Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
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2016
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosDas exegetische Proseminar Herausgegeben von Stefan Fischer und Thomas Wagner in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos Jg. 1 - 2016 | Heft 2 Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an Herausgeber Stefan Fischer, Wien Thomas Wagner, Wuppertal in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos, Frankfurt am Main in Verbindung mit Norbert Brieden, Wuppertal Johannes Diehl, Frankfurt am Main Jan Heilmann, Dresden Matthias Hopf, Neuendettelsau Melanie Stein, Frankfurt am Main Christian Stein, Frankfurt am Main Anschrift der Redaktion Thomas Wagner Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Seminar für Evangelische Theologie Gaußstr. 20 42119 Wuppertal info@vvaa.de Manuskripte Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) ist ein peer-reviewed Journal (double-blind). Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) is a double-blind peer-reviewed journal for methodology and practice into academic didactics of biblical exegesis. VvAa Jg. 1 - 2016 | Heft 2 Impressum Bezugsbedingungen Die VvAa erscheint halbjährlich (März und September) Einzelheft: € 28,- (zzgl. Versandkosten) Abonnement jährlich (print): € 44,- (zzgl. Versandkosten) Abonnement (print & online): € 56,- (zzgl. Versandkosten) Studenten-Abonnement (print): € 34,- (zzgl. Versandkosten) Bestellungen nimmt Ihre Buchhandlung oder der Verlag entgegen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Postfach 25 60 D-72015 Tübingen Telefon: (0 70 71) 97 97-0 Fax (0 70 71) 97 97 11 E-Mail: info@francke.de Internet: www.francke.de Anzeigen Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Telefon: (0 70 71) 97 97-10 © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG ISSN 2366-0597 ISBN 978-3-7720-8602-1 Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Inhalt Editorial Stefan Fischer und Thomas Wagner � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 3 Hauptbeiträge Matthias Hopf Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens Dargestellt anhand eines Vergleichs alttestamentlicher Methodenwerke � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 7 Christina Hoegen-Rohls Schritt für Schritt auf dem Weg in den Text Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1-15 � � � � � � 27 Thomas Wagner Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten Zielorientierte Vermittlung exegetischer Methoden und Perspektiven � � 61 Stefan Fischer Proseminar und Hermeneutik Hermeneutische Reflektion als notwendiger Bestandteil des Proseminars � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 77 Lehr-/ Lern-Beispiele Jan Heilmann Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 97 Christian Stein Die Chance des Anderen: Lektüre von Bibeltexten mit fachfremden Studierenden � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 107 Rezensionen Erich Zenger u� a�: Einleitung in das Alte Testament� Herausgegeben von Christian Frevel� 9�, aktualisierte Auflage rezensiert von Melanie Köhlmoos � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 121 Sönke Finnern/ Jan Rüggemeier, Methoden der neutestamentlichen Exegese� Ein Lehr- und Arbeitsbuch rezensiert von Michael Schneider � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 127 Interview mit … Peter Wick � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 133 Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Editorial Stefan Fischer und Thomas Wagner Die zweite Ausgabe dieser Zeitschrift ist dem Thema Proseminar gewidmet� Studierenden von Lehramt und Fachtheologie begegnet das Proseminar recht früh im Studienverlauf. Vom 28. September bis 1. Oktober 2015 befasste sich die erste Netzwerktagung »Verstehen von Anfang an« in Wuppertal mit dieser Veranstaltungsform� Während der Tagung führten uns Referentinnen und Referenten in ihre Methodik der Vermittlung exegetischer Methoden ein� Die Workshops und Vorträge dieser Tagung gaben einen Anstoß zu intensiven Diskussionen und methodischen Reflexionen, die in die hier abgedruckten Beiträge einflossen� Zugleich entstammen die vier Hauptbeiträge nicht nur der theoretischen Reflexion über das Proseminar, sondern sind alle praxiserprobt� Matthias Hopf lehrt seit vielen Jahren das Proseminar an der Augustana- Hochschule in Neuendettelsau und wurde bereits als Student in literaturwissenschaftliche Methoden der Exegese eingeführt� In seinem Beitrag plädiert er für den exegetischen und didaktischen Mehrwert eines literaturwissenschaftlichen Ansatzes� Er hebt die methodischen Stärken einer literaturwissenschaftlichen gegenüber einer konventionellen Exegese hervor und stellt dazu vor allem die Werke von Uwe Becker »Exegese des Alten Testaments« und Helmut Utzschneider/ Stefan Ark Nitsche »Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung« gegenüber� Die Neutestamentlerin Christina Hoegen-Rohls stellt ihre in Münster erprobte Methode der Verssegmentierung vor, die auch für Studierende ohne hebräische oder griechische Sprachkenntnisse geeignet ist� Am Beispiel von Johannes 4,1-15 zeigt sie, wie die Gliederung eines Textes auf das Leseverständnis wirkt� Sie regt an, von der visuellen Wahrnehmung her über Form und Inhalt zu reflektieren und so das Lesen des Textes zu entschleunigen� Ihr 4 Stefan Fischer und Thomas Wagner Lehrformat bietet sich sowohl für wöchentliche Veranstaltungen als auch für Blocktage an� Wir als Herausgeber erlauben uns, in diesem Band jeweils einen eigenen Text vorzulegen� Uns beiden ist es wichtig, den hermeneutischen Voraussetzungen der Studierenden Gewicht zu verleihen. Thomas Wagner sieht das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten� Er führt die Unterscheidung von Methoden und Perspektiven ein und legt Wert auf die Vermittlung ihrer unterschiedlichen Funktionen, so dass Studierende zielorientiert mit dem passenden Werkzeug an Texte herangehen� Stefan Fischer nimmt in Wien die literaturwissenschaftlichen Methoden der Exegese als Erweiterung des Methodenkanons auf� Er stellt sie in einen grösseren hermeneutischen Zusammenhang und hebt die Notwendigkeit der Hermeneutik im Proseminar hervor� Persönliche Voraussetzungen und Zugänge der Studierenden sowie die Spannung zwischen kirchlichem Anspruch und universitärer Theologie legt er dar und zeigt, was in einem modifizierten Proseminar berücksichtigt werden sollte und wie eine schriftliche Arbeit aufgebaut sein kann� Zwei kurze Berichte aus der Praxis bieten Jan Heilmann und Christian Stein� Jan Heilmann stellt die Methode der von Studierenden erstellten Kurzrezensionen vor� Diesen widmet er sieben Minuten pro Lehreinheit� Sie vermittelt nicht nur die Kenntnis relevanter Literatur, sondern ist eine vorgegliederte Schreibaufgabe, welche Studierende niedrigschwellig im wissenschaftlichen Schreiben fördert� Christian Stein berichtet von seinen Erfahrungen der Bibellektüre mit fachfremden Studierenden� Der Vorgabe vieler Bachelor-Curricula, Wahlfächer aus anderen Fachbereichen belegen zu müssen, wurde mit einem eigens entwickelten Modul begegnet, in dem hohes Gewicht auf die Lektüre biblischer Texte gelegt wird� Mit dieser Form der Veranstaltung wird eine niedrigschwellige interdisziplinäre Methodenreflexion von Studierenden geleistet, durch die sowohl die Ausprägung exegetischer Methoden als auch die Methodenkompetenz der Studierenden gefördert wird� In zwei Rezensionen werden relevante Fachbücher vorgestellt und besonders auf ihren didaktischen Gehalt als Lehr- und Lernbuch hin angeschaut. Das Standardwerk »Einleitung in das Alte Testament« von Erich Zenger liegt nun in der neunten aktualisierten Auflage vor, für die erneut Christian Frevel die Herausgeberschaft übernahm� Einen Neuentwurf praktischer Methodenvermittlung bietet das von Sönke Finnern und Jan Rüggemeier vorgelegte Werk »Methoden der neutestamentlichen Exegese«, das sich im besonderen Maße der Frage der Integration von diachronen und synchronen Perspektiven in der exegetischen Analyse biblischer Texte widmet� Editorial 5 Schließlich stellt sich Peter Wick, Neutestamentler in Bochum, den Fragen eines Interviews und gibt so Einblick in seine Sicht von Forschung und Lehre im universitären Alltag� Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Heftes, das mit seinen unterschiedlichen Perspektiven Ihren Blick auf die eigene Unterrichtspraxis fördern möchte� Für Anregungen und konstruktive Kritik sind wir dankbar� Diese senden Sie bitte an: info@forumexegese�de Wien/ Wuppertal Stefan Fischer und Thomas Wagner Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens Dargestellt anhand eines Vergleichs alttestamentlicher Methodenwerke Matthias Hopf Abstract | Biblical texts are literary entities but Hebrew Bible exegesis has not paid enough heed to this fact� Although the struggle between diachronic and synchronic approaches has subsided somewhat, exegetical methodology still clings to traditional features in several ways� In contrast, the textbook by Utzschneider/ Nitsche employs insights of literary studies to a high degree� After an introduction into the basis of this approach, the present paper compares it to »classical« methodology with respect to the arrangement of methods in general, as well as the application of literary criticism and form criticism in detail (exemplified by the textbook of U� Becker)� Strengths and weaknesses of both textbooks are portrayed� In sum, this paper argues in favour of cultivating insights of literary studies, not at least because academic teaching will benefit in several ways: Firstly, paying respect to the canonical text form counters a growing scepticism among students towards diachronic perspectives� Secondly, as many students combine theology with literary studies, there is a high interdisciplinary potential in