Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniClaudio Gigante/Giovanni Palumbo (ed.), La tradizione epica e cavalleresca in Italia (XIIXVI sec.), Bruxelles (P. I.E. Peter Lang) 2010, 357 p. (Destini Incrociati 3)
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Peter Wunderli
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dal latino al romanzo e la situazione sociolinguistica dell’arabo medio (150-52), giungendo ad ipotizzare l’esistenza nel Medioevo non di una bipolarità latino - romanzo, bensì di una interazione di norme tra i due sistemi (157). Passando quindi ad una analisi della Historia Roderici, il ricercatore propone una identificazione tra il latino più alto del narratore e quello più basso dei personaggi: i due registri dipenderebbero dunque non dalla competenza dello scrittore o dei copisti bensì sarebbero lo specchio della realtà coeva. Nel suo intervento C. M. Reglero de la Fuente, «Algunos arabismos de la documentación asturleonesa relacionados con la descripción del espacio: alfoz, aldea, alcázar y almunia» (251-66), ha messo sotto la lente quattro vocaboli (alfoz, aldea, alcázar, almunia) di origine araba e inerenti alla descrizione dello spazio. Due di essi, alfoz e almunia, compaiono nella documentazione leonese e asturiana fin dal X secolo, mentre occorre attendere quasi duecento anni più tardi per vedere comparire gli altri due: accanto all’evoluzione diacronica l’esame della documentazione consente anche di verificare l’impiego diatopico dei lemmi. L’autore ne desume che gli arabismi furono introdotti nella lingua leonese in due distinti momenti, e che in questo processo ebbero una parte fondamentale le relazioni con gli arabofoni della regione. Gli equivalenti latinismi (alfoz = territorium; aldea = villa; almunia = ortus; alcázar = turris/ castellum), non sostituirono mai completamente il corrispondente vocabolo arabo poiché «esta equivalencia es aproximada y la palabra romance tiene un significado algo diferente» (266). Esemplare in questo senso proprio il caso di alfoz: è vero che territorium indica genericamente uno spazio, ma alfoz «se refiere sólo a aquellos dependientes de un castillo y villa, cuyo tenente ejerce la jurisdicción y fiscalidad regia» (266). Gerardo Larghi Italoromania Claudio Gigante/ Giovanni Palumbo (ed.), La tradizione epica e cavalleresca in Italia (XII- XVI sec.), Bruxelles (P. I. E. Peter Lang) 2010, 357 p. (Destini Incrociati 3) Wie die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort (9s.) darlegen, ist die italienische Ritterepik, von den in Oberitalien zirkulierenden französischen Texten über die franko-italienische Epen bis hin zu den großen Renaissance-Autoren, noch immer nicht erschöpfend untersucht, und auch eine Gesamtdarstellung dieses Literaturkomplexes steht deshalb weiterhin aus. Der vorliegende Sammelband beansprucht nicht, diese Lücke zu schließen, aber will einige Bausteine zu diesem Unternehmen beisteuern sowohl durch die Vorlage von neuen Interpretationen von bekannten Texten als auch dadurch, dass er die Aufmerksamkeit auf bisher vollkommen oder weitgehend vernachlässigte Texte lenkt. Die 14 Beiträge sind das Ergebnis eines internationalen Kolloquiums, das vom 19. bis 21. Dezember 2007 an den Facultés de Notre-Dame de la Paix in Namur und an der Université Libre in Brüssel stattgefunden hat; sie werden abgerundet durch eine Schlussbilanz von Altmeister Cesare Segre. Maria Careri, «Epica francese in Italia: due schede» (11-18), betont einleitend, dass die mittelalterlichen Zeugen für die Bedeutung der französischen Epik in Italien in kodikologischer Hinsicht noch wenig untersucht seien. Sie nimmt deshalb ihre früheren Untersuchungen zu in Italien kopierten französischen Manuskripten wieder auf. An erster Stelle befasst sie sich mit dem Oxforder Codex Bodleian Canon. 63, der den Girart de Roussillon enthält. Die Datierungen reichen vom Ende des 12. bis zum Anfang des 14. Jh.; seit der Ausgabe des Textes von Mary Hackett (SATF, 1950-55) ist die Datierung auf die 1. Hälfte des 13. Jh. allgemein akzeptiert. Eine neue und detaillierte paläographische Untersuchung veranlasst Careri jedoch, zu der Datierung von Paul Meyer aus dem Jahr 257 Besprechungen - Comptes rendus 1870 zurückzukehren, der die Handschrift auf die Schwelle vom 13. zum 14. Jahrhundert festlegt. Die zweite untersuchte Handschrift ist das Stockholmer Ms. Kungliga Biblioteket Vu 14, das den Foucon de Candie enthält. Die frühere Datierung von Schultz-Gora in seiner kritischen Ausgabe des Textes weist den Codex dem Anfang des 13. Jh. zu. Neue paläographische Analysen machen aber eine Korrektur nötig: Das Ms. ist (wie das vorhergehende) Ende des 13./ Anfang des 14. Jh. entstanden. Darüberhinaus stellt Verf. eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Fragmenten des Aye d’Avignon von Brüssel und Venedig fest was Format, Schriftspiegel, Schrifttyp und Graphien angeht. Und nach den gleichen Kriterien kann man auch Ähnlichkeiten zu weiteren in Italien kopierten Handschriften mit provenzalischem und französischem Inhalt feststellen, z. B. zur provenzalischen Liederhandschrift L (Vat. Lat. 3206) oder zur Pariser Handschrift des Partenopeus de Blois (BN, n.a.fr. 7516). Verf. schließt daraus vorsichtig, dass Ende des 13./ Anfang des 14. Jh. in Oberitalien ein Bedarf an kleinformatigen Codices mit variablen provenzalischen oder französischen Inhalten existiert haben müsse, und dass derartige Kopien in größerer Zahl unter jeweils ähnlichen Produktionsbedingungen in der Lombardei (eher als im Veneto) hergestellt worden seien. Philippe Ménard, «Observations sur les formes verbales dans Berta da li pè grandi» (19- 37), analysiert in einer hervorragend informierten und dokumentierten Studie - exemplarisch für die Sprache des Textes als Ganzes - die Verbformen in Berta da li pè grandi. Basis sind die Ausgaben von Cremonesi und Rosellini, unter Zuhilfenahme derjenigen von Mussafia sowie des Faksimilés von Rajna. Dabei werden auch bisherige Interpretationen und Erklärungen einzelner Formen in äußerst sorgfältiger und umsichtiger Weise diskutiert. Ein Musterbeispiel überzeugender Philologie. Dabei ergibt sich: 1. Die rein französischen Formen sind häufig, v.a. bei den Infinitiven auf -er und den Partizipien auf -é und -ée. Dies gilt insbesondere für die entsprechend endenden Laissen. Bei den flektierten, im Versinnern stehenden Verbformen dagegen ist die Frequenz einer unfranzösischen Morphologie beachtlich; oft stehen französische, italienische und hybride Formen in Konkurrenz zueinander. Es scheint also, dass der Reim eine Art Schutzmauer für die französischen Formen bildet. 