Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniOlivier Collet/Sylviane Messerli (ed.), Vies médiévales de Marie-Madeleine, Turnhout (Brepols) 2008, 709 p. (Textes vernaculaires du Moyen Age 3)
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Arnold Arens
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Olivier Collet/ Sylviane Messerli (ed.), Vies médiévales de Marie-Madeleine, Turnhout (Brepols) 2008, 709 p. (Textes vernaculaires du Moyen Age 3) Die hier anzuzeigende Edition «réunit l’ensemble des vies médiévales de Marie-Madeleine rédigées en français» (9). Es werden insgesamt 28 verschiedene Fassungen der Legende der Maria-Magdalena herausgegeben, wobei zwei dieser Versionen (N° 27 und 28 1 ) nur in fragmentarischer Form erhalten sind. Die in französischer Sprache geschriebenen Fassungen waren bislang nur «très partiellement édité(e)s» (9); und fernerhin ist festzuhalten, dass mit Ausnahme der von Guillaume le Clerc de Normandie (N° 5) und von Nicole Bozon (N° 13) stammenden Werke «aucun des rares textes disponibles n’a été présenté dans sa tradition manuscrite complète» (10), was hier erstmalig in aller Ausführlichkeit und Gründlichkeit geschieht. Zu diesem Zweck haben die Editoren rund 100 Handschriften ausgewertet und miteinander verglichen, was eine wahre Sisyphusarbeit war. Die Wahl der Legende der Maria-Magdalena als Gegenstand der Untersuchung bot sich geradezu an, da «(c)e personnage a de tout temps nourri l’imaginaire chrétien et connaît au moyen âge un important développement» (9). Diese Legende enthält in ihrer umfassendsten Version, wie sie etwa in der Kompilation der hier edierten N° 24 enthalten ist, folgende Handlungssegmente: 1) Das evangelische Leben der Heiligen. Dabei wird die Figur der Maria-Magdalena, die gemäß dem Bericht der Evangelisten bei der Kreuzigung Christi anwesend ist (Matth. 27, 56; Mark. 15, 4; Luk. 24, 1-12; Joh. 19, 25) und die als erste dem auferstandenen Jesus begegnet (Mark. 16, 9-11; Joh. 20,11-18), in der patristischen Tradition zu einer «figure composite» (17), die mit anderen biblischen Gestalten identifiziert wird. So wird Maria-Magdalena mit der bei Luk. 7, 36-50 erwähnten anonymen reuigen Sünderin gleichgesetzt, die in das Haus des Pharisäers Simeon einkehrt, sich hier demütig zu Füßen Christi wirft und ihre Sünden bereut, ihre Tränen auf dessen Füßen vergießt und diese mit ihren Haaren trocknet und ab diesem Augenblick die Botschaft Jesu verkündet. 2) Das Exil der Heiligen gemeinsam mit anderen Jüngern Christi sowie deren Ankunft in Marseille, wo sie das berühmte Wunder von Marseille wirkt, das «au cœur de la vie légendaire de Marie- Madeleine» (19) steht. 3) Ihren eremitischen Rückzug und ihren Tod. 4) Die Translatation ihrer Gebeine nach Vézelay, wo sie noch mehrere Wunder wirkt. Die einzelnen Fassungen haben jeweils unterschiedliche Bestandteile dieser Inhaltsbereiche ausgewählt und/ oder diese zum Teil auch ergänzt. Collet und Messerli haben die insgesamt 28 altfranzösischen Redaktionen der Legende der Maria-Magdalena, die alle mit Ausnahme der N° 1 und des ersten Teils der N° 4 auf lateinischen Quellen basieren und von denen nur fünf in Versform (N° 5, 8, 13, 27, 28) gehalten sind, während der Rest in Prosa geschrieben ist, «d’après leurs sources et la date de leur composition» (23) angeordnet. Auf dieser Basis sind drei Hauptgruppen der Textausgabe entstanden. Es sind dies zum einen die neun Versionen (N° 1-9), die auf lateinischen Quellen basieren, die zweifelsfrei der Legenda aurea des Dominikaners Jakobus de Voragine (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) vorausgehen; sodann die zahlreichen altfranzösischen Übertragungen der Legenda aurea (N° 10-23) und schließlich (N° 24-26) die Kompilationen verschiedener altfranzösischer Fassungen. Gerade bei diesen lassen sich «les techniques de réécriture» (10) besonders deutlich fassen und darstellen. Diesen drei Hauptgruppen schließt sich dann noch gewissermaßen als Annex ein kurzer Abschnitt an, in dem zwei kurze Fragmente der Vita der Heiligen