Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
vvaa
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
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2016
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Fischer Heilmann Wagner Köhlmooswww.francke.de Editorial Stefan Fischer / Thomas Wagner Verstehen von Anfang an - Exegese und Hochschuldidaktik Hauptbeiträge Sandra Huebenthal Vom Zauber der Schriftauslegung. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese Melanie Köhlmoos Ein Text wie jeder andere? Texttheorie und exegetische Methodik Norbert Brieden »Verstehen von Anfang an«. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion Jan Heilmann E-Learning und forschendes Lernen mit Wikis in der Lehre der Bibelwissenschaften Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? Rezensionen Klaus Dorn: Basiswissen Bibel: Das Alte Testament (utb, Ferdinand Schöningh) (rezensiert von Thomas Wagner) Susanne Luther / Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik (Gütersloher Verlagshaus) (rezensiert von Katharina Pyschny) Interview mit … Andreas Lindemann Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik Herausgegeben von Stefan Fischer und Thomas Wagner in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos Jg. 1 - 2016 | Heft 1 VvAa - 2016 | Heft 1 Forum Exegese und Hochschuldidaktik: VvAa Verstehen von Anfang an Jg. 1 - 2016 | Heft 1 Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an Herausgeber Stefan Fischer, Wien Thomas Wagner, Wuppertal in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos, Frankfurt am Main in Verbindung mit Norbert Brieden, Wuppertal Johannes Diehl, Frankfurt am Main Jan Heilmann, Dresden Matthias Hopf, Neuendettelsau Melanie Stein, Frankfurt am Main Christian Stein, Frankfurt am Main Anschrift der Redaktion Thomas Wagner Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Seminar für Evangelische Theologie Gaußstr. 20 42119 Wuppertal info@vvaa.de Manuskripte Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) ist ein peer-reviewed Journal (double-blind). Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) is a double-blind peer-reviewed journal for methodology and practice into academic didactics of biblical exegesis. VvAa Jg. 1 - 2016 | Heft 1 Impressum Bezugsbedingungen Die VvAa erscheint halbjährlich (März und September) Einzelheft: € 28,- (zzgl. Versandkosten) Abonnement jährlich (print): € 44,- (zzgl. Versandkosten) Abonnement (print & online): € 56,- (zzgl. Versandkosten) Studenten-Abonnement (print): € 34,- (zzgl. Versandkosten) Bestellungen nimmt Ihre Buchhandlung oder der Verlag entgegen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Postfach 25 60 D-72015 Tübingen Telefon: (0 70 71) 97 97-0 Fax (0 70 71) 97 97 11 E-Mail: info@francke.de Internet: www.francke.de Anzeigen Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Telefon: (0 70 71) 97 97-10 © 2016 · Narr Francke Attemp to Verlag GmbH & Co. KG ISSN 2366-0597 Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Inhalt Editorial Stefan Fischer und Thomas Wagner Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik � � � � � � � � � � � � � 3 Hauptbeiträge Sandra Huebenthal Vom Zauber der Schriftauslegung Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 19 Melanie Köhlmoos Ein Text wie jeder andere? Texttheorie und exegetische Methodik � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 39 Norbert Brieden »Verstehen von Anfang an« Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion � � � � � � � � � � � � 57 Jan Heilmann E-Learning und Forschendes Lernen mit Wikis in der Lehre der Bibelwissenschaften Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? � � � � � � � � � � � 77 Rezensionen Klaus Dorn: Basiswissen Bibel: Das Alte Testament. rezensiert von Thomas Wagner � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 101 Susanne Luther/ Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation: Portraits-- Modelle-- Quellentexte rezensiert von Katharina Pyschny � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 107 Interview mit… Andreas Lindemann � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 111 Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 1 Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik Stefan Fischer und Thomas Wagner Mit ›Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an‹ (VvAa) wird das breite Angebot wissenschaftlicher Zeitschriften der Bibelwissenschaften um eine weitere ergänzt. Im Fokus dieser zweimal jährlich erscheinenden Zeitschrift steht der akademische Unterricht im Alten und im Neuen Testament. Die methodischen Grundlagen einer der aktuellen exegetischen Forschung entsprechenden Didaktik, die Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie die Einbindung des bibelwissenschaftlichen Studiums in den Kontext akademischen Lehrens und Lernens werden Gegenstand der in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sein. Die Beitragenden reagieren damit auf Veränderungen der Rahmenbedingungen akademischer Lehre in den Bibelwissenschaften, insbesondere der durch den Bologna-Prozess hervorgerufenen Restrukturierungen der akademischen theologischen Studiengänge. Dieses geschieht in einer Zeit, in der sich das Lernverhalten und die christliche Sozialisation der Studierenden massiv wandeln. Die gemeingesellschaftliche Entwicklungen betreffen vermehrt die christlichen Kirchen und mit ihnen das Interesse an biblischen Texten. 1. Zur gegenwärtigen Situation akademischer Lehre in den Bibelwissenschaften Während bei der Einführung des Bologna-Prozesses die Erstellung eines gestuften Studiensystems mit vergleichbaren Abschlüssen angestrebt wurde, um einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu errichten, ging mit der Neuausrichtung des Hochschulstudiums auch eine Fokussierung akademischen Lehrens auf 4 Stefan Fischer und Thomas Wagner die Vermittlung von Kompetenzen 1 einher, durch die eine höhere Praxisrelevanz der Hochschullehre erreicht werden soll. Lehrende haben seitdem für ihre Lehrveranstaltung eigene Studienziele zu formulieren. Diese »beschreiben das von den Studierenden zu erwerbende fachliche, methodische und überfachliche ›Wissen‹ und ›Können‹ im Sinn von Kompetenzen« 2 � Bezogen auf theologische Studiengänge und hier im Blick auf die Unterrichtspraxis zukünftiger Theologinnen und Theologen benennt die EKD für deren Ausbildung in Deutschland in einem der von ihr herausgegebenen und verantworteten Texte zur theologisch-religionspädagogischen Kompetenz (Band 96 ) fünf Kompetenzfelder, die sie zur Wahrnehmung des mit ihrem Auftrag in Kirche und Gesellschaft einhergehenden Lehramts im Laufe ihres Berufsbildungsprozesses vom Hochschulstudium bis hin zu den Fortbildungen in den ersten Berufsjahren schwerpunktmäßig ausprägen sollen. Im Einzelnen werden Reflexionskompetenz, Gestaltungskompetenz, Förderkompetenz, Entwicklungskompetenz sowie Dialog- und Diskurskompetenz angeführt. 3 Die Förderung dieser Kompetenzen soll sowohl im Studium als auch im Vorbereitungsdienst erfolgen. Ein Blick auf die Kompetenzen zeigt bereits, dass es sich bei ihnen um solche handelt, die vor allem in kleinen Lerngruppen mit intensiver Betreuung durch die Lehrenden gefördert werden können. Dies steht jedoch in einer eklatanten Diskrepanz zur gegenwärtigen Situation an deutschen Universitäten und Hochschulen, insbesondere für Studierende, die sich auf das Lehramt in Regel- und Sonderschulen vorbereiten, wie unten weiter ausgeführt wird. 1 Mit der Konzentration auf Kompetenzen durch die Studienreform fand ein Paradigmenwechsel in der Lehre statt, da der Fachgegenstand und seine Bedeutung für das Gesamte des Faches sowie für das Studium des Einzelnen in den Hintergrund tritt: »Die Themengebiete sind sozusagen das Medium, mit dessen Hilfe die Kompetenz exemplarisch erworben werden soll« (Pletl/ Schindler, Umsetzung, 37 ). Vgl. auch Peißler, Hochschuldidaktik, 27 � 2 https: / / intra.univie.ac.at/ fileadmin/ download/ Handbuch_f%C 3 %BCr_Lehrende.pdf, Universität Wien, Handbuch für Lehrende, 4 � 1 � 3 � 3 Vgl. EKD, Kompetenz, 20 f. Stefan Fischer * 1966 , Dr. theol., ist Privatdozent und Lehrbeauftragter an der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Wien. Außerdem ist er Forschungsmitarbeiter an der University of the Free State, Bloemfontein, Südafrika. Er lehrt seit 20 Jahren alttestamentliche Wissenschaft im deutsch- und englischsprachigen Bereich. Als Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt steht er im steten Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 5 Der Zugang zum Lehramt für Religion wird in den deutsch-sprachigen europäischen Ländern sehr verschieden gehandhabt. In Österreich wird das sechssemestrige Bachelorstudium zur Ausbildung von Religionslehrerinnen und -lehrern 2015 / 16 zum letzten Mal angeboten. 4 Nunmehr wird an der ökumenisch verantworteten Kirchlich-Pädagogischen Hochschule ( KPH ) in Wien ein achtsemestriges ökumenisches Bachelorstudium angeboten ( BE d). Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass dort am Institut Ausbildung Religion Ausbildungslehrgänge für katholische, altkatholische, evangelische, orthodoxe, orientalisch-orthodoxe und freikirchliche Religion angeboten werden. Der Erwerb von Kompetenzen in den bibelwissenschaftlichen Fächern spielte im Rahmen dieser Studiengänge nur eine untergeordnete Rolle. 5 An der Universität werden Studierende in neun Semestern ausgebildet. Hier sind die zu belegenden bibelwissenschaftlichen Fächer dieselben wie die des auf das Pfarramt zielenden Studiengangs Evangelische Theologie. Als zu erwerbende Kompetenzen werden für die Studiengänge folgende genannt: »Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Empathie, Toleranzbereitschaft, Kritikfähigkeit, Bewusstsein für Persönlichkeitsentwicklung und die Bedeutung personaler Glaubwürdigkeit, Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Religiosität und Berufsrolle.« 6 Die in den bibelwissenschaftlichen Fächern angestrebten Kompetenzen lassen sich dabei wohl allenfalls der Kritikfähigkeit zuordnen, denn sie zielen im Proseminar auf Kompetenzen der »Beherrschung des klassischen historisch-kritischen 4 http: / / www.kphvie.ac.at/ studieren/ studienangebot/ lehramt-religion.html. 5 Vornehmlich auf Wissenserwerb zielt das Modul »die Bibel erkunden« ( 5 - 04 ; 3 Kurse, 5 ECTS). Psalm 23 kommt im Modul »Sinnfragen stellen« ( 7 - 04 ) und Ex 3 , 14 in »Gott und die Welt denken« ( 7 - 05 ) zum Tragen. http: / / www.kphvie.ac.at/ fileadmin/ Dateien_KPH/ Aus bildung_Allgemein/ curricula/ _Primarstufe_Curriculum_ 15 _ 04 _ 21 .pdf. 6 http: / / senat.univie.ac.at/ fileadmin/ user_upload/ senat/ Konsolidierte_Curricula/ Lehramt/ LA_EvangelischeReligion.pdf, § 2 . Die Kompetenzen sind abgesehen von der letzten identisch mit der für das Bachelorstudium Evangelische Fachtheologie http: / / www.univie.ac.at/ mtbl 02 / 2013 _ 2014 / 2013 _ 2014 _ 218 .pdf, § 1 � Thomas Wagner * 1971, Dr. theol., ist Akademischer Rat an der Bergischen Universität Wuppertal und Privatdozent an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel. Neben seinen Studien zum Alten Testament beschäftigt er sich mit der Entwicklung von hochschuldidaktischen Konzepten zur Vermittlung exegetischer Methodik in den BA - und Lehramtsstudiengängen. Zusammen mit Kurt Erlemann legte er 2013 mit Leitfaden Exegese einen ersten Entwurf zur Gestaltung von Proseminaren für Studierende vor, deren Studiengänge keine Kenntnis biblischer Sprachen vorsehen. 6 Stefan Fischer und Thomas Wagner Methodenkanons und neuerer exegetischer Zugänge zur Auslegung biblischer Texte« 7 . Im Pflichtmodul Exegese des Alten Testaments soll ein »eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten mit alttestamentlichen Texten eingeübt und die Fähigkeit zu selbständigem kritischem Urteilsvermögen erreicht werden« 8 � Die Schweiz besitzt kein nach den einzelnen Berufszielen differenziertes Studiensystem. Das Theologiestudium befähigt zu allen theologischen Berufen. Ein verbindliches Regelstudium zum Religionslehrer fehlt, so dass die Ausbildungsgänge kantonal verschieden sind. Häufig erteilen Absolventen eines Theologie- oder Religionswissenschaftsstudiums den Schulunterricht, nachdem sie zusätzlich zum Abschluss des Fachstudiums ein Lehrdiplom für das Unterrichtsfach Religion für Maturitätsschulen erworben haben. 9 Eine auf eine spätere berufliche Praxis bezogene Kompetenzorientierung kann daher im Theologiestudium nicht stattfinden und scheint auch nicht vorgesehen zu sein. Für die Primarschule wird häufig am Lehrer- und Lehrerinnenseminar die Fachdidaktik »Biblische Geschichte« gelehrt oder an der pädagogischen Hochschule Religion als ökumenischer Freiwahlkurs belegt. Alternativ gibt es für die Ausbildung zur Katechetin oder zum Katecheten einen kirchlichen, berufsbegleitenden dreijährigen Theologiekurs, der durch einen ebenfalls berufsbegleitenden zweijährigen pädagogischen Ausbildungsteil ergänzt wird, so dass es zwar eine klare pädagogische Kompetenzorientierung gibt, diese jedoch nicht mit dem Studium der Theologie verknüpft ist. 10 Für den Pfarrberuf werden in der Deutschschweiz in fünf Bereichen zwölf Kompetenzen zugrunde gelegt: Glaubwürdig leben (Leben aus dem Evangelium, Berufsidentität, Selbstmanagement), Lösungen entwickeln (Hermeneutische Reflexion, Kreativität), Beziehung gestalten (Beziehung und Empathie, Team- und 7 Bachelorstudium Evangelische Fachtheologie: http: / / www.univie.ac.at/ mtbl 02 / 2013 _ 2014 / 2013 _ 2014 _ 218 .pdf, § 5 Pflichtmodul: Methoden der Exegese. 8 Bachelorstudium Evangelische Fachtheologie: http: / / www.univie.ac.at/ mtbl 02 / 2013 _ 2014 / 2013 _ 2014 _ 218 .pdf, § 5 Pflichtmodul: Exegese des Alten Testaments. Ähnlich soll das Basismodul Altes Testament an der Evang. Theol. Fakultät Tübingen mit »Fragestellungen und methodischen Zugängen wissenschaftlicher Exegese vertraut machen« und so die Kompetenz der »Auslegung eines Alttestamentlichen Textes« erreicht werden. Auch wird Einübung der »Grundformen wissenschaftlicher Kommunikation (sachbezogene Kommunikation, Referat etc.)« angestrebt. Modulhandbuch Studiengang Evangelische Theologie: Kirchlicher Abschluss, EvTh-AT 1 , Basis Modul Altes Testament. http: / / www. uni-tuebingen.de/ index.php? eID=tx_nawsecuredl&u= 0 &g= 0 &t= 1 452 267 398 &hash= a 0 ec 18 ad 338 a 7 f 3 fab 21 e 735 e 6 e 613 e 184 abb 968 &file=fileadmin/ Uni_Tuebingen/ Fakultaeten/ Evang-Theol/ downloads/ pruefungsordnungen/ ab_WS 10 - 11 _Pruefungsordnungen/ 1 ._ Theol._Dienstpruefung/ PO_I_ 2010 _AEnderungen_ 21 � 05 � 2012 _-_Modulhandbuch.pdf. 9 Dieses kann z. B. in Zürich am Institut für Erziehungswissenschaften erworben werden ( 60 ECTS). Davon sind 19 ECTS für die berufspraktische Ausbildung vorgesehen. http: / / www. ife.uzh.ch/ llbm/ lehrdiplomfuermaturitaetsschulen/ unterrichtsfaecher/ religion.html# 6 � 10 Vgl. http: / / erkbs.rpz-basel.ch/ ausbildung/ . Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 7 Konfliktfähigkeit), Ergebnisse erbringen (Ziel- und Ergebnisorientierung; Planung und Organisation), Einfluss nehmen (Leitung, Auftritt und Repräsentation, Kommunikation), 11 die während des Theologiestudiums und des Vikariats erworben werden sollen. Obwohl es eine Intiative des Konkordats gibt, das kirchliche und das universitäre Curriculum aufeinander abzustimmen, 12 streben die Kompetenzorientierungen auseinander. Als universitäres Ziel für die bibelwissenschaftlichen Fächer wird angegeben: »Die biblisch-exegetischen Fächer befassen sich mit den Texten des Alten und Neuen Testamentes in den jeweiligen Ursprungssprachen, um die in den biblischen Texten enthaltenen Konzeptionen in literarischer, religionsgeschichtlicher und theologisch-hermeneutischer Hinsicht präzise beschreiben und analysieren zu können.« 13 Wenn das Beschreiben und Analysieren von Konzeptionen die zu erwerbenden Kompetenzen sind, so schließt dieses zwar die hermeneutische Reflexion und eine Ziel- und Ergebnisorientierung ein, deutet aber zugleich auf ein Auseinanderklaffen der Interessen. Die mit dem Bologna-Prozess verbundene Kompetenzorientierung akademischer Lehre stellt sich unter den aktuellen Bedingungen an Universitäten und Hochschulen als besonders problematisch dar. Bedingt durch den Rückgang des Angebots beruflicher, nicht-akademischer Ausbildungsstellen, einer bildungspolitisch geförderten Erhöhung der Akademikerquote jedes Jahrgangs sowie in Deutschland durch die Doppelabiturjahrgänge verzeichnen die Universitäten derzeit ein erhöhtes Aufkommen an Studierenden, durch das die Fächer mit geringen Personalkapazitäten besonders betroffen sind. 14 Ein solches Fach stellt auch die Ev. Theologie und mit ihr die Lehre des Alten und des Neuen Testaments dar. Ein auf die Förderung der für die theologische Lehre genannten Kompetenzfelder ausgerichtetes Studium erscheint unter diesen Bedingungen kaum mehr möglich. Dies gilt (in Deutschland) allerdings nur für die Studiengänge, in denen sich Studierende für das Lehramt in Regelschulen und Sonderschulen qualifizieren. Die Anzahl der Theologiestudierenden, die sich auf einen Dienst im Pfarramt vorbereiten, ist seit den 80 er Jahren des 20 . Jahrhunderts rückläufig. In den letzten Jahren zeichnete sich eine leichte Veränderung ab, da die Studierendenzahlen mittlerweile stabil, für den zukünftigen Bedarf der Kirchen jedoch zu gering sind. 11 https: / / www.bildungkirche.ch/ innovation/ bildungsforschung/ kompetenzstrukturmodell. 12 https: / / www.bildungkirche.ch/ dokumente/ Gesamtcurriculum/ Einleitung_Standards_kirchli che_Ausbildung 0212013 -def.pdf. 13 http: / / www.theologiestudium.ch/ studium/ studium/ Identisch auf der Webseite der Theologischen Fakultät der Universität Zürich: www.theologie.uzh.ch/ de/ studium/ theologie.html. 14 Derzeit entscheiden sich mehr als 50 % eines jeden Abiturjahrgangs für ein Hochschulstudium. Vgl. dazu Koch, Universität, 1002 � 8 Stefan Fischer und Thomas Wagner Die unter den beschriebenen Bedingungen schwierigen Lehr- und Lernprozesse in den Bibelwissenschaften werden von einem weiteren, maßgeblichen Aspekt bestimmt. Die in früheren Generationen durch das Sprachenstudium in humanistischen Gymnasien schon vor dem Studium vorhandene Kenntnis biblischer Ursprachen sowie die durch die Teilnahme an Kinder- und Schulgottesdiensten, Schul- und Konfirmandenunterricht sowie sonstigen gemeindlichen Angeboten, in denen Kinder und Jugendliche mit biblischen Erzählungen in Kontakt kamen und diese kennen lernten, bereits vor dem Studium erworbene Kenntnis der Texte des Alten und des Neuen Testaments sind bei vielen Studierenden kaum oder gar nicht mehr vorhanden. Dieser Verlust an Wissen über biblische Sprachen und Texte geht mit einer im Raum der Kirche verstärkt wahrnehmbaren Tendenz zur Indifferenz gegenüber den eigenen Traditionen und den mit ihnen verbundenen Bildungsgehalten einher. Die V. Studie der EKD zur Kirchenmitgliedschaft von 2014 15 zeigt, dass auch die in den Kirchen engagierten Menschen zunehmend weniger von den Grundlagen des Christentums wissen. Bereits die Hälfte aller in dieser Studie Befragten geben an, dass sie einer religiösen Sozialisation ihrer eigenen Kinder keine oder nur geringe Bedeutung zumessen. 16 Dieser Trend lässt vermuten, dass das Wissen über die Inhalte biblischer Schriften weiter rückläufig sein wird. Gegenläufig ist zeitgleich zu beobachten, dass der Grad der Verbundenheit kirchlich engagierter Jugendlicher und junger Erwachsener zunimmt. Dies ist vor allem auf die Bindung der Einzelnen an die sich konstituierenden Klein- und Projektgruppen zurückzuführen. Es ist zu vermuten, dass aus der Gruppe dieser jungen Erwachsenen der Hauptanteil aller Theologie Studierenden entstammt. Dabei sind die Biografien weniger geradlinig und von einer Suche nach religiöser Identität bestimmt, die zum Theologiestudium und oftmals auch zur Institution Kirche führt. Das hohe Engagement dieser Gruppe wirkt sich, so die Erfahrung vieler an den Universitäten Lehrender, nicht auf eine breitere Kenntnis biblischer Texte und kirchlicher Auslegungstraditionen aus. 17 Dies mag damit zu tun haben, dass religiöse Kommunikation zumeist auf der Ebene eines existenziell-religiösen Austausches zwischen Wahlverwandten und/ oder engsten Vertrauten stattfindet. 18 Die informativ-intellektuelle Dimension von Religion tritt als Teil christlicher Sozialisation hingegen zunehmend in den Hintergrund, so dass Wissen über den In- 15 EKD, Engagement. 16 Vgl. EKD, Engagement, 10 � 17 Die Kenntnis grundlegender biblischer Geschichten ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern ist eine im Studium zu erwerbende Kompetenz. So fordert etwa das Modul »Bibel erkunden« im Bachelorstudium für das Lehramt Primarstufe in Österreich: Studierende »kennen grundlegende biblische Geschichten«. http: / / www.kphvie.ac.at/ fileadmin/ Dateien_KPH/ Ausbildung_Allgemein/ curricula/ _Primarstufe_Curriculum_ 15 _ 04 _ 21 .pdf, prim 5 - 04 ; 326 � 18 Vgl. EKD, Engagement, 7 f. Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 9 halt und die Kontexte biblischer Schriften im Bereich kirchlich-religiösen Lebens immer seltener Gegenstand des Austausches sind. Als kirchliches Engagement wird vor allem die Übernahme von Leitungsaufgaben sowie die Mitwirkung in Gottesdiensten, in Chören oder Musikgruppen verstanden, die zu regelmäßiger oder projektbezogener Mitarbeit in der Kirchengemeinde führen. Teilnahme am kirchlichen Leben bekommt also verstärkt eine soziale Bedeutung, durch die die informativ-intellektuelle Dimension nicht gefördert bzw. weiter in den Hintergrund gerückt wird. Dieses Verständnis von Christentum und seiner Praxis bringen viele Studierende an die Universitäten und Hochschulen mit. Es kann dazu führen, dass sie Mühe haben, den Wert der informativ-intellektuellen Dimension von Religion als Voraussetzung ihrer späteren Berufspraxis zu erkennen und sich darauf einzulassen. Dabei wird eben diese Dimension für diejenigen, die sich heute für eine auf dem Theologiestudium basierende Tätigkeit qualifizieren, entscheidend werden. Diesbezüglich zeigt die V. Studie der EKD zur Kirchenmitgliedschaft, dass die Verschiebung des Religiösen in eine private Frömmigkeit dazu führt, dass sich Gläubige in zunehmendem Maße als »Akteure religiöser Kommunikation« 19 verstehen, die die Qualität des Angebots kirchlichen und schulischen Handelns einschätzen. »Selbstbewusste Akteure werden zunehmend anspruchsvoll nach inhaltlich überzeugenden, persönlich zugewandten und sorgfältig inszenierten Angeboten« 20 fragen. Hier weiß die Theologin/ der Theologe nur dann zu überzeugen, wenn er einen sicheren Umgang mit den Gehalten der biblischen Schriften und mit den Auslegungsansätzen dieser Traditionen verfügt, um diese in qualitativ hochwertige Vermittlungsprozesse umsetzen zu können. Dies kann nur dann gelingen, wenn ein reflektierter und gefestigter Umgang mit Inhalten und Denkmustern gegeben ist. Dieser im Raum der Kirche erkennbare Trend geringer werdenden Wissens der Inhalte biblischer Schriften ist in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebunden, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Seit den Nachkriegsjahren verlieren die für das Gemeinschaftswesen wichtigen Institutionen wie politische Parteien, Gewerkschaften und Kirchen zunehmend an Akzeptanz in der Bevölkerung, was zu hohen Rückgängen der Mitgliederzahlen führt. Nicht nur bezüglich religiöser Fragestellungen lässt sich also ein Rückzug in das Private beobachten, auch (sozial-)politisch fand und findet er statt. Diese Tendenz wurde und wird nur temporär unterbrochen. Bezogen auf eine öffentliche Wahrnehmung von Religion stellt der 11 . September 2001 mit seinen Ereignissen ein entscheidendes Datum dar. Doch auch wenn Religion und die mit ihr verbundenen Ansichten und Ver- 19 EKD, Engagement, 17 � 20 EKD, Engagement, 17 � 10 Stefan Fischer und Thomas Wagner haltensweisen ein mediales Thema wurde, änderte die öffentliche Auseinandersetzung mit den abrahamitischen Religionen wenig in Bezug auf das in der deutschen Gesellschaft verbreitete Wissen über die Grundlagentexte dieser drei Religionen. Die mediale Berichterstattung wendet sich weitgehend nur den Auswirkungen des religiösen Fundamentalismus zu. Die Suche nach seinen Ursachen bleibt auf aktuelle soziale Gegebenheiten der europäischen und orientalischen Kulturen beschränkt. Religiöse Botschaften werden als Mittel zur Manipulation dargestellt, mit denen Jugendliche, die in sozial schwierigen Situationen aufwuchsen, verführt werden. Religion wird in der deutschsprachigen Berichterstattung so entweder als Mittel zur Radikalisierung oder als politische Ideologie verstanden und vermittelt. Ein differenziertes Wissen über die Traditionen der abrahamitischen Religionen, ihren Ursprüngen und den Auslegungstraditionen ihrer Grundlagentexte würde sicherlich ein gesamtgesellschaftlich differenzierteres Bild entstehen lassen. Ein solcher Umgang ist gerade angesichts der gegenwärtigen Einwanderung von Flüchtlingen angebracht. Die wachsende Bedeutung des Studienfaches Religionswissenschaft könnte dieser Entwicklung Rechnung tragen, aber auch alle in den Bibelwissenschaften Lehrenden stehen hier vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Schließlich wirken sich Trends der Medialisierung der Gesellschaft auf die universitären Lehr-/ Lernprozesse auf zwei Ebenen aus: Jugendliche und junge Erwachsene lesen zunehmend weniger in Printmedien. Informationsaufnahme erfolgt vermehrt über digitale Medien, die eine Kombination von kurzen Texten sowie von Bild- und Filmsequenzen anbieten. Dies führt dazu, dass junge Erwachsene zwar darin geschult sind, Informationsgehalte unterschiedlicher Medien schnell miteinander kombinieren zu können, um die vermittelte Botschaft zu verstehen, sie aber in zunehmendem Maße die Kompetenz verlieren, sich Sinngehalte längerer Textpassagen zu erschließen. Von dieser Veränderung sind alle textbasierten Wissenschaften und damit auch die Bibelwissenschaft betroffen. Zugleich führt das veränderte Verhalten bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung dazu, dass Studierende nur schwer Zugang zu traditionellen akademischen Lehrformaten finden. Die mit der Digitalisierung von Informationsvermittlung einhergehende Interaktionalität führt dazu, dass Studierende an häufige Impulswechsel und eine entsprechende Reaktionsfrequenz gewöhnt sind. Längere Phasen ruhigen und konzentrierten Zuhörens oder Lesens fallen ihnen zunehmend schwerer. Dies führt dazu, dass Lehrende, die klassische universitäre Lehr-/ Lernformate anbieten, feststellen, dass Studierende das Lernziel häufig nicht erreichen. Hier steht die Hochschuldidaktik vor der großen Aufgabe, Lehr-/ Lernprozesse den Verstehens- Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 11 möglichkeiten der Studierenden anzupassen 21 und dabei die klassischen Formen universitärer Lehre weiterzuentwickeln. Ziel des Hochschulstudiums kann es nur sein, auch die kommenden Generationen in die Lage zu versetzen, in unterschiedlichen Formen vorgetragenen Argumentationsgängen folgen und diese in ihren Wissens- und Erfahrungsschatz einordnen zu können. 22 2. Zur Restrukturierung theologischer Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses Neben der sich maßgeblich verändernden Sozialisation von Studierenden durch eine Verschiebung des Religiösen in das Private und durch die Multimedialisierung von Vermittlungsprozessen stehen die bibelwissenschaftliche Fächer Lehrenden vor Problemstellungen, die durch die Restrukturierung der theologischen Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses hervorgerufen wurden. Die Restrukturierung der Studiengänge führte zu einer Verschärfung der didaktischen Bedingungen für die Dozierenden. Während die Lehramtsstudiengänge in Deutschland in ein BA - und ein MA -Studium getrennt wurden, in denen im BA -Studium die fachwissenschaftlichen und im MA -Studium die berufsspezifischen Inhalte vermittelt werden, sehen die Pfarramtsstudienordnungen der deutschen evangelischen Landeskirchen ein zwölfsemestriges MA -Studium mit einer Zwischenprüfung vor, das an der alten Examensordnung orientiert ist. In der deutschsprachigen Schweiz und in Österreich stellten die Fakultäten auf ein Bachelor- und Masterstudium um, das nach dem sechsten bzw. zehnten Semester abgeschlossen werden kann. In Österreich lief das Diplomstudium mit Abschluss Magister bzw. Magistra zum SoSe 2015 aus. Nunmehr bildet der Masterabschluss die Voraussetzung für die Zulassung zum Vikariat. In der Schweiz wird von den reformierten Kirchen zusätzlich ein ekklesiologisch-praktisches Semester ( EPS ) verlangt, welches in der Regel zwischen dem Bachelor- und Masterabschluss absolviert werden soll. Es zielt darauf, »Einblick in die vielfältigen Formen und Ver- 21 Vgl. Koller/ Klatt, Lehre, 449 : »Die Studierenden und ihre Lernprozesse müssen im Mittelpunkt der Lehrplanung und Lehrgestaltung stehen.-[…] Wir Lehrende müssen unsere innere Einstellung verändern. Die Studierenden geraten dann in den Mittelpunkt unserer Einstellung zur Lehre, wenn wir uns als Unterstützer studentischen Lernens verstehen.« 22 Preißler, Hochschuldidaktik, 25 , weist darauf hin, dass wissenschaftliche Lehr-/ Lernprozesse auch den Effekt akademischer Sozialisation der Studierenden besitzt: »Wissenschaftliches Handeln in einem Fachgebiet als Lernergebnis der Hochschulausbildung umfasst neben seinem kognitiven Inventar- - seiner Wissensbestände, Forschungsgebiete, Objektbegriffe, Grundkonzepte, der Methodik, Fragestellungen und fachspezifischen Vorgehensweisen usw.-- auch die gemeinsam geteilten Werte und Normen, sozialen Praktiken und Handlungsbereitschaften der Fachangehörigen.« 12 Stefan Fischer und Thomas Wagner netzungen von Kirche zu bekommen, sich selber in diesem Kontext auszuprobieren und die eigenen Kompetenzen im Blick auf den Pfarrberuf einzuschätzen und zu erweitern.« 23 De jure kommt es so zu einer Studienverlängerung, da im alten Studiensystem das Studium in acht sprachfreien Semestern absolviert werden konnte. Die stärkere Verschulung des Studiums scheint in der Praxis dem jedoch entgegenzusteuern, so dass die Studienzeit in etwa gleich geblieben ist. Für das Pfarramtsstudium bedeutet dies, dass die fachwissenschaftliche Vermittlung über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt und daher die Chance, einen in Breite und Tiefe zum einen der Komplexität des Fachgegenstandes entsprechenden und zum anderen den späteren Berufsanforderungen gerecht werdenden nachhaltigen Lernprozess auszulösen, wesentlich höher ist. Hier stehen Lehrende in den Bibelwissenschaften vor einer großen Herausforderung: Der historisch-kritische Umgang mit biblischen Texten setzt ein vertieftes Wissen über die antiken Kulturen des östlichen Mittelmeers sowie des Vorderen Orients und Ägyptens voraus. Diesen Standard können und dürfen Dozierende an deutschsprachigen Hochschulen nicht aufgeben, um die Vermittlung biblischer Gehalte durch die nächste Generation nicht zu einer aus den antiken Abfassungsgegebenheiten losgelösten, naiven Lektüre biblischer Texte werden zu lassen. 24 Die in Deutschland durch die Differenzierung theologischer Studiengänge in ein BA -/ MA -Studium für die Lehramts- und ein reines MA -Studium für die Pfarramtskandidatinnen und -kandidaten hervorgerufene Spaltung wird durch die in den Studiengängen differenten örtlichen Voraussetzungen zunehmend größer. Durch die derzeit feststellbare Erhöhung der Anzahl von Studierenden in Lehramtsstudiengängen und den gleichzeitigen Rückgang von Pfarramtsstudierenden ergeben sich unterschiedlich große Lerngruppen. Der Rückgang an Theologiestudierenden im Pfarramtsstudium in den vergangenen beiden Jahrzehnten führte dazu, dass die Lerngruppen an den meisten Standorten kleiner wurden, so dass in den einzelnen Veranstaltungen das individuelle Lernverhalten der Studierenden von den Dozierenden wahrgenommen und der akademische Unterricht auf die Lernvoraussetzungen der einzelnen Studierenden ausgerichtet werden kann. Die an vielen deutschen Fakultäten übliche Integration der Lehramtsstudenten für 23 https: / / www.bildungkirche.ch/ ausbildung/ kirchliche-ausbildung-der-konkordatskirchen-im-theologiestudium/ ekklesiologisch-praktisches-semester-eps. 24 Dies wiederum führt zu einer Überlastung des BA-Studiums, wie Huebenthal, Kompetenz, 68 , im Vergleich der Studiengänge der katholischen Theologie (Lehramt, Priesteramt, BA-Studium) aufzeigt: »Der umfangsreichste Kompetenzerwerb wird von den BA-Studierenden erwartet, da sie im Eingangsmodul nicht nur exegetische Methoden kennen und anwenden, sondern die Methoden (und die hinter ihnen stehenden geistesgeschichtlichen Voraussetzungen bzw. Hermeneutiken) auch beurteilen lernen sollen. Wie dies im Rahmen eines einzigen Moduls- - womöglich in einer einzigen Lehrveranstaltung, dem Proseminar Exegetische Methodik-- erreicht werden soll, bleibt offen.« Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 13 das höhere Lehramt (Sek. II ) in die auf die Pfarramtsstudierenden ausgerichteten Veranstaltungen verändert dieses Bild nur unwesentlich. Anders sieht es hingegen an den Standorten aus, an denen Ev. Theologie mit dem Studienziel Lehramt angeboten wird. In den Instituten ist die Studierendenzahl nicht zuletzt aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge stark angewachsen, so dass Veranstaltungen derzeit regelmäßig mit mehr als 50 Teilnehmenden stattfinden müssen. Meist sind die theologischen Fächer an den Instituten nur mit jeweils einem Lehrstuhl pro Fachdisziplin oder mit noch geringeren Personalmitteln ausgestattet. Ein breiteres Angebot an Lehrveranstaltungen in den bibelwissenschaftlichen Fächern ist daher nicht möglich. 25 Die an diesen Orten Dozierenden müssen sich entsprechend auf große Lerngruppen einstellen, in denen sie in den klassischen Lehrformaten weder die Chance besitzen, Lernprozesse an individuelles Lernverhalten anzupassen, noch den Lernfortschritt aller Teilnehmenden durchgehend im Blick zu behalten. Sie stehen vor der besonderen Herausforderung, die Vermittlung von Kompetenzen und Inhalten an Lernformate anzupassen, die in Großgruppen praktizierbar sind, die individuell unterschiedliches Lernverhalten aufnehmen und einbinden, die den Dozierenden in regelmäßigen Abständen einen Einblick in den Lernfortschritt der Teilnehmenden ermöglichen und die den veränderten Prüfungsbedingungen in den seit der Studienreform eingeführten BA - und MA -Studiengängen gerecht werden. 26 In Deutschland führte die Trennung des Theologiestudiums für das Lehramt in ein BA - und ein MA -Studium de facto zu einer Studienzeitverkürzung, 27 da die fachwissenschaftlichen Gehalte Teil der ersten Studienphase ( BA -Studium) sind. Doch schon diese Phase ist auf die zu erwerbenden Kompetenzen ausgerichtet. Mit den Schlagwörtern employability and civilisation wurden im Bologna-Prozess zwei Dimensionen des Lernens benannt, die bis zur Reform ebenfalls Gegenstand akademischer Lehr-/ Lernprozesse waren, 28 die nun aber in das Zentrum dieser Prozesse gerückt sind. 29 Der mit diesen beiden Dimensionen häufig gleich- 25 Pletl/ Schindler, Umsetzung, 36 , sprechen darüber hinaus das Problem an, dass die geringe Personalausstattung an deutschen Universitäten dazu führt, dass Veranstaltungen so ausgerichtet werden müssen, dass sie kompatibel für alle angebotenen Studiengänge des Faches sind. 26 Ein Beispiel einer solchen Lehrveranstaltung zur Vermittlung exegetischer Methoden stellt Huebenthal, Kompetenz, 74 - 81 , dar. 27 Eine Konzentration der fachwissenschaftlichen Inhalte auf das sechssemestrige BA-Studium und damit eine de facto Verkürzung des Fachstudiums ergab sich bei fast allen Fächern (vgl. Pletl/ Schindler, Umsetzung). 28 Vgl. Schaeper/ Wolter, Hochschule, 611 : »Nicht erst seit Bologna haben die deutschen Hochschulen den Auftrag, Qualifikationen und Kompetenzen zu vermitteln, die auch jenseits von Wissenschaft und Forschung beruflich verwertbar sind.