2. Von großer Häufigkeit sind auch gängige italienische Formen wie die 3. Pers. Präs. Ind. auf -a, die 1. Pers. Präs. Ind. auf -o, die 3. Pers. Subj. Impf. auf -(e)se, die 3. Pers. Ind. Impf. auf -ava, usw. Die Häufigkeit dieser Formen steht für eine starke Italianisierung des Textes. 3. Nicht zu vernachlässigen ist die Häufigkeit von dialektalen (italienischen) Formen. Nicht weiter spezifizierbar ist nordit. sonto für die 1. und 6. Pers. Präs. Ind. von eser und nasi für die 2. Pers. sg. Perf. von nasre/ naser. Von hoher Frequenz sind venezianische Formen wie vaga (3. Pers. sg. Subj. Präs. von aler), veço (1. Pers. sg. Ind. Präs von veoir), creço (do., crere), 1. und 3. Pers. sg. Perf. auf -é (z. B. trové), der Zusammenfall der 3. Pers. sg. und pl. (cf. portoit 3. pl., dient 3. sg.), usw. Andere Formen sind zwar im Venezianischen gut belegt, kommen aber auch in andern Dialekträumen (v. a. der Toskana) vor, so z. B. die Endung -emo für die 1. Pers. pl. Ind. Präs. (z. B. semo), voio ‘je veux’, die Endung -ea für die 3. Pers. sg. Impf. Ind. Und schließlich fehlen auch lexikalische Verbentlehnungen nicht: deliquir ‘laisser’ (Nordit.), bragagnar ‘marchander’ (Venez.). 4. Daneben existieren auch noch spezifisch franko-italienische Formen. Zu ihnen zählen oit 3. Pers. sg., sowohl Präs. Ind. als auch Perf., desis ‘descendit’ 3. Pers. sg. Perf., desie ‘disait’ (reimbedingt für disea), und schließlich s’amervelon ‘il s’émerveille’ mit parsitärem Präfix a- und einer reimbedingten Endung -on; diese (bisher unerklärte) Konstruktion ist auf den oben erwähnten häufigen Zusammenfall von 3. Pers. sg. und pl. zurückzuführen. 258 Besprechungen - Comptes rendus 5. Verbreitet ist auch der Polymorphismus. So finden sich für die 3. Pers. sg. Präs. Ind. von faire nebeneinander die Formen fait, fa und foit, für die 3. Pers. sg. Subj. Präs. von eser ‘être’ die Formen soit, soia, sia, sie und sea. 6. Bleiben als letztes die eigentlichen Hybridformen. In seteré ‘inhumé’ ( sotterrare) und aspeter ‘attendre’ ( aspettare) haben wir einen italienischen Stamm und eine französische Endung, in soia ‘soit’ und proiò ‘pria’ dagegen die umgekehrte Konstellation. Der erste Fall ist eindeutig häufiger. Aufgrund seiner Analysen kommt Ménard zum Schluss, dass die Berta stark durch italienische und italianisierende Formen geprägt ist, und zwar nicht nur sporadisch, sondern durchgängig; dies passt zu der Feststellung, dass in der Geste Francor einer von zwei Versen mindestens eine nicht-französische Form enthält. Die Herkunft dieser (abweichenden) Formen ist wohl weniger die Lombardei, als vielmehr die östliche Padania, wobei die für Venetien typischen Formen dominieren. Gleichwohl ist eine exklusive Festlegung auf einen bestimmten Dialektraum nicht möglich. Carlo Beretta, «Osservazioni sul metro del codice V 7 (Marciano Fr. vii) della Chanson de Roland» (39-71). Beretta untersucht in einer akribischen, beste philologische Tradition verkörpernden Untersuchung die (aus puristischer Sicht) metrischen Unregelmäßigkeiten im in Italien kopierten Manuskript V 7 des Rolandslieds und vergleicht die festgestellten Abweichungen von den kanonischen Versformen mit den entsprechenden Phänomenen in andern franko-italienischen und französischen Texten. Dabei steht das Rolandslied in C (Chateauroux) im Vordergrund, denn beide Kopien dürften auf eine gemeinsame Vorlage κ zurückgehen. Schon einleitend stellt Verf. fest, dass V 7 konservativer sei als C, und dass die hypo- und hypermetrischen Abweichungen prozentual kaum häufiger seien als die in französischen Manuskripten feststellbaren Unregelmäßigkeiten. Zehnsilber und Alexandriner (in V 7 v. 7951-8265 plus 16 verstreute Verse) werden getrennt analysiert, da die metrischen Gegebenheiten zu unterschiedlich sind. Ziel der Untersuchung ist 1. die Darstellung der metrischen Unregelmäßigkeiten und der prosodischen Möglichkeiten, solchen Versen trotzdem einen regulären Rhythmus zuzuweisen, sowie der sich aus den sprachlichen Eigenheiten der Texte ergebenden Gründe für Hyper- und Hypometrie; 2. die Beschreibung der Strategien, mit denen die Kopisten versuchen, aus Alexandrinern Zehnsilber zu machen. Für die «Regularisierung» hypometrischer Verse ist die Dialoephe (auslautendes -ë vor anlautendem Vokal) ein verbreitetes Verfahren; sie findet sich sowohl mit nachfolgenden einsilbigen als auch mehrsilbigen Wörtern und ist auch in andern Texten durchaus geläufig. Der «Regularisierung» hypermetrischer Verse dienen ungewöhnliche Sinaloephen, z. B. zwischen auslautendem Tonvokal und Anlautvokal, zwischen der Präp. a und folgendem Anlautvokal, usw. Dem gleichen Ziel dient auch die Tilgung von Hiaten, z. B. ée ee (e), üé ué, ëú (e)ú, usw. Das Phänomen ist nicht nur in V 7 , sondern generell im Franko-Italienischen geläufig. Erneut ist aber kaum ein Frequenzunterschied zu französischen Manuskripten festzustellen. Unter den sprachlichen Gründen für die Entstehung hypo- und hypermetrischer Verse führt Beretta an: der Verlust von prothetischem e-, der Verlust von unbetontem -e sowie die (hyperkorrekte) Hinzufügung von -e. Was die Behandlung der Alexandriner angeht, so findet sich in V 7 (neben bewahrten Versen) häufig der Versuch, sie in Zehnsilber zu verwandeln. Das gelingt zwar in 155 Fällen, zu denen noch die Beispiele hinzukommen, wo aus einem ursprünglichen Alexandriner zwei Zehnsilber (16) bzw. aus zwei Alexandrinern ein Zehnsilber (1) gemacht wird. In andern Fällen ist der Reduktionsversuch jedoch nur teilweise erfolgreich: In 79 Fällen wird nur der erste Halbvers auf 5 Silben reduziert, so dass ein Elfsilber entsteht, und in 3 Fällen ergibt sich ein erster Halbvers von 3 Silben, was eine unkorrekte Zäsur zur Folge hat. 259 Besprechungen - Comptes