Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniGilbert Salmon (ed.), Les régiolectes du français, Paris (Champion) 2006, 335 p. (Travaux et recherches des Universités rhénanes XIX)
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Joachim Lengert
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gleichbare Korpora stehen nicht zur Verfügung. Seine Beispielinterpretationen sind stringent und konsequent im Rahmen seines theoretischen Ansatzes, wenn man auch im Einzelfall seiner Argumentation nicht folgen mag (z. B. 152 Fut. und Cond. bei behördlichen Verordnungen; 201 déonticité [futurité] in «Je cherche une secrétaire qui sache le français»; 227s. jusqu’à ce que + Ind.; usw.). Solche Divergenzen gibt es immer; sie schmälern den Wert der zahlreichen guten Einzelbeobachtungen und -interpretationen in keiner Weise. Die Hauptschwäche der Arbeit liegt im theoretischen Ansatz, der nach meiner Auffassung unhaltbar ist. Dazu kommen noch weniger gewichtige Monita wie die Einseitigkeit der verarbeiteten Sekundärliteratur, die häufige Vermischung von Synchronie und Diachronie, die Vernachlässigung des Mittelfranzösischen bei den historischen (oft überflüssigen) Exkursen, unhaltbare Semanalysen, usw. Alles in allem eine gewichtige Arbeit, die aber in vielerlei Hinsicht mit Vorsicht zu genießen ist. Peter Wunderli ★ Gilbert Salmon (ed.), Les régiolectes du français, Paris (Champion) 2006, 335 p. (Travaux et recherches des Universités rhénanes XIX) Vorliegender Sammelband hat eine kuriose Geschichte. Er enthält 13 Beiträge 1 eines 1993 in Mulhouse abgehaltenen Kolloquiums zum français régional und speziell seiner Lexikographie sowie, darüber hinaus, immerhin 7 Aufsätze nur aus der Feder des Herausgebers. Während erstere mehrheitlich theoretische Fragestellungen zum Gegenstand haben, sind letztere überwiegend inventarisierender Natur. Lexikalische Regionalismen stehen im Vordergrund, ein Artikel zur Phonetik und drei zur (Morpho-)Syntax runden das Bild ab. Ein Aufsatz befasst sich mit dem Afr., alle anderen sind auf die Gegenwartssprache bezogen. Frankreich ist vorrangig vertreten, aber ebenso Belgien und die Schweiz. Sach- und Namensindex beschließen den Band. Zu den Inhalten im Einzelnen. Jean-Pierre Chambon (17-48) gibt einen kritischen Überblick über methodische Probleme der regiolektalen Lexikographie innerhalb des Jahrzehnts von 1983-1993. Nach allgemeinen Ausführungen, die von den ökonomischen Zwängen der Lexikographie des français régional über ihre präskriptiven Aspekte bis hin zur Vernachlässigung varietätenlinguistischer Darstellung und der Überbetonung des ländlichen Regiolekts reichen, verweist der Autor auf zwei Typen von Desiderata. Lexikographisch gesehen ist dies vor allem die vertieftere Berücksichtigung von Etymologie und Wortgeschichte, methodisch gesehen wird eine kritische Auswertung der lexikographischen und sonstigen Quellen gefordert sowie auf deskriptive Phänomene verwiesen, beispielsweise in der Markierungspraxis oder den Belegen. Pierre Rézeau (49-62) präsentiert methodische Aspekte des seinerzeit im Entstehen begriffenen, 2001 publizierten Dictionnaire des régionalismes du français (DRF), gefolgt von 10 Probeartikeln. Der theoretische Teil kann natürlich nicht mehr sagen als das Vorwort des DRF und die damalige Version der Artikel mag Anlass geben, die Detailverbesserungen der Endfassung zu vergleichen. France Lagueunière (63-78) wirft die Frage auf, inwieweit das FEW als Modell für einen Thesaurus der fr. Regiolekte dienen kann. Nach Anmerkungen zu den Regionalismen im FEW und dem Forschungsstand, hebt die Autorin auf generelle lexikographietheoretische Fragen ab: Geographische Angaben, Datierungen, kritische Wertung der Quellen. Dass im Übrigen die 331 Besprechungen - Comptes rendus 1 Wie man p. 11 N19 entnehmen kann, ist ein Beitrag von Knecht, auf den Chambon hier vergebens verweist, nicht eingegangen und folglich nicht publiziert worden. abschließend in den Raum gestellten Projekte eines regiolektalen Thesaurus oder einer Neustrukturierung des FEW Zukunftsmusik bleiben werden, darf man