« 29 Wie ein solches Kompetenzmodell für die Bibelwissenschaften aussehen kann, skizziert Huebenthal, Kompetenz, 70 . Sie differenziert zwei Ebenen, aus denen sich exegetische Kompe- 14 Stefan Fischer und Thomas Wagner gesetzte Praxisbezug von Studieninhalten führt oftmals dazu, dass Studierende von Dozierenden erwarten, Anwendungswissen 30 zu vermitteln. Diese Forderung, der Studierende häufig in Evaluationen von Lehrveranstaltungen oder bei hochschulinternen Umfragen Ausdruck verleihen, stimmt nicht mit den von der EKD postulierten, für das theologische Lehramt nötigen Kompetenzen überein. Die Prozesse von der Textwahrnehmung bis hin zu einem reflektierten Umgang mit biblischen Texten in einer beruflichen Praxis lassen sich nicht in Lehrveranstaltungen derart abbilden, dass Studierenden die Ergebnisse solcher Prozesse dargestellt und sie auf diese Weise in die Lage versetzt werden, sie in eine tägliche Praxis zu übertragen. Vielmehr ist es nötig, Studierende zu befähigen, diesen Prozess eigenständig durchzuführen, um die Botschaft der biblischen Schriften Lerngruppen spezifisch vermitteln zu können. 31 Mit dieser Zielsetzung stoßen Dozierende tenz, also die Fähigkeit, biblische Texte auslegen zu können, ergibt: »Zum einen geht es hier um Aneignung, Training, und Weiterentwicklung methodischer Fertigkeiten, zum anderen um den Erwerb und die Vernetzung von Fachwissen rund um die Bibel als auch ihrer Auslegung(sgeschichte). Die Idee dahinter ist, dass die Studierenden stufenweise ihr Wissen und ihre Fertigkeiten erweitern und beides immer wieder miteinander verschränkt wird.« 30 Ziel einer Konzentration auf den Aspekt employability ist es, berufspraktische Kompetenzen in das Studium zu integrieren (vgl. Pletl/ Schindler, Umsetzung, 35 ). Dies meint nicht, im Studium Anwendungswissen für eine spätere Umsetzung im beruflichen Handlungsfeld zu vermitteln. Nicht zu leugnen ist, dass die Intention der Studierenden über einen rein fachlichen Utilitarismus hinausgeht, wie Kohler, Schlüssel, 5 f., dies sieht: »Von diesen normativen und politischen Ansätzen abgesehen, handelt es sich bei der Vermittlung von ›employability‹, zu der die Heranbildung von Schlüsselkompetenzen instrumentell gehört, schließlich aber auch schlicht um eine individuelle Erwartung der Studierenden. Studierende betrachten das Studium zumindest auch, und zwar in den wohl meisten Fällen primär, als Zugang zu spezifischen Lebenschancen, nämlich als Entrée für berufliche Tätigkeiten. Sie verstehen Studium als Instrument des Erwerbs, der persönlichen Verwirklichung in Beruflichkeit und als Medium zum Erlangen sozialer Geltung.« Wie Blasberg-Kuhnke, Bilden, 12 , hervorhebt, besteht die zentrale Kompetenz der Lehrerin/ des Lehrers darin, Lehren und Lernen zu organisieren. Dafür bedarf es der Fähigkeit, »Orientierungswissen und Schlüsselqualifikationen interdisziplinär zu erwerben und zu erschließen«. Dieses gilt auf allen Ebenen theologischen Lehrens, so dass breites theologisches, pädagogisches und didaktisches Wissen von Nöten sind, um der Aufgabe, Lehren und Lernen zu organisieren, gerecht werden zu können. 31 Vgl. Spoun, Studium, 47 : »Studium hat zunächst mit der Entwicklung einer Haltung zu tun, einer Haltung der Offenheit, des Entdeckungsgeistes, des Mutes zu Neuem und des Hinterfragens von Altem. Im Studium sollen Fähigkeiten erworben werden, die helfen, das eigene Leben und gesellschaftliche Aufgaben verantwortlich und in Freiheit gestalten zu können, während des Studiums und auch danach.« Vgl. auch Köhler, Schlüssel, 7 f. Daher besitzt vor allem das Selbststudium einen hohen Wert, da es Studierende dazu befähigt, unterschiedliche Kompetenzen auszuprägen, die über die Vermittlung und Einübung von Fachwissen weit hinaus gehen: »Gerade im Selbststudium erleben sie [die Studierenden], wie erfüllend, sinnstiftend und identitätsbildend die intellektuelle und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fach ist« (Koller/ Klatt, Lehre, 449 ). In Großgruppen ist die Einbindung von Selbststudieneinheiten ein Mittel, die Kompetenzen der Studierenden nachhaltig zu fördern. So zeigen Schaeper/ Wolter, Hochschule, 621 , in einer empirischen Studie den Wert des Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 15 vielerorts auf Unverständnis bei den Studierenden. Sicherlich gilt es, nach einem Ausgleich zwischen den Positionen zu suchen, zum einen um einen Konsens über den Lehr-/ Lernprozess zu erzielen, zum anderen, um den Studierenden die Chance auf einen Bewusstseinswandel zu gewähren. Bibelwissenschaftliche Lehr-/ Lernprozesse sollen stets die Zielsetzung besitzen, Studierenden den Zugang zu eigenständigen, wissenschaftlich verantworteten theologischen Positionen auf Basis des Textstudiums zu ermöglichen. Diese Aufgabenstellung änderte sich auch mit dem Bologna-Prozess nicht, wurde aber aufgrund der Studienzeitverkürzung umso anspruchsvoller. 3. Zum Entstehen und zur Zielsetzung dieser Zeitschrift Die aus den gegenwärtigen Bedingungen von Lehr-/ Lernprozessen in den Bibelwissenschaften resultierenden Problemstellungen sind für die Lehrenden kaum mehr zu bewältigen. Den Bedarf, auf die sich für Dozierende und Studierende verändernden Bedingungen des akademischen Studiums adäquat zu reagieren, erkannte der Katholische Fakultätentag bereits in den 1990 er Jahren. Dieser gewann die Deutsche Bischofskonferenz als Finanzier einer curricularen hochschuldidaktischen Aus- und Fortbildung für Dozentinnen und Dozenten der katholischen Theologie. Aus dem Kreis der Absolventen bildete sich das Netzwerk Theologie und Hochschuldidaktik, das grundsätzlich überkonfessionell ausgelegt ist, das aber aufgrund der Beschränkung der Teilnahme an der hochschuldidaktischen Aus- und Fortbildung auf katholische Theologinnen und Theologen bis heute größtenteils katholische Mitglieder besitzt. Im Bereich der Evangelischen Theologie wurde das Thema bezogen auf die Bibelwissenschaften durch eine von Melanie Köhlmoos 2014 an der Universität Frankfurt unter dem Titel Verstehen von Anfang an initiierten Tagung erstmals intensiver behandelt. Der Verlauf der Tagung zeigte, dass an verschiedenen deutschen Universitäten profilierte hochschuldidaktische Konzepte entwickelt wurden, die bis zur Tagung kaum über die jeweilige Universität hinaus bekannt waren. Bisher gab es keinen Ort für einen Erfahrungsaustausch, Reflexion und Fortentwicklung dieser Ansätze. Als Reaktion auf das Bedürfnis der teilnehmenden Dozentinnen und Dozenten, im weiteren Austausch zu bleiben, wurde zum Abschluss der Tagung unter dem Titel der Tagung ein Forum für bibelwissenschaftliche Didaktik gegründet. Dieses führte seine erste Jahrestagung 2015 im Theologischen Selbststudiums auf: »Die empirische Untersuchung der Faktoren, die den Kompetenzerwerb fördern, belegt einmal mehr die Effektivität studienzentrierter, aktivierender Lehr-/ Lernformen. Sie tragen sowohl zu einem höheren Niveau an Fachkompetenz als auch an Schlüsselkompetenzen bei.« 16 Stefan Fischer und Thomas Wagner Zentrum Wuppertal durch. Gegenstand der Tagung war die hochschuldidaktische Methodik des exegetischen Proseminars. Ergebnisse dieser Tagung werden in der zweiten Ausgabe dieser Zeitschrift vorgestellt. Die während der Tagung sichtbar gewordenen Problemlagen, in denen sich Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten der theologischen Studiengänge derzeit befinden, rufen unterschiedliche Bedürfnisse hervor, die Grundlage des Konzepts von Verstehen von Anfang an sind. Mit der Zeitschrift bieten wir ein Forum für alle, die sich dieser Aufgabe stellen. Gegenstand der Zeitschrift wird es in den kommenden Jahren sein, Dozierende in Problemstellungen der fachspezifischen Hochschullehre einzuführen, mit Lehr-/ Lernbeispielen akademischer Lehre Möglichkeiten zu präsentieren, die Lehrpraxis zu erweitern, und Lehrende zur Reflektion ihrer eigenen Praxis einzuladen. Dies möchten wir innerhalb der Zeitschrift auf unterschiedliche Weise befördern. Nach der Aufnahme von Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik in dieser Ausgabe wird die Zeitschrift Themenhefte umfassen, die grundlegende Beiträge zum jeweiligen Thema des Hefts, Lehr-/ Lernbeispiele aus der Hochschulpraxis, Rezensionen zu Publikationen, die im akademischen Unterricht eingesetzt werden oder sich mit diesem auseinandersetzen, sowie ein Interview mit einer Exegetin bzw. einem Exegeten, in dem sie/ er Motivation, Schwerpunktsetzung und Konzept der eigenen Lehrpraxis darlegt, beinhalten. Ergänzt werden die Lehr-/ Lernbeispiele durch Materialien für den Einsatz der vorgestellten Praxis, die online abgerufen werden können. Die Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik, die in Heft 1 präsentiert werden, sind mannigfaltig. Im Eingangsartikel regt Sandra Huebenthal zu einer Verbesserung exegetischer Lehre an deutschsprachigen Hochschulen an, in dem sie ihren eigenen Bildungsweg sowie ihre Lehrpraxis reflektierend aus hochschuldidaktischer Perspektive Lehr-/ Lernprozesse für den exegetischen Unterricht und die für ein Gelingen dieser Prozesse entscheidenden Kriterien nennt. Norbert Brieden geht in seinem Beitrag aus der Perspektive konstruktivistischer Religionspädagogik auf den Prozess des Verstehens ein. Für ihn stellt der Anspruch, von Anfang an zu verstehen, eine Paradoxie dar, die sich durch die Reflexion des Verstehensprozesses auflöst. Er weist den hohen Wert der Irritation für das Lernen aller am Lehr-/ Lernprozess Teilnehmenden auf, die einen ständigen Perspektivwechsel zulässt, der ein forschendes Lernen erst möglich werden lässt. Einen texttheoretischen Zugang zur Hochschuldidaktik in den Bibelwissenschaften bietet Melanie Köhlmoos in ihrem Beitrag. In ihm zeigt sie auf, welche Kompetenzen heutige Studierende bezogen auf die Entwicklung von Texttheorien besitzen. An den Beispielen der Genese der Harry-Potter-Romane, der Star-Wars-Saga und der Herr-der-Ringe-Trilogie, mit denen die heutigen Studierenden aufwuchsen, legt sie das große Potential der Studierenden offen, sich mit Texttheorie und ihren Hypothesen zur Textentstehung akademisch beschäftigen zu können. Im letzten Verstehen von Anfang an-- Exegese und Hochschuldidaktik 17 Hauptbeitrag geht Jan Heilmann auf die Möglichkeiten der Begleitung von Lehrveranstaltungen durch eLearning-Elemente ein. Er hebt hervor, dass der Einsatz von eLearning kollaboratives Forschen und individuelles Lernen ermöglicht, durch das vor allem in Großgruppen individualisierte Lernprozesse besser als im reinen Präsenzunterricht möglich sind. Abgeschlossen wird Heft 1 schließlich mit zwei Rezensionen und einem Interview. Andreas Lindemann gewährt einen Einblick in seine hochschuldidaktischen Schwerpunktsetzungen im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel, an der Universität Bielefeld und an weiteren deutschen Hochschulen und Universitäten. Die neue Zeitschrift ist Teil des Forums Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an. Neben der Zeitschrift sind die Jahrestagungen fester Bestandteil des Forums. Die zweite Jahrestagung wird vom 26 .- 29 . September 2016 an der Technischen Universität Dresden durchgeführt. Sie wird sich dem Thema Bildmedien im bibelwissenschaftlichen Unterricht widmen. Auf der Tagung werden Varianten des Einsatzes von Bildmedien zwischen Ikonographie und Rezeption sowie die damit verbundenen didaktischen Konzepte thematisiert. Literatur Blasberg-Kuhnke, Martina: Bilden für den Religionsunterricht-- Theologie studieren zwischen Bologna-Prozess und Religionsunterricht in der Schule, in: Betzikofer, Norbert/ Lätzel, Martin (Hg.): »Ihr sollt meine Zeugen sein« (Apg 1,8). Glauben leben und weitergeben ( FS Schulte), Münster 2009, 12-22� Evangelische Kirche in Deutschland, Die Bedeutung der wissenschaftlichen Theologie für Kirche, Hochschule und Gesellschaft ( EKD Texte 90), Hannover 2007� Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.): Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung ( EKD Texte 96), Hannover 2008� Evangelische Kirche in Deutschland: Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, V. EKD -Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Hannover 2014� Huebenthal, Sandra: Was ist exegetische Kompetenz? , in: Bruckmann, Florian/ Reis, Oliver/ Scheidler, Monika (Hg.): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion-- Reflexion-- Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Berlin 2011, 65-84� Kohler, Jürgen: Schlüsselkompetenzen und »employability« im Bologna-Prozess, in: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e. V., Schlüsselkompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit. Konzepte für die Vermittlung überfachlicher Qualifikationen an Hochschulen (Positionen), Essen 2004, 5-15� 18 Stefan Fischer und Thomas Wagner Koch, Lambert T.: Die vereinnahmte Universität. Ein Appell für Offenheit mit Augenmaß, F&L 22 (2015), 1002-1004� Koller, Sabine/ Klatt, Matthias: Lehre in der Krise? Warum sich die Verhältnisse ändern müssen und nicht die Ideale, F&L 19 (2012), 448 f. Preißler, Rüdiger: Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik, in: Bruckmann, Florian/ Reis, Oliver/ Scheidler, Monika (Hg.): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion-- Reflexion-- Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Berlin 2011, 17-36� Pletl, Renate/ Schindler, Götz: Umsetzung des Bologna-Prozesses. Modularisierung, Kompetenzentwicklung, Employability, HSW 55 (2007), 34-38� Schaeper, Hilde/ Wolter, Andrä: Hochschule und Arbeitsmarkt im Bologna-Prozess. Der Stellenwert von »Employability« und Schlüsselkompetenz, ZfE 11 (2008), 607-625� Spoun, Sascha: Ein Studium für’s Leben. Reflexion und Zukunft der Bologna-Reform deutscher Hochschulen: eine Alternative, HSW 55 (2007), 46-53� https: / / www.bildungkirche.ch/ ausbildung/ kirchliche-ausbildung-der-konkordatskirchen-im-theologiestudium/ ekklesiologisch-praktisches-semester-eps, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� https: / / www.bildungkirche.ch/ dokumente/ Gesamtcurriculum/ Einleitung_Standards_ kirchliche_Ausbildung0212013-def.pdf, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� https: / / www.bildungkirche.ch/ innovation/ bildungsforschung/ kompetenzstrukturmodell, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / erkbs.rpz-basel.ch/ ausbildung/ , letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / www.ife.uzh.ch/ llbm/ lehrdiplomfuermaturitaetsschulen/ unterrichtsfaecher/ religion. html#6, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� https: / / intra.univie.ac.at/ fileadmin/ download/ Handbuch_f%C3% BC r_Lehrende.pdf, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / www.kphvie.ac.at/ fileadmin/ Dateien_ KPH / Ausbildung_Allgemein/ curricula/ _Primarstufe_Curriculum_15_04_21.pdf, letzter Zugriff: 07. 01. 2016� http: / / www.kphvie.ac.at/ studieren/ studienangebot/ lehramt-religion.html, letzter Zugriff: 07. 01. 2016� http: / / senat.univie.ac.at/ fileadmin/ user_upload/ senat/ Konsolidierte_Curricula/ Lehramt/ LA _EvangelischeReligion.pdf, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / www.theologiestudium.ch/ studium/ studium/ , letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / www.theologie.uzh.ch/ de/ studium/ theologie.html, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� http: / / www.unituebingen.de/ index.php? e ID =tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1 452 267 398&hash=a0ec18ad338a7f3fab21e735e6e613e184abb968&file=fileadmin/ Uni_Tuebingen/ Fakultaeten/ EvangTheol/ downloads/ pruefungsordnungen/ ab_ WS 10-11_Pruefungsordnungen/ 1._Theol._Dienstpruefung/ PO _I_2010_ AE nderungen_21�05�2012_ _Modulhandbuch.pdf , letzter Zugriff 07. 01. 2016� http: / / www.univie.ac.at/ mtbl02/ 2013_2014/ 2013_2014_218.pdf, letzter Zugriff: 04. 01. 2016� Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 1 Vom Zauber der Schriftauslegung Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese Sandra Huebenthal Abstract | This contribution deals with the relation of exegesis and teaching strategies. It works from the observation that recipients initially come with an enthusiasm for biblical texts and are eager to learn more, but their enthusiasm fades when they are confronted with the standard exegetical methods that render exegesis to be some kind of secret science which is, on top, far from their actual life and faith. Standard secondary sources seem to be of little help either, for they often discuss all kinds of methodological and research questions instead of dealing with the text itself. This kind of frustration re-appears when these students become teachers: they tend to pass on their frustration to their learning groups. University teachers should, however, dedicate their time and energy to the search for strategies to overcome this frustration and re-kindle the joy of discovery in their students. Little changes like the reading of a whole biblical book instead of a pericope can lead to surprising discoveries and deeper understanding. Competence-oriented exegesis in the times of Bologna further needs more reflection on learning outcomes on part of the teachers. They need to overcome unrealistic aims and excessive expectations as well as realize that they might still be learners when it comes to passing on their knowledge. The contribution mentions strategies for modelling courses and closes with an outlook on the development of exegetical and didactical competence. Exegeten sind Zauberkünstler. Zumindest habe ich es während meines Studiums so wahrgenommen und war fasziniert davon, wie meine Dozenten mit der Bibel umgegangen sind. Ein Echo dieser Faszination fand ich unlängst bei der Durchsicht alter Unterlagen. Die Dankesrede, die ich 2001 anlässlich der Verleihung des Förderpreises für meine Diplomarbeit gehalten habe, begann mit den Worten: »Wenn 20 Sandra Huebenthal Bibelwissenschaftler das Wort ergreifen, erwartet man entweder einen fesselnden Vortrag, bei dem sich mit detektivischer Sicherheit ein Detail zum anderen fügt und man zum Ende hin eine völlig neue Perspektive auf ein altbekanntes Phänomen bekommt- - oder man befürchtet, mit unverständlichen Wortketten und fachspezifischen Begriffen erschlagen zu werden, die nur ein erlauchter Kreis von Fachleuten versteht und die beim gewöhnlichen Auditorium bereits nach wenigen Minuten extreme Ermüdungserscheinungen hervorrufen.« Beim Wiederlesen war ich überrascht, wie punktgenau diese Gedanken widerspiegeln, welche Art von Reaktionen Exegese in vielen Fällen hervorruft. Da ist zum einen die Begeisterung für den Text, die ansteckt und neugierig macht, mehr zu erfahren und mehr zu lernen, und zum anderen die Ablehnung einer Art Geheimwissenschaft oder Beschäftigung im Elfenbeinturm, die der theologisch Interessierte normalerweise nicht versteht und die mit dem eigentlichen Leben und Glauben nicht viel zu tun zu haben scheint. Aufgrund meiner Erfahrungen als Lehrende und Lernende in der Bibelwissenschaft vermute ich, dass die Ersterfahrung mit »Exegese« für die Einzelnen prägend ist und diese Prägung über den individuellen Lernenden hinausgeht. Im Verlauf des Studiums und als Hochschullehrerin habe ich häufig die Erfahrung gemacht, dass sich an der Exegese die Geister scheiden: Studierende sind entweder begeistert oder ablehnend, und das nicht allein deshalb, weil für die Exegese Altsprachenkenntnisse in Latein, Griechisch oder gar Hebräisch zu erwerben waren. Während ich als Religionslehrerin in einer berufsbildenden Schule arbeitete, bot sich mir ein ähnliches Bild, das Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulformen bestätigen: Wenn man den Klassenraum mit einem Satz Bibeln betritt, stöhnt die Lerngruppe zumeist gequält auf. Dass die Reaktionen von Studierenden und Schülern zusammenhängen, liegt auf der Hand, doch erschloss sich mir lange nicht, wie sie verbunden sind. Dass sie mit dem Lerngegenstand, also der Bibel selbst, zu tun haben, halte ich für ausgeschlossen. Der Grund muss an einem anderen Ort zu finden sein. Als ich begann, meine eigenen exegetischen Ansätze in Lehrerfortbildungen einzubringen und die Erfahrungen aus den unterschiedlichen Lernfeldern im Rahmen hochschuldidaktischer Weiterbildung zu sammeln und zu reflektieren, wurde das Bild klarer. Auch die Lehrerfortbildungen zeigten das bekannte Muster: Es gab diejenigen, die begeistert waren, und diejenigen, die nur deswegen kamen, weil die Veranstaltung akkreditiert war, günstig lag, und sie noch Weiterbildungspunkte brauchten. Der Aha-Effekt bei den Lehrern, die häufig in den 70 er und 80 er Jahren studiert hatten, bestand in vielen Fortbildungen in der Feststellung, dass man Exegese auch ganz anders machen kann, als sie es im Studium kennengelernt hatten, und dass Bibelauslegung durchaus eine lustvolle Beschäftigung sein kann. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 21 Unter Hochschullehrenden wird gerne geflachst, dass wir in den exegetischen Lehrveranstaltungen gegen die Lehrer und Pfarrer unserer Studierenden ankämpfen, und tatsächlich ist weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in dieser lapidaren Feststellung enthalten. In der Tat sind es zumeist die früheren Erfahrungen mit hermeneutischen und methodischen Zugängen und ihrer Vermittlung, die den Lernenden die Freude an der Bibel nehmen. Die Eindrücke sind so nachhaltig, dass die Studierenden ihre Vorbehalte in die späteren Arbeitsfelder Pastoral und Schule mitnehmen und dort unbewusst weitergeben. Wer sich durch exegetische Vorlesungen, Pro- und Hauptseminare quälte, wird in der eigenen beruflichen Tätigkeit selten überzeugt Freude an der Bibel und ihrer Auslegung verkörpern, und wer im Studium lernte, dass Exegese immer hochwissenschaftlich sein muss, um wirklich Exegese zu sein, wird sich schwer tun, kreative und originelle Auslegungsangebote zu machen. Wie vertrackt die Situation ist, lässt sich an zwei Beispielen aus meinem exegetischen Alltag verdeutlichen. Eine meiner Standardfragen in exegetischen Grundkursen lautet: »Wenn Sie das Gleichnis XY auslegen wollen, was lesen Sie als erstes? « Auf die eigentlich nahe liegende Antwort: »den biblischen Text«, kommen die wenigsten. Gewöhnlich überlegen die Studierenden, welcher Kommentar am besten geeignet sein könnte. Man mag einwenden, zunächst den Text zu lesen, verstehe sich doch von selbst, doch die Realität sieht oft anders aus. Ich habe zu viele Studierende erlebt, die unterschiedliche Auslegungen vorstellen konnten, aber nicht so recht wussten, was genau im Text steht, um an diesen Automatismus zu glauben. Hinzu kommt, dass die Kommentarliteratur mitunter wenig hilfreich für die Auslegung eines Textes ist. Als ich in der Abschlussphase meiner Promotion eingeladen war, einen Einkehrtag zu Jesaja 58 zu gestalten, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass keiner der Kommentare, die in unserer gut sortierten Bibliothek standen, bei der Frage der Auslegung von Jesaja 58 weiterhelfen konnte. Über den Wachstumsprozess und literarische Schichten des Buches war sehr viel zu erfahren, weniger schon über das literarische, religionsgeschichtliche und soziale Sandra Huebenthal * 1975, Dr. theol., ist Professorin für Exegese und Biblische Theologie an der Universität Passau. Sie studierte Kath. Theologie in Frankfurt/ Sankt Georgen und Dublin. Seit 2011 ist sie in der Leitung der hochschuldidaktischen Weiterbildung Theologie Lehren Lernen in Trägerschaft des Katholisch-Theologischen Fakultätentags und der Deutschen Bischofskonferenz. Sie ist seit 2015 bei der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) akkreditiert. 22 Sandra Huebenthal Umfeld, und Impulse für die Auslegung blieben die Kommentare gänzlich schuldig. Ich fragte mich damals, wie sich auf dieser Grundlage Predigten entwickeln lassen, und einer meiner Lehrer der Exegese des Alten Testaments gestand ein, dass er auf diese Frage auch keine Antwort habe. Es bleibt der Eindruck, dass Bibelauslegung eine Sache für Fachleute ist, bei der man sich erst nach Jahren des Trainings fremder Sprachen und komplizierter Methoden aus der Deckung trauen darf und selbst dann in den Augen der gestrengen Fachleute selten Gnade findet. Oder anders herum formuliert: dass man bei der Exegese eine Menge falsch machen kann und wenig Spaß verspürte, wenn man nicht zu den »happy few« gehört, die sich dieser Sache mit Haut und Haaren verschreiben. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Die Fähigkeit, gute Exegesen zu schreiben, ist etwas, das jahrelange Erfahrung und Training braucht. Gute Exegeten mögen wie Zauberer sein, doch sie lassen sich nicht einfach herbeizaubern. Nach Jahrzehnten einer hermeneutischen Monokultur an den Universitäten ist es nicht verwunderlich, wenn die ehemaligen Studierenden und heutigen Multiplikatoren in Pastoral und Schule glauben, dass Exegese wenig mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat und dass sie-- da sie nur selten in der Praxis anwenden können, was sie im Hörsaal lernten-- den Eindruck haben, mit ihren vermeintlich unwissenschaftlichen Zugängen Theologen zweiter Klasse zu bleiben, die im Grunde nichts Wesentliches über die Bibel sagen oder zur Weitergabe ihrer Auslegung beitragen können. Wenn Exegese die Lernenden nicht zu eigenen Auslegungen befähigt und ihnen den Spaß und die Entdeckerfreude lässt, müssen wir uns nicht wundern, wenn sich das »exegetische Trauma« in den Gemeinden und Schulen fortsetzt und die Bibel ein Schattendasein führt. Es erklärt, warum Prediger biblische Texte mitunter steinbruchartig als Impuls- und Stichwortgeber verwenden, um die eigene Meinung zu untermauern, und warum biblische Geschichten im Unterricht Gefahr laufen, pädagogisch oder katechetisch verzweckt zu werden. Dann kann es schon mal passieren, dass Zachäus am Text vorbei zu einer »tollen Geschichte gegen Mobbing« wird und das Gleichnis vom Senfkorn an der Realität nahöstlicher Botanik vorbei dafür herhalten muss, im Selbstversuch mit dem Blumentopf zu lernen, dass das Kleine beschützt und gepflegt werden muss, damit es groß werden und seinerseits Schutz bieten kann. 1. Erste Einsichten Es ist für Hochschullehrende schwierig, diesen Kreislauf stillschweigend weitergegebener Frustration und Resignation aufzubrechen. Und dennoch liegt genau Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 23 hier unsere Aufgabe und unsere Verantwortung als Hochschullehrer. Wie groß die Reichweite unserer Arbeit ist, hat Torsten Meyer unlängst eindrücklich beschrieben. Die 1990 geborenen Lehramtsstudierenden, die uns heute in den Lehrveranstaltungen gegenübersitzen, werden bis 2125 eine Wirkung als Lehrer haben-- denn erst dann sind die letzten Schüler, die sie unterrichtet haben, aus dem Berufsleben geschieden. 1 Auf eine im Alter von 40 Jahren berufene Professorin übertragen, die noch wenigstens fünfundzwanzig Jahre in der Hochschullehre tätig sein wird, ergibt das eine Reichweite bis etwa 2150 -- rund 150 Jahre. Selbst wenn die Zahlen ein wenig geschönt sind, um das Bild eingängiger zu machen, lässt sich erahnen, welchen Einfluss Hochschullehrende besitzen. Um es drastisch auszudrücken: Wenn ich es in meiner Lehre nicht schaffe, den beschriebenen Kreislauf aufzubrechen und bei den Studierenden Begeisterung für die Bibel und ihre Auslegung zurückzugewinnen, ist die Generation ihrer Schülerinnen und Schüler mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls verloren. Diese Erkenntnis kann ebenso erdrückend wie befreiend sein, in jedem Falle aber zeigt sie, welche hohe Verantwortung wir als Lehrende haben. Wenn man die Vermutung hinzunimmt, dass es zumeist Methodik und Hermeneutik-- und zwar exegetische wie didaktische-- sind, die zu »Bibelfrust« führen, 2 ist das Grund genug, sich intensiver mit der Frage nach den eigenen methodischen und hermeneutischen Grundüberzeugungen und der Frage der eigenen Lehre auseinanderzusetzen. Dabei können kleine Veränderungen große Wirkung haben, zum Beispiel wenn man biblische, insbesondere neutestamentliche Texte nicht mehr in Perikopen einteilt und dadurch wichtiger Bedeutungsebenen beraubt, sondern wieder ganze Bücher liest. Was für Ruth und Jona im Alten Testament schon in meiner eigenen Oberstufenzeit vor zwanzig Jahren der Fall war, setzt sich nun langsam auch für das Markusevangelium durch 3 und gilt, wie neueste Versuche im Hörsaal zeigen, auch für die übrigen neutestamentlichen Erzähltexte. Es wäre durchaus einen Versuch wert, frühchristliche Identitätssuche auch anhand der Briefliteratur- - der echten Paulusbriefe wie der Deuteropaulinen oder der Katholischen Briefe- - zu betrachten. Man muss ja nicht gleich den Römerbrief lesen; auch die Briefe an Philemon und Titus oder die Briefe des Jakobus und Judas können Augenöffner sein, wenn man sie jenseits der Frage von Gemeinde- und Ämterstruktur, Gegnersuche und Authentizitätsfragen betrachtet. Dem Zauber einer guten Exegese kann man sich in der Tat nur schwer entziehen. Wobei »gut« ausdrücklich auch »handwerklich gut« mit einschließt. Schlussendlich 1 Vgl. Meyer, Education, 9 f. 2 Vgl. Huebenthal, Werkstatt. 3 Vgl. Guttenberger, Markusevangelium; Müller, Markus; Sohns/ Küsters, Markusevangelium. 24 Sandra Huebenthal ist es das, wozu wir Studierende-- in den Zeiten von Bologna ebenso wie schon davor-- befähigen wollen: zu richtig guter Exegese. Über die Frage, was genau eine gute Exegese ausmacht, lässt sich trefflich streiten und vermutlich handelt es sich dabei um eine der Fragen, die jede Generation neu beantworten muss. Unstrittig ist hingegen, dass es die Verantwortung und Aufgabe der universitären Ausbildung ist, die Grundlage dafür zu legen, dass aus den Studierenden gute Exegeten werden; dass sie während des Studiums das Handwerkszeug für gutes exegetisches Arbeiten erwerben und ihren exegetischen Werkzeugkoffer nicht achtlos mit allem füllen, was ihnen so über den Weg läuft, sondern bei den einzelnen Werkzeugen wissen, wozu sie nütze sind und warum sie sich in ihrem Werkzeugkoffer befinden. Diese Basisausstattung wird die Studierenden lange begleiten und sie werden ebenso wie wissenschaftlich arbeitende Exegeten die Werkzeugtasche, die sie mit sich herumtragen, nicht ohne Not mit neuem Gerät und damit auch zusätzlichem Gewicht anfüllen. 4 Es ist nicht selten der Fall, dass angesichts der Anforderungen der Praxis über viele Jahre keine Revision der Erstausstattung erfolgt und kaputtes Gerät nicht ersetzt, sondern notdürftig geflickt oder einfach weggeworfen wird. Daher muss das, was Studierende zum Abschluss ihrer universitären exegetischen Ausbildung »im Kasten« haben, solides exegetisches Arbeiten ermöglichen. 2. Kompetenzorientierte Exegese in den Zeiten von Bologna Bei Zauberern- - wie bei allen Meistern ihres Faches- - ist das, was so einfach und natürlich aussieht, das Ergebnis langer Vorbereitung. Man muss sein Handwerk beherrschen und immer wieder üben. Auch gute Exegesen fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis einer soliden Ausbildungs- und Trainingsphase. Was heißt das konkret? Exegetische Kompetenz entsteht in einem langen Lernprozess und benötigt neben theoretischem und methodischem Input vor allem Reflexions- und Übungsphasen. 5 In der akademischen Ausbildung lässt sich jedoch nicht mehr als das Fundament legen-- wie das fertige Haus aussieht, zeigt sich erst in der Praxis, sprich: im Laufe des Arbeitslebens. Aus hochschuldidaktischer Perspektive muss die Grundfrage für diejenigen, die dieses Fundament legen, lauten: Welche Lernschritte müssen die Studierenden machen, um die Kompetenz zu erwerben, die es für gute Exegesen braucht? Dabei ist die Richtung für alle Lernenden dieselbe, doch die einzelnen Schritte und Lernwege sind so individuell wie die Lernenden selbst. Ein One-size-fits-all-Modell wird diesem Bedarf nur im Ausnahmefall gerecht. Ein hochschuldidaktischer Blick 4 Vgl. Kahneman, Thinking, 208 � 5 Vgl. Huebenthal, Kompetenz. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 25 auf exegetische Kompetenz im Zuge des Shift from Teaching to Learning beinhaltet demnach einen doppelten Blickrichtungswechsel. 6 Zunächst ist die Frage zu stellen, was die Lernenden nach Abschluss eines Lernzyklus wissen, verstanden haben oder in der Lage sind, zu tun, 7 und daran anschließend die Frage, woran sich intersubjektiv nachvollziehbar erkennen lässt, dass sie es verstanden haben, wissen oder können. Gefragt ist hier nach einer Wissens- oder Handlungsstruktur, deren Performanz sich im Rahmen einer Prüfung messen lässt. Es geht also darum, möglichst genau zu beschreiben, welche Ergebnisse nach einem Lernprozess zu erwarten sind. Die Präzision, mit der Learning Outcomes im Idealfall formuliert sind, ist dabei kein Instrument, um Lehrende zu domestizieren. Das Ziel ist vielmehr, dass Lehrende sich vor dem Beginn eines Lernprozesses klar machen, welches Ziel oder welche Ziele er haben soll. Diese Klarheit ist für Lehrende wie Lernende gleichermaßen wichtig, da sie den gesamten Lernprozess strukturiert und als Constructive Alignment Lehren, Lernen und Prüfen in einen nachvollziehbaren Zusammenhang stellt. 8 Lehrende, die nicht genau wissen, wozu sie ihre Lernenden befähigen wollen, machen häufig die Erfahrung, dass Lehrveranstaltung und Prüfung gleichermaßen unbefriedigend sind. 3. Unklare Erwartungen Der Schlüssel hierzu liegt häufig darin, dass sich Lehrende zuvor nicht ausreichend klar machten, was genau sie mit der Lehrveranstaltung erreichen wollen. Es ist sicher kein Zufall, dass die Vorgaben der Modulstruktur, die zur Formulierung von Learning Outcomes zwingen, in solchen Fällen dann als besonders lästig und überflüssig wahrgenommen werden. In hochschuldidaktischen Workshops zu kompetenzorientierter Veranstaltungsplanung zeigt sich häufig, dass Lehrende beispielsweise ihre eigenen Ziele nicht klar formulieren und nicht sagen können, zu welcher Kompetenzstufe 9 sie ihre Studierenden führen wollen. Dabei ist dieses Wissen intuitiv zumeist vorhanden. Natürlich wissen die Lehrenden als exegetische Fachleute, was für sie gute Exegese ausmacht. Die Kriterien hierfür werden indes selten verobjektiviert und transparent gemacht. Lernende können jedoch ebenso wenig in den Kopf der Lehrenden schauen wie umgekehrt und so zeigt sich oft erst in der Prüfung, dass die Lehrenden den Lernenden nicht verdeutlichen konnten, was sie von ihnen wollen oder dieses Wissen stillschweigend voraussetzten, weil es ihnen selbst ja klar war. 6 Vgl. Wildt, Lehren; Reis, Kompetenzorientierung. 7 Vgl. Kennedy/ Hyland/ Ryan, Outcomes. 8 Wildt/ Wildt, Prüfen. 9 Z. B. Bloom u. a., Taxonomy. 