rendus Wie schon einleitend festgestellt, unterscheidet sich V 7 in der Typologie der metrischen Abweichungen und deren Frequenzen wenig von den französischen Texten; die signifikanten Erscheinungen sind sogar meistens schon im Oxforder Roland vorhanden; offensichtlich wirken die anglonormannischen und die franko-italienischen Kontexte in die gleiche Richtung. Was den Vergleich mit C angeht, so finden sich die gleichen Phänomene, aber z. T. an andern Stellen und mit unterschiedlicher Frequenz. Überdies ist C eher freundlich, V 7 dagegen feindlich gegenüber dem Alexandriner eingestellt. Aus all diesen Fakten schließt Beretta, dass diese metrischen Lizenzen in κ wohl weitgehend gefehlt haben. Man kann die Hypothese wagen, dass κ französischen Ursprungs war, wenn es nach Beretta auch andere (sprachliche) Züge gibt, die gegen eine solche Annahme sprechen. Paolo Rinoldi, «Textes et traditions épiques chez Dante (Par. XVIII)» (73-106), stellt einleitend fest, dass in der enormen Sekundärliteratur zur Divina Commedia der Bedeutung der Heldenepik bisher kaum Beachtung geschenkt worden sei; diese Lücke will er nun schließen mit einer sorgfältigen und umfassend informierten Analyse von Gesang 18 des Paradiso. Die hier erwähnten «Helden» sind: Josua, Judas Maccabäus, Karl, Roland, Wilhelm, Rainouart, Gottfried von Bouillon, Robert Guiscard und schließlich der auf dem 2. Kreuzzug gefallene Cacciaguida. Sie alle haben für das Christentum gekämpft: die ersten beiden im Heiligen Land, Karl, Roland, Wilhelm und Rainouart in Spanien, Gottfried, Robert und Cacciaguida auf den Kreuzzügen. Die Liste stellt offensichtlich eine Variation der neuf preux dar, wobei auffällt, dass in ihr kein Kapetinger vorkommt. Was Dantes Kenntnisse der altfranzösischen Heldenepik angeht, so nimmt Rinoldi an, dass er wohl den Pseudo-Turpin und einige Chansons de geste gekannt habe, u. U. eine (franko-italienische? ) Version des Rolandslieds sowie die franko-italienischen Fassungen der Chanson de Guillaume und der Bataille d’Aliscans. Überraschend vor diesem Hintergrund ist, dass in der Liste der epischen Helden Rainouart vorkommt, Vivien dagegen fehlt, obwohl er ein viel besseres Vorbild abgäbe. Was die Beziehungen zu der französischen Literatur im allgemeinen angeht, so sind die Troubadours in Dantes Werk natürlich bestens vertreten; bevorzugt sind es Bertran de Born, Sordello und Folquet de Marseille, die alle für die probitas armorum stehen. Nicht weniger präsent ist der Artuskomplex. Die Chansons de geste dagegen spielen kaum eine Rolle: Dante fühlt sich zwar zur Troubadourlyrik hingezogen, die altfranzösische Heldenepik dagegen verachtet er. Die Verachtung für diese «Literatur der Bänkelsänger» kumuliert hier mit seiner Verachtung für die Kapetinger und das Haus Anjou. Heldenepik ist für ihn in erster Linie lateinisch: die Aeneis, De bello civili, die Thebais sind für ihn die gültigen Referenztexte. Sie haben allerdings einen nicht zu vernachlässigenden Mangel: Sie sind nicht christlich. Dazu passt auch seine Zuneigung zu Cacciaguida: Als Krieger und Dichter ist er ein christianisierter David. Maria Luisa Meneghetti, «Amori e morte tra Blaye e Saint-Denis. Ancora sull’epilogo della vicenda di Alda nella tradizione rolandiana» (107-19), untersucht den Tod von Aude bzw. ihre Bestattung und deren Verbindung mit derjenigen von Roland und Olivier. Das Motiv der gemeinsamen Bestattung von affektiv miteinander verbundenen Personen in epischen Epilogen ist relativ weit verbreitet und findet sich in drei Hauptvarianten: 1. Zwei befreundete Helden (compagnonnage, afrèrement) finden eine gemeinsame oder zumindest unmittelbar benachbarte letzte Ruhestätte (Ogier und Benoît, Lancelot und Galahad, Ami und Amile). 2. Das entsprechende Bestattungsmotiv findet Anwendung auf zwei Liebende unterschiedlichen Geschlechts, z. B. Antonio und Kleopatra, Romeo und Julia bei Shakespeare, oder in der altfranzösischen/ altokzitanischen Literatur Piramus und Tisbé (im Ovide moralisé), Soremonde und Guilhelm de Cabestanh (in der Langvariante der Vida), Abelard und Heloise, Tristan und Isolde (im Prosa-Tristan). 3. Die gemeinsame Bestattung betrifft zwei Liebende gleichen Geschlechts (Achilles und Patroklos, Epimonda und Aso- 260 Besprechungen - Comptes rendus phicos/ Leuctra); dieser Fall ist im wesentlichen auf die klassische Literatur beschränkt, denn Homosexualität unterliegt im Mittelalter der Ächtung; möglicherweise homosexuelle Beziehungen werden deshalb in der mittelalterlichen Literatur in Richtung des compagnonnage sublimiert. Wie steht es nun mit Aude, Roland und Olivier in den verschiedenen Versionen der Legende? Ein gemeinsames Grab von Roland und Olivier, d. h. die «heroische» Variante, findet sich nur im Oxforder Roland (O). Im okzitanischen Rencesvals dagegen haben wir die «sentimentale» Variante, d. h. ein gemeinsames Grab von Roland und Aude (ohne Olivier). Meneghetti möchte nun aber mit einer gewundenen Erklärung auch die Fälle hierherstellen, in denen Aude zusammen mit Olivier begraben wird (V 4 , V 7 , C, T, Spagna «maggiore» [gereimt]); da mir die Argumentation zu weit hergeholt scheint, ziehe ich es vor, in diesen Fällen einen eigenen Typ zu sehen, der auf der (von Meneghetti verworfenen) Geschwisterliebe basiert. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass hier auch die Thematik des (verbotenen) Inzests anklingt. Bleiben noch als letzter Typ die Fälle, wo alle drei zusammenbegraben werden (L, P, Rotta di Roncisvalle, Spagna [Prosa]), d. h. eine Fusion der bisherigen Typen. In all diesen Fällen wird der Körper von Aude zwischen die beiden Freunde gelegt. Meneghetti interpretiert dies als einen Versuch, eine mögliche homosexuelle Beziehung zwischen Roland und Olivier zu neutralisieren bzw. verschleiern. Sie kann zeigen, dass die Darstellung der Beziehung zwischen den beiden diese im Laufe der Zeit immer enger (und damit verdächtiger) erscheinen lässt; überdies findet sich das ‘Dreierbegräbnis’ erst seit der Handschrift P (1265-90) und könnte so - von der Chronologie her - durch Ami et Amile beeinflusst sein, ein Text, der sich übrigens in der gleichen Kompilation findet. Alles in allem eine interessante und anregende Studie, die aber in einer Reihe von Punkten hypothetisch bleibt (und auch bleiben muss). Laura Minervini, «Da Oriente a Occidente. Il Vecchio della Montagna nella tradizione epica» (121-40), versucht sich in einer Geschichte der Figur des «Alten vom Berg« (Vieux de la Montagne, Vecchio della Montagna) in der epischen Literatur vom Ende des 12. Jh. bis zu Tassos Gerusalemme conquistata. Er beginnt mit einer Skizze der nazaristischen Ismaeliten, einer radikalen, ursprünglich in Persien beheimateten Schiitengruppe und ihrer Geschichte vom 11.