Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2016
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Kristol De StefaniLe Roman de Merlin en prose (roman publié d’après le ms. BnF français 24394). Édition bilingue établie, traduite, présentée et annotée par Corinne Füg-Pierreville, Paris (Champion) 2014, 496 p. (Champion Classiques Moyen Âge 39)
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2016
Peter Wunderli
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Besprechungen - Comptes rendus 294 10 Ungewöhnlich ist, dass die beiden Bände mit einer einzigen, durchgängigen Paginierung erfasst werden. Einen zwingenden Grund, von dem üblichen Verfahren abzusehen (2 unabhängige Zählungen für die beiden Bände), sehe ich nicht. 1 Cf. Füg-Pierreville 2014: 111 (Bibliographie); dort auch Angaben zu Übersetzungen ins Neufranzösische. lat.Text linke Seite / dt. Text rechte Seite viel Platz eingespart werden, ist die deutsche Übersetzung doch immer erheblich länger als die lateinische Vorlage. Die gewählte Lösung muss als zumindest brauchbar bezeichnet werden. Der 1. Band schließt mit einer Edition der Prophetia Merlini, und zwar werden die Weissagungen 1-74 sowie die §111-18 der HRB wiedergegeben. Den Abschluss macht ein Index, der (in subjektiver Auswahl) die wichtigsten Begriffe berücksichtig sowie (und vor allem) die Namen. Band 2 liefert dann die Übersetzung der Explanatio (359 s.) 10 . Meine selektiven Kontrollen fallen durchwegs positiv aus was Sorgfalt und Treue betrifft. Allerdings wirkt der deutsche Text manchmal etwas schwerfällig und ungelenk, was v.a. auf das Streben zurückzuführen ist, möglichst nahe am lateinischen Text zu bleiben. Das war ein prinzipieller Entscheid der Herausgeberin, der durchaus vertretbar ist: Der Entscheid zwischen stilistischer Glätte und größtmöglicher Anlehnung an die Vorlage ist bei Übersetzungen immer eine Gratwanderung, und oft ist es einfach nicht möglich, beiden Anforderungen gleichzeitig gerecht zu werden. An die Übersetzung der Explanatio schließt dann eine Übertragung der Prophetia nach §111-18 der HRB an (615 s.). Es folgen dann die knapp gehaltenen, aber treffenden und einschlägigen Kommentare (631 s.), ein Handschriftenverzeichnis (817 s.), eine Bibliographie (819 s.) sowie eine Sammlung von 8 genealogischen Tabellen, die Publikationen anderer Autoren entnommen sind (857 s.). Fazit: Trotz einiger geringfügiger und eher marginaler Vorbehalte verdient die Arbeit von Clara Wille größten Respekt und kann nicht nur, sondern muss geradezu als mustergültige Edition bezeichnet werden. Peter Wunderli H Le Roman de Merlin en prose (roman publié d’après le ms. BnF français 24394). Édition bilingue établie, traduite, présentée et annotée par Corinne Füg-Pierreville, Paris (Champion) 2014, 496 p. (Champion Classiques Moyen Âge 39) Corinne Füg-Pierreville ist «professeur de langue et de littérature médiévale» an der Universität Jean Moulin (Lyon 3) und hat neben Arbeiten zur Graalslegende und zu Merlin auch Studien zu Gautier d’Arras und dem Roman Claris et Laris vorgelegt. Hier publiziert sie zum ersten Mal den Prosa-Merlin nach dem Manuskript BN fr. 24394. Es handelt sich hierbei nicht um die erste, sondern bereits um die sechste Ausgabe des Prosa-Merlin, doch beruhen alle früheren Editionen auf anderen Handschriften 1 : diejenige von Gaston Paris und Jacob Ulrich 1886 auf British Museum Add. 38117, die von H. O. Sommer 1908 auf British Museum Add. 10292, die von Alexandre Micha 1979 auf BN fr. 747, die von Bernard Cerquilini 1981 auf Modena Biblioteca Estense Universitaria E 39 und die von Irène Freire- Nunes 2001 auf Bonn Universitätsbibliothek 526. Nur schon die Zahl der Ausgaben ist erstaunlich, und wenn man noch in Rechnung stellt, dass der Text in 50 mehr oder weniger vollständigen Manuskripten und zusätzlich noch in Besprechungen - Comptes rendus 295 2 Diese überraschend präzise Datierung wird allerdings nirgends begründet. Sollte sie einfach irgendwoher aus der bisherigen Forschungstradition stammen? einigen Fragmenten überliefert ist, kann man wohl ruhig behaupten, dass es sich beim Prosa- Merlin um einen Bestseller des 13./ 14. Jahrhunderts handelt. Wir haben es hierbei mit dem ersten Prosaroman der französischen