Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniMichèle Guéret-Laferté/Claudine Poulouin (ed.), Accès aux textes médiévaux de la fin du Moyen Âge au XVIIe siècle. Actes de colloque, Paris (Champion) 2012, 550 p. (Colloques, congrès et conférences sur le Moyen Âge 12)
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2013
Egbert Kaiser
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Michèle Guéret-Laferté/ Claudine Poulouin (ed.), Accès aux textes médiévaux de la fin du Moyen Âge au XVII e siècle. Actes de colloque, Paris (Champion) 2012, 550 p. (Colloques, congrès et conférences sur le Moyen Âge 12) Thema der vorliegenden Publikation ist das Weiterleben der mittelalterlichen französischsprachigen Literatur in seinen verschiedenen Formen, vom Ende des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Dazu heißt es genauer im Einleitungskapitel: Notre recueil met au premier plan l’accès aux textes médiévaux dans une perspective qui s’intéresse aux modalités de transmission 1 d’un siècle à l’autre. Quels textes, quels auteurs se trouvent privilégiés, négligés ou ignorés dans cette transmission? . . . [C]omment s’opère le passage du manuscrit à l’imprimé dans la conservation de ces textes? Dans quelle mesure bénéficient-ils d’une nouvelle vie grâce aux travaux d’édition, de traduction, de réécriture? (24) Die Antwort auf diese - in einem weiten Sinn verstanden - philologischen Fragen geben 25 Einzelbeiträge; Actes de Colloque, das sei zusätzlich angemerkt, bedeutet hier nicht «Tagungsakten», sondern, wie es im obigen Zitat auch heißt, «recueil». Die Herausgeberinnen Michèle Guéret-Laferté und Claudine Poulouin haben eine internationale Equipe für ihr Projekt aufgeboten: Neben Beiträgern aus Frankreich, die erwartungsgemäß in der Mehrzahl sind, haben auch Kollegen aus Italien, Kanada und den Vereinigten Staaten mitgewirkt 2 . Redigiert wurde die Publikation an der Université de Rouen bzw. an dem dort angesiedelten Centre d’études et de recherches Éditer/ Interpréter (CEREdI), wo die Herausgeberinnen und eine Reihe weiterer Beiträger arbeiten 3 . Man trifft auf manch bekannte Namen; genannt sei hier nur der im vergangenen Jahr leider verstorbene Jean Dufournet, der die Publikation noch in eine der von ihm betreuten Reihen aufnehmen konnte. Die Gliederung der Actes ist großenteils von der Chronologie bestimmt: In zwei Hauptteilen geht es im wesentlichen um das 16. («Du Moyen Âge à la Renaissance: Ruptures et permanences») bzw. um das 17. und 18. Jahrhundert, die unter dem Titel «Le Moyen Âge de l’Âge classique» zusammengefasst werden. Die Teile zerfallen ihrerseits in Kapitel: Kap. II-A beschäftigt sich mit dem «Moyen Âge des érudits», Kap. II-B mit den «Genres»; der zweite Hauptteil umfasst die Kapitel «Érudition et culture mondaine au XVII e siècle» (III-A) bzw. «Redécouverte et invention du Moyen Âge au XVIII e siècle» (III-B), zu denen sich noch ein «Épilogue» gesellt. Der bisher nicht erwähnte erste Teil nennt sich ebenso knapp wie unkonventionell «Best-Sellers»; er enthält keine Untergliederung. Jedes Kapitel umfasst eine unterschiedliche Anzahl (drei bis acht) von Aufsätzen. Ihre sorgfältig formulierten, «sprechenden» Titel vermitteln einen recht präzisen Überblick über das behandelte Themenspektrum. Wir zitieren sie in gekürzter Form 4 . Der erste Hauptteil wird eröffnet von einer brillanten Studie zur Rezeption der Mémoires von Philippe de Commynes aus der Feder von Jean Dufournet (35-54). Ihr genauer Titel, «Les Mémoires de Commynes, best-seller de l’époque classique», mag ein Formulierungsmuster für den «Obertitel» abgegeben haben. Im zweiten Beitrag von Didier Lechat geht es um die Valerius Maximus-Übersetzungen im 15. und 16. Jahrhundert (55-72), im 344 Besprechungen - Comptes rendus 1 Hervorhebung vom Rez. 2 Cf. die Kurzporträts der Beteiligten, p. 527-32. 