applying a literary exegetical approach� And finally, future pastors and teachers will receive analytical tools, which can be applied easily and very fruitful in diverse practical contexts� Die alttestamentliche Bibelwissenschaft ist in ihrem Kern eine Textwissenschaft, die sich mit hochliterarischen und hochästhetischen Texten auseinandersetzt� 1 1 Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass bspw� Archäologie oder Ikonographie wichtig für das Verstehen atl� Texte sind� 8 Matthias Hopf Nimmt man dies ernst, kann die daraus folgende ästhetisch-literarische Betrachtungsweise biblischer Texte Herausforderung und Ansporn sein, den überkommenen Methodenkanon der atl� Exegese konstruktiv fortzuschreiben bzw� zu modifizieren� Dies aufgreifend versteht sich der vorliegende Beitrag als ein Plädoyer für ein Umbzw. Weiterdenken in der Bibelauslegung - hin zu einer stärkeren Wahrnehmung des Endtextes und seiner historisch-literarischen Würdigung� Trotz dieser Betonung der synchronen Textbeobachtung soll der bleibende Wert der diachronen Betrachtungsweise nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenteil: Auch in einem zunächst synchron arbeitenden Exegesemodell mündet die Auslegung in die Analyse historischer Textentwicklungen� Eine entsprechende bewusst veränderte Anordnung der Arbeitsschritte führt die synchronen und diachronen Elemente zu einer Synthese zusammen und stellt deren jeweiligen Eigenwert heraus� Dies möchte ich in der Form demonstrieren, dass ich zunächst (1) den methodischen Ausgangspunkt einer literaturwissenschaftlich orientierten Exegese des Alten Testaments darlege, sodann (2) diesen Ansatz mit einem eher herkömmlichen Exegesesystem vergleiche, um schließlich (3) zu zeigen, welch erhebliche Vorteile die beschriebene Umorientierung für eine biblische Hochschuldidaktik mit sich bringt� Der methodische Ausgangspunkt Zunächst ist festzuhalten: Es gibt keine einheitliche Literaturwissenschaft� Entsprechend gibt es auch nicht nur die eine literaturwissenschaftliche Exegese� In der Tat haben sich in dieser »Stilrichtung« mittlerweile viele verschiedene Spielarten entwickelt� 2 Forschungsgeschichtlich höchst wirksam war die sog� »Richter-Schule«, die stark auf strukturalistischen Thesen basiert und sich v. a. mit der formalen Gestaltgebung biblischer Texte auseinandersetzt� 3 Ein zweiter Ansatz wird von Christof Hardmeier verfolgt, der sich von der Handlungsspiel-Theorie herkommend mit der Wirkung der Texte beschäftigt� 4 Daneben gibt es - besonders im angelsächsischen Bereich - viele weitere Herangehensweisen, die spezifische Methoden auf biblische Texte anwenden, wie z� B� narratologische An- 2 Vgl� auch die Übersicht bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 65. 3 Vgl� das grundlegende Methodenwerk Richter, Exegese; aber auch die Kritik daran bspw� bei Koch, Formgeschichte, 332, oder Hardmeier, Textwelten 2, 16-23. 4 Vgl� die Darlegung des Ansatzes bei Hardmeier, Textwelten 1 oder 14; sowie die Kurzfassung in Hardmeier u� a�, Texterschließung; der Ansatz wurde abgewandelt übernommen von Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 77 f.; 103-105; 111 f. Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 9 sätze, 5 aber auch dramentheoretische, 6 dann der sog� canonical approach , 7 oder neuerdings Versuche, das Konzept der Intertextualität fruchtbar zu machen� 8 Die Vielfalt dieser Ansätze kann hier allerdings nicht hinreichend dargestellt werden� Stattdessen soll in diesem an der Hochschuldidaktik interessierten Forum der Vorteil literaturwissenschaftlichen Arbeitens anhand einschlägiger deutschsprachiger Lehrwerke zur alttestamentlichen Exegese vorgestellt werden� Der Ausgangspunkt liegt dabei bei dem »Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung« von Helmut Utzschneider und Stefan Ark Nitsche, dem Lehrwerk, das unter jenen mit einer literaturwissenschaftlichen Orientierung die wohl größte Verbreitung aufweist� Die theoretischen Grundlagen: Zum besseren Verständnis wird im Folgenden die grundlegende Hermeneutik des Lehrwerks anhand einiger wichtiger Wendungen verdeutlicht: (a) Rezeptionsästhetik: 9 Ein Grundsatz des »Arbeitsbuchs« ist, dass Texte nicht losgelöst von ihren Kontexten zu lesen sind� Dies gilt in doppelter Hinsicht: Einerseits ist der Kontext ihrer historischen Entstehung zu beachten, was sicherlich ein Allgemeinplatz der Exegese ist� Daneben tritt aber ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal: Das Verständnis eines Textes ist immer auch abhängig von den 5 Vgl. u. a. Bar-Efrat, Bibel; Fokkelman, Reading� Einen guten Überblick der klassischen literaturwissenschaftlich-exegetischen Ansätze bieten Schmidt/ Weidner, Bibel, 7-30. 6 Vgl� z� B� Nitsche, Jesaja; Utzschneider, Micha; Hopf, Liebesszenen� Aber auch im Bereich des »performance criticism« wird über vergleichbare Fragen nachgedacht, vgl� z� B� Rhoads, Criticism I & II� 7 Am prominentesten vielleicht bei Childs, Theologie, aber auch Steins, Kanonisch lesen� 8 Vgl� Seiler, Text-Beziehungen� 9 Vgl� zur Rezeptionsästhetik v� a� das programmatische Werk von Iser, Akt� Matthias Hopf, * 1976, Dr� theol�, ist Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Altes Testament an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau� Studium der Ev� Theologie und Judaistik in Neuendettelsau, Leipzig, Jerusalem und Heidelberg� Seine literaturwissenschaftliche Kompetenz wies er in seiner Dissertation zum Buch Hoheslied nach� Als Pfarrer der Evang�-Luth� Kirche in Bayern verfügt er über mehrjährige Erfahrung aus verschiedenen Praxiskontexten (Religionsunterricht an verschiedenen Schultypen, Gemeinde- und Erwachsenenpädagogik, Gottesdienste u. v� m�)� 10 Matthias Hopf Rezipierenden� 10 Das individuelle Vorwissen, die persönliche Situation, dazu der zeitgenössische Kontext und zeitgeschichtliche Strömungen - all diese Faktoren wirken darauf ein, wie ein Text wahrgenommen wird� 11 Da keine Lesesituation wie die andere ist, ist auch kein Leseverständnis einem anderen völlig gleich� 12 Texte sind insofern als »situationsoffen« zu bezeichnen� 13 Über diese Vielfalt in der Rezeption hinaus liegt die Uneindeutigkeit eines Textes aber bereits in seiner Grundstruktur selbst begründet. Kein Text ist in sich völlig abgeschlossen und eindeutig, sondern besitzt immer Vieldeutigkeiten, die unterschiedliche Verständnisse ermöglichen� Erst im Leseprozess werden diese »Leerstellen« je unterschiedlich durch die Rezipierenden gefüllt und vereindeutigt� 14 Leserinnen und Leser wirken also dabei mit, welche Bedeutungen einem Text zugeschrieben werden� Die Sinnbildung geschieht gleichermaßen durch einen sinnoffenen Text wie durch sinngebende Leserinnen und Leser� (b) Die drei Text-Intentionen: Angesichts dieser Prämisse der Rezeptionsästhetik bringt jeder Leseakt vielleicht keinen neuen Text, aber doch ein je neues Textverständnis hervor� Das führt zu einer wichtigen Unterscheidung im Anschluss an Umberto Eco, nämlich zu den sog� drei intentiones : 15 die intentio auctoris , die intentio operis und die intentio lectoris � Die intentio auctoris ist wohl diejenige Intention, an der Leserinnen und Leser vermutlich zunächst interessiert sind: Man will wissen, was die Autorin/ der Autor »eigentlich gemeint hat«� Auch Eco geht davon aus, dass sie der hauptsächliche Fluchtpunkt des Leseverstehens ist� Allerdings ist er gleichzeitig überzeugt, dass sie immer nur ein virtueller Punkt bleibt, 16 der nie erreicht wird, da 10 Vgl� dazu Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 65. 11 Ein schönes Beispiel hierfür liefert die Durchsicht des Lemmas »Monotheismus und Polytheismus« in den Auflagen zwei bis vier des Lexikons RGG, vgl� Haller, Art� Monotheismus, 192-194; Baumgärtel, Art. Monotheismus, 1113-1115; Müller, Art� Monotheismus, 1459-1462. 12 Vgl� Utzschneider, Text, 74� 13 Vgl� dazu Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 68; dies v� a� im Anschluss an Hardmeier, Textwelten 1, 56. Man darf dies jedoch nicht mit einer ahistorischen Hermeneutik verwechseln, da die historische Bedingtheit sehr wohl wahrgenommen wird - allerdings jede historische Bedingtheit: die der Produktion wie auch jene der Rezeption durch alle Zeiten (vgl� Utzschneider, Text, 73)� 14 Vgl� dazu auch Utzschneider, Vorstellung, 18 und 30, der sogar davon ausgeht, dass die Uneindeutigkeit biblischer Texte sowie der exegetischen Auslegung nicht nur in den Texten selbst begründet liegt� Vielmehr kommt der Uneindeutigkeit sogar eine wichtige hermeneutische Funktion zu, da die Texte dadurch historisch nicht festgelegt sind und immer wieder neu in sich verändernde Kontexte hinein ausgelegt werden können� 15 Vgl. Eco, Grenzen, 35-42, sowie die einführende Darstellung bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 66� 16 Vgl� Utzschneider, Text, 79� Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 11 kein Versuch des Verstehens genau exakt das reproduzieren wird, was die Autorin/ der Autor tatsächlich intendierte� An dieser Stelle setzt die intentio operis ein� Man könnte sie als eine Art weites Feld von Textaussagen beschreiben, welches ein Text uns bietet - viele verschiedene Verständnisse sind möglich. 17 Eine Intention innerhalb dieses Feldes ist die intentio auctoris , aber hinzu treten weitere, nämlich jene der Leserinnen/ Leser: die intentiones lectoris � Nach Eco wird jede intentio lectoris dem Text regelrecht »aufgezwungen«� 18 Ein wissenschaftlich lauterer Leseakt wird sich also immer darum bemühen, die intentio operis gegenüber einer »übergriffigen« intentio lectoris zu verteidigen� 19 Hervorzuheben ist, dass die eine Intention des historischen Autors - wenn überhaupt - bestenfalls tentativ und fragmentarisch zu eruieren sein wird. Primärer Gegenstand der Untersuchung ist darum zunächst und v. a. die intentio operis � 20 (c) Der Text als ästhetisches Subjekt: Für einen biblischen Text folgt daraus, dass die intentio auctoris auf der Ebene des Endtextes in der intentio operis aufgeht; oder mit den Worten Utzschneiders: »Der Endtext hat keinen Autor, der ihn oder für ihn spricht, er spricht für sich selbst.