-13. Jh.; sie wurden in der westlichen Tradition unter dem Namen «Assassins/ Assassini» (von arab. ashīshiyyīn ašīš ‘Haschisch’) bekannt; man sagte ihnen kultischen Drogengebrauch, den Glauben an einen magischen Wundergarten, blinden Gehorsam (bis zum befohlenen Selbstmord) gegenüber ihrem Führer und die Bereitschaft zum (bezahlten) Auftragsmord nach.Alle diese angeblichen «Eigenschaften» fehlen in der islamischen Tradition ebenso wie der Name ihres Chefs, dem «Alten vom Berge». Die Figur des «Vieux de la Montagne» taucht in den französischen Chansons de geste erstmals in der Chanson d’Antioche von Graindor de Boulogne Ende des 12. Jh. auf, die den 1. Kreuzzug und die Eroberung von Antiochien im Jahr 1095 zum Gegenstand hat. Der «Alte» ist hier Herrscher von Edessa, und da er ohne männliche Nachkommen ist, schlägt er Baudouin de Boulogne, dem Bruder von Geoffroi de Bouillon, eine Ehe mit seiner Tochter vor. Baudouin wird so Herrscher von Edessa (1098-1100), später König von Jerusalem (1100-18). Der «Alte» hat hier nichts mit den Assassinen zu tun; er ist vielmehr ein armenischer Christ. Diese Informationen finden sich z. T. auch in der Historia Ecclesiastica von Orderico Vitale (1135) und in der Vie de Saint Louis von Joinville wieder, wo der «Alte» nun aber bereits der Chef der Assassinen ist. Auch in der Chanson de Jerusalem, der Fortsetzung der Chanson d’Antioche, wird die Hochzeit Baudouins mit der Tochter des «Alten» erwähnt. Die Figur des «Alten» taucht in der afrz. Epik erst Mitte des 14. Jh. in dem späten, durch viele romanhafte Züge geprägten Baudouin de Sebourc wieder auf. Die Kreuzzüge spielen hier nur noch eine marginale Rolle und werden erst am Schluss des Epos bei der Wieder- 261 Besprechungen - Comptes rendus eroberung von Edessa und der Pilgerfahrt nach Jerusalem noch einmal wichtig; der Rest der Darstellung scheint auf dem Devisement du monde von Marco Polo zu beruhen 1 . Sie enthält alle traditionellen Merkmale der Assassinen, wobei besonders auf den bedingungslosen Gehorsam und die Auftragsmorde insistiert wird. In der italienischen Tradition der Ritterepik wird der Vieil de la Montagne erstmals in der Entrée d’Espagne (wenn auch nur flüchtig) erwähnt. Im Aquilon de Bavière 2 dagegen ist er eine große Figur und einer der wichtigen orientalischen Herrscher (wobei der Orient auch Afrika einschließt); das Gleiche gilt auch für die Fatti di Spagna, während er in der Spagna in rima nur eine marginale Rolle spielt. Mit den Spagne haben wir bereits von der frankoitalienischen zur italienischen Tradition gewechselt, und in dieser spielt der «Alte» auch in der Storia di Ajolfo del Barbicone von Andrea da Barberino und im Morgante von Luigi Pulci eine wichtige Rolle. Auffällig ist, dass ein Bezug zu den Assassinen in der ganzen in Italien verortbaren Tradition fehlt, ja dass der «Alte» schon im Aquilon ein moralisch hochstehendes, den Christen ebenbürtiges Profil hat und dass er im Morgante vollkommen in die christliche Rittertradition integriert ist 3 . Einen radikalen Bruch mit dieser Tradition stellt Tassos Gerusalemme conquistata dar 4 : Tasso benutzt als Quelle offensichtlich die Chronik von Willhelm von Tyrus und auch dessen Bewertung des «Alten»: Er entbehrt jeder Nobilität; er und sein Umfeld sind wieder mit sämtlichen negativen Zügen belastet, die ihnen schon im Baudouin de Sebourc nachgesagt wurden. Wir haben so (fast) eine Schließung des Kreises. Eine Erklärung für die Tatsache, dass Tasso aus der allgemeinen Entwicklungstendenz ausschert, steht aber noch aus. Salvatore Luongo, «Il ‹nucleo ciclico› Couronnement de Louis, Charroi de Nîmes, Prise d’Orange nelle Storie Nerbonesi di Andrea da Barberino» (141-72), geht nach einem gerafften Überblick über den Forschungsstand in einem ersten Teil seines bestens informierten Beitrags auf die Struktur bzw. Organisation der Storie v. a. in dem auf dem Couronnement basierenden Teil ein. Der Text ist gewollt chronikhaft organisiert und tendiert sichtbar zu einer chronologischen Linearisierung. Dies führt zu zahlreichen Einschüben in die (ursprüngliche) Haupthandlung, ohne dass deswegen das Geschehen auseinander fiele; erreicht wird dies durch eine sorgfältige Pflege der Übergänge, geschickte Handhabung der Verschränkungen und explizite Rationalisierungen. Dazu kommt ein ausgetüfteltes System von Präzisierungen, Einschüben, Reminiszenzen, Resümees und (oft zu eigentlichen Versprechen werdenden) Ankündigungen, die der Erzähler seinen Protagonisten in den Mund legt. Die ganze Erzählstruktur ist geplant, sorgfältig durchdacht und bis ins Detail organisiert und bedient sich sogar Strategien wie derjenigen des récit spéculaire (Dällenbach). In einem zweiten Teil geht Verf. dann Veränderungen im thematisch-ideologischen Bereich nach. Die Glorifizierung Wilhelms wird bei Andrea massiv verstärkt bei einer gleichzeitigen (deutlichen) Abwertung Karls und einer Banalisierung Ludwigs (bzw. Aloigi). Wilhelm wird so zu einer Art neuem Roland (Orlando), der sich sogar einer göttlichen Investitur rühmen kann und der als Erzieher und Tutor von Ludwig (Aloigi) über sämtliche Qualitäten eines vorbildlichen Herrschers verfügt. Sein Verhältnis zu seinem Zögling bleibt allerdings durch den ganzen Text (auch in den auf dem Charroi und der Prise basierenden 262 Besprechungen - Comptes rendus 1 Zum «Alten» bei Marco Polo cf. auch P. Wunderli, «Marco Polo und der Ferne Osten. Zwischen ‹Wahrheit› und ‹Dichtung›», in. id., Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1993: 124-96, bes. 182-83. 2 Nur der Korrektheit halber zu p. 130 N28: Der Herausgeber des Aquilon heißt nicht Wuderli, sondern Wunderli. 