eJournals Vox Romanica 73/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2014
731 Kristol De Stefani

Albrecht Greule/Rolf Max Kully/Wulf Müller/Thomas Zotz (ed.), Die Regio Basiliensis von der Antike zum Mittelalter – Land am Rheinknie im Spiegel der Namen/La région de Bâle et les rives du Rhin de l’Antiquité au Moyen Âge. Aspects toponymiques et historiques, unter Mitarbeit von Nina Baderschneider, Stuttgart (Kohlhammer) 2013, 184 p. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 195)

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2014
Roger  Schöntag
vox7310275
Besprechungen - Comptes rendus 275 Albrecht Greule/ Rolf Max Kully/ Wulf Müller/ Thomas Zotz (ed.), Die Regio Basiliensis von der Antike zum Mittelalter - Land am Rheinknie im Spiegel der Namen/ La région de Bâle et les rives du Rhin de l’Antiquité au Moyen Âge. Aspects toponymiques et historiques, unter Mitarbeit von Nina Baderschneider, Stuttgart (Kohlhammer) 2013, 184 p. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 195) Der Sammelband zur Ortsnamenforschung der Regio Basiliensis, dem «Land am Rheinknie», präsentiert das Ergebnis der verdienstvollen Unternehmung, die Geschichte der Orts-, Flur- und Gewässernamen am Schnittpunkt dreier Länder und verschiedener historischer Regionen bzw. Herrschaftsgebiete akribisch aufzuarbeiten. Die hier beschriebene Landschaft mit dem heutigen Zentrum Basel ist seit alters her nicht nur Grenzregion im politischen Sinne, sondern auch Grenz- und Übergangsraum zwischen Germania und Romania, sodass in Bezug auf eine sprachliche Analyse der Topononyme eine komplexe Situation von Sprachen (Französisch, Frankoprovenzalisch, Deutsch) und Varietäten (Alemannisch in unterschiedlicher Ausprägung, verschiedene dialectes und parlers locaux des Französischen und Frankoprovenzalischen) zu berücksichtigen ist sowie die Tatsache, dass wir es gerade in dieser Region verstärkt mit Phänomenen von Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt zu tun haben. Für die Frühzeit sind zudem vorrömische und keltische Einflüsse miteinzubeziehen sowie das Lateinische, welches nicht nur zur Zeit des Imperium Romanum hier am Limes um den Hauptort Augusta Raurica (Augst) von Bedeutung war, sondern bis über das Mittelalter hinaus als Schriftsprache - in diesem Zusammenhang insbesondere in Urkunden. Der aktuellen Forschungslage zur Toponomastik in der angesprochenen, grob umrissenen Region im heutigen Dreiländereck wird durch den einleitenden Beitrag von Rolf Max Kully «Die Regio Basilienis als Untersuchungsgebiet» und den resümierenden Überblick von Albrecht Greule «Gab es eine Baselromania? Rückblick und Ausblick» ein sinnvoller Rahmen für die weiteren 15 kurzen, aber gründlich recherchierten Artikel gesetzt. In seinem Eröffnungsbeitrag erläutert Kully die Herkunft des Begriffes Regio Basiliensis, der auf einen 1963 gegründeten schweizerischen Verein zur Förderung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung dieses Raumes zurückgeht. Die Verwendung des Vereinsnamens als geographischer Begriff, um die Region zwischen Jura, Schwarzwald und Vogesen zu umreißen, birgt zwar das Problem der unscharfen Grenzziehung, da die auf diese Weise grob abgesteckte Landschaft historisch-politisch sowie sprachlich nie eine Einheit bildete, sondern eben eine Grenzregion, aber genau in dieser komplexen Struktur von Gemeinsamkeiten und Unterschieden liegen auch das Interesse und die Herausforderung zur präzisen Aufschlüsselung. Der zweite Artikel des Sammelbandes (Albrecht Greule, «Die ältesten Gewässernamen der Regio Basiliensis») beschäftigt sich mit der Hydronomie. Anschaulich werden die verschiedenen Schichten der Namensgebung aufgeschlüsselt und der Versuch unternommen, eine Stratigraphie der Gewässernamen zu erstellen, wobei als Ergebnis vor allem die große Zahl der keltischen Benennungen auffällt. Die älteste Schicht besteht aus Namen, die sich auf ein indogermanisches Etymon zurückführen lassen, ohne weitere sichere Zuordnung zu einer bestimmten Einzelsprache, wie sich aus dem Beispiel des Rheins ergibt (9), dem urindogerm. *Reinos zugrundegelegt werden kann, mit der Grundbedeutung ‘wallender, wirbelnder (Fluss)’, was zu germanisch *Reinaz (ahd. R ī n) führen würde, parallel zu keltischlateinisch R ē nos und schließlich das bei Catull und Caesar belegte Rhenum erklärt. Weitere herauspräparierte Sprachschichten der Hydronomie dieser Region sind die keltische (z. B. Birs zu kelt. *Bers ā ‘die schnell Fließende’ zu kelt. *bers- ‘schnell’(12)), die lateinische (z. B. Fielenbach zu lat./ rom. *vial ī na ‘Straßenbächlein’ (16)), die germanisch-althochdeutsche (z. B. Doller zu german. *dwula . *dula-, ahd. tol ‘toll, reißend’, hier ‘Wildbach’ (17)) und Besprechungen - Comptes rendus 276 die alemannische (z. B. Raus zu mhd. runs ‘Wasserlauf’ . alem. Raus (18)). Die letzte von Greule aufgeführte Kategorie, nämlich Übertragungen erfasst zwei unterschiedliche Phänomene, nämlich zum einen eine metonymische Verschiebung bei Larg - der Flurname einer Furt (zu lat. larga ‘breit’) wird auf die angrenzende Siedlung und den Fluss übertragen (18) - und zum anderen eine volksetymologische Reinterpretation bei Neumagen - kelt./ lat. Noviomagus ‘Neufeld’ wird als ahd. Niumaga ‘neuer Magen’ umgedeutet (19). Hier wäre es schön gewesen, wenn die entsprechenden sprachlichen Prozesse auch so benannt worden wären. In seinem Beitrag zur Herkunft des Toponyms Basel («Der Stadtname Basel») zeigt Rolf Max Kully auf, wie sich mit Hilfe einer sorgfältig zusammengestellten Belegliste von schriftlichen Quellen von der Antike bis ins hohe Mittelalter sowie einer präzisen Darlegung der lautgesetzlichen Entwicklungsoptionen noch Feinheiten in der Herleitung des bekannten Ortsnamens aus lat. Basilia (wohl aus *villa Basilia ‘Landgut des Basilis’) ergeben können. Da bei einer direkten Entlehnung des lateinischen Namens ins Althochdeutsche lautgesetzlich eine Entwicklung zu *Besel (Hebung des / a/ durch folgendes / i/ zu / e/ ) zu erwarten wäre (21), postuliert Kully eine frühromanische Zwischenstufe als Grundlage, was sprachextern auf eine Siedlungskontinuität der romanischen Bevölkerung verweist, sodass für ihn dann daraus zwei lautgeschichtliche Erklärungsmodelle erwachsen: 1 vlat. Basilía/ Basília . spätlat. Básila . frühroman. Básela . ahd. Basel; 2. vlat. Basilía/ Basília . spätlat. Básila . frühroman. Básela . roman. *Basl . ahd. Basal . mhd. Basel (23). Eine wichtige Erkenntnis dabei, die über den engen Kreis der Ortsnamenforschung hinausgeht, ist sicherlich die Tatsache, dass man dadurch von einer romanischsprachigen Bevölkerung in diesem Raum bis ins frühe Mittelalter ausgehen kann. In seinem «Versuch der Konjunktion archäologischer und sprachlicher Relikte mit Bezug zur Spätantike im Raum Basel - zwei Beispiele» bringt Markus Gasser, soweit möglich, neue archäologische Erkenntnisse und sprachliche Belegreihen zur Namenshistorie zur Deckung. Die beiden exemplarischen Fälle, denen er auf den Grund geht, sind dabei zum einen die Bezeichnung An den Schwellen am Münsterberg in Basel, wo ehemals eine Wall- Graben-Anlage (murus gallicus) der keltischen Rauriker bestand, sodass man einen Beleg wie domus in dem agtot an den Swellen von 1291 dahingehend interpretieren kann, dass zu jener Zeit der antike Befestigungsgraben noch erkennbar war und das Wort agtot (lat. aquaeductus) nicht notwendigerweise auf eine Wasserleitung verweisen muss, sondern eben auch auf einen Graben im Stadtbild abheben kann, den man als ‘Entwässerungsgraben’ bzw. wüester Graben ansah (29-30). Zum anderen werden einige Toponyme nördlich der Stadt unter die Lupe genommen, u.a. die Bezeichnung Iiserni Hand, die mitnichten auf eine ritterliche Präsenz verweist, sondern auf eine Eiserne Hand, die an einem Querbalken angebracht als Wegweiser oder Grenzmarkierung fungierte (36-40). Andres Kristol greift in seinem Artikel «La ‹Romania bâloise›: la toponymie soleuroise permet-elle d’en savoir davantage? » einige Problemfälle des Solothurner Namenbuchs (SONB) auf und verweist auf die Verschiebung der Sprachgrenze zwischen dem Französischen und dem Frankoprovenzalischen: «à une époque prélittéraire difficile à saisir, l’actuelle Franche-Comté ... faisait également partie de l’espace linguistique proto-francoprovençal, avant de passer par une réorientation de ses parlers vers les dialectes oïliques de la Bourgogne et de la Champagne.» (41-42) Anhand von einigen präzisen Einzelanalysen (z. B. Dremmleten, Roggenstein, Sabel, Lüssel, Freisnecht) lässt sich der Schluss ziehen, dass die Romanität des Basler Raums im 8./ 9. Jh. wohl eine eindeutig frankoprovenzalische war, mit lautlichen Entwicklungen, die auch auf Norditalien und den