« Aus diesem Grund bezeichnet Utzschneider einen Text als »ästhetisches Subjekt«, weil er »ein selbständiges Gegenüber ist, das die Hörenden oder Lesenden in deren Wahrnehmung unmittelbar […] betrifft und anspricht« 21 � Ein Text bietet in diesem Sinne immer Potentiale des Verstehens an, er ist eine Art »Anleitung für Leser, sinnvolle Gehalte hervorzubringen«. 22 Eine solche Texthermeneutik steht natürlich in einem gewissen Widerspruch zur Fokussierung der »klassischen« Methoden auf die intentio auctoris � 23 Genau genommen wird dort ein Text primär als Mittel zum Zweck gebraucht, um die historischen Aussageabsichten zu ermitteln� 24 Natürlich legt ein Text niemals seine 17 Allerdings sind wohl nicht unendlich viele Verständnisse möglich� Gehrig, Leserlenkung, insbes� 74 f�, macht vielmehr wahrscheinlich, dass ein Text die Wahrnehmung seiner selbst lenkt und somit Fehlinterpretationen falsifiziert werden können� 18 Vgl� Eco, Grenzen, 35-42. 19 Vgl� Utzschneider, Text, 79� 20 Insofern kann man eine synchrone Analyse treffend als »werkimmanente« Betrachtung eines Textes bezeichnen, vgl� auch Utzschneider, Text, 72� 21 Alle Zitate entstammen Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 68� 22 Utzschneider, Text, 78; ganz ähnlich auch Hardmeier, Textwelten 1, 48, der Texte »als eine Art von Partituren der Sinnbildung« beschreibt� 23 Vgl� Utzschneider, Text, 72�82� Selbst der literaturwissenschaftlich orientierte Hardmeier, Textwelten 1, 25, entkommt diesem Gefälle hin zur intentio auctoris nicht� 24 Utzschneider, Text, 72 f�, verwendet den griechischen Begriff »Organon«� Seiner Ansicht nach ist ein Text jedoch Sender-Subjekt und Organon zugleich - und gerade insofern ein »ästhetisches Subjekt«� 12 Matthias Hopf historische Prägung durch Autoren, Fortschreiber oder Redaktoren ab� Diese ist allerdings auf der Ebene des Endtextes zunächst nicht zugänglich und kann m� E� erst jenseits einer grundlegenden Textwahrnehmung erhoben werden� (d) Die Lese-Hermeneutik der Behutsamkeit: Die Wahrnehmung eines Textes steht immer in der Gefahr, Sachfremdes in diesen hineinzulesen - also »Eisegese« zu betreiben� 25 Darum ist für den Umgang mit Texten ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein nötig - eine »Lese-Hermeneutik der Behutsamkeit« 26 � Letztlich geht es dabei um nichts anderes als um ein methodisch abgesichertes mehrfaches Lesen des Textes, 27 das diesen in einer »theoretisch-wissenschaftlich begründeten, nachvollziehbaren Weise« 28 beschreibt� Durch eine solche Systematisierung der Textwahrnehmung wird intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleistet und der Text als textum (»Gewebe«) erschlossen. 29 Zudem will gerade diese literaturwissenschaftliche Textanalyse der intentio operis ihr Recht gegenüber einer Vereinnahmung durch die intentio lectoris verschaffen� 30 Die Grundfrage in diesen mehrfachen Lesedurchgängen kann dabei - ein wenig salopp - etwa so gefasst werden: »Wie und warum funktioniert ein Text gerade so, wie er es tut? « Methodische Beispiele : Wie sich diese Texthermeneutik auswirkt, wird nun anhand zweier Beispiele demonstriert, an denen der literaturwissenschaftliche Impetus des Ansatzes besonders deutlich wird� (a) Beispiel 1: Die Textanalyse: Die methodische Textanalyse nach Utzschneider/ Nitsche ist an jedem atl. Text durchführbar - wenngleich sicherlich mit unterschiedlichen Fokussierungen je nach Text� Die Analyse fungiert als »Universalschlüssel«, um den Text zu erschließen, während die späteren Arbeitsschritte als »Spezialschlüssel« auf spezielle Themen und Fragestellungen passen� 31 Für die Textanalyse hat sich die wichtige Unterscheidung der Untersuchungsebenen in Textoberflächenstruktur, Texttiefenstruktur und Textpragmatik 25 So wird es bezeichnet bei Hardmeier, Textwelten 1, 25 f. 26 Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 63, im Anschluss an Hardmeier, Textwelten 1, 36-40. 27 Explizit so beschrieben bei Hardmeier, Textwelten 1, 143� Für die konkrete Durchführung dieses methodischen Lesens wurden verschiedene Analyseschritte vorgeschlagen, vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 62-115 und Hardmeier, Textwelten 1, 61 ff�, aber auch Meurer, Einführung� 28 Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 63� 29 Gerade hierzu dient das »professionelle Handwerkszeug«, das Utzschneider, Text, 75, für die textanalytische Interpretation als unerlässlich ansieht� 30 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 69� 31 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 62 f� Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 13 bewährt� Die ersten beiden Begriffe stammen aus der strukturalistischen Literaturwissenschaft, in der die Oberflächenstruktur für die formale, »oberflächenhafte« Textur eines Textes unter Absehung von seinem Inhalt steht� Dieser Inhalt wird dann in einem zweiten Analyseschritt als Tiefenstruktur zu erfassen versucht� 32 Die Textpragmatik versteht den Text demgegenüber als einen Kommunikationsakt, der bei den Rezipierenden etwas bewirken will� 33 Diese Wirkung ist der Gegenstand der Untersuchung. Für die Oberflächen- und Tiefenstruktur ist weiterhin die Unterscheidung in Lautebene, Wortebene, Satzebene und Textebene sinnvoll� Dabei wird die Fokussierung von einer größtmöglichen Detailwahrnehmung zu Beginn immer stärker geweitet, bis schließlich der gesamte Text in den Blick kommt� 34 Im Einzelnen beschäftigt sich die Untersuchung der Textoberflächenstruktur u� a� mit folgenden Textphänomenen: Alliterationen, lautliche Anspielungen, Reime sind Gegenstand der Lautebene; auf der Wortebene interessieren v. a. die Wortarten und die Wurzelstatistik; 35 die Satzebene betrachtet Syntax und Satzformationen; die Textebene umfasst Textstrukturierung, Personage und Verweisstruktur (Phorik)� Bei der Untersuchung der Texttiefenstruktur wird das Augenmerk bei der Laut-/ Wortebene dann auf die Aspekte der Wortfelder und Leitworte gelegt; für die Satzebene sind die Parallelismen von Belang; in der Textebene geht es v. a. um die inhaltliche Gliederung. Außerdem müssen auch die Textgrenzen eingehend untersucht werden� 36 Die Textpragmatik wird anders unterteilt� Im Anschluss an Andreas Wagner wird versucht, die Wirkung auf die Rezipierenden durch unterschiedliche Sprechaktklassen zu beschreiben� Dabei wird differenziert in expressive Sprechakte (Darstellung von Haltungen, Werturteilen etc�), direktive Sprechakte (Aufforderung zu Handlungen; v� a� in Rechtstexten), kommissive Sprechakte (Selbstverpflichtung des Sprechers), deklarative Sprechakte (performative Rede im eigentlichen Sinn, in der durch Sprache Wirklichkeit geschaffen wird) 32 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 63 f� 33 Nach Hardmeier, Textwelten 1, 16 f�, schließen sich diese Untersuchungsformen aus, da er strukturalistische Analysen ablehnt� Meiner Erfahrung nach aber ergänzen sich die unterschiedlichen Herangehensweisen auf sehr fruchtbare Weise� Nicht immer ganz klar ist bei Utzschneider/ Nitsche aber, ob bei den Rezipierenden die historischen aus der Zeit der Textentstehung avisiert sind oder die modernen� Utzschneider würde wohl antworten, dass es um den »intendierten Leser«, eine Art »idealen Leser« geht� 34 Auch Textgrenzen sind zunächst provisorisch zu wählen und in der Analyse zu überprüfen, vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 62� Dies nimmt insbesondere die Kritik von Becker, Exegese, 106, auf, dass nicht einfach nur einzelne willkürliche Textabschnitte untersucht werden dürfen� 35 Ein Beispiel für die ertragreiche Betrachtung von Wortstatistiken ist Krispenz, Frage, v� a� 224-231. 36 Vgl� hierzu insgesamt Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 79-115. 14 Matthias Hopf sowie repräsentative Sprechakte (behauptende Darstellung von Sachverhalten als wahr bzw� falsch)� 37 Diese Unterteilungen mögen zunächst etwas künstlich wirken - so z. B. die prinzipielle Unterscheidung von Form und Inhalt, da diese in vielerlei Hinsicht interdependent sind� 38 Man darf die Einteilungen jedoch gerade nicht als absolute Abgrenzungen missverstehen, sondern als eine pragmatische Schematisierung zugunsten der Handhabbarkeit, gewissermaßen als kontrollierte Lesehilfe� So verstanden ist die daraus resultierende systematisierte Wahrnehmung des Textes hilfreich, auch wenn in der Praxis die Methoden bisweilen durchaus überlappend oder mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen angewendet werden� 39 Insgesamt aber ist die grundsätzliche Unterteilung für eine präzise und reflektierte Wahrnehmung textlicher Phänomene sinnvoll und dienlich� 40 (b) Beispiel 2: Die Gattungskritik: Das zweite Beispiel ist die Gattungskritik, die sich bei Utzschneider/ Nitsche, deutlich von der älteren Exegese absetzt� Lange Zeit diente die Formgeschichte, wie sie meist heißt, v� a� dazu, hinter die älteste schriftliche Fassung eines Textes zu fragen� In Fortführung der Studien von Hermann Gunkel wurde versucht, noch jenseits der redaktionsgeschichtlichen Schichtungen verlässliche Aussagen über das mündliche Textwachstum zu treffen� 41 Die Forschung war dabei von einer sehr optimistischen Grundhaltung geprägt: Bereits die älteste schriftliche Fassung sei im Wortlaut zu rekonstruieren und im Anschluss daran seien im Rückgriff auf die mündlichen Gattungen sogar recht klare Aussagen über ältere Entwicklungsstufen möglich� Utzschneider/ Nitsche verfolgen hingegen ein anderes Ziel: Gattungen werden zwar nach wie vor als wiederkehrende Textbildungsmuster aufgefasst, welche sich anhand formaler wie inhaltlicher Gesichtspunkte bestimmen lassen. Gleichzeitig verändert sich die Stoßrichtung aber erheblich, da stärker mit literarischen Entwicklungen solcher Textbildungsmuster gerechnet wird. Gattungen gelten damit nicht alleine als Indizien für ursprünglich mündliche Kurztexte, die in der Textgeschichte als Vorstufen späterer schriftlicher Fassungen 37 Vgl� Wagner, Sprechaktsequenzen, 314 f�; aufgenommen bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 77 f�, wo allerdings der repräsentative Sprechakt fehlt� 38 Vgl� Blum, Formgeschichte, 89-93; im Anschluss daran auch Becker, Exegese, 47. Gerade bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 65, wird diese Interdependenz ausdrücklich gesehen� 39 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 78� 40 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 63� 41 Ein prominenter Vertreter dieses Ansatzes war bspw� Koch, Formgeschichte (vgl� v� a� 95 f.). Gunkel selbst hat allerdings nie von »Formgeschichte« gesprochen und schon gleich nicht in dem beschriebenen Sinne, vgl� dazu Blum, Formgeschichte, 85. Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 15 dienen� 42 Vielmehr werden Gattungen sozusagen als Stilmittel verstanden, die ggf� literarisch eingesetzt werden, um bestimmte Effekte zu erzielen� 43 Folgerichtig rechnen Utzschneider/ Nitsche darum mit einem »Sitz im Leben ›Literatur‹«, 44 der für viele atl� Texte anzunehmen sein dürfte: Der Sitz im Leben einer Gattung ist dann nicht notwendigerweise irgendein mündliches Setting aus der Frühzeit� Viel wahrscheinlicher ist die bewusste literarische Gestaltung von Texten anhand bekannter Muster innerhalb des »biblischen Literaturbetriebs« 45 � Aufgrund dieses Verständnisses ist die Gattungskritik mit der Traditionskritik unter dem Titel »Welt des Textes« zusammengefasst und direkt nach der Textanalyse positioniert: Die Gattungskritik will den literarischen Verstehenskontext des Textes erhellen, indem sie die hermeneutischen Muster der Textbildung offenlegt. Insofern ist auch bei Utzschneider/ Nitsche die Gattungskritik historisch ausgerichtet, aber es soll nicht mehr primär die mündliche Entstehungsgeschichte im Fokus stehen� 46 Dies schlägt sich auch in der veränderten Nomenklatur nieder, wenn von analytischer Gattungs kritik die Rede ist statt von primär diachroner Form geschichte � 47 Infolge dieser veränderten Hermeneutik wird im Arbeitsbuch versucht, solche Textbildungsmuster vor allem unter literarischen Gesichtspunkten zu beleuchten� Ein Proprium bei Utzschneider/ Nitsche liegt daher in den drei anschließenden Kapiteln, in denen sich ein umfassendes Instrumentarium zur literaturwissenschaftlichen Erschließung von Gattungen für narrative und poetische Texte sowie für Texte aus dem corpus propheticum findet� 48 42 Auch Blum, Formgeschichte, 88, bezeichnet eine solche Verwendung der Formgeschichte als »verengende Instrumentalisierung des gattungskritischen Ansatzes für bestimmte diachrone Fragehorizonte«� 43 Ein schönes Beispiel ist die von Christof Hardmeier herausgearbeitete verfremdende Verwendung des »Wehe-Wortes« (vgl. Hardmeier, Texttheorie, 202-255.375-378). Ein vergleichbares modernes Beispiel ist eine Traueranzeige für das Recht auf Bildung, wie sie im Rahmen eines Plakatwettbewerbes des studentischen Dachverbandes fzs erstellt wurde (vgl. Oliver+Katrin Iost GbR, Recht). 44 Vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 122-125. 45 Zum Begriff »Literaturbetrieb« vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 122� 46 Entsprechende Schlussfolgerungen aus der Gattungskritik hierzu sind freilich nicht ausgeschlossen, vgl. Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 292-298. 47 Vgl� dazu insbes� das Resümee bei Blum, Formgeschichte, 94 f�, der ebenfalls dafür plädiert, auf den Begriff »Formgeschichte« zu verzichten� 48 Vgl. §§ 5A-C in Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 140-236. 16 Matthias Hopf Die methodischen Stärken einer literaturwissenschaftlichen Exegese Im Folgenden möchte ich zeigen, welchen methodischen Mehrwert ein literaturwissenschaftlicher Zugang zu biblischen Texten bietet� Außerdem wird sich zeigen, wie sehr die »klassische« Exegese bereits durch literaturwissenschaftliche Zugänge geprägt ist� Einwände gegen eine literaturwissenschaftlich orientierte Exegese: Literaturwissenschaftliche Hermeneutiken sind nicht unumstritten� Diachrone und synchrone Exegeseansätze werden oft als konkurrierend betrachtet, was aber nicht zutreffen muss� 49 Dass beide Auslegungsweisen sich durchaus ergänzen können, zeigt bspw� die neue Kommentarreihe IEKAT � 50 Dennoch liest man immer wieder von Vorbehalten gegenüber literaturwissenschaftlich bzw� synchron ausgerichteten Interpretationen� So wird moniert, dass die Untersuchung der historischen Tiefendimension auf der Strecke bleibe� 51 Dass eine solche zumindest bei Utzschneider/ Nitsche jedoch erfolgt, wird gerne übersehen� Ein anderer Einwand behauptet, diachrone Interpretationen seien per se objektiver als synchrone, 52 weil deren Ergebnisse in größerem Maße intersubjektiv überprüfbar seien� Die Einsichten einer synchronen Exegese seien demgegenüber viel stärker dem subjektiven Eindruck unterworfen� Dagegen ist einzuwenden, dass eine literaturwissenschaftliche Exegese einerseits ja gerade durch ihre methodische Strukturiertheit ganz besonders auf Intersubjektivität hin ausgelegt ist� 53 Andererseits zeigt v� a� die Vielfalt der Ergebnisse im Rahmen diachroner Deutungsansätze, wie stark jene von subjektiven Einschätzungen abhängig sind� Insgesamt erscheint ein Verharren im (vermeintlichen) Antagonismus zwischen Synchronie und Diachronie wenig hilfreich� Besser wäre es, die jeweiligen Stärken in ihren jeweiligen Domänen fruchtbringend einzusetzen� 54 Ein Vergleich von »klassischer« und literaturwissenschaftlicher Exegese: Um die Stärken des literaturwissenschaftlichen Ansatzes herauszuarbeiten, möchte ich 49 Utzschneider, Text, 71, betont, dass diachrone Exegese ohne synchrone Methodenschritte nicht möglich wäre und umgekehrt ein synchroner Zugang diachrones Arbeiten nicht in Frage stellt� 50 Vgl� bspw� das deutsche Premierenwerk Utzschneider/ Oswald, Exodus� 51 Vgl� bspw� die Zusammenfassung der Kritik an rezeptionsästhetischen Zugängen u� a� von O. H. Steck oder G. Sauter bei Utzschneider, Text, 78 f. 52 So z� B� Albertz, Exodus I, 17 f� 53 Vgl. Utzschneider, Text, 75. 54 Im Prinzip auch ähnlich bei Becker, Exegese, 52 und 55. Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 17 einen Vergleich mit der »klassischen« Herangehensweise unternehmen� Dafür greife ich auf Uwe Beckers Buch »Exegese des Alten Testaments« zurück, 55 das vermutlich zu den Werken mit der derzeit größten Verbreitung gehört� 56 (a) Die Abfolge der Arbeitsschritte: Sehr aufschlussreich ist eine Betrachtung der Abfolge der Methoden, da sich schon hier die unterschiedlichen Hermeneutiken zeigen� 57 Im Bereich der ersten Arbeitsschritte stimmen die beiden Werke natürlich überein: Nach einer Arbeitsübersetzung folgt die Textkritik� Danach gehen die Autoren jedoch unterschiedliche Wege� Bei Utzschneider/ Nitsche ist hier die ausführliche Textanalyse angesiedelt, während sich bei Becker direkt die Literarkritik, die Überlieferungsgeschichte und die Redaktionsgeschichte anschließen. Dieser Dreierblock wird bei Utzschneider/ Nitsche als »Geschichte des Textes« nach Gattungs- und Traditionskritik, der »Welt des Textes«, behandelt� Bei Becker hingegen folgen diese beiden als Form- und Traditionsgeschichte auf Literarkritik, Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte� Den Abschluss bildet bei Utzschneider/ Nitsche die resümierende Interpretation, bei Becker das Kapitel »Historische Aussageabsicht und Interpretation«� Ganz offensichtlich ist damit Beckers Ansatz v. a. an der diachronen Dimension der Texte interessiert� Die Abfolge der Arbeitsschritte suggeriert ein Zurückschreiten von den jüngsten und damit am leichtesten zugänglichen Daten immer weiter hin zu den ältesten noch greifbaren Vorformen des Textes. Ganz folgerichtig wird darum auch die abschließende Gesamtexegese diachron tituliert: »Historische Aussageabsicht«� Utzschneider/ Nitsche verstehen dagegen Texte stärker als literarische Entitäten� Entsprechend soll in der Textanalyse der Text zunächst so erschlossen werden, wie er uns vorliegt. Gattungs- und Traditionskritik beleuchten im Anschluss daran die literarischen Deutungshorizonte der Texte (»die Welt des Textes«)� Erst dann folgt die Untersuchung der Literargeschichte, die an dieser Position allerdings auf die Ergebnisse der vorherigen Arbeitsschritte zurückgreifen kann� Bereits hier zeigen sich die grundlegenden Unterschiede, die im Vergleich einzelner Arbeitsschritte noch plastischer werden� (b) Textanalyse vs. Literarkritik: Halten wir im ersten konkreten Beispiel Beckers Literarkritik neben die Textanalyse bei Utzschneider/ Nitsche, wird sehr schnell 55 Becker, Exegese� 56 Ein weiteres mögliches Vergleichswerk, das ähnlich weit verbreitet ist, wäre Kreuzer u� a�, Proseminar, der methodisch aber eher eine Mittelposition einnimmt und so für den Vergleich weniger geeignet ist� 57 Vgl� zur schnellen Übersicht über die Anordnung der Arbeitsschritte die Inhaltsverzeichnisse bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 6-12, sowie Becker, Exegese, VII-IX� 18 Matthias Hopf deutlich, wie stark auch Beckers Methodik von literaturwissenschaftlichen Grundsätzen durchdrungen ist. 58 Bis ins Detail ähneln die Analysemethoden stark jenen des »Arbeitsbuches«� 59 So werden u� a� folgende Untersuchungen vorgeschlagen: die sprachlich-syntaktische Analyse (vgl� Satzebene der Textoberflächenstruktur); die semantische Analyse (vgl� Wortebene der Texttiefenstruktur); die narrative Analyse (vgl� Textebene der Texttiefenstruktur); sowie die pragmatische Analyse (identisch mit der Textpragmatik bei Utzschneider/ Nitsche)� 60 Gleichzeitig fällt auf, dass einige Analyseschritte