vermuten. Einem interessanten Detailaspekt widmen sich Jean-Claude Bouvier/ Claude Martel (79-90), den metadiskursiven Markierungen der Regionalismen, die an Texten von südfr. Schriftstellern des 19. und 20. Jh. exemplifiziert werden. Auf der Grundlage einer Typologie von drei Kategorien solcher Markierungen (geographisch, metasprachlich sowie geographischmetasprachlich), die primär bei lexikalischen Regionalismen zu beobachten sind, werden einzelne Belege dieses Stilphänomens diskutiert. Es folgt der Beitrag von Hervé Chevalley (91-113), dessen Gegenstand die aus dem Dialekt herrührende regiolektale Lexik der Suisse romande ist. Nach Bemerkungen zur Stellung der Regionalismen im GPSR vertritt der Autor eine Position, die dem Konzept sonstiger hier vertretener Theoretiker entgegengesetzt ist. Er hebt nämlich gerade die Bedeutung der kleinräumigen (français local), aus dem Dialekt stammenden Regionalismen hervor. Mit Beispielen aus dem Osten des Kantons Waadt untersucht er historische Assimilierungsprozesse dieser Dialektismen und betont, dass sie keine pittoresken, sondern eigenständige, im System integrierte Bestandteile des français régional sind. Mit Michel Francard (115-26) kommt einer der profiliertesten Kenner des Regionalfr. in Belgien zu Wort. Er stellt das Forschungsprojekt Valibel vor, eine diasystematisch differenzierte offene Datenbank zum Fr. in Belgien, die in starkem Maße die gesprochene Sprache berücksichtigt. Ebenfalls ein damals im Projektstadium begriffenes und vor dem Erscheinen des Sammelbandes publiziertes Wörterbuch, das noch als Dictionnaire des particularités lexicales contemporaines du français en Suisse romande bezeichnete nachmalige Dictionnaire suisse romand (DSR) (¹1997, ²2004) stellt André Thibault (127-61) vor. Behandelt werden nebst anderem Fragen des Korpus, der Selektion des Inventars und diverse Probleme der Mikrostruktur. Auch hier ist der Aufsatz von der Realität überholt worden; er bietet aber eine eingehendere Darstellung der methodischen Prinzipien des DSR als man dies dessen Vorwort entnehmen könnte. Jean-Baptiste Martin (163- 70), Verfasser eines Wörterbuches zum Regionalfr. des Velay, präsentiert hier neun Belege für Entlehnungen aus dem Dialekt der Region von Saint-Etienne und Lyon, um verallgemeinernde Schlüsse auf Ursachen (Arbeitsmigration), Geographie (insbesondere Lyon als regionales Zentrum) und unterschiedliche Entlehnungspräferenzen in Dialekt und Regiolekt zu ziehen. Die chronologische Perspektive von Jean Richard (171-84), ist umfassender als die seiner Vorgänger, denn er skizziert die sprachliche Entwicklung Lothringens seit dem 17. Jh., wobei er auf die Rolle des Fr. im 17.-18. Jh. eingeht, das rasche Vordringen der Standardsprache im 19. Jh. beschreibt und auf der Basis phonetischer Merkmale drei Charakteristika der gegenwärtigen Sprachsituation hervorhebt, die geographisch heterogene Struktur des Regiolekts, Differenzen zwischen Dialekt und Regiolekt sowie den Stadt- Land-Gegensatz. Seit langem als Experte in diesem begrenzten Gebiet ausgewiesen, steuert Gilles Roques (185-96) eine Interpretation der Regionalismen der afr. Vie de saint Grégoire bei, die auf die pikardisch-wallonischen Sprachelemente in diesem bislang der westfr. Dialektregion zugeschriebenen Text verweist. Der Herausgeber, Gilbert Salmon (197- 206), ist danach erstmals mit einem Aufsatz vertreten, der anstelle des anderweitig publizierten Kongressbeitrages zum Regionalfr. des Lyonnais hier aufgenommen wurde. In ihm geht es nach kritischen Anmerkungen zu Defiziten der standardfr. Lexikographie, insbesondere des TLF, um Besonderheiten des Gebrauchs von faire im Regionalfr. des Elsass, dies im Spannungsfeld von Semantik, Syntax und Phraseologie (Kollokationen, Phraseologismen i. e. S.). Durchnummeriert ergeben sich 55 anscheinend regionale Spezifika des frequenten Verbs. Als «autocritique» bezeichnet Gérard Taverdet (207-12) seine Ausführungen, in denen der Verfasser eines Regionalismenwörterbuches der Region Burgund allgemeine methodische Elemente der Lexikographie des français régional erörtert. Als letzter Kolloquiumsbeitrag firmiert der Aufsatz von Anne-Marie Vurpas (213-18), der ein be- 332 Besprechungen - Comptes rendus kanntes Problem im Bereich der Diatopik wiederaufgreift, die Differenzierung von Dialekt und Regiolekt. Anhand von Fällen aus der Grenzzone zwischen Prov. und Frprov. im Beaujolais werden phonetische und morphologische Phänomene gering adaptierter Dialektismen betrachtet. Der zweite Teil des Sammelbandes ist (teilweise wohl später verfassten, cf. p. 285) Untersuchungen des Herausgebers vorbehalten und repräsentiert folglich in erster Linie dessen Forschungsschwerpunkte, nämlich das Lyonnais und das Elsass. Recht speziell ist der erste Beitrag (219-28), der den fiktiven Patronymen im Littré de la Grand’Côte von Nizier du Puitspelu gewidmet ist, dem wichtigsten Regionalismenwörterbuch des Lyonnais im 19. Jh. Auf ein alphabetisches Inventar folgt deren lexikalische Analyse. Metalexikographisch ist auch der nächste Beitrag (229-39), der die ausschließlich lexikographisch (in den Wörterbüchern von Nizier du Puitspelu, Vachet und Miège), nicht indessen in einem umfangreichen vom Autor ausgewerteten Korpus des realen Sprachgebrauchs auftretenden Regionalismen alphabetisch inventarisiert. Auf der Basis von 17 sich zwischen 1927-1962 erstreckenden Ausgaben des in Annonay erscheinenden Armagna du Père Menfouté hat Salmon in der Folge (241-52) ein auszugsweises Inventar der cévenolismes erstellt, die im Text dieses populären Almanachs mit einer metasprachlichen Information im Sinne einer Bedeutungsangabe versehen sind. Mit zwölf Beispielen aus dem Regiolekt des Elsass - zumeist aus der kulinarischen Terminologie - hebt der folgende Aufsatz (253-72) auf ein spezifisches methodisches Problem ab, die Qualität der Bedeutungsbeschreibung nicht nur in der regiolektalen Lexikographie. Salmon kritisiert die unspezifische Definition des Typs «sorte de . . .» und plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der außersprachlichen Realia. Dies führt er exemplarisch vor - und man kann hinzufügen, dieses Postulat ist in dem zwischenzeitlich erschienenen Dictionnaire des régionalismes du français en Alsace (DRFA) von Pierre Rézeau (Strasbourg 2007) zumindest für die ausgewählte Region trefflich umgesetzt worden. Syntaktische Phänomene gehören nicht unbedingt zu den bevorzugten Analysebereichen der Regionalismusforschung. Insofern ist die hier auf dem Hintergrund von zehn materialreichen Beispielinventaren (Einzelverben, Tempora, Präpositionen) aus dem Elsass erhobene Forderung nach der intensiveren Beschäftigung mit den modulations morpho-syntaxiques (273-84) ebenso gerechtfertigt wie die inventarisierende Voruntersuchung syntaktischer Eigenarten des Elsassfr. (Adverbialsyntax, Modus- und Tempusgebrauch) (285-94). An das Ende des Bandes gesetzt ist eine phonetisch orientierte Abhandlung, die anhand regiolektaler (Molard 1803 zum Lyonnais) und standardsprachlicher Wörterbücher (Landais, Littré) die Entwicklung der Vokalquantität im Fr. des 19. Jh. sowie, gestützt auf selektive Analysen des 20. Jh., in der Gegenwartssprache untersucht (295-316). Ein paar Detailbemerkungen: (201s.) manche der hier als Eigentümlichkeiten gelisteten Gebrauchsformen des Verbs faire im Elsass ähneln dem dt. machen, cf. faire de l’eau chaude ‘faire chauffer de l’eau’, dt. warm Wasser machen; faire les cheveux ‘couper’, dt. die Haare machen; faire longtemps ‘mettre longtemps’, dt. lange machen (ebenso in der Suisse romande); faire son linge, dt. die Wäsche machen; faire un but ‘marquer’, dt. ein Tor machen; faire une tombe ‘creuser’, dt. ein Grab machen etc. (206) avoir fait une maladie etc. scheint wenig regional spezifisch, so ergibt allein der Kontext il a fait une crise cardiaque in Google (11. 3. 