okzitanischen Raum verweisen, aber auch mit Eigenheiten, die sie mit dem couloir romanique teilt (52), der von der Suisse romande über die Moselromania bis in die Wallonie reicht. Erkenntnisse dieser Art zeigen exemplarisch, wie wichtig die Ortsnamenforschung zur Rekonstruktion früherer sprachlicher Verhältnisse ist und welcher Beitrag zur allgemeinen Sprachgeschichte aus der Besprechungen - Comptes rendus 277 1 Kully spricht zunächst von 56 Namen (55), listet dann jedoch 57 in der Urkunde belegte Namen auf (56-57). exakten etymologischen Aufarbeitung eines vielleicht als randständig angesehen Toponyms erwachsen kann. Eine sehr strukturierte Einzelbetrachtung legt Rolf Max Kully in seinem Aufsatz «Die Ortsnamenbeschreibung einer Beinwiler Papsturkunde von 1194» vor, in dem er eine für die Toponomastik wichtige Urkunde (zahlreiche Erstbelege) des Klosters Beinwil hinsichtlich ihrer Orts- und Flurnamen 1 nach graphematisch-phonologischen und morphologischen Gesichtspunkten untersucht sowie nach deren außersprachlicher Referenz fragt, die nicht immer eindeutig ist (z. B. die Verortung von Kiffis - wohl zu lat. c ū pa ‘Kufe, Tonne, Fass’ im Sinne der Lage in einer Talsenke; cf. dazu auch das frz. Exonym Tieuvesse) (65-66). Beispielhaft für die Schwierigkeiten bei der Analyse sei auf die hier dargestellten Probleme des wohl italophonen Kardinaldiakons Aegidius, des Schreibers der Urkunde im Lateran, verwiesen, der die deutsche bzw. alemannische Lautung nicht immer eindeutig zu verschriften vermochte, z. B. -ufür [y] (Muhlhein), -ofür [ø] (Morfbach), -k- oder -cfür [x] (Rinake, Rectidinberch), -gstatt -ngfür [ ŋ ] (Zinwigen) oder -thfür [d] (Luoperthurf) (58-59). Ein anschauliches Beispiel für die eingangs angesprochene Mehrsprachigkeit der Region zeigen Claudia Jeker Froidevaux, Rolf Max Kully und Wulf Müller in ihrem Beitrag «Roggenburg, ein Dorf an der Sprachscheide» auf. Die Toponyme des hier untersuchten Gebietes im westlichen Teil des Kantons Baselland, mit wechselvoller Herrschaftsgeschichte und sowohl romanischer als auch germanophoner Bevölkerung, wurden in den dafür herangezogenen Urbaren des Klosters Lützel (11 verschiedene zwischen 1597 und 1834) aus juristischen Gründen in der Regel in der jeweiligen Originalsprache beibehalten, nicht selten gab es aber auch Übersetzungen von Flur- und sogar Personennamen, was auf eine gute Kenntnis beider Sprachen (bzw. auch der Varietäten) der jeweiligen Notare schließen lässt. Dabei sind schon in den frühen Verzeichnissen des 16. Jh. sehr gewissenhafte Übersetzungen festzustellen, wie z. B. Au pray de la Fontenatte für in den Matten deß Brünlins (mit Beachtung des Diminuitivs), aber auch freiere Adaptionen, wie Petite Combe (‘kleines Tälchen’) für Chlini Gumpe (‘kleines Wasserloch’) sowie nur partielle Übertragungen (z. B. au Champ sur la Grab für im Acker ob dem Graben) (76-78). Neben dem Umgang mit den Ortsnamen im Zuge einer Übersetzung (cf. den Versuch einer Typologie (79-80)) eröffnet sich durch diese Analyse ein vielsagender Blick auf die Einstellung der Administration des Fürstbischofs von Basel, zu dessen Herrschaftsgebiet dieses Gebiet lange Zeit gehörte (1271/ 78-92), und zwar dahingehend, dass einerseits die beiden Sprachen von der Verwaltung ohne erkennbares Vorurteil wechselseitig verwendet wurden und andererseits die Einwohner auf den einzelnen Gehöften offenbar ihre je angestammte Sprache frei benutzen konnten. Darüber hinaus zeigt sich in vorliegendem Artikel, wie unabdingbar eine Autopsie im Rahmen einer toponomastischen Analyse ist, insofern von den beiden postulierten Etyma für Roggenburg, nämlich vorlat. *rocca ‘Fels’ oder Rocco/ Roggo als althochdeutscher Personenname (73), ersteres tendenziell auszuschließen ist, da im Landschaftsbild der Gegend kein Fels auftritt und somit die Plausibilität für die andere Erklärung deutlich erhöht wird - natürlich ohne, dass eine absolute Beweisbarkeit gegeben wäre. In den beiden folgenden Beiträgen von Wulf Müller zur «L’utilité du nom de Grandval (Jura bernois) pour les historiens» und zu «Une nouvelle étymologie de Bassecourt (canton du Jura/ Suisse)» werden zwei Ortsnamen des Schweizer Juragebirges bezüglich ihrer sprachlichen Herkunft und historischen Verwendung neu justiert. Der Name Grandval war wohl schon immer eine Ortsbezeichnung und kein ursprünglicher Flurname, da anzunehmen ist, dass es bereits seit dem 5./ 6. Jh. eine Siedlung aufgrund von Eisenerzvorkommen gab, in der Besprechungen - Comptes rendus 278 2 Wie auch von den Autoren angesprochen (100, 101 N31) ist die Funktionsaufteilung bei einigen Wörtern mit imparisyllabischer Deklination durchaus gängig. Cf. dazu auch die bekannten Beispiele des Altfranzösischen bei H. Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik. 2.Teil: Formenlehre und Syntax, München 2 1976: 13-14, 36-38. 3 Sehr hilfreich ist hierbei die von Chambon/ Müller geleistete, klare Aufschlüsselung der einzelnen bisher in der Literatur aufgestellten Hypothesen und Argumentationswege sowie der möglichen Folgerungen in Bezug auf die Siedlungsgeschichte (113-16). um 640 n.Chr. ein Kloster gleichen Namens gegründet wurde (belegt z. B. als monasterium Grandemvallem). Der Doppelname Moutier-Grandval erscheint erstmals 1305 als Mostier Granval und referiert im Folgenden auf die Verlegung des Hauptsitz des Klosters aus seinem Gründungsort Grandval nach Moutier (im 12. Jh. z. B. als aput Monasterium belegt) (85-89). Ausgehend von den ersten Belegen des Ortsnamens Bassecourt, nämlich Baressicort (1158/ 60), Barascicurte (1179), Baressecort (1181, 1239), rekonstruiert Müller als Etymon *Bariscacurte bzw. *Baroniscacurte mit den morphologischen Einzelkomponenten german. barim Sinne eines Anthroponyms Baro oder präferentiell im Sinne des Appellativs baro ‘freier Mann, Krieger’ sowie dem germanischen Suffix -isk . roman. -isca . -esca, welches häufig zur Bildung von Toponymen mit Personennamen verwendet wird, und dem frequenten lateinischen curtis ‘Hof’, welches sich zu frz. court entwickelt, sodass die ursprüngliche Gesamtbedeutung als ‘Gehöft des Baro’ interpretiert werden kann (93-94). An dieser Stelle sei das Vorgehen, welches sich hinter der unscheinbaren Anmerkung «vérifié sur original» (91) verbirgt, positiv hervorgehoben, nämlich die Verifizierung der Schreibweise eines Ortsnamens am Originalmanuskript, denn eine fehlerhafte oder auch nur zweifelhafte Übertragung in einer Edition könnte ganze Ketten von lautgesetzlichen Schlüssen obsolet machen. In zwei unterschiedlichen Gebieten sind die beiden von Jean-Pierre Chambon und Wulf Müller untersuchten Toponyme in den anschließenden Beiträgen «Lebetain (Territoire de Belfort): un nouveau déhydronyme en ā ne» und «Le nom de lieu déhydronymique Lutran (Haut-Rhin): un indice du francoprovençal submergé dans le Sundgau alsacien» verortet. Die erste Untersuchung befasst sich mit der Etymologie von Lebetain (dt. Liebethal), welches bisher verschiedene, wenig befriedigende Herleitungen erfahren hatte. Die Autoren bringen diesen Ortsnamen (frühe Belege z. B. 1150 als Libeten, 1302 als Liebetan, 1329 als Labetan, 1330 als Labetain) (97-98) nun erstmals mit dem Hydronym La Batte in Verbindung, die Bezeichnung für einem Bach, der durch die betreffende Gemeinde fließt, wodurch folgende graphisch-phonologische Prozesse postulierbar werden: Ausgangspunkt könnte die indoeuropäische Wurzel *l ī bim Sinne von ‘fließen, ausgießen, befeuchten’ sein, das eigentliche Etymon des Flussnamens ein lat./ roman. *L ī bbitta (Obl. *L ī bbitt ā ne) mit der weiteren Entwicklung zu *Libete . *Labatte . La Batte (mit Deglutination des Artikels), während sich der Ortsname aus dem gleichen Etymon, aber aus der Obliquusform ableitet 2 , d.h. *L ī bbitt ā ne . Libeten/ Liebetan/ Labetan/ Labetain mit dem Suffix ā ne . -ain und einer Variation in der Anfangssilbe, die nicht ohne weiteres erklärbar scheint (z. B. Lievtl. als Reanalyse des Artikel li; Lieevtl. durch den Einfluss des dt. Exonyms) (100-03). Die zweite Betrachtung der beiden Autoren widmet sich der Erschließung des französischen Ortsnamens Lutran, welcher sich ebenfalls von einem Hydronym ableiten lässt (frz. Luttre, dt. Lutter), mit der Referenz auf einen kleinen Fluss bei eben diesem Dorf. Wieder ist von einer semantischen und formalen Aufsplittung eines imparisyllabischen Etymons auszugehen, was einerseits zu dem Gewässernamen geführt hat (Endung -a . -e) und andererseits die Siedlung bezeichnete (Endung ā ne . -an) (110-11). Die Tatsache, dass das Suffix nicht ein französisch lautgesetzliches -ain zeitigt, kann als Beweis dafür angesehen werden, dass hier ursprünglich frankoprovenzalisches Sprachgebiet anzunehmen ist, welches erst später (womöglich aber schon im 11. Jh.) «oïlisiert» wurde (dialecte comtois) 3 . Besprechungen - Comptes rendus 279 4 Die Bedeutung von kelt. *Belakos wird an dieser Stelle (132) leider nicht gegeben, jedoch im folgenden Aufsatz von Haubrichs mit ‘der (Schnee-)Glänzende’ aufgelöst (145). 