3 Genaueres zum CEREdI unter http: / / ceredi.labos.univ-rouen.fr/ main/ . Das Centre ist auch an der Finanzierung des Bandes beteiligt, cf. Rückseite des Titelblatts. 4 Für eine rasche Information sei auf die Internetseiten http: / / www.fabula.org/ actualites/ m-gueretlaferte-et-cl-poulouin-dir-acces-aux-textes-medievaux-de-la-fin-du-moyen-age-au-xviiie_49990.php und http: / / cescm.labo.univ-poitiers.fr/ spip.php? article392 hingewiesen. Dort finden sich auch die vollständigen Titel der Beiträge. dritten um die Überlieferungsgeschichte des vom Epos zum Roman umgearbeiteten Huon de Bordeaux vom Mittelalter bis zur Revolution von 1789 (Francis Gingras, 73-85). Man kann vermuten, dass es der «diachronische» Ansatz der Artikel war, der ihre Unterbringung in einem eigenen Hauptteil sinnvoll erscheinen ließ. Nach einem Überblick über die «Situation des textes littéraires médiévaux au XVI e siècle» (Marian Rothstein, 91-103) im Kapitel A des zweiten Teils beschäftigt sich Nicolas Lombard genauer mit Claude Fauchets Recueil de l’origine de la langue et poesie françoise (105-42). Éléonore Langelier untersucht anschließend Étienne Pasquiers bekannte Recherches de la France (143-54), und Jean-Claude Arnould widmet sich dem bedeutenden Bibliophilen Antoine Du Verdier (155-70). Im Kapitel II-B geht es um den «Erfolgsroman» Pierre de Provence und die französische Übersetzung des Amadís de Gaula - auch dies ein «Bestseller» - bzw. ihre Rezeption in der Renaissance (Pascale Mounier, 173-95 und Sebastián Garcia Barrera, 197-215). Hinzu kommt eine Studie von Magali Jeannin zu dem Pariser Arzt und Alchimisten Jacques Gohory (217-29). Kapitel A des dritten Teils beschäftigt sich mit dem 17. Jahrhundert. Im ersten Aufsatz von Emmanuel Bury geht es um «Quelques aspects du Moyen Âge dans le discours critique du XVII e siècle» (235-49). Ihm folgen Beiträge zu den Vies des Poëtes François von Guillaume Colletet (Emmanuelle Mortgat-Longuet, 251-66), zu dem berühmten Bibelübersetzer [Lemaître de] Sacy (Tony Gheeraert, 267-92) sowie eine musikologisch-philologische Studie von Théodora Psychoyou über den «Statut du texte médiéval dans les écrits sur la musique» (293-331). Die sich anschließende Untersuchung von Alicia Montoya zur Académie des Inscriptions et Belles Lettres und ihrem «Discours savant sur le Moyen Âge» (333-54) weist bereits ins 18. Jahrhundert. Diesem ist dann Kapitel III-B in Gänze gewidmet. Auf einem Überblick von Henri Duranton, «Éditer la littérature médiévale au temps des lumières» (357-71) folgen Beiträge zur Herausgebertätigkeit des Abbé Lenglet Dufresnoy (François Bessire, 373-94), den mittelalterlichen Quellen der Enquête liturgique des Père Lebrun (Xavier Bisaro, 395-406), zum Abbé Prévost (Jean Sgard, 407-17), und zur Bibliothèque bleue de Troyes (Lise Andriès, 419-33). Die beiden folgenden Untersuchungen gelten der Bibliothèque universelle des romans, wobei dann auch auf den überragenden Mittelalterphilologen (ante litteram) des 18. Jahrhunderts, Jean Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye, eingegangen wird (Véronique Sigu, 435-54, und Maria Colombo Timelli, 455-69). Den Abschluss des Kapitels bildet, ähnlich wie bei III-A, eine musiko-philologische Studie zur musique ancienne in drei Opern von Gétry und Dalayrac (Patrick Taïeb, 471-89). Das letzte Kapitel der Actes trägt den Titel «Epilogue» und enthält einen Beitrag von Isabelle de Conihout, Chefkonservatorin der Bibliothèque Mazarine, zu dem Bibliophilen, Sammler und Maler Daniel Dumonstier aus dem 17. Jahrhundert (493-97). Alle Beiträge sind sorgfältig geschrieben und z. T. sehr ausführlich dokumentiert; einzelne enthalten zusätzlich Abbildungen, tabellarische Übersichten oder Anhänge 5 . Eine eigene Erwähnung verdient auch die Bibliographie am Ende des Buchs (499-525) mit ihrer sorgfältigen und z. T. originellen Gliederung 6 . Über die Nützlichkeit des ebenfalls vorhandenen Index Nominum, in den unterschiedslos alle erwähnten Autorennamen aufgenommen wurden, braucht man keine langen Worte zu verlieren. Last but not least: Die typographische Aufmachung des Bandes ist tadellos. 