26 Sandra Huebenthal 4. Unrealistische Ziele Nach dem Besuch eines Proseminars beherrscht niemand eine Methode und insbesondere kann er oder sie sie nicht kontextualisieren. Eine Methode und mehr noch einen Methodenkanon zu kennen und aus diesem Kanon einzelne Methoden für die Auslegung konkreter Texte auszuwählen, durchzuführen und dabei vielleicht noch zu evaluieren, setzt jahrelanges Training voraus. Im Methodenseminar gängiger Bauart hingegen wird die Methode ein bis zwei Mal vorgemacht und die Lernenden zeigen in der Proseminararbeit, dass sie sie nun auch beherrschen. Dass allein vom Abschauen niemand lernt, ist eine Sache; eine andere, dass Methodenbeherrschung Übungszeiten und Übungsorte braucht. Wie jede andere Fertigkeit muss auch exegetische Methodenkompetenz eingeübt werden. Eine Proseminararbeit und eine Hauptseminararbeit im Studium sind dabei kaum ausreichend-- insbesondere nicht, wenn Methoden und Formate nicht reflektiert und kontextualisiert werden. Lernende müssen verstehen, warum ihre Prüfungsleistung einer Handlungsstruktur entspricht, die sie später nicht zu glauben brauchen. Die klassische Seminararbeit bereitet den wissenschaftlichen Nachwuchs auf die gängigen Formate im wissenschaftlichen Diskurs vor und nicht nur ein angehender Grundschullehrer hat sich bisher gefragt, warum er das lernen soll. Das ist kein Plädoyer dafür, die Seminararbeit abzuschaffen- - es geht vielmehr darum, sie als Lernort besser zu erklären und womöglich in ihrer Aufgabenstellung leicht zu modifizieren. Mitunter reicht ein knapper reflexiver Teil, in dem die Lernenden sich zu der Frage verhalten müssen, warum genau diese Form der Prüfung für sie einen Nutzen haben kann. Dabei kann es ausreichen, unter dem Stichwort »Sachanalyse« einen Ausblick auf spätere Handlungsstrukturen miteinzubeziehen. Auch Lehrer und Pfarrerinnen brauchen Exegese- - etwa für Unterrichtsvorbereitung und Predigt und insbesondere, um einzuschätzen zu können, wie viel eine fertige Arbeitshilfe an sich und für die eigene Zielgruppe taugt. Man könnte auch ganz knapp sagen: Katechese braucht Exegese. Von unrealistischen Zielen müssen sich indes auch viele Lehrende frei machen. Die Erwartung, dass Studierende nach dem Besuch des Proseminars exegetisch kompetent sind, ist als Lernziel im Zuge von Bologna häufiger anzutreffen. Das kann daran liegen, dass in den Modulbeschreibungen explizit wird, was schon immer implizit gefordert war. Es kann aber auch daran liegen, dass die hochschuldidaktische Theorie mit Taxonomien, Niveaustufen und Kompetenzmodellen die nötige theoretische Fundierung hierfür liefert. Es ist nicht selten, dass Lehrende aus den biblischen Wissenschaften Methodenkurse so modellieren, dass sie im Bloom’schen Modell auf der fünften oder sechsten Taxonomiestufe landen. 10 Hier- 10 Vgl. Bloom u. a., Taxonomie. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 27 bei spielt die Begeisterung, ein Modell zu haben, das kompetenzorientiertes exegetisches Arbeiten auszudrücken vermag, sicherlich eine Rolle, doch bleibt der blinde Fleck, dass neue Methoden und Herangehensweisen sich nicht einfach uploaden und dann anwenden lassen. Exegetische Kompetenz zu entwickeln braucht Zeit. Neben Input- und Übungsphasen braucht es ebenso auch Verarbeitungs- und Ruhephasen. Methoden zu kennen, durchzuführen und ihre Anwendung zu beurteilen, eventuell sogar Ergebnisse und Probleme vorhersehen zu können, setzt einen kontinuierlichen Lernprozess über Jahre voraus. Gute Promovenden sind dazu in der Lage, wenngleich frisch Promovierte häufig erst noch lernen müssen, dass es lediglich ein Teil des Feldes ist, den sie vermessen haben. 5. Überzogene Erwartungen Bei einer behutsamen Analyse ergibt sich ferner, dass Lehrende- - insbesondere Einsteiger in die Hochschullehre-- sich und ihre Studierenden gleichermaßen überfordern. Besonders häufig begegnet das im Bereich der Grundkurse und Proseminare. Hier wird überdurchschnittlich oft vermutet, Studierende seien nach Abschluss des Seminars auf den höheren Bloom’schen Taxonomiestufen Analyse oder Synthese angelangt und in der Auseinandersetzung mit der exegetischen Fachliteratur sei auch die höchste Stufe Evaluation denkbar. Ein solcher Anspruch kann alle Beteiligten nur überfordern. Dennoch ist die Überzeugung, Studierende seien nach Abschluss des Proseminars in der Lage, Exegesen zu schreiben, immer wieder anzutreffen. In den Hauptseminaren wird exegetische Methodenkompetenz meist stillschweigend vorausgesetzt und das Entsetzen ist groß, wenn Studierende hier noch Schwierigkeiten haben. Es scheint mitunter, als hätten die Lehrenden vergessen, welchen Lernweg sie selbst zurücklegten und wie lange sie dafür brauchten. Nicht selten sind sie beseelt davon, alle ihre guten Ideen sofort weiterzugeben, und vergessen dabei, dass den Studierenden in der Studieneingangsphase die Feldkompetenz fehlt, die sie sich im Rahmen ihres Studiums (und häufig auch im Rahmen ihrer Promotion) erarbeiteten. Wenn man sich die gängige Choreographie eines exegetischen Proseminars noch einmal vor Augen führt, ist das nicht verwunderlich. Studierende werden in diesen Veranstaltungen oft über Referate und Vorträge an exegetische Methoden herangeführt und bekommen diese meist nur vorgeführt. Wenn nicht schon in die Lehrveranstaltung selbst Übungsphasen eingebaut werden, ist die Proseminararbeit der erste und einzige Ort, an dem die Studierenden eigenständig mit den Methoden arbeiten. Dass ein einziger vollständig durchlaufener Arbeitszyklus, dem eine nachhaltige Evaluationsschleife oftmals sogar fehlt, nicht ausreicht, um 28 Sandra Huebenthal methodensicher zu werden, liegt auf der Hand. Ebenso ist bei einem nüchternen Blick auf die Situation klar, dass Studierende nach einem Semester nicht die methodische und hermeneutische Feldkompetenz ihrer Lehrenden haben. Welchen hermeneutischen Hintergrund und welche Geschichte einzelne Methoden haben, welche Methoden man für welche Texte und Fragestellungen auswählen sollte und welche keine hilfreichen Ergebnisse zeitigen werden, können exegetische Laien nach einem Semester noch nicht einschätzen. Die Mehrzahl der Lernenden ist zu diesem Zeitpunkt noch vollauf damit beschäftigt, die Methodenschritte nachzuvollziehen und nicht laufend handwerkliche Fehler zu machen. Hier bereits die Evaluation einer Auslegung zu erwarten, kann eigentlich nur schief gehen. Das ist nicht verwunderlich. Wie Rolf Dobelli unlängst in einem anderen Zusammenhang festhielt, braucht es wenigstens ein Jahr, um sich mit den Basiskonzepten eines neuen Sachgebiets vertraut zu machen. 11 6. Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung als Entzauberungsmittel Was heißt das für die konkrete Lehrveranstaltungsplanung? Sich über die Ziele der eigenen Lehrveranstaltung klar zu werden, heißt vor allem, einen nüchternen und realistischen Blick darauf zu bekommen, was möglich ist. 12 Dabei zeigt sich häufig, dass die Wünsche und Ambitionen die Möglichkeiten weit übersteigen. Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung, wenn sie richtig durchgeführt ist, macht genau das sichtbar. Wenn die angestrebten Lernziele, die dafür nötigen Lernschritte und die vorgegebene Workload miteinander in Beziehung gesetzt werden, zeigt sich oft, dass die geplanten Lernziele nicht realistisch sind und man irgendwo Abstriche machen muss. In Zeiten klarer Modulvorgaben lässt sich der schwarze Peter jedoch nicht mehr so einfach durch zusätzliche Lektüre oder den Anspruch, dass bestimme Dinge für die Prüfung eben gekonnt werden müssen, den Studierenden zuschieben, sondern die Lehrenden sind gehalten, den Lernprozess transparenter zu gestalten und dafür zu bürgen, dass bestimme Kompetenzen tatsächlich erworben werden können. Dass Lernen über weite Strecken ein unverfügbares Geschehen ist und Lehrende nie voraussehen können, was Lernende tatsächlich aus einem Lernprozess mitnehmen, ist davon unberührt. Es geht hier vielmehr darum, Basisstrukturen zu schaffen, die sicherstellen, dass der Erwerb bestimmter Grundkompetenzen kein Zufall ist, sondern der Regelfall. Der Gedanke, Kompetenzorientierung sei eine 11 Vgl. Dobelli, Kunst, 183 � 12 Vgl. Schulte, Veranstaltungsplanung. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 29 Heuristik zur Stärkung der Empathie von Lehrenden gegenüber Lernenden, bringt es auf den Punkt, dass Lehrende und Lernende in diesem Prozess Partner sind und ein gemeinsames Ziel anstreben. Die alte Opposition Lehrende vs. Lernende, die Lehrende und Lernende im Sinne eines »Blame the student«/ »Blame the teacher« gegeneinander ausspielt, 13 hilft niemandem und verbraucht unnötig Energie, die besser in den Lernprozess investiert würde. Learning Outcomes sind bei kompetenzorientierter Lehrveranstaltungsplanung keine Wunschzettel, sondern realistische Zielbeschreibungen. 14 Sie geben an, was Studierende nach dem Abschluss des Lernprozesses wissen, verstanden haben oder in der Lage sind zu tun. Dabei wird nicht ein wünschenswerter Idealfall skizziert, sondern der Regelfall. Das kann auch bedeuten, wesentlich kleinere Ziele zu formulieren, als man es gewohnt ist oder für wünschenswert hält, und dass man nicht mehr versucht, das »Feld abzudecken«-- ebenso wie beim Football sieht man es dann nämlich nicht mehr--, sondern exemplarisch zu arbeiten und genau dadurch die Ausmaße des Feldes sichtbar zu machen. Abgesehen davon, dass Enzyklopädie ohnehin Illusion ist, ist ein solches Vorgehen für alle Beteiligten entlastend. Dazu gehört ganz entscheidend das Vertrauen, dass Lernende auch ohne permanentes Monitoring eigenständig weiterarbeiten und weiterlernen, nachdem ihre intrinsische Motivation erst einmal geweckt und stimuliert wurde. Man muss ihnen die intrinsische Motivation, die volitionale Kompetenz und die Freude am Lernen jedoch zutrauen und sie von der »professoralen Leine« lassen. Nicht selten zeigt sich in hochschuldidaktischen Workshops, dass Lehrende unbewusst ganz andere Lehrkonzeptionen in sich tragen und diese ebenso unbewusst auf ihre Studierenden applizieren-- mit mitunter fatalen Folgen für die Motivation, die Kreativität und die Eigenständigkeit der Lerngruppe. Eine (Selbst-)Beschränkung der Lehrenden bei der Veranstaltungsplanung ist kein Scheitern, sondern zeigt an, dass die Lehrenden im engen Kontakt mit der Wirklichkeit stehen. Wenn ich für eine Lehrveranstaltung eine Workload von 1 CP (=- 30 Arbeitsstunden) vorgegeben habe und davon 15 Arbeitsstunden auf die Präsenz in der Lehrveranstaltung entfallen, sowie 15 weitere auf die strukturierte Vor- und Nachbereitung, kann ich nicht erwarten, dass die Studierenden zusätzlich zur Vorbereitung der Prüfung noch zwei Standardwerke lesen und eigenständig einüben, was ich in der Lehrveranstaltung vorgemacht habe, damit sie in der Prüfung an einem neuen Fallbeispiel ihren Kompetenzerwerb demonstrieren können. Den Studierenden diese weiteren Lernschritte jenseits der Workloads doch noch aufzuzwingen, ist in den Zeiten von Bologna theoretisch nicht mehr möglich. Auch Leselisten, die im Studium irgendwann abzuarbeiten sind und stillschweigend vo- 13 Vgl. Brandt/ Andersen, Teaching; vgl. auch Biggs/ Tang, Teaching. 14 Vgl. Schermutzky, Outcomes. 30 Sandra Huebenthal rausgesetzt werden, verbieten sich bei diesem System. Das schützt die Lernenden einerseits vor überzogenen Erwartungen, mutet ihnen andererseits aber auch zu, sich wirklich mit Lerngegenständen und Lernwegen auseinanderzusetzen. Auch die Vertagung des Lernprozesses auf einen späteren Zeitpunkt wird schwieriger-- ebenso die Ausrede, keine Zeit gehabt oder nicht so genau gewusst zu haben, was man eigentlich machen sollte. Wenn mein Lernziel ist, dass Studierende eigenständig neue Beispiele bearbeiten können-- was in der Exegese häufig heißt: eigenständig andere als die in der Lehrveranstaltung besprochenen oder erarbeiteten Texte auszulegen-- braucht es in der Lehrveranstaltung einen Ort, um diese Fähigkeiten entwickeln und trainieren zu können. 15 Alles andere ist keine kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung. Die Praxis sieht oft anders aus: Da werden beispielsweise in Exegetischen Proseminaren oft nur einzelne Methodenschritte demonstriert, in der Seminararbeit sollen die Studierenden diese Schritte dann nicht nur eigenständig durchführen, sondern die Ergebnisse auch in einer Gesamtinterpretation zusammenführen. In der Lehrveranstaltung strukturiertes Wissen zu vermitteln, in der Prüfung jedoch mit Analyse und Vernetzung eine höhere Taxonomiestufe anzusteuern, ist nicht nur unredlich, sondern geht auch in den meisten Fällen schief und führt zu enormem Frust bei Lehrenden und Lernenden. 7. Kompetenzorientierte Exegese in der Praxis-- das Beispiel Einleitungswissenschaft Dieses Problem stellt sich neben dem Proseminar auch häufig in den Fächern Einleitung und Bibelkunde, die vielerorts ohnehin als reine »Paukfächer« gelten. Einleitung und Bibelkunde sind auch deshalb gute Beispiele, weil sich an ihnen noch etwas anderes zeigen lässt, das regelmäßig im Zusammenhang mit der Kompetenzorientierung auftaucht und mitunter heftig diskutiert wird: die Frage nach dem Wissen. Dass die Kompetenzorientierung das Wissen abschaffe, ist ein gängiger Vorwurf, der auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer wird. Er trifft schlicht nicht zu. Gerade Einleitung und Bibelkunde zeigen, dass es ohne eine solide Wissensbasis nicht geht. Ohne bestimmte Entstehungshypothesen des Pentateuchs oder die Zwei-Quellen-Theorie verstanden zu haben, kann man sie nicht kritisch befragen. Das Gleiche gilt für die zeitliche und literarische Verortung einzelner biblischer Bücher-- ohne ein fundiertes Wissen über die Geschichte der Levante wird die zeitliche Verortung der Bücher beliebig und ohne die Kenntnis der gängigsten literarischen Gattungen der Antike und ihrer 15 Vgl. Dubbs, Prüfungen. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 31 unterschiedlichen Merkmale (die sich freilich über die Zeit verändern), ist die Gattungsbestimmung von Texten nicht möglich. Und schließlich: Um zu verstehen, auf welche zeitgeschichtlichen Ereignisse biblische Texte (womöglich) Bezug nehmen, muss man diese Ereignisse kennen und in größeren Kontexten verorten können. Die Beispiele deuten an, dass es ohne eine solide Wissensbasis nicht geht. In meinen eigenen Lehrveranstaltungen arbeite ich gerne mit Umberto Ecos Modell der Enzyklopädie 16 und erkläre den Studierenden, dass Einleitung (ebenso wie Bibelkunde) der Enzyklopädiepflege dient und sie in diesen Lehrveranstaltungen beginnen, sich diese Enzyklopädie zu erschließen, ohne dass erwartet wird, dass sie diese zum Ende der Lehrveranstaltung komplett verinnerlicht haben. Die einzelnen Informationshappen, die die Studierenden aufnehmen und verarbeiten, sind dabei ähnlich wie die Vokabeln, die es nun einmal braucht, wenn man eine neue Sprache lernt. Dass es gerade in diesen beiden Fächern, die unsere Konstruktionen biblischer Welten erschließen, darum geht, Information aufzunehmen, zu vernetzen und Wissen aufzubauen, was durchaus anstrengend sein kann, wird dabei von Anfang an offen gelegt. Ich verhehle nicht, dass Einleitung oft heißt, unglaubliche Datenmengen zu bewältigen und der Mühe Lohn sich häufig erst einige Semester später einstreichen lässt, wenn man sich in diesen Welten »unfallfrei« bewegen kann und nicht mehr »vor lauter Bäumen den Wald« nicht sieht. Eine gute Möglichkeit, mit dem Frust umzugehen, der dabei entstehen kann, ist immer wieder punktuell zu erarbeiten, warum diese Informationen hilfreich sind, sprich: warum man um einen bestimmten Sachverhalt wissen sollte. Das geht relativ gut am Beginn und am Ende einer Vorlesung, wenn man an die Erkenntnisse der letzten Sitzung anknüpft oder zusammenfasst, was im Laufe dieser Sitzung erarbeitet wurde. Wenn die Studierenden dabei selbst zum Mitdenken aufgefordert werden- - beispielsweise durch die einfache Frage »Warum ist das wichtig? «, in Verbindung mit einer kurzen Denk- oder Murmelphase--, festigt sich solches Fragen im Laufe der Zeit ganz von selbst. In der Prüfung kann eine solche Vernetzung dann Gegenstand sein, muss es aber nicht. Es ist allemal nachhaltiger, wenn Studierende historische Sachverhalte und exegetische Theorien erklären können, ohne sie anwenden zu müssen, als wenn sich bei der Anwendung zeigt, dass sie bereits mit dem Verstehen Probleme hatten. Ein Klassiker ist der Fall, dass Studierende in der Prüfung mühelos sieben verschiedene Gliederungen einzelner Paulusbriefe herunterrasseln können, aber nicht in der Lage sind, zu erklären, was ein Proömium ist, und am Beispiel zu zeigen, welche Funktion es besitzt. Auch hier stellen sich wieder die Fragen, was realistisch ist und was sich tun lässt, um beiderseitiger Überforderung vorzubauen. Ich halte es für ausreichend, wenn 16 Vgl. Eco, Lector, 94 - 106 � 32 Sandra Huebenthal Studierende im ersten Anlauf zunächst versuchen, die Theorien zu verstehen und sich das nötige Wissen anzueignen, und erst im zweiten Schritt, wenn gesichert ist, dass das geklappt hat, Diskussion und Anwendung erfolgen. Das heißt auch, dass Wissen als Basiskompetenz kein Schattendasein führen muss, sondern in Learning Outcomes direkt als Kompetenzerwerb angesteuert werden kann. Es versteht sich fast von selbst, dass das eher in der Studieneingangsphase, wenn die Fundamente gelegt werden, der Fall ist. In den höheren Semestern wird es dann darum gehen, mit den bereits erworbenen (Wissens-) Kompetenzen zu arbeiten, diese zu festigen und zu vertiefen. Das muss Einleitung und Bibelkunde nicht langweilig machen- - im Gegenteil. Auch der Aufbau von Wissen kann eine äußerst vergnügliche und bereichernde Angelegenheit sein, sofern man nur weiß, warum man die Anstrengung unternimmt. Es muss einsichtig sein, wozu das Wissen dient, sonst ist es in der Tat nicht mehr als eine Ansammlung unverbundener Fakten. So lässt sich auch vermeiden, was während meiner Studienzeit bei vielen Kommilitonen Usus war- - die exegetischen Abschlussprüfungen als Vorbereitung für die Einleitungsprüfung zu nutzen, um den Anforderungen dort auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Auch hier wurden in der Vorlesung Informationshappen geboten, häufig in Form von Kritik an den gängigen Einleitungswerken, und die Prüfungsleistung bestand darin zu zeigen, dass man die Enzyklopädie zur Gänze parat hatte und selbst weit entfernte Einträge vernetzen bzw. mühelos zwischen ihnen hin- und herspringen konnte. Auch hier wurde in der Lehrveranstaltung eine Taxonomiestufe bespielt, in der Prüfung jedoch eine andere angesteuert und der Weg von der einen zur anderen Stufe blieb den Lernenden selbst überlassen. 8. Lernen als Kompetenzüberstieg Hier deutet sich ein weiterer Punkt an, der bereits mehrfach aufgetaucht ist: Die Frage danach, wie sich Wissen und andere Kompetenzen festigen und vertiefen. Getreu dem Sprichwort, dass ein Meister ist, wer übt, brauchen auch Lehrlinge der biblischen Wissenschaften adäquate Übungsmöglichkeiten. Wenn diese fehlen, geht es ihnen mitunter wie Goethes Zauberlehrling: Sie werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los, und der biblische Text zerfällt unter ihren Händen in seine Schichten, Perspektiven oder Stimmen, ohne dass sie der Lage Herr werden. Es reichen wenige solcher Erfahrungen, insbesondere, wenn sie in Prüfungssituationen stattfinden, und den exegetischen Eleven erscheint die ganze »Auslegerei« eher als fauler Zauber. Das entschiedene Plädoyer für mehr gemeinsame oder begleitete Übungsmöglichkeiten hat noch einen zweiten didaktischen Grund. Gerade wenn es um Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 33 theorieund/ oder methodengeleitetes Verstehen geht, lehren wir nicht einfach Kompetenzen, sondern arbeiten mit den Lernenden an Kompetenzüberstiegen. 17 Dabei können Lehrende nur den »Weg bereiten« und die »Türen öffnen«, sich auf den »Weg machen« und durch die »Tür gehen« müssen die Lernenden selbst. Die Frage, wie Lernen als Kompetenzüberstieg funktioniert, wurde wiederholt diskutiert und scheint mir lohnend, nochmals aufgegriffen zu werden, weil es sich hierbei um ein hochschuldidaktisches Basisaxiom handelt, das unsere Praxis unmittelbar und fast täglich betrifft. Schauen wir uns das noch einmal im Einzelnen an: Der Beginn eines Lernprozesses ist idealtypisch das intuitive Handlungswissen, das der Lernende mitbringt. Im Bereich der Bibelwissenschaften besteht intuitives Handlungswissen meist aus dem, was die Lernenden aus katechetischer und schulischer Vorbildung mitbringen und was sie sich bisher selbst an Gedanken machten. Wenn dieses intuitive Handlungswissen an biblische Texte herangetragen wird, entstehen häufig Auslegungen der Bauart Jesus wollte uns mit diesem Text sagen, dass… oder Folgendes lässt sich aus diesem Text für den eigenen Glauben ziehen… Im ersten Kompetenzüberstieg wird nun das intuitive Handlungswissen durch Theorien, Ansätze, Methoden, Formeln oder Modelle einem wissenschaftlichen Praxis- und Tauglichkeitstest unterworfen. Dabei erweist es sich in aller Regel als dysfunktional. Bei den Lernenden entsteht dadurch zumeist eine deutliche Irritation, die mit etwas Glück als heilsame Verunsicherung erlebt wird und zu einer stärkeren intrinsischen Motivation führt-- und damit zum Wunsch, wirklich lernen und verstehen zu wollen. Dieser erste Kompetenzüberstieg lässt sich auch so beschreiben, dass Laien erstmals eine Fachbrille aufsetzen und den Lerngegenstand dann- - zwangsläufig- - anders sehen. Häufig sehen sie dabei erst einmal überhaupt nichts oder nehmen die Dinge überscharf wahr, ganz ähnlich wie bei herkömmlichen Brillen auch. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie schwer es mir fiel, mich an meine erste Brille zu gewöhnen. Der Fußboden erschien mir mehr als einen Tag lang völlig uneben. Der erste Kompetenzüberstieg besteht demnach in der Irritation des intuitiven Handlungswissens durch ein Theorieangebot. Der Lernerfolg besteht darin, das Wissen theoretisch zu modellieren, oder, um im Bild zu bleiben, sich die »Fachbrille« zu eigen zu machen. Genau wie bei der Gewöhnung an eine Brille brauchen die Studierenden Zeit, um den ersten Kompetenzüberstieg kognitiv nachzuvollziehen und sich auf der neuen Stufe zurechtzufinden. Dafür braucht es Begleitung und Übung. Ebenso wie sich in der Homöopathie die Symptome häufig erst einmal verstärken, bevor sich Besserung einstellt, werden auch Auslegungen erst einmal nicht besser, nachdem die Studierenden Methoden kennenlernten. Es ist 17 Vgl. Szcyrba/ Wiemer, Lehrinnovation; Reis/ Ruschin, Prüfen. 34 Sandra Huebenthal im Gegenteil eher damit zu rechnen, dass sie zunächst schlechter werden, da die Lernenden vollauf damit beschäftigt sind, das Modell, die Hermeneutik, Theorie oder Methode zu durchdringen und ihre Energie dorthin geht. Anfänglicher Widerstand gehört zum Lernprozess mit dazu und die Trauer, nun nicht mehr mit dem intuitiven Handlungswissen durchzukommen, das doch bisher reichte, muss häufig ebenfalls bewältigt werden. An diesem letzten Punkt ist in der Theologie m. E. erhöhte Sensibilität seitens der Lehrenden geboten, um zwischen den anfänglichen Irritationen, die zum Lernprozess dazugehören, und einer Verweigerungshaltung zu unterscheiden. In dem Augenblick, in dem Studierende die Auseinandersetzung mit Theorien, Methoden und Modellen generell verweigern, stellt sich die Frage, ob sie die nötigen persönlichen Voraussetzungen für den Lernort Universität mitbringen oder nicht vielleicht zunächst andere Lernorte und Lernschritte angezeigt wären. Dass dies eher ein Thema für die persönliche Beratung als für die Lerngruppe ist, versteht sich von selbst, erfordert jedoch, dass Lehrende diese Rollen klar trennen können. Ob der erste Kompetenzüberstieg erfolgreich war, zeigt sich häufig erst in der Prüfung. Studierende fallen überdurchschnittlich oft bei theorielastigen Fragen durch, weil sie den Lerngegenstand durch die Fachbrille nicht deutlich genug sehen und deshalb wieder auf ihr intuitives Handlungswissen zurückgreifen. In diesem Augenblick stellt sich für den Lehrenden die Frage, ob ausreichend Möglichkeit bestand, das Sehen mit der Fachbrille zu üben und je nach Art der Antwort auf diese Frage wird die Bewertung des Prüflings ausfallen. Der zweite Kompetenzüberstieg, der in einem späteren Stadium des Lernprozesses angesiedelt ist, besteht in der Irritation durch Mehrperspektivität. Im Zuge dieser Irritation erweist sich das theoretisch modellierte Wissen als kontingent oder anders formuliert: Es gibt unterschiedliche Arten von »Fachbrillen« und nicht jede ist für jede Situation gleichermaßen geeignet. Man kann hier auch vom Praxisschock sprechen: Das theoretische Wissen muss von einem Praxis- oder Handlungsfeld und den Erfahrungen in diesem Feld immer wieder neu bewertet und modifiziert werden. So stellen Studierende der Bibelwissenschaft beispielsweise beim exegetischen Arbeiten fest, dass nicht jede Methode zu jedem Text passt, oder machen im Praktikum die Erfahrung, dass sich nicht jedes exegetische Ergebnis sinnvoll in der Praxis weiterverwerten lässt. Meine eigenen Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Einkehrtags zu Jesaja 58 waren eine solche Erfahrung und erforderten einen zweiten Kompetenzüberstieg. Das Ergebnis dieses zweiten Perspektivwechsels ist dann tatsächlich kompetentes Handeln von den jeweiligen Erfordernissen her und beschreibt damit das, was wir unter exegetischer Handlungskompetenz verstehen würden: Text- und situationsangemessen die passende Hermeneutik, Enzyklopädie und Methode für eine Auslegung auszuwählen, anzuwenden und die Ergebnisse kontextsensibel zu präsentieren� Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 35 9. Kompetenzüberstiege in der Exegese-- hochschuldidaktisch gesehen Ebenso wie der erste Kompetenzüberstieg erfordert auch der zweite ausreichend Übungszeit, um sich wirklich zu setzen. Als Lehrende im universitären Bereich bekommen wir diesen zweiten Kompetenzüberstieg bei den uns anvertrauten Lernenden in der Mehrzahl der Fälle deshalb nicht mit, weil er in die zweite Ausbildungsphase-- Referendariat, Vikariat oder Pastoralkurs-- fällt. Bei denjenigen, die ein Aufbaustudium, beispielsweise in Form einer Promotion, anschließen, lässt sich dieser Prozess hingegen ein Stück weiter mitverfolgen und begleiten; ebenso bei Studierenden der neuen Masterstudiengänge, in denen Teile des Referendariats in die Masterphase verlagert werden. Der zweite Kompetenzüberstieg hat ganz entscheidend etwas mit Handlungs- und Praxisfeldern zu tun. Auch wenn wir diesen zweiten Kompetenzüberstieg nicht bei unseren Studierenden begleiten und mitverfolgen können, so ist er uns als Lehrenden dennoch nicht fremd, denn er begegnet uns in unserer eigenen Arbeit. Als Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, die kompetenzorientiert Exegese lehren, sind wir mit den gleichen Fragestellungen konfrontiert wie unsere Studierenden in ihren späteren Praxisfeldern. Auch kompetentes didaktisches Handeln denkt von den jeweiligen Erfordernissen, wie beispielsweise der Zusammensetzung der Lerngruppe, den Vorerfahrungen, den Rahmenbedingungen oder dem angesteuerten Kompetenzerwerb her. Als kompetenzorientiert Lehrende stehe ich vor der gleichen Herausforderung wie diejenigen, die bei mir und mit mir lernen: Ich muss von den Erfordernissen des Feldes her Lernumgebungen gestalten und Lernprozesse vorstrukturieren. Hierin liegt meines Erachtens der wichtigste Schlüssel zum Ausstieg aus dem Kreislauf weitervererbter »exegetischer Traumata«: Es geht nicht nur um Hermeneutik und Methodik, sondern auch um Didaktik. Dieses Lernfeld ist nicht das der Studierenden, hier sind vielmehr wir als Lehrende selbst wieder Lernende-- ein Eingeständnis, das vielen Lehrenden anfangs auch deshalb schwer fällt, weil es Anfragen an die eigene Lehrkonzeption und das eigene Rollenverständnis stellt. Es ist ein entscheidender Schritt, sich im Zuge der eigenen Professionalisierung einzugestehen, dass man als Experte des Faches dennoch didaktischer Laie sein kann und Lernbedarf haben darf. In hochschuldidaktischen Workshops arbeiten wir an den gleichen beiden Kompetenzüberstiegen wie die Lehrenden mit den ihnen anvertrauten Lernenden in den jeweiligen Fächern und wir sind mit den gleichen Fragen, Befürchtungen und Widerständen konfrontiert. Auch in der Lehre beginnen die meisten Dozenten bei der Planung und Durchführung ihrer Lehrveranstaltungen zunächst mit intuitivem Handlungswissen und sind von der Konfrontation mit Theorien, Modellen und Methoden irritiert. Der 36 Sandra Huebenthal Umgang mit dieser Irritation und der einsetzende Lernprozess sind häufig nicht anders als wenn das intuitive Handlungswissen der Studierenden im Umgang mit der Bibel einem wissenschaftlichen Praxis- und Tauglichkeitstext unterworfen wird. Auch in hochschuldidaktischen Workshops werden Fachbrillen ausprobiert und mehr als einen kurzen Blick, wie die Zukunft der eigenen Lehre aussehen könnte, können die Workshops nicht leisten. Es bleibt in der hochschuldidaktischen Weiterbildung bei der Arbeit am ersten Kompetenzüberstieg, und allein die Sensibilität der Lehrenden dafür, selbst Lernende zu sein und ihre eigenen Lehrveranstaltungen nicht nur als Lehr-, sondern auch als Lernort zu sehen, ist der entscheidende Schritt. Um das Gelernte zu verfestigen und am zweiten Kompetenzüberstieg zu arbeiten, ist die Eigenverantwortung der Lehrenden gefragt. Es gibt keinerlei institutionalisierte Strukturen, um hierzu im Gespräch zu bleiben. Eine Möglichkeit ist der kollegiale Austausch über Lehre in hochschuldidaktischen Netzwerken, die nicht unbedingt am eigenen Ort sein müssen. Innerhalb der katholischen Theologie hat sich das Netzwerk Theologie und Hochschuldidaktik als ein Ort entwickelt, an dem Lehrende miteinander über gute Lehre im Gespräch bleiben, sich über neue Entwicklungen austauschen und die Anforderungen ihrer jeweiligen Praxis reflektieren. Es ist unschwer zu erkennen, dass kollegiale Fallberatungen und die gemeinsame inhaltliche und didaktische Reflexion untereinander und mit externen Experten Arbeit am zweiten Kompetenzüberstieg sind. Hochschuldidaktik erweist sich dabei als Lernen auf der Metaebene und heißt für die Bibelwissenschaften häufig: Exegetische Kompetenz lehren lernen. Ob das angesteuerte Ergebnis nun zauberhafte Exegesen oder gute bibelwissenschaftliche Lehrveranstaltungen sind, die Fragestellung bleibt immer dieselbe: Was sollen die Lernenden nach Abschluss des Lernprozesses können? Und: Welche Schritte müssen die Lernenden machen, um dieses Ziel zu erreichen? 10. Ausblick Exegetische Feldkompetenz ist eine lohnende Lebensaufgabe- - auch wenn man nicht Professor werden möchte. Auch anhand »exegetischer Miniaturen« lässt sich die eigene Fähigkeit weiterentwickeln und exegetische Methodenworkshops müssen nicht auf das Studium beschränkt sein. Gerade in Lehrerfortbildungen erlebe ich immer wieder, dass Lehrer aller Schulformen gerne andere Herangehensweisen an biblische Texte ausprobieren als die, die sie im Studium erlernten, und häufig aus ihrer Praxis heraus einen recht guten und realistischen Blick auf die Chancen und Grenzen von Methoden entwickeln. Das ist genau das, was sie als Praktikerinnen brauchen: Anwendungskompetenz. Lehrerinnen und Pfarrer entwickeln Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese 37 selten neue Methoden, doch sie sind meist in der Lage, sowohl reflektierte als auch sehr differenzierte Rückmeldungen zu bekannten Methoden und ihrer Anwendung zu geben. Für Hochschullehrende, die selten in der Praxis stehen, sind diese Rückmeldungen bei der Weiterentwicklung von exegetischer Methodik und Hermeneutik von unschätzbarem Wert. Sie kommen sogar »frei Haus«-- wir müssen den Multiplikatoren nur unvoreingenommen Gehör schenken. Das ist nicht zu unterschätzen, denn auch das genaue Hinhören auf das, was die Praktiker zu sagen haben, kann helfen, den eingangs beschriebenen Kreislauf aufzubrechen. Was für die Fachlehre gilt, gilt gleichermaßen auch für die hochschuldidaktische Metaebene. Die Tagungen »Verstehen von Anfang an« und die aus diesen hervorgehenden Themenhefte sind ein Versuch, hochschuldidaktisch über Lehren und Lernen in den Bibelwissenschaften nachzudenken. Es ist sehr zu hoffen, dass dieses Gespräch konfessions- und disziplinübergreifend weitergeht. Eine andere Plattform zum Austausch über gute Lehre in den Bibelwissenschaften liegt mit dem neuen Band Giercke-Ungermann/ Huebenthal (Hg.): Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert der Reihe Theologie und Hochschuldidaktik vor und wird ihrerseits die Diskussion um gute Exegesen und zauberhafte exegetische Lehrveranstaltungen stimulieren. Auch hier liegt es in der Verantwortung der Beteiligten, die neu eröffneten Gesprächs- und Lernräume zum Wohle der Lernenden zu nutzen. Literatur Brabrand, Claus/ Andersen, Jacob: Teaching Teaching & Understanding Understanding. 19 minute award-winning short-film ( DVD ) about Constructive Alignment, Aarhus 2006� Biggs, John/ Tang, Catherine: Teaching for Quality Learning at University, Buckingham 4 2011� Bloom, Benjamin S. u.a.: Taxonomy of educational objectives. The classification of educational goals, Handbook I: Cognitive domain, New York 1956� Dubs, Rolf: Besser schriftlich prüfen. Prüfungen valide und zuverlässig durchführen ( NHHL H 5�1), Berlin 2006� Dobelli, Rolf: Die Kunst des klugen Handelns. 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen. München 2012� Eco, Umberto: Lector in Fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, München 3 1998� Giercke-Ungermann, Annett/ Huebenthal, Sandra (Hg.): Orks in der Gelehrtenwerkstatt? Bibelwissenschaftliche Lehrformate und Lernumgebungen neu modelliert (Theologie und Hochschuldidaktik 7), Münster 2016� 38 Sandra Huebenthal Guttenberger, Gudrun: Das Markusevangelium in religionspädagogischer Perspektive, in: Dressler, Bernhard/ Schroeter-Wittke, Harald (Hg.): Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel, Leipzig 2012, 433-451� Huebenthal, Sandra: Exegetische Werkstatt oder »Es lohnt sich, früh aufzustehen und sich mit der Bibel zu beschäftigen«, in: Auferkorte-Michaelis, Nicole (Hg.): Hochschuldidaktik für die Lehrpraxis. Interaktion und Innovation für Studium und Lehre an der Hochschule, Opladen 2010, 180-189� Huebenthal, Sandra: Was ist exegetische Kompetenz? , in: Bruckmann, Florian/ Reis, Oliver/ Scheidler, Monika (Hg.): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion-- Reflexion-- Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 65-82� Kahneman, Daniel: Thinking, Fast and Slow, London 2012� Kennedy, Declan/ Hyland, Áine/ Ryan, Norma: Writing and Using Learning Outcomes: a practical Guide ( NHHG C 3�4-1), Berlin 2009� Meyer, Torsten, Next Art Education (Kunstpädagogische Positionen 29), Hamburg 2013� Müller, Peter: Mit Markus erzählen. Das Markusevangelium im Religionsunterricht, Stuttgart 1999� Reis, Oliver: Kompetenzorientierung als hochschuldidaktische Chance für die Theologie, in: Scheidler, Monika/ Reis, Oliver: Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 19-38� Reis, Oliver/ Ruschin, Sylvia: Kompetenzorientiert Prüfen. Bausteine eines gelungenen Paradigmenwechsels, in: Dany, Sigrid/ Szczyrba, Birgit/ Wildt, Johannes (Hg.): Prüfungen auf die Agenda! Hochschuldidaktische Perspektiven auf Reformen im Prüfungswesen (Blickpunkt Hochschuldidaktik 118), Bielefeld 2008, 45-57� Schermutzky, Margret: Learning Outcomes-- Lernergebnisse. Begriffe, Zusammenhänge, Umsetzung und Erfolgsermittlung Lernergebnisse und Kompetenzvermittlung als elementare Orientierungen des Bologna-Prozesses ( NHHL E 3�3), Berlin 2008� Schulte, Dagmar: Veranstaltungsplanung. Probleme und Methoden ( NHHL B 1�2), Berlin 2002� Sohns, Ricarda/ Küsters, Matthias (Hg.): Das Markusevangelium. Das biblische Buch als Ganzschrift. Religion betrifft uns, Aachen 2013� Szczyrba, Birgit/ Wiemer, Matthias: Lehrinnovation durch doppelten Perspektivenwechsel. Fachkulturell tradierte Lehrpraktiken und Hochschuldidaktik im Kontakt, in: Jahnke, Isa/ Wildt, Johannes (Hg.): Fachbezogene und fächerübergreifende Hochschuldidaktik (Blickpunkt Hochschuldidaktik 121), Bielefeld 2011, 101-110� Wildt, Johannes: Vom Lehren zum Lernen ( NHHL A 3�1), Berlin 2006� Wildt, Johannes/ Wildt, Beatrix: Lernprozessorientiertes Prüfen im »Constructive Alignment« ( NHHL H 6�1), Berlin 2011� Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 1 Ein Text wie jeder andere? Texttheorie und exegetische Methodik Melanie Köhlmoos Abstract | This article deals with the latest developments in contemporary text formation arguing that students are experienced in dealing with various text formation processes. The experience of fighting against the students’ unwillingness while teaching exegetical methods since students are well aware of different forms of text formation, leads the author to the assumption that a new text theoretical foundation within Biblical exegesis is highly necessary. In appeal to modern text genesis it is reasonable to step behind the search for coherence and the reconstruction of the historical background in scholarly exegesis towards a new text theory expecting highly diverse formation processes. 