5 Nicht ganz unproblematisch erscheint an dieser Stelle (137) auch die Trennung von «Kelten» und «Galliern». Martina Winner stellt in ihrem Beitrag «Überlegungen zu den ältesten Ortsnamen im badischen Teil der Regio Basiliensis» ihr Dissertationsprojekt zu den Siedlungsnamenschichten im badischen Rheinknie vor. Hierbei gewährt sie einen Einblick in ihre Erstbelegsrecherche zu den ältesten Erwähnungen der Ortsnamen der Landkreise Müllheim, Lörrach und Säckingen (vor 1200) und gibt exemplarisch für Bad Säckingen einen geplanten Ortsartikel wieder, der aus einer Reihe von Urkundenbelegen besteht (z. B. 929 cum Secchingensem, 1246 de Seconis, 1252 de Sechchingen), einer Bedeutungsparaphrase (‘bei den Leuten des Seccho/ Saccho’), einem Belegkommentar sowie einer Erklärungen mit weiterführenden und klassifikatorischen Details (z. B. Klasse der -ingen Ableitungen) (124-25). Der Beitrag von Wolfgang Kleiber «Zur nichtdeutschen Toponymie im Dreiländereck» bei Basel beschäftigt sich mit den galloromanischen Toponymen und Hydronymen im rechtsrheinischen Kandertal und dem Großen und Kleinen Wiesental (Südschwarzwald), wobei die wesentliche Grundlage die Urbare der Benediktinerpropstei St. Blasien (13.-15. Jh.) sind. Das hierbei vorgestellte, sehr interessante Inventar von Orts-, Berg- und Flussnamen sowie weiteren Flurbezeichnungen mit jeweiligem Belegdatum der entsprechenden Urkunde und etymologischer Herleitung liefert eine wertvolle Aufschlüsselung der Vielschichtigkeit der Namensgebung über die Jahrhunderte (z. B. Bergname Belchen zu gall. Belakos 4 , Ortsname Gurtweil zu lat./ rom. curt- , *cohortinum ‘Hofareal’, Flurname Kintz zu gall. *quentia ‘Tal’, Gewässername Wiese zu idg. *wis- ‘fließen’) (131-37), doch wäre an dieser Stelle jenseits der Konstatierung von keltischem, germanischem, römischem, alemannischem sowie französischem Kulturkontakt eine etwas detailliertere Einbettung in die Besiedlungsgeschichte wünschenswert gewesen 5 . In der Studie «Vorgermanische Toponymie am Oberrhein und im Basler Raum» gibt Wolfgang Haubrichs einen Überblick zu den einzelnen Kontinuitätszonen mit Fokus auf der lautchronologischen Entwicklung. Dabei konstatiert er, dass die vorgermanischen Siedlungsnamen westlich und östlich des Oberrheins tendenziell eher selten überdauert haben, wie sich auch am Hauptort der Region, Straßburg, zeigt (kelt. Argentorate ersetzt durch Strateburgo ‘Festung an der Straße’, 6. Jh.) (145). Nur bei manchem römischen Legionslager (castrum), der zugehörigen Zivilsiedlung (canabae) oder einer sonstigen, evtl. auch bereits existierenden Ansiedlung (vicus) kann eine Kontinuität in der Bezeichnung festgestellt werden (z. B. Saletione . Selz, Brisiaco . Breisach). Östlich des Rheins, im Schwarzwald, sind im Prinzip nur kleine Flüsse auszumachen, die noch vorgermanische Namen tragen (z. B. kelt. *Altia . Elz) (143-44). Ganz anders hingegen erweist sich die Situation in der Baselromania, wo ähnlich wie im Raum Trier, Metz oder Salzburg eine Kontinuitätszone rund um ein wichtiges Zentrum (hier: Basel und Kaiseraugst) auszumachen ist, in der Gewässernamen (z. B. idg. *Arganti ā . Ergenze, *Seranti ā . Serencia . Sierenz) und Ortsnamen (z. B. kelt. Magod ū num . Murum Magidunensem . Magden, Cambete . Chambiz . Kembs) seit vorgermanischer Zeit tradiert wurden (145). Über die Rekonstruktion der einzelnen Toponyme und Hydronyme hinaus sind in dieser Untersuchung vor allem die angeführten Indizien für die Besiedlunggeschichte wichtig, so man am Verhalten der Ortsnamen in Bezug auf den althochdeutschen Lautwandel - keine Verschiebung [t] . [s], z. B. *Alt ā nacu . Altenach, aber Verschiebung [k] . [x] und [p] . [pf], z. B. *Turnacu . Turnache; *Piperâtum . Pfifferaten - den langsamen Sprachwechsel in den romanischen Sprachinseln am Rheinknie bei Basel datieren kann (6./ 7. Jh.) (146). Besprechungen - Comptes rendus 280 6 Der Aufsatz stellt einen Auszug aus der Präsentation einer Gedenkschrift an den Geehrten da (149, N1). 7 Cf. dazu auch den wichtigen methodischen Hinweis im Vorwort eines aktuellen Sammelbandes zur Frühgeschichte Bayerns, in dem rezente Ergebnisse aus Namenskunde, Sprachgeschichte, Historiographie und Archäologie präsentiert werden: «Nur in einem aktiven interdisziplinären Gespräch, das auch methodische Aspekte einschließt, ist es möglich, einerseits das Potential, andererseits aber auch die Fallstricke des interdisziplinären Ansatzes zu erkennen.» (H. Fehr/ I. Heitmeier, «Ein Vierteljahrhundert später ...», in: H. Fehr/ I. Heitmeier (ed.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, St. Ottilien 2014: 15). 8 Zu einem Plädoyer für die Einbeziehung der Archäologie in toponomastischen Analysen, aber auch bezüglich der Gefahr von Kurzschlüssen beim Vergleich der Ergebnisse der verschiedenen Disziplinen cf. in anderem Zusammenhang R. Schöntag, «Zur Begriffsgeschichte von ‹Portugal› im Rahmen neuerer archäologischer Befunde», in: Romanistik in Geschichte und Gegenwart 20/ 4 (2014): 187-210. Der folgende Aufsatz des Sammelbands «Gleich - ähnlich - anders. Namenkundliche Denkanstöße aus Lutz Reichardts Werk» von Rolf Max Kully führt einige Überlegungen des verstorbenen «Altmeister[s] der Württembergischen Ortsnamenkunde» (149) fort und ist sowohl als Hommage an die Person als auch an das Werk des großen Forschers zu verstehen 6 . Anhand von drei Paaren gleich bzw. ähnlich lautender Ortsnamen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich (Derendingen D/ CH, Heiningen D/ Huningue F, Berken D/ CH) werden exemplarisch verschiedene Möglichkeiten der parallelen oder divergierenden Entwicklung aufgezeigt. Im letzten Beitrag vor dem Schlußresümee verweist Hubert Fehr in seinen «Bemerkungen zur These einer frühmittelalterlichen Baselromania aus archäologischer Sicht» auf ein paar entscheidende und grundlegende Aspekte zur Verschränkung von Ortsnamenkunde bzw. sprachwissenschaftlicher Analyse und zugehörigem archäologischem Befund sowie dessen adäquater Einordnung. Um ein kohärentes Bild von der früheren Besiedlungsgeschichte einer Region zeichnen zu können, ist neben der toponomastischen Analyse ergänzend und stützend zugleich das Ergebnis der archäologischen Auswertung von Belang. Doch bereits hier kann durch die Annahme zweifelhafter Prämissen eine Kette weiterer Beweise zu schiefen Schlüssen führen 7 . Für die Spätantike und das Frühmittelalter ist im untersuchten Gebiet in erster Linie die Frage nach der räumlichen wie zeitlichen Distribution der romanischen und germanischen Bevölkerung virulent. Das bisher in der Archäologie hauptsächlich zugrundeliegende Interpretationsmodell ordnet die Artefakte der Gräberfunde (Fibeln, Waffen etc.) nach dem Prinzip zu, dass eine aufwendige Grabausstattung auf Germanen schließen lässt, spärliche Beigaben hingen auf Romanen verweisen, was letztendlich zu einer Siedlungsanalyse führt, bei der sich der Rhein als ethnische, kulturelle und sprachliche Grenze herauskristallisiert. Dass dem aber höchstwahrscheinlich nicht so gewesen ist, sondern zu berücksichtigen wäre, «dass das Aufkommen neuer Bestattungsformen bzw. das Auftreten ursprünglich andernorts beheimateter Schmuckformen in den Gräbern nicht auf Migration, sondern auf kulturelle Einflüsse, sich ausbreitenden Moden bzw. schlichtweg auf Handel zurückgeführt werden kann» (175), ist eine äußerst wichtige Überlegung, auf die Fehr hier verweist 8 . Zudem ist die oftmals betriebene direkte Ableitung von kulturell zuordenbaren Grabbeigaben auf die Sprache der dort Bestatteten ebenfalls problematisch. Ganz generell konstatiert Fehr hier richtig, dass die Annahme des 19. Jh., «dass Völker in sich homogene, scharf abgegrenzte Einheiten gewesen seien, die sich durch ethnische Identität, eine spezifische (auch materielle) «Kultur» und eben eine gemeinsame Sprache grundsätzlich voneinander unterschieden hätten» (178), überholt ist. Verwiesen sei dabei auch noch Besprechungen - Comptes rendus 281 auf die hier nur indirekt angesprochene Mehrsprachigkeit von Gesellschaften, die prinzipiell, auch in früheren Zeiten, eher den Normalfall darstellte und eben nicht die Einsprachigkeit. Die zusammenfassende Fragestellung des Schlussbeitrags «Gab es eine Baselromania? » von Albrecht Greule ist - wie könnte es anders sein - kaum pauschal zu beantworten, sondern muss in einen entsprechend der vielseitigen und stichprobenartigen, aber dennoch arbeitsintensiven und akribischen Beiträgen, vorsichtiges und