des Arbeitsbuches bei Becker zunächst offensichtlich fehlen� Diese werden z� T� im Rahmen der Formgeschichte als »sprachliche, stilistische und rhetorische Analyse« nachgeholt� 61 Die Grundhermeneutik präsentiert sich bei Becker als eine dezidiert diachrone, die der synchronen Betrachtung eines Textes kaum Eigenwert zugesteht, wie Becker herausstellt: »So führt die synchrone Lektüre beinahe von selbst zu einer Lektüre unter diachroner Perspektive�« 62 Außerdem tritt bei Becker ein Phänomen auf, das öfters bei literarkritischen Operationen zu beobachten ist: Insgesamt wird bei der Ausgrenzung von Wachstumsschichten stärker auf inhaltliche Argumente als auf formale zurückgegriffen� 63 Methodisch betont Becker zwar, dass beide Aspekte ineinander greifen müssen, 64 räumt aber inhaltlichen Fragestellungen deutlich breiteren Raum als formalen Indizien ein� 65 Der Vergleich zwischen Becker und Utzschneider/ Nitsche zeigt eine Reihe von Parallelen, insgesamt erweisen sich jedoch wesentliche Unterschiede in der Herangehensweise� Dabei ist nicht jede methodische Entscheidung Beckers 58 Becker betont mehrfach (vgl. Exegese, 51 f. sowie 54 f.), dass literaturwissenschaftliche und rezeptionsästhetische Arbeitsschritte gewinnbringend eingesetzt werden können� Gleichzeitig moniert er, dass die entsprechenden Methodiken anhand einheitlicher Literaturwerke entwickelt worden seien� Dies ist zweifellos richtig� Dass diese Ansätze aber daher nur begrenzt auf die uneinheitlichen Texte des AT übertragen werden könnten, ist eine These Beckers, die inzwischen mehrfach und überzeugend widerlegt wurde� 59 Becker, Exegese, 50; ähnlich 56, betont selbst, dass er synchrone Arbeitsschritte anwendet, um literarkritische Ergebnisse zu erzielen� 60 Vgl� zu den Arbeitsschritten insgesamt Becker, Exegese, 61 f� 61 Vgl. Becker, Exegese, 109-111. 62 Becker, Exegese, 62; ähnlich schon 56. 63 Prominente Beispiele sind die Argumentationslinien bei Gertz, Tradition (z. B. 231 f.) oder auch Schmid, Erzväter (z� B� 129)� Utzschneider, Text, 80 f�, moniert demgegenüber, dass Literarkritiker massiv an einem linear-kohärentem Gedankenfortschritt als ästhetischem Ideal orientiert sind� 64 Vgl. Becker, Exegese, 56. 65 Sechs von neun möglichen Symptomen für literarkritische Bruchlinien sind inhaltlicher Natur� An sprachlichen Argumenten zählt er lediglich »Spannungen im Wortlaut«, »Differenzen in Redeweise und Stil« und »Spracheigentümlichkeiten« auf (Becker, Exegese, 58 f.) und selbst diese überschneiden sich z. T. massiv (v. a. letztere beiden). Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 19 nachvollziehbar� Es wirkt bisweilen so, als rührten die Differenzen von einem grundlegendem Unbehagen Beckers gegenüber der literaturwissenschaftlichen Fragestellung her� Dies ist insofern bedauerlich, als die Methodik Beckers durch die starke Fokussierung auf die Diachronie von Beginn an Gefahr läuft, sich für wichtige Texterkenntnisse zu verschließen� Mit der »literarkritischen Schere« im Kopf verbaut man sich möglicherweise die Möglichkeit von Beobachtungen am Text, die bspw� für die Kohärenz einer Passage sprechen können� 66 Eine synchron orientierte Herangehensweise in Form einer Textanalyse dürfte eine größere Offenheit für Textphänomene mit sich bringen, als dies bei einer anfänglichen Literarkritik der Fall sein dürfte� (c) Gattungskritik vs. Formgeschichte: Mit Blick auf die Gattungskritik bzw. die Formgeschichte zeigen sich zunächst deutlich weniger Unterschiede� So ist Becker explizit bestrebt, sich von der »traditionellen Sicht« abzugrenzen 67 und spricht sich dezidiert dafür aus, »zunehmend den literarischen Charakter der alttestamentlichen Texte« 68 wahrzunehmen� Becker führt hierfür die Wendung »Sitz im Buch« für literarische Sitze im Leben ein 69 - ähnlich wie Utzschneider/ Nitsche mit ihrem »Sitz im Leben ›Literatur‹«� Folgelogisch ist Becker daran interessiert zu eruieren, welche Intentionen hinter den literarischen Gestaltungen stehen� 70 Hierfür rekurriert er stark auf wegweisende Forschungsergebnisse der Linguistik und Literaturwissenschaft� 71 Bei all diesen Übereinstimmungen fallen die Differenzen aber umso stärker ins Gewicht. Dies beginnt bei der bereits beschriebenen Abfolge der Methodenschritte� Becker folgt hier nach wie vor der traditionellen Sicht� Diese suggeriert jedoch gerade, dass der Text auf Prägungen aus der mündlichen Entwicklungsphase hin zu befragen ist� Da Becker dies zurückweist, wundert man sich, warum er an der traditionellen Reihenfolge festhält� Die einzige Antwort, die er selbst hierzu bietet, ist, dass vorlaufend in der Literarkritik die Eigenständigkeit des Textes erhoben werden müsste� 72 Da dies jedoch auch in einer Textanalyse geschieht, ist das Argument nicht zwingend� 66 Auch Hardmeier, Textwelten 1, 30, fordert mit Blick auf die Literarkritik bspw� immer die Gegenprobe, ob ein Text nicht auch als ein kohärenter gelesen werden kann. 67 Vgl� Becker, Exegese, 101� 68 Becker, Exegese, 101� 69 Vgl� Becker, Exegese, 101; allerdings ist dieser Terminus nicht allzu glücklich, wie Becker selbst zugibt� 70 Darin besteht auch der analytische Eigenwert, den Blum, Formgeschichte, 89.95, für die Gattungskritik in Anspruch nimmt. 71 Vgl� Becker, Exegese, 102� 72 Vgl� Becker, Exegese, 108� 20 Matthias Hopf Außerdem bleibt in der vorgelegten Abfolge unklar, ob die Formgeschichte bei Becker am literarkritisch bereinigten Text oder an der vollständigen Fassung des Endtextes durchgeführt werden soll� Träfe ersteres zu, hätte Becker sich genau genommen doch nicht von der Hermeneutik der älteren Exegese verabschiedet� 73 Darüber hinaus begäbe er sich damit in einen gewissen Widerspruch zu sich selbst, da er vorher formuliert, dass es in der Methode »generell um die Erhebung der sprachlichen Eigenart eines Textes« 74 geht und damit doch wohl um die eines vollständigen Textes� Eine umgekehrte Reihenfolge erscheint daher deutlich sinnvoller� Erkenntnisse aus der literarisch orientierten Gattungskritik können so nämlich in die literarkritischen Überlegungen einfließen und diese zusätzlich argumentativ absichern� Eine Zusammenfassung des Vergleichs: Der Vergleich zwischen Utzschneider/ Nitsche und Becker ergab zunächst, dass sich viele Spuren einer literaturwissenschaftlichen Hermeneutik auch im eher traditionell orientierten Werk Beckers finden� Dies ist insofern begrüßenswert, als sich durch eine literaturwissenschaftliche Analyse die vielfältigen und -schichtigen Tiefendimensionen der Texte eröffnen� Um dies zu erreichen, ist literaturwissenschaftlichen Methoden jedoch ein Eigenwert zuzubilligen, was zur zusammenfassenden Kritik an Becker führt: Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass die literaturwissenschaftlichen Ansätze von Becker nicht konsequent verfolgt werden. Wenn z. B. die Gattungskritik in ihrer literarischen Ausrichtung ernst genommen werden will, muss sie in der Reihenfolge der Methodenschritte einen anderen Ort bekommen� Aber auch die Literarkritik ist bei Becker in zweifacher Hinsicht zu einseitig angelegt: einmal in der Auswahl der an den Text anzulegenden Fragestellungen, dann aber v� a� mit Blick auf die literarkritische Orientierung, die von vornherein bestimmte Ergebnisse festlegt� Trotz aller Kritik sind aber auch Stärken von Beckers Lehrwerk gegenüber dem von Utzschneider/ Nitsche zu benennen: Ein Vorteil besteht bspw� schlicht im Textumfang, was gerade für ein Lehrbuch von großer Bedeutung ist� Utzschneider/ Nitsche räumen texttheoretischen Einführungen breiten Raum ein, welche das Buch meiner Lehrerfahrung nach schwer zu rezipieren machen� 75 Die ungewohnte literaturwissenschaftliche Terminologie stellt auch und v� a� 73 Dass »die Ergebnisse der Literarkritik, der Überlieferungsgeschichte und der Redaktionsgeschichte vorausgesetzt« (Becker, Exegese, 109) würden, weist in diese Richtung� 74 Becker, Exegese, 107� 75 Allerdings wird im Vorwort (Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 15) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die jeweils dreigeteilten Kapitel auch ausgewählt gelesen werden können� Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 21 für Lehrende oft ein Hindernis dar� Durch die pointierte Darstellung werden bei Becker schließlich manche Zusammenhänge und Trennlinien zwischen einzelnen Arbeitsschritten deutlicher herausgestellt (v� a� im Bereich Literargeschichte)� 76 Dennoch scheinen mir die konzeptionellen Vorteile bei Utzschneider/ Nitsche zu liegen� Bei Becker wird der Text letztlich stark als Mittel zum Zweck verstanden, eine mögliche Historie zu rekonstruieren� Hier hielte ich für die erste Annäherung an einen Text eine gewisse »Umkehrung der Beweislast« sinnvoll: nicht sofort von seiner Inkohärenz auszugehen, sondern textliche Kohärenzsignale in den Blick zu nehmen, um zu verstehen, wie dieser Text »funktioniert« - auch und gerade mit seinen Brüchen� Ohne textgenetische Schichtungen abstreiten zu wollen, würde ich viel mehr damit rechnen, dass der Text in seiner (z� T� sicherlich recht sperrigen) Endgestalt etwas zu sagen hat� 77 Oder historisch ausgedrückt: Es geht darum zu verstehen, warum die Tradenten uns den Text in der vorliegenden Form präsentieren� Der didaktische Mehrwert Das vorgeschlagene konzeptionelle Weiterdenken zugunsten einer literaturwissenschaftlichen Exegese scheint abschließend auch unter didaktischen Gesichtspunkten ratsam. Meine eigene Lehrerfahrung zeigt - und dieser Eindruck wurde mir schon verschiedentlich in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus der exegetischen Lehre unterschiedlicher Hochschulstandorte bestätigt -, dass gerade die diachron ausgerichteten Methodenschritte der Literargeschichte 78 unter Studierenden eine nicht unerhebliche Plausibilitätskrise durchleben� So werden Rekonstruktionsversuche einer Textgeschichte oft sehr skeptisch betrachtet und gerne durch die