2010) eine Menge von ca. 2 420 000 Belegen. Die «rein lexikographischen» Regionalismen des Lyonnais werden in ihrer realen Existenz überdies gestützt durch Parallelen in anderen Regiolekten, cf. z. B. für dans l’affaire de ‘en l’espace de’ denselben Phraseologismus in Carcassonne (L. Michel 1949, ihm zufolge im Midi weiter verbreitet) und im Roussillon (Camps 1991) 2 . Auch in der Liste der cévenolismes findet sich manches, was wei- 333 Besprechungen - Comptes rendus 2 L. Michel, «Le français de Carcassonne», Annales de l’Institut d’Études Occitanes 2 (1949): 89; C. Camps, Dictionnaire du français régional du Roussillon, Paris 1991: 11. ter verbreitet ist, z. B. (250) être à non plus, das Brun (1931, veraltet) für Marseille oder Pépin 1895 für die Gascogne bezeugt 3 . In den beiden syntaktischen Merkmalen des Elsassfr. gewidmeten Beiträgen stößt man auf manche Parallele zum Dt., die eine Entlehnung nahelegt, so bei avec: (275) avec dessein ‘à dessein’, cf. dt. mit Absicht; avec 16 ans ‘à l’âge de’, cf. dt. mit 16 Jahren, manger avec bon appétit ‘de bon appétit’, cf. dt. mit gutem Appetit etc. Auch hier scheint das ein oder andere nicht regional typisch. So ergibt die Überprüfung von il est parti avec la voiture in Google (11. 3. 2010) ca. 416 000 Belege, deutlich mehr als im Falle des als standardfr. benannten il est parti en voiture, das es nur auf ca. 91 300 Fundstellen bringt. Da aber die Arbeiten von Salmon partiell ausdrücklich als Vorarbeiten zu hier angekündigten größeren Wörterbuchprojekten apostrophiert werden (cf. im Titel p. 241: préinventaire und p. 273 pré-maquettes), sind diese Lücken verständlich und daher soll die Ergänzung oder Kritik nicht fortgeführt werden - es handelt sich eben nur um das erste Inventarisieren, noch nicht um eine abgerundete Darstellung. Der recht sorgfältig gemachte Band 4 ist, anders als im Vorwort (9) behauptet, von der überlangen Zeitspanne bis zur Publikation nicht unbeeinflusst geblieben. Manche ehemalige Forschungsprojekte sind vor seiner Veröffentlichung in Buchform erschienen, manche Kritik z. B. an für ein breites Publikum bestimmten Kleinwörterbüchern ist zumindest durch das Erscheinen von Spitzenwerken wie dem DRF oder dem DRFA relativiert worden. Manch Altbekanntes kann man hier nachlesen, zuweilen ist auch die Materialbasis der Beiträge einigermaßen schmal. Dennoch sind die theoretischen Gesichtspunkte, wie sie beispielsweise Chambon diskutiert, auch heute noch nicht überholt. Hinsichtlich der Sprachmaterialien sind die Aufsätze von G. Salmon am interessantesten, denn sie erbringen nicht nur durchaus reichhaltige Sammlungen, sondern behandeln auch mit potentiellen syntaktischen Regionalismen weniger beackerte Teilbereiche der Forschung. Joachim Lengert ★ Béatrice Lamiroy (ed.), Les expressions verbales figées de la francophonie. Belgique, France, Québec et Suisse, Paris (Ophrys) 2010, x + 166 p. Les travaux du groupe de recherche coordonné par Béatrice Lamiroy (Jean-René Klein, Jacques Labelle, Christian Leclère, Annie Meunier, Corinne Rossari) se situent dans le cadre théorique défini par Maurice Gross et visent à compléter les études consacrées aux expressions verbales figées en élargissant leur description au domaine francophone. Dans ce contexte, l’équipe de Lamiroy est en train de réaliser un dictionnaire visant à répertorier, analyser et comparer ce type de séquences dans le français de Belgique, de France, du Québec et de Suisse (BFQS), en s’intéressant en particulier aux expressions verbales ayant au moins un argument figé outre le verbe, appartenant à la langue générale (avec exclusion des langages techniques) et étant en usage dans le français actuel. Les réflexions issues de ce projet sont à l’origine de plusieurs publications, dont la plus complète est le présent ouvrage, qui aborde la question dans la double perspective du fige- 334 Besprechungen - Comptes rendus 3 A. Brun, Le Français de Marseille. Étude de parler régional, Marseille 1931: 140; L. Pépin, Gasconismes et choses de Gascogne, Paris/ Cahors 1895: 39. 4 Unachtsamkeiten: (81) XX e siècle recte XIX e ; (86 N2) der Verweis «en annexe» ist irrig, denn es gibt keinen Anhang. Ärgerlich ist, dass in manchen Beiträgen die Bibliographie fehlt (so erfährt man z. B. nicht, wo exakt das p. 99 erwähnte Lexique de la région Vevey-Montreux erschienen ist), und auch ein Wortindex wäre für einige Aufsätze wünschenswert gewesen.