dargestellt werden (N° 27-28). Die der Gliederung zugrunde gelegten Kriterien (Alter der jeweiligen Textzeugnisse, deren Quel- 315 Besprechungen - Comptes rendus 1 Mit der Angabe N° und nachfolgender arabischer Zahl wird jeweils die Nummer des hier edierten Textes angegeben. le) sind zwar grundsätzlich richtig. Sehr bedauerlich ist es allerdings, dass bei den Versionen, bei denen die lateinische Quelle angeführt ist, über diese nahezu keinerlei Ausführungen gemacht werden. So findet man etwa nur einige spärliche Informationen über Jean de Mailly und sein Werk Abbreviatio in gestis et miraculis sanctorum (cf. 89), absolut keine Angaben über die Legenda aurea (cf. 309s.) u. a. m. In ähnlicher Weise fehlen auch nähere Hinweise zu Jean de Vignay und der von ihm angefertigten Übersetzung der Legenda aurea (cf. 375), wohingegen zu Nicole Bozon und seiner Übertragung dieses Werkes einige wenige Erläuterungen geboten werden (357). Für jeden Leser wären erläuternde Angaben zu den jeweiligen lateinischen Quellen sowie auch substantielle Informationen zu den namentlich bekannten Übersetzern der Legenda aurea ins Altfranzösische eine große Hilfe gewesen. Vielleicht ist auch aus Raumgründen auf derartige Ausführungen verzichtet worden. Jeder der 28 Editionen geht eine mit äußerster Gründlichkeit erstellte Präsentation voran. In dieser werden auf der Basis der Auswertung der umfangreichen Primär- und Sekundärliteratur alle notwendigen Informationen zu dem/ zu den Manuskript(en) der jeweiligen Version der Maria-Magdalena-Legende geboten (Aufbewahrungsort der Handschrift(en), deren etwaige Entstehungszeit, Inhalt und Aufbau der einzelnen Versionen, besondere dialektale und/ oder sprachliche Merkmale). In den Fällen, in denen mehrere Handschriften einer Fassung vorliegen, wird sehr akribisch die Auswahl des Basismanuskripts begründet, das dann in der Regel anschließend in einer Übersicht verzeichnet ist ebenso wie das/ die «(e)xemplaire(s) de comparaison» (59) sowie bei etlichen Editionen auch die «(e)xemplaires hybrides» (213). Natürlich wäre zu jedem Text auch eine eingehende Quellenanalyse wünschenswert gewesen; aber man kann im Rahmen einer Textedition nicht alles leisten. Angesichts der hier gebotenen überbrodelnden Fülle an Informationen ist es nahezu unmöglich, diese in einer Besprechung zusammenzufassen und zu bewerten. Ich empfehle jedem die Lektüre nur einer einzigen dieser Präsentationen, um sich von deren Qualität zu überzeugen. Die einzelnen Textausgaben sind mit größter Sorgfalt erstellt. Bei den Versionen, von denen nur ein Manuskript vorliegt, haben die Editoren Eingriffe in den Text auf ein Minimum beschränkt, was richtig ist. Und es ist auch richtig, nicht auf «la reconstitution d’un état idéal pour chaque texte» (24) abzuzielen. Fehler der jeweiligen Basishandschrift werden nur in den wichtigsten Fällen korrigiert und im textkritischen Apparat angezeigt. Dieser besteht aus zwei Kategorien. In der ersten, direkt unter dem Text stehenden Rubrik werden in den Fällen, in denen das «(e)xemplaire de référence» (59) korrigiert wurde, die Lesarten der Handschrift angeführt, so dass für jeden Leser die Richtigkeit der von den Herausgebern vorgenommenen Verbesserungen überprüft werden kann. Außerdem wird meistens angegeben, nach welcher Handschrift eine Korrektur vorgenommen wurde. In dieser Rubrik sind auch Besonderheiten des Basismanuskripts (Unleserlichkeiten, Durchstreichungen, Ergänzungen usw.) verzeichnet. In der zweiten Kategorie des textkritischen Apparats sind die wichtigsten Lesarten der anderen Manuskripte verzeichnet. Inhaltliche und sprachliche Kommentare sind in den Fußnoten allerdings auf ein Minimum reduziert. Im Rahmen der Textausgabe nimmt die von N° 1 eine Sonderrolle ein. Während sich die Herausgeber normalerweise auf die Edition des Textes eines einzigen Manuskripts beschränken, haben sie sich in diesem Fall aufgrund der inhaltlichen Unterschiede der einzelnen Handschriften klugerweise zu «une solution éditoriale plus complexe» (57) gezwungen gesehen und Auszüge aus drei