eJournals Vox Romanica 69/1

Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2010
691 Kristol De Stefani

Gaston Paris/Joseph Bédier, Correspondance, ed. Ursula Bähler et Alain Corbellari, Firenze (Ed. del Galluzzo) 2009, xxix + 183 p. (L’Europe des Philologues, Correspon - dances 1)

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2010
Egbert  Kaiser
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Gaston Paris/ Joseph Bédier, Correspondance, ed. Ursula Bähler et Alain Corbellari, Firenze (Ed. del Galluzzo) 2009, xxix + 183 p. (L’Europe des Philologues, Correspondances 1) Nach einer langen Zeit der Stille verzeichnen wir in den letzten beiden Jahrzehnten eine rasche Vermehrung von Studien, die sich dem Leben und Wirken der großen Forscherpersönlichkeiten aus den Gründerzeiten der Romanischen Philologie in Frankreich 1 widmen. Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind hier zweifelsohne an vorderer Stelle Gaston Paris (1849-1903) zu nennen, «premier romaniste de notre temps», «maître incontesté qui dirige . . . le mouvement de la philologie» 2 , und sein Meisterschüler Joseph Bédier (1864-1938), der als Nachfolger das Bild, das wir von seinem Lehrer besitzen, entscheidend geprägt hat 3 . Beide Männer waren in einer besonderen Art von lebenslanger Freundschaft einander zugetan; Ursula Bähler und Alain Corbellari, die Herausgeber der hier anzuzeigenden Publikation, sprechen von einem «rapport privilégié de maître à disciple» (Introduction, xi). Bähler und Corbellari erscheinen für ihr Vorhaben in besonderer Weise ausgewiesen, haben sie doch umfangreiche, aus ihren Thèses hervorgegangene, Monographien vorgelegt (Bähler zu Paris, Corbellari zu Bédier 4 ), die heute in der Fachwelt als Referenz gelten. Beide Forscher gehören zur dem sehr aktiven Groupe de Recherche sur l’Histoire de la Philologie Romane (GRHPR), die von Michel Zink am Collège de France geleitet wird. Der Briefwechsel Bédier-Paris wird zu Teilen in der Bibliothèque Nationale, am Collège de France und am Centre Culturel International von Cérisy-la-Salle aufbewahrt oder befindet sich Privatbesitz der Erben Bédiers (cf. Documents, xxvii). Bähler/ Corbellari haben 86 Briefe ediert; von wenigen Ausnahmen abgesehen werden sie zum ersten Mal dem Publikum zugänglich gemacht 5 . Die Präsentation folgt kapitelweise der Chronologie, beginnend mit dem Jahr 1886 (G. Paris war zu dieser Zeit 37 Jahre alt, sein Schüler gerade einmal 22); der letzte Brief - nach einer Lücke von 5 Jahren - datiert von 1908 (Bédier an die Witwe von G. Paris). Zumeist sind es Schreiben aus der Feder Bédiers (56 an G. Paris, 6 an seine Witwe), von seinem Lehrer besitzen wir nur 23 - der Rest dürfte, wie die Herausgeber vermuten, für immer verloren sein (cf. Introduction, xxv). Die «Korrespondenzdichte» ist von Jahr zu Jahr stark schwankend: Bei Bédier liegt die Spanne zwischen einem und elf Briefen pro Jahr, bei Paris zwischen Null und fünf. Sehr unterschiedlich auch die Brieflänge: von einem Satz bis hin zu mehreren (Druck-)Seiten bei Bédier; die Schreiben von G. Paris bleiben im Durchschnitt bei einer Seite. Worum geht es in den Texten, die der Schüler fast immer mit «Monsieur et cher maître» beginnt, während die Anredeformel des Lehrers ebenso konstant «Mon cher ami» lautet? Um Privates, lautet eine erste, vorhersehbare Antwort. So lässt sich beispielsweise der berufliche Weg Bédiers mitverfolgen, angefangen bei seinem Studienaufenthalt in Deutschland (Halle), seiner Tätigkeit in der Schweiz (Fribourg) und in Caen bis hin zu seiner Eta- 259 Besprechungen - Comptes rendus 1 Es ist hier nicht der Ort, um auf die in Frankreich und Deutschland recht verschiedenen Konzeptionen von «Romanischer Philologie» oder «Romanistik» einzugehen. Bekanntlich stand im Mittelpunkt der Arbeit beider Gelehrter die Literatur und Sprache des französischen Mittelalters. 2 So niemand Geringerer als Ferdinand de Saussure; cf. Le Moyen Âge de Gaston Paris, sous la dir. de Michel Zink, Paris 2004: 235. Das Zitat findet sich in der Edition des CLG von Engler. 3 Le Moyen Âge de Gaston Paris, sous la dir. de Michel Zink, Paris 2004: 289. 4 U. Bähler, Gaston Paris et la Philologie Romane, Genève 2004. - A. Corbellari, Joseph Bédier: Écrivain et Philologue, Genève 1997. 5 A. Corbellari druckt einzelne der an Paris’ Witwe adressierten Briefe in seinem Beitrag «L’Héritage spirituel de Gaston Paris à travers la correspondance inédite de Joseph Bédier» ab, cf. Le Moyen Âge de Gaston Paris, sous la dir. de Michel Zink, Paris 2004: 289-98. blierung in Paris, ein Weg, auf dem manche Hindernisse zu nehmen sind. Immer wieder sucht er dann Rat und Hilfe bei seinem väterlichen Freund, verfügt dieser doch als Gelehrter von europäischem Rang und Renommé über ein weitgespanntes Netz von persönlichen Bekanntschaften und Beziehungen. Daneben gibt es Familiennachrichten, Neujahrswünsche und dergleichen mehr. Doch kommt praktisch durchgängig auch Wissenschaftliches zur Sprache: Wir erleben zu einem Teil mit, wie die große Studie Bédiers über die Fabliaux entsteht; der längste Brief der Sammlung (Nr. 26 vom 22.11.1890; 68-76) ist eine Replik des Schülers auf die Kritik von Paris an seinem Konzept.Auch auf die berühmte Arbeit über den Lai de l’Ombre kommt mehrfach die Rede. Daneben steht weniger Gewichtiges, etwa Diskussionen schwieriger Stellen in altfranzösischen Texten oder der Gedankenaustausch über gerade erschienene Arbeiten von Kollegen. Zwar zeigt sich Bédier in seinen Mitteilungen und Reaktionen durchaus selbstbewusst, und Korrekturen von Paris erfolgen nicht selten in dem zu erwartenden apodiktischen Ton, doch sind die Briefe in Ton und Stil durch die gegenseitige Hochschätzung der beiden Männer geprägt. Es bleibt nicht bei den damals üblichen Höflichkeitsbekundungen, vielmehr verspürt man echtes Interesse und wirkliche Anteilnahme. Aus diesem Grund fordert die Correspondance ihre Leser geradezu dazu auf, das traditionelle Bild von zwei sich in ihren wissenschaftlichen Konzeptionen und Theorien unversöhnlich gegenüberstehenden großen Gelehrten - man denke an Stichwörter wie Cantilenen- und Pilgerstraßentheorie - zu nüancieren und zu ergänzen. Darüber hinaus hat sie natürlich auch jene Wirkung, die jeder privaten Kommunikation eigen ist: Sie ergänzt den abstrakten Eindruck, den der neutral-akademische Diskurs von einer Person allein vermitteln kann, um eine menschliche, eine «lebendige» Komponente. U. Bähler und A. Corbellari haben eine Ausgabe vorgelegt, die ohne jeden Abstrich das Prädikat «sorgfältig» verdient. Es wurde keine Mühe gescheut, dem Leser die Texte nahezubringen und ihr Verständnis zu erleichtern. Dazu dient, neben einer 15 seitigen kenntnisreichen Introduction zu Persönlichkeit und Verhältnis der beiden Korrespondenten (xi-xxvi - der Rezensent hätte sich hier eine (noch) stärkere Bezugnahme auf die Briefe gewünscht) 6 ein in Inhalt und Umfang beeindruckender Apparat von Anmerkungen. Die Palette reicht von der Entschlüsselung von Anspielungen und Verweisen (etwa: «Cette lettre n’a pas été retrouvée», 27 N61) über bibliographische Angaben, die Übersetzung fremdsprachlicher Begriffe (z. B. «heimatlos», cf. 26 N60), biographische Kurzinformationen bis hin zu detaillierten Erklärungen von einer Seite und mehr, cf. z. B. 70-72 N52. Man spürt die Entschlossenheit der Herausgeber, nichts zu übersehen oder zu übergehen. Auf diese Weise entsteht ein Corpus von fast 300 (! ) Anmerkungen. Davon mag man vielleicht das eine oder andere für entbehrlich halten. Doch wäre dies, wenn überhaupt, zweifellos ein geringes Übel, bedenkt man, wie viel Zeit, Aufwand - und nicht zuletzt intime Sachkenntnis - nötig wären, um sich dann vielleicht fehlende Informationen sozusagen auf eigene Kosten zu beschaffen. Zusätzlich zu den Anmerkungen wird der Zugriff auf Namen und Werktitel durch einen Index (173-83) ermöglicht. So steht die vorliegende Ausgabe, gesamthaft gesehen, ebenbürtig neben den schon genannten großen Monographien von Bähler und Corbellari; sie ist quasi ihr Supplement. Wie es in der von Michel Zink verfassten Préface heißt, bildet sie den Anfang einer