differenziertes Resümee münden, welches hier vom Autor des Beitrages und Mitherausgeber des Bandes selbst wiedergegeben sei: «Unter ’Baselromania’ kann man einen sprachlichen Interferenzraum mit Basel bzw. Augusta Rauracum/ Kaiseraugst als Zentrum und mit aus moderner Sicht gezogenen Außengrenzen verstehen, in dem aus der Spätantike vorgermanische Orts- und Flussnamen ins Frühmittelalter tradiert wurden und an deren Überlieferung in den historischen Quellen teils romanische Lautwandelungen erkennbar sind. Ferner ergibt sich ..., dass sich in der nach dem Eindringen von Germanen im Frühmittelalter vermutlich zur Gänze zweisprachigen Regio Basiliensis allmählich Zonen unterschiedlich stark ausgeprägter Romanität herausbildeten, bis es schließlich zur Entstehung der heutigen deutsch-französischen Sprachgrenze in der Schweiz und im Elsass und damit zu einer ’Romania submersa’ einerseits und einer ’Germania submersa’ andererseits kam.» (183-84) Anschließend an diese zweifellos treffende, inhaltliche Synthese ist im Sinne einer Gesamtbeurteilung des vorliegenden Sammelbands vor allem hervorzuheben, dass es sich hierbei um einen äußerst wertvollen Beitrag zur Ortsnamenforschung handelt mit Aufsätzen, in denen durchgehend mit der gerade in der Toponomastik notwendigen Präzision in der Analyse verfahren wird, indem mit zahlreichen historischen Quellen gearbeitet wird (Belegreihen), möglichst umsichtig verschiedene lautgesetzliche Entwicklungsoptionen in Betracht gezogen werden, die realiter vorliegenden Geländeformationen berücksichtigt werden (Autopsie) und die Ergebnisse in Relation zu archäologischen und historiographischen Erkenntnissen gesetzt werden. Gerade weil dieser Sammelband Einsichten liefert, die über den engen Kreis der Spezialisten der Toponomastik (für eine bestimmte Region) hinaus gehen, nämlich wichtige Belege für die Siedlungsgeschichte der Landschaft im heutigen Dreiländereck am Oberrhein sowie darüberhinaus Hinweise auf die Verschiebung der romanisch-germanischen Sprachgrenze im Laufe der Jahrhunderte gibt, wäre es wünschenswert gewesen, dem Büchlein noch mehr Kartenmaterial beizufügen - klein- und großräumige topographische Karten sowie Sprachkarten - auch im Hinblick auf den spatial turn in der Geschichtswissenschaft, in der der räumlichen Betrachtung von historischen Zusammenhängen wieder mehr Bedeutung zukommen soll. In so manchem Artikel würde es sicher auch die Nachvollziehbarkeit für ein breiteres Fachpublikum erhöhen, wenn Grundthesen und Lautentwicklungen mit den entsprechenden Konsequenzen etwas übersichtlicher zusammengefasst wären. Kompensiert wird dies ein wenig dadurch, dass vorbildlicherweise zu den deutschen Beiträgen ein französisches Resümee geliefert wird und umgekehrt. Abschließend sei als Desiderat zu dieser intensiven, aber sicher noch nicht abgeschlossenen Aufarbeitung der Toponyme der Baselromania und Baselgermania ganz allgemein weitere Untersuchungen dieser Art formuliert, insbesondere aus romanistischer Sicht anknüpfend an die auch in dem ein oder anderen Aufsatz angesprochene Moselromania und Salzburgromania mit ähnlich interessanten Konstellationen. Es bleiben bezüglich der Sprachkontaktzonen im Westen (Baselromania, Moselromania) wie auch im Osten (Salzburgromania) sicherlich noch einige Aufgaben, die einer ähnlich intensiven Aufarbeitung wie in vorliegendem Sammelband harren. Roger Schöntag H Besprechungen - Comptes rendus 282 1 Albert Sechehaye et la syntaxe imaginative. Contribution à l’histoire de la linguistique saussurienne, Genève 1994. 2 Cf. das Zitat aus Redard 1976: 344 («Ferdinand de Saussure et Louis Havet», BSL 71: 313-49) auf p. 52. Anne-Marguerite Frýba-Reber, Philologie et linguistique romanes. Institutionnalisation des disciplines dans les universités suisses (1872-1945), Leuven (Peeters) 2013, xix + 394 p. (Orbis Supplementa 40) Die Studie von Anne-Marguerite Frýba-Reber, die wir hier vorstellen, ist ein aussergewöhnliches Werk. Es leistet mehr, als der nüchterne Titel ankündigt. Die Autorin schreibt nicht nur ein Stück Wissenschaftsgeschichte (die Institutionalisierung der Romanistik in den schweizerischen Universitäten im Zeitraum von ca. 1870 bis 1945); sie bettet die Frühgeschichte der Romanischen Philologie und Linguistik in der Schweiz in die Geschichte der schweizerischen und europäischen Universitäten der Zeit ein. Sie beleuchtet die Stellung der Disziplin im Rahmen des gesamten Lehrangebots und charakterisiert die Besonderheit der schweizerischen Romanistik innerhalb der europäischen Sprachwissenschaft. Gabriel Bergounioux, aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausrichtung besonders berufen, schickt dem Band eine gehaltvolle Préface voraus (xv-xix). Er betont die Sonderstellung der Schweiz, die dank ihrer Mehrsprachigkeit der Sprachenfrage grösste Aufmerksamkeit widmet und auf die anderwärts gängige Gleichung «Sprache = Nation» verzichtet. Er sieht in der Schweiz «le laboratoire d’un nouveau modèle, décentralisé et polyglotte» (xviii). Für Bergounioux wirft die Studie von Anne-Marguerite Frýba-Reber, die die Originalität der schweizerischen Sprachwissenschaft im untersuchten Zeitraum herausarbeitet, zusätzlich «un éclairage inattendu ... sur la linguistique mondiale», und sie eröffnet «une perspective ascendante, du local à l’international, du déroulement chronologique à la cohérence d’une périodisation» (xix). Die Autorin hat sich in zahlreichen Arbeiten mit der Geschichte der Sprachwissenschaft in Frankreich und der Schweiz beschäftigt. Ihre Doktorarbeit war Albert Sechehaye gewidmet 1 . In ihrer neuesten Studie wagt sie nun eine Zusammenschau der vielfältigen Themen, die mit der Rolle der Romanistik in der schweizerischen Universitätsgeschichte im Zeitraum von 1872 bis 1945 verbunden sind. Die Menge der gesammelten Informationen und Zeugnisse zu einem strukturierten und übersichtlichen Ganzen zu verarbeiten, war eine grosse Herausforderung. Anne-Marguerite Frýba-Reber hat die schwierige Aufgabe in überzeugender Weise gelöst. Da als Rahmen der Untersuchung die Institutionalisierung der Romanischen Philologie an den Schweizer Universitäten gewählt wurde, bot sich eine Darstellung an, die jede Universität gesondert behandelt. Entsprechend werden im 4., ausführlichsten Kapitel (101- 328) die Entwicklungen in Zürich, Basel, Bern, Lausanne, Freiburg, Genf und Neuenburg beschrieben. Diesem Hauptstück des Buches gehen drei Kapitel voraus: Kap. 1 «Saussure et les autres» (21-32). Kap. 2 «Un système universitaire en mutation» (33-50). Kap. 3 «Deux déesses jalouses? Philologie et linguistique 2 . Le découpage du savoir au XIX e siècle: enjeux institutionnels et épistémiologiques» (51-99). Die vier Kapitel werden umrahmt von einer Introduction (1-20) und einer Conclusion (329-50). Auf die Bibliographie (351-77) folgen zwei Indices: Index nominum (379-88) und Index rerum (389-94). Es versteht sich von selbst, dass eine Besprechung den Inhalt eines Werkes mit einer derartigen Informationsdichte auch nicht annähernd wiederzugeben vermag. Wir beschränken Besprechungen - Comptes rendus 283 uns deshalb darauf, herauszugreifen, was uns besonders wichtig erscheint, im Bewusstsein, dass ein solches Vorgehen nicht von Subjektivität frei ist. Die Introduction geht von der Ausstellung «Die Schweiz als Pflegerin der Sprachen» aus, die 1942 in der Schweizerischen Landesbibliothek (heute Nationalbibliothek) gezeigt wurde. Diese Veranstaltung, zugleich Standortbestimmung der linguistischen Forschung und politisches Bekenntnis in der Zeit des zweiten Weltkrieges, stellt eine Bilanz der damaligen schweizerischen Sprachforschung dar, die sich weitgehend mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie deckt. Die Ausstellung, an deren Gestaltung nebst anderen namhaften Linguisten (etwa Jud, Hotzenköcherle, Schorta, Fankhauser, Sganzini) vor allem Karl Jaberg massgeblich beteiligt war, stellt zwei privilegierte Bereiche ins Zentrum: die Allgemeine Sprachwissenschaft und die Romanistik, letztere mit den Methoden der Sprachgeographie und der Dialektologie. In seiner Einleitung zum Ausstellungskatalog charakterisiert Jaberg die Eigenart der schweizerischen Sprachwissenschaft als geprägt von der Komplementarität von Allgemeinem und Besonderem. Kleinarbeit und Monumentalwerk, Sachlichkeit und Geist (Fakten und theoretische Gesichtspunkte), Schöpfung eines Einzelnen und Gemeinschaftswerk, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, die sich ausschliessen. Vielmehr entsteht aus ihrer Verbindung ein spezifisch schweizerisches Sprachmodell, «le modèle d’une Suisse, à la fois tournée vers l’identité dans la différence et vers l’unité dans la pluralité», wie es die Autorin formuliert (12). Die