verschiedenen Manuskripten ediert. Angesichts der Fülle des Materials konnte ich mich nur auf einige stichpunktartige Überprüfungen beschränken. Dabei habe ich in allen Fällen eine äußerst solide und fehlerfreie Arbeitsweise der Herausgeber feststellen können. Besser kann man eine Edition nicht er- 316 Besprechungen - Comptes rendus stellen, was im übrigen insbesondere für die Arbeitsweise des mir durch seine Veröffentlichungen bestens bekannten O. Collet auch nicht anders zu erwarten ist 2 . Den Texteditionen geht eine knappe, nach meinem Urteil zu knappe «Introduction» (9-38) voran, die kurz über die biblische Gestalt der Maria-Magdalena, die um ihre Person gewobene Legende sowie die von den Herausgebern getroffene Textauswahl und ihre Editionsprinzipien informiert und die am Ende eine Auswahlbibliographie bietet. In den bibliographischen Einträgen ist es sehr bedauerlich, dass bei den angeführten Zeitschriftenaufsätzen oft die Angabe der Seitenzahlen fehlt.Auch wäre eine detaillierte Darstellung der Legende der Maria-Magdalena wünschenswert gewesen. Und bei der Ermittlung der Quellen der summarisch genannten Einzelelemente dieser Legende ist es natürlich unsinnig zu sagen, dass der Bericht über den eremitischen Rückzug der Heiligen «rejoue des éléments de la vie même de Marie-Madeleine» (21). Worauf sonst als auf das Leben einer heiligen Person soll sich die Legende über sie in erster Linie stützen? Am Ende der Texteditionen finden sich dann nach kurzen, sehr überzeugenden Darlegungen zur «Iconographie» (651-58) mehrere listenförmige Übersichten und Indices. Dabei ist auch ein «Index lexical» (697-701), in dem nur die Wörter verzeichnet werden, die in den Einleitungen der 28 Texteditionen kommentiert worden sind. All diese Übersichten sind sicherlich mit enormer Arbeitsintensität und Sorgfalt erstellt worden. Ich frage mich aber, welchen Nutzen sie für den Leser haben. Es wäre viel sinnvoller gewesen, darauf zu verzichten (dann hätte man auch genügend Raum zur Verfügung gehabt) und statt des «Index lexical» ein detailliertes Glossar zu bieten. Vielleicht ist damit aber auch zu viel erwartet. Wenn ich auch einige wenige kritische Bemerkungen angeführt habe, bleibt festzuhalten, dass Collet und Messerli eine gekonnte Textausgabe vorgelegt haben. Es ist zu hoffen, dass die zukünftige Forschung der romanistischen Mediävistik auf dieser soliden Basis weiterarbeiten wird. Es sind noch zahlreiche Bereiche zu erkunden (Ausarbeitung und Verbreitung der Legende, Techniken der «réécriture», Quellenanalyse zu jeder der 28 Versionen, Entwicklung des Französischen u. a. m.). Arnold Arens ★ Yasmina Foehr-Janssens, La Jeune Fille et l’amour. Pour une poétique courtoise de l’évasion, Genève (Droz) 2010, 223 p. (Publications romanes et françaises 249) Yasmina Foehr-Janssens (YFJ) poursuit à travers ce nouvel ouvrage une quête d’une grande cohérence, entamée avec Le Temps des fables (Champion, 1994) et poursuivie avec La Veuve en majesté (Droz, 2000). Il est peut-être aventuré de parler de trilogie, car YFJ n’a sans doute pas dit ici son dernier mot. Néanmoins, La Jeune fille et l’amour, qui est le plus bref mais non le moins dense de ses trois livres, marque à n’en pas douter un point d’orgue dans sa réflexion, osant s’attaquer à des classiques intimidants de la littérature du XII e siècle après avoir, si l’on ose dire, testé sa méthode sur des corpus moins frayés. Le Temps des fables était en effet focalisé sur l’injustement négligé Roman des Sept Sages, que YFJ remettait, du coup, magistralement en lumière, en y décelant une «autre voie du roman», celle du «roman de clergie», parallèle au «roman de chevalerie». Partant d’un corpus proche, puisque comprenant entre autres le Roman de Cassidorus, qui est une continuation du Roman des Sept Sages, YFJ explorait ensuite dans La Veuve en majesté le thème de la femme 317 Besprechungen - Comptes rendus 2 Zu dessen zahlreichen bis zum Jahre 2000 vorgelegten Publikationen und deren hoher Qualität cf. meine hier erschienene Rezension (VRom. 91 (2002): 322s.).