von der GRHPR intendierten Reihe «L’Europe des Philologues, Correspondances» (vii). Man darf auf die folgenden Bände gespannt sein. Die Maßstäbe sind gesetzt. Zum Abschluss ein ausdrückliches Lob für die sorgfältige und und ästhetisch ansprechende typographische Gestaltung durch den Verlag. Das ist im Zeitalter des preisgünsti- 260 Besprechungen - Comptes rendus 6 Cf. dazu ergänzend auch das Kapitel «La relation Bédier - Paris» in: A. Corbellari, op. cit.: 34-39. gen und raschen Photosatzes längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Schade eigentlich nur, dass es keine Autographen von Briefen gibt, umso mehr, als die Herausgeber gewisse Veränderungen an der äußeren Gestalt der Originale vorgenommen haben 7 . Doch darf man diese letzte Bemerkung gerne eher als Anregung für spätere Editionen denn als Kritik interpretieren. Egbert Kaiser ★ Brigitte Schwarze, Genus im Sprachvergleich. Klassifikation und Kongruenz im Spanischen, Französischen und Deutschen, Tübingen (Gunter Narr) 2008, 286 p. In ihrer 2005 als Dissertation an der Universität Düsseldorf angenommenen Arbeit betrachtet und vergleicht Brigitte Schwarze die Genussysteme zweier romanischer (Französisch und Spanisch) und zweier germanischer Sprachen (Deutsch und, eher marginal, Englisch). Außerdem stellt sie ältere und neuere Thesen zur Genuskategorie und zum Verhältnis von Genus und Semantik und vor allem Genus und Sexus kritisch dar und prüft sie. Damit will sie in praktischer und in theoretischer Hinsicht einen Beitrag zur aktuellen Forschung leisten. Dazu stellt sie in einem ersten Teil, der für die restliche Arbeit grundlegend ist, einige allgemeine Überlegungen zum Genus an, wobei sie auch Genussysteme von nicht indogermanischen Sprachen betrachtet. Von den übrigen Nominalkategorien, Numerus und Kasus, unterscheidet sich das Genus laut Brigitte Schwarze dadurch, dass es ein inhärentes Merkmal der Nomina ist, während die anderen Kategorien am Lexem wechseln. In den meisten Fällen gehört ein Nomen tatsächlich nur einer Genusklasse an. Französisch juge oder Spanisch periodista können jedoch sowohl weiblich als auch männlich sein; das gilt auch für deutsche Wörter wie Mitwirkende, bei denen es sich aber im Grunde genommen um substantivierte Partizipien handelt. Zwar charakterisieren sich Numerus und Kasus ebenfalls durch die Kongruenz, die Autorin kommt aber zum Schluss, dass das Genus sich mehr als die anderen Formen nominaler Klassifikation durch das Kriterium der Kongruenz auszeichnet. Ein Genussystem liegt erst vor, «wenn sich die Klassenzugehörigkeit der Substantive auf die Form der mit den Substantiven verbundenen Elemente auswirkt» (263). In der Kongruenz liegt denn auch die Leistung des Genus im System der Sprache: «Die syntaktische Leistung des Genus besteht darin, über die Kongruenz die Bezüge der Elemente innerhalb eines Satzes bzw. mit Hilfe anaphorischer (und kataphorischer) Pronomen auch über die Satzgrenze hinaus zu verdeutlichen» (76). In einem Ausdruck wie una exposición de arte moderno ist es klar, dass das Adjektiv moderno das Substantiv arte beschreibt (im Gegensatz zu una exposición de arte moderna, wo es exposición näher umschreibt). Beim Hören oder Lesens eines Satzpaars wie Der Vater kommt mit dem Auto. Es ist schon ziemlich alt. wird sofort ersichtlich, dass das Auto alt ist. Eine Sprache ohne Genussystem wie das Ungarische käme in dem Fall nicht darum herum, im zweiten Satz das Auto zu wiederholen, damit jegliche Missverständnisse ausgeschlossen werden. Im zweiten Teil der Arbeit werden dann die Genussysteme des Spanischen, Französischen und Deutschen beschrieben und verglichen. Dabei stellt sich heraus, dass die oben beschriebene Leistung des Genus im Spanischen wesentlich stärker zum Tragen kommt als im Französischen oder im Deutschen. In beiden letzteren Sprachen bestehen an den kongruierenden Elementen weitreichende Einschränkungen und Nivellierungen bei der 261 Besprechungen - Comptes rendus 7 Darüber legen sie im Kapitel «Critères d’édition» penibel Rechenschaft ab, cf. xxvii-xxviii.