vorliegende Studie stellt sich die Aufgabe, die von der Ausstellung thematisierte schweizerische Sprachforschung vor 1945, eingeschränkt auf die romanistische Linguistik und Philologie (unter Ausschluss der literarischen Studien), in ihrer chronologischen Entwicklung und Institutionalisierung in den Universitäten darzustellen. Wie die Ausstellung von 1942 will sie den zahlreichen Trägern dieses Prozesses, von denen viele aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind, ein Gesicht geben. Das 1. Kapitel, vielsagend überschrieben «Saussure et les autres», beklagt die Vernachlässigung der Schweizer Romanistik durch die internationale linguistische Historiographie. Aber auch die Schweizer Linguisten selbst zeigen wenig Interesse für die Leistungen ihrer Vorgänger. Während der bahnbrechende Beitrag Ferdinand de Saussures zur Allgemeinen Linguistik allgemein gebührend gewürdigt wird, sind die Namen zahlreicher Schweizer Linguisten, ausgenommen etwa die von Gilliéron, Salvioni, Wartburg, Jaberg und Jud, weitgehend in Vergessenheit geraten. Weiterhin wird die Autorin nicht müde, immer wieder zu betonen, welch wichtige Rolle im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die École pratique des Hautes Études in Paris (ÉPHÉ) bei der Ausbildung der Schweizer Romanisten gespielt hat (p. 23 und öfters), neben und mit derjenigen der deutschsprachigen Sprachwissenschaft. Das 2. Kapitel, «Un système universitaire en mutation», skizziert die Vorgeschichte der Schweizer Universitäten. Die älteste Universität der Schweiz ist Basel, 1460 gegründet. Es ist die einzige mittelalterliche Universität der Schweiz, mit den vier Fakultäten Theologie, Recht, Medizin und den propädeutischen Artes. Als Treffpunkt der besten humanistischen Gelehrten Europas (Erasmus von Rotterdam! ) erlangte Basel bald internationalen Ruf. In Zürich (1525), Bern (1528), Lausanne (1537) und Genf (1559) entstehen in der Reformationszeit sogenannte Scholae, Hohe Schulen, aus denen später die Universitäten hervorgehen sollten. Im Unterschied zur mittelalterlichen Universität mit einem Lehrangebot, das alle damals wichtigen Wissenszweige umfasste, dienten die Scholae in erster Linie der Ausbildung der künftigen Geistlichen. Das Studium von Latein, Griechisch und Hebräisch stand im Zentrum. Besondere Verhältnisse liegen in Neuenburg und Freiburg vor. Aufgrund seiner politischen Sonderstellung innerhalb der Eidgenossenschaft (gleichzeitig Kanton der Confoederatio Helvetica und preussisches Fürstentum) ging Neuenburg auch im Bildungswesen einen Besprechungen - Comptes rendus 284 eigenen Weg. Die erste Akademie (Première Académie 1838-48), vom Staatsrat vorgeschlagen und vom König von Preussen autorisiert, wurde im Geist der Aufklärung und unter Einfluss des Gedankenguts von Rousseau und Pestalozzi errichtet. Die Lehrinhalte reichten von Philosophie über Mathematik zu Naturgeschichte, Physik, Chemie, Geschichte und Geographie. Prominenter Naturwissenschaftler war Louis Agassiz (1807-73). 1866 entsteht unter veränderten politischen Bedingungen die zweite Akademie. Ganz anders sind die Anfänge der Universität Freiburg. Die Stadt besass seit dem 16. Jahrhundert ein Collegium (Collège Saint-Michel), in der Gegenreformation vom holländischen Jesuiten Petrus Canisius gegründet (36). 1889 wurde die Universität gegründet, mit dem erklärten Profil «catholique, bilingue et international». Im Klima des Kulturkampfes entstand ein säkularisiertes Modell der katholischen Universität, offiziell laizistisch, offiziös katholisch (43). Die Initianten waren der Freiburger Erziehungsdirektor Georges Python und der Bündner Nationalrat Caspar Decurtins, die mit der Gründung der Universität ein Wahlversprechen des Kanonikus Schorderet, Chef der konservativ-ultramontanen Partei, einlösten. Der Absatz 2.4. (40-42) stellt die deutsche Humboldt-Universität (Gründung der Universität Berlin 1810) der mit der napoleonischen Neuordnung entstandenen «Université impériale» in Paris (1806) gegenüber. Während diese, zentralistisch organisiert, in erster Linie die Ausbildung künftiger Staatsdiener zum Ziel hatte, strebte die auf humanistischer Grundlage beruhende Humboldt-Universität akademische Freiheit und institutionelle Autonomie an. Das humboldtsche Modell mit den vier autonomen Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Humanwissenschaften und Medizin wurde in der Folgezeit sukzessive von den meisten Schweizer Universitäten übernommen (Basel 1818, Zürich 1833, Bern 1834, Genf 1873, Lausanne 1890, Neuenburg 1909). Damit verknüpft war die Einführung des Gymnasiums (Paedagogium, Collège), das die Aufgaben übernahm, die vorher die Artes wahrgenommen hatten. Die enge Verbindung von Universität und Gymnasium wird als schweizerisches Charakteristikum angesehen. Ein weiterer Abschnitt (2.6., 44-47) ist den eidgenössischen technischen Hochschulen und der Handelshochschule St. Gallen gewidmet. Nach mehreren gescheiterten Versuchen der Gründung einer gesamtschweizerischen Universität entsteht 1855 die Eidgenössische Polytechnische Hochschule Zürich, später Eidgenössische technische Hochschule (ETHZ), nach dem Vorbild der technischen Hochschule Karlsruhe. Lausanne besass schon 1853 eine (zunächst private) technische Hochschule, nach dem Modell der École centrale des Arts et Manufactures de Paris; 1869 wurde sie als «Faculté technique» der Académie de Lausanne angegliedert, 1890 in die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Lausanne inkorporiert. Erst 1968 wird sie als École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) zur zweiten eidgenössischen technischen Hochschule. Im Jahre 1899 wurde die Handelshochschule St. Gallen (HSG) gegründet. Seit 1995 hat sie Universitätsstatus. Ein letztes Unterkapitel (3., 47-50) ist mit den politischen Flüchtlingen an Schweizer Universitäten befasst. Die kriegerischen Ereignisse in den Nachbarländern brachten im 19. Jahrhundert zahlreiche Intellektuelle und Politiker, Professoren, Studenten und Künstler in das neutrale Land, das ihnen Asyl gewährte. Der deutsche Kanzler Otto von Bismarck protestierte 1889 heftig gegen die schweizerische Asylpraxis, nicht ohne Grund, agierten doch Revolutionäre und Anarchisten verschiedenster Provenienz von hier aus. Bakunin, Lenin, Rosa Luxemburg, Mazzini sind nur einige der berühmten Namen, die in diesem Zusammenhang auftauchen. Für die Universität waren die politischen Flüchtlinge in vielen Fällen ein Gewinn. Professoren wie die Gebrüder Snell (der Jurist Wilhelm Snell war 1834 der erste Rektor der Universität Bern), Francesco de Sanctis (Dozent an der ETH) oder Theodor Mommsen (Universität Zürich) erhöhten den Glanz der Schweizer Hochschulen. Die Besprechungen - Comptes rendus 285 zahlreichen ausländischen Studenten (darunter auch die ersten Frauen, vor allem in der Medizin) trugen zudem wesentlich zur Finanzierung der Universitäten bei. Das 3. Kapitel behandelt das Problem der Abgrenzung von Disziplinen untereinander und das Verhältnis von Benennung und Inhalt einzelner Disziplinen. Im Zusammenhang mit der Romanistik interessiert besonders die Abgrenzung von Philologie und Linguistik. Der bereits oben zitierte, komplizierte Titel («Deux déesses jalouses? Philologie et linguistique. Le découpage du savoir au XIX e siècle: enjeux institutionnels et épistémiologiques») entspricht der Vielfalt der Aspekte, die hier zur Sprache kommen. Die heikle Aufgabe «de débrouiller l’imbroglio définitoire en la matière» (52) wird in drei Schritten angegangen: 1. Institutionelle Verwendung der beiden Begriffe: Bezeichnung einer Fakultät, eines Lehrstuhls, von Lehrveranstaltungen (53-57). 2. Die verschiedenen Verwendungsweisen von «Philologie» und «Linguistik» in der Geschichte der Disziplinen (57-72). 