1. »Harry Potter«-- »Der Herr der Ringe«-- »Star Wars«: Das Entstehen moderner Texte Seit etwa zwanzig Jahren können wir beobachten, wie in der »populären Kultur« Texte entstehen, die zu erfolgreichen, sogar wirkmächtigen Sinnkonfigurationen werden. Die Beobachtung der Textentstehung und ihrer unmittelbaren Wirkung könnte der (alttestamentlichen) Exegese nach meiner Ansicht ausgesprochen hilfreiche Impulse bei ihrer Methodik geben. Auf jeden Fall aber müsste sie eigentlich die akademische Lehre nachhaltig verändern. 40 Melanie Köhlmoos Ich möchte zu Beginn einen Blick auf drei exemplarische »Texte« 1 der aktuellen populären Kultur werfen: Wie sie entworfen wurden, entstanden und rezipiert werden, ist höchst aufschlussreich. Die »Harry Potter«-Heptalogie wurde zwischen 1997 und 2007 veröffentlicht. Literarisch ist sie eine Mischung aus Internatsroman, Entwicklungsroman, Heldenepos und Fantasy-Geschichte. Mindestens eine Generation ist inzwischen damit aufgewachsen; sie wurde zum Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Es spielt für meine Überlegungen keine Rolle, ob die Reihe »gut« oder »schlecht« ist-- entscheidend ist, dass man ihr beim Entstehen zusehen konnte. Nach eigener Auskunft hatte die Autorin Joanne K. Rowling das Konzept für die gesamte Saga samt allen Nebensträngen und Verflechtungen festgelegt, bevor sie mit dem ersten Band in die Öffentlichkeit trat. Dann arbeitete sie in zehn Jahren ihren Plan ab. Dabei war die eigentlich spannende Frage für erwachsene Leserinnen und Leser der Bücher weniger die nach diesem oder jenem Detail. Aufregend war eigentlich mit jedem Band immer wieder, ob es Rowling gelingen würde, alle Fäden in der Hand zu behalten. Am Ende des siebten Bandes bin ich immer wieder überrascht, dass es wirklich keine schwerwiegenden Fehler gibt, dass alle Fäden befriedigend verknüpft sind und die Geschichte von Anfang bis Ende rund ist. »Harry Potter« ist vom Grundentwurf her eigentlich ein sehr »altmodischer« Text: Entworfen von einer einzigen Autorin, die die Regeln des Erzählens (einschließlich der notwendigen Überraschungen) beherrscht-- ein Text, widerspruchslos und irrtumsfrei, dabei aber spannend, komplex und überraschend bis zum Schluss. Umso interessanter war es für mich als Exegetin, im Verlauf der Veröffentlichung der Reihe meine Erwartungen an Texte und wie sie funktionieren, immer wieder zu reflektieren. Das gelang umso besser, als die Reihe eben »nach den Regeln« spielt. 2 Die sukzessive Veröffentlichung gab die Gelegenheit, Vermutungen, Prognosen und Reflexionen durchzuspielen und sie bestätigt oder enttäuscht zu sehen� Die Romanfassung des »Herrn der Ringe« von J. R. R. Tolkien erschien im englischen Original 1954 - 1955 ; in der deutschen Übersetzung 1969 - 1970 . Nach einer längeren Anlaufphase entwickelten sich die Bücher zu den meistverkauften des 20 . Jahrhunderts, repräsentierten aber lange eine Literatur abseits des populären Mainstream. In gewisser Weise handelt es sich um »Gegenliteratur«. Auch hier haben wir es mit einem Heldenpos zu tun, mit einer Queste (und somit durchaus mit Zügen des Entwicklungsromans) und mit der Adaption uralter Mythenmotive: Gut gegen Böse, Entstehen und Vergehen einer ganzen Welt. Mit der Verfilmung 1 Die Anführungsstriche verdanken sich der Tatsache, dass ich hier Filme mitbetrachte. Vgl. dazu Ewers, Heldensagen. 2 Vgl. zur literarischen Würdigung der Reihe: Bürvenich, Harry Potter; O’Sullivan, Zauberlehrling. Texttheorie und exegetische Methodik 41 durch Peter Jackson aus den Jahren 2000 - 2003 kam »Der Herr der Ringe« beim breiten Publikum an. Nach seiner eigenen Auskunft wollte Jackson ein Buch, das ihm sehr wichtig ist, so verfilmen, dass dessen »großen Momente« sichtbar werden 3 . Es handelt sich also um einen Medienwechsel und eine Adaption; nichtsdestoweniger wird die Buchvorlage umgesetzt. Auch hier verlief die Entstehung schrittweise und öffentlich. Durch die Romanvorlage konnte es dabei einerseits keine inhaltlichen Überraschungen geben-- wer wissen will, was geschieht, kann den Roman lesen. Andererseits hat Jackson seine Textvorlage erheblich geändert. Also kommt es auch hier zu Reflexionen über den Text und seine Wirkung: Was gehört nach meinem Dafürhalten unbedingt dazu, was kann weggelassen werden? Was darf sinnvollerweise hinzukommen? Wie stehe ich zu Änderungen im Ablauf der Story wie in den Inhalten? Vor allem aber-- was von allen diesen Änderungen verdankt sich dem Übergang in ein anderes Medium, was darf als (Neu-)Interpretation der Textvorlage gelten, und wie schlüssig ist sie? Der Roman »Der Herr der Ringe« ist von anderer Art als »Harry Potter«. Zwar ist auch er von einem einzigen Autor konzipiert und verfasst. Doch er stammt aus einem Kreis von gleichgesinnten Gelehrten und hat daher sein eigenes Diskursuniversum. Er ist textlich durchaus nicht spannungsfrei, nicht so »geradlinig« wie »Harry Potter«. Unabhängig von seiner Story finden viele den Roman »unlesbar«, weil er doch recht eigenartig erzählt ist. Vor allem aber ist die Welt dieses Textes eine, die sich nicht von selbst versteht, sondern einer Menge Zusatzinformationen bedarf-- mindestens der Karte von Mittelerde. Die Filme sind demgegenüber glatter, erzählerisch vielleicht auch stimmiger und weniger esoterisch. Wieviel Hintergrundinformation, fragt man sich, braucht ein Text also, um zu funktionieren? 3 »Ich wollte die großen Momente des Buches nehmen und die modernsten Technologien einsetzen, um den Zuschauern Abende im Kino zu schenken, die sie niemals wieder vergessen werden« (http: / / www.filmstarts.de/ kritiken/ 35 538 -Der-Herr-der-Ringe-Die-Gef%C 3 %A 4 hrten/ kritik.html). Melanie Köhlmoos * 1966, Dr. theol., ist Professorin für Altes Testament, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie lehrte alttestamentliche Exegese an unterschiedlichen Standorten und mit unterschiedlichsten Lerngruppen (Kirchliche Hochschule Bethel, Universität Bielefeld, Universität Kassel, Universität München, Universität Frankfurt). Sie bietet regelmäßig als Referentin Fortbildungen für Pfarrer und Pfarrerinnen sowie Religionslehrkräfte in verschiedenen Landeskirchen an. 2013 gewann sie den 1822-Hochschulpreis für exzellente Lehre in Frankfurt. 42 Melanie Köhlmoos Der spannendste Fall von moderner Textproduktion und -rezeption ist nach meinem Dafürhalten derzeit das »Star Wars«-Projekt. Hier befinden wir uns endgültig im Medium Film. Das spielt aber für meine Fragestellung keine Rolle. Bekanntlich entspricht die Erzählreihenfolge der Saga nicht ihrer Entstehungsabfolge: 1977 - 1983 erschienen die Episoden IV - VI ; 1999 - 2005 die Episoden I- III � Gegenwärtig beginnt mit Episode VII der Schluss der Saga. Bislang erzählen Episoden I- VI eine kohärente Geschichte vom Schicksal zweier Generationen. Gleichwohl können die, die noch komplett mit der Entstehungsabfolge groß geworden sind, die Verschiebungen beobachten: Aus der-- in sich geschlossenen-- Erzählung über Luke Skywalker wird die Geschichte seines Vaters: Entwicklungsroman/ Heldenepos wandeln sich mehr und mehr zur Generationenerzählung. Die »Macht« wird in Episode I- III neu konturiert und zum eigentlichen Thema der Geschichte-- durchaus mit gewissen Unklarheiten. Epos wird zum Mythos. Seltsamerweise ist die Welt der »ersten Generation« moderner, eleganter, weniger archaisch als die der »zweiten«. Anders als »Harry Potter« und »Der Herr der Ringe« ist »Star Wars« eben nicht in einem Zug als Saga oder Epos konzipiert, sondern auf Publikumsnachfrage entstanden das Prequel und das Sequel. Das führt zu Transformationen bei der Rezeption der Erzählung: Diejenigen, die der Geschichte seit 1977 folgen, müssen sich seit dem Prequel an andere Schwerpunkte und Erzähllinien gewöhnen und demzufolge die Episoden IV - VI anders sehen als bei der ersten Begegnung. Es wird sich noch zeigen, welche Konsequenzen die Episoden VII - IX für die Geschichte haben. Hier kommt als besondere Herausforderung der Autorenwechsel hinzu: Episoden VII - IX stammen nicht mehr von George Lucas, gehen aber auf seine Entwürfe zurück. Fassen wir zusammen: Die derzeitige Generation von Studierenden und der wissenschaftliche Nachwuchs sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem mindestens drei große Textentwürfe entstanden sind, die identitätsfördernd, sogar sinnstiftend, wirkten, weil sie inhaltlich vielfach »zeitlos« sind und von uralten Textkonventionen Gebrauch machen. Diese Texte sind »vor ihren Augen« entstanden und haben die Bedingungen von Textproduktion, -interpretation und -rezeption öffentlich inszeniert. Rechnen wir die Websites, »extended versions« und »fan fiction« hinzu, verbreitert sich der Raum, in dem über diese Texte gesprochen wird, ganz erheblich. Es steht also eine Menge textlicher Kompetenz zur Verfügung. Gleichwohl empfinden und erleben viele von uns, die das exegetische Handwerkszeug unterrichten, diese Aufgabe als schwierig und frustrierend. Wir unterrichten Methoden zum Textverständnis, einschließlich der Frage, wie und warum Texte entstehen und wie sie wirken. Dabei arbeiten wir gegen Unlust, Widerstände und Unverständnis an. Im Ergebnis-- das kann ich an den Examensleistungen der letzten zehn Jahre beobachten-- gelingt uns sowohl die Vermittlung als auch die Texttheorie und exegetische Methodik 43 Einübung in den Sinn der Exegese immer weniger. Studierende spulen im besten Fall das Instrumentarium exegetischer Methoden (mit oder ohne literaturwissenschaftlicher Erschließung des Textes) ab, dringen aber nur sehr selten zum Text vor, sondern rezipieren Entstehungstheorien. Der Sprung in die Interpretation oder gar Applikation gelingt häufig nicht. Das hat natürlich viel mit didaktischen Fragen zu tun, die ich hier nicht reflektieren werde. 4 Es hängt auch mit dem Wandel von Kompetenzen, Wissensbeständen und Interessen zusammen, die die Studierenden ins Studium einbringen. Ein großer Teil der Schwierigkeiten im exegetischen Unterricht ist aber von exegetischer Seite verursacht: Nach meiner Ansicht bedarf die Exegese dringend einer theoretischen Klärung und einer praktischen Überprüfung dessen, was ein Text ist und was er zu leisten vermag. Dem möchte ich im Folgenden ausführlich nachgehen. 2. Die Suche nach der Kohärenz: Aus der Geschichte der Exegese Bekanntlich hat es Exegese überwiegend damit zu tun, die biblischen Texte in ihrer formalen und inhaltlichen Vielgestaltigkeit zu erklären. Seit ihren Anfängen arbeitet sie sich daran ab, die verborgene Kohärenz in scheinbar »inkohärenten« Texten zu finden. Als exemplarisches Beispiel für meine Darstellung wähle ich Gen 1 - 3 , und zwar aus folgenden Gründen aus: Dass erstens in Gen 1 - 3 zwei unterschiedliche Schöpfungstexte vorliegen, ist der Auslegung seit ihren Anfängen klar gewesen. Strategien zum Umgang mit der Vielfalt werden daher schon früh entwickelt. Zu fragen ist nach der Kontinuität und/ oder Diskontinuität der modernen Exegese zu den älteren Modellen. Zweitens war die alttestamentliche Urgeschichte Gen 1 - 11 geradezu das Paradigma für die Notwendigkeit und die Plausibilität der klassischen historischen Kritik: Bei keinem anderen Text des Pentateuch liegt die Aufteilung auf (mindestens) zwei Quellen so nahe und besitzt einen so hohen Erklärungswert 5 . Umgekehrt blieb die Urgeschichte schließlich drittens von den Umbrüchen in der neueren und neuesten Pentateuchforschung am längsten unberührt. Allem Anschein nach hat daher das klassische Erklärungsmodell in der Urgeschichte einen höheren Erklärungswert als in anderen Teilen der Bibel 6 � Die exegetisch relevanten Spannungen und »Inkohärenzen« der beiden Schöpfungstexte sind bekannt, daher brauche ich sie hier nicht noch einmal aufzurufen. 4 Vgl. dazu die weiteren Beiträge in diesem Heft. 5 Vgl. Schüle, Prolog, 11 f. 6 Vgl. Schüle, Prolog, 20 und passim. 44 Melanie Köhlmoos Ich gehe vielmehr dem Umgang mit ihnen nach. Dazu beginne ich mit drei antiken Auslegungen. Wie gehen sie mit den Texten um? a� Sir 16 - 17 : In Sir 16 - 18 setzt sich Ben Sira mit dem Verhältnis von Gottes Vorsehung und der menschlichen Verantwortung auseinander. Dabei gibt er in 16 , 24 - 17 , 7 eine Paraphrase der Schöpfungsberichte 7 . Ben Sira harmonisiert Gen 1 und Gen 2 - 3 . Die kosmische Ordnung von Gen 1 ist die Leitidee 8 , in die Teile von Gen 2 - 3 integriert werden. Gen 2 , 7 und Gen 1 , 28 werden identifiziert: Der Mensch ist Gottes Ebenbild, und zwar als Erdgeschöpf. Die Sterblichkeit wird dabei Teil der Geschöpflichkeit, sie ist nicht Folge des Falls, sondern Teil der Ordnung. Das gleiche gilt für die Erkenntnis, die sich der Mensch gerade nicht entgegen der Anweisung Gottes aneignete. Zusammenfassend: »Der positiv wahrgenommene Text umfasst demnach insgesamt Gen 1 - 2 , 7 und 3 , 19 b� Der so gesehene Mensch ist der, dem Gott das Herz erleuchtet, den er mit der Erkenntnis des Guten und des Bösen erfüllt hat und der insofern auch fähig ist, Gottes Bund zu halten. Ausgeklammert wird dagegen der gesamte Block von Gen 2 , 8 bis 3 , 19 a, also die eigentliche Eden-Erzählung.« 9 Über Schüle hinaus ist festzuhalten, dass die eigentliche Eden-Erzählung nicht ausgeklammert, sondern um 180 Grad gedreht rezipiert wird: Es gibt keinen »Fall«, sondern der Mensch entwickelt sich gemäß der Schöpfungsordnung. b� Jubiläen 2 - 3 .: Das aus dem 2 . Jh. v. Chr. stammende Jubiläenbuch ist eine Neuerzählung von Gen-Ex. Bis heute ist umstritten, ob es sich dabei um einen Kommentar handelt, oder ob Jub konzipiert wurde, um Gen-Ex zu ersetzen. Die Ereignisse bis zum Sinai werden Mose von einem Engel offenbart; dabei werden bestimmte Gesetzesvorschriften aus ihrem sinaitischen Ursprung gelöst und in die Väterzeit oder in die Schöpfung verlegt. 10 Die Schöpfung findet sich in Jub 2 , 5 ff. 11 Der Umgang des Jubiläenbuches mit seiner Vorlage ist methodisch einigermaßen komplex. Ich möchte mich daher auf die auffälligsten Sachverhalte beschränken 12 � Auch Jub harmonisiert die beiden Texte. Der Garten Eden wird bereits in den Schöpfungsbericht integriert 13 . In der Menschenschöpfung fehlt jeder Bezug auf die Gottebenbildlichkeit, geschaffen werden »Mann und Frau« (nicht »männlich 7 Zum Text und Übersetzung vgl. Sauer, Jesus Sirach/ Ben Sira, 137 - 140 � 8 Vgl. Wicke-Reuter, Providenz, 147 � 9 Schüle, Prolog, 167 � 10 Forschungsüberblick: VanderKam, Origins, 3 - 24 � 11 Berger, Jubiläen. 12 Ausführlich: van Ruiten, History. 13 Vgl. dazu van Ruiten, History, 34 f. Texttheorie und exegetische Methodik 45 und weiblich«). Es gibt einen Herrschaftsauftrag, aber keinen Fruchtbarkeitssegen. Indem Eden zum Heiligtum erklärt wird, gelten dort Reinheitsvorschriften, die jede Sexualität ausschließen. Darum und durch den fehlenden Fruchtbarkeitssegen gibt es keine Spannung zwischen Vermehrung und Schmerzen. Die beiden Texte werden so angeordnet, dass Gen 2 Gen 1 einfach fortsetzt. Es gibt keinen »zweiten Schöpfungsbericht«, sondern der zweite erzählt den ersten aus und setzt ihn dann fort, nachdem der Mensch geschaffen ist. Aus Gen 2 - 3 wird dann eine ganze Menge ausgelassen, aber die Substanz der Geschichte wird nicht wirklich angetastet. Sogar einige Probleme bleiben erhalten, unter anderem, woher die Frau vom Verbot weiß, vom Baum zu essen: Für Jub ist das offenbar kein Problem. Jub 2 - 3 gleicht Gen 1 und Gen 2 - 3 aneinander an; harmonisiert Spannungen innerhalb von Gen 2 - 3 und trägt einige Aspekte ein, die aus außerbiblischen Traditionen stammen� c. JosAnt: Josephus’ Paraphrase der Schöpfung ( JosAnt I: 32 - 51 14 ) ähnelt in manchem dem Jubiläenbuch. Josephus gleicht die Differenzen der beiden Texte dadurch aus, dass er die beiden rivalisierenden Bestimmungen des Menschen- - Herrschaft und Dienst-- auslässt und ein völlig anderes Motiv einbringt, das erst bei der Übertretung offenbar wird: Gott hat den Menschen eine Möglichkeit des vollkommenen Lebens gegeben, die nun verspielt ist. Das Problem der Sterblichkeit ist ausgelassen. Im Großen und Ganzen sind die Verfahren des Josephus ähnlich wie im Jubiläenbuch. Interessant ist aber der Übergang zwischen Gen 1 und Gen 2 . Josephus unterstellt seinem Mose, dass er hier in ein anderes Genus wechselt, nämlich jenes der Naturbeschreibung. Er versteht Gen 2 , 7 daher metanarrativ zum Rest des Textes. 3. Harmonisierung von Widersprüchen, oder: Die Transformation in andere Medien Als Gesamtergebnis lässt sich festhalten, dass alle drei Texte ihre Vorlage so harmonisieren, dass ein narrativ und inhaltlich völlig kohärenter Text entsteht. Das lässt sich vor allem an der Reihenfolge der Schöpfungswerke beobachten: In allen drei Texten wird der Mensch am Schluss geschaffen. Die sonstigen Harmonisierungen folgen den jeweiligen literarischen und theologischen Zielen der Texte-- es handelt sich um Transformationen der Vorlage. Gen 2 f. verhalten sich zu Ben Sira, Jubiläen und Josephus wie der Roman »Der Herr der Ringe« zum Film: Die 14 Feldman, Antiquities, 17 - 19 � 46 Melanie Köhlmoos Geschichte wird neu erzählt, um sie außerhalb ihres unmittelbaren Kontextes sprechen zu lassen. Der historischen Kritik und ihrer Methode wird häufig vorgeworfen, dass ihre Kohärenzkriterien neuzeitlichem Denken und dessen Kategorien folgen. Wie meine drei Beispiele zeigen, ist das nicht der Fall. Die logische Unvereinbarkeit der beiden Schöpfungsberichte wird durchaus gesehen und aufgelöst. Der Mensch kann nur als erstes oder als letztes Schöpfungswerk geschaffen sein, aber nicht beides. Offenbar kann er auch nur entweder zur Herrschaft (Sir/ Jub) oder zum Dienst ( Jos) geschaffen sein, aber nicht beides. In kleineren Details (so die Erschaffung Edens in Jub oder die Erklärung Gottes über das Gebot bei Jos) zeigt sich weiterhin, dass sachliche Kohärenz durchaus keine neuzeitliche Erfindung ist, sondern im Horizont auch antiker Schriftausleger liegt. Theologische und sachliche Stimmigkeit dienen einander. Der Preis ist allerdings problematisch. Harmonisierung bringt den Text in Widerspruch zu seiner Vorlage. Der Grund liegt darin, dass alle drei Autoren von der Gleichursprünglichkeit der beiden Schöpfungstexte ausgehen. Lediglich Josephus deutet an, »Mose« könnte unterschiedliche Textgattungen verwendet haben. Damit muss nicht zwangsläufig auch »Offenbarung« vermacht sein. Alle drei gehen von einem heiligen, aber wohl nicht von einem geoffenbarten Text aus. Weil diesem einen Text Sinnhaftigkeit und Kohärenz unterstellt wird, werden seine Inkohärenzen durch verschiedene Harmonisierungsversuche aufgelöst. Dabei können dann-- wie im Falle des Sirach-Textes (aber auch bei Josephus)-- auch schon große Teile der Vorlage weggelassen werden. Die Schöpfung nach Sirach, Jubiläen und Josephus ist für unsere Fragstellung mehrfach von Interesse. Zum einen zeigt sie, dass »Kohärenz«-- mindestens im Sinne logischer Stimmigkeit- - keine neuzeitliche Kategorie ist. Das ist für die Theorie der Exegese von einiger Relevanz. Zum zweiten sind »harmonisierte« Bibeltexte-- in Form von Kinder- und Jugendbibeln 15 -- in der Regel den Studierenden vertrauter als der tatsächliche Text. In Bibelkunde und Grundkursen ist die Begegnung mit zwei einander widersprechenden Schöpfungstexten dann auch vielfach ein geradezu verstörendes Erlebnis für die Studierenden. Bislang ist es die häufigste Praxis, in Bibelkunde/ im Grundkurs den Befund zu benennen und im Proseminar/ im Methodenkurs die Methoden zu seiner Erklärung zu lernen. Im besten Falle gelingt damit eine Erklärung, warum zwei unterschiedliche Texte vereinigt wurden. Auf der Strecke bleibt jedoch, nach welchen Prinzipien-- und zu welchen Zwecken-- Inkohärenzen festgestellt und ausgeglichen werden. Es bleibt häufig das Ergebnis, dass in der Antike halt andere Kohärenzvorstellungen galten. 15 Literatur: Reents/ Melchior, Geschichte; Schlag/ Schelander, Kinderbibeln (dazu: Käbisch, Rezension, 507 f.). Texttheorie und exegetische Methodik 47 Die drei Beispiele zeigen, dass dem nicht zwangsläufig so ist. Umso wichtiger wäre eine kontrollierte Auseinandersetzung mit den Prozessen der Produktion und Rezeption beim Medienwechsel. Im Rahmen meiner drei Beispiele befinden wir uns immer noch in der Antike und-- da die drei Autoren sich nicht reflektierten-- im Bereich der Hypothese. »Der Herr der Ringe« und »Star Wars« geben aber gute Beispiele, diese Vorgänge reflektiert nachzuvollziehen: Im Fall des »Herrn der Ringe« bietet die Figur des Tom Bombadil ein instruktives Beispiel. Schon von Tolkien wurde sie als narrativ nicht unbedingt notwendig bezeichnet, sogar als sperrig und rätselhaft. 16 Die Verfilmung hat ihn ausgelassen, aber Züge und Reden der Figur auf andere Charaktere übertragen. Ob diese Auslassung gerechtfertigt ist oder nicht, ist ein ewiger Streit in der »Herr der Ringe«-Rezeption. Auf jeden Fall erleben diejenigen, die vom Film zum Buch kommen, einen Text mit einer Figur, die sich nicht in die Erzählung fügen will.-- In »Star Wars« wurde in der (später gedrehten) Episode I das geheimnisvolle Energiefeld der »Macht« unvermittelt mit kleinen Lebewesen namens »Midi-Chlorians« in Verbindung gebracht. Damit wird zwar eine Erklärung gegeben, warum der Held so empfänglich für die »Macht« ist, aber das Motiv bleibt blind. In den folgenden Episoden wird es nicht mehr aufgegriffen. Die »Midi-Chlorians« produzieren somit zwar einerseits eine Erklärung, andererseits aber einen Widerspruch. 17 Als Sachverhalt haben wir es mit einer Analogie zu den Schöpfungstexten zu tun. Es steht mit diesem Beispiel eine Möglichkeit zur Verfügung, sich mit den eigenen Erwartungen an die Stimmigkeit eines Textes gründlich auseinanderzusetzen. 4. Die historische Kritik als Paradigmenwechsel: Das Verschwinden einer Texttheorie Die von mir benannten Spannungen zwischen den beiden Schöpfungstexten blieben neben vielen anderen Interpretationsproblemen der Exegese als Aufgabe erhalten. Den einzelnen Antworten nachzugehen, ist nicht mein Thema. Entscheidend ist vielmehr dies: Von der Spätantike bis zur Aufklärung galt die Bibel als Offenbarung und damit als ein göttlicher Text, widerspruchslos und irrtumsfrei. 16 https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Tom_Bombadil#cite_note- 7: »Tom Bombadil is not an important person-- to the narrative. I suppose he has some importance as a ›comment‹. I mean, I do not really write like that: he is just an invention, and he represents something that I feel important, though I would not be prepared to analyse the feeling precisely. I would not, however, have left him in, if he did not have some kind of function.« »And even in a mythical Age there must be some enigmas, as there always are. Tom Bombadil is one (intentionally)« (Carpenter, Letters, 144). 17 Vgl. zur Diskussion http: / / www.starwars-union.de/ forum/ board 2 -die-filme/ board 31 -die-saga/ 2853 -midi-chlorianwerte/ . 48 Melanie Köhlmoos Dieses dogmatische Paradigma hat den Wert einer Texttheorie: Wenn der Text nicht den menschlichen Erwartungen entspricht, sind die Erwartungen falsch, nicht der Text. Gott irrt nicht. Dem entspricht eine präzise Methodik, mit der die biblischen Texte der Theorie entsprechend ausgelegt wurden. Treffen unvereinbare Aussagen aufeinander, werden sie so interpretiert, dass die Unvereinbarkeit aufgelöst wird: Die Erwartung des Publikums wird methodisch korrigiert. 18 Zwar gibt es in der Methodik wie in den Lösungen eine gewisse Variationsbreite (christologische Auslegung, mehrfacher Schriftsinn, scholastische Methoden), doch im Großen und Ganzen bestand ein recht breiter Konsens der Auslegung 19 � Bekanntlich stellte die Aufklärung den Erklärungswert der Theorie von der Offenbarung nachhaltig in Frage, indem sie auf die vielen Unstimmigkeiten hinwies. Kurz gesagt: Weil Gott nicht irrt, muss der Text menschlichen Ursprungs sein. Von einem Paradigmenwechsel in der Schriftauslegung konnte man aber erst dann sprechen, als es eine methodisch gesicherte und von einem breiten methodischen und theoretischen Konsens getragene neue Form der Schriftauslegung gab. Erst mit der zweiten Hälfte des 19 . Jh.s bildete sich als neuer Konsens Folgendes heraus: Die sprachlichen und sachlichen Unstimmigkeiten der biblischen Texte sind als Hinweise darauf zu verstehen, dass der biblische Text eine Zusammenfügung von Einzelschriften (»Quellen«) ist, die je für sich ihr eigenes historisches, sprachliches und theologisches Profil aufweisen. Exegese hat die Aufgabe, diese Theorie an den Einzeltexten analytisch und synthetisch zu entfalten. Theoretisch liegt die Annahme zugrunde, dass die jeweiligen »Quellen« in sich stimmig und kohärent sind. Das heißt, der eine kohärente Text wird aufgelöst; stattdessen werden seine Bausteine in den Blick genommen. Modellhaft gelungen ist dieses Anliegen im Werk von Julius Wellhausen. Nicht nur, dass er die Methode der literarischen Analyse meisterhaft beherrschte-- und im Übrigen ökonomisch zu handhaben verstand. Es gelang ihm auch, die Entwicklung der israelitischen Religion und ihrer Literatur so darzustellen, dass ein breiter wissenschaftlicher Konsens innerhalb und außerhalb der Theologie erzielt werden konnte: Israels Religion entwickelt sich von »naturhaften« Anfängen zur Höhe der Königszeit mit einer durchreflektierten Geistigkeit und nimmt dann einen degenerativen Verlauf zur nachexilischen Gesetzesreligion. 20 Das war nicht nur in Übereinstimmung mit der Geschichts- und Religionswissenschaft der damaligen Zeit, sondern ließ sich auch theologisch als bibelwissenschaftlich fundierte Kritik an Institutionen nutzen. 18 Das Verfahren ist zuerst umfänglich reflektiert bei Origenes, der hier die spätantike Homer- und Plato-Exegese in den christlichen Bereich überträgt; vgl. Siegert, Interpretation, 130 - 143 ; Procopé, Philosophy, 451 - 477 ; Carleton Paget, Exegesis, 477 - 541 � 19 Die einzelnen Entwicklungen und ihre Verzweigungen können jetzt nachgelesen werden in dem monumentalen Werk: Sæbø, Hebrew Bible/ Old Testament. 20 Grundlegend: Wellhausen, Geschichte. Texttheorie und exegetische Methodik 49 Wellhausen beließ es nicht bei einer Verfallsgeschichte, sondern besaß mit seiner Perspektive der spirituellen Erneuerung der biblischen Religion in und durch Jesus Christus gleichzeitig einen heilsgeschichtlichen Horizont. Es gibt nur wenige Bereiche der alt- (und neutestamentlichen) Exegese, in denen die quellenkritische Forschung so nachhaltig und vorbildlich sämtliche Ziele erreichte, die sie sich selbst setzte bzw. die ihr von außen zuwuchsen, wie in der Analyse der alttestamentlichen Urgeschichte. »Das dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass die Urgeschichte gewissermaßen der Lehrtext für die neuere Urkundenhypothese war. Kein anderer Abschnitt des Pentateuch schien so offensichtlich in zwei Quellen zu zerfallen wie z. B. die Sintflutgeschichte, die alle wichtigen Details in-[…] zwei Versionen aufweist. Aber auch darüber hinaus waren die Spuren für zwei parallel geführte Erzählfäden deutlicher als in folgenden Teilen des Pentateuch: die beiden Schöpfungsberichte-[…], die Toledot Adams neben dem Kainitenstammbaum, die Völkertafel neben der Babelerzählung.« 21 Die sachlichen Spannungen der beiden Schöpfungsberichte lassen sich ohne großen Erklärungsaufwand auf zwei Quellen aufteilen, die in sich kohärent und suffizient sind. Hinzu kommt ein weiteres Element: Der mit Gen 1 beginnende Text lässt sich nicht nur inhaltlich profilieren, sondern vor allem sprachlich und stilistisch eindeutig erkennen. Es ist die sog. »Priesterschrift«, die in Gen 1 - 11 und darüber hinaus als fortlaufender Text erkennbar ist. Die Rekonstruktion der Priesterschrift darf als einer der größten »Erfolge« der historisch-kritischen Exegese des Alten Testaments gelten. Die Hypothese gilt- - mit nur unwesentlichen Modifikationen- - seit den 1880 er Jahren. Die Eigenart der Priesterschrift wird selbst in Übersetzungen transparent, so dass sie sogar Nicht-Fachleuten unmittelbar plausibel zu machen ist. Dass die Priesterschrift alle Umbrüche der Pentateuchforschung relativ unbeschadet überstand, liegt daran, dass nicht nur ihre Inhalte historisch erklärbar sind, sondern dass sie vor allem als sprachliche Größe, d. h., als Text, erkennbar und beschreibbar ist. Auch in der neueren und neuesten Pentateuchforschung variieren die Einschätzungen von P nur unwesentlich. Die Hypothese »P« lässt sich demzufolge mit harten und belastbaren Daten begründen. Der Text mag zwar anonym sein, lässt sich aber als intentional gestaltetes Werk erkennen. Demgegenüber standen die anderen Pentateuchquellen immer auf vergleichsweise schwachen Füßen, und seit der historische Konsens im Gefolge Wellhausens schwand, verlor auch ein (wie immer gearteter) Jahwist 22 seine textliche Plausibilität. Für unsere Frage ist aus diesem Zusammenhang zweierlei entscheidend: 1 . Mit und seit Wellhausen wurde die alttestamentliche Exegese von einer Textzu einer 21 Schüle, Prolog, 10 f. 22 Vgl. dazu zuletzt Levin, Art. Jahwist. 50 Melanie Köhlmoos historischen Wissenschaft. Sie untersucht die Texte als historische Dokumente und bringt sie in Korrelation zu historischen Konstellationen, für die sie gleichzeitig die Quelle und die Deutung bilden. Zwar wandelte sich seit Wellhausen das historische Paradigma 23 , das theoretische Modell blieb jedoch gleich. Die in sich kohärenten Texte und Teiltexte verstehen sich in der und für die Situation, aus der sie stammen. Damit ist aber 2 . eine konsensfähige Texttheorie verschwunden, die das Funktionieren und das Wirken der biblischen Texte zu begründen im Stande ist. Das protestantische »Schriftprinzip« trat in diese Lücke, doch »Prinzip« und »Methode« treten spätestens seit Schleiermacher immer mehr auseinander. 24 Meines Erachtens liegt das Problem darin, dass die Exegese es versäumte, sich über ihre texttheoretischen Grundlagen Rechenschaft abzulegen: Wenn die Quellen nicht Offenbarung, sondern historisch bedingte Äußerungen sind-- nach welchen Maßstäben sind sie dann zu beschreiben? Seit 1984 ist das klassische Pentateuchmodell sukzessive erodiert. Den Beginn markieren Erhard Blums Studien zur »Komposition der Vätergeschichte« 25 , in denen er systematisch nachwies, dass der Priesterschrift keine literarisch zusammenhängenden Quellen vorausliegen, sondern unterschiedlich umfangreiche kleinere Überlieferungskomplexe. Diese Ansicht setzte sich mit der Konsequenz durch, dass der Pentateuch in viele Einzeltexte differenziert wird, über die kein Konsens zu gewinnen ist und dessen »Endgestalt« ebenfalls keine klare Kontur bekommt. Blum (und einige andere) haben dabei die älteren Systemzwänge der Urkundenhypothese methodisch kritisch evaluiert und sind zu einem revidierten Modell gekommen. Methodisch geht es aber immer noch davon aus, dass Inkohärenzen prinzipiell auf Textwachstum hinweisen. Gleichwohl gelingen literarkritische Analyse und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nur dort, wo auch wirklich plausibel und eindeutig erklärbares Datenmaterial vorliegt. Gelungen- - und bis heute gültig! - - sind die Analysen dort, wo nicht nur bestimmte Inhalte vermittelt werden, sondern Sprache und Stil als Analysefaktoren mit berücksichtigt werden können: bei der Priesterschrift, bei Deuterojesaja, im Neuen Testament. Fallen aber sprachliche und stilistische Kriterien zur Beschreibung von Texten und Teiltexten aus, ist man wieder dort angekommen, wo ich am Anfang ansetzte, nämlich bei der Wahrnehmung sachlicher Unterschiede. Es fehlt seit dem Wegfall der von der Offenbarung her bestimmten Methodik an einer tragfähigen Texttheorie. Die Bibel ist-- zumindest aus der Perspektive der Theologie und der Exegese-- ein Text wie jeder andere. Aber was ist ein Text? 23 Vgl. exemplarisch: Schmid, Literaturgeschichte. 24 Ausführlich dargestellt bei Lauster, Prinzip. 25 Blum, Komposition. Texttheorie und exegetische Methodik 51 Die Ausgangshypothese historisch arbeitender Exegese ist-- auch ohne Offenbarung- - immer noch ein Text, der widerspruchslos und irrtumsfrei ist, in neuzeitlicher Terminologie: kohärent. Das ist nie theoretisch abgesichert worden, denn dann käme sofort zu Tage, dass die Hypothese empirisch falsch ist. Jeder Text, der von Menschen verfasst ist, enthält Fehler, Irrtümer, Inkohärenzen, Widersprüche, Unklarheiten, Stilbrüche uvm. Aus der falschen Grundhypothese des vollständig kohärenten Ausgangstextes entspringt eine Methodik, die über die Maßen argwöhnisch ist. An zeitgenössischen Exegesen von Gen 1 - 3 zeigte Erhard Blum dies instruktiv. 26 5. Auf der Suche nach der verschwundenen Theorie: Wege durch Hogwarts, Mittelerde und eine ferne Galaxie Die historisch-kritische Exegese versteht sich in erster Linie als textzentrierte Geschichtswissenschaft. Die große Kraft des Wellhausen’schen Modells lag ja darin, nicht die Texte als Texte zu erklären, sondern ihr historisches Profil, das in eine geschichtswissenschaftliche Synthese überführt werden konnte. Diese Synthese war weder historisch noch textlich zu halten, trotzdem bleibt Exegese großenteils eine Geschichtswissenschaft: Sie verteidigt tapfer den Ursprungssinn der historischen Texte als ihren eigentlichen Sinn, dessen Wandel nachzuzeichnen ist. In dieser Entfernung der Texte von ihrer Anwendung liegen durchaus eine Chance sowie eine Aufgabe. Gleichwohl besitzt sie ein Problem: »Die historische Kritik fungiert als eine Erinnerungsform, die anscheinend erst dann zum Tragen kommt, wo die Vergangenheit nicht mehr ›bewohnt‹, d. h. nicht mehr vom kollektiven Gedächtnis lebender Gruppen in Anspruch genommen wird« 27 , formuliert Jörg Lauster im Anschluss an Jan Assmann. Und tatsächlich gibt es auch kein Zurück hinter diese Option. Die historische Kritik macht die Räume der biblischen Überlieferung als immerhin einmal bewohnte transparent. Das ist ein legitimes Ziel und auch ein Teilbereich wissenschaftlicher Exegese. Eine wie immer geartete Verbindlichkeit-- ich möchte lieber von Konsens sprechen-- über den Sinn und die Bedeutung der (historisch entstandenen) biblischen Texte für eine gegenwärtige Praxis lässt sich aber historisch allein nicht gewinnen. Im Gegenteil: Es gehört zu den Charakteristika christlicher Theologie, sich durch die Historie immer wieder korrigieren zu lassen: »Die Notwendigkeit des geschichtlichen Wandels des christlichen Glaubens bringt es- […] mit sich, dass eine orthodoxe Position von heute ohne weiteres zur Häresie von morgen werden kann, ja werden muss, wenn sie 26 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 20 � 27 Lauster, Prinzip, 462 � 52 Melanie Köhlmoos als geschichtsinvariante Wahrheit behauptet wird. Eine theologia perennis- […] gibt es nicht.« 28 Unter dieser Bedingung werden aber die historisch im Alten Israel beheimateten Texte des Alten Testaments theologisch irrelevant, ja »häretisch«. Wie soll daher eine Verbindlichkeit, zumindest ein überzeitlicher Sinngehalt behauptet werden? Nach dem Wegfall der Offenbarung bedarf es in der Exegese meines Erachtens einer Verständigung über Texte. Das ist im Zusammenhang mit akademischer Lehre umso notwendiger, wenn Bibelauslegung Gegenstand der wissenschaftlichen Theologie bleiben will. Die Notwendigkeit, biblische Texte überhaupt einmal als Texte zu beschreiben, ist in den Lehrbüchern erst seit sehr kurzer Zeit präsent, im Grunde wird sie eigentlich nur durch das Lehrbuch von Helmut Utzschneider und Stefan Ark Nitsche vertreten� 29 Die Methodik ist hier wohlüberlegt und gut etabliert. Eine Texttheorie hingegen fehlt weitgehend. Denn auch hier geht es wesentlich darum, historische Texte nach Gestalt und Gehalt zu rekonstruieren. Das Buch ist für Proseminare und Einführungskurse ein großer Fortschritt. Meines Erachtens sollten wir aber noch einen Schritt weiter gehen. Tatsächlich gab es in der alttestamentlichen Exegese in den 1980 er und 1990 er Jahren eine Theoriedebatte. Im Zusammenhang mit der Frage um die Grundoption »Synchronie« oder »Diachronie« waren es vor allem Vertreter synchroner Ansätze, die die großen theoretischen Entwürfe des 20 . Jh.s ins Feld führten: Greimas, Barthes, Eco, Genette, Ricoeur, Bakhtin. Mit dem Nachlassen des Interesses an diesen Modellen außerhalb der Theologie schlief auch in der Exegese dieser Diskurs wieder ein. Wahrscheinlich geschah dies mit Recht, denn ein paradigmatisches Modell zur Erfassung von Texten und Literatur ist nicht in Sicht. Die hilfreichsten Entwürfe zum adäquaten Erfassen alttestamentlicher Texte als Texte sind pragmatischer orientiert: Sie gehen von der intensiven Beschreibung alttestamentlicher Texte in die Analogien aus der Literatur über. Wegweisend ist dafür bis heute das Buch von Robert Alter. 