pejorativ gebrauchte Bezeichnung »Spekulation« abgewertet� In dieser Situation scheint mir ein literaturwissenschaftlich orientierter Ansatz in hohem Maße geeignet, dieser Plausibilitätskrise entgegenzutreten: Zunächst nimmt eine präzise synchrone Textwahrnehmung den 76 Die separate Behandlung von Literarkritik, Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte bei Becker, Exegese, 71-100, erscheint hier dienlicher, als die zusammenfassende Darstellung bei Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 266-330. Ich selbst verwende in der Lehre zwar das »Arbeitsbuch«, verteile aber die Methodenschritte auf drei Arbeitseinheiten� 77 Dies gilt umso mehr angesichts des Befundes zu vielen atl� Texten (bspw� weite Teile von 1/ 2 Sam oder 1/ 2 Kön), die eben gerade nicht allzu stark diachron geschichtet, sondern in sich äußerst kohärent sind� 78 Der Begriff ist im Sinne von Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 266-330, zu verstehen. Dieser »neutrale« Terminus sieht davon ab, ob die diachrone Entwicklung eines Textes im Einzelnen als Redaktion, Fortschreibung, Komposition o� ä� vorzustellen ist� 22 Matthias Hopf biblischen Text in seiner Endgestalt ernst� Ein hermeneutisches Ringen um ein Verständnis der Jetzt-Gestalt zum Eingang ermöglicht - falls ein Text dazu Anlass bietet - in einem zweiten Schritt die Einsicht, dass bestimmte Aspekte nur durch die Zuhilfenahme diachroner Wachstumsmodelle verständlich werden� So werden mögliche Vorbehalte von Studierenden aufgegriffen und gleichzeitig in eine differenzierte Textwahrnehmung überführt� Dies wird aber durch das anfängliche Ernstnehmen des Endtextes erheblich erleichtert� Hinzu tritt ein weiterer Aspekt, der gerade für die didaktische Vermittlung nicht unerheblich ist: die Anschlussfähigkeit der exegetischen Methoden. Gerade in interdisziplinärer Hinsicht birgt ein literaturwissenschaftlich orientierter Ansatz für Lehramts-Studierende großes Potential, da die Fächer Evangelische und Katholische Theologie gerne mit sprachwissenschaftlichen Fächern kombiniert werden� Solchen Studierenden sind die Methoden literaturwissenschaftlicher Textanalyse vertraut� 79 In der Begegnung zwischen jenen Fächern und einer literaturwissenschaftlich inspirierten Exegese kann also ein interdisziplinärer Wissens- und Kompetenzaustausch entstehen, der für beide Seiten fruchtbar ist� Außerdem können dadurch Hemmungen der Studierenden vor dem Umgang mit den oft als fremd empfundenen biblischen Texten abgebaut werden, was gleichzeitig die Fremdheitsgefühle selbst schwinden lässt� Eine gesteigerte Anschlussfähigkeit literaturwissenschaftlicher Methoden bietet sich schließlich im Hinblick auf die Praxisrelevanz akademischen Lehrens und Lernens: Die Einübung einer präzisen Wahrnehmung des Endtextes schult das Auge für Textstrukturen und -aussagen, 80 was u� a� in der Predigtvorbereitung, im Schulunterricht oder auch in der Gemeindepädagogik höchst ertragreich angewendet werden kann� Eine Analyse der Erzählperspektiven oder von semantischen Strukturen eines Textes kann den kreativen Prozess der Textaneignung stark befruchten und zu äußerst plastischen Auslegungen anregen� 81 Auch dies trägt zu einer Akzeptanz exegetischer Methoden unter Studierenden erheblich bei� Sowohl unter exegetischen, als auch unter didaktischen Gesichtspunkten ist es angesichts des Gesagten angeraten, den Text als textum , als historisches 79 Was also oft ein Hemmnis für Lehrende und Studierende mit Ziel Pfarramt ist, ist hier gerade ein Gewinn. 80 Natürlich passiert ähnliches bspw� in der Literarkritik, dort aber mit einer sehr auf Inkohärenzen fokussierten Lesehermeneutik� Insofern erscheint die literaturwissenschaftliche Wahrnehmung eines Textes für die schulische oder gemeindliche Praxis einer rein diachronen Literarkritik überlegen� 81 Die hier genannten Vorteile kristallisierten sich u� a� in der Auswertung eines Workshops im Rahmen der Tagung »Verstehen von Anfang an« am 04� 10� 2014 in Frankfurt a� M� heraus� Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens 23 Gewebe von Gedanken in Form literarisch (bisweilen äußerst kunstvoll) arrangierter Worte, ernst zu nehmen� Literaturverzeichnis Albertz, Rainer: Exodus, Band I Ex 1-18 ( ZBK � AT 2,1), Zürich 2012� Bar-Efrat, Shimon: Wie die Bibel erzählt� Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006. 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Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Schritt für Schritt auf dem Weg in den Text-- Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 Christina Hoegen-Rohls Abstract | This article emphasizes the meaning of segmentation of verses as first methodological access to biblical text passages� This method is not included in exegetical textbooks yet, but serves as a tool to support a qualified awareness of biblical texts by students in each phase of their studies� The self-assurance to be an »expert from the very beginning« motivates students to investigate the deeper structures of texts and to get themselves into exegetical methodology� In a first step the author refers to the differences of printed images in various editions of biblical texts� In a second step, students raise their awareness for characteristics by language within the texts� And in the final step they develop their appreciation for the narratological structure of the text� Der vorliegende Beitrag möchte praxisnah an einem konkreten Textbeispiel aus dem Johannesevangelium zeigen, wie wertvoll es ist, sich im exegetischen Proseminar von Anfang an Zeit für den Text zu nehmen� Vorführen und reflektieren möchte ich die Methode der Verssegmentierung, die den ersten wissenschaftlichen Kontakt zum auszulegenden biblischen Text herstellt - sei es in der Originalsprache, sei es in einer deutschen Übersetzung� Diese Methode ist bisher nicht fester Bestandteil unserer exegetischen Methodenbücher� 1 Als Hoch- 1 Eine gewisse Ausnahme stellen Fenske, Arbeitsbuch, und Egger/ Wick, Methodenlehre, dar� Fenske, Arbeitsbuch, 23, empfiehlt in Abschnitt II.6 unter dem Titel »Gliederung des Textes«, »die einzelnen Verse für die exegetische Arbeit noch einmal gegliedert und mit V� 1a) b) c) usw� gekennzeichnet« aufzuschreiben� Auf dem beigefügten Methodenblatt I ergänzt er: »Sätze sollten in möglichst kleine sinnvolle Einheiten unterteilt werden« 28 Christina Hoegen-Rohls schullehrerin im Bereich der Bibelwissenschaften und der Biblischen Didaktik machte ich jedoch in langjähriger Praxis die Erfahrung, dass Studierende es schätzen, diesen grundlegenden Arbeitsschritt für den Umgang mit einem alt- oder neutestamentlichen Text zu erlernen, da er Sicherheit verleiht und ihnen hilft, sich von Anfang an als selbständig agierende »Textexperten« zu verstehen� Die Methode der Verssegmentierung erfolgt nach klaren, nachprüfbaren Regeln, die von den Studierenden und der Lehrkraft im gemeinsamen Lehr-/ Lern- Prozess festgelegt, immer wieder überdacht und unter Angabe von Gründen verschlankt oder weiter ausdifferenziert werden können� Eine Beschäftigung mit dem »visuellen Text« in unterschiedlicher Textgestalt bereitet die Verssegmentierung vor - eine Aufgabe, bei der sich Studierende nach meiner Erfahrung intensiv mit ihren eigenen Beobachtungen einbringen und ihr Auge dafür schulen, dass ein Druckbild Sinn erzeugen kann, indem es Hinweise auf Inhalt und Struktur des Textes gibt� Auf diese Weise von Anfang an produktiv arbeiten zu können und dabei zu frühen Erfolgserlebnissen zu gelangen, ohne bereits auf das Methodenbuch angewiesen zu sein, macht die im folgenden (173)� Er lehnt sich dabei an die Vorläuferausgabe von Egger/ Wick [= Egger, Methodenlehre] an (vgl� 24)� Kriterien für das Erkennen solcher Sinneinheiten werden jedoch (wie bei Egger) nicht genannt� Daher ist es nicht verwunderlich, dass Fenske eine derartige Unterteilung der Verse für »immer wieder recht subjektiv« hält (ebd�)� Egger/ Wick, Methodenlehre, 83 f., erklären ebenfalls unter der Überschrift »Gliederung des zu untersuchenden Textes in kleinste Sinneinheiten«, dass eine solche Gliederung »nach Sätzen« erfolgen solle, schlagen dann jedoch viel zu vage eine »Einteilung in Sinnzeilen« vor, für die die Kriterien unklar bleiben� Auch hier lässt sich die Methode der Verssegmentierung nicht nachprüfbar erlernen. Das gilt auch für Schweizer, Biblische Texte, 10-23, der in seinem 1986 erschienenen Arbeitsbuch zur Hermeneutik und Methodik der Bibelinterpretation ein deutliches Interesse an exegetischer Leseförderung artikuliert (14�19)� In Kapitel 1 (Der Text als Widerstand� Plädoyer für eine sprachkritische Bibellektüre) spricht er sich dafür aus, die »Textrezeption zu verlängern« (20). Gemeint ist damit eine zeitintensive, eigenständige Beschäftigung mit dem Text, die mit einem strukturgestaltenden Abschreiben des Textes beginnt und auf die »Aneignung des Textes« zielt (20 f�)� Ein Textbeispiel zu Mt 25,1-12 (vgl. 22) veranschaulicht das Ergebnis derartigen ›schreibenden Lesens‹� Eine nach klaren Regeln erfolgende Verssegmentierung des Textes wird jedoch nicht erkennbar. Ebner/ Heininger, Exegese, 53-56, wenden diesen Arbeitsschritt zwar implizit an, wenn sie in § 1 (Textkritik), Abschnitt 7 (Übersetzung von Mk 2,1-3,6) einen Text bieten, der die markinischen Verse unterteilt und mit Kleinbuchstaben bezeichnet� Regeln für die Versunterteilung werden aber weder genannt noch reflektiert� Überwiegend scheint sich die Versunterteilung bei Ebner/ Heininger an grammatisch vollständigen Haupt- und Nebensätzen zu orientieren, doch sind vor allem im Blick auf lokale und temporale Satzergänzungen sowie im Blick auf die Behandlung des Infinitivs gravierende Inkonsequenzen zu beobachten� Für Studierende kann die Versunterteilung von Ebner/ Heininger daher nicht als Orientierung für die Methode der Verssegmentierung dienen� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, pass. (grundlegend 