einem Bruch: Ihr Thema ist nämlich die Übersetzung, also ein Übungstyp, der nicht zu den pragmatisch-kommunikativen Zielen der méthode directe passt. Bréal kehrt hier - kommentarlos - zur Methodik des altsprachlichen Unterrichts zurück. Hammer sieht den Grund für diesen Bruch in einem 355 Besprechungen - Comptes rendus 2 K. Tochtermann/ H. Maurer, «Semantic Web - Geschichte und Ausblick einer Vision», in: T. Pellegrini/ A. Blumauer (ed.), Semantic Web - Wege zur vernetzten Wissensgesellschaft, Berlin/ Heidelberg 2006: 1-6 (2), zit. nach Panyr, p. 266. «Zwiespalt zwischen dem Wunsch des Forschers nach Innovation und dem Festhalten des Bürgers an der Tradition» (289), d. h. an tradierten gesellschaftlichen Strukturen (gerade angesichts der turbulenten Ereignisse der Pariser Kommune von 1871). Diese Argumentation Hammers scheint mir schlüssig. Fernand Carton zeigt in «Michel Bréal und der Beginn der experimentellen und angewandten Phonetik» (301-19), inwiefern Bréal und Abbé Rousselot einen wichtigen Beitrag zum Aufschwung der neuen Richtung der experimentellen Phonetik geleistet haben. Bréal richtet 1897 an seinem Lehrstuhl für vergleichende Grammatik am Collège de France ein Labor für experimentelle Phonetik ein, in dem lebende Sprachen analysiert werden und ernennt Abbé Rousselot zum Laborgehilfen. Die Zusammenarbeit der beiden gestaltet sich sehr ergiebig, und es gelingt den beiden Forschern, bestehende Widerstände gegenüber der neuen Disziplin zu überwinden, die zum einen mit fehlendem Wissen in den Bereichen Akustik und Physiologie, zum anderen mit der mangelhaften Ausstattung der meisten Laboratorien zusammenhängen. Den Abschluss des dritten Teils bildet der Beitrag von Pierre Boutan, «Michel Bréal und das deutsche Pädagogikmodell» (321-39), der im Grunde genommen über das Thema des 3. Teils, Michel Bréal und die Sprachdidaktik, hinausgeht und sich Bréals Aktivitäten im Bereich des Bildungswesens widmet. Erwähnenswert sind diesbezüglich neben einer Vielzahl von Publikationen diverse Ämter: Bréal ist zeitweise Berater von Jules Simon, dem Minister des Schulwesens, 1879 wird er Inspecteur général de l’enseignement supérieur und zudem Mitglied im Conseil supérieur de l’Instruction publique. Sein Engagement ist geprägt von seinem Interesse an einer Reform des französischen Bildungssystems. Nach der Niederlage Frankreichs im deutsch-französischen Krieg schlägt Bréal vor, das französische Bildungssystem nach deutschem Vorbild neu zu gestalten. Das deutsche Grundschulsystem etwa sei dem französischen aus mehreren Gründen überlegen. Zum einen habe der Katholizismus in Deutschland - anders als in Frankreich - im Protestantismus ein starkes Gegengewicht, durch das die katholische Kirche in Deutschland fortschrittlicher sei. Des weiteren wäre es für das Bildungssystem von Vorteil, dass Deutschland kein zentralistischer Staat sei. Darüber hinaus wirke sich die in Deutschland zu findende Verzahnung von Grundschul-, Sekundarschul- und Hochschulausbildung, die Nähe zwischen Pädagogen und Wissenschaftlern sehr positiv aus. Bréals 1872 erschienener Artikel «Quelques mots sur l’instruction publique en France» gilt als grundlegend für die Reformbewegung im französischen Bildungswesen. Der Sammelband endet mit einem von Hans W. Giessen erstellten Verzeichnis der Schriften Bréals («Michel Bréal - ein bibliografischer Überblick»; 343-404). Insgesamt handelt es sich um ein interessantes, vielschichtiges Werk, in dem ganz unterschiedliche Facetten der schillernden Persönlichkeit Bréal beleuchtet werden. Einerseits wird mehrfach die Aktualität vieler seiner Positionen herausgestellt, andererseits wird immer wieder deutlich, inwiefern Bréals Arbeiten zeitgeschichtlich geprägt sind. Yvonne Stork ★ 356 Besprechungen - Comptes rendus