3. Beispiele programmatischer Texte von Schweizer Lehrstuhlinhabern (72-99). Die Ausführungen zu Punkt 1 betonen, dass zwischen der deutschen und der französischen Schweiz terminologische Unterschiede bestehen. Während in der welschen Schweiz die Geisteswissenschaften durchwegs als «Lettres» benannt werden, haben die deutschschweizerischen Universitäten «Philosophische/ philologische/ historische» Fakultäten. Der Terminus «Philologie» wird in der französischen Schweiz, anders als in der Deutschschweiz, kaum auf die Lehre von modernen Sprachen angewendet. Der zweite Abschnitt skizziert die Geschichte der neueren Sprachwissenschaft von Raynouard und Diez bis zu Hugo Schuchardt im Hinblick auf Definition und Verwendung der Begriffe «Philologie» und «Linguistik». Besonders aufschlussreich sind die Beispiele von programmatischen Äusserungen einiger Schweizer Lehrstuhlinhaber zum Thema. Auf die Darstellung der Abhandlung «Über das Verhältnis der Sprachwissenschaft zur Philologie und Naturwissenschaft» (1865) von Ludwig Tobler, Professor für Allgemeine Linguistik und Germanistik in Bern und später in Zürich, folgt die Antrittsrede von Heinrich Morf in Zürich, «Das Studium der Romanischen Philologie» (1890). Die Autorin sieht die Modernität von Morfs Konzept darin, dass er die Erforschung der lebendigen Sprache in den Vordergrund stellt (83). Im Abschnitt über Saussure, «Histoire, philologie et linguistique chez Ferdinand de Saussure» (1891) wird vorwiegend mit Aussagen aus dem Cours de linguistique générale argumentiert. Wie Schuchardt fordert Saussure eine strikte theoretische Scheidung zwischen Linguistik und Philologie, wenn es auch in der praktischen Arbeit Berührungspunkte und Überschneidungen gibt. Es folgen die Berner Rektoratsrede des Altphilologen Hermann Hagen (1895) und ein Aufsatz des Genfer Philosophen Adrien Naville (1901). Das 4., zentrale Kapitel zeichnet die Institutionalisierung der Disziplin Romanische Philologie in den Schweizer Universitäten nach. Die 7 Abschnitte, die diese Entwicklung darstellen, sind nach den Daten der Einrichtung der ersten Lehrstühle zwischen 1872 und 1895 geordnet: 1872 Zürich, Gustav Gröber, 1877 Basel, Jules Cornu, 1879 Bern, Heinrich Morf, 1888 Lausanne, Jean Bonnard, 1889 Freiburg, Eugène Rabiet, 1891 Genf, Ernest Muret, 1895 Neuenburg, Arthur Piaget. Die Autorin hält fest, dass der Aufschwung der Romanischen Philologie (und anderer neusprachlicher Philologien) in der Schweiz parallel zur Einführung des humboltschen Universitätssystems verläuft. Der Prozess brachte vermehrte Kontakte und Austausch zwischen den Schweizer Universitäten mit sich. Am Schluss eines jeden Abschnitts folgen drei tableaux, welche ergänzende Fakten unter drei Gesichtspunkten zusammenstellen: I. Émergence, II. Généalogie, III. Constellation. Unter I. wird das Profil der geisteswissenschaftlichen Fakultäten zum Zeitpunkt des Auftretens der Romanischen Philologie umrissen: Benachbarte Disziplinen, Name der Lehrstuhlinhaber, Bezeichnung der Lehrstühle und Inhalt des Lehrangebots. Tabelle II erstellt eine Chronologie der Lehrstuhlinhaber in Romanischer Philologie von den Anfängen bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Die biographischen Daten (Disser- Besprechungen - Comptes rendus 286 3 In N24 steht allerdings, er habe seine Habilitation 1872 eingereicht. Der Titel fehlt, auch in der Bibliographie. 4 Neben Ulrich waren Jakob Stürzinger und der junge Wilhelm Meyer (später Meyer-Lübke) auf der Liste. Cf. p. 117 N33, wo zwei Zeugnisse zitiert werden, die sich widersprechen, was die Habilitation von Meyer-Lübke betrifft. Wartburg 1913: iv 17 sagt: «Am 9. Mai 1884 habilitierte sich ... Wilhelm Meyer». Dagegen hält Wunderli 1997: 58 fest, dass Meyer-Lübke die Habilitation sozusagen ehrenhalber erhielt, «mit Rücksicht darauf, dass Hr. Dr. Meyer zum Professor vorgeschlagen war». Das Zitat stammt aus einem Fakultätsprotokoll vom 10. März 1884. tation, Habilitation, Bezeichnung des Lehrstuhls) liefern Informationen zu nationaler und internationaler Vernetzung der Schweizer Romanistik. Tabelle III, Constellation, zeigt die Einbettung der Romanischen Philologie in das philologisch-linguistische Umfeld innerhalb der Fakultäten, eine Vertiefung der Darstellung in Tabelle I. Wir zeichnen im Folgenden exemplarisch die Hauptinhalte des ersten, der Universität Zürich gewidmeten Abschnittes nach. Aus den Darstellungen der Geschichte der übrigen sechs Schweizer Universitäten greifen wir nur einzelne wichige Aspekte heraus. Unter dem Titel «Zurich, l’Athènes au bord de la Limmat» stellt das erste Unterkapitel von Kapitel 4 (105-35) die Anfänge der Romanischen Philologie in Zürich dar. Nach einem Abriss der Vorgeschichte (1. «De la fondation de l’Université à la première chaire de philologie romane», 1833-72) beschreibt ein zweiter Teil die eigentliche Geschichte der Romanischen Philologie in Zürich. Sie beginnt mit berühmten Namen, wobei deren Träger jeweils nur kurze Zeit in der Limmatstadt lehrten, um dann einem Ruf an eine prestigeträchtigere Universität in Deutschland zu folgen. Anne-Marguerite Frýba nennt diesen ersten romanistischen Lehrstuhl (1872-83) deshalb treffend «une chaire tremplin». Der erste Inhaber war Gustav Gröber, der sich 1871 in Zürich habilitierte 3 . Er war zunächst Privatdozent, ab 1872 ausserordentlicher Professor. Schon 1873 folgte er einem Ruf nach Breslau. Trotz der kurzen Zeit seines Verbleibens in Zürich legte er mit seinem breit gefächerten und gut besuchten Lehrangebot in romanischen Sprachen und Literaturen den Grundstein für die künftige Romanistik. Noch kürzer war das Gastspiel seines Nachfolgers, Hermann Suchier (1874-75). Ab 1878 lehrte Franz Gustav Settegast vergleichende und historische Grammatik der romanischen Sprachen in Zürich, das er 1883 für ein Ordinariat in Leipzig verliess. Die ersten Schweizer, die in Zürich Romanische Philologie lehrten, waren Jakob Ulrich und Heinrich Breitinger. Ulrich, der in Paris an der ÉPHÉ bei Gaston Paris, Arsène Darmesteter und Michel Bréal studiert hatte, habilitierte sich 1880 in Zürich. Nach dem Weggang von Settegast wurde er 1883 aus der Auswahl von drei Kandidaten, die die Fakultät der Regierung aequo loco vorschlug 4 , auf das Extraordinariat für Romanische Philologie gewählt. 1891 wurde die Stelle zum Ordinariat, das Ulrich bis zu seinem Tod 1906 innehatte. Mehr Textphilologe als Linguist, bot Ulrich jedoch in seiner Lehre ein thematisch breites Panorama; seine wissenschaftliche Leistung wird allerdings als eher bescheiden eingeschätzt. 1876 wird ein neuer, mehr praktisch als wissenschaftlich ausgerichteter Lehrstuhl für moderne Sprachen (Französisch, Italienisch, Englisch) geschaffen. Heinrich Breitinger, der in erster Linie Pädagoge und sprachgewandter Kulturvermittler, nicht eigentlich Sprachwissenschaftler war, hatte ihn bis zu seinem Tod 1889 inne. Mit Heinrich Morf, der 1889 die Nachfolge von Breitinger antritt, beginnt der Aufschwung der Romanistik in Zürich. 1894 trennt er die Romanische von der Englischen Philologe. Wie schon vorher in Bern legt er den Akzent auf die Dialektologie, macht mit den Studenten Sprachaufnahmen im Feld und führt sie in Seminarien in die wissenschaftliche Arbeit ein. Dank Morf wird Zürich in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum dialektologischen Besprechungen - Comptes rendus 287 5 Dieses beschäftigt sich nicht nur mit französischschweizerischen und deutschen Dialekten, wie es p. 124 heisst, sondern auch mit italienischen und rätoromanischen. 6 Als Herausgeber wäre neben Robert von Planta auch Andrea Schorta zu nennen, als Ergänzung zur Literatur über R. v. Planta A. Schorta, «Erinnerungen an Fürstenau», Bündner Jahrbuch 1989: 9-33. Zu Juds Verdienste um das Rätoromanische auch unten p. 289. 7 Der Skandal, der zu Steigers Rücktritt führte, wird diskret übergangen, ebenso wie die Trunksucht Ulrichs und die faschistische Phase Morfs in seinen späteren Lebensjahren. Zur letzteren eine Anmerkung p. 192 (N172). 8 Litteratura dals Rumauntschs e Ladins, Cuira 1979. Die Angabe fehlt bei Frýba. Zentrum der Schweiz. Unter seiner Leitung entstehen 18 Dissertationen und 5 Habilitationen, und das Projekt des Glossaire des patois de la Suisse romande entsteht auf Initiative seines Berner Schülers und späteren Zürcher Romanisten Louis Gauchat. Neben der Dialektologie lehrte Morf auch französische und italienische Literaturgeschichte, Spanisch, Rätoromanisch, Vergleichende Sprachgeschichte und Mittelalterphilologie. In fruchtbarer Zusammenarbeit mit Ludwig Tobler, Gründer des deutschen Seminars 1886, trug Morf wesentlich zur Stärkung von Linguistik und Dialektologie an der Universität Zürich bei (121). 1901 folgte er einem Ruf nach Frankfurt. Auf Morf folgt der Wadtländer Ernest Bovet (Ordentlicher Professor 1901-22), der als Erster in Zürich französische Literatur auf französisch lehrt (daneben italienische Literatur auf deutsch). Er wirkte als Brückenbauer zwischen den schweizerischen Spachgebieten und verliess schliesslich die Universität zugunsten einer politischen Tätigkeit (122). Louis Gauchat (Ordentlicher Professor 1907-31) setzt in Zürich die von seinem Lehrer Morf begründete Tradition romanistischer (v.a. galloromanischer) Dialektologie fort. Wie Morf leitet er seine Schüler zur Feldforschung an (Exkursion ins Pays d’En-Haut 1910, zusammen mit Jakob Jud und dem Ehepaar Wartburg nach Graubünden 1913). Er wirkt mit den Mittelschulen und der Universität Genf (die ihm 1926 den Dr. h.c. verleiht) an der Erarbeitung von Lehrmitteln für den Französischunterricht mit. Zusammen mit dem Germanisten Albert Bachmann betreibt er die Gründung des Phonogrammarchivs an der Universität Zürich 5 . Gauchats Nachfolger wird Jakob Jud (1922-50), 1922 Extraordinarius., 1926 Ordinarius ad personam. Sein nachhaltigstes Vermächtnis ist der Sprachatlas Italiens und der Südschweiz (AIS), den er zusammen mit seinem Berner Kollegen Karl Jaberg in den Jahren 1928-40 publizierte. Ferner bleibt er als erster Herausgeber der Vox Romanica (ab 1936), zusammen mit Arnald Steiger, in Erinnerung. Für das Rätoromanische engagierte er sich in der Diskussion um die Anerkennung der vierten Landessprache, aber auch durch die Unterstützung des Dicziunari rumantsch grischun (ab 1934 präsidierte er dessen Philologische Kommission) und diejenige der Herausgabe des ersten Bandes des Rätischen Namenbuchs 6 . Die Eigenart von Juds Methode besteht in der Verbindung von Dialektologie und Sprachgeschichte, unter Beachtung der kulturellen Dimension. Die Ehrendoktorate der Universitäten Genf (1944) und Gent (1950), Jud und Jaberg zusammen verliehen, zeugen von der Anerkennung, die dem Wirken der beiden Dialektologen im In- und Ausland zuteil wurde. Arnald Steiger (ordentlicher Professor von 1933 bis 1957) war der Erste, der hispanistische und hispano-arabische Studien in der Schweiz einführte. Nach seinem vorzeitigen Rücktritt nahm er eine Professur in Madrid wahr 7 . Am Schluss der Darstellung der Zürcher Romanistik finden die Literaturwissenschafter Theophil Spoerri (1922-56) und Reto R. Bezzola (1938-68) eine kurze Erwähnung. Spoerri bleibt als Mitherausgeber der Zeitschrift Trivium (1942-51, zusammen mit Emil Staiger) in Erinnerung, Bezzola als Autor zahlreicher Publikationen zum französischen Mittelalter und der ersten Literaturgeschichte des Rätoromanischen 8 . Besprechungen - Comptes rendus 288 9 Morf 1879-89, Gauchat 1902-07. 10 Cf. Bibliographie p. 359. 11 Zur Rezension Jabergs des Cours de linguistique générale von Saussure 1916 cf. p. 14 s. Eine differenzierte Würdigung des wissenschaftlichen Profils von Jaberg findet sich auch im Nachruf auf Jaberg von dessen Nachfolger in Bern Siegfried Heinimann (VRom. 17: 1-8). 12 Cf. p. 217, wo von den engen Beziehungen zwischen der ÉPHÉ und der Universität Lausanne die Rede ist. 13 Cf. p. 241. Negativ in Bezug auf den rätoromanischen Charakter der beiden Texte auch C.Tagliavini, Le origini delle lingue neolatine, Bologna 1982: 510. Jede der Schweizer Universitäten hat ihr eigenes Profil, das durch die lokalen historischen und kulturellen Voraussetzungen, aber natürlich auch durch die individuellen Persönlichkeiten, die jeweils Lehre und Forschung prägen, bestimmt ist. So fällt etwa in Basel, dessen humanistische Tradition bis in vorreformatorische Zeit zurückreicht, die grosse Bedeutung von Philosophie, Altertumswissenschaften und Archäologie auf. Friedrich Nietzsche und Jakob Wackernagel gehören mit dem Kunsthistoriker Jakob Burckhardt zu den grossen Namen der Basler Universität (141-46). Unter den Romanisten, die in Basel lehrten, ist Walther von Wartburg (Ordentlicher Professor 1939-58) zweifellos der berühmteste. Indem er die Redaktion des FEW von Leipzig nach Basel verlegte, machte er die Universität zu einem Ausbildungszentrum für galloromanische Lexikographie (163). In Bern prägt nach Morf und Gauchat, die beide vor ihrer Zürcher Zeit dort gelehrt hatten 9 , in erster Linie Karl Jaberg das Bild der universitären Romanistik (196-200). Anne- Marguerite Frýba charakterisiert die eindrückliche Forscherpersönlichkeit Jabergs, mit der sie sich in verschiedenen Publikationen beschäftigt hat 10 , schon in der Einleitung des Buches, im Zusammenhang mit der Berner Ausstellung von 1942 (cf. oben p. 283). In Jabergs linguistischen Arbeiten verbindet sich die stoffgebundene dialektologische Analyse mit dem Interesse an theoretischen Fragestellungen 11 . Der Funke, der Jabergs Leidenschaft für die Dialektologie entzündete, war im Studienjahr 1900/ 01 gesprungen, als der junge Berner an der École Pratique des Hautes Études in Paris bei Jules Gilliéron studierte. Er gehört somit, wie Frýba formuliert, zu jener «phalange dynamique de romanistes suisses issus de l’ÉPHÉ» (197), die das dort Gelernte später in ihrer eigenen Forschung fruchtbar machten. Nebst Jaberg waren dies Jud, Tappolet, Jeanjaquet, Muret und viele andere 12 . Während die Schweizer Romanisten ihre Ausbildung oft im benachbarten Ausland, vor allem im Paris von Gaston Paris, Paul Meyer, Arsène Darmsteter, Michel Bréal, Jules Gilliéron u.a., aber auch in Deutschland vertieften, legten umgekehrt junge Ausländer in der Schweiz den Grundstein zu ihrer akademischen Karriere. Vom «Sprungbrettlehrstuhl» in Zürich war schon die Rede (cf. oben p. 286). Besonders viele und oft später in ihrem Heimatland berühmte ausländische Dozenten verzeichnet die Universität Freiburg. Der junge Joseph Bédier lehrte nur sehr kurz «Langue et littérature françaises» (237-39). Länger (von 1893 bis 1903) wirkte der Belgier Paul Marchot in Freiburg (240-42). Karl Ettmayer, in Mähren geboren und im Südtirol aufgewachsen, lehrte von 1904 bis 1911 in Freiburg. Auffällig viele Freiburger Dozenten stammen aus Italien: Giulio Bertoni (1905-22), Angelo Monteverdi (1922-32), Gianfranco Contini (1938-52), lauter grosse Namen der italienischen Romanistik (243-48). Ein eigener Abschnitt ist der Förderung des Rätoromanischen durch die Universität Freiburg gewidmet: «Un élan pour le rhéto-roman: Paul Marchot (1893-1903) et Joseph Huonder (1902-05)» (240-42). Obschon die Interpretation der Kasseler Glossen und der Wiener Glossen durch Marchot als Zeugnisse für mittelalterliches Rätoromanisch höchst umstritten ist 13 , hat sich der Belgier doch um das Studium des Rätoromanischen in Freiburg verdient Besprechungen - Comptes rendus 289 14 Der Vorname lautet richtig Giusep. Im Titel seiner auf deutsch in Erlangen erschienenen Dissertation (1900., nicht 1897, wie es p. 242 heisst; 1897 ist das Jahr der Promotion) hat Huonder seinen Vornamen germanisiert, genau wie Chasper Pult, dessen Dissertation, Le parler de Sent, 1897 in Lausanne erschienen war, den seinen zu französisch Gaspard abwandelte. Er wird p. 221 und im Personenindex p. 383 fälschlich als Caspar zitiert. 15 1956 wurde ein Lektorat für Rätoromanische Sprache und Literatur eingerichtet, das 1969 in eine Titularprofessur umgewandelt wurde. Von Anfang an bis 1988 hielt es Alexi Decurtins, langjähriger Chefredator des Dicziunari rumantsch grischun, inne. 16 Vellemann, der in Wien geboren ist, wird meist als Österreicher bezeichnet. So hier p. 290 und Lexicon Istoric Retic s.v. Alexi Decurtins spricht jedoch in einem Artikel in der Tageszeitung La Quotidiana (08.09.2004) von einem Belgier, in Wien geboren und aufgewachsen, was vom Schweizer Lexikon s.v. bestätigt wird. 17 Kostbar die Information, dass genau die gleichen Ideen schon 1880 Moritz Lazarus, der von 1860 bis 1866 in Bern einen Lehrstuhl für Philosophie innehatte, vertreten hatte. Renaud hatte Kenntnis davon, erwähnte jedoch seinen Vorgänger nicht, was diesen zur noblen Äusserung veranlasste: «Er (Lazarus spricht von sich in der 3. Person) freute sich, dass Renan Propaganda nicht für seinen Namen, sondern für seine Gedanken machte» (cf. p. 330 N2). gemacht, vor allem durch die Förderung seines Schülers Giusep Huonder 14 . Huonder, der nach seiner Promotion in Freiburg in Würzburg, Halle und Wien (bei Meyer-Lübke) weiterstudierte, trat 1902 die Nachfolge Marchots an, starb aber schon 1905 im Alter von 36 Jahren. Es sollte ein halbes Jahrhundert dauern, bis Freiburg die Lehre des Rätoromanischen wieder aufnahm 15 . Auch in Genf, dessen Universität als erste einen Lehrstuhl für Rätoromanisch errichtete, war der erste (und einzige) Inhaber ein Ausländer, der sprachgewandte Anton Vellemann 16 . Als erster Rektor des Lyceum Alpinum in Zuoz (1904-17) hatte er seine Romanischkenntnisse in zwei Publikationen fruchtbar gemacht, der Grammatica teorica, practica ed istorica della lingua d’Engiadin’Ota (2 vol., Zürich 1915, 1924) und dem Dicziunari scurznieu da la lingua ladina ... (Samaden 1929). Seit 1917 lehrte er in Genf als Privatdozent, von 1932 bis 1948 als Extraordinarius. Spricht man von Rätoromanisch an Schweizer Universitäten, darf auch der Beitrag von Jakob Jud nicht übergangen werden. Auf seine Anregung hin und unter seiner Leitung entstanden in Zürich zahlreiche Doktorarbeiten, die immer noch Pflichtlektüre und Rüstzeug aller Rätoromanisten sind (cf. oben p. 287). In der ausführlichen Conclusion (329-50) fasst die Autorin die wichtigsten Ergebnisse ihrer Untersuchungen in fünf Punkten zusammen. Der erste betrifft das Verhältnis «Sprache - Nation» aus Schweizer Sicht. Die Schweiz als Willensnation, in der die Mehrsprachigkeit ein konstitutives Merkmal ist, setzt die weitverbreitete Gleichung «Sprache = Nation» ausser Kraft. So hatte es der Religionshistoriker Ernest Renan in seiner berühmten Rede «Qu’est-ce qu’une nation? », gehalten an der Sorbonne am 11. März 1882, ausgeführt 17 . Ähnliche Überlegungen finden sich schon bei den Schweizern Cyprien Ayer und Ludwig Tobler. Unter Punkt 2 wird nach dem Profil der Schweizer Romanisten und/ oder Linguisten gefragt. Drei Aspekte stehen im Vordergrund: «leur caractère polyvalent et européen» - «leur sens inné de la diversité et de la variation» - «leur refus de dissocier la théorie des faits». Obschon diese Eigenschaften auch vielen nichtschweizerischen Sprachwissenschaftern zukommen, wird man der Autorin darin rechtgeben, dass sie bei den Schweizer Romanisten und Linguisten in der untersuchten Zeitspanne prägend sind. Der 3. Punkt, betitelt «Vers une visibilité de la linguistique suisse», ist mit Kongressen, wissenschaftlichen Zeitschriften und der Gründung von gesamtschweizerischen Gesellschaften und Institutionen (Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft [heute Besprechungen - Comptes rendus 290 18 Erwähnt seinen, stellvertretend für viele, nur einige Beispiele. P. 77 N30: «Der Hauptgrund ... finden beide darin». 