76-112) zeigen zahlreiche verssegmentierte hebräische und übersetzte Texte, deren Segmentierung jedoch ohne Kenntnis des masoretischen Akzentsetzungssystems nicht nachvollziehbar ist� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 29 skizzierte Methode der Verssegmentierung gerade für Anfängerinnen und Anfänger im exegetischen Proseminar attraktiv� Das Selbstbewusstsein, »Experten von Anfang an« zu sein, motiviert Studierende dazu, sich den Text im weiteren Lernprozess tiefer zu erschließen, und fördert ihre Bereitschaft, sich auf den Kanon der exegetischen Methodenschritte einzulassen� Erster Schritt: Visuelle Textwahrnehmung Der Text Joh 4,1-15 stellt sich unseren Studierenden genauso wie uns als Lehrenden in einer bestimmten materialen Gestalt dar, die wir von Anfang an wie selbstverständlich visuell wahrnehmen� Ob in elektronischer Form aufgerufen oder traditionell in einer der zur Verfügung stehenden Bibelausgaben aufgeschlagen - die äußerlich sichtbare Textgestalt verliert ihre Selbstverständlichkeit, sobald wir entdecken, wie zeit- und mediengebunden sie ist� An den Buchausgaben wie an den elektronischen Versionen der Bibel lässt sich beobachten, dass derselbe Text je nach Publikationsorgan ein unterschiedliches Aussehen besitzt� Bereits beim ersten Schritt auf dem Weg zur Verssegmentierung lohnt sich daher der Blick in verschiedene Formate des Bibeltextes, um erstens sein Erscheinungsbild wahrzunehmen und sich dabei gegebenenfalls der eigenen Sehgewohnheiten bewusst zu werden, um sich zweitens früh für sprachliche Eigenheiten des Textes intuitiv zu sensibilisieren und um drittens ein erstes Problembewusstsein für seinen erzählerischen Aufbau zu entwickeln� Durch die folgenden Beschreibungen verschiedener Textgestalten möchte ich den heuristischen und didaktischen Wert der visuellen Textwahrnehmung veranschaulichen� Christina Hoegen-Rohls, * 1959, Dr. theol., ist Professorin für Bibelwissenschaften (Altes und Neues Testament) und ihre Didaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster� Sie studierte Evangelische Theologie, Germanistik und Erziehungswissenschaften an den Universitäten München und Zürich� In den Jahren 1991-1994 war sie als Gymnasiallehrerin für Deutsch und Evangelische Religionslehre tätig� Als Privatdozentin an der LMU München wurde sie vom Bayerischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst mit dem »Preis für gute Lehre 2004« ausgezeichnet� Sie ist Mitglied im Lehrbeirat der WWU Münster, der die Universitätsleitung u� a� in Fragen zu Studienbedingungen und Qualität in der Lehre berät� 30 Christina Hoegen-Rohls Textgestalt 1: Joh 4,1-6 im sinnabschnittsgliedernden Fließtext N estle- A land 28. Aufl. online 2 4 1 Ὡς οὖν ἔγνω ὁ Ἰησοῦς ὅτι ἤκουσαν οἱ Φαρισαῖοι ὅτι Ἰησοῦς πλείονας μαθητὰς ποιεῖ καὶ βαπτίζει ἢ Ἰωάννης 2- καίτοιγε Ἰησοῦς αὐτὸς οὐκ ἐβάπτιζεν ἀλλ‘ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ- 3 ἀφῆκεν τὴν Ἰουδαίαν καὶ ἀπῆλθεν πάλιν εἰς τὴν Γαλιλαίαν. 4 Ἔδει δὲ αὐτὸν διέρχεσθαι διὰ τῆς Σαμαρείας. 5 Ἔρχεται οὖν εἰς πόλιν τῆς Σαμαρείας λεγομένην Συχὰρ πλησίον τοῦ χωρίου ὃ ἔδωκεν Ἰακὼβ [τῷ] Ἰωσὴφ τῷ υἱῷ αὐτοῦ· 6 ἦν δὲ ἐκεῖ πηγὴ τοῦ Ἰακώβ. ὁ οὖν Ἰησοῦς κεκοπιακὼς ἐκ τῆς ὁδοιπορίας ἐκαθέζετο οὕτως ἐπὶ τῇ πηγῇ· ὥρα ἦν ὡς ἕκτη. Textgestalt 2: Joh 4,1-6 im sinnabschnittsgliedernden Fließtext der Zürcher Bibel 2007 3 4 1 Als nun Jesus erfuhr, dass die Pharisäer gehört hatten, Jesus gewinne und taufe mehr Jünger als Johannes 2 - allerdings taufte Jesus nicht selber, sondern seine Jünger tauften -, 3 verliess er Judäa und ging wieder nach Galiläa. 4 Er musste aber durch Samaria hindurchziehen. 5 Nun kommt er in die Nähe einer Stadt in Samarien namens Sychar, nahe bei dem Grundstück, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. 6 Dort war der Brunnen Jakobs� Jesus war müde von der Reise, und so setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde� Gut erkennbar wird für Studierende beim visuellen Vergleich von Textgestalt 1 und Textgestalt 2 - ganz unabhängig davon, ob sie für ihren Studiengang die Originalsprachen der Bibel erlernen oder nicht -, dass sowohl der textkritisch rekonstruierte Text, wie ihn das Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland 28. Aufl�) bietet, als auch die Buchversion der Zürcher Bibel 2007 typographisch einen versübergreifenden Fließtext präsentieren, der zugleich Sinnabschnitte abbildet. Für beide Textgestalten von Joh 4,1-6 liegt ein deutlich sichtbarer Sinneinschnitt nach V� 3� Studierende werden in einer kurzen Einzel- oder Partnerarbeit herausfinden können, dass zweierlei für diesen Abschnittswechsel verantwortlich sein könnte: zum einen die Tatsache, dass ab V� 4 die in den V� 1-3 genannten Pharisäer, Johannesjünger und Jesusjünger nicht mehr erwähnt werden; zum anderen, dass mit der Wegnotiz von V� 3 ein gewisser topographi- 2 http: / / www.nestle-aland.com/ de/ na28-online-lesen/ text/ bibeltext/ stelle/ 53/ 40001/ 49999/ . 3 Zürcher Bibel 2007, 149� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 31 scher Abschluss erreicht zu sein scheint� Einigen Studierenden wird allerdings auffallen, dass auch V. 4 eine Wegnotiz enthält und daher das Itinerar als Ganzes (V. 3-4) zum ersten Sinnabschnitt gezogen werden könnte. Andere werden darüber hinaus den Wechsel der Tempora von V� 4 (im Deutschen: Imperfekt »er musste«; im Griechischen: Imperfekt ἔδει) zu V. 5 (im Deutschen: Präsens »nun kommt er«; im Griechischen: Präsens ἔρχεται οὖν) entdecken und als Argument für eine von den notierten Textgestalten abweichende Sinnabschnittsgliederung ins Spiel bringen� Bestätigt sähen sich die Überlegungen der Studierenden zum Zusammenhang der Wegnotizen durch die modernen Druck- und Online-Versionen der Lutherbibel, die in Textgestalt 3 und Textgestalt 4 festgehalten sind: Textgestalt 3: Joh 4,1-6 im sinnabschnittsgliedernden Fließtext der Lutherbibel 1984 online 4 4 1 Als nun Jesus erfuhr, dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war, dass er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes 2 - obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger -, 3 verließ er Judäa und ging wieder nach Galiläa. 4 Er musste aber durch Samarien reisen. 5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab� 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen� Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde� Textgestalt 4: Joh 4,1-6 im versgebundenen Spaltentext der Lutherbibel 1984/ Standardausgabe 5 4 Als nun Jesus erfuhr, daß den Pharisäern zu Ohren gekommen war, daß er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes 2 - obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger -, 3 verließ er Judäa und ging wieder nach Galiläa. 4 Er mußte aber durch Samarien reisen� 5 ¶ Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab� 4 http: / / www�die-bibel�de/ online-bibeln/ luther-bibel-1984/ bibeltext/ bibel/ text/ lesen/ � 5 Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. 32 Christina Hoegen-Rohls 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen� Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde� Studierende werden in Einzel- und Partnerarbeit darauf stoßen können, dass die beiden Versionen der Lutherbibel typographisch unterschiedlich organisiert sind� 6 Die Lutherbibel 1984 online gestaltet einen versübergreifenden Fließtext, der Sinnabschnitte durch Zeilenumbruch voneinander trennt, während die Lutherbibel 1984 in Buchform (Standardausgabe) einen versgebundenen Spaltentext bietet, in dem bereits jeder einzelne Vers einen eigenen Absatz bildet� 7 Sinnabschnitte müssen in dieser Ausgabe daher zusätzlich durch das Druckzeichen Alinea (¶) kenntlich gemacht werden, das im ausgewählten Text Joh 4,1-6 für V. 5 Verwendung findet. Textgestalt 3 und Textgestalt 4 demonstrieren also auf je eigene Weise mit ihrem Druckbild, dass sie die itinerarischen Angaben der V. 3-4 zusammenbinden und somit die V. 1-4 als ersten Sinnabschnitt der Erzählung von Jesus und der Samariterin auffassen� Dies wahrnehmen und beschreiben zu können, wäre eine erste Kompetenzstufe, zu der der Schritt »visuelle Textwahrnehmung« Studierende bei der Vorbereitung auf die Verssegmentierung zu führen vermag� 8 Zweiter Schritt: Einblick gewinnen in die drucksemantische Qualität eines Textes Dass Druckformate Sinn- und Bedeutungsträger sind, lässt sich besonders gut im Umgang mit dem letzten von Luther autorisierten und noch zu seinen Lebzeiten erschienenen Bibeldruck (Wittenberg 1545) vergegenwärtigen und didaktisch vermitteln� Die Arbeit mit diesem Bibeldruck empfehle ich Lehrenden aus Gründen seiner Erschließungskraft im Blick auf die Vers- und Satzgliederung des Bibeltextes ausdrücklich� Er ist leicht zugänglich in einer Studien- 6 Von Zeile zu Zeile vorgehend, werden manche Studierende beim Vergleich von Textgestalt 3 und Textgestalt 4 vielleicht auch bemerken, dass die Lutherbibel 1984 online (Textgestalt 3) jede einzelne Verszahl notiert (vgl� so auch Textgestalt 2: Zürcher Bibel 2007 [Druckformat]), während die gedruckte Standardausgabe (Textgestalt 4) den ersten Vers des neuen Kapitels Joh 4 unnummeriert lässt (vgl� so auch Textgestalt 1: Nestle- Aland 28� Aufl� online)� 7 Vgl� dazu Die Bibel� Nach der Übersetzung Martin Luthers� 8 Mit Recht weist Huebenthal, Zauber, 24 f�, darauf hin, dass es für den akademischen Lehr-/ Lern-Prozess entscheidend ist, dass Lehrende sich selbst und ihren Studierenden ausdrücklich bewusst machen, zu welcher Kompetenzstufe ein Arbeitsschritt führen soll� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 33 ausgabe (Reclams Universalbibliothek) 9 , die »buchstaben- und zeichengetreu die Textgestalt des Originals« 10 bewahrt. Der Text Joh 4,1-6 zeigt in dieser Druckfassung - in der Sprachgestalt des Frühneuhochdeutschen 11 - folgendes Erscheinungsbild: Textgestalt 5: Joh 4,1-6 im Druckbild der Lutherbibel 1545 12 D A nu der HE rr innen ward / das fur die Phariseer komen war / wie Jhesus mehr Juͤnger machet / vnd teuffet / denn Johannes 2 (wiewohl Jhesus selber nicht teuffet / sondern seine Juͤnger) 3 verlies er das land Judea / vnd zoch wider in Galileam / 4 Er muste aber durch Samariam reisen� D A kam er in eine stad Samarie / die heisset Sichar / nahe bey dem Doͤrfflin / das Jacob seinem son Joseph gab / 6 Es war aber daselbs Jacobs brun� Da nu Jhesus muͤde war von der Reise / satzte er sich also auff den brun / Vnd es war vmb die sechste stunde� 13 Die optischen Besonderheiten von Textgestalt 5 werden Studierende im Vergleich mit den bisher betrachteten Textgestalten klar hervorheben können: die ungewohnte Schreibweise der Wörter (wie etwa die Schreibung des Jesusnamens, die uneinheitliche Schreibung des Vokalklangs »u« als »v« oder »u«, der hochgestellte Umlaut-Vokal und das fett gesetzte D in »Doͤrfflin«); die satzgliedernden Schrägstriche (Fachausdruck: »Virgel« 14 ), die sich vielen bei genauerem Hinsehen als mit Punkt und Komma vergleichbare Satzzeichen er- 9 Roloff, Studienausgabe, 2 Bde� 10 Roloff, Studienausgabe 2, 20� Das oben präsentierte Druckbild nähert sich dem in der Studienausgabe gebotenen Druckbild so genau wie möglich an� 11 Vgl. dazu Hartweg/ Wegera, Frühneuhochdeutsch; Schmidt, Geschichte, 95-136. 