3 Cf. hierzu auch Wunderli in G. Holtus/ P. Wunderli, Franco-italien et épopée franco-italienne, Heidelberg 2005 (GRLMA 3/ 1-2/ 10): 119s. 4 In der Liberata fehlt die Figur des «Alten», ebenso auch bei Ariost. Teilen) immer ein schwieriges und gespanntes. Auffällig ist weiterhin die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen Kriegern, Bauern und Kaufleuten sich grundlegend verändert hat: War es in den Epen durch derart unterschiedliche Weltsichten geprägt, dass diese oft zur Kommunikationslosigkeit führten, gibt es bei Andrea keine Kommunikationsprobleme: Die «Bürger» stehen im Zentrum, sie sind die Mittler zwischen den Schichten, die Unterschiede sind weitgehend nivelliert. Die geschilderten Veränderungen sind nun allerdings keineswegs typisch für Andrea da Barberino; sie finden sich zum größten Teil bereits im Aquilon de Bavière und ansatzweise auch in vorangehenden franko-italienischen Texten. Dies gilt für die Aufwertung Wilhelms (bzw. Rolands), die Abwertung Karls, die Banalisierung der übrigen Protagonisten, die Verlagerung der Gottesunmittelbarkeit von Karl auf Wilhelm bzw. Roland, die Nivellierung der Schichtengrenzen usw. bis hin zu Details wie das Exil von Belisante und die Geburt Ludwigs in Ungarn.Andrea da Barberino setzt hier nur die franko-italienische Entwicklung fort, die im Aquilon kulminiert 5 . Giovanni Palumbo, «La Rotta di Roncisvalle tra XIV e XV secolo. Ancora a proposito della Spagna in rima» (173-207), resümiert einleitend den Forschungsstand betreffend die Rotta di Roncisvalle bzw. die Spagna (in rima). Prinzipiell ist zwischen einer Lang- und einer Kurzversion zu unterscheiden, wobei die Langversion 40, die Kurzversion 34 Canti umfassen würde; daneben gibt es auch noch eine Mischversion, die den beiden Grundtypen in unterschiedlichem Maße folgt. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Basisversionen würden den Zweikampf Orlando-Ferraù (4 gegen 2 Canti) und die Niederlage bei Roncisvalle (12 gegen 8 Canti) betreffen. Diese Überlieferungslage wird nun in der Forschung sehr unterschiedlich interpretiert, wobei sich v. a. die Auffassungen von Pio Rajna (im wesentlichen gefolgt von seinem Schüler Michele Catalano) und Carlo Dionisotti gegenüberstehen. Für Rajna ist die Langversion (Spagna maggiore) die ursprüngliche; sie wäre in der 2. Hälfte des Trecento (in der Toskana) entstanden. Um die Jahrhundertwende wären dann zwei unabhängige Gedichte aufgetaucht, die den Kampf von Orlando und Ferraù und die Niederlage bei Roncisvalle zum Gegenstand hatten. Diese neuen Texte hätte ein Bearbeiter dann in die Langversion der Spagna integriert und die ursprüngliche Darstellung der Ereignisse durch sie ersetzt, was dann die Spagna minore ergab. Ganz anders sieht Carlo Dionisotti die Dinge. Für ihn ist die Spagna minore die ursprüngliche Version; sie wäre dem Anfang des Quattrocento zuzuweisen. Diese Version wäre dann in der 2. Hälfte des 15. Jh. in der Toskana ausgiebigst bearbeitet worden, was zu Spagna maggiore führte. Diese Auffassung wäre dann in der Folge (ab 1959) mehr oder weniger unangefochten geblieben. Nach Palumbo ist die Lösung von Dionisotti nicht nur die einfachere, sie ist in ihren Schlussfolgerungen auch eindeutiger und klarer. Allerdings wären auf dem Wege dorthin zahlreich Fragen offen, viele Probleme ungelöst geblieben. Er will deshalb die Debatte wieder eröffnen und dabei die Niederlage bei Roncisvalle ins Zentrum seiner Analyse stellen. Seine Überlegungen haben drei Schwerpunkte: 1. Die Beziehung zwischen den beiden Versionen der Ereignisse von Roncisvalle; 2. die Beziehung der beiden Versionen der Episode zum weiteren Kotext; 3. die Erklärung des Vorhandenseins von zwei Versionen. Gleichzeitig sollen die Resultate und Methoden von Rajna und Dionisotti kritisch beleuchtet werden. Sowohl für Rajna wie für Dionisotti steht die Interdependenz der beiden Versionen nicht zur Debatte, sie wird jedoch nirgends bewiesen. Zur Verifikation dieser Annahme verlangt 263 Besprechungen - Comptes rendus 5 Cf. P. Wunderli (ed.): Raffaele da Verona, Aquilon de Bavière. Roman franco-italien en prose (1379-1407), 3 vol., Tübingen 1982-2007, v. a. vol. 3: 1s.; cf. auch Wunderli in Holtus/ Wunderli 2005: 92s. Palumbo 1. eindeutige lexikalische Entsprechungen und 2. erzählerische Innovationen in den beiden Versionen, die sich im Rest der Rolandstradition nicht nachweisen lassen. Er analysiert exemplarisch die erste Auseinandersetzung zwischen Roland und Olivier in der Rotta und stellt fest, dass keine dieser beiden Bedingungen erfüllt ist: Die beiden haben grundverschiedene Strukturen und auch sonst wenig Gemeinsamkeiten. Eine direkte Abhängigkeit ist wenig wahrscheinlich, während eine gemeinsame Vorlage nicht ausgeschlossen werden kann. Was die Frage nach der ursprünglich(er)en Version angeht, stellt Palumbo fest, dass sich in der Langversion die Rotta nahtlos und ohne Brüche in den weiteren Kotext einfügt, während es bei der Kurzversion Inkongruenzen und Brüche gibt. Stilistisch ist die Kurzversion der Rotta episch und archaisch, die Langversion dagegen romanhaft und «moderner». Die beiden Ergebnisse scheinen sich zu widersprechen. Um diese unbefriedigende Lage zu klären, unternimmt Verf. dann eine vergleichende Untersuchung der Rotta maggiore und der Rotta minore. Was die Kohärenz mit dem Kotext angeht, so ist sie bei der Rotta maggiore gegeben, bei der Rotta minore dagegen nicht. Stilistisch werden die Anfänge und Enden der Canti mit denjenigen des weiteren Kotextes verglichen. Diese harmonieren bei der Rotta maggiore weitgehend, bei der Rotta minore gibt es erhebliche Unterschiede. Hinsichtliche des Lexikons und der formelhaften Sprache ist das Ergebnis dasselbe. Was die Reime angeht, so entsprechen sie in der Rotta maggiore durchgängig den italienisch-toskanischen Regeln, während sich in der Rotta minore zahlreiche norditalienische (u. a. bolognesische) Reime finden. Diese Ergebnisse werden dann nochmals anhand des den Kampf zwischen Roland und Ferraù beschreibenden Textes verifiziert; das Resultat ist im wesentlichen das Gleiche wie für die Rotta. Palumbo schließt daraus, dass die beiden Textsegmente wohl gleichzeitig