Literatur zu tun, der anfangs des 13. Jh. entstanden ist und der nicht nur von der Form her, sondern auch inhaltlich in vielerlei Hinsicht innovativ ist: Der Held ist intellektuell in der Nähe des Autors zu situieren; die Erzählung bildet eine autonome Einheit; der Prosa-Merlin liefert den Kern für die Romanzyklen um den Graal; die Person Merlins erfährt eine kohärente und signifikante Darstellung; Merlin ist zwar ein Sohn des Teufels, wird aber dank der Gnade Gottes gerettet; er ist ein mächtiger Zauberer und Magier, aber auch ein Ratgeber verschiedener Prinzen und der Prophet des Graal. Füg-Pierreville (im folgenden F-P) beginnt ihre Ausgabe mit einer knappen Einleitung (9 s.), die v.a. dazu dient, Alexandre Micha dezidiert zu widersprechen, der in seiner Ausgabe des Prosa-Merlin von 1979 das Werk als von sekundärer Bedeutung einstuft und es weit hinter die Estoire dou Graal, La Mort Artu und den Lancelot zurücksetzt. Nach ihrer Auffassung ist der Prosa-Merlin ein zwischen 1200 und 1210 2 entstandenes Meisterwerk, das zwar zu einem Zyklus gehört, gleichwohl aber ein autonomer Text ist und den Ausgangspunkt für den gesamten Arthus-Mythos liefert. In einem zweiten, viel umfangreicheren Kapitel, das mit Contextes überschrieben ist (10- 17), wird der literarisch-kulturelle Kontext des Prosa-Merlin skizziert. Im 13. Jh. kommen die Prosatexte in Mode, und diese Entwicklung ist wohl eng verbunden mit dem Aufkommen der laizistischen Kopierinstitute. Die vorher dominierenden paarweise gereimten Achtsilber hatten wohl u. a. auch die Funktion, den Jongleurs als Gedächtnisstütze zu dienen - eine Erscheinung, die sich auch in anderen Literaturen in ihrer Frühphase findet (z. B. im Griechischen, Lateinischen, Deutschen usw.). Die Prosa dagegen ist näher an der authentischen Rede, dem realen Diskurs; sie ist deshalb prädestiniert zur Wiedergabe der historischen Wahrheit. Angewendet in einem fiktionalen Text ist sie ein Verifikationsfaktor: Sie suggeriert die historische Überprüfbarkeit und bewirkt gleichzeitig eine Annäherung an das Göttliche, denn die biblischen und die übrigen religiösen Texte sind größtenteils Prosatexte. Beide Aspekte spielen für den Prosa-Merlin eine nicht zu unterschätzende Rolle: Er ist einerseits eine Chronik der bretonischen Könige, und andererseits kann die Graalslegende als eine Manifestation des göttlichen Willens gelten. Der Prosa-Merlin lässt sich problemlos in die umfassenderen Graalszyklen integrieren: denjenigen von Robert de Boron und die sogenannte Vulgata - in beiden spielt Merlin eine zentrale Rolle. Der Roman de l’Estoire dou Graal (oder Petit Saint-Graal) ist v.a. die Geschichte von Joseph von Arimathia, die gegenüber den Evangelien massiv ausgeschmückt ist. Die Prosafassung der Estoire bildet mit dem Prosa-Merlin und dem Perceval en prose (= sog. Didot-Perceval) eine Trilogie, wobei der Merlin chronologisch nach der Estoire einzuordnen ist. Daneben steht der große Graals-Zyklus bzw. der Lancelot-Graal (auch Cycle Map oder Vulgate genannt), wobei hier Perceval durch Galaad ersetzt wird. Die Textabfolge ist die folgende: - Estoire del Saint Graal (= Joseph von Arimathia) - Merlin en prose - Suite historique du Merlin (= Suite Vulgate) - Lancelot en prose - Queste del Saint Graal - Mort le roi Artu Besprechungen - Comptes rendus 296 3 Die allerdings auch hier nicht begründet wird. 4 Für ein Inventar der beiden Hauptgruppen und der Fragmente cf. Füg-Pierreville 2014: 18-21. 5 Man mag bedauern, dass nirgends eine oder mehrere Manuskriptseiten wiedergegeben werden, was weniger der Kontrolle der Transkription dienen würde als vielmehr der Information des Benutzers, und ihm auch zeigen könnte, mit welcher Sorgfalt und skriptorischer Akribie dieses Exemplar gefertigt wurde. Der Schaden hält sich aber insofern in Grenzen, als die Bibliothèque Nationale inzwischen ein Online-Faksimile veröffentlich hat, das jedermann unter der folgenden Adresse einsehen kann: http: / / gallica.bnf.fr/ ark: / 12148/ btv1b9009473c.r=fran%C3%A7ais+24394.langFR. Zu den einzelnen Texten wird jeweils eine Art Kurzresümee gegeben, und für einige von ihnen wird auch eine approximative Datierung erwähnt 3 ; sie lägen alle zwischen 1215 und 1235 (14-16). Dazu kommt