110 N10: «die doch den gemeinsame Ursprung ... nicht verleugnen». 141 N71: «dass er ... seine volle ethische Persönlichkeit in jedem Vortrag gelegt habe». 330 N2: «»wegen der schrecklichen Bewegung, die verschiedentlich ausgebrochen seien», usw. 19 P. 119 du fonctionnement des ces «Seminaren». 75 «Organ des Gedankenausdruck» ... «ein Theil der allgemeine Geschichte», usw. Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften], Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) befasst. In Punkt 4, «La recherche suisse: un modèle fédéraliste pour l’Europe? », wird bedauert, dass sich heute nicht die von Denis de Rougemont propagierte Idee einer europäischen Universität nach dem Modell der föderalistischen Wissenslandschaft der Schweiz durchgesetzt hat, sondern das zentralistische Bologna-System. Der letzte, 5. Punkt, der die Entwicklung von 1942 bis heute kommentiert, hält fest, dass die Lehrstuhlbezeichnung «Romanische Philologie» heute völlig aus den Schweizer Universitäten verschwunden ist. Eine immer deutlichere Trennung in Linguistik und Literaturwissenschaft (und beizufügen wäre: eine Entwicklung hin zum Studium der Einzelsprachen auf Kosten der Gesamtromanistik) ist inzwischen Tatsache. Die Autorin beklagt in diesen Veränderungen den Schwund der humanistischen Wissenschaftskonzeption und das Überhandnehmen von «mercantilisme, opportunisme, utilitarisme mal compris» (348). Diese pessimistische Einschätzung der heutigen Situation ist sicher nicht unberechtigt. Ob man dem Hoffnungsschimmer am Horizont, von dem auf den letzten Seiten die Rede ist (eine gewisse Gegenbewegung in Historiographie, Anthropologie und Sozialwissenschaften, eine neue Wertschätzung der Dialektologie), trauen kann, scheint mir eher fraglich. Kommen wir zur abschliessenden Würdigung des Buches. Wir beginnen mit den kritischen Bemerkungen, damit das positive Gesamturteil, wie das Werk es verdient, am Schluss zu stehen kommt. Wir wissen es alle: Man kann einen Text noch so oft durchlesen und von andern lesen lassen, es bleiben immer Fehler stehen. Ich verzichte auf die Auflistung von Versehen dieser Art. Ein Mangel in der vorliegenden Publikation, der durch Fremdlesung hätte vermieden werden können, ist jedoch die störende Häufung von Fehlern in deutschen Zitaten. Die Autorin hat deutsche Zitate, die einen grossen Teil des Belegmaterials ausmachen, in ihrem Text ins Französische übersetzt, und zwar sehr gut. In den Fussnoten gibt sie jeweils den deutschen Urtext wieder, und dort sind immer wieder Versehen stehengeblieben 18 . Fehler finden sich auch in deutschen Ausdrücken, die im Text zitiert werden 19 . Gelegentlich entsteht daraus ein komischer Effekt: «Wackernagel ... publiera en 1846 une édition d’Altfranzösische Lieder und Leichen» (145). Ein grösseres Problem als Versehen dieser Art scheint mir das völlige Fehlen von Binnenverweisen in diesem Buch. Das präsentierte Material ist so umfangreich und die verschiedenen Aspekte, unter denen einzelne Fakten zur Sprache kommen, so zahlreich, dass gewisse Wiederholungen unvermeidbar sind. Als Leser wäre man dankbar, wenn solche Situationen durch Querverweise sichtbar gemacht würden. Oftmals wird etwas vorweggenommen und sozusagen als bekannt vorausgesetzt, was erst im späteren Verlauf der Darstellung aufgelöst wird. Das extremste Beispiel dafür ist die Jahreszahl 1872, die im Untertitel des Buches steht. Man muss bis auf p. 101 warten, um zu erfahren, dass 1872 der erste, von Gustav Gröber besetzte Lehrstuhl für Romanische Philologie in Zürich geschaffen wurde. P. 105 ist die Rede von der Übersetzung der Lezioni von Ascoli ins Deutsche. Hier müsste ein Verweis auf p. 109 stehen, wo man Näheres zum Text, zu Ascoli und zu den Übersetzern erfährt. Ähnlich würde man p. 173, wo «l’affaire Reynold» erwähnt wird, einen Verweis auf p. 200 erwarten, Besprechungen - Comptes rendus 291 20 Bei Suchaktionen dieser Art habe ich nicht wenige Lücken im Personenindex festgestellt. So fehlt bei Lazarus p. 330, bei Mommsen 49, bei Darmsteter 82, bei Decurtins 43, bei Wertheimer 55. Das sind zufällige Entdeckungen. Ich habe den Index nicht systematisch kontrolliert. 21 Warum figuriert z. B. Python im Index, Schorderet nicht? Beide p. 43 Genannten sind Politiker, nicht Wissenschafter. Im Text werden vielfach Titel von Dissertationen zitiert, die nicht in der Bibliographie stehen. wo erklärt wird, was es damit auf sich hat. Die Beispiele liessen sich vermehren. Zuweilen liest man einen Namen und denkt sich: Der ist doch schon vorgekommen, aber wo? Man sieht im Personenindex nach, wo man aber auch nicht in jedem Fall fündig wird 20 . Vergeblich sucht man auch nach einer Information, nach welchen Kriterien im Text zitierte Personen in den Personenindex und Publikationstitel in die Bibliographie aufgenommen wurden 21 . Abschliessend sei festgehalten, dass die Arbeit von Anne-Marguerite Frýba-Reber eine echte Lücke in der Wissenschaftsgeschichte füllt. Die Autorin hat ihre umfassende Quellensammlung zu einer gut strukturierten Darstellung verarbeitet, die nicht nur die Entwicklung der Romanischen Philologie im Zeitraum von 1872 bis 1945 beschreibt, sondern diese auf dem Hintergrund der gesamtschweizerischen Universitätsgeschichte situiert. Ein wesentlicher Aspekt ist die Vernetzung der schweizerischen Universitätslandschaft mit Europa. Sowohl das Wirken ausländischer Dozenten an den Schweizer Universitäten als auch die übliche Weiterbildung junger Schweizer Forscher im benachbarten Ausland tragen dazu bei. Das Buch ist bei allem Faktenreichtum gut lesbar, dank dem flüssigen Stil der Autorin, ihrem Flair für sprechende Titel und der Auflockerung des Stoffs durch Anekdoten und Zitate aus Briefen und Tagebüchern, die auch die menschliche Seite der Sprachwissenschafter sichtbar machen. Alles in allem ist das Werk eine willkommene Bereicherung unserer Kenntnisse über die Anfänge der Disziplin Romanische Philologie. Ricarda Liver H Angelika Redder/ Julia Pauli/ Roland Kiessling/ Kristin Bührig/ Bernhard Brehmer/ Ingrid Breckner/ Jannis Androutsopoulos, Mehrsprachige Kommunikation in der Stadt. Das Beispiel Hamburg, Münster et al. (Waxmann) 2013, 241 p. Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit ist nicht nur als Folge vermehrter Mobilität, Migrationen und transnationaler Kooperationen viel häufiger geworden, sie wird auch und vor allem von der Forschung sehr viel stärker wahrgenommen. So gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg von 2009 bis 2012 der Frage nach: «Wie mehrsprachig ist Hamburg heute? ». Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse ihres unter dem Akronym Lima («Linguistic Diversity Management in Urban Areas») laufenden interdisziplinären Forschungsprojekts. Das Projekt beeindruckt zunächst durch die Vielfalt der gewählten Perspektiven. In der von massiver migrationsbedingter Mehrsprachigkeit charakterisierten Stadt Hamburg geht es um Seniorenbetreuung für Migranten (J. Pauli et al., «Ältere MigrantInnen in Hamburg. Sprachliche und kulturelle Diversität in Senioreneinrichtungen und anderen Alter(n)swelten», 29-54), um Diskriminierung beim Zugang zum Wohnen (I. Breckner et al., «Mehrsprachigkeit als Zugang zum städtischen Alltag - das Beispiel Wohnen», 55-79), um den Konsumbereich in von Migranten dominierten Vierteln (A. Redder/ C. Scarvaglieri, «Verortung mehrsprachigen Handelns im Konsumbereich - ein Imbiss und ein Lebensmittelgeschäft», 105-26), um die Sprachlandschaft sowie um «linguistic soundscape» (R. Pappenhagen et al.,