30 Hier gilt, dass die biblischen Texte ihr Sinnpotential dauerhaft vor allem darin erhalten, dass sie Texte sind. In dieser ihrer Textlichkeit sind sie dauerhaft bewohnbar- - wie eben auch »Moby Dick«, »Alice im Wunderland«, »Hamlet« oder die Gedichte von John Keats. Schon bei Alter und vergleichbaren Entwürfen deutet sich an, dass eine solche Texttheorie derzeit eher induktiv und nicht unter Zugrundelegung eines bestimm- 28 Schmid, Zeit, 299 � 29 Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch. Eine Würdigung der Entwicklung und des Themas in den Lehrbüchern gibt Blum, Sinn, 65 - 67 � 30 Alter, Narrative. Weitere wegweisende Ansätze sind versammelt bei Schmidt/ Weidner, Literatur� Texttheorie und exegetische Methodik 53 ten Modells zu gewinnen ist. Ein Einführungsseminar in die Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld formuliert die Aufgabe folgendermaßen: »Auf eine Texttheorie, eine Theorie der Interpretation und der Formulierung von Texten, ist zum Beispiel angewiesen, wer mißlungene von gelungenen Texten unterscheiden können will; wer verstanden haben will, was etwa einen Bericht von einer Beschreibung oder ein Protokoll von einer Schilderung und eine Geschichte von einer Darstellung unterscheidet. Er sollte begriffen haben, was Texte von beliebigen Abfolgen von Sätzen unterscheidet und was der Umgang mit Texten mit unseren Erfahrungen und Erwartungen zu tun hat. Das alles, weil ein überlegter, ein durchdachter Umgang mit Texten ohne dieses Wissen über Texte nicht zu haben ist. Das gilt nicht zuletzt für jene Professionen, bei denen die Beschreibung, die Beurteilung, die Bewertung der Praxis (und der Kritik) des Lesens und Schreibens der Texte von besonderer Bedeutung ist. Was weiß man über Texte, über ihre Lektüre, ihre Interpretation und ihre Formulierung? Zum Beispiel dies: Texte sind keine beliebigen, sondern irgendwie stimmige Folgen von Sätzen; die Abfolge der Sätze entspricht einer diskursiven Logik, Texte besitzen eine Kohäsion. Texte haben in einem gewissen Sinne und auf eine bestimmte Art und Weise Bezug zu unserem Wissen über die Welt, über die anderen und uns selbst; da besteht eine gewisse Kohärenz. Texte lassen sich unter bestimmten Aspekten der Beschreibung ordnen; es gibt so etwas wie Textsorten. Und das Lesen und Schreiben der Texte, ihre Interpretation und ihre Formulierung sind hoch komplexe Prozesse; Prozesse, zu deren Verständnis die Zeichenforschung, die Bewußtseinsforschung, die Hirnforschung auf unterschiedliche Weise beitragen. Wie lese ich einen Text von (sagen wir) Kleist in sozial normierten Interpretationssituationen? Was passiert in meinem Kopf, während ich (zum Beispiel) die erste Seite der Tageszeitung überfliege? Was spielt sich in meinem Gehirn ab, wenn ich dabei bei einer Bildunterschrift hängen bleibe? Wie geht das, einen Text zu schreiben? Wie greifen da Planung, Ausführung, Überarbeitung, Endredaktion, Edition usw. ineinander? Wann besitzt der Text für mich und (was lange nicht dasselbe ist) für andere eine Endfassung? Und erst der weitere Umgang mit dem Text: Was kann als eine verständige Lektüre, was als eine (wie auch immer) angemessene Interpretation gelten? Und was sind brauchbare Kriterien für eine gelingende Lektüre und für eine überzeugende Interpretation? Und erst recht: Was sind die Standards ihrer Beschreibung, Beurteilung und Bewertung? « 31 Eine Klärung dieser Fragen in der alttestamentlichen Exegese dürfte hilfreich sein. Sie könnte einen methodischen Konsens herbeiführen, der der theologischen Weiterarbeit nur dienlich sein kann. Eingeübt wird dies in den exegetischen Anfängerseminaren. Und hier komme ich zu meinen anfänglichen modernen Mythen 31 http: / / www.uni-bielefeld.de/ lili/ personen/ switalla/ texttheorie.html. 54 Melanie Köhlmoos zurück. Die in dem Bielefelder Text angesprochenen Fragen werden im öffentlichen Entstehungs- und Rezeptionsprozess der drei Texte transparent und modellhaft beantwortet. Das ist umso bedeutsamer, als »Harry Potter«, »Der Herr der Ringe« und »Star Wars« in nicht geringem Maße sinnstiftende Texte sind, die nichtsdestoweniger den derzeitigen Studierenden näher sind als »Alice im Wunderland« oder die Schriften von John Keats. An »Harry Potter« lässt sich beispielhaft nachbuchstabieren, was die Regeln guten- - zumindest aber fesselnden- - Erzählens sind. Dazu gehören auch Tricks und Kniffe und nicht zuletzt die Geduld, bis zu sieben Bänden auf eine Lösung zu warten. Es kommt die Gelassenheit dazu, eine Welt zu »bewohnen«, die nicht bis ins Letzte erklärt wird, aber trotzdem funktioniert. Und nicht zuletzt zeigen Internetkommunikationen, dass die jugendlichen und jungen Harry-Potter-Leserinnen und -leser durchaus über Textkompetenz und Reflexionsvermögen verfügen, an das exegetisches Methodenwissen sinnvoll andocken kann. 32 Beim »Herrn der Ringe« sind die Techniken komplexer, das Erzählen vielleicht auch nicht immer befriedigend-- gerade der Vergleich mit dem Film stellt hier aber die Frage nach der Kohärenz von Texten noch einmal neu. Und auch hier bietet das Netz zahllose Beispiele für gelungene Diskurse über Texte. »Star Wars« schließlich zeigt eine Saga im Werden die Chancen und Grenzen innertextlicher Transformationen. Von hier aus lassen sich m. E. Impulse für eine bessere theoretische und methodische Erschließung biblischer Texte gewinnen. Literatur Alter, Robert: The Art of Biblical Narrative, New York 2011� Beinkinstadt-Krumlauf, Claudia: Harry Potter und das World Wide Web. Anschlusskommunikationen jugendlicher Harry-Potter-Fans im Internet, in: Garbe, Christine (Hg.): Harry Potter: ein Literatur- und Medienereignis im Blickpunkt interdisziplinärer Forschung, Münster 2006, 235-254� Berger, Klaus: Das Buch der Jubiläen ( JSHRZ II ), Gütersloh 1981, 327-338� Bürvenich, Paul: Der Zauber des Harry Potter. Analyse eines literarischen Welterfolgs, Frankfurt/ Main 2001� Blum, Erhard: Die Komposition der Vätergeschichte ( WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984� Blum, Erhard: Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottähnlichkeit. Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: Blum, Erhard: Textgestalt und 32 Vgl. dazu exemplarisch Beinkinstadt-Krumlauf, Harry Potter. Als ein Beispiel sei genannt: https: / / lifewithsaskia.wordpress.com/ 2015 / 10 / 06 / harry-potter-buch-vs-film/ . Texttheorie und exegetische Methodik 55 Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten ( FAT 69), Tübingen 2010, 1-21� Blum, Erhard: Vom Sinn und Nutzen der Kategorie »Synchronie« in der Exegese, in: Blum, Erhard: Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament ( FAT 95), Tübingen 2015, 55-69� Carleton Paget, J. N. B.: The Christian Exegesis of the Old Testament in the Alexandrian Tradition, in: Sæbø, Magne (Hg.): Hebrew Bible/ Old Testament. A History of Its Interpretation. Bd. I From the Beginnings to the Middle Ages, Part 1 Antiquity, Göttingen 1996, 477-541� Carpenter, Humphrey (Hg.): The Letters of J. R. R. Tolkien, Boston 1981� Ewers, Hans Heino: Die Heldensagen der Gegenwart. Die Medienverbundangebote sind die großen Narrationen unserer Zeit, in: Garbe, Christine (Hg.): Harry Potter: ein Literatur- und Medienereignis im Blickpunkt interdisziplinärer Forschung, Münster 2006, 297-311� Feldman, Louis H.: Judean Antiquities 1-4, in: Mason, Steve (Hg.): Flavius Josephus. Translation and Commentary Vol. 3, Leiden 2000� David: Rezension zu Schlag, Thomas/ Schelander, Robert (Hg.): Moral und Ethik in Kinderbibeln. Kinderbibelforschung in historischer und religionspädagogischer Perspektive, Göttingen 2011, in: Th LZ 138 (2013), 507 f. Lauster, Jörg: Prinzip und Methode. Die Transformation des protestantischen Schriftprinzips durch die historische Kritik von Schleiermacher bis zur Gegenwart ( HUT 48), Tübingen 2004� Levin, Christoph: Art. Jahwist, Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www. wibilex.de) http: / / www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/ 22 139/ , erstellt: April 2015, letzter Zugriff am 17�12� 2015� Procopé, John F.: Greek Philosophy, Hermeneutics and Alexandrian Understanding of the Old Testament, in: Sæbø, Magne (Hg.): Hebrew Bible/ Old Testament. A History of Its Interpretation. Bd. I From the Beginnings to the Middle Ages, Part 1 Antiquity, Göttingen 1996, 451-477� Reents, Christine/ Melchior, Christoph: Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel: evangelisch, katholisch, jüdisch, Göttingen 2006� van Ruiten, Jacques T. A. G. M.: Primaeval History Interpreted. The Rewriting of Genesis 1-11 in the Book of Jubilees ( JSJ �S 66), Leiden 2000� Sæbø, Magne (Hg.): Hebrew Bible/ Old Testament. A History of its Interpretation, 4 Vol., Göttingen 2000-2015� Sauer, Georg: Jesus Sirach/ Ben Sira ( ATD Ap 1), Göttingen 2000� Schlag, Thomas/ Schelander, Robert (Hg.): Moral und Ethik in Kinderbibeln. 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In a first step the author claims to the meaning of paradoxy for cognition. In a second step he asks for the relevance of methods of academic teaching pointing to the need to change the scholarly perspective between observations of first and of second order for comparison to find an appropriate way to convey his interpretation. In the third and final step he points to the relation of academic didactics and specialists emphasizing that various perspectives of interpretation are necessary to understand the text within its different perspectives of inexhaustible meaning. »Verstehen von Anfang an«-- wie soll ich das Thema dieser Zeitschrift verstehen? Ist damit grundsätzlich gemeint, dass ich auch bei den größten Missverständnissen doch immer schon etwas verstehe, von dem ausgehend ich dann weiter verstehen bzw. missverstehen kann? Oder handelt es sich um einen pädagogischen Zuspruch, der motivieren soll? Dann gehe ich als Lehrender also davon aus, dass die Lernenden von Anfang an verstehen und plane mein Vorgehen so, dass Lernende möglichst schnell etwas verstehen? Ob ein Verstehen von Anfang an einsetzt, hängt aus didaktischer Perspektive wohl entscheidend davon ab, dass an vorhandenes Wissen angeschlossen werden kann. Als ein Beispiel eines solchen Lehr-Lern-Prozesses innerhalb der Bibelwissenschaften scheint die Methode des Bibliologs besonders geeignet, unmittelbare Verstehensprozesse im Umgang mit biblischen Texten auszulösen. Sie eröffnet eine 58 Norbert Brieden persönliche und direkte Begegnung mit biblischen Texten. 1 Indem ich mich mit den Situationen von Personen in den biblischen Narrationen identifiziere, verbinde ich meine eigenen mit den biblisch erzählten Erfahrungen. Auf diese Weise verstehe ich beispielsweise, was Eva erfahren haben mag, als sie Adam die Frucht reichte (Gen 3 , 6 ). 2 Vielleicht hat sie sich gewünscht, dass Adam auch wissen soll, was sie weiß. Dass er teilhaben soll an einer umstürzenden, schamvollen Erfahrung, die sie gerade macht. Dass diese Erfahrung Angst hervorruft, weshalb sie den Beistand ihres Partners braucht. Dass sie in seinen Augen sieht, dass er auch verstehen will, was sie versteht etc. Wenn in der Lerngruppe auf diese Weise unterschiedliche Vorstellungen über etwas gesammelt werden, das der biblische Text nicht erzählt, dann entwickelt sich ein Verständnis des Textes in seiner Funktion, die Existenz von Menschen mit sich zu verbinden. So erst wird der Text lebendig. Zur Methode des Bibliologs gehört es dann auch, darüber zu reflektieren, wie der Text lebendig wurde bzw. was eine Gruppe daran hindert, dass er lebendig werden kann. Gerade am Lernort Hochschule können Ängste, etwas ›Falsches‹ oder etwas ›Unwissenschaftliches‹ zu sagen, eine unvoreingenommene Begegnung mit einem biblischen Text verhindern. 3 Aber ist es überhaupt möglich, einem Text ›unvoreingenommen‹ zu begegnen? Stehen nicht sogar pädagogische und didaktische Bemühungen stets in der Gefahr, Zugänge derart zu präformieren, dass Vorurteile zementiert statt aufgebrochen und Pseudo-Verständnisse produziert werden, die weder der Sache- - dem biblischen Text- - noch den ihm begegnenden Personen gerecht werden? Ist insofern nicht schon die didaktische Absicht, ein ›Verstehen von Anfang an‹ zu ermöglichen, in sich paradox? Warum noch eine didaktische Zurichtung, wenn der Text von Anfang an zu ›verstehen‹ ist? Was genau ist die Funktion der didaktischen Reflexion-- der Planung, Durchführung und nachträglichen Rekonstruktion von Lernprozessen-- wenn Verstehen von Anfang an impliziert sein soll? Im Folgenden werden diese Fragen aus einem hochschuldidaktischen Erkenntnisinteresse beleuchtet. Dabei soll es zunächst darum gehen, die notierte Paradoxie in ihren Implikationen genauer zu erfassen. Ausgehend von einem subjektorientiert-konstruktivistischen religionsdidaktischen Ansatz 4 ergeben sich daraus hochschuldidaktische Konsequenzen. Am Ende wird die Bedeutung der didaktischen Reflexion auch für den fachwissenschaftlichen Diskurs behauptet: Trotz unter- 1 Vgl. Pohl-Patalong, Bibliolog 1 ; Pohl-Patalong, Bibliolog 2 ; einführend Lehren, Bibelauslegung, 138 - 153 � 2 Vgl. Pitzele, Brunnen, 62 - 70 � 3 Zu rezeptionsästhetisch-phänomenologischen und theologisch-wissenschaftstheoretischen Hintergründen der Texthermeneutik vgl. Brieden, Praktische Theologie. 4 Vgl. Mendl, Religionspädagogik. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 59 schiedlicher Erkenntnisinteressen und Wahrheitskonzepte gilt es, die unterschiedlichen Perspektiven in einen instruktiven Dialog zu bringen. 5 1. »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, oder: Was heißt ›paradox‹? Ein paradoxer Sachverhalt ist etwas (scheinbar) Widersinniges oder in sich Widersprüchliches, das zu seiner Aufklärung einen Perspektivenwechsel erfordert. Bekannt ist das Beispiel aus dem Titusbrief, in dem der (unbekannte) Verfasser im Namen des Apostels Paulus seinen Missionsgehilfen Titus vor den Lügnern unter den Kretern warnt und dabei eine dem kretischen Dichterphilosophen Epimenides zugeschriebene Sentenz zitiert: »Diese Menschen muss man zum Schweigen bringen, denn aus übler Gewinnsucht zerstören sie ganze Familien mit ihren falschen Lehren. Einer von ihnen hat als ihr eigener Prophet gesagt: ›Alle Kreter sind Lügner und faule Bäuche, gefährliche Tiere.‹ Das ist ein wahres Wort« (Tit 1 , 10 - 13 ). Wenn das Zitat des Kreters wahr wäre- - also alle Kreter Lügner wären- - dann müsste er als Kreter mit diesem Satz auch selbst gelogen haben und der Satz wäre kein »wahres Wort«. Und wenn der Satz eine Lüge wäre-- also Kreter sagten die Wahrheit-- dann würde diese Konsequenz der Satzaussage widersprechen (wenn Epimenides lügt, sagt er die Wahrheit, obwohl er ein Lügner ist). Der Widerspruch lässt sich auflösen, wenn man die Allgemeinheit von Bestandteilen der Aussage infrage stellt: Ein Lügner lüge nicht immer, sondern sage auch schon einmal die 5 Eine konstruktivistische Religionsdidaktik kann aufweisen, inwiefern alle Instruktionen (z. B. Wahrheitsansprüche einer religiösen Offenbarung) nur im Rahmen von Konstruktionen der glaubenden Subjekte aktualisiert werden können (vgl. Brieden, Instruktion; vgl. insgesamt die Bände des Jahrbuchs für konstruktivistische Religionsdidaktik: Büttner u. a., Religion lernen). Norbert Brieden * 1968, Dr. theol., ist Juniorprofessor für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik des Katholischen Religionsunterrichts an der Bergischen Universität Wuppertal. Studium der Kath. Theologie, Philosophie und Germanistik in Köln, Bonn und Bochum. Er ist seit mehreren Jahren zusammen mit Oliver Reis Sprecher des Netzwerks für Theologie und Hochschuldidaktik� 60 Norbert Brieden Wahrheit, oder die Lüge des Epimenides- - alle Kreter lügen- - impliziere nicht, dass alle Kreter die Wahrheit sagen, sondern es reiche, wenn zumindest einer die Wahrheit spricht, und das müsse ja nicht gerade Epimenides sein. Interessant ist, wie der Verfasser des Titusbriefes sein Zitat einbettet: Er verlangt, »diese Menschen- […] zum Schweigen [zu] bringen«, obwohl er »eine[m] von ihnen« direkt im nächsten Satz das Wort erteilt (ein Paradox). Und obwohl sie »mit ihren falschen Lehren« sogar »ganze Familien« »zerstören«, kommt »ihr eigener Prophet« mit einem »wahre[n] Wort« zur Geltung (ein Paradox). Für Niklas Luhmann entsteht ein Paradox, »wenn die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation zugleich die Bedingungen der Unmöglichkeit dieser Operation sind« 6 . Um den Lügenpropheten zu widersprechen, müssen ihre Aussagen zunächst einmal wahrgenommen werden (Bedingung der Möglichkeit der Operation »Widerspruch«). Wenn aber zumindest eine ihrer Aussagen als »wahres Wort« gilt, können sie nicht grundsätzlich der Lüge überführt werden (Bedingung der Unmöglichkeit dieser Operation). Der Verfasser des Titusbriefes zeigt im Epimenideszitat, dass er die Kommunikation mit den Lügenpropheten sucht, obwohl er ihnen »üble Gewinnsucht« unterstellt und sie »zum Schweigen bringen« will (ein Paradox). Sind solche Paradoxien unvermeidbar? Immerhin regen sie zum Nachdenken an und können in scheinbar festgefahrenen Kommunikationssituationen dem Diskurs einen neuen Schwung geben, wenn sie bearbeitet werden. Und zwar indem sie Perspektivwechsel provozieren und dadurch Lernprozesse, die immer auch Prozesse des Verstehens sind, initiieren. Eine grundlegende Paradoxie ist schon im Begriff »Verstehen« gegeben. Er setzt eine Unterscheidung zwischen mir selbst, der ich etwas zu verstehen behaupte, und dem, was ich zu verstehen denke, voraus. Somit impliziert jedes Verstehen einen Bezug zu sich selbst und einen Bezug zu dem Verstandenen. Systemtheoretiker sprechen hier von Selbst- und Fremdreferenz. Auch wenn ich selbst (als »System«) Gegenstand des Verstehens bin (also Teil der »Umwelt«), gilt diese Unterscheidung. Ich verstehe etwas über mich, indem ich die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz in meinem Selbstverständnis konkretisiere; z. B. wenn ich mir vergegenwärtige, dass ich ›Norbert Brieden‹ heiße, dann aktualisiere ich die Außenwahrnehmung der Anderen, die mich in der Regel mit diesem Namen ansprechen (Fremdreferenz), für meine Selbstwahrnehmung (Selbstreferenz). Zugleich schließe ich, indem ich ein bestimmtes Verständnis einer Sache aktualisiere, andere mögliche Verständnisse erst einmal aus. (Ich halte daran fest, Norbert Brieden zu sein, obwohl andere mich auch schon mal mit einem anderen Namen angeredet haben.) Wenn ich denke, Eva nahm die Frucht, weil die Schlange ihre Eitelkeit weckte, insofern sie wie Gott sein könne, kann ich nicht zugleich davon 6 Luhmann, Kommunikation, 268 � Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 61 ausgehen, sie biss in die Frucht aus Angst davor, dass Gott ihr etwas vorenthält. Die Bedingung der Möglichkeit für die Operation ›Verstehen‹ ist, eine bestimmte These für wahr zu halten (Ursache: Eitelkeit). Zugleich ist dieses Fürwahrhalten die Bedingung der Unmöglichkeit dieser Operation, insofern es ein anderes, ggf. tieferes Verstehen (Ursache: Angst) erst einmal auszuschließen scheint. Mein Verstehen (Selbstreferenz) wird dem, was zu verstehen ist (Fremdreferenz), nicht gerecht. Im Sinne dieser Paradoxie ist jedes Verstehen immer auch ein Nicht-Verstehen. Dieses Nicht-Verstehens werde ich gewahr, indem ich die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz in meine Selbstreferenz einbeziehe. Und das ist im Grunde nichts anderes, als den Beobachterstandpunkt zu wechseln. Ich beobachte nicht nur etwas (z. B. die sog. Sündenfallgeschichte Gen 3 , wie sie mir als Fremdreferenz aus meiner Umwelt-- als Teil des Systems ›Bibel‹-- entgegentritt), sondern ich beobachte, wie ich oder andere etwas beobachten (durch welche Mechanismen sich das Verhalten verschiedener Systeme-- meines oder anderer-- gegenüber der Erzählung charakterisieren lassen, d. h. die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz). Durch diese Beobachtung zweiter Ordnung können blinde Flecken und Vorurteile in der Beobachtung erster Ordnung aufgedeckt werden (etwa die Ablehnung biblischer Texte generell aufgrund von Zwängen innerhalb der religiösen Sozialisation; oder die Verwerfung des Schöpfungsgedankens aufgrund eines hypertrophen naturwissenschaftlichen Weltbildes). Eine solche Beobachtung zweiter Ordnung ist die Bedingung der Möglichkeit für wissenschaftliche Operationen, insofern über sie Rechenschaft abzulegen ist. Zugleich wäre sie Bedingung der Unmöglichkeit wissenschaftlicher Operationen dann, wenn keine Beobachtungen erster Ordnung vorlägen bzw. diese Beobachtungen aufgrund des wissenschaftlichen Methodenbewusstseins, wie es aus der Beobachtung zweiter Ordnung gewonnen wurde, als »unwissenschaftlich« diffamiert würden. In vielfältiger Weise wird unser Beobachten aber auch durch das Beobachtete geprägt. In einer Beobachtung zweiter Ordnung kann die Wirkung des Beobachteten auf den Beobachter beobachtet werden (wenn etwa in der Psychoanalyse die Therapeutin ihren Klienten auf dem Weg begleitet, das von ihm nicht Beobachtete- - er nimmt es nicht bewusst wahr, weil er irgendwie ahnt, dass er dessen Wirkung nicht erträgt-- in den Blick zu nehmen). Aber auch hier ist eine Beobachtung erster Ordnung vorausgesetzt, nämlich die Beobachtung dessen, was wirkt (durch den Perspektivwechsel zu einer Beobachtung zweiter Ordnung kann die Therapeutin danach beobachten, dass ihr Klient das von ihr Beobachtete eventuell nicht beobachtet, und wird dann Wege suchen, wie ihr Klient die aus seiner Sicht fremde Perspektive der Therapeutin in seine Selbstreferenz einspielt). Erst im Zusammenspiel der Beobachterperspektiven wird die Differenz von Fremd- und Selbstreferenz beobachtbar (bei anderen in der Regel leichter als bei mir selbst, weshalb man sich kaum selbst therapieren kann). Allein schon weil wir innerhalb 62 Norbert Brieden der Beobachtung erster Ordnung die Wirkung des Beobachteten nicht reflektieren, impliziert ein erstes Verstehen des Beobachteten immer und notwendig Momente des Nicht-Verstehens. Für beide skizzierten Perspektiven, die zum einen ausgehend vom Beobachter und zum anderen von der Wirkung des Beobachteten her einen Standpunktwechsel von der Beobachtung erster Ordnung zu derjenigen zweiter Ordnung anzustoßen vermögen, kann resümiert werden: Wissenschaftliches Vorgehen ist paradox, insofern es die ›unwissenschaftliche‹ Weltwahrnehmung, so sie diese zu überwinden sucht, voraussetzt und ernst zu nehmen hat. Wenn Rolf Todesco meint, »Paradoxien« würden erzeugt, »indem man Aussagen, die von einem Beobachterstandpunkt gemacht werden, als standpunktlos interpretiert« 7 , dann folgt daraus umgekehrt: Wenn man die Standpunkte hinter paradoxen Aussagen wahrnimmt, lassen sich die Paradoxien klären. Die unterschiedlichen Deutungen biblischer Texte haben jeweils ihr Eigenrecht, weil sie von verschiedenen Standpunkten aus vorgenommen wurden. Wenn es kein standpunktloses Verstehen gibt, dann ist jede Verstehensoperation durch den Index ihrer Perspektive charakterisiert. ›Wissenschaftlich‹ wird eine Aussage weniger durch ihren Inhalt (eine bestimmte Beobachtung erster Ordnung), als durch die präzise Beschreibung des Standpunktes, von dem aus sie getroffen wird (gewonnen durch eine Beobachtung zweiter Ordnung). Insofern es in der Wissenschaft um eine verallgemeinernde Absicherung des Verstandenen geht, ist in wissenschaftlichen Operationen nachzuweisen, dass jeder, der den genau beschriebenen Standpunkt einnimmt, zu dem dieser Perspektive entsprechenden Verständnis kommt. Aber ist eine solche exakte Standpunktbeschreibung jemals zu erreichen? Oder ist nicht die Bedingung der Möglichkeit dafür (die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz präzise zu bestimmen) zugleich die Bedingung ihrer Unmöglichkeit (weil die Wahrnehmung dieser Differenz auch standortbezogen bleibt und ein blinder Fleck daher grundsätzlich unvermeidbar ist)? Dann wären Paradoxien generell nicht auflösbar, sondern allenfalls in gewissen Grenzen aufzuklären. Ein solches Paradoxie-Verständnis liegt auch den Ausführungen von Oliver Reis und Thomas Ruster zu Grunde. Sie markieren als zentrale Aufgabe der Wissenschaft ›Theologie‹, »als ›Code-Wächter‹ der Glaubenskommunikation darauf zu achten, dass in der Kommunikation der Glaubensgemeinschaft« zwei »Paradoxien erhalten bleiben«: »Erstens die beiden Perspektiven auf die Bibel als Kommunikationssystem, nämlich als entstehendes und sich darin vollziehendes Kommunikationssystem und als ein in der kanonischen Form der Leser-Rezeption uns gegenüber tretendes Kommunikationssystem.-[…] Zweitens die beiden Perspektiven auf die Bibel im Rezeptionssystem, nämlich ihre vielfältige Rezeption zur Beobachtung 7 Vgl. Todesco, Paradoxie. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 63 von Gesellschaft für die Gesellschaft und ihre einheitliche Rezeption entsprechend den Leitdifferenzen, die von der Rezeptionsgemeinschaft als dem Kommunikationssystem Bibel angemessen tradiert werden« 8 � Beide Paradoxien spielen die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz ein: Die Vielfalt von Verstehensmöglichkeiten einerseits, durch die das biblische Textuniversum entsteht und wodurch wir selbst mit biblischen Texten kommunizieren (Selbstreferenz), und der in sich geschlossene Kanon andererseits, als der uns das Buch der Bücher wie eine Einheit gegenübersteht (Fremdreferenz). Und je nach eigenem Standpunkt die Bedeutung biblischer Texte in der gegenwärtigen Kultur »zur Beobachtung von Gesellschaft für die Gesellschaft« (Selbstbzw. Fremdreferenz) sowie die einheitlichen Verstehenskonzepte entsprechend ausgewählter Leitdifferenzen, die von unterschiedlichen Rezeptionsgemeinschaften, gemeint sind Kirchen bzw. Konfessionen, überliefert sind (Selbstbzw. Fremdreferenz). Zu beachten ist hier der »fiktive« Charakter der »Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdreferenz«, auf der »Paradoxien beruhen« 9 . Das bedeutet, dass diese Unterscheidung ein Konstrukt des Systems ist, das eine Beobachtung zweiter Ordnung vornimmt. Was als Fremd- und was als Selbstreferenz bewertet wird, hängt vom Standpunkt des Beobachters und von seiner Antwort auf die Frage, welche Sachverhalte er durch sein eigenes System (Selbstreferenz) und welche er durch seine Umwelt (Fremdreferenz) verursacht sieht, ab. Ob ich mich als Katholik, als Protestant, als Atheist oder als Agnostiker verstehe, hat einen Einfluss darauf, wie ich biblische Texte deute. Wenn Theologie den Standpunkt der eigenen Konfession präzise zu erfassen sucht, bezieht sie sich auf ein kanonisches Konglomerat von Beobachtungen erster Ordnung, durch die sie den eigenen Glauben verbindlich konstituiert sieht. Die Religionswissenschaften vergleichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Religionsgemeinschaften, indem sie vom Verbindlichkeitscharakter religiöser Aussagen abstrahieren. Dadurch erreichen sie eine größere Distanz zu den Gegenständen ihrer Analyse, was es erleichtern kann, die Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung einzunehmen. Aber auch innerhalb der Theologie ist eine Vielfalt von Perspektiven zu verzeichnen. Diese Vielfalt fordert dazu heraus, theologische Konstrukte auf der Ebene der zweiten Ordnung zu beobachten. Zwar ist niemand in der Lage, diese Vielfalt zu überschauen, weder innerhalb der eigenen Konfession, geschweige denn im Überblick über die christlichen Konfessionen oder gar der differenten Religionen. Doch die Komplexität eines Sachverhalts- - hier die unterschiedlichen Verstehensperspektiven auf biblische Texte- - wird reduziert, wenn durch die Beobachtung zweiter Ordnung wiederkehrende 8 Reis/ Ruster, Bibel, 282 � 9 Todesco, Paradoxie. 64 Norbert Brieden Muster im Beobachten erster Ordnung beschrieben werden können: dass etwa biblische Texte das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz zu bestimmen versuchen bzw. dass unterschiedliche (konfessionelle) Programme zur Deutung dieser Verhältnisbestimmung zu identifizieren sind. 10 Das Auftreten von Paradoxien im Verstehen und Kommunizieren biblischer Texte weist daher nicht notwendig auf einen unlösbaren Widerspruch hin (auf eine Antinomie), sondern auf die unterschiedlichen Standpunkte, die sowohl die Entstehung als auch die Deutung biblischer Texte prägten und bestimmen. Die Paradoxien können nicht in eine allgemeine standpunktlose Wahrheit aufgelöst werden, sondern markieren die Notwendigkeit von Kommunikation. Würde man die Paradoxie des Verstehens zum Verstehen hin auflösen, hätte man alles verstanden und könnte sein Verstehen nicht mehr vertiefen. Löste man die Paradoxie zum Nichtverstehen auf, könnte grundsätzlich nichts verstanden werden. In beiden Fällen wäre Kommunikation sinnlos. Dagegen ermöglicht die Kommunikation über (vermeintlich) Verstandenes, Missverständnisse zu klären bzw. Wissen zu stärken und einen Standpunkt zu bewähren. Denn die differenten Standpunkte gehen nicht ineinander über, sondern sind theologisch zu profilieren. Je klarer man Paradoxien herausarbeitet, desto deutlicher werden die Konsequenzen der Standpunkte. Herausgearbeitet wurde: Verstehen und Missverstehen sind notwendige Momente von Verstehensprozessen. Sie bilden eine paradoxe Einheit und sind durch Reflexion der Perspektiven und Referenzen mittels eines Wechsels in eine wissenschaftliche Beobachterperspektive aufzuklären. Gleichwohl besitzt auch diese Perspektive ihre blinden Flecken und unterliegt der grundlegenden paradoxalen Struktur des Verstehens. Die Standortgebundenheit jeglichen Wissens zwingt zur Kommunikation. Welche hochschuldidaktischen Konsequenzen haben diese erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Einsichten? 2. Vom Lehren zum Lernen, oder: Was soll Hochschuldidaktik? Aus dem grundlegenden Paradox des Verstehens, das in dem erläuterten Sinne immer auch ein Nicht-Verstehen ist, lassen sich auch die pädagogischen und didaktischen Paradoxien ableiten. 11 Die Operation des Erziehens ist zugleich die Bedin- 10 Vgl. Reis/ Ruster, Bibel, 280 � 11 Die von Manfred Pirner genannten Antinomien des Lehrerhandelns sind m. E. besser als Paradoxien zu bezeichnen: Die »Autonomie-Antinomie« (in der heteronomen Zwangsanstalt Schule zur Autonomie zu erziehen), die »Ungewissheit-Antinomie« (die für die Zukunft bedeutsamen Inhalte des Unterrichts festzulegen, ohne die Zukunft der Zöglinge zu kennen), die »Nähe-Distanz-Antinomie« (professionelle Distanz persönlich, authentisch und warm Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 65 gung der Möglichkeit von Erzogensein als auch die Bedingung seiner Unmöglichkeit: Wer noch der Erziehung bedarf, ist nicht erzogen, insofern das Erzogensein dadurch bestimmt ist, dass die ›Erzogenen‹ für ein angemessenes Verhalten keine äußere Einwirkung benötigen. Wie viel Einfluss und welche Art heteronomer Einwirkung erlaubt das Ziel, Menschen zur Autonomie zu erziehen? Didaktische Überlegungen unterstellen den Sinn und die Möglichkeit, Lernprozesse anderer zu planen und zu reflektieren. 12 Lernen können aber die anderen nur von sich aus und auf der Basis ihres jeweils eigenen Standpunktes, auch wenn sie in einer ganz bestimmten Lernkultur aufwachsen und dadurch geprägt sind. Wieweit und mit welchen Mitteln können Lehrende das Verstehen der Lernenden verstehen und vorantreiben? Wodurch wird das Lernen des Lernens gefördert oder behindert? Bleibt am Ende mehr als das Eingeständnis des eigenen Nicht-Wissens, das als wissendes Nichtwissen doch auch ein Wissen ist (ein Paradox)? Die Reflexion über den Paradoxie-Begriff könnte den Eindruck erwecken, dass theoretisches Bemühen, das sowieso nie an ein Ende kommt, im Letzten wenig effektiv und daher redundant sei. Viele Studierende für das Lehramt sind dieser Auffassung und daher froh, im Praxissemester die universitäre Theorie hinter sich lassen zu können und endlich ›in die Hände der Praxis zu spucken‹. 13 Ein zentraler Sinn der universitären Begleitung des Praxissemesters liegt dann darin, mit den Studierenden durch die Reflexion der praktischen Erfahrungen den erhellenden Effekt fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher Theorien zu erarbeiten, was durchaus im Interesse der Studierenden liegt. 14 Mit der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik (Reich, Siebert, Huschke- Rhein, Arnold) bin ich der Auffassung, dass Lernprozesse durch Konstruktionen der Lernenden innerhalb systemischer Zusammenhänge erfolgen. Wir erfinden (konstruieren), entdecken (rekonstruieren) und verstören (dekonstruieren) unsere Wirklichkeiten selbst. 15 Jede Auseinandersetzung mit Wirklichkeit ist geprägt durch vielfältige kulturelle Welten, die wiederum auf die Art und Weise einwirken, zu gestalten) und die »Förderung-Selektion-Antinomie« (vgl. Pirner, Lehrer, 17 ). Bezüglich der beiden letztgenannten etwa steht die Aufgabe der Lehrerin, Leistung zu beurteilen und damit ggf. Entscheidungen über den Bildungsweg der Beurteilten zu fällen, dann nicht im Widerspruch zum zentralen Inhalt des RU- - Gott als der bedingungslos Liebende- - wenn beide Perspektiven differenziert und reflektiert relationiert sind: Fachliche Leistungsbeurteilung auf der einen und Wertschätzung der Schülerpersönlichkeit auf der anderen Seite sind derart voneinander zu trennen und aufeinander zu beziehen, dass sich die Schülerin von ihrem Lehrer trotz ihrer als mangelhaft bewerteten Leistung respektiert fühlen kann (etwa durch die positive Unterstellung, dass Nichtverstandenes später noch verstanden wird). 12 Vgl. Brieden, Kritik. 13 Lenhard, Phasen, 286 f. 14 Vgl. Lück, Religion, 204 f. 15 Vgl. Reich, Pädagogik, 118 - 147 � 66 Norbert Brieden in der wir konstruieren, rekonstruieren und dekonstruieren. Familien, (Hoch-) Schulen, Medien, Religionsgemeinschaften etc. sind Systeme innerhalb des Systems Gesellschaft, in denen kulturelle Bildung mit vielerlei biblischen Bezügen sich vollzieht und zugleich wirkt. 16 Ein radikales Ernstnehmen der Subjekte religiösen Lernens 17 charakterisiert sowohl die schulische Kompetenzorientierung nach dem PISA -Schock 18 als auch die sogenannte ›Kindertheologie‹. Sie verstärkte in der Reflexion der drei Perspektiven einer Theologie der Kinder, mit Kindern und für Kinder den zentralen Ausgangspunkt bei der Würde jedes einzelnen Subjekts und seiner Konstruktionen und bewährte ihn in der theologischen Arbeit an biblischen Texten. 19 In diese Entwicklung lässt sich auch die hochschuldidaktische Diskussion einordnen. Die Studierenden und ihre Kompetenzentwicklung stehen nun im Zentrum auch der wissenschaftlichen Lehre. ›Kompetenzorientierung‹ verlangt, Lehren, Lernen und Prüfen in einen sinnvollen und transparenten Zusammenhang zu bringen. Dieses »Constructive Alignment« 20 erfordert den »Shift from Teaching to Learning« 21 -- womit zwei zentrale Konzepte benannt sind, die aktuell hochschuldidaktisch diskutiert werden. 22 Die Orientierung an Kompetenzen als ein Können, dem auch ein entsprechendes Wissen zugrunde liegt, ist auf eine Auseinandersetzung mit Inhalten und ein Einüben von Methoden angewiesen. 23 Welche hochschuldidaktischen Konsequenzen ergeben sich aus der Erfahrung, dass Studierende mit frisch erlernten exegetischen Methoden zunächst weniger zu sehen scheinen als ohne sie, vielleicht weil das ›Auge‹ sich erst an die neue ›Brille‹ gewöhnen muss? 24 Wie kann die Paradoxie bearbeitet werden, dass die Bedingung der Möglichkeit für das tiefere Verstehen eines biblischen Textes (Operationen nach den Regeln der exegetischen Kunst vorzunehmen) zugleich und doch zumindest zunächst die Bedingung für die Unmöglichkeit des angezielten Verstehens zu sein scheint? 16 Vgl. Domsgen, Religionspädagogik. 17 Vgl. Göllner/ Brieden, Vielfalt; Rothgangel, Konzeptionen, 84 - 87 � 18 Vgl. Baumert u. a. (Hg.): PISA. Durch die im letzten Jahrzehnt erfolgte Kompetenzorientierung wurden die im Umgang mit der Bibel zu erwerbenden Kompetenzen modelliert und präzisiert (vgl. Göllner u. a., Emmaus; Benner u. a. [Hg.], Kompetenz; Lindner, Fachdidaktik, 14 - 38 ; Lenhard/ Obst, Bibeldidaktik; Brieden, Tod). 19 Vgl. Reiß/ Freudenberger-Lötz, Didaktik; Zimmermann, Kindertheologie; Schweitzer, Kindertheologie; Bucher u. a. (Hg.): Jahrbuch; Büttner u. a. (Hg.): Religion. 20 Vgl. Baumert/ May, Konzept. 21 Vgl. Scheidler/ Reis, Lehren. 22 Vgl. Jorzik, Charta; Brieden, Religionspädagogik, 288 - 296 � 23 Vgl. Bruckman u. a. (Hg.): Lehre. 24 Vgl. den Beitrag von Sandra Huebenthal in diesem Heft. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 67 Nach der obigen Ausführung zur Paradoxiebestimmung möchte ich folgende Lösung vorschlagen: Die Studierenden müssen zu einem steten Perspektivenwechsel angeregt werden. Erstens gilt es, das eigene Beobachten des biblischen Textes auf der Ebene erster Ordnung ernst zu nehmen, und zweitens, diese Beobachtung als Beobachter zweiter Ordnung zu beobachten. Der Perspektivenwechsel von der ersten zur zweiten Ordnung ist durch das methodische Vorgehen als solches impliziert, denn schließlich legen die Bibelwissenschaften Rechenschaft darüber ab, warum sie welche Methoden zum Verständnis eines bestimmten Textes anwenden. Im Einüben dieses Beobachterblicks kann allerdings die Beobachtung erster Ordnung vernachlässigt werden, woraus möglicherweise die ›Erstverschlimmerung‹ beim Anwenden exegetischer Methoden auf einen Bibeltext resultiert. Die Methode des Bibliologs ist ein Weg, die Beobachtung erster Ordnung zu verlangsamen bzw. sie überhaupt erst in Gang zu setzen, wenn Studierende sich auf ihr Vorverständnis eines vermeintlich bekannten Textes verlassen und ihn daher gar nicht mehr gründlich lesen. Wenn sie ohne eine präzise Textwahrnehmung vom Standpunkt einer Beobachtung zweiter Ordnung aus ihr Vorverständnis aktualisieren möchten, geraten sie im positiven Fall in einen sie irritierenden Konflikt oder wenden im negativen Fall die exegetischen Methoden unreflektiert so an, dass es irgendwie schon passt. Oder die Studierenden sind mit dem Perspektivenwechsel überfordert, denn die Anwendung der Methode verlangt nach wie vor die Beobachtung erster Ordnung, die rein mechanisch nach den gelernten Methodenschritten erfolgen kann oder eben durch eine ergänzende Beobachtung zweiter Ordnung methodisch reflektiert wird. Helfen kann in jedem Fall die Reflexion des eigenen Lernprozesses, indem die Studierenden etwa durch Lerntagebücher metakognitive Lernziele erreichen: - Wie kommt es, dass ich einen biblischen Text zunächst so und dann anders verstanden habe? - Wie hat sich mein Standpunkt zum Text durch die Anwendung der Methoden verändert? - Wie kann ich meine unterschiedlichen Beobachtungen aus der Perspektive der ersten Ordnung durch den Perspektivenwechsel verstehen und sie für ein neues Gesamtverständnis des Textes integrieren? Muss ich ihnen überhaupt auf diese Weise gerecht werden, oder kann ich sie als Vorurteile aus meinem aktuellen Verständnis ausgliedern? - Wie kann ich, ausgehend vom Standpunkt einer Beobachtung zweiter Ordnung, über eine präzise Anwendung methodischer Vorgaben hinaus-- wie sie in der Wissenschaftstradition aus der Beobachtung zweiter Ordnung erwachsen sind-- auch den Bezug dieser wissenschaftlichen Beobachtung auf die Beobachtung erster Ordnung beobachten? Und zwar so beobachten, dass ich den biblischen 68 Norbert Brieden Text noch tiefer verstehe und mein ›Verstehen von Anfang an‹ begründet in mein vertieftes Verständnis integriere (wobei sich dem Anfangsverständnis gegenüber zustimmende oder ablehnende, in jedem Falle aber dem vertieften Verständnis entsprechend differenzierende Urteile ergeben)? Das Verstehensparadox ist aufzuklären durch eine präzise Unterscheidung von mindestens drei Standpunkten, die jeweils aufeinander zu beziehen sind: 1� Einer Beobachtung erster Ordnung, die »unvoreingenommen« an den Text herangeht und ihn aufgrund seiner Brüche und Leerstellen so befragt, dass die eigene Existenz ins Spiel kommt-- wie etwa der Bibliolog aus der Perspektive der Teilnehmer zunächst vorgeht; indem er nämlich den biblischen Text in einer Lerngruppe so ins Zentrum stellt, dass die Teilnehmerinnen ihren Beobachtungen am Text trauen; 2� einer Beobachtung zweiter Ordnung, die das eigene Beobachten beobachtet und darin den Schritt zu wissenschaftlicher Nachprüfbarkeit vollzieht-- wie es die pluriforme exegetische Methodik vorsieht und was für den Leiter oder die Leiterin eines Bibliologs vorausgesetzt wird. Das entspricht auch dem Anliegen der ›interaktionalen Bibelauslegung‹, nach einer ersten Phase der Textannäherung in eine analytische Distanz zu den eigenen (Vor-) Urteilen zu treten; 25 3� einer Beobachtung zweiter Ordnung, die das Verhältnis der unterschiedlichen Textrezeptionen beleuchtet und aus dieser rezeptionsästhetischen Perspektive heraus ein vertieftes Textverständnis gewinnt. 26 So kann etwa deutlich werden, warum bestimmte Verständnisse unter bestimmten Voraussetzungen (etwa genau zu bestimmender Standpunkte in Raum und Zeit) erfolgt sein könnten, oder inwiefern Texte in der ›Folterkammer der Methoden‹ so zugerichtet sind, dass ein bestimmtes Interpretationsergebnis vorherzusehen ist und den Texten Gewalt angetan wird. Die hochschuldidaktische Aufgabe von Lehrenden besteht darin, Studierende in ihrem Lernprozess so zu begleiten, dass Anregungen zu Perspektivwechseln spätestens dann erfolgen, wenn die Lernenden in Sackgassen geraten-- mit dem Ziel, dass die Studierenden später so geübt sind, dass sie diese Perspektivenwechsel eigenständig vornehmen können. Das setzt gerade in der Anfangsphase des Studiums voraus, dass Lehrende einen Einblick in die Lernprozesse der Lernenden gewinnen. 25 Vgl. Berg, Wort, 169 - 195 ; Lehnen, Bibelauslegung. 26 Zum Beispiel der paradoxen Einheit monistischer und dualistischer Auferstehungshoffnungen vgl. Brieden, Was bedeutet; zum Beispiel unterschiedlicher Perspektiven auf die Interpretation der Heilsbedeutung des Kreuzes vgl. Roose, Heilsbedeutung. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 69 In meinen Vorlesungen mache ich diesbezüglich gute Erfahrungen mit Lernprozess-Portfolios. Die Studierenden müssen im Semester jeweils zwei Vorlesungssitzungen genau beschreiben, indem sie die Vorlesungsinhalte auf ihren Lernprozess beziehen: - Was habe ich in der Vorlesung gelernt? - Was habe ich wie verstanden? - Was hat mir beim Verstehen geholfen? - Welche Widerstände sind ggf. zu verzeichnen (biografisch bedingt, bezogen auf die Art der Darstellung, Fremdwörter etc.)? - Was war mir neu? - An welches Vorwissen wurde ggf. angeknüpft? - Warum war ich ggf. gelangweilt? In der folgenden Vorlesung kann ich exemplarisch auf Äußerungen einzelner Studierender eingehen, die das Verstehen der gesamten Gruppe befördern, insofern Probleme in der Regel nicht nur Einzelfälle betreffen. Durch gezielte Nachfragen kann ich herausfinden, wie und was die Studierenden verstanden haben und wo ggf. durch eine Diskussion größere Klarheit geschaffen werden kann. Im weiteren Verlauf des Studiums können die Studierenden, sofern eine präzise Kompetenzmodellierung mit ihnen erarbeitet bzw. reflektiert wurde, ihre eigenen Verstehens- und Präsentationsleistungen anhand der Modellierung selbst beschreiben und bewerten. Nach meinen Erfahrungen steigert ein solches transparentes ›Constructive Alignment‹ die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Studierenden nachhaltig. 27 Insofern Lehramtsstudierende später die Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu bewerten haben, ist es hochschuldidaktisch geboten, mit den Studierenden die Kompetenzziele der Veranstaltungen zu reflektieren und sie zur Bewertung der eigenen Leistungen bzw. derjenigen ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen anzuhalten. 28 Herausgearbeitet wurde: Hochschuldidaktisch ist eine Didaktik des Perspektivenwechsels nötig, die, analog zum Wechsel von Innen- und Außenorientierung innerhalb des religionsdidaktischen Konzepts von Bernhard Dressler, 29 den Perspektivenwechsel von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung systematisch einübt. Das bedeutet erstens, die Wahrnehmungen aus der Beobachtung erster Ordnung ernst zu nehmen, sie zweitens aus der Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung wissenschaftlich zu rahmen, wodurch sie zugleich relativiert werden, und drittens im Vergleich der Perspektiven eine freie 27 Vgl. Brieden, Kompetenzorientierung, 211 - 221 ; Brieden, Religionspädagogik, 293 � 28 Vgl. Reis, Theologie. 29 Vgl. Dressler, Religionsdidaktik. 70 Norbert Brieden Haltung im Umgang mit den unterschiedlichen Interpretationen biblischer Texte zu finden. Aus einer solchen Aufgabenstellung könnte das Missverständnis resultieren, dass aufgrund der Vielfalt der Interpretationen jeder Einsatz für eine bestimmte Interpretation als zufällig oder beliebig zu bewerten wäre. Wie kann gleichwohl am notwendigen Wahrheitsbegriff festgehalten werden, der allererst den Streit um richtige oder falsche Interpretationen legitimiert? 3. »Was ist Wahrheit? «, oder: Hochschuldidaktik und Fachwissenschaften Didaktische Programme wie die Kompetenzorientierung schließen die Wahrheitsfrage genauso wenig aus wie rezeptionsästhetische oder konstruktivistische Theorien, die systemtheoretisch betrachtet eine Beobachtung zweiter Ordnung voraussetzen. Zwar erlaubt eine solche Beobachtung zunächst ein Zurücktreten von der unmittelbaren Wahrheitsfrage: Es geht nicht darum, welche Interpretation eines biblischen Textes ›wahr‹ ist, sondern darum zu verstehen, warum es zu unterschiedlichen Interpretationen gekommen ist, welche Interpretationsmuster zu differenzieren sind, was die unterschiedlichen Interpretationen für ein Gesamtverständnis eines Textes jeweils beitragen und welche Kompetenzen Lernende erwerben können, wenn sie sich mit divergierenden Interpretationen auseinandersetzen. Nur wenn diese Fragen didaktisch in den Vordergrund treten, können die Polyvalenz biblischer Texte und ihre ›Pluriinterpretabilität‹ ernst genommen werden. Im Gegensatz zu einem vulgären und auch bei Studierenden verbreiteten Relativismus, nach dem es in religiösen Fragen kein wahr und falsch gibt, fordert eine konstruktivistische Religionsdidaktik eine Aufklärung über die relativen Wahrheiten der jeweiligen Standpunkte. 30 Unterschiedliche Interpretationen eines Bibeltextes müssen sich vom Text und von den auslegenden Subjekten her begründen lassen. Da aber kein Mensch über einen standpunktlosen Standpunkt verfügt (diese Paradoxie wäre einzig aufgelöst im alle Standpunkte umgreifenden ›Blick‹ Gottes), muss das, was als wahr gelten soll, in den kommunikativen Prozessen einer Gruppe ausgehandelt werden. So entwickelt sich in den Beziehungsräumen der unterschiedlichen (Lern-)Gruppen (Familie, Klasse, Kurs, Gemeinde, Partei, Religionsgemeinschaft etc.) die Beziehung zum Gegenstand und seiner Wahrheit (dem ES ) immer auch in und durch ein komplexes Beziehungsgefüge. Die Beziehungen der am Lernprozess beteiligten Personen (das WIR), die Beziehung zum eigenen Selbst (das ICH ), die Beziehung zu der das Gesamtgeschehen umgreifenden 30 Vgl. Brieden, Radikal. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 71 Umwelt (der GLOBE ) und auch die Beziehung zur Zeit sind jeweils involviert. 31 Eigens zu bedenken ist im Blick auf religiöses Lernen die Beziehung zu Gott, die in der theologischen Rezeption das zentrale ES bildet. 32 Und sofern auch Gott seinen ihm von uns unterstellten ›standpunktlosen Standpunkt‹ nicht anders offenbaren kann, als ihn den Standpunkten der die göttliche Wahrheit aufnehmenden Menschen zu übergeben, bleiben selbst die in den Konfessionen von einer großen Menschengruppe auch über Generationen hinweg tradierten Wahrheiten in gewisser Weise standpunktbezogen: »Konfessionen lassen sich als Programme beschreiben, die die biblischen Programme reproduzieren. Die katholische Kirche bietet eine umfassende Lebens- und Gesellschaftsordnung, ähnlich wie die Tora, und nicht selten hat sie in der Geschichte mehr Zustimmung für diese Ordnungsidee als für ihre eigentlich religiöse Botschaft gefunden; so z. B. in der action française. Die Reformation, allen voran Martin Luther, trat der etablierten Kirche mit prophetischer Überzeugungskraft entgegen. Prophetische Geister von Thomas Müntzer bis zu Martin Luther King haben sich davon inspirieren lassen; noch die Französische Revolution zehrte vom prophetischen Schwung der Reformation. Ob man die Orthodoxie eher der Weisheit zuordnen soll, wollen wir hier nicht entscheiden, aber manches deutet darauf hin. So wie aus kanonischer Perspektive nicht ein biblisches Programm die Gottesperspektive auf die Welt allein darstellen kann, so kann offensichtlich auch keine Kirche die ganze Breite der biblischen Kanonprogramme repräsentieren.« 33 Allerdings wird eine Beobachtung zweiter Ordnung, die unterschiedliche ›Programme‹ bzw. Muster von Interpretationen des biblischen Kanons zu differenzieren und zu vergleichen vermag, 34 dem göttlichen Offenbarungsanspruch nicht gerecht. Die religiöse Wahrheit will im Glauben als einer Beobachtung erster Ordnung ergriffen werden. Ob und wie nach dem Durchgang durch die Beobachtung zweiter Ordnung eine »zweite Naivität« (Paul Ricœur) innerhalb einer sich der Beobachtung entziehenden (Nicht-) Beobachtung dritter Ordnung (ein Paradox) zu postulieren ist, wäre religionsdidaktisch zu diskutieren. 35 Auch sind hochschuldidaktische ›Errungenschaften‹ immer kritisch zu beobachten: 31 Vgl. Boschki, Religionsdidaktik, 175 - 177 � 32 Vgl. Hilberath/ Scharer, Theologie, 142 - 179 � 33 Reis/ Ruster, Bibel, 285 f. 34 Im Unterschied zu Reis und Ruster, die darin eine »Beobachtung dritter Ordnung« erkennen (Reis/ Ruster, Bibel, 286 ), liegt hier m. E. lediglich eine Spielart der Beobachtung zweiter Ordnung vor: Immer geht es um das Beobachten von Beobachtern, auch wenn hier die Resultate einer solchen Beobachtung eigens beobachtet werden. 35 Vgl. Brieden, Radikal; Göllner/ Brieden, Vielfalt. 72 Norbert Brieden - Inwiefern erzeugt ein transparentes Constructive Alignment Scheinsicherheiten, die im Einzelfall das Lernen so stark einengen oder präformieren, dass am Ende das Gegenteil von dem erreicht wird, was beabsichtigt war? - Muss nicht der Shift from Teaching to Learning für Lehrende zugleich auch ein Shift from Learning to Teaching sein, insofern der Shift dazu veranlasst, das eigene Lehren stetig zu reflektieren und zu verändern? - Welchen Raum eröffne ich den Studierenden, selbst Lehrerfahrungen zu machen? Eine didaktische Beobachtung unterscheidet sich von einer fachwissenschaftlichen. Nur so können beide Perspektiven je für sich funktionieren und angemessen Komplexität reduzieren. Und doch wäre in einer weiteren Beobachtung zweiter Ordnung die Beziehung der beiden Perspektiven zu beobachten. 36 In diesem Sinne schließe ich mit der These, dass die hochschuldidaktische Reflexion der Planung, Durchführung und Reflexion von Lernprozessen mit biblischen Texten Perspektivenwechsel erfordert, die auch im fachwissenschaftlichen Diskurs erkenntnisrelevant sein können: - Was verstehen die Studierenden, wenn sie ›von Anfang an‹ verstehen? - Wie verstehe ich meine Rolle als Hochschullehrender, der selbst forschend lernt? - Wo und warum vergegenwärtige ich mir die Standpunkte der Studierenden und deren Auswirkung auf mein eigenes Forschen? - Inwiefern bin ich dafür offen, meine eigenen Positionen, ganz im Sinne einer »Entsicherungsdidaktik«, 37 irritieren zu lassen und in Frage zu stellen? 4. Epilog Ein Midrasch zu Gen 3 erzählt: Als Eva die verbotene Frucht aß, sah sie alles Leid in der Geschichte der Menschheit. Sie schrie und konnte nicht mehr aufhören zu schreien. Und Adam aß ebenfalls-- aus Mitleid mit seiner Gefährtin. 38 Verstehen von Anfang an, das heißt auch: Wir essen gemeinsam-- zum Glück-- die Früchte vom Baum der Erkenntnis. 36 Vgl. Reis, Gott. 37 Vgl. Beuscher, Paradox; Beuscher/ Zilleßen, Religion. 38 Zu weiteren Deutungen im Bibliolog und einem ganz anderen Midrasch vgl. Pitzele, Brunnen, 54 - 84 � Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 73 Literatur Arnold, Rolf: Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik, Heidelberg 2007� Baumert, Britta/ May, Dominik: Constructive Alignment als didaktisches Konzept. Lehre planen in den Ingenieur- und Geisteswissenschaften, Journal Hochschuldidaktik 1-2 (2013), 23-27� Baumert, Jürgen u. a. (Hg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001� Benner, Dietrich u. a. (Hg.): Religiöse Kompetenz als Teil öffentlicher Bildung: Versuch einer empirisch, bildungstheoretisch und religionspädagogisch ausgewiesenen Konstruktion religiöser Dimensionen und Anspruchniveaus, Paderborn 2011� Berg, Horst Klaus: Ein Wort wie Feuer. Wege lebendiger Bibelauslegung, München 1991� Beuscher, Bernd: Positives Paradox. Entwurf einer neostrukturalistischen Religionspädagogik, Wien 1993� Beuscher, Bernd/ Zilleßen, Dietrich: Religion und Profanität. Entwurf einer profanen Religionsdidaktik, Weinheim 1998� Boschki, Reinhold: Dialogisch-beziehungsorientierte Religionsdidaktik, in: Grümme, Bernhard u. a. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012, 173-184� Brieden, Norbert: Radikal heißt nicht beliebig. Der Konstruktivismus im Streit um die Wahrheit, in: Büttner, Gerhard u. a. (Hg.): Religion lernen ( Jahrbuch für Konstruktivistische Religionsdidaktik 1), Hannover 2010, 165-179� Brieden, Norbert: Kompetenzorientierung im Vorbereitungsseminar für schulpraktische Studien im Fach »Katholische Religionslehre« (Fachpraktikum im Masterstudium), in: Bruckmann, Florian u. a. (Hg.): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion-- Reflexion-- Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 197-221� Brieden, Norbert: Instruktion ist Konstruktion, oder: Was bedeutet Jesu ›Piercing‹? In: Büttner, Gerhard u. a. (Hg.): Religion lernen ( Jahrbuch für Konstruktivistische Religionsdidaktik 3), Hannover 2012, 53-69� Brieden, Norbert: Tod und Auferstehung. Umfassende Materialien zu den eschatologischen Fragen des Christentums, Donauwörth 2 2014� Brieden, Norbert: Könnte wirklich auch alles ganz anders sein? Zur Kritik konstruktivistischer Unterrichtsplanung, in: Büttner, Gerhard u. a. (Hg.): Religion lernen ( Jahrbuch für Konstruktivistische Religionsdidaktik 5), Babenhausen 2014, 189-196� Brieden, Norbert: Praktische Theologie als Wahrnehmungswissenschaft, oder: Wie Weltmeister werden? (F. C. Delius: »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde«, Reinbek 1994, http: / / www.theologie-und-literatur.de/ wissenschaftliche-beitraege-online/ , letzter Zugriff: 15. 5. 2015). Brieden, Norbert: Was bedeutet der Glaube an die Auferstehung der Toten? Topografische Mindmaps zu 1 Kor 15,35-44 im Religionsunterricht der Oberstufe, in: Büttner, 74 Norbert Brieden Gerhard u. a. (Hg.): Glaubenswissen ( Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik 6), Babenhausen 2015, 81-97� Brieden, Norbert: Religionspädagogik lehren lernen-- hochschuldidaktische Impulse, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 14 (2015), H. 2, 86-103, http: / / theo-web. de/ zeitschrift/ ausgabe-2015-02/ , letzter Zugriff: 18. 12. 2015� Bruckmann, Florian u. a. (Hg.): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion-- Reflexion-- Perspektiven, Münster (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011� Bucher, Anton A. u. a. (Hg.): Jahrbuch für Kindertheologie 1-13, Stuttgart 2002-2014� Büttner, Gerhard u. a. (Hg.): Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung-- Schlüsselthemen-- Methoden, Stuttgart 2014� Büttner, Gerhard u. a. (Hg.): Religion lernen. Jahrbuch für Konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd. 1: Lernen mit der Bibel, Bd. 2: Kirchengeschichte, Bd. 3: Lernumgebungen, Bd. 4: Ethik, Bd. 5: Religionsunterricht planen, Bd. 6: Glaubenswissen, Hannover/ (ab Bd. 5) Babenhausen, 2010-2015� Domsgen, Michael (Hg.): Religionspädagogik in systemischer Perspektive, Leipzig 2009� Dressler, Bernhard: »Religiös reden« und »über Religion reden« lernen-- Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels, in: Grümme, Bernhard u. a. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012, 68-78� Göllner, Reinhard/ Brieden, Norbert: Vielfalt viabler Wege versus ›Einfalt‹ christlicher Glaubenswahrheit? Zur Subjektorientierung religiöser Lernprozesse, in: Mette, Norbert/ Sellmann, Matthias (Hg.): Religionsunterricht als Ort der Theologie ( QD 247), Freiburg u. a. 2012, 297-321� Göllner, Reinhard u. a.: Emmaus: Auferstehung heute eröffnen. Elementarisierung-- Kompetenzorientierung-- Kindertheologie, Münster 2010� Grümme, Bernhard u. a. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven des Religionsunterrichts (Religionspädagogik Innovativ 1), Stuttgart 2012� Hilberath, Bernd Jochen/ Scharer, Matthias: Kommunikative Theologie. Grundlagen-- Erfahrungen-- Klärungen, (Kommunikative Theologie 15), Ostfildern 2012� Huschke-Rhein, Rolf: Einführung in die systemische und konstruktivistische Pädagogik. Beratung-- Systemanalyse-- Selbstorganisation, Weinheim u. a. 22 003� Jorzik, Bettina (Hg.): Charta guter Lehre. Grundsätze und Leitlinien für eine bessere Lehrkultur, Essen 2013� Lehnen, Julia: Interaktionale Bibelauslegung im Religionsunterricht, Stuttgart 2006� Lenhard, Hartmut: Phasen der Religionslehrerausbildung, in: Rothgangel, Martin u. a. (Hg.): Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 7 2012, 277-291� Lenhard, Hartmut/ Obst, Gabriele: Bibeldidaktik im kompetenzorientierten RU , in: Zimmermann, Mirjam/ Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2013, 447-451� Lindner, Heike: Kompetenzorientierte Fachdidaktik Religion. Praxishandbuch für Studium und Referendariat, Göttingen 2012� Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion 75 Lück, Christhard: Religion studieren. 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Using wikis in blended learning scenarios may help to qualify students to become responsible and creative exegetes. However, the article concludes that e-learning should not be used in the teaching only for its own sake or to follow a trend in university didactics. E-Learning should be used only when actual didactical challenges are addressed, and when it has advantages compared to traditional methods of teaching. »E-Learning« ist nach einer Phase des euphorischen Aufbruches, der mit zahlreichen Heilsversprechen einherging, und einer zweiten Phase der Enttäuschung mittlerweile ein fester Bestandteil hochschulischer Lehre sowie hochschuldidaktischer Diskussion und Reflexion. 1 Es ist zu beobachten, dass E-Learning im hochschuldidaktischen Diskurs nicht mehr als Alternative zum klassischen Präsenzunterricht verstanden, 2 sondern vielmehr als Ergänzung der klassischen Lehr-/ Lernformen betrachtet wird. Die mit dem Einsatz von E-Learning erhofften öko- 1 Präzise und übersichtlich beschrieben bei Iberer, E-Learning. 2 Ein Großteil der feststellbaren Ablehnung von E-Learning bei den an den Hochschulen Lehrenden ist vor dem Hintergrund einer solchen Alternativendiskussion zu erklären. Vgl. Iberer, E-Learning, 15 f. 78 Jan Heilmann nomischen Einsparungen müssen so ausbleiben. Die Praxis zeigt, dass ein didaktisch begründeter Einsatz zeitaufwändig ist und eine sinnvolle Implementation in hochschulische Lehre Geld kostet. 3 Auf diesem Niveau trägt E-Learning zur Verbesserung der Lehre bei, und zwar dadurch, dass E-Learning die auf die Ziele des Lehrens und Lernens abgestimmte Kombination von Medien und Methoden um zahllose weitere Möglichkeiten bereichert. 4 Zudem führt aus medientheoretischer Sicht kein Weg am Einbezug digitaler Medien in das didaktische Handeln vorbei. 5 An die neueren Entwicklungen anschließend, frage ich im Folgenden danach, inwiefern der Kanon der Medien und didaktischen Methoden der exegetischen Lehre durch E-Learning bereichert werden und ob der Einbezug von E-Learning ein weiterer Weg sein kann, gute Bibelauslegung im Studium zu fördern. Dazu wird es zunächst notwendig sein, die Bedeutung des Begriffs E-Learning zu klären und die derzeit üblichen Formen aufzuzeigen. In einem zweiten Schritt werden Einsatzmöglichkeiten von E-Learning in der exegetischen Lehre summarisch aufgeführt und die Motivation ihres Einsatzes diskutiert. Die Liste der Einsatzmöglichkeiten ist nicht abschließend zu verstehen, sondern dient als erste Sondierung von Möglichkeiten, die mit hoher Sicherheit um weitere produktive Einsatzfelder und gelungene Beispiele aus der exegetischen Lehre ergänzt werden können. Vertiefend wird dann zu zeigen sein, dass E-Learning in der exegetischen Lehre vor allem im Rahmen des hochschuldidaktischen Ansatzes des Forschenden Lernens in die exegetische Lehre integriert werden kann, um gute Bibelauslegung im Studium zu fördern. 1. »E-Learning«-- Definition und Formen Auch wenn der Begriff »E-Learning« nicht einheitlich verwendet wird und als »buzz-word« aus dem wirtschaftlichen Bereich stammt, 6 ist er mittlerweile als 3 Vor allem die Erstellung, Betreuung und technische Pflege von rein virtuellen Lehr-/ Lernangeboten ist teuer und zeitaufwändig. Vgl. die Hinweise bei Bormann/ Einenkel, Lernen, 83 � 4 Vgl. Reinmann-Rothmeier, Blended Learning, 11 � 5 Eine ausführliche Darlegung und kritische Diskussion der mit dem Stichwort »Postmedialität« verbundenen lerntheoretischen Überlegung (vgl. Selke/ Dittler, Wirklichkeiten; Dittler, Lernen, insb. 6 - 14 ; grundlegend Siemens, Connectivism) ist im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich. Zu diskutieren wäre insbesondere, ob »Konnektivistisches Lernen«, das davon ausgeht, dass behavioristische, kognitivistische und konstruktivistische Lerntheorien »nicht mehr ausreichen, um Lernen in der 2 . Phase des informellen Lernens zu erklären« (Dittler, Lernen, 12 ), nicht doch auch mit konstruktivistischen Lerntheorien erfasst werden kann, wie sie etwa mit dem Konzept einer interaktionistisch-konstruktivistischen Pädagogik dargelegt sind. Vgl. Reich, Pädagogik. 6 Vgl. Reinmann-Rothmeier/ Vohle, Innovation, 28 . Siehe zur Vielfalt der Begriffsverwendung z. B. Bruns, Kosten, 29 - 32 � Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 79 pragmatischer metasprachlicher Terminus im pädagogischen und (hochschul-)didaktischen Diskurs weitgehend anerkannt. Die damit bezeichnete Sache, Lernen durch digitale Technologien zu unterstützen, ist allerdings schon älter. 7 Im Anschluss an dieses Verständnis liegt die folgende Definition von »E-Learning« nahe: E-Learning ist »ein vielgestaltiges, gegenständliches und organisatorisches Arrangement von elektronischen bzw. digitalen Medien zum Lernen, virtuellen Lernräumen und ›Blended Learning‹-[…, das] individuell oder gemeinsam zum Lernen bzw. zur Kompetenzentwicklung und Bildung von Lernenden genutzt werden [kann]-[…]. Die elektronisch arrangierten digitalen Lernmedien präsentieren den Lernenden die Lerninhalte multimedial und ermöglichen ihnen deren interaktive Bearbeitung, sei es in vorgegebenen Instruktionsstrukturen oder in Netzstrukturen für selbst gesteuertes Lernen.« 8 E-Learning beschreibt damit eine sehr breite Palette von elektronischen Medien (sowohl materiellen als auch virtuellen), die mit unterschiedlichen Zielen und in unterschiedlichen didaktischen Settings eingesetzt werden können. Exemplarisch sind hier etwa die folgenden zu nennen: 9 - LMS und LCMS : Learning-(Content)-Management-System - Software für Webkonferenzen - Wikis, Weblogs oder Blogs/ Twitter - Soziale Netzwerke und deren Funktionen - Web-/ Computer-Based Trainings und Lernspiele 7 Vgl. den historischen Abriss bei Niegemann u. a., Kompendium ( 2004 ), 3 - 49 , in überarbeiteter Form bei Niegemann u. a., Kompendium ( 2008 ), 3 - 39 � 8 Arnold u. a., E-Learning. 9 Die folgende Liste ist auf der Basis verschiedener Publikationen selbst zusammengestellt worden. Vgl. z. B. Schulmeister, Lernplattformen, 176 ; Arnold u. a., E-Learning; Niegemann u. a., Kompendium ( 2008 ). Jan Heilmann * 1984, Dr. theol., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ev. Theologie der TU Dresden. Studium der Ev. Theologie, Geschichte und Germanistik in Bochum und Wien. Seine Dissertation wurde mit mehreren Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. Zudem ist er Gewinner des eLearning-Wettbewerbs der Ruhr-Universtität-Bochum 2011� 80 Jan Heilmann - Simulationen - Lernarrangements auf Smartphones/ Tablets - etc. Die Anwendungsbereiche dieser elektronischen Medien in didaktischen Kontexten sind dabei vielfältig: - Bereitstellung von Materialien/ Informationen - Dateiaustausch - Kommunikation (synchron und asynchron) - Schaffung von Lerngelegenheiten - Prüfen - Evaluieren - Planen - Vernetzen und Verknüpfen - Kooperation und Kollaboration - Tutorielle Programme - etc. Es ist jedoch umstritten, ob die Bereitstellung von Materialien/ Informationen als vermutlich an der Hochschule am häufigsten bedienter Anwendungsbereich schon als »E-Learning« bezeichnet werden kann. E-Learning kann in verschiedenen Präsentationsformen eingesetzt werden: - verbal - visuell - multimodal (Tastsinn z. B. in Simulationen) - interaktiv In systematisierender Hinsicht 10 lässt sich der Einsatz von E-Learning in didaktischen Kontexten folgendermaßen beschreiben: Hinsichtlich des zeitlichen Arrangements der Kommunikation kann E-Learning sowohl in synchron strukturierten Lehr-/ Lernkontexten (z. B. in Form von Chats, videobasierter Lernkommunikation, virtuellem Klassenzimmer etc.) als auch asynchron strukturierten Lehr-/ Lernkontexten (z. B. in Form von Weblogs, Podcasts etc.) eingesetzt werden. Der Grad an Selbständigkeit beim E-Learning kann zwischen »Anleitung« und »selbstgesteuertem Lernen« skaliert, 11 der Grad der Zusammenarbeit mit Hilfe der Begrif- 10 Vgl. zum Folgenden und mit noch weiteren Dimensionen eines Blended-Learning-Modells Niegemann u. a., Kompendium ( 2004 ), 247 � 11 Eine ausdifferenziertere Skala bietet Schulmeister, Lernplattformen, 176 f., die sich auch auf das E-Learning übertragen lässt-- sowohl auf Blended-Learning-Szenarien als auch auf die rein virtuelle Lehre. Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 81 fe »Kollaboration«, »Kooperation« und »individualisiertes Lernen« beschrieben werden. Zu unterscheiden ist außerdem zwischen rein virtueller Lehre (Lehrarrangements in einem virtuellen Klassenzimmer, Podcasts, videobasierte Kurse, web-unterstützte Lehrbuchkurse, Chatrooms, Diskussionsforen usw.) und dem sog� Blended Learning. 12 »Blended Learning« (im Folgenden BL ) beschreibt einen Kompromiss zwischen der klassischen Präsenzlehre und virtuellen Lehrszenarien, 13 mit dem versucht wird, die Vorzüge der beiden Arrangements zu verbinden, aus deren Symbiose neue Potentiale zu gewinnen und ihre jeweiligen Nachteile zumindest zu einem großen Teil auszugleichen. 14 In historischer und lernkultureller Perspektive kann BL »als Teil einer fortschreitenden Integration zweier ›archetypischer Lernwelten‹« 15 betrachtet werden: der traditionellen Lehre, die auf »face-to-face«-Kommunikation basiert, und einer Lehr-/ Lernform, die als »Fernunterricht« oder »Fernlernen« bezeichnet wird. 16 Die originären Qualitätsmerkmale des BL , die mehr als die Summe der beiden Teilbereiche darstellen, beschreibt Ulrich Iberer mit den Stichworten »systemische Ausgewogenheit«, »Variation«, »Fokussierung der Lernprozesse«, »Nutzen von Gruppenpotenzialen«, »Integration von Systemumwelten« und »Einbezug von Management- und Innovationsprozessen«. 17 Das bedeutet, BL -Szenarien haben aus didaktisch-methodischer Sicht u. a. das Potential, a) die Methodenvielfalt der Lehre zu erweitern, somit b) angesichts der Heterogenität des Lernens auf Seiten der Studierenden (»Lernstile und -typen«) 12 Ein ausdifferenzierteres und etwas anderes Modell bietet Reglin, Blended-Learning-Angebote, der E-Learning entlang eines Vierfeldermodells strukturiert: »Informelles E-Learning«, »Funktionales E-Learning«, »Formelles E-Learning«, »Intentionales E-Learning«. Blended Learning im hier beschriebenen Sinne läge in diesem Modell auf der Schnittstelle zwischen formellem und intentionalem E-Learning. 13 Anders etwa als Bruns, Kosten, 32 f., der BL durch den Gegensatz von »reinem E-Learning« und traditioneller Präsenzlehre bestimmt, sehe ich in der Gegenüberstellung von virtueller Lehre und Präsenzlehre (das Pendant des Lernens mitgedacht) eine präzisere Bestimmung von BL. So auch angedeutet bei Schulmeister, Lernplattformen, 175 � 177 . Der Einsatz von digitalen Lehrmethoden in traditionellen Präsenzlehrveranstaltungen ist m. E. nur eine erweiterte Form des Medieneinsatzes und impliziert noch nicht die im Folgenden genannten originären Qualitätsmerkmale. 14 Vgl. Reinmann-Rothmeier/ Vohle, Innovation; Garrison/ Kanuka, Blended Learning; Himpsl, Wikis, u. a. 15 Iberer, E-Learning, 18 , im Anschluss an Graham, Blended Learning Systems. 16 Vgl. Iberer, E-Learning, 18 f.; auf die verschiedenen Kategorisierungsmöglichkeiten, die in der Forschung bereitgestellt werden, kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Sinnvoll erscheint die Einteilung nach Bruns, der BL im Anschluss an Schulmeister, Lernplattformen, 175 - 177 , entlang der Kriterien »Form«, »Funktion« und Methode kategorisiert. Vgl. dazu Bruns, Kosten, 55 - 58 (insbes. das Schaubild 55 ). 17 Vgl. dazu und zur folgenden erweiterten Explikation ausführlich Iberer, Bildungsmanagement, 101 - 106 ; Iberer, E-Learning, 20 - 22 � 82 Jan Heilmann zusätzliche Lerngelegenheiten und verschiedene, wechselnde Zugangsweisen zu den Lerngegenständen zu schaffen, c) das Lernen der Studierenden verstärkt als prozesshaft-dynamisches und nicht direkt beeinflussbares Geschehen ernst zu nehmen, d) durch die notwendige Offenlegung des didaktischen Vorgehens sowie durch selbständiges »Erleben des didaktisch gestalteten Ablaufs« 18 die Transparenz des Lehr-/ Lernprozesses zu stärken, e) selbstgesteuertes/ selbstreguliertes Lernen 19 zu fördern, f) den verstärkten eigenständigen Zugang zu Wissensquellen zu erleichtern, g) gruppendynamische Prozesse stärker für den Lernprozess zu nutzen und h) durch frei werdende Kapazitäten der Lehrenden (weniger Präsenzlehre) zusätzliche individuelle Beratungspotentiale zu gewinnen. Daraus resultiert, dass BL in einem sehr weit verstandenen Sinne und verknüpft mit weiteren didaktischen Maßnahmen die Lernkultur an Universitäten durch eine partielle Ablösung von der derzeit noch starken Zentrierung auf eine instruktive und expositorische Lehre zugunsten einer stärkeren Studierendenaktivierung positiv verändern kann. Damit ist nicht gesagt, dass die Form der instruktiven und expositorischen Lehre keinen didaktischen Wert besitzt und an der Universität und im Speziellen in der exegetischen Lehre abgelöst werden sollte. Es geht vielmehr um eine Ergänzung der immer noch stark auf diese Lehrformen ausgerichteten Didaktik auch in den exegetischen Fächern, um weitere Kompetenzen der Studierenden in den Lernprozess einzubinden und durch eigenständige wissenschaftliche Praxis zu stärken. 2. »E-Learning« in der exegetischen Lehre-- Einsatzmöglichkeiten und Motivation E-Learning wird in der exegetischen Lehre vielfach eingesetzt. 20 Eine fachspezifische hochschuldidaktische Reflexion und Diskussion steckt allerdings noch in ihren Anfängen. 21 Im Folgenden möchte ich eine (erweiterbare) Auswahl von 18 Iberer, E-Learning, 20 � 19 Vgl. dazu Niegemann u. a., Kompendium ( 2008 ), 65 - 79 � 20 Z. B. in Bochum der virtuelle Lernkurs BEAT (Einstieg leicht gemacht! Basics zur Exegese des Alten Testaments) im Alten Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät; die Verknüpfung der exegetisch-bibeldidaktischen Ausbildung am Ev.-Theol. Fachbereich in Frankfurt mit dem MOOC »openreli« (http: / / www.openreli.de/ ), das aus einer Kooperation zusammen mit dem Comenius-Institut in Münster und der Pädagogischen Hochschule in Wien hervorgegangen ist. Vgl. außerdem de Vos u. a., Ethik. 21 Wenn ich den Diskurs richtig überblicke, ist die Diskussion in der Religionspädagogik durch die Reflexion des schulischen Einsatzes von E-Learning und die Existenz der überkonfessionellen Plattform für Religionspädagogik und Religionsunterricht (http: / / www.rpi-virtuell. net/ ) ein wenig weiter. Vgl. z. B. Bobert-Stützel, Zukunft; Trocholepczy, Einsatz; Bröhl/ Roth- Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 83 Anwendungsbereichen in der exegetischen Lehre nennen, dabei aber den Einsatzbereich »Bereitstellung von Materialien/ Informationen« (Bereitstellung von Literatur, Quellenblättern, Aufgabenblättern usw.) übergehen. Dieser wird mittlerweile von vielen Dozierenden mittels der an den Universitäten bereitgestellten Lernplattformen (moodle etc.) intensiv genutzt. Trotz der hohen Frequenz, mit der Dozierende auf die Lernplattformen ihrer Universitäten und Hochschulen zugreifen, ist zu vermuten, dass diese nur selten zur papierlosen Dokumentation etwa von Seminardiskussionen oder der Ergebnisse der exegetischen Arbeit am Text genutzt werden. So eröffnen die in den Lernplattformen integrierten Wikis z. B. die Möglichkeit, dass Protokolle nicht mehr in Papierform vorliegen müssen. Protokolle können in einem Wiki geschrieben, mit Hilfe eines Beamers im Seminar in Echtzeit besprochen und fortlaufend archiviert werden. Einige Lernplattformen besitzen eine Importfunktion, mit der die Studierenden die Protokolle automatisch in ihre digitalen Unterlagen übernehmen können. Verschiedene Elemente der Lernplattformen (Wikis, Weblogs) können außerdem für (exegetische) Schreibübungen genutzt werden. Statt Studierenden jede Woche individuelle Aufgaben zu den exegetischen Methoden zu geben, die einzeln mühsam korrigiert werden müssen, können in einem Wiki kollaborativ oder arbeitsteilig in einem Weblog Texte zu einzelnen exegetischen Methodenschritten erarbeitet werden, die dann im Seminar besprochen und in Echtzeit von den Studierenden korrigiert oder von den Lehrenden lediglich elektronisch kommentiert werden. Ein solches Vorgehen dient nicht primär der Korrekturentlastung, sondern macht Probleme und Herausforderungen des Schreibens in den exegetischen Fächern für die Gesamtgruppe transparent. Eine weitere Möglichkeit von Schreibübungen besteht darin, dass die Studierenden Kurzrezensionen zu einschlägiger Studieneinführungsliteratur schreiben und in einem Wiki veröffentlichen. Die Ergebnisse werden mit Hilfe eines Beamers im Seminar vorgestellt und in Echtzeit von den Studierenden selbst korrigiert. Das Ziel dieser Übung liegt einerseits darin, dass die Studierenden die verschiedenen »Gattungen« (Einleitung, Einführung, Arbeitsbücher, Bibelkunden etc.) und deren jeweilige Nutzungsmöglichkeiten sowie Vor- und Nachteile durch selbständige Auseinandersetzung kennenlernen. Für den Lernprozess ist es von Vorteil, wenn Studierende die Nutzungsmöglichkeiten für die eigene Zielgruppe bewerten und ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen vorstellen. Auf diese Weise wird der Herausforderung begegnet, dass sich Lehrende wegen der Heterogenität und der fortgeschrittenen Entwicklung nur schwer in die Perspektive der Lernenden hingangel, Ich; Born, Online; Beier, Unterrichtssituationen; Scholz, Bibeldidaktik. Vgl. aus den wenigen Beiträgen, die einen Bezug zur Exegese aufweisen, Bormann/ Einenkel, Lernen. 84 Jan Heilmann einversetzen können. Zusätzlich erhöht die gegenseitige Vorstellung der Ergebnisse die Aufmerksamkeit. Zudem hilft die Übung den Studierenden, Rezensionen als eigenständige Textsorte mit ihren Merkmalen sowohl im Hinblick auf die Rezeption als auch auf die eigenständige Produktion kennenzulernen. 22 Diskussionsforen oder Weblogs können die Möglichkeit eröffnen, den Lehr-/ Lernprozess von den Fragen der Studierenden her zu planen sowie zu organisieren und somit den Grad der Studierendenorientierung zu erhöhen. Dabei ist zu beachten, dass die Einrichtung eines Diskussionsforums kein »Selbstläufer« ist. Diskussionsforen und Weblogs müssen wie alle E-Learning-Elemente methodisch abgestimmt in das didaktische Gesamtkonzept einer Lehrveranstaltung integriert werden. Die wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von E-Learning-Angeboten liegt darin, dass die Studierenden den Mehrwert für ihren eigenen Lernprozess erkennen. Dies wird zumeist nicht durch Zwangsmaßnahmen (z. B. vorgegebene Anzahl von Beiträgen/ Fragen pro Semester) erreicht, sondern dadurch, dass den Studierenden bewusst wird, wie ihre Fragen den Diskussions- und Arbeitsprozess steuern und sie damit noch stärker von ihrer Teilnahme an den jeweiligen Lehrveranstaltungen profitieren können. In dieser Form eingebettet, können E-Learning-Elemente auch zu einer Motivationssteigerung und einem erhöhten Grad der Beteiligung führen. Zudem ermöglichen elektronische Beteiligungsmöglichkeiten an der Diskussion, potentiell auch die »stillen« Studierenden in das Gespräch einzubeziehen, die-- etwa angesichts der spezifischen, durch bestimmte soziale Prozesse gekennzeichnete Kommunikationssituation (z. B. kommunikative Mechanismen der sozialen Distinktion und Konkurrenz) 23 -- eine gewisse Scheu besitzen, sich aktiv zu beteiligen. Neben den vielen Möglichkeiten der Reflexion und Evaluation (auch einzelner Veranstaltungen) sowie E-Learning-Werkzeugen zur (Selbst-) Überprüfung des Lernfortschritts bietet sich E-Learning auch in einem Bereich an, der bisher selten Berücksichtigung in der exegetischen Ausbildung 24 fand, aber für den Einsatz von E-Learning-Formaten geradezu prädestiniert ist. E-Ressourcen spielen in der gegenwärtigen exegetischen Forschung eine zunehmend wichtige Rolle und werden-- vermutlich nicht zuletzt mit zunehmender Bedeutung der Digital Humanities-- noch stärker in den Vordergrund treten. Für dieses Feld bedarf es m. E. einer 22 Neben dem Abfassen von Kurzrezensionen bietet sich auch die kollaborative Erarbeitung eines Glossars mit theologischen Fachbegriffen als Schreibübung an. 23 Immer noch einschlägig zu diesem Thema: Bourdieu/ Passeron, Illusion. Eher als populärwissenschaftlicher Ratgeber konzipiert, aber nicht weniger erhellend: Wagner, Uni-Angst. 24 In den meisten Methodenbüchern werden elektronische Hilfsmittel gar nicht genannt oder nur am Rande erwähnt. Kurze Hinweise auf gängige »Bibelprogramme« finden sich bei Becker, Exegese, 175 f. Auch in Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 28 - 32 , wird z. T. auf elektronische Hilfsmittel verwiesen. Eine Evaluation gängiger Bibelsoftware bietet: http: / / bibelsoftware.theologie.uni-mainz.de/ . Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 85 ganz neuen E-Didaktik für die exegetische Ausbildung, die sowohl die methodischen Implikationen dieser neuen Forschungsmöglichkeiten, als auch die notwendigen technischen Fähigkeiten in den Blick nimmt. An dieser Stelle kann nur exemplarisch auf einige E-Ressourcen in der Exegese hingewiesen werden: Wibilex; BibleWorks, Accordance etc., die zum Teil über die Universitätsbibliotheken subskribiert sind; (vorranging für die neutestamentliche Exegese) Thesaurus Linguae Graecae oder Perseus Digital Library (inklusive der Online-Nutzung des Wörterbuchs von Liddell-Scott-Jones); Bibliothek der Kirchenväter; diverse papyrologische, epigraphische oder numismatische Hilfsmittel und Recherchemöglichkeiten; der New Testament Virtual Manuscript Room des Instituts für neutestamentliche Textforschung in Münster u. v. m. Weil die Zeit in den Präsenzlehrveranstaltungen oft nicht ausreicht, in die Vielfalt von elektronischen Forschungsmöglichkeiten einzuführen, erscheint es sinnvoll, bestehende Online-Tutorials und Übungsmöglichkeiten zu vernetzen oder zusätzliche zu erstellen. Gerade auf diesem Gebiet bietet sich ein universitätsübergreifendes, koordiniertes Vorgehen an, um eine solche vernetzte E-Learning-Infrastruktur Ressourcen sparend zu installieren. Für die Ausbildung von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern treten außerdem noch notwendige Zusatzqualifikationen etwa in Bereichen der Auszeichnungssprachen (z. B. XML ) für Digitalisierungsprojekte oder des digital bereitstehenden Quellenmaterials hinzu. Dieses Spezialangebot könnte ebenfalls universitätsübergreifend durch virtuelle Lehr-/ Lernangebote abgedeckt werden. Zuletzt ist noch ein weiteres Feld in der exegetischen Lehre zu nennen, das sich für E-Learning-Formate eignet und in dem E-Learning auch schon vermehrt eingesetzt wird-- die Bibelkunde. 25 Bibelkunde ist insofern eine didaktische Herausforderung, als dass die Studierenden sich in einer relativ kurzen Zeit ein gut vernetztes und komplexes Wissen aneignen müssen. Selbst wenn Fakultäten über Kapazitäten verfügen, eigene Bibelkundeveranstaltungen anzubieten, können E- Learning-Elemente etwa durch verschiedene Frageformate, Quizelemente, digitale Lernkarten, visuelle Impulse (z. B. Verknüpfungen mit der Kunstgeschichte) o. ä. das bibelkundliche Lernen unterstützen. 25 Online-Zusatzmaterial wird etwa in Ergänzung zur Bibelkunde von Lukas Bormann angeboten (http: / / bibelkunde.utb.de/ startseite/ ). Bormann bietet außerdem einen Online-Bibelkurs über die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) an. Vgl. zu diesem Kurs und den Erfahrungen damit Bormann/ Einenkel, Lernen, 84 - 90 . Zu den Bibelkunden von Martin Rösel und Klaus-Michael Bull wird von der Deutschen Bibelgesellschaft eine Elektronische Bibelkunde angeboten. Eine wissenschaftliche und hochschuldidaktische Evaluation der multimedialen Angebote zum bibelkundlichen Lernen-- z. B. im Hinblick auf Nutzungsstatistiken und Lernerfolg- - steht m. W. noch aus. Zudem besteht die eigentliche Herausforderung nicht in der Bereitstellung der Medien, sondern darin, diese Angebote curricular in die exegetische Ausbildung zu integrieren. 86 Jan Heilmann 3. E-Learning in der Lehre der Bibelwissenschaften als »Forschendes Lernen« Forschungsorientierte Lehr-/ Lernformate sollen Studierende aus ihrer vorwiegenden Rolle als passiv rezipierende Lerner herausholen und sie dazu in die Lage versetzen, sowohl ihren eigenen Lernprozess (Partizipatives Lernen) als auch den exegetischen Auslegungsprozess (Forschendes Lernen) aktiv zu gestalten. Diese Formate haben von ihrer didaktischen Ausrichtung her das Potential, die exegetischen Kompetenzen der Studierenden zu fördern. Entsprechend der oben diskutierten E-Learning-Arrangements eignen sich für solche Formate insbesondere das Konzept des »Blended Learnings« an, wobei z. B. ein Wiki als Werkzeug der kollaborativen Textbearbeitung und Medium für die studentischen Forschungsprodukte fungieren kann. Als Wikisoftware bieten sich aus der Vielzahl der verfügbaren Angebote vor allem dokuwiki und mediawiki (Grundlage von Wikipedia) an, 26 die beide einerseits der GNU General Public License Version 2 unterliegen und daher frei genutzt werden können sowie die Möglichkeit zur Erstellung von Namensräumen und der Steuerung von Zugangs- und Bearbeitungsberechtigungen enthalten. Zudem unterstützen sie das BibTex-Format. Vorab ist aber darauf hinzuweisen, dass sich das Leitbild des Forschenden Lernens in Kombination mit Wikis auch niedrigschwellig in die didaktische Konzeption einer klassischen universitären Lehrveranstaltung im Wochenrhythmus einbinden lässt, z. B. in Form einer webbasierten Werkstattplattform zur Erarbeitung des Seminarthemas und zur Ergebnissicherung, die sukzessiv mit dem Fortlaufen der Lehrveranstaltung wächst und von allen Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmern inklusive des Lehrenden bearbeitet wird. Dabei sind verschiedene Einzelbeiträge der Studierenden als Alternative etwa zu herkömmlichen Referaten o. ä. möglich: z. B. kleinere Projektarbeiten zu ausgewählten Unterthemen oder Exzerpte einschlägiger Forschungsliteratur. Dieser eher niedrigschwellige Zugang eignet sich vor allem für die erste Studienphase, wohingegen projektorientierte BL -Veranstaltungen eher für fortgeschrittene Studierende zur Vertiefung sinnvoll sind. a� Didaktischer Mehrwert forschungsorientierter Blended-Learning-Szenarien mit Wikis: Forschungsorientierte BL -Szenarien mit einem Einsatz von Wikis sollen an die eigenständige, methoden- und fragestellungsgeleitete Auslegung der biblischen Primärtexte heranführen und zugleich die Potentiale kooperativer und kollaborativer Lernformen für die Lehre in den Bibelwissenschaften fruchtbar machen. Vor allem das traditionell in der Exegese verbreitete Prüfungsformat 26 Vgl. https: / / www.dokuwiki.org/ dokuwiki; https: / / www.mediawiki.org/ wiki/ MediaWiki/ de. Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 87 der Seminararbeit stellt nicht zuletzt wegen des Bewertungszwangs individueller Leistungen ein Hemmnis dar, genau diese Potentiale kooperativer und kollaborativer Lernformen für den eigenen Lernprozess zu nutzen. Zudem verleitet es Studierende dazu, Deutungen aus der Forschungs- und Kommentarliteratur unreflektiert zu übernehmen und an die Texte heranzutragen, um vermeintlich sicheres Wissen zu präsentieren. Die Nutzung eines Wikis im Rahmen eines kooperativen Lernsettings ermöglicht den Studierenden, durch methodengeleitetes Arbeiten selbständige Entdeckungen in den biblischen Texten zu machen, die in einen multiperspektivisch und dialogisch ausgerichteten Kommentar dieser Texte münden, in denen die Deutungen der Texte nicht auf die vermeintlich eindeutig identifizierbare Autorenintention reduziert wird. Die Arbeit mit Wikis in BL -Veranstaltungen enthält zudem das Potential, den wöchentlichen Stundenplan der Studierenden zu entlasten und zusätzliche Freiheiten im Lernprozess bezogen auf die Inhalte und die zeitliche Einteilung des Lernens zu ermöglichen. Angesichts der Veränderung und Öffnung von Biographieverläufen der Studierenden 27 erscheint es sinnvoll, der Dominanz der wöchentlichen Präsenzlehre ein Alternativangebot gegenüber zu stellen. Durch die Möglichkeit der Spezialisierung der Studierenden schon im Studium können durch solche Formate individuelle Studienbiographien berücksichtigt und gefördert werden. 28 Eine weitere Motivation, Wikis in der exegetischen Lehre zu nutzen, liegt aber auch am »Reiz des Neuen«, wie ich den motivationalen Vorteil dieses Mediums nennen möchte. Im Unbekannten liegt bekanntlich der Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Die Erfahrung in den Lehrveranstaltungen hat gezeigt, dass viele Studierende Wikis aus der Rezipientenperspektive sehr gut kennen. Nur ein Bruchteil von ihnen hat sich aber selbst schon einmal an der Erstellung von Wikis beteiligt. Angesichts der faktischen Relevanz von Wikipedia in unserer Wissenskultur 29 kann die Arbeit mit Wikis in der exegetischen Lehre auch einen wichtigen Beitrag zur Förderung einer kritischen »Wiki-Kompetenz« leisten. b� Lernziele, didaktisches Konzept und der didaktische Nutzen von Wikis in der exegetischen Lehre: Lernziele müssen für die jeweiligen Veranstaltungskonzeptionen zwar immer individuell festgelegt werden, nichtsdestoweniger lassen sich die auf der globalen Ebene wichtigsten Lernzielbereiche zusammenfassen: 27 Ausgelöst durch die Pluralisierung der Lebensstile und -verhältnisse, die zu zunehmender Individualisierung und Heterogenität führt (vgl. exemplarisch Beck/ Beck-Gernsheim, Freiheiten; Beck, Risikogesellschaft; Wagner/ Franzmann, Pluralisierung) sowie durch die gesteigerten Mobilitätsanforderungen und die Notwendigkeit, dass viele Studierende ihr Studium durch Erwerbsarbeit finanzieren. Vgl. Borgwardt, Bildungsgerechtigkeit. 28 Vgl. Heilmann/ Mainzer u. a., Diskursformate. 29 Vgl. dazu Heidenreich, Kultur; Pscheida, Wikipedia-Universum; Brenner, Chaos. 88 Jan Heilmann Ausbildung und Förderung von Kompetenzen im Umgang mit exegetischen Methoden und Hilfsmitteln (fachspezifische Methodenkompetenz); Förderung des hermeneutischen Reflexionsvermögens; themenbezogene Sachkompetenz; Förderung einer reflektierten Medienkompetenz; kollaboratives Arbeiten (berufsrelevante Sozialkompetenz); projektbezogenes Arbeiten (allgemeine Methodenkompetenz). Um diese Lernziele zu erreichen, basiert das didaktische Konzept eines forschungsorientierten BL -Szenarios auf vier Säulen: dem Partizipativen Lernen ( 1 ), dem Forschenden Lernen ( 2 ), dem Projektorientierten Lernen ( 3 ) und dem BL ( 4 ). Die erste Säule, das Partizipative Lernen ( 1 ), geht auf die Sozialanthropologin Jean Lave 30 zurück. Sie wurde in der deutschsprachigen Forschung insbesondere von Klaus Holzkamp elaboriert und mit dem didaktischen Prinzip des kooperativen Lernens verknüpft. 31 Partizipatives Lernen basiert auf einer Meister-Novizen-Konstellation, wie sie in der handwerklichen Ausbildung zu finden ist (apprenticeship learning). Das Lernen zeichnet sich in dieser Konstellation nach Lave und Wenger durch legitimate peripheral participation aus: Die Novizen nehmen »zwar direkt an der Praxis der Meister- […] teil (tun im Prinzip das gleiche wie diese), dürfen dabei aber zunächst noch legitimerweise in einer Randstellung verbleiben, durch welche sie von der Verantwortung für das zu leistende Produkt oder zu erbringende Resultat der Praktiker-Gemeinschaft entlastet sind, Fehler machen, sich Zeit lassen, Fragen stellen-[…]. Dazu gehört, dass die Art des Zusammenhanges zwischen dem Ergebnis und den dazu erforderten Aktivitäten den Novizen von den Oldtimern transparent gemacht wird.-[…] Der Lernprozeß der Novizen verläuft dabei kontinuierlich von der peripheren zur vollen Partizipation an der Praxis der jeweiligen Gemeinschaft, wobei sie nicht nur das erforderte Können/ Wissen erwerben, sondern auch hinsichtlich erweiterter personaler Bezüge in die Praktiker-Gemeinschaft ›hineinwachsen‹, [sich] so allmählich immer mehr- […] dem Meister-Status annähern« 32 . Im Mittelpunkt dieses Lernprinzips stehen damit Wissen suchende Fragen der Lernenden. Dies impliziert, dass die Lernenden ihren Novizenstatus auch wirklich praktizieren dürfen, »d. h. in Abwesenheit der Bewertungsprozeduren sich auch Blößen geben, Unwissen eingestehen, Fehler machen dürfen« 33 . In der exegetischen Ausbildung kommt den Wissen suchenden Fragen der Lernenden damit eine neue Bedeutung zu. 30 Vgl. Lave/ Wenger, Situated Learning. 31 Vgl. Holzkamp, Lernen, insb. 501 - 516 � 32 Holzkamp, Lernen, 502 � 33 Holzkamp, Lernen, 504 � Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 89 Bei einem solchen Ansatz ist allerdings die Paradoxie einer »verordneten Partizipation« 34 zu berücksichtigen. In formalen Bildungskontexten kann das eigentlich auf Freiwilligkeit beruhende Prinzip des Partizipativen Lernens »systembedingt [immer] nur begrenzt realisiert« 35 werden. Um dieser Herausforderung zu begegnen, schlägt Kerstin Mayrberger ein für die hochschuldidaktische Planung und Reflexion hilfreiches Stufenmodell vor, anhand dessen sich auch die Stufen Partizipativen Lernens in der Exegese gut reflektieren und planen ließen. 36 In der neueren didaktischen Debatte spielt zudem die Verbindung von Partizipativem Lernen und E-Learning eine große Rolle. 37 In hochschuldidaktischen Kontexten können die Grundsätze Partizipativen Lernens vor allem als Forschendes Lernen (mit besonderen Potentialen in der Verknüpfung mit E-Learning) umgesetzt werden. 38 Forschendes Lernen ( 2 ) ist im Anschluss an Tremp und Reiber als hochschuldidaktisches Lernprinzip zu verstehen, »das sich im Ablauf an den Schritten eines Forschungsprozesses orientiert, neues Wissen generiert und an eine Forschungsbzw. Lerngemeinschaft rückgebunden ist« 39 . Dies kann in einem Lehr-/ Lernprojekt dadurch umgesetzt werden, dass die Veranstaltungskonzeption in zweifacher Hinsicht einen idealtypischen Forschungsprozess in der Exegese abzubilden versucht: in einer stärker angeleiteten Arbeitsphase (z. B. an einem Blocktag) und in einer selbständiger strukturierten Projektarbeitsphase. 40 Als Forschungs- und Lerngemeinschaft fungiert zunächst die jeweilige Seminargruppe, die sich wiederum in kleinere, auf die Seminargruppe bezogene Forschungsteams aufteilen kann. Da die Ergebnisse der studentischen Forschungsgruppe in einem Wiki einseh- und bearbeitbar bleiben, konstituiert sich daneben aber auch eine diachrone Forschungs- und Lerngemeinschaft. Ein forschungsorientiertes Lehr-/ Lernkonzept kann zugleich an die fachwissenschaftliche community zurückgebunden werden, und zwar dadurch, dass die Studierenden ihre Forschungsprojekte bei einer Abschlussveranstaltung vor einem fachöffentlichen Publikum vorstellen. Potentiell ist die Möglichkeit zur Veröffentlichung gegeben. 34 Mayrberger, Lernen, 1 � 35 Mayrberger, Lernen, 1 � 36 Vgl. die Tabelle bei Mayrberger, Lernen, 18 : Stufe 1 - 2 (Nicht-Partizipation), Stufe 3 - 5 (Pseudo- oder Scheinbeteiligung), Stufe 6 - 8 (Partizipation), Stufe 9 (Autonomie). 37 Vgl. exemplarisch Mayrberger/ Linke, Social Media; Rosa, Lernen. 38 Zum Zusammenhang zwischen Partizipativem Lernen, E-Learning und Forschendem Lernen vgl. Holzkamp, Lernen; Mayrberger, Modell; Seufert/ Käser, Einsatz; Dürnberger u. a., Forschendes Lernen. 39 Tremp/ Reiber, Eulen [Hervorhebungen JH]. Vgl. zum Konzept »Forschendes Lernen« an der Universität weiterführend Reiber (Hg.): Prinzip; Obolenski/ Meyer, Forschendes Lernen; Euler, Forschendes Lernen, und die Beiträge in Huber u. a., Forschendes Lernen. 40 Da die Studierenden unter Anleitung mit eigenen Forschungsfragen arbeiten, kann durchaus neues Wissen generiert werden. 90 Jan Heilmann In methodisch-didaktischer Hinsicht kann das Konzept Forschendes Lernen als Projektorientiertes Lernen ( 3 ) in einem BL -Arrangement ( 4 ) umgesetzt werden. »Projektorientierte Lehr- und Lernformen sind dadurch charakterisiert, dass sich Lernende der Lösung eines Problems annehmen und sich mit den hierbei auftretenden Schwierigkeiten auseinandersetzen. Die Lernenden werden dabei von Lehrenden beraten, was sie jedoch nicht davon entbindet, sich bei auftretenden Schwierigkeiten selbst mit diesen auseinanderzusetzen.« 41 Als »Problem« kann z. B. die Aufgabenstellung dienen, einen wissenschaftlichen Kommentar zu einer ausgewählten Perikope zu verfassen oder einen Lexikonartikel zu einem spezifischen Thema zu schreiben. Die Studierenden, die optimalerweise in kleinen Teams arbeiten, werden bei ihrer Projektarbeit zwar von Seiten des Lehrenden über verschiedene Maßnahmen begleitet, müssen aber sowohl ihren Arbeitsprozess, als auch die Aufbereitung der Arbeitsergebnisse selbständig strukturieren und planen. BL -Arrangements wurden bereits beschrieben. Die Anteile klassischer Präsenzlehre können z. B. durch (rahmende) Blocktage und Präsenzsprechstunden gebildet werden, E-Learning-Anteile können auf die Seminarvorphase und in die Projektarbeitsphase verteilt werden. Als Medium zur Erarbeitung, Ergebnissicherung und der Weiterverwendbarkeit bietet sich ein Wiki an. Wikis werden mittlerweile sowohl im schulischen Unterricht, 42 als auch in der Hochschullehre 43 eingesetzt. Aus lerntheoretischer Sicht liegt der Vorteil, Wikis in Lehr-/ Lernprozessen zu nutzen, u. a. darin, dass sie durch ihre Struktur einen leichten Einstieg in den Lernprozess ermöglichen, zur Partizipation motivieren und die Konstruktion und Emergenz von Wissen unterstützen. 44 Aus einer konstruktivistischen Perspektive auf das Lehren und Lernen stehen die Lernformen kollaborativ orientiertes Forschendes Lernen und Projektorientiertes Lernen sowie Wiki-Plattformen in einem gleichsam symbiotischen Verhältnis, in dem sowohl die kognitive, als auch die soziale sowie die emotionale 45 Dimension des Lernens berücksichtigt werden. 41 Junge, Projektstudium, 4 42 Vgl. exemplarisch Kohls/ Haug, Gemeinsam, mit zahlreichen Links am Ende des Artikels zu Wikis im schulischen Unterricht. Insbesondere beim Fremdsprachenlernen werden Wikis eingesetzt. 43 Vgl. Himpsl, Wikis. Vgl. ein besonders gelungenes Beispiel aus der Geschichtsdidaktik: Hodel/ Haber, Schreiben. 44 Vgl. dazu die folgenden Beiträge von Moskaliuk, der ein integratives Modell skizziert: Moskaliuk, Wissenskonstruktion; Moskaliuk, Einsatz, 87 - 90 ; Moskaliuk, Wiki-Prinzip. 45 Die emotionale Dimension des Lernens wird bei einem Wiki insofern angesprochen, als die Einträge der Studierenden potentiell von anderen gelesen, berücksichtigt, thematisiert oder weiterbearbeitet werden, wodurch die Studierenden in ihrem Tun bestätigt werden, Selbstwirksamkeit erfahren und ihr Ehrgeiz erhöht werden kann. Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 91 Die Nutzung von Wikis in BL -Veranstaltungen kann positive Effekte für den Lernerfolg verstärken, wobei der sozialen Dimension des Lernens eine entscheidende Rolle zukommt. So zeigen verschiedene Studien, dass BL -Veranstaltungen sich im Vergleich zu reinen E-Learning-Veranstaltungen positiv auf die soziale Dynamik der Lerngruppe und somit auf den Lernerfolg auswirken. 46 BL -Veranstaltungen besitzen darüber hinaus weitere Vorteile gegenüber traditionell organisierten Lehrveranstaltungen in der Massenuniversität, nimmt man den Lernerfolg als Kriterium: 47 Das schreibintensive Lernumfeld, die Orientierung auf Texte und vor allem die asynchrone Diskussions- und Kommunikationsumgebung des Wiki sowie des notwendigen Arbeits- und Austauschprozesses der Studierenden untereinander bietet Vorteile für den Lernprozess. 48 Aus didaktischer Perspektive kann das im Forschenden Lernen innerhalb eines projektorientierten Lehr-/ Lernsettings generierte Wissen ideal über die kollaborative Be- und Überarbeitung auf einer Wiki-Plattform überprüfbar und zugänglich gemacht werden. Aus fachwissenschaftlicher Perspektive sind Wikis ein gutes Medium zur Darstellung exegetischer Forschungsergebnisse, da die hypertextuelle Struktur eines Wikis-- anders etwa als traditionelle Kommentare und Monographien-- medial nicht auf eine weitgehend lineare Darstellung begrenzt ist. Dadurch wird ermöglicht, eine knappe, forschungsfragenbezogene Darstellung zu formulieren und diese durch die Darlegung der Analyseergebnisse auf einer anderen Ebene zu fundieren, die aber durch Verlinkungen auf die Darstellungsebene bezogen bleibt. Durch den Medieneinsatz wird genau dieses in der exegetischen Ausbildung bekannte Problem des Verhältnisses von Analyse und Darstellung 49 bewusst gemacht und kann reflektiert werden. c. Konkrete methodische Maßnahmen zur Sicherung des Lernerfolgs: 50 Das beschriebene didaktische Konzept erfordert spezifische methodische Maßnahmen zur Begleitung sowie zur Anleitung der Reflexion des Lern- und Arbeitsprozesses der Studierenden. Zunächst ist die Lehrveranstaltung in Phasen einzuteilen, die für die Studierenden im Hinblick auf ihre Funktion transparent sind. Fol- 46 Vgl. Rovai/ Jordan, Blended-Learning. 47 Vgl. Graves/ Twigg, Future. 48 Vgl. Sands, Inside. Die Vorteile ergeben sich insbesondere aus der höheren und mehrdimensionalen Lernaktivität der Studierenden. Es ist mittlerweile ein Allgemeinplatz, dass die Behaltensleistung beim selbständigen Tun und der Aktivierung möglichst vieler Sinne am höchsten ist, trotzdem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen. 49 Vgl. Finnern, Narratologie, 246 , mit Verweis auf das s. E. einzige Methodenbuch, in dem das Problem angesprochen wird: Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 350 f. 50 Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf den Erfahrungen und der Evaluation mehrerer Lehr-/ Lernprojekte, die ich zusammen mit Peter Wick an der Ruhr-Universität Bochum und an der TU Dresden in Kooperation mit Marco Frenschkowski von der Universität Leipzig durchgeführt habe. Vgl. dazu Heilmann/ Wick, Gelehrtenwerkstatt. 92 Jan Heilmann gende Aufteilung ist möglich: Mehrwöchige Vorphase (Vorbereitung im Selbststudium)-- Auftaktveranstaltung-- Projektarbeitsphase mit Präsenzsprechstunden- - Präsenzveranstaltung zur Ergebnispräsentation- - Auswertungs- und Reflexionsphase. Aus zwei Gründen bietet es sich an, die Präsenzzeiten in Form von Blocktagen zu organisieren: Der wöchentliche Stundenplan der Studierenden wird entlastet und Blockveranstaltungen fördern gruppendynamische Formierungsprozesse, 51 die in einem wöchentlichen Rhythmus in dieser Form nicht möglich wären. Rein virtuelle Seminarsitzungen sind hingegen im Hinblick auf die Zeitökonomie und inhaltliche Tiefe des Gesprächs ineffizient. Zudem sind die Systeme in technischer Hinsicht störungsanfällig. Für konkrete Diskussionen in einer Gruppe ist die physische Präsenz vor Ort unverzichtbar. Eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Veranstaltungsablauf einer forschungs- und projektorientierten BL -Veranstaltung ist die Herstellung von größtmöglicher Verbindlichkeit vor allem in den Phasen ohne Präsenz an der Hochschule: In der Vorphase kann diese Verbindlichkeit durch eine gute E-Mail- Kommunikation und gut aufbereitete Materialien zum Selbststudium gewährleistet werden. Zur Herstellung von Verbindlichkeiten während der Projektarbeitsphase bietet es sich an, die Arbeitsphase durch gemeinsam zu erarbeitende Meilensteine vorzustrukturieren und einen detaillierten schriftlichen Arbeitsauftrag auszuteilen. Regelmäßig terminierte Sachstandsberichte (wöchentlich oder vierzehntägig) helfen, die Arbeit der Studierenden zu gliedern und Rechenschaft abzulegen: Die Studierenden reflektieren ihren eigenen Arbeitsprozess, ihre Ziele, die aufgekommenen Hürden und legen darauf basierend Modifikation(en) des eigenen Arbeitsprozesses und ggf. der exegetischen Fragestellungen dar. Die Sachstandsberichte können ebenfalls in einer auf der Wikiplattform von den Studierenden selbständig eingerichteten Gruppenarbeitsseite eingestellt werden und sind dort für die Seminarleitung einseh- und kommentierbar. Während der Projektarbeitsphasen gibt die Seminarleitung gezielt inhaltliche und methodische Impulse für die exegetische Forschungsarbeit, z. B. indem sie auf Forschungsliteratur oder Hilfsmittel hinweist oder einzelne Beiträge kommentiert. Hilfreich sind neben freiwilligen Sprechstundenangeboten obligatorische Präsenzsprechstunden, in denen die jeweiligen Projektarbeitsgruppen individuell betreut werden können. Zusätzliche Verbindlichkeit entsteht dadurch, dass die Arbeitsergebnisse bei einer abschließenden Präsenzveranstaltung (vielleicht sogar vor Fachpublikum) vorgestellt und diskutiert werden. Verbindlichkeit sollte auch im Hinblick auf die Standards des wissenschaftlichen Arbeitens hergestellt werden: Die Studierenden müssen auf die verschiedenen 51 Vgl. zu den Phasen von Gruppenentwicklungsprozessen einführend König/ Schattenhofer, Einführung. Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 93 exegetischen Hilfsmittel sowie auf die Kommentar- und Sekundärliteratur zurückgreifen und ihre Bezüge auf die Forschungsliteratur kennzeichnen. 52 Wichtig ist allerdings im Sinne des Forschenden Lernens, dass die Konsultation der Forschungsliteratur erst nach der eigenständigen, methodisch geleiteten exegetischen Arbeit erfolgt. Dies sollte im Rahmen der Meilensteinplanung ebenfalls festgelegt und in den schriftlichen Arbeitsaufträgen festgehalten werden. Es bietet sich an, z. B. im letzten Viertel der Arbeitsphase zu besonders interessanten Fragen, die während des eigenen Forschungsprozesses aufgeworfen wurden, das Gespräch mit einschlägigen Forschungspositionen zu führen. In der Nachphase der Veranstaltung ist es ratsam, dass die Studierenden ein Reflexionsessay schreiben, das in didaktischer Sicht mit einer dreifachen Zielsetzung verbunden ist: a) Die Studierenden sollen ihren Arbeits- und Lernprozess aus der Retrospektive reflektieren, um ihre metakognitiven Kompetenzen insbesondere bezogen auf das exegetische Arbeiten zu fördern. Das Reflexionsessay dient darüber hinaus b) dazu, die Leistungen der Studierenden individuell zu beurteilen und zu bewerten und somit die Forschungsarbeit in den Gruppen von Bewertungsvorgaben zu entlasten (eine wichtige Bedingung für Partizipatives Lernen, s. o.). Es empfiehlt sich, die Aufgabenstellung für die Essays wie auch alle anderen Aufträge schriftlich bei der Auftaktveranstaltung auszuteilen. Es sollte ein Hinweis enthalten sein, dass die Studierenden schon während der Projektarbeitsphase Stichworte für die Ausarbeitung des Essays sammeln. Alternativ könnte das Essay durch ein Arbeitstagebuch ersetzt werden. c) Das Essay dient zuletzt der Evaluation und Verbesserung der Lehrveranstaltung und des Lehr-/ Lernkonzepts insgesamt. d� Hürden und deren Bewältigung: Eine gewisse Hürde bei der Nutzung von Wikis besteht in der auf den ersten Blick komplizierten Syntax, an die sich Studierende wie Lehrende gewöhnen müssen. Wiki-Einträge werden in einer sog. Auszeichnungssprache eingegeben. Erst nach dem Speichern wird der Text in der gewünschten Formatierung sichtbar. Die Auszeichnungssprache in Wikis ist allerdings deutlich einfacher aufgebaut als die bekannte HTML . Noch dazu enthalten die meisten Wikis eine Eingabeleiste, mit deren Hilfe die Auszeichnungssprache automatisch erzeugt wird. Damit die Arbeit mit Wikis in der Lehre funktioniert, ist es sinnvoll, zu Beginn der Veranstaltung ein Textblatt mit Hinweisen zur Anwendung der Wiki-Syntax und Beispielen auszuteilen. Auch die Einbindung eines Online-Tutorials in das konkrete Wiki, das für alle gängigen Wiki-Systeme existiert, ist hilfreich. Viele Wikis haben darüber hinaus eine »Spielwiese«, auf der man die ersten Schritte üben kann, ohne dass bestehende Strukturen zerstört werden können. Daneben kann die Betreuung der 52 Es ist problemlos möglich, in einem Wiki Fußnoten zu setzen. 94 Jan Heilmann Studierenden durch eine studentische Hilfskraft hilfreich sein. Es bietet sich an, bei einer Auftaktveranstaltung eine kurze Übungssequenz durchzuführen, in der die im Seminar erarbeiteten Ergebnisse direkt im Wiki eingegeben werden. Als erste Aufgabe können die Studierenden eine Seite gestalten, auf der sich die Gruppenmitglieder vorstellen und ihren Arbeitsplan darlegen. Eine weitere Hürde bei vielen Wiki-Projekten besteht in einer sinnvollen Darstellung der sog. »Namensräume«. Die Studierenden sollten darauf hingewiesen werden, dass ein komplexes Wiki am besten eine Baumstruktur aufweist, die durch entsprechende Auszeichnung der internen Links hergestellt wird. Das Textblatt zur Wiki-Syntax sollte unbedingt einen diesbezüglichen Hinweis und Beispiele enthalten. Für die Lehrenden kann eine projektorientierte Lehrveranstaltung in einem BL -Arrangement ein Gefühl des vermeintlichen Kontrollverlustes hervorrufen. Man sollte sich vor Augen führen, dass Lehrende auch in Lehrveranstaltungen, die im klassischen Wochenrhythmus durchgeführt werden, keinem direkten Zugriff auf und damit keine direkte Kontrolle über den Lernprozess der Studierenden besitzen. Aus der Perspektive konstruktivistischer Lerntheorien kann es in allen hochschuldidaktischen Zusammenhängen immer nur darum gehen, möglichst effektiv nutzbare Lerngelegenheiten und Lernumgebungen zu schaffen- - und dies unabhängig von der Veranstaltungsform. Nichtsdestoweniger ist es äußerst wichtig, in BL -Arrangements Verbindlichkeit herzustellen. Bewährt haben sich in dieser Hinsicht die Vorstrukturierung der Arbeitsphase durch »Meilensteine« bei der Auftaktveranstaltung, regelmäßig terminierte Sachstandsberichte, die vom Lehrenden kommentiert werden, sowie die Präsentationspflicht am Ende des Semesters und das Reflexionsessay. Darüber hinaus kann die Arbeit mit Wikis eine Form der gegenseitigen »Sozialkontrolle« erzeugen. Die Studierenden können bei den anderen Gruppen sehen, wie weit diese mit ihren Projekten vorangeschritten sind und so ihre Motivation erhöhen. Der oder die Lehrende selbst sollten eine gewisse Gelassenheit pflegen, die Verantwortung für das Lernen weitgehend den Studierenden überlassen und sich von den häufig sehr positiven Arbeitsergebnissen überraschen lassen. Die Hürde der Bewertung von individuell zuschreibbaren Leistungen erwähnte ich bereits oben. Die Gruppenarbeitsprojekte auf dem Wiki müssen nicht zwingend benotet werden. Ein im Nachgang der Veranstaltung individuell zu erarbeitendes Reflexionsessay ist bewertbar und spiegelt die Güte des individuellen Einsatzes in der Projektarbeitsphase wieder. Darüber hinaus ist es auch möglich, auf der Grundlage eines Lern- und Arbeitstagebuches eine individuelle Prozessnote zu vergeben� Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? 95 e� Beitrag forschungsorientierter Blended-Learning-Szenarios mit Wikis für die Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium: Studierende können durch forschungsorientierte Lehrformate, die ihnen große Freiheiten zum eigenständigen Arbeiten bieten, ein Verständnis dafür entwickeln, dass die eigenständige Forschungsarbeit tatsächlich zu einem Mehrwert nicht nur im Hinblick auf das eigene Verständnis der biblischen Texte führt, sondern auch hinsichtlich der Einschätzung von anderen Forschungspositionen und deren Relativität und Abhängigkeit von hermeneutischen Zugängen und den angewendeten Methoden. Diesbezüglich enthält vor allem der Kontrast der durch die eigene Forschungsarbeit am Bibeltext gewonnenen Erkenntnisse mit Positionen in der Forschungsliteratur große Lernpotentiale, die durch die Implementation von Reflexionsangeboten der eigenen exegetischen Ergebnisse und des Lernprozesses insgesamt noch gesteigert werden können. Den Studierenden wird außerdem bei der Arbeit mit Wikis in projektorientierten BL -Arrangements bewusst, dass sie für ihren Lernprozess und Lernerfolg grundsätzlich selbst verantwortlich sind. Die vorgegebenen Strukturen und die gleichzeitige Offenheit eines Wikis für die Ausarbeitung von Texten schaffen ein Bewusstsein für unterschiedliche Gattungen der Darstellung exegetischer Ergebnisse. Zudem besitzt das Medium das Potential, die Vorteile dialogisch und kollaborativ ausgerichteten exegetischen Arbeitens für das bibelwissenschaftliche Studium fruchtbar zu machen. Durch die Verknüpfung der Lehrveranstaltung mit dem redaktionellen Prozess exegetischer Arbeiten von Studierenden wird potentiell sowohl das Niveau studentischer Beiträge in Präsenzveranstaltungen als auch in Seminar- und Abschlussarbeiten erhöht. 4. Fazit Die Einbindung von E-Learning-Elementen in die exegetische Lehre kann einen Beitrag leisten, gute Bibelauslegung im Studium zu entwickeln. Im Rahmen des Forschenden Lernens in der Exegese ist das kollaborative Erarbeiten von exegetischen Texten in Wikis eine hervorragende Möglichkeit, bei den Studierenden einen von der eigenen Textarbeit ausgehenden, fruchtbaren und selbstgesteuerten Lernprozess zu initiieren und das Verhältnis von Analyse und Darstellung in der exegetischen Forschung zu reflektieren. Nichtsdestoweniger ist E-Learning kein »Allheilmittel« für die Lösung hochschuldidaktischer Probleme. E-Learning sollte nicht um seiner selbst willen eingesetzt werden oder um einem hochschuldidaktischen Trend zu folgen. 53 Die Integra- 53 Durch die zahlreichen finanziellen Anreize, die derzeit durch Ausschreibungen für E-Learning-Projekte an den Universitäten hergestellt werden, kann hier eine gewisse Gefahr 96 Jan Heilmann tion von E-Learning in die exegetische Lehre kann nur ein Weg sein, um bestimmte Aspekte der exegetischen Ausbildung zu verbessern und um den Grundstein guter Bibelauslegung im Studium zu legen. Keinesfalls wird E-Learning in der Zukunft die unschlagbaren Vorteile und die Effizienz der Kommunikation unter Anwesenden in universitären Präsenzveranstaltungen ersetzen können. E-Learning sollte in der exegetischen Lehre aber zunehmend ergänzend und in Form von Blended-Learning-Szenarien eingesetzt werden, um konkrete hochschuldidaktische Herausforderungen zu gestalten. Das Vorliegen solcher hochschuldidaktischer Herausforderungen, denen ohne E-Learning nicht oder nur schlechter begegnet werden kann, ist zugleich ein Prüfstein für den Einsatz von E-Learning in der Hochschullehre. Literatur Arnold, Patricia u. a.: E-Learning. Handbuch für Hochschulen und Bildungszentren. Didaktik, Organisation, Qualität, Nürnberg 2004� Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 2003� Beck, Ulrich/ Beck-Gernsheim, Elisabeth: Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1994� Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments. Ein Methoden- und Arbeitsbuch (utb 2664), Tübingen 3 2011� Beier, Miriam: An Unterrichtssituationen lernen. Praktische Kompetenzorientierung für den evangelischen Religionsunterricht. Rezension zum eLearning-Modul, Braunschweiger Beiträge zur Religionspädagogik 139 (2013), 63-64� Bobert-Stützel, Sabine: Zukunft E-Learning? Religionspädagogik zwischen Bewahrpädagogik und selbstgesteuertem Lernen, Medien praktisch 26 (2002), 37-41� Borgwardt, Angela: Bildungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung, Berlin 2010� Bormann, Lukas/ Einenkel, Lydia A.: Webbasiertes Lernen und Lehren in der Theologie. Das E-Learning-Modul Bibelkunde der virtuellen Hochschule Bayern (vhb), Theo-Web 9 (2010), 78-91� Born, Julia: Online unterstütztes Lernen ( OUL ) in Schule, Aus- und Fortbildung. 5× didaktischer Mehrwert, Theo-Web 9 (2010), 92-102� Bourdieu, Pierre/ Passeron, Jean-Claude: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs, Stuttgart 1971� vermutet werden. Viele E-Learning-Projekte leiden darunter, nicht über den Projektstatus herauszukommen (vgl. exemplarisch Sonnberger/ Bruder, Evaluation; Haug/ Wedekind, »Adresse nicht gefunden«); die Verstetigung und Implementierung stellt die Hochschulen vor große Herausforderungen. Vgl. z. 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Christian Frevel), Jan-Christian Gertz u. a., Hans-Christoph Schmitt, Werner H. Schmidt und Thomas Römer u. a. abgedeckt wird, sowie den Kompaktlehrbüchern von Martin Rösel und Melanie Köhlmoos, die sich vor allem an Studienanfänger wenden oder an der alttestamentlichen Wissenschaft interessierte Laien adressiert sind, stellt das Genre Basiswissen eine dritte Kategorie dar, deren Umfang und Zielgruppe dem fachkundigen Leser des Buches unklar bleiben. Der Verf. setzt sich selber das Ziel, ein leserfreundliches Buch vorzulegen, das »auf einfache und prägnante Weise Hintergründe, Zeitgeschichte, Theologie und auch einige exegetische Befunde der Bibel mit ihren unterschiedlichen Büchern« ( 11 ) vorstellt. Wenige Rekurse auf die Gestaltung von Einheiten schulischen Religionsunterrichts deuten darauf hin, dass er Lehramtsstudierende im Blick hatte, als er das Buch verfasste. Inhaltlich setzt sich der Verf. mit den Schriften des Alten Testaments sowie mit ihrer historisch-kritischen Deutung auseinander. Gegenüber den bereits vorliegenden Einleitungen / Einführungen in das Alte Testament fällt vor allem der eklektische Umgang mit Themen alttestamentlicher Wissenschaft auf. Die Vielfalt der alttestamentlichen Forschung bedingt es, eine Stoffauswahl treffen zu müssen, 102 Rezensionen um ein für Studierende lesbares Buch vorzulegen. Es wird jedoch gerade an diesem Werk deutlich, dass es innerhalb der Wissenschaft keinen Konsens gibt, welche Themen zum ›Basiswissen‹ (resp. Grundwissen) gehören und welche nicht. So bietet der Verf. eine große Auswahl an einzelnen Aspekten an, ohne dass er dem Leser einen stichhaltigen Hinweis darauf bietet, welche Kriterien zur Stoffauswahl führten. Dieses Problem wird in anderen Einleitungen/ Einführungen oftmals dadurch gelöst, dass der heutige Wissensstand als Ergebnis von Forschungsprozessen dargelegt wird, durch deren Ablauf die Themen geordnet erscheinen. Als Gliederungskriterium für das Buch wählt der Verf. die Reihenfolge der biblischen Schriften, wie sie in der Einheitsübersetzung (in Anlehnung an die LXX ) dargeboten werden. Die Einheitsübersetzung dient als Textgrundlage. Bei Übersetzungsvergleichen zieht er die Elberfelder Bibel sowie die Schlachterbibel in der Revision von 1951 zu Rate. Diese Auswahl ist (für einen katholischen Theologen) bemerkenswert ungewöhnlich, da es sich mit den beiden von protestantischen Theologen erstellten Übersetzungen um Texte handelt, die vor allem in pietistischen Kreisen Verwendung finden. Zwar wird die Elberfelder Bibel auch in universitären Kontexten eingesetzt, doch wären der vielen bekannte Text der Luther-Übersetzung in ihrer Fassung von 1984 oder die Zürcher Bibel bessere Alternativen gewesen. Da die Lutherbibel sowie die Zürcher Bibel (www.die-bibel. de) auch in digitaler und frei verwendbarer Version vorliegen, wäre es ein Leichtes gewesen, auf diese beiden Übersetzungen zurückzugreifen. Aus fachwissenschaftlicher Perspektive ist das vorliegende Buch an vielen Stellen problematisch. Dieses fällt bereits im Einleitungsteil auf. Die gewählten Überschriften decken vielfach nicht den Inhalt der Abschnitte ab. Innerhalb dieser ist häufig kein roter Faden erkennbar, so dass die Zusammenstellung wiederholt assoziativ wirkt. Beispielhaft dafür sei kurz der Inhalt von 1 � 4 � 2 . »Der hebräische Text« ( 17 f.) skizziert: Nachdem sich der Verf. zuvor zu Übersetzungen äußerte-- ob es sich dabei um antike oder moderne handelt, wird nicht deutlich- - geht er in diesem Abschnitt auf die Entstehung des hebräischen Textes ein. Dabei datiert er zunächst den Beginn der Schriftwerdung in die mittlere bis späte Königszeit, nennt die Exilszeit/ frühe nachexilische Zeit als die Epoche, in der besonders kreative Schreibprozesse abliefen, und zeigt dann auf, dass in dieser Zeit das Althebräische durch die Quadratschrift abgelöst wurde. Interessanterweise kennzeichnet er diese Zeit produktiver Textentstehung als die Zeit, in der aufgrund des Einflusses des Reichsaramäischen das Hebräische immer weiter zurückgedrängt wurde. Bis 200 v. Chr. (hellenistische Zeit! ) entstanden schließlich aramäische Übersetzungen der hebräischen Schriften. Anschließend geht er auf die Ausbildung von Targumim ein. Das gleichzeitige Aufkommen der Midraschim und Pescharim erwähnt er weiter unten, zeigt aber nicht auf, dass diese Formen der Übertragung eine Aktualisierung und aufgrund der teilweise eschatologischen Deutung eine Poin- Rezensionen 103 tierung und damit eine Fortschreibung der Texte sind. Stattdessen geht er auf eine Unterscheidung von MT , LXX und den erkennbaren Textvorlagen durch die Texte in Qumran ein. Nachdem er Codex Leningradensis und Codex Aleppo vorstellt, führt er schließlich die Inschrift im Siloah-Tunnel an, die er als Beispiel althebräischer Schrift nennt. An diesem kurzen Beispiel werden unterschiedliche Probleme, die die Darstellung in sich trägt, sichtbar. Zum einen wurden die dargebotenen Informationen so verkürzt, dass Genese und Bedeutung nicht deutlich werden. Zum anderen setzt der Verf. bisher nur partiell verifizierte Hypothesen als gegeben voraus. Studienanfänger und interessierte Laien können dieses Vorgehen nicht als solches erkennen und entsprechend hinterfragen. Neben den häufig im Buch zu beobachtenden assoziativen Verbindungen fällt auf, dass der Verf. Probleme mit der Darstellung von Forschungsergebnissen hat. Insgesamt bezeichnet er die Theoriebildung in der alttestamentlichen Wissenschaft in der derzeitigen Forschungslage als äußerst schwierig. Dieses gilt vor allem im Blick auf die Pentateuchforschung, die er anschließend nur in Grundzügen darlegt. In seiner Darstellung reduziert der Verf. die Theoriebildung auf die Quellenhypothese, aus der er die neuere Urkundenhypothese ableitet. Neuere Entwürfe, die partiell andere Modelle der Entstehung von Texten verwenden (Fragmentenhypothese, Ergänzungshypothese) werden nur summarisch erwähnt. Ihre Grundlagen werden auf eine vorschriftliche Überlieferung hin reduziert. Diese Verkürzung ist problematisch, da die Leser weder verstehen, warum die neuere Urkundenhypothese derzeit stark kritisiert wird, noch warum alternative Modelle nicht konsensfähig sind. Vor allem aber wird dem von Rolf Rendtorff und Erhard Blum initiierten Paradigmenwechsel in der Wertung der priesterschriftlichen Anteile sowie der Betonung der Bedeutung des Deuteronomismus auf der Vorstufe der P-Komposition keine Rechnung getragen. Während sich das Vorgehen des Verf. aus forschungsgeschichtlicher Perspektive als problematisch erweist und zu einer Verkürzung der Problemstellung führt, in der Problem und Lösungsvorschläge kaum mehr erkennbar sind, geht die von ihm für Novizen alttestamentlicher Wissenschaft (der vermutlichen Zielgruppe dieses Buches) angebotene Alternative an den Zielen der Pentateuchforschung vorbei: »Es ist gerade für die erste Orientierung überhaupt nicht erforderlich, eine ausgefeilte Trennung der Überlieferungsschichten vornehmen oder bewerten zu können. Es genügen einige Beispiele, um zu zeigen, dass die verschiedenen Erzählungen nicht vom Himmel gefallen sind, sondern von Menschen geschrieben wurden, von Theologen« ( 43 ). Daran schließt der Verf. eine mit kurzen Kommentaren versehene Aufteilung der Sintfluterzählung in zwei Quellen als Möglichkeit für den Einsatz im RU an. S. E. ist es nicht entscheidend, dass die Schülerinnen und Schüler die theologischen Unterschiede der Quellenschriften benennen, sondern dass sie das AT als theologisch vielfältiges Buch kennen lernen, um Theologie in ihrer Heterogenität erfassen zu 104 Rezensionen können. Dieses Vorgehen ist m. E. aus zwei Gründen fraglich: 1 . Der Abschnitt ist überschrieben mit ›Zum Umgang mit dem Pentateuch im RU ‹, doch wird einzig eine durch Literarkritik gewonnene Quellenscheidung vorgenommen. Die Gründe dafür, warum an diesen Stellen der Text aufzuteilen ist, werden nicht dargelegt. 2 . Die Sintfluterzählung stellt mit wenigen weiteren Texten des Pentateuch einen sichtbar kompilierten Text dar (evtl. noch Ex 3 ; 13 f.; 19 ). Bei allen anderen Texten ist es Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden der Anfangssemester kaum möglich, eindeutig mehrere kohärente Erzählfäden zu rekonstruieren. Mit dem vom Verf. vorgeschlagenen Umgang im RU und der exemplarischen Textanalyse entsteht jedoch der Eindruck, jeder Text sei aus solchen Quellen erwachsen und könne nur derart behandelt werden. Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem vom Verf. gewählten Aufbau des Buches. Seine eingangs angekündigte Ausrichtung am Tanach hält er nicht durch. Zwar bezieht sich der Verf. wiederholt auf den Tanach, doch richtet er die Darstellung der biblischen Bücher an der Reihenfolge der Einheitsübersetzung aus. Bedingt durch diese Reihung wird ein für die Ausbildung des alttestamentlichen Kanons und der Zusammengehörigkeit der Schrift entscheidender Aspekt unterschlagen. Die Reihung der ›Nebiim‹ (Vordere und Hintere Propheten) wird nicht thematisiert. Vielmehr beschränkt er sich auf den Zusammenhang von Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk. Die Vorderen Propheten erscheinen nur als Teil des DtrG, die Hinteren Propheten werden als eigenständiger Teil des Tanach behandelt. Zur Didaktik Ein durchgehendes didaktisches Konzept ergibt sich bei der Darstellung der Inhalte biblischer Schriften sowie der mit diesen verbundenen Bestimmung von ›Erzählzeit und erzählter Zeit‹. Dabei bezeichnet der Verf. mit der Erzählzeit nicht, wie es heute üblich ist, die Zeit, die zum Erzählen des vorliegenden Textes benötigt wird, sondern die Zeit, in der der Text verfasst wurde. Unter dieser Überschrift werden also dargestellte Geschichte, Datierung und Funktion des Erzählten in seiner Abfassungszeit subsummiert. Eine Zielgruppe des Buches ist nicht direkt erkennbar. Dieses führt dazu, dass es keine Hinweise auf Annahmen über das (vermutlich studentische) Lernen gibt. Das Buch verbleibt auf einer fachwissenschaftlich oberflächlichen Darstellung wissenschaftlicher Gehalte. Immerhin bietet jedes Kapitel eine kurze Inhaltsangabe sowie eine Gliederung des besprochenen biblischen Buches. Beide werden mit einem grauen Balken am linken Seitenrand markiert. Jeder Abschnitt wird mit einer Zusammenfassung abgeschlossen, die durch dünne graue Striche an beiden Rezensionen 105 Seitenrändern markiert sind. Auf diese Weise können die beiden rahmenden Abschnitte beim Durchblättern des Buches schnell identifiziert werden. Mehrfach werden im Schriftbild abweichende Abschnitte in Kästen in den Text eingefügt, in denen Detailfragen behandelt werden. Mit Blick auf die in der alttestamentlichen Forschung zu den einzelnen Bereichen der Schrift aktuell diskutierten Aspekte ergibt sich keine Kohärenz in der Auswahl des behandelten Stoffes. Warum diese und nicht andere Informationen für ein Einleitungsbuch relevant sind, erschließt sich dem fachkundigen Leser nicht. An einigen Stellen werden Fotografien ( 10 ), Karten ( 2 ), Tabellen ( 9 ) und Graphiken ( 1 ) eingefügt, ohne dass diese im Fließtext erläutert werden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass sie allein der Illustration dienen. Problematisch ist die Auswahl der Karten. Auf ihnen werden jeweils die Gebiete der Stämme Israels dargestellt ( 93 und 282 ). Dabei wird sowohl auf der Karte, auf der die Stammesgebiete nach der Landnahme ( 93 ), als auch auf der Karte, auf der die von der Deportation betroffenen Städte angegeben werden, als Gebiet des Stammes Dan ein Gebiet auf dem zentralen judäischen Bergland südlich von Manasse ausgewiesen, dass der Stamm nach der Landverteilung nicht halten konnte. Das von Dan besiedelte Land rund um die Jordanquellen ( Jos 19 , 47 ) wird allein in der zweiten Karte und dann nur in Kleindruck angezeigt. Zur Methodik Der Verf. versucht, die Studierenden nicht mit Verweisen in die weitere wissenschaftliche Literatur vom Lernprozess abzulenken. Daher verzichtet er vollständig auf Fußnoten, reduziert Literaturangaben auf ein Minimum und verlegt Anmerkungen für »Detailinteressierte« ( 11 ) in ein Glossar. Einzig dieses bietet Gelegenheiten für selbstgesteuertes Lernen. Das Glossar enthält nach Darstellung des Verf. weitere Informationen zu Aspekten alttestamentlicher Wissenschaft, die innerhalb des Buches nur angeschnitten, aber nicht erläutert werden. Weder im Fließtext, noch im Glossar finden sich Literaturangaben, die eine Weiterarbeit ermöglichen. Selbst die forschungsgeschichtlich relevanten Werke werden nicht genannt, so dass den Lesenden keine Gelegenheit zur Vertiefung geboten wird. Fragen oder Arbeitsaufträge zu weiterführenden Studien sowie Lernkontrollen enthält das Buch nicht. Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Lerntypen findet entsprechend nicht statt. So scheint der Verf. von einer hohen intrinsischen Motivation der Lesenden sowie auf die in den Lehrveranstaltungen üblichen Verweise in die wissenschaftlichen Diskurse auszugehen. Möglichkeiten zur Interaktion zwischen dem Lesenden/ Lernenden und dem Buch bietet er keine. 106 Rezensionen Der Stoff ist nach einem Einleitungsteil, in dem sich der Verf. zu grundlegenden Fragen alttestamentlicher Wissenschaft äußert, nach den Abschnitten der Einheitsübersetzung sortiert. Querverbindungen zwischen den in diesen Abschnitten dargestellten Gehalten müssen von den Lesenden hergestellt werden. So gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass die alttestamentliche Literaturwissenschaft-- die Geschichte Israels wird nur in tabellarischer Form als Appendix dargeboten-- in Segmente zerfällt. Das Buch als Lehr- und Lernbuch Eingangs erwähnte ich bereits, dass der Verf. sich selber das Ziel setzte, ein leserfreundliches Buch vorzulegen, das »auf einfache und prägnante Weise Hintergründe, Zeitgeschichte, Theologie und auch einige exegetische Befunde der Bibel mit ihren unterschiedlichen Büchern« ( 11 ) vorstellt. Dieses gelingt ihm aufgrund der dargelegten Probleme nur insofern, als dass die Lesenden/ Lernenden durch das vorliegende Werk einen (guten) Überblick über den Inhalt der biblischen Bücher sowie über die vom Verfasser angenommenen Datierungen der Texte erhalten. Für einen Einsatz in Lehrveranstaltungen bietet sich dieses Buch jedoch kaum an. Zum einen mangelt es an einer Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs, zum anderen ist die Stoffauswahl eklektisch und vermittelt nur partiell einen Einblick in die Problemstellungen der alttestamentlichen Wissenschaft. M.a.W.: Wer Bibelkunde lernen möchte, der greift auf eine Bibelkunde zurück. Und wer einen Einblick in die alttestamentliche Wissenschaft erlangen möchte, der entscheidet wohl besser, ob ein Kompaktwissensbuch sein Interesse befriedigt oder ob er eine der vorliegenden und wesentlich umfangreicheren Einleitungen/ Einführungen liest. Bezüge zur Forschungs-, Berufs- oder Lehrpraxis finden sich innerhalb des Buches nur wenige. An einigen Stellen eröffnet der Verf. mit der Überschrift ›Offene Fragen‹ Perspektiven für eine weiterführende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Alten Testament. Wenn das Buch im akademischen Unterricht eingesetzt werden soll, dann bieten sich folglich allein die Einführungskurse in der Studieneingangsphase an. Und dieses gilt gleichermaßen für Veranstaltungen der Katholischen sowie der Evangelischen Theologie. Die konfessionelle Prägung des Buches wird allein dadurch deutlich, dass der Verf. Umfang und Reihenfolge der Einheitsübersetzung (in Anlehnung an die LXX ) wählt, um sein Werk zu strukturieren. Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an Jahrgang 1 - 2016, Heft 1 Susanne Luther/ Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation: Portraits-- Modelle-- Quellentexte. Gütersloh 2014, Gütersloher Verlagshaus, 392 Seiten mit CD - ROM , gebunden, ISBN : 978-3-579-08137-3, € 34,99 rezensiert von Katharina Pyschny »Verstehst du auch, was du liest? « (Apg 8 , 30 )-- Bereits in der Bibel werden Fragen nach dem rechten Verständnis biblischer Texte aufgeworfen und hermeneutische Überlegungen angestellt. Auch nach 200 Jahren historisch-kritischer Forschung wird niemand behaupten können, dass die Hl. Schrift leicht oder gar eindeutig zu verstehen ist. Die gegenwärtige evangelische und katholische Theologie, und darin insbesondere die Bibelwissenschaften, zeichnen sich durch eine Pluralität von Textinterpretationen, Auslegungsmethoden und Wirklichkeitsdeutungen aus. Gerade vor diesem Hintergrund verwundert es, dass hermeneutische Fragestellungen und Perspektiven sich in der jüngeren Zeit immer mehr auf Ausführungen zum Verhältnis von Altem und Neuen Testament (vgl. die Slenczka-Debatte) und zur Methodenlehre fokussierten, aber eine inter- und intradisziplinäre Verständigung über Bedingungen und Möglichkeiten von Textinterpretation kaum stattfindet. Dabei könnte eine begründete Verstehenslehre angesichts der Interpretationsoffenheit der Schrift und der Methodenvielfalt in den Bibelwissenschaften durchaus als Instrument dienen, um die Offenheit vor Beliebigkeit zu bewahren. Umso interessanter erscheint von daher der Versuch, das »Unverständnis« von biblischen Texten als Katalysator der Verstehenslehre und zur Ausbildung einer gewissen hermeneutischen Kompetenz zu nutzen. Ein solcher liegt mit dem von Susanne Luther und Ruben Zimmermann- - beide evangelische Neutestamentler an der Universität Mainz-- herausgegebenen Studienbuch zur Hermeneutik vor. 108 Rezensionen Ausgangspunkt dieses Bandes ist nicht nur die Beobachtung, dass die Relevanz der Theologie bzw. der Bibelwissenschaften für die Hermeneutik in Philosophie, Literatur- und Rechtswissenschaft zunehmend in Vergessenheit geraten ist, sondern auch die Feststellung, »dass selbst Theologen die Kritik der Hermeneutik übernehmen und sich von ihren eigenen Wurzeln abschneiden« ( 10 ). Mit dem Ziel, der Stimme der Theologie im intra- und interdisziplinären Dialog neu zu Gehör zu verhelfen, bietet das Studienbuch einen Überblick über 2000 Jahre Schrifthermeneutik. Neben einer umfangreichen Einführung in die gegenwärtige Hermeneutik-Diskussion durch die beiden Herausgeber liefert das Studienbuch Porträts von ausgewählten Theologinnen und Theologen, die wesentliche Beiträge zur Bibelauslegung leisteten. Dabei wird Bibelauslegung zwar nicht exklusiv, aber doch modellhaft für die Kunst der Textauslegung bzw. für eine allgemeine Verstehenslehre angesehen. Im Bewusstsein, dass sich Bibelauslegung ideal als Lernfeld der Hermeneutik eignet, möchte der Band keine Methodologie oder exemplarische Auslegungen bieten, sondern vielmehr prominente, aber durchaus auch weniger bekannte Metatexte zugänglich machen, in denen Autorinnen und Autoren über die Bedingungen und Möglichkeiten der Bibelauslegung nachdenken. Dabei soll die Beschäftigung mit eben diesen Metatexten sichtbar machen, »dass die Vielfalt der Perspektiven von Anfang an gegeben war.-[…] Die Geschichte der Bibelhermeneutik erhebt die Stimme gegen den Absolutheitsanspruch sowohl historisch-ursprungsorientierter als auch engagiert-diesseitsorientierter Lesarten des Textes. Sie schärft zugleich den Blick für die Weite der Fragen, die die Bibelhermeneutik nach wie vor mit einer allgemeinen Verstehenslehre und Interpretationsphilosophie verbindet« ( 10 f.). Somit verfolgt das Studienbuch neben dem interdisziplinären Brückenschlag auch ein innertheologisch bzw. spezifisch bibelwissenschaftlich ausgerichtetes Ziel: Der Einblick in die Geschichte der Bibelinterpretation soll nicht nur die zentrale Stellung der Bibelhermeneutik als Schnittstelle der einzelnen theologischen Disziplinen neu aufscheinen lassen, sondern vermag auch für die gegenwärtige Suche nach Methoden und Ausrichtung in der Exegese neue Impulse zu liefern. Das Studienbuch, das sich nicht nur an Theologen, sondern gleichermaßen an Philosophinnen und Philosophen, Historikerinnen und Historiker sowie Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler richtet, gliedert sich grob in zwei Teile: eine Einführung in die gegenwärtige Hermeneutikdiskussion und einen Durchgang durch eine zweitausendjährige Auslegungsgeschichte in 28 Einzelkapiteln. Auch wenn in dem Band auf eine Epocheneinteilung der einzelnen Kapitel verzichtet wurde, liegt ihrer Anordnung eine chronologische Ordnung und das sichtliche Bemühen um eine gewisse Ausgewogenheit zugrunde. So umfassen sie Positionen aus der Patristik bzw. dem Mittelalter ( 3 .- 12 . Jh.: Origenes, Viktorin Rezensionen 109 von Pettau, Didymos der Blinde, Johannes Chrysostomos, Augustinus, Hugo von Saint-Victor, Hildegard von Bingen), der Reformation und der Frühen Neuzeit ( 16 .- 17 . Jh.: Martin Luther, Thomas Müntzer, Matthias Flacius Illyricus, Johann Arndt, Johann Gerhard, Johann Conrad Dannhauer, Baruch de Spinoza), der Orthodoxie, dem Pietismus und der Romantik ( 18 .- 19 . Jh.: August Hermann Francke, Johann Martin Chladenius, Johann Salomo Semler, Johann Georg Hamann, Friedrich D. E. Schleiermacher, Ferdinand Christian Baur, David Friedrich Strauß) sowie der Moderne bzw. Postmoderne ( 20 .- 21 . Jh.: Rudolf Bultmann, Gerhard Ebeling, Joseph Ratzinger- - Benedikt XVI ., Carlos Mesters, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Hans Weder vs. Klaus Berger, Pierre Bühler). Damit durch eine ahistorisch-synchrone Betrachtungsweise der hermeneutischen Konzepte keine Missverständnisse befördert werden, sind den Quellentexten jeweils Hinführungen vorangestellt. Diese sind von unterschiedlichen-- überwiegend evangelischen Theologinnen und Theologen-- verfasst bzw. gestaltet, weisen aber alle den gleichen idealtypischen Aufbau auf: Leben-- Werk im Überblick-- Hermeneutische Grundlagen und Positionen-- Aufgaben und Lesehinweise-- Literaturangaben für die vertiefte Weiterarbeit. Die Quellentexte werden auf der beigefügten CD-ROM im PDF-Format zur Verfügung gestellt. Dabei ist eine Fülle an unterschiedlichen Gattungen vertreten: Neben Auszügen aus Hauptwerken, kürzeren Abhandlungen und Artikeln sowie Kommentierungen biblischer Bücher finden sich auch alternative Äußerungsformen wie Visionsberichte, Briefe, Gleichnisse, Predigten/ Homilien oder Gebete. Die Quellentexte werden alle- - teilweise erstmalig (z. B. Viktorin von Pettau)- - in deutscher Übersetzung dargeboten; in vielen Fällen handelt es sich dabei um eigene, bislang unveröffentlichte Übersetzungen. Um die quellensprachlichen Begriffe und Ausdrucksweisen einsehen zu können, sind die älteren Texte auch in Griechisch und Lateinisch abgedruckt und in den Schriften von Dannhauer und Spinoza auch hebräische Phrasen wiedergegeben. Durch das einheitliche Layout und die Zeilennummerierung der Quellentexte wird ein gemeinsames Bearbeiten und Besprechen in der Lehrveranstaltung sichtlich erleichtert. Das dem Studienbuch zugrunde liegende didaktische Konzept ist deutlich handlungs- und kompetenzorientiert. Während die Einführung in die gegenwärtige Hermeneutik-Diskussion einer sachlichen Grundlegung dient und die Hinführungen zu den porträtierten Theologinnen und Theologen und ihren hermeneutischen Prinzipien als historische Kontextualisierungen fungieren, bildet die konkrete Arbeit an den Quellentexten das Herzstück des Bandes. Dieser Eindruck wird durch die jeweils beigefügten Aufgaben bestätigt. So finden sich nicht nur deskriptive und analytische Aufgaben, sondern auch Anforderungen mit Applikations- und Urteilscharakter und mindestens jeweils eine kreativ handlungsorientierte Aufgabe. Im Sinne einer mimetischen Didaktik wird dabei oftmals auch das Medium des Quellentextes wieder aufgenommen. Dabei wird angenommen, dass die Ausein- 110 Rezensionen andersetzung mit Quellentexten, in denen hermeneutische Prinzipien behandelt werden, auch bei den Lernenden einen Reflexionsprozess über die Möglichkeiten und Bedingungen von Textinterpretation auslöst. Auf Visualisierungen wird weitestgehend verzichtet, was aber durchaus thematisch begründet ist. Mit Ausnahme von einzelnen schematischen Darstellungen (z. B. das hermeneutische Dreieck des Bibelverstehens) und »Porträts« der ausgewählten Theologen finden sich keinerlei Bilder, Grafiken oder Tabellen. Durch seinen klaren Aufbau, die Bereitstellung von Quellentexten und auf diese bezogene Aufgaben samt Musterlösungen eignet sich das Studienbuch für eine autodidaktische Erarbeitung der Thematik und ermöglicht so nicht nur selbstständiges bzw. -gesteuertes Lernen, sondern auch eine effektive Lernkontrolle. Das Studienbuch ist vielfältig einsetzbar. Neben dem selektiven Rezipieren einzelner hermeneutischer Konzepte kann es ebenfalls all denjenigen als Nachschlagewerk dienen, die nach Quellentexten zu bestimmten hermeneutischen Positionen suchen. Das Potenzial des Studienbuches für den Einsatz im Hochschulunterricht ist sehr hoch. Die Einzelkapitel sind im Textumfang so gestaltet, dass sie als Grundlage einer Seminarsitzung dienen können. Die Herausgeber schlagen in diesem Zusammenhang folgendes Konzept vor: Vorbereitende Lektüre des Hinführungs- ( 5 - 10 Seiten) und Quellentextes ( 20 - 30 Seiten)-- schriftliche Beantwortung der beigefügten Aufgaben-- gemeinsame Besprechung der Lösungen in der Präsenzveranstaltung und ggf. Vertiefung oder Verdeutlichung der betreffenden hermeneutischen Prinzipien anhand von praktischen Beispielen. Angesichts der Menge an dargebotenen hermeneutischen Konzepten ist eine Schwerpunktsetzung bzw. Auswahl oder auch eine arbeitsteilige Bearbeitung in einer vergleichenden Perspektive in Erwägung zu ziehen. Angesichts des klaren Aufbaus, des durchweg verständlichen Schreibstils sowie der kompetenz- und handlungsorientierten Aufgaben lässt sich das Studienbuch relativ früh im Studienverlauf, angesichts der teilweise vorausgesetzten Sprachkenntnisse m. E. ab dem 3 . Semester einsetzen. Man darf auf Erfahrungen mit diesem Studienbuch in der universitären Lehrpraxis gespannt sein und kann der Herausgeberin und dem Herausgeber sowie den Autorinnen und Autoren nur wünschen, dass es nicht nur zu dem erhofften inter- und intradisziplinären Gespräch anregt, sondern auch eine Strahlkraft auf die aktuellen Debatten um Schriftverständnis und Methodologie entwickelt. Interview mit…Andreas Lindemann Herr Lindemann, zum Start ein kurzes Blitzlicht: Lehre-- Frust oder Lust? Lust Lehre oder Forschung? Beides Lieber Erstsemester oder lieber Integrationsphase? Beides Neues oder Bewährtes? Eher Bewährtes, aber keine Alternative Referate oder Gruppenarbeit? Gruppenarbeit Wenn Sie auf Ihren Berufsweg zurückblicken, welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Die Begegnung mit der Theologie Bultmanns schon in der Schule, Hans Conzelmann als akademischer Lehrer. Würden Sie sagen, dass es bei Ihnen ein Grundparadigma Ihrer Lehre gibt? Theologische Exegese als Kern der theologischen Arbeit, verbunden mit dem Bemühen um eine auch für die Verkündigung angemessene Hermeneutik. Steckbrief: Prof. Dr. Andreas Lindemann Alter: 72 Jahre Familiäres: verheiratet, zwei Söhne und vier Enkelkinder Berufliches: Wiss. Ass. in Göttingen; 1978-2009 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel; seitdem Lehrtätigkeit an den Universitäten Bielefeld, Bonn, Marburg und der Kirchlichen Hochschule Wuppertal; zudem Beteiligung am diakoniewissenschaftlichen Studiengang in Bethel. Seit 2007 ehrenamtlich Direktor der Evangelischen Forschungsakademie. 112 Interview Welche Bedeutung besitzt die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Das Studium zielt auf Pfarramt und Lehramt (Schule); zur »Kompetenz« gehört auch reales Wissen. Herr Lindemann, oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen eher stiefmütterlich im Gegensatz zur Forschung behandelt wird. Beschreiben Sie Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Ich versuchte in meinen Lehrveranstaltungen, insbesondere auch im Proseminar, keine Diskrepanz zwischen der Forschung und der sich auf deren Wege und Ergebnisse beziehenden Lehre entstehen zu lassen. Im Laufe Ihrer Tätigkeit haben Sie verschiedene Umbrüche innerhalb der deutschen Gesellschaft erlebt, die teilweise von deutschen Universitäten ausgingen resp. mitgetragen wurden. Welche dieser Veränderungen hat Sie besonders geprägt und was hat sich in Ihrer Wahrnehmung von Studierenden, Lehrveranstaltungen sowie Kolleginnen und Kollegen dadurch verändert? Die Phase » 1968 « hat, bei allen Irrwegen, zu größerer Kollegialität und Offenheit bei Lehrenden und Studierenden geführt; das gilt auch für den kollegialen Umgang von Fachkollegen untereinander. »Bologna« und die Jagd nach Drittmitteln hat mich nicht mehr betroffen. Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Sie sollen an der Lehre Freude haben und dies die Studierenden auch merken lassen. www.francke.de Editorial Stefan Fischer / Thomas Wagner Verstehen von Anfang an - Exegese und Hochschuldidaktik Hauptbeiträge Sandra Huebenthal Vom Zauber der Schriftauslegung. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese Melanie Köhlmoos Ein Text wie jeder andere? Texttheorie und exegetische Methodik Norbert Brieden »Verstehen von Anfang an«. Hochschuldidaktische Überlegungen zur Paradoxiereflexion Jan Heilmann E-Learning und forschendes Lernen mit Wikis in der Lehre der Bibelwissenschaften Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? Rezensionen Klaus Dorn: Basiswissen Bibel: Das Alte Testament (utb, Ferdinand Schöningh) (rezensiert von Thomas Wagner) Susanne Luther / Ruben Zimmermann (Hg.): Studienbuch Hermeneutik (Gütersloher Verlagshaus) (rezensiert von Katharina Pyschny) Interview mit … Andreas Lindemann Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik Herausgegeben von Stefan Fischer und Thomas Wagner in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos Jg. 1 - 2016 | Heft 1 VvAa - 2016 | Heft 1 Forum Exegese und Hochschuldidaktik: VvAa Verstehen von Anfang an Jg. 1 - 2016 | Heft 1 Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an