und vom gleichen Bearbeiter in die Spagna eingebracht worden sein müssen. Daraus schließt Palumbo: «Composta in Toscana, la Spagna originaria contava 40 canti ed era un macro-testo a campitura unitaria e a vocazione ciclica. Quando il poema si è diffuso in area settentrionale, un rimaneggiatore ha creduto opportuno rimpiazzare la versione originale di due episodi particolarmente celebri - il combattimento di Rolando e Ferraù . . .; la rotta di Roncisvalle . . . - con due versioni alternative che circolavano nel suo luogo al suo tempo . . . e che dovevano essere perciò meglio allineate all’orizzonte d’attesa e alle conoscenze del suo pubblico, senz’altro più sensibile allo svolgimento di alcuni episodi chiave che alla tenuta narrativa dell’insieme.» (204). Dazu kommt dann noch die Annahme, dass die beiden eingefügten Fragmente wohl älter seien als die Spagna in 40 Gesängen. Amélie Hanus, «La Rotta di Roncisvalle dans la Spagna Magliabechiana. Les sources et la structure du récit» (209-27), bereitet eine kritische Ausgabe der (gereimten) Spagna Magliabechiana vor (Ms. II i 57 der Biblioteca nazionale di Firenze) und liefert hier erste Resultate ihrer Arbeit. Basis ihrer Analyse ist die Rotta di Roncisvalle (f. 288r-388v), die sie im Hinblick auf die Quellen des Autors, die Art und Weise, wie er diese nutzt und die charakteristischen Stilmerkmale untersucht. Der terminus ante quem für die Handschrift ist nach dem Explicit der 1. Mai 1472; es handelt sich dabei vermutlich um eine vom Autor selbst angefertigte Kopie eines zwischen 1453 und 1456 entstandenen Textes. Als Quellen kommen die Spagna in prosa, die Spagna maggiore und die Spagna minore (beide in ottava rima) infrage. Die von Hanus durchgeführte Analyse des Textendes ergibt, dass die Spagna maggiore als Hauptquelle gedient hat; sie fungiert als rezeptiver Text, in den Elemente aus andern Quellen eingebettet werden. So ist der Tod Rolands aus der Spagna in prosa übernommen, während die wunderbare Auferstehung Baldovinos, die Intervention der drei Heiligen Giorgio, Dionigi und Mercuriale zugunsten der definitiven Niederlage der Sarazenen und der Versuch, dem schlafenden Roland das Schwert zu stehlen aus der Spagna minore stammen. Der Einfluss der Spagna maggiore ist sowohl inhalt- 264 Besprechungen - Comptes rendus lich als auch formal fast schon erdrückend und geht so weit, dass gewisse Verse vollkommen identisch übernommen werden. Die Frage, welche Vorlage(n) der Verf. benutzt hat, muss nach Hanus offen bleiben; auf jeden Fall ist M. Catalanos Hypothese, es handle sich um ein Mischmanuskript, nicht tragfähig. Was die Behandlung der Quellen angeht, so kann man feststellen, dass der Autor den Prosatext über weite Strecken einfach nur in Verse umgießt (so schon Catalano), aber er lässt es keineswegs immer dabei bewenden: Oft erweitert er seine Vorlage und fügt neue, signifkante Details ein. Zu den Einfügungen zählen auch viele neue Dialoge sowie Umsetzungen von indirekter in direkte Rede, was dem Text eine beachtliche Lebendigkeit und Dramatik verleiht. Neben diesen formalen Veränderungen finden sich auch erzähltechnische Eingriffe wie die Rückkehr Rolands in sein Zelt, um sich dort überraschen zu lassen, die gekonnte Verschränkung verschiedener Handlungsstränge sowie die Pflege der komischen Effekte. Hanus bezweifelt abschließend, ob man den Autor mit Catalano einfach als cattivo rifacitore bezeichnen könne. Seine Originalität wird in Zukunft noch weiter untersucht werden müssen. Paola Moreno, «L’‹altro› Pulci. Il Ciriffo Calvaneo e la collaborazione poetica» (229-46). Der Ciriffo Calvaneo ist ein Werk von komplexer Struktur und heterogener Autorschaft; die Chronologie der einzelnen Komponenten bleibt auch nach dem hier vorgelegten Versuch weitgehend im Dunkeln. Von Luca Pulci in Angriff genommen, scheint der Ciriffo von Luigi Pulci fortgeführt und schließlich nach dessen Tod (auf Wunsch von Lorenzo de Medici) von Bernardo Giambullari vollendet worden zu sein. Daneben gibt es noch einen zweiten (anonymen) «Abschlussversuch», die «29 Oktaven», sowie eine Fortsetzung in Prosa, das Libro del Povero Avveduto, das inhaltlich weitgehend der Fortführung von Giambullari entspricht. Das Werk scheint von Luca begonnen und dann von Luigi fortgesetzt worden zu sein; Luca dürfte auch der «Erfinder» der Figur des Ciriffo sein. Dieser, zu Beginn die Hauptperson, tritt aber nach dem zweiten Gesang gegenüber dem Povero Avveduto, den er eigentlich doppelt, in den Hintergrund. Wo der Wechsel genau stattfindet und ob er mit dem (nicht bewiesenen) Übergang von Luca zu Luigi zusammenfällt, bleibt aber ungeklärt. Ungeklärt bleibt auch die Frage, ob die «29 Oktaven», die sich in 2 Inkunabeln und in 4 Drucken des Cinquecento finden, Luigi oder einem unbekannten Autor zuzuschreiben sind; sicher ist nur, dass sich in ihnen zahlreiche Anleihen beim Morgante finden. Gibt es eine «auto-plagiatorische» Relation zwischen dem Morgante und dem Ciriffo? Aber wenn ja, in welcher Richtung? Oder evtl. mit wechselnder Richtung? Und wie steht es um die Chronologie der beiden Texte, u. U. einzelner ihrer Teile? Und um die Verwirrung noch zu steigern: Ähnliche Bezugserscheinungen finden sich auch zwischen dem Ciriffo und der Endführung von Giambullari sowie dieser und dem Povero Avveduto. Aber auch hier bleibt die Frage nach der Chronologie offen; relativ sicher ist höchstens, dass die beiden eine gemeinsame Quelle haben. Moreno führt uns hier vor, welche Probleme dieser komplexe Text bzw. dieses verwirrende Textgefüge und seine «kollektive» Autorschaft aufwirft - gelöst ist aber keines. Cristina Montagnani, «‹Ogni cavalier ch’è sanza amore . . .› Presenze epiche nell’Innamoramento de Orlando» (247-63), vergleicht in einem unausgewogenen, reichlich konfusen Beitrag die Spagna ferrarese (die sie selbst zusammen mit V. Gritti herausgegeben hat, cf. 250 N10) mit Boiardos Innamoramento. Unausgewogen ist der Beitrag, weil die Hälfte eine Art Einleitung darstellt, in der die Schwierigkeiten mit Boiardos Quellen diskutiert werden und die Überlegenheit der Spagna ferrarese gegenüber den andern Handschriften der Spagna (in rima) begründet wird; überdies wird eine (inzwischen doch wohl eher überflüssige) Attacke gegen Catalanos Versuch, in Lachmannianischer Manier einen «Urtext» zu rekon- 265 Besprechungen - Comptes rendus struieren, geritten. Erst in der Mitte des Beitrags kommt es dann zu einem (oft nur schwer nachvollziehbaren und v.a. schwer lesbaren) Vergleich der beiden Texte. Für Montagnani steht fest: «. . . il primo libro dell’Innamoramento (soprattutto i primi dieci canti, più il duello fra Orlando e Agricane) è profondamente connesso alla Spagna, ben al di là degli esempi che ho fatto qui: interi episodi, di rilevante valenza diegetica non esisterebbero senza le Storie di Spagna (e i riferimenti testuali più precisi ci portano sempre alla Spagna ferrarese)». Und weiter: «Cos’è, quindi, la Spagna per Boiardo? Un’enciclopedia cavalleresca di pronto impiego, un repertorio di luoghi narrativi, una sorta di traccia sottesa al côté epico del suo racconto? Certo, tutto questo, ma anche un archetipo con cui confrontarsi, un punto di partenza per lanciare il filo dei suoi cavalieri . . .». Marco Praloran, «Alcune ipotesi sulla presenza dei romanzi arturiani nell’Orlando Furioso» (265-90), untersucht in einem interssanten, bestens informierten, leider aber wenig strukturierten Beitrag die Beziehungen von Ariosts Furioso zu den französischen Prosaromanen. Natürlich spielt auch die (volkstümliche) Ritterliteratur bis hin zum Morgante eine wichtig Rolle, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Komponente v. a. durch Boiardo und das Innamoramento vermittelt wurde. Anders liegen die Dinge beim Artusstoff. Nicht nur sind seine Anteile bei Ariost erheblich größer als bei Boiardo, die arturischen Themen sind geradezu konstitutiv für den Furioso. Als Quellen kommen v. a. der Tristan en prose, der Lancelot en prose sowie der Zyklus des Guiron le courtois infrage. Die Anleihen, Übernahmen usw. basieren v. a. auf einem narrativen Illusionismus, der die objektive Temporalität überwindet und somit eine Abkehr vom Aristotelismus darstellt: die Zeit des Romans hat virtuellen Charakter und mündet in eine polyphone Konstruktion. Bei Boiardo hebt das entrelacement die Linearität der Zeit auf, um Emotionen, Spannung und Überraschung zu schaffen. Bei Ariost dient die Aufhebung der zeitlichen Linearität in erster Linie der Sinngebung und Sinnfindung, wobei sie allerdings vorgängig zuerst einmal Chaos generiert. Im Tristan en prose (und den andern Romanen) wird das Geschehen um die Haupthelden in zeitlicher Abfolge erzählt, Nebenhelden erscheinen dagegen nur episodisch dort, wo sie in Beziehung zu den Haupthelden treten. Verlassen sie die Handlung, verlassen sie auch Raum-Zeit der Erzählung, obwohl natürlich ihre Zeit weiterläuft. Treten sie wieder in die Handlung ein, wird diese «verlorene» Zeit dann nach-erzählt. Dieses Konstruktionsschema findet sich auch im Furioso, aber nicht mehr ab dem 12. Gesang. Von hier an haben wir eine andere Technik, die die Handlung in eine andere Handlung einmünden lässt, die aber (vorerst) blockiert bleibt. Ein anderes Problem ist die Polyphonie. Verf. untersucht hierfür den Tristan en prose und den Guiron le courtois im Hinblick auf die Technik des ricomminciamento, das sich z. T. auch bei Boiardo und auch am Anfang des Furioso findet. Die Handlung tendiert zur Zirkularität bzw. versucht, die Welt so zu bewahren, wie sie ist, indem Abweichungen in Gegenwelten ausgelagert werden; die Artuswelt ist die Kraft, die das Ganze zusammenhält. Dieses Verfahren ist am ausgeprägtesten im Roman de Guiron, dem zweiten Teil des Guiron- Zyklus, dem Praloran besondere Modellbedeutung für den Furioso zuspricht. In dieser Welt gibt es keine herausragenden Fixpunkte, sie ist eine Art homogene Zone, eine opera-mondo; dazu passt, dass es in dieser Welt auch keine Entwicklung der Personen gibt. Dementsprechend erweist sich die narrative Struktur des Furioso als «immens»; die Handlung kehrt nie zu ihrem Ausgangspunkt zurück; die entrelacements destabilisieren die Temporalität und verunmöglichen jede Stabilität. Ein wichtiges Merkmal des Furioso ist auch das Ethos der Personen. In den Artusromanen und im Innamoramento sind die bedeutenden Ritter immer per se gut, und böse Ritter sind nie große Helden. Bei Ariost dagegen können große Helden durchaus böse sein oder böse werden: Die Helden sind durch die Ereignisse bzw. ihr Umfeld geprägt, und diese 266 Besprechungen - Comptes rendus Abhängigkeit führt zu einer sukzessiven Verdüsterung des Ritterbildes. Das Ritterbild im Furioso ist somit nicht arturischer, sondern vielmehr epischer Natur. Verf. liefert eine Fülle von interessanten Beobachtungen zu den im Furioso verarbeiteten Stoffen und zu den Ursprüngen seiner Erzählstruktur. Ein homogenes Gesamtbild ergibt sich dabei allerdings noch lange nicht, und vieles bleibt hypothetisch oder ungeklärt. Claudio Gigante, «Epica e romanzo in Trissino» (291-320). Trissinos Italia liberata dai Goti ist das, was man als ein «kläglich gescheitertes Meisterwerk» bezeichnen könnte, und dies, obwohl z. B. Voltaire seinen Verfasser als Neubegründer der (modernen) Epik feiert. In der Tat strebt Trissino einen radikalen Bruch mit der Tradition an und fordert eine dezidierte Rückkehr zu Aristoteles; unter Verzicht auf den Reim und das Merveilleux versucht er Homer zu imitieren - allerdings ohne dessen Talent. Sein Epos soll politisch gelesen werden und ist nicht nur Karl V. gewidmet, es verherrlicht diesen auch im Rahmen einer ghibellinischen Ideologie. Theoretisch strebt Trissino nach einer absoluten Einheit der Handlung, kann dann aber in der Praxis doch nicht auf romanhafte Einschübe verzichten. Nach Tassos Urteil entsteht so eine unità mista, in der das «Gute» (Epische) die Handlung vorantreibt, das «Böse» (Romanhafte) ihren Fortschritt dagegen aufhält. Hauptquelle wäre Prokopios von Caesarea, von dessen Bericht allerdings nur die ersten fünf Jahre des Gotenkonflikts verarbeitet werden; z. T. ist Trissinos Text nicht mehr als eine in Verse gegossene Übersetzung seiner Vorlage. Emilio Russo, «Tasso e i ‹romanzi›» (321-44), betont, dass Tasso sich den Regeln der Aristotelischen Poetik verpflichtet fühlt, die immer und überall Gültigkeit hätten; seine Vorbilder sind Vergil und Homer, und im Anschluss an sie ist für ihn das Epos ein «piccolo mondo», der so festgefügt sein muss, dass man aus ihm nichts entfernen kann, ohne dass das Ganze zusammenbricht. Gerade in diesem Punkt ist Ariosts Furioso angreifbar, denn er ist maßlos und enthält viel Überflüssiges. Tasso erweist sich in dieser Hinsicht auch als außerordentlich selbstkritisch, wie Russo an der ständigen Überarbeitung der Liberata von den ersten Entwürfen bis zur «Vulgata» und schließlich der Conquistata nachweist. Tasso versucht nicht, sein Epos auf das kriegerische Element zu reduzieren, aber die lyrischen und romanhaften Anteile werden im Laufe der Zeit erheblich eingeschränkt und reduziert und mit der kriegerischen Komponente zu einer harmonischen Polyphonie verdichtet. Die eigene Textarbeit erweist sich als Suche nach einem Gleichgewicht, was sich auch anhand der tiefgreifenden Veränderungen nachweisen lässt, denen Tasso seine Quellen wie z. B. den Amadigi di Grecia unterzieht. Cesare Segre, «Conclusioni» (345-51), resümiert in geraffter Form die Kolloquiumsbeiträge, setzt hier und dort einen persönlichen Akzent, ohne aber wesentlich Neues beizufügen. Folgendes scheint mir allerdings eines Kommentars zu bedürfen: 1. Es ist ärgerlich, wenn Segre immer noch von Franco-Veneto, letteratura franco-veneta usw. spricht. Es müsste sich doch inzwischen herumgesprochen haben, dass wir es mit einer koinè supra-communale zu tun haben, in die Elemente des ganzen oberitalienischen Sprachraums (inklusive Friaul) bis hin zur Toskana eingeflossen sind; Segre spricht übrigens in der Folge selbst von einer Koinè! Ebenso überholt ist die anscheinend nicht auszurottende Mär von den Autoren und Kopisten, die des Französischen nicht hinreichend mächtig waren, um einen ordentlichen Text abzuliefern 6 . 2. Zu den Beiträgen von Palumbo und Hanus merkt Segre an, sowohl Rajna/ Catalano als auch Dionisotti (und damit auch Palumbo) lägen wohl falsch, wenn sie Spagna maggio- 267 Besprechungen - Comptes rendus 6 Cf. zu beiden Punkten G. Holtus/ P. Wunderli, Franco-italien et épopée franco-italienne, Heidelberg 2005 (GRLMA III/ 10/ 1-2, passim, und P. Wunderli, Das Franko-Italienische. Eine literarische Mischsprache und ihre Charakteristika, Paderborn 2006, passim. re und Spagna minore (in unterschiedlicher Richtung) auseinander ableiten wollten. Vielmehr gelte es, nach «interpositi» zu suchen. Aber wo denn? Wie denn? Was denn? Das scheint mir eine Art Widerspruch aus dem hohlen Bauch zu sein. 3. Zu den Beiträgen von Gigante und Russo bemerkt Segre, sowohl bei Trissino als auch bei Tasso liege ein radikaler Bruch mit der bis zu Ariost führenden (essentiell mittelalterlichen) Tradition vor. Dem läßt sich schwerlich widersprechen. Hinzuzufügen ist nur, dass wir hier einen weiteren Beleg dafür haben, dass die «Renaissance» des 12. Jh.s organisch-integrativen, diejenige des 15. (und 16.) Jh.s dagegen unorganisch-reaktionären Charakter hat. Peter Wunderli ★ Chloé Lelong, L’œuvre de Nicolas de Vérone. Intertextualité et création dans la littérature épique franco-italienne du XIV e siècle, Paris (Champion) 2011, 672 p. (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 105) La littérature franco-italienne a eu une histoire brève - on peut dire qu’elle se limite au XIV e siècle -, mais intense. Dans les cours de l’Italie du Nord, la chanson de geste en langue d’oïl a eu une belle fortune, et certains auteurs, dont la plupart demeure anonyme, ont réécrit les chefs-d’œuvre de l’ancienne littérature épique - et dans quelques cas ils ont créé des œuvres originales - en utilisant un idiome hybride, «probablement jamais parlé, exclusivement littéraire» (14): le franco-italien. Le choix en faveur de cette curieuse langue est dû probablement au désir de s’adresser à un public plus large, de rejoindre également des personnes qui n’étaient pas en mesure de bien comprendre la langue d’oïl dans laquelle les ouvrages originaux étaient écrits: les auteurs de l’Italie du Nord «ont italianisé le français», et ont construit ainsi «un outil de diffusion de la culture épique française pour un public tout à la fois noble et populaire» (63). Le chef-d’œuvre de cette période littéraire est, sans aucun doute, l’Entrée d’Espagne, une chanson de geste originale très longue (environ 16000 vers) écrite par un poète de Padoue qui n’a pas voulu dire son nom: «Je que sui mis a dir del neveu Carleman / mon nom vos non dirai, mai sui Patavian» (v. 10973-74). Si la littérature franco-italienne est donc surtout anonyme, un nom toutefois se détache: celui de Nicolas de Vérone. Nous ne savons presque rien de la vie de cet auteur, sinon qu’il a vécu pendant la deuxième moitié du XIV e siècle; mais nous savons, en revanche, qu’il a écrit au moins trois œuvres qui sont arrivées jusqu’à nous: une chanson de geste «classique», la Pharsale, qui parle de la guerre entre César et Pompée; une Prise de Pampelune (que l’on connaît également sous le titre Continuazione dell’Entrée d’Espagne) dans laquelle l’auteur «raconte certains épisodes de la libération du chemin de Saint-Jacques de Compostelle par Charlemagne et les siens» (25) dans le sillage du grand poème du Padouan; et enfin une Passion, dans laquelle Nicolas, en suivant la tradition des récits tirés de l’Évangile, décrit les derniers jours de la vie du Christ. En accord avec un usage répandu au Moyen Âge, Nicolas ne revendique aucune originalité, tout au contraire il cite fréquemment dans ses œuvres ses sources d’inspiration, qu’elle soient historiques ou inventées, auxquelles il reste lié, dit-il, d’une façon fidèle: Li Fet des Romains pour la Pharsale, l’Entrée d’Espagne pour la Prise de Pampelune, l’Évangile pour la Passion. À travers un examen approfondi des œuvres de Nicolas de Vérone, C. Lelong cherche l’originalité du poète «par rapport aux sources dont il s’inspire» (68), et par rapport aux chansons de geste de l’époque classique. Après une «Introduction générale» (9-58), le volume se compose de trois parties: «Un idéal épique et héroïque» (61-216), «Un idéal humaniste» (219-410), «Un idéal stoïcien» (413-591); la «Conclusion générale» (595-603) est 268 Besprechungen - Comptes rendus