345 Besprechungen - Comptes rendus 5 Cf. etwa den Beitrag von Pierre Mounier (173-95) oder die Beiträge von Théodora Psychoyou (293-331) und François Bessire (373-94). 6 Beispielsweise wurde für die Auflistung der gedruckten Primärquellen das Erscheinungsjahr (1496-1797) als Ordnungskriterium gewählt. Die Actes ermöglichen dem Leser einen hochinteressanten, kaleidoskopartigen Blick in die Welt der «Bücher und Bibliotheken» 7 aus den dreihundert Jahren vor dem 19. Jahrhundert. Es wird deutlich, dass die französische Romantik das Mittelalter keineswegs einer jahrhundertelangen Phase der Vergessenheit entreißen und von Grund auf neu «erfinden» musste. Vielmehr präsentierte sich schon damals dieser Zeitraum als ein objet patiemment construit, de la fin du XV e à la fin du XVIII e siècle, au croisement de l’enquête érudite sur les origines de la monarchie et les débuts de la langue française, de l’intérêt mondain pour la vie et les mœurs des chevaliers et de la curiosité pour une époque tantôt représentée comme un âge ténébreux et barbare, tantôt associée à la nostalgie d’un «bon vieux temps» (4. Umschlagseite). Eine bis heute immer wieder noch anzutreffende literar- und kulturhistorische Lehrmeinung ist also gehörig zu revidieren. Wie schon angedeutet wurde, ist das professionelle Niveau der gesamten Publikation durchgängig hoch. Man kann sich gut vorstellen, dass Kenner sie als willkommene Information über den state of the art ihres Arbeitsgebiets nutzen werden. Nicht-Spezialisten müssen bei der - bereichernden - Lektüre einige Hürden nehmen, wobei ihnen die ausgezeichnete Einleitung der Herausgeberinnen (7-31) den Weg weisen kann. Natürlich gibt es auch bei einer gelungenen Arbeit hier und da Anlass zur Kritik. Auffällig sind z. B. einige terminologische Unklarheiten (warum wird eigentlich der terminus a quo im Titel als «fin du Moyen Âge» bezeichnet? ) und Ungereimtheiten (weshalb werden das 17. und das 18. Jahrhundert als «âge classique» (Table des matières, 548) zusammengefasst? ), auch hätte man sich über eine Erklärung zur ungleichen Zahl der Beiträge zu den einzelnen Jahrhunderten gefreut (hat die Tatsache, dass das 17. Jahrhundert am schwächsten vertreten ist, nur «technischorganisatorische» Gründe? ). Aufzählungen dieser Art ließen sich zwar fortsetzen, würden aber am positiven Gesamteindruck nichts ändern. Trotz der unübersehbaren Fülle von Untersuchungen gerade zum Zeitraum des 16. bis 18. Jahrhunderts gibt es dort immer noch wenig beachtete Forschungsfelder - von nicht geringen Dimensionen -, die genauer zu erkunden es sich lohnt. Dies eindrucksvoll vor Augen zu führen, ist nicht das geringste Verdienst der Publikation von Michèle Guéret-Laferté und Claudine Poulouin. Egbert Kaiser ★ Jean Lemaire de Belges, Lettres missives et épîtres dédicatoires. Édition critique par Anne Schoysman, Bruxelles (Académie Royale de Belgique) 2012, 310 p. (Anciens auteurs belges 17) Jean Lemaire de Belges, der 1473 in Bavay im Hennegau 1 geboren wird und nach 1518 in Paris stirbt, ist ein bekannter Humanist der Frührenaissance. Er ist einerseits Dichter, bekleidet andererseits aber auch wichtige Ämter im Dienst verschiedener Fürsten. In die Dichtkunst wird er durch seinen Onkel Jean Molinet eingewiesen, der Bibliothekar des Herzogs von Burgund ist. Er beginnt als Lyriker im Stil der «grands rhétoriqueurs». Sein Name ist vor allem verbunden mit dem seinerzeit viel gelesenen, in drei Büchern erschie- 346 Besprechungen - Comptes rendus 7 Cf. den klassischen Titel von Richard Mummendey, Von Büchern und Bibliotheken, 1. Aufl. Bonn 1950, 5. Aufl. Darmstadt 1987. 1 Oder, nach anderen Quellen, in Hargnies oder in Belges, ebenfalls im Hennegau.