dann noch die sog. Suite romanesque (= Merlin Huth oder auch Suite Post-Vulgate), die zwischen 1230 und 1250 entstanden sein soll. Der Merlin en prose hätte also eine ganze Literaturwelle losgetreten, und Füg-Pierreville kennt sich in diesem alles andere als einfach zu überblickenden Textkomplex hervorragend aus. Das dritte Hauptkapitel ist der handschriftlichen Überlieferung gewidmet, die aus 50 mehr oder weniger vollständigen Manuskripten und 8 Fragmenten besteht. Die vollständigen Handschriften zerfallen in 2 Gruppen: die Gruppe α umfasst 38 Exemplare, die Gruppe β deren 12; die Fragmente sind wegen ihres defektiven Charakters schwer, in der Regel überhaupt nicht zuzuordnen 4 . Die Zuordnung zu den Gruppen α und β erfolgt aufgrund von zwei Diskriminierungssequenzen unter Rekurs auf die Merlin-Edition von A. Micha (21-23). Hier drängt sich allerdings die Frage auf, ob dieses Verfahren legitim ist. Ich habe in dieser Hinsicht erhebliche Zweifel. Einmal sind die beiden Diskriminierungssequenzen sehr kurz, und dann trägt es den Kopistengewohnheiten im 13./ 14. Jh. nicht hinreichend Rechnung: Diese schreiben nämlich häufig nicht eine einzige Vorlage einfach ab, sondern arbeiten oft und v.a. bei in vielen Handschriften überlieferten Texten auf der Basis von mehreren Leitversionen und springen je nach Lust und Laune zwischen diesen hin und her. Diese Vorbehalte ändern allerdings nichts an der Tatsache, dass Ms. BN fr. 24934 eindeutig zur Gruppe β zu gehören scheint. Kapitel 4 ist dann den bisherigen Editionen gewidmet, die wir bereits einleitend kurz erwähnt haben: R (BM Add. 38117; Paris/ Ulrich 1883 [1965]), G’ (BM Add. 10292; Sommer 1928, A (B.N.f.fr. 747; Micha 1979), T (Modena, Bibl. Estense Universitaria E 39; Cerquilini 1981), B’ (Bonn UB 526; Freire-Nunes 2001). Dieser Überblick ist gefolgt von einer kurzen Kritik der einzelnen Manuskripte und ihrer Edition; im Falle der Pléiade-Edition (Freire-Nunes) ist die Diskussion etwas ausführlicher (24 s.). Die Zuweisung der Siglen an die verschiedenen Handschriften wird dagegen nirgends erklärt oder begründet; diese muss aufgrund der früheren Literatur rekonstruiert werden. In Kapitel 5 (26 s.) wird die Wahl der Handschrift A’ für die vorliegende Ausgabe diskutiert und begründet. Schon Micha hatte dieses Manuskript sehr positiv beurteilt, und es stellt sich natürlich die Frage, warum er es denn nicht seiner Edition zugrunde gelegt hat. Die Antwort ist eine doppelte: 1. Es gehört zur Gruppe β und nicht zur Gruppe α ; 2. Es hat keinen Bezug zu Robert de Boron. Über die Berechtigung dieser Argumentation kann man diskutieren; akzeptabel ist sie nur, wenn eine ganze Reihe von Vorbedingungen erfüllt sind, auf die wir hier nicht eingehen können. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass sowohl Micha wie F-P das Ms. A’ als exzellenten, ja wohl als den besten (und auch ältesten) erhaltenen Zeugen einstufen. Es folgt dann eine knappe Manuskriptbeschreibung, in dem sich der Merlin en Prose auf den Folien (bzw. den Spalten) 108a-141c befindet; besondere Aufmerksamkeit wird den beiden Illustrationen im Merlin-Text und den Zierbuchstaben gewidmet, doch bleibt die Beschreibung außerordentlich knapp und gedrängt 5 . Es folgen dann die notwendigen Besprechungen - Comptes rendus 297 6 F-P publiziert dieses Fragment als Anhang zur Ausgabe von A’, cf. unten. Angaben zu den 6 zur Kontrolle von A’ herangezogenen Handschriften: A (BN fr. 747; α ), B’ (Bonn UB 526; β ), C (Tours, BMunicipale 951; α ), C’ (BN fr. 19162; β ), F’ (BN fr. 110; β ), P (Arsénal 2996; α ) (28). Hier stellt sich allerdings eine prinzipielle Frage, die an das oben erwähnte Problem der Arbeitsweise der Kopisten anschließt: Wie können Manuskripte aus der Gruppe α der Kontrolle eines Textes der Gruppe β dienen? Das kann wohl nur begrenzt möglich sein und die Ergebnisse eines derartigen Verfahrens sind von eingeschränkter Aussagekraft. Wie dem auch sei: F-P betont (28 s.), dass bei Divergenzen zwischen A’ und den Kontrollms. A’ meist die beste Lesung liefere und die dem ursprünglichen Text am nächsten komme. Nur: Wer kennt denn den ursprünglichen Text, und woher kennt F-P ihn? Hier bewegen wir uns im Bereich der unkontrollierbaren Spekulation. Kapitel 6 («Merlin en prose, Merlin en vers», 32-40) vergleicht die Prosaversion von A’ mit dem Fragment des Vers-Merlin im Ms. BN fr. 2014, das dem Ende des 13. Jh. zugewiesen werden kann 6 . Dieses Ms. enthält primär einmal eine (gereimte) Estoire dou Graal, auf die dann noch 504 Achtsilber eines gereimten Merlin folgen; der Text bricht dann ab und bleibt aufgrund der Beschädigung der Handschrift unvollständig. Nach F-P ist der Prosa-Merlin wohl keine mise en prose eines ursprünglichen Verstextes; nach ihrer Auffassung ist die Relation eher umgekehrt, d. h. der Prosatext geht dem Verstext voran. Sie begründet dies mit guten, wenn auch nicht unbedingt definitiven Argumenten. Einmal ist das Versfragment an vielen Stellen deutlich weniger überzeugend als die Prosaversion, und dies gilt sowohl für die α wie für die β -Gruppe, soweit die Versionen der 1. Hälfte des 13. Jh. angehören; eine Liste von einschlägigen Textstellen findet sich auf p. 34. Dann springt auch in die Augen, dass normalerweise die Prosaversionen länger sind als die Versversionen. Im Falle des Merlin ist es genau umgekehrt: 504 Versen entsprechen 200 Zeilen Prosa. Diese Diskrepanz rührt daher, dass die Versversion oft redundant ist und Beifügungen enthält, die nur dazu dienen, Reime zu schaffen. Zudem finden sich im Verstext oft Glossierungen. Es scheint sogar eigentliche Expansionsstrategien zu geben: Beifügung von qualifizierenden Adjektiven; unnötige Präzisierungen; Einbindung von sekundären und unwichtigen Details; Ausweitung und Ausschmückung der direkten Rede; usw. Andererseits findet sich auch die gegenteilige Tendenz, d. h. die Unterdrückung von Inhalten und Informationen, die für das Verständnis wichtig sind. Der Verstext ist deshalb verschiedentlich unklar und wird erst durch Rückgriff auf die Prosaversion verständlich (37). F-P widerspricht auch hier Micha, der an der traditionellen Sichtweise des Verhältnisses Vers-Prosa festhält und die Prosaversion als sekundär und schwächer einstuft. Für F-P dagegen ist sie eindeutig kohärenter, zutreffender und adäquater. Die Versversion folgt also auf die Prosaversion, und nicht umgekehrt. Andere Beispiele für eine mise en vers sind zwar nicht sonderlich häufig, aber es gibt sie durchaus am Übergang vom 13. zum 14. Jh., z. B. der Roman de Mélusine oder das Bestiaire d’amour von Richard de Fournival (40). Kapitel 7 trägt schließlich den Titel «L’avènement d’une voix auctoriale» (40-46). Eine der auffälligsten Innovationen des Prosa-Merlin sind die jeux de mise en abyme, in denen sich verschiedene Stimmen überlagern: diejenige des Erzählers, die Merlins und die von Blaise, dem Beichtvater von Merlins Mutter. Ob man den Erzähler mit Robert de Boron identifizieren darf, wie dies Micha tut, ist zweifelhaft und würde voraussetzen, dass Robert auch der Autor des Prosa-Merlin ist. Robert wird aber überhaupt nur in 2 Handschriften (A und B) erwähnt, 11 Handschriften verweisen dagegen auf ein gewissen Martin ungewisser Herkunft (widersprüchliche Angaben). F-P vermutet, dass der Verweis auf Robert de Boron eine reine captatio benevolentiae sei - und dies, obwohl Robert am Ende der Estoire weitere Werke ankündigt, aber keinen Merlin erwähnt (41 s.). Dazu kommt noch, dass es große Besprechungen - Comptes rendus 298 7 Von F-P nicht angeführt. Unterschiede im Ton zwischen der Estoire und dem Merlin gibt. Die Estoire ist im wesentlichen ein didaktisches Werk im Dienste de menschlichen Erlösung; auch im Merlin spielt die Erlösung eine wichtige Rolle, ist aber eng mit andern literarischen Themen und Registern verflochten und deshalb irgendwie abgewertet. Kapitel 8 bringt eine Inhaltsanalyse des Werkes, das in 6 Paragraphenblöcke gegliedert wird (47-51). Ob diese Analyse wirklich nötig ist, kann bezweifelt werden, da der altfranzösische Text ja von einer neufranzösischen Übersetzung begleitet ist. Kapitel 9 befasst sich dann mit der Entstehung des Merlin-Mythos (51 s.). Die Merlin-Figur findet sich schon vor dem Prosa-Merlin in den Prophetiae Merlini von Geoffroy von Monmouth (1134), in der Historia regum Britanniae von Geoffroy (1138), dann in seiner Vita Merlini (ca. 1150) 7 und schließlich im Brut von Wace (1155). Sie geht letztlich auf Gildas den Weisen, Beda Venerabilis und Nennius zurück und ist eine Art Fortschreibung des keltischen Myrrdin. In ihr fusionieren zwei Traditionen: diejenige des Ambrosius Merlinus, dem Sohn eines Albtraums, der während der Herrschaft von Vertigier, Pandagron und Uter gelebt haben soll, und diejenige des Merlinus Sylvester, eines verrückt gewordenen Adeligen, der sich in die Wildnis zurückzieht. Beide Traditionen sind über die prophetischen Gaben Merlins miteinander verknüpft und werden erstmals in der Historia verschmolzen, wo Merlin sowohl als Sohn des Teufels als auch als Wilder erscheint. Die Kapitel 10-14 sind dann den verschiedenen Aspekten der Figur Merlin gewidmet. In Kapitel 10 (53 s.) werden die verschiedenen Varianten seiner Zeugung diskutiert. - Kapitel 11 (58 s.) ist der fast chamäleonhaften Vielfältigkeit seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeiten gewidmet. Er ist gleichzeitig Dämon und Wilder, er verfügt über überzeitliches Wissen (sowohl retrospektiv als auch [wenigstens teilweise] prospektiv, er altert nicht und hat einen atemporalen Status, er hat die Fähigkeit des gewissermaßen blitzartigen Ortswechsels, er hat die Fähigkeit der Polymorphie, d. h. der ständigen Veränderung seines Aussehens, sein wirkliches Aussehen wird nie enthüllt und man kennt immer nur den vorhergehenden Aspekt; Merlin ist die radikale Alterität, er kann auch das Aussehen anderer verändern, seine übernatürlichen Fähigkeiten sind teuflisch usw. In Kapitel 12 (67 s.) werden die Funktionen von Merlin als Wahrsager und als Prophet diskutiert. Seine herausragende Qualität ist divinatorischer Natur und betrifft das savoir: Er ist der beste aller Seher, der Katastrophen oft mit einem diabolischen Lachen ankündigt. Im divinatorischen Bereich werden keltische Motive und Traditionen christianisiert, wobei dieser Bereich aber immer sekundär bleibt neben dem Kampf zwischen Gott und dem Teufel. In Kapitel 13 (74 s.) wird die Rolle Merlins als Diener Gottes diskutiert. Er ist ein christianisierter keltischer Wahrsager, der sich gegen den Teufel und für den Dienst an Gott entscheidet. Daneben ist er auch noch ein Königsmacher und eine (gottgesandte) Stütze der Könige (Vertigier → Pandagron → Uter → Uterpandagron → Artus). Seine Gründung der table ronde ist eine offensichtliche Wiederaufnahme der Abendmahls-Thematik, und seine Unterstützung der erotischen Wünsche von Uter führt zur Geburt von Artus, womit er (gerade durch eine Missetat) dem heiligen Status des Königtums und damit dem Frieden dient. Erneut widerspricht F-P Micha, aber auch Trachsler, Payen und andern, die den Merlin für ein Werk von sekundärer Bedeutung halten. Für sie handelt es sich um einen «roman pleinement abouti», und dies trotz oder gerade wegen des offenen Endes und dem Fehlen eines Epilogs, was das Fehlen eines Prologs gewissermaßen doppelt. Kapitel 14 (87 s.) ist den Büchern gewidmet, aus denen Merlin (angeblich) zitiert und schöpft. Es handelt sich in erster Linie um das Livre dou Graal und das Livre des propheties. Was Merlin dem Beichtvater Blaise diktiert, soll die gesamte Graalsgeschichte abdecken und Besprechungen - Comptes rendus 299 8 Was nicht heißen will, dass es hierzu nichts mehr zu sagen gäbe! 9 Cf. C.T. Gossen, Französische Skriptastudien. Untersuchungen zu den nordfranzösischen Urkundensprache des Mittelalters, Graz/ Wien/ Köln 1967. 10 Wenig benutzerfreundlich ist auch, dass die Vornamen der Autoren prinzipiell auf den Anfangsbuchstaben reduziert werden. das Livre de Joseph weiterführen und eine Synthese aller für Merlin irgendwie relevanten Texte liefern; diese «Einbettung in die Tradition» hat gleichzeitig die Funktion einer Verifikation der Mythen. F-P kann aber nicht umhin, die zentrale Frage zu stellen: Was ist eigentlich das Livre de Joseph (89)? Handelt es sich um ein Buch über Joseph? Oder ist es eine Sammlung der Worte von Joseph? Auf jeden Fall: ein Dokument der göttlichen Geheimnisse und Vorsehung, genau wie seine Fortführung im Merlin. Damit ist der inhaltliche Bereich im Wesentlichen abgearbeitet 8 . Die folgenden Kapitel sind eher technischer Natur und betreffen einerseits das Manuskript, andererseits die Edition des Manuskripts. Kapitel 15 (91 s.) befasst sich mit der Skripta, die stark durch pikardische Züge geprägt ist. Kronzeuge für F-P ist dabei immer wieder die unersetzliche und Schule machende Untersuchung von Gossen 9 , die es F-P erlaubt, rein erwähnend und beschreibend zu bleiben. Das nicht gerade durch eine überzeugende Systematik glänzende Inventar ist folgendermaßen gegliedert: Vokale, Konsonanten, Morphologie (Nomen, Pronomen), Verbalmorphologie (Endungen), Verbstämme, Futurum I und II, Perfekt und Konjunktiv Imperfekt, Syntax. Wenn auch von der Struktur her nicht überzeugend: Man findet in der Regel das, was man sucht. Es folgt dann in Kapitel 16 eine Darstellung der Editionsprinzipien bzw. eine Liste der Eingriffe (107-08). Im Wesentlichen hält sich F-P an die heute üblichen Editionsnormen für mittelalterliche Texte. Für den Linguisten bedauerlich ist, dass aufgelöste Abkürzungen nicht durch Kursivierung als solche gekennzeichnet werden, dass Expungierungen im Text nicht in einer Fußnote festgehalten werden und dass interlineare und marginale Korrekturen und Ergänzungen keine spezifische Kennzeichnung erfahren. Auch wäre es angebracht gewesen, lokale Defekte und Beschädigungen des Manuskripts, schwer leserliche Stellen usw. zu kommentieren. Kapitel 17 (109-10) ist den Principes de traduction gewidmet, denen man im Wesentlichen zustimmen kann. Einzig die Entscheidung, die Zeitenkonkordanz den heutigen Usanzen anzupassen, ist für mich anfechtbar: Die große Wahlfreiheit im Zeitengebrauch ist ein spezifisches Charakteristikum mittelalterlicher Texte und sollte auch in einer neufranzösischen Übersetzung respektiert werden. Und schließlich folgt dann in Kapitel 18 noch eine Bibliographie sélective (111 s.), mit deren Gestaltung ich mich überhaupt nicht anfreunden kann. Der Hauptmangel ist zweifellos die Unsitte, die Bibliographie thematisch zu untergliedern. Wenn man die genauen Angaben zu einem Werk, Aufsatz etc. sucht, ist man oft gezwungen, in verschiedenen alphabetischen Reihen nachzusehen. Eine brauchbare und benutzerfreundliche Bibliographie hat streng alphabetisch und innerhalb des Alphabets chronologisch zu sein. Überdies gibt es viele Arbeiten, die man zurecht an unterschiedlichen bzw. mehreren Orten einordnen kann oder könnte, die aber nur in einer Reihe erscheinen. Unsinnig ist es weiterhin, bei den Arbeiten zum Merlin en prose zwischen Büchern und Aufsätzen zu unterscheiden und sie in getrennten Gruppen zu präsentieren, und entsprechendes gilt für die Sektion Le personnage de Merlin 10 . Zu begrüßen ist dagegen, dass im Verzeichnis der Manuskripte die genaue Adresse der in das Internet gestellten Faksimiles (soweit vorhanden) angegeben wird. Wir kommen nun abschließend zur Beurteilung der Editions- und Übersetzungsarbeit und beginnen mit der Ausgabe des afr. Textes. Hierfür haben wir die ersten 4 Seiten der Ausgabe Besprechungen - Comptes rendus 300 11 Sie entsprechen den Folien 108r°/ v° und 109r°/ v° des Manuskripts und erscheinen in der pdf- Version des Faksimiles als p. 231-34. 12 Seiten- und Zeilenzahlen beziehen sich auf den afr. Text; die neufr. Version kennt nur Seitenzahlen. 13 F-P löst die Abkürzung 9 regelmässig mit con auf, auch wenn der nachfolgende Konsonant ein Labial ist. Dies wird nirgends begründet und ist oft außerordentlich störend. 14 Wir erwähnen im Folgenden die Fälle von con/ com nicht mehr; F-P schreibt durchgängig con, unabhängig vom phonologischen Kontext. 15 F-P verfährt mit dem Titulus genauso wie sie mit der Abkürzung für con/ com verfährt. 16 Por und par/ per werden im Ms. mit der gleichen Abkürzung wiedergegeben; jede Auflösung ist deshalb eine Interpretation. Gerade in Fällen wie diesem wäre eine Kennzeichnung der aufgelösten Abkürzungen wichtig gewesen! 17 Die Form deables ist zwar an anderer Stelle gesichert, nicht aber hier. 18 Die Verwendung des n hier muss umso mehr überraschen, als eine Zeile weiter compaignie vollständig ausgeschrieben wird! F-P verletzt hier ihre eigenen Editionsprinzipien, die sich am Gebrauch im Manuskript und im näheren Kontext orientieren sollen. 19 Cf. auch 138/ 16 jugie. 20 Auch vorher schon verschiedentlich auftretender Zweifel. Wir tendieren eher zu der Lesung n. von F-P mit dem Online-Faksimile 11 unter BN Gallica verglichen: http: / / gallica.bnf.fr/ ark: / 12148/ btv1b9009473c.r=fran%C3 %A7ais+24394.langFR. Hier die Ergebnisse 12 : - 126/ 3-4: Ms. ... et des autres tant qu’il li plot; Ed. ... et des autres tant con il li plot. - Überflüssige Beifügung von con. - 126/ 18: Ms. tormens; Ed. torment. - Überflüssige Korrektur. - 128/ 26: Ms. par cel eve; Ed. par cele eve. - Überflüssige Korrektur im Pik. - 128/ 34: Ms. commanderont; Ed. conmanderont 13 . - 132/ 7: Ms. comment; Ed. conment. - 132/ 9: Ms. comme; Ed. conme. - 132/ 12: Ms. com; Ed. con 14 . - 132/ 16: Ms. l’omme; Ed. l’onme 15 . - 134/ 18: Ms. femme; Ed. fenme. - 134/ 27: Ms. preudeomme; Ed. preudonme. - 134/ 32: Ms. par (evtl. per) coi; Ed. por coi 16 . - 134/ 41: Ms. diables; Ed. deables 17 . - 136/ 44: Ms. compaignie; Ed. conpagnie 18 . - 138/ 7: Ms. engignie; Ed. enignié. - Das Ms. hat eindeutig einen Akzent auf dem i; wir haben es mit einer typisch pik. fem. Form zu tun 19 . - 138/ 9: Ms. denant; Ed. devant 20 . - 140/ 43: Ms. ente[n]di; Ed. entendi. - Fehlende Kennzeichnung der Korrektur. - 142/ 26: Ms. dont; Ed. dont. - Das Ms. hat eindeutig dont, was aber sinngemäß zu donc korrigiert werden muss. - 146/ 20: Ms. livre; Ed. livré. - Der Kontext erfordert aber eindeutig eine fem. Form, d. h. livr[i]e oder livré[e]. - usw. Die Transkription ist somit nicht fehlerfrei, und es gibt auch einige systematische Ärgernisse wie: - die vom phonologischen Kontext unabhängige Auflösung der Abkürzung für con/ com; - die Wiedergabe des Titulus als n auch vor Labial; - die Nichtthematisierung des Zusammenfalls von par und por in einer einzigen Abkürzung; Besprechungen - Comptes rendus 301 21 Im Detail analysiert haben wir die ersten 10 Paragraphen. - die Nichtberücksichtigung des i-Strichs; - die stillschweigende, nirgends begründete Einführung des Trema; - usw. Trotz einigen Fehlern und einigen unschönen Eigenheiten kann aber die Transkription aufgrund unserer Stichprobe als im Wesentlichen verlässlich bezeichnet werden. Bleibt noch die Beurteilung der Übersetzung. Schicken wir es voraus: Die Übersetzung liest sich gut und flüssig, sie ist elegant - aber manchmal wird die Wörtlichkeit allzu schnell und unnötig der Eleganz geopfert, auch wo dies keineswegs nötig wäre. Der Text hätte dann manchmal etwas «altfranzösischer» gewirkt, aber ein gewisser «altfranzösischer Touch» hätte durchaus seine Berechtigung und würde zu den Inhalten passen. Auffällig ist weiter, dass sich in der Übersetzung immer wieder (in der Regel durchaus sinnvolle) Ergänzungen, Präzisierungen und Ausschmückungen finden (z. B. §2, 131); die entsprechenden Inhalte werden aus dem weiteren Kontext, oder aber aus der Sachkenntnis, aus der Literaturkenntnis usw. der Übersetzerin transferiert. Und schließlich muss auch darauf hingewiesen werden, dass der neufranzösische Text deutlich länger ist als der altfranzösische (was nicht sonderlich überrascht); der größere Umfang kann nicht nur auf die eben erwähnten Ergänzungen zurückgeführt werden, sondern ist in einem bedeutenden Ausmaß darauf zurückzuführen, dass die neufranzösische Morphosyntax komplexer und platzraubender ist als die altfranzösische, die vieles nicht explizit macht. Im Einzelnen würde ich noch folgende Anmerkungen machen 21 : - §3, 133: leur enseignement → besser son enseignement? Der afr. Text ist allerdings nicht eindeutig. - §3, 135 unten: et tomberait → et qu’il tomberait. - §5, 139: Im afr. Text wird der Verführer als varlés bezeichnet, was mit ribaud übersetzt wird. Warum nicht (ohne depreziatives Element) einfach valet, garçon oder jeune homme? - §6, 143: afr. la maisnee wird mit la benjamine wiedergegeben; warum dieser ungewöhnliche Ausdruck und nicht einfach la plus jeune? - §6, 143 N 34: Hier wird für joie eine Polysemie behauptet, weil es sowohl für geistige als auch für körperliche Freude, Lust etc. verwendet werden kann. Richtig ist, dass joie in dieser Hinsicht einfach unspezifisch ist. - §6, 143: Die Wiedergabe von afr. riens que vos avés durch vos possessions ist wenig glücklich; kontextangemessen wäre tout ce que vous avez. - §7, 145: afr. la pucele wird mit la benjamine übersetzt → einfach la jeune fille. - §7, 145: afr. la nuit wird zu la nuit venue; warum? → la nuit. - §7, 145: afr. au matin wird mit à l’aube wiedergegeben; warum? - §8, 147: afr. Sire erscheint nfr. als Maître; warum? - §8, 147: Die im afr. Text redeeinführenden Sequenzen Et li preudons li dist, Et ele respont und Et il dist werden in der neufr. Übersetzung einfach getilgt. Warum? Ich sehe hierfür keinen Anlass. Der gleiche Eingriff findet sich auch an zahlreichen anderen Stellen. - §9, 149: afr. les preudes femes wird nfr. viel zu unspezifisch mit les braves gens wiedergegeben; → les bonnes femmes. - §10, 151: Lors prist wird mit Il se saisit ... de wiedergegeben; es geht hier aber nicht um den Teufel, sondern um die böse Schwester, also elle. Cf. auch den Folgekontext, wo es immer um einen weiblichen Missetäter geht. Besprechungen - Comptes rendus 302 22 Die Frage muss allerdings erlaubt sein, ob diese Neuausgabe nötig war, da das Versfragment bereits 1971 von W.A. Nitze und 1979 von A. Micha publiziert wurde; cf. F-P, 431. Stichproben im Rest des Textes (bis §121, 419) haben gezeigt, dass entsprechende Ausstellungen sich auch dort immer wieder einmal aufdrängen. Auf den Text und die Übersetzung folgt noch ein Kapitel (20) zu den Varianten (421-29), die auf der Basis von 6 Manuskripten ermittelt werden. Die Auswahl der berücksichtigten Abweichungen ist subjektiv, denn berücksichtigt werden nur die «variantes les plus significatives» und die «leçons empruntées à d’autres manuscrits ... pour des passages clés du roman quand la tradition manuscrite est très divergente». Kapitel 21 (431-59) ergänzt dann die Ausgabe des Prosa-Merlin durch eine Edition (mit Übersetzung) des im Ms. BN fr. 20047 überlieferten Fragments des Vers-Merlin. Die Handschrift enthält das Image dou monde von Gautier von Metz und die Estoire dou Graal, an die sich fol. 55b direkt der Vers-Merlin anschließt. Der Text bricht fol. 62b aufgrund einer schweren Beschädigung der Handschrift ab 22 . Die Edition schließt mit einem Verzeichnis der Eigennamen (461-66) und einem (selektiven) Glossar (467-93). Kommen wir zur abschließenden Beurteilung. Die Edition von Ms. A’ des Prosa-Merlin von Corinne Füg-Pierreville ist solide gearbeitet, wenngleich nicht fehlerfrei, und es gibt auch einiges, was man zumindest als wenig schön bezeichnen muss. Die literarische Einbettung und Kommentierung ist aber exzellent, und es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass A’ den besten Text unter den erhaltenen Manuskripten liefert. Trotz einigen Einwänden darf man deshalb ruhig feststellen, dass diese Ausgabe richtungweisend ist und Bestand haben wird. Peter Wunderli H Le Chansonnier français U, publié d’après le manuscrit Paris, BNF, fr. 20050 par Madeleine Tyssens, tome I, Paris (Société des Anciens Textes Français) 2015, li + 414 p. Madeleine Tyssens, avec la compétence et l’expérience que tous ses pairs lui reconnaissent, consacre une étude attentive au chansonnier U, le célèbre «manuscrit de Saint-Germain-des- Prés» selon l’appellation introduite par Paul Meyer et Gaston Paris. Elle livre une édition interprétative du texte des copistes, suivie d’un relevé sélectif des leçons et variantes d’autres témoins. Il y a environ une dizaine d’années, dans «Intavulare» Tables des chansonniers romans II. Chansonniers français. U Paris, BNF, fr. 20050, Liège 2007, l’auteure avait déjà étudié ce chansonnier et évalué l’importance relative des disparates et des indices d’unité qui lient le corpus textuel de U à celui du manuscrit de Berne (C, Berne, Burgerbibliothek 389); dans cet ouvrage, M.Tyssens complète et approfondit son analyse, y ajoutant l’édition du chansonnier, fruit de son inestimable savoir. En 1892, Paul Meyer et Gaston Paris éditèrent pour la SATF une reproduction phototypique du Chansonnier français de Saint-Germain-des-Prés. Les deux philologues se proposaient de publier un second volume comportant la transcription des chansons, précédée d’une introduction, mais ce volume n’a jamais paru. La version numérisée mise en ligne par Gallica en 2013 rend inutile une édition diplomatique. L’éditrice précise que les corrections imposées par le sens et la métrique sont en nombre limité. Quant à l’histoire du Chansonnier de Saint-Germain-des-Prés, elle ne nous est pas connue avant 1732, date à laquelle le duc Henri de Coislin, évêque de Metz, le légua à la bibliothèque