12 Betont werden muss, dass der Bibeldruck von 1545 noch keine Verszählung besaß (vgl. Roloff, Studienausgabe 2, 24), sich der Herausgeber der Studienausgabe jedoch aus Gründen der Handhabbarkeit dafür entschieden hat, die Verszählung einzufügen� Die Studienausgabe von 1989 greift daher zurück auf die Versangaben der Weimarer Ausgabe, die sich an der ersten Wittenberger Lutherbibel, die eine Verszählung aufweist, orientiert (1586). Die bibliographischen Angaben dieser Ausgabe finden sich im Literaturverzeichnis des vorliegenden Beitrags� Abbildungen des Einbandes sowie Abbildungen des Inhaltes bietet die digitale Bibliothek der Universität Halle� Eine Abbildung des Abschnitts Apg 11,1-23 aus dieser Bibelausgabe präsentiert die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart (Eberhard Zwink)� 13 Der Text findet sich bei Roloff, Studienausgabe 1, 244� 14 Roloff, Studienausgabe 2, 22� 34 Christina Hoegen-Rohls schließen werden; 15 vor allem aber die beiden Großbuchstaben zu Beginn eines Absatzes sowie die beiden Großbuchstaben im Gottesnamen » HE rr«� Manche werden von selbst die Frage nach Funktion und Charakter dieser Großbuchstaben (Fachausdruck: »Versalien« 16 , »Majuskeln« 17 ) stellen - eine Frage, die es lohnt, in kurzem Partneraustausch ventiliert zu werden, bevor sie im Plenum erörtert wird� Einige mögen die Versalien vage als »typisch altmodisch« bewerten. Andere, die etwa im Geschichts- oder Germanistikstudium schon mit alten Handschriften und Drucken zu tun hatten, könnten sich an visuelle Eindrücke von Initialen erinnert fühlen und die hervorstechenden Großbuchstaben als Verschönerung des Druckbildes, als Schmuck verstehen (Fachausdruck: »typographisch-ornativ« 18 )� Einzelne werden in dieser Diskussion aber möglicherweise auch vorschlagen, die Großbuchstaben funktional und inhaltlich noch genauer mit Sinn zu füllen� Hintergrund ihres Vorschlags könnte nämlich die Verwunderung darüber sein, dass die Verwendung der Doppel- Großbuchstaben offensichtlich nicht einlinig zu begründen ist. Das Großbuchstabenpaar D A , dessen erster Großbuchstabe größer und in Fettdruck erscheint, scheint funktionalen Sinn zu haben: Es zeigt einen neuen Absatz an (Fachausdruck: »Abschnitt-Initiale« 19 ). Das Großbuchstabenpaar HE hingegen könnte inhaltlich motiviert sein: Es könnte darauf hinweisen wollen, dass es sich bei Jesus nicht um einen menschlich-alltäglichen »Herrn«, sondern eben um den »Herrn Jesus Christus« handelt� Mit solchen wichtigen, aus der visuellen Textwahrnehmung erwachsenen Vermutungen wären die Studierenden der »symboltypographische[n] Gestaltung« 20 des historischen Luthertextes auf die Spur gekommen. Bei dieser Gestaltungsweise handelt es sich um ein »Auszeichnungsprinzip« 21 des Textes, das den Laien-Lesern der Reformationszeit »visuelle Hilfen zum besseren (und schnelleren) Erfassen gewisser Wörter, Begriffe, Sentenzen usw� geben« 22 sollte� Luthers Mitarbeiter Georg Rörer (1492-1557) 23 , der als Protokollant auch die Revisionsarbeit an Luthers Bibelübersetzung im Wittenberger Kreis festhielt, 24 notiert in seinem Nachwort zum Bibeldruck von 1545 einige der Auszeich- 15 Vgl� dazu genauer Abschnitt 3� des vorliegenden Beitrags� 16 Roloff, Studienausgabe 2, 21.25. 17 Vgl. http: / / www.typolexikon.de/ versalien, letzter Zugriff am: 31. 5. 2016. 18 Roloff, Studienausgabe 2, 25. 19 Roloff, Studienausgabe 2, 25. 20 Roloff, Studienausgabe 2, 27� 21 Roloff, Studienausgabe 2, 24� 22 Roloff, Studienausgabe 2, 24� 23 Vgl� dazu Koch, Biographie� 24 Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Biblia deutsch, 75; Beispiele für Luthers Übersetzungs- und Revisionsarbeit finden sich bei Hartweg/ Wegera, Frühneuhochdeutsch, 80-87. Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 35 nungsregeln, die auf Luther selbst zurückgehen� 25 So werden die wichtigsten »Spruͤche« des Alten Testaments, in denen Luther bereits eine Verheißung auf Christus hin erkennt, »mit groͤsser schrifft gedruckt«, damit sie der Leser »leicht vnd bald finden koͤnne«. 26 Im Neuen Testament werden, wenn auch nicht völlig konsequent, die direkte Rede Gottes (wie etwa die Himmelsstimme bei Jesu Taufe nach Mk 1,9-11 27 ), herausragende Worte und Reden Jesu (wie etwa der Taufbefehl in Mt 28,18-20 28 ), aber auch menschliche Zeugnisse von Gotteserkenntnis und Gotteslob (wie etwa das Magnificat der Maria in Lk 1,46-55 29 ) durch eine besondere Schriftart 30 gekennzeichnet, um solche Passagen als theologisch bzw� christologisch relevante Aussagen erkennbar und wirksam werden zu lassen� Eine Hervorhebung dieser Art zeigt sich im Textabschnitt Joh 4,1-15 gleich innerhalb des ersten Wechselgesprächs, das sich aus Jesu Bitte, die zum Brunnen gekommene samaritische Frau möge ihm zu trinken geben, entwickelt (V. 9-10): 31 Textgestalt 6: Joh 4,9-10 im Druckbild der Lutherbibel 1545 9 Spricht nu das Samaritisch weib zu jm / Wie bittestu Von mir trincken / so du ein Juͤde bist / vnd ich ein Samaritisch weib? Denn die Juͤden haben keine gemeinschafft mit den Samaritern� 10 Jhesus antwortet / vnd sprach zu jr / Wenn du erkennetest die gabe Gottes / vnd wer der ist / der zu dir saget / Gib mir trincken / Du betest jn / vnd er gebe dir lebendiges Wasser� Die für Jesu Antwort gebrauchten Kapitälchen signalisieren, dass seine Worte von der »Gabe Gottes« und vom »lebendigen Wasser« auf ihn selbst verweisen und also christologisch zu deuten sind� Die Kapitälchen erweisen sich somit als »drucksemantische Zeichen« 32 , in denen sich sowohl die exegetische Reflexion Luthers und des Wittenberger Übersetzer- und Revisionskreises spiegelt als 25 Vgl. Roloff, Studienausgabe 2, 24-27.371 f. 26 Zitiert nach Roloff, Studienausgabe 2, 24� 27 Der Text Mk 1,9-11 findet sich in Roloff, Studienausgabe 1, 99. 28 Der Text Mt 28,18-20 findet sich in Roloff, Studienausgabe 1, 96 f. 29 Der Text Lk 1,46-55 findet sich in Roloff, Studienausgabe 1, 151 f. 30 Vgl. dazu Roloff, Studienausgabe 2, 24 f. Im Bibeldruck von 1545 erfolgt die Hervorhebung durch die Schriftart Fraktur, die in der Studienausgabe mit Kapitälchen wiedergegeben ist� 31 Der Text findet sich bei Roloff, Studienausgabe 1, 244� 32 Roloff, Studienausgabe 2, 24� 36 Christina Hoegen-Rohls auch deren Intention, den Lesern schon auf visueller Ebene einen theologischen Text zu präsentieren� Auch zu den bei der visuellen Textwahrnehmung gewonnenen Überlegungen der Studierenden, die Großbuchstaben könnten bestimmten funktionalen oder inhaltlichen Sinn besitzen, finden sich Hinweise in Rörers Nachwort zum Bibeldruck von 1545 sowie bei Luther selbst in seiner Vorrede zum Alten Testament von 1523. Wenn es bei Rörer heißt: »so offt eine newe Historien / Straffe oder Trostpredigt / Ermanung / Wunderzeichen etc� angehet/ Jst am anfang derselben ein grosser Buchstab gesetzt« 33 , so bestätigt sich die studentische Vermutung, das Großbuchstabenpaar, dessen erste Versalie in Fettdruck und größer als die zweite gesetzt ist, diene der Absatzgliederung� Was wiederum die studentische Erwägung betrifft, das Großbuchstabenpaar HE solle inhaltlich auf Jesus Christus hinweisen, so lässt sich auch diese stützen durch den Hinweis darauf, dass Luther ausdrücklich festhält, die Schreibweise » HE rr« - und davon unterschieden die Schreibung »HERR« oder »HERRE« - sei theologisch begründet: »Es sol auch wissen / wer diese Bibel liesset / das ich mich geflissen habe / den namen Gottis den die Juden / tetragrammon heyssen / mit grossen buchstaben aus zu schreyben / nemlich also / HERRE / vnd den andern / den sie heyssen / Adonai / halb mit grossen buchstaben / nemlich also / HE rr / denn vnter allen namen Gottis / werden dise zween alleyn / dem rechten waren Gott ynn der schrifft zu geeygent / die andern aber werden offt auch den engelen vnd heyligen zu geschryben� Das hab ich darumb than / das man da mit gar mechtiglich schliessen kan / das Christus warer Gott ist / weyl yhn Jeremia. 23. HERR nennet / da er spricht / sie werden yhn heyssen HERR vnser gerechter / also an mehr orten des gleichen zu finden ist�« 34 Studierende werden mit Hilfe eines Lehr-/ Lern-Gesprächs, in dem Luthers Ausführungen erklärt und auf die Sprachtradition der Hebräischen Bibel bezogen werden, feststellen können, dass der abschnitts- und kapiteleinleitende Temporalsatz in seiner frühneuhochdeutschen Fassung und Schreibweise (»Da nu der HE rr innen ward« [neuhochdeutsch: »weil/ als nun der Herr sich dessen bewusst war«]) intentional den von Luther für die hebräische Gottesbezeichnung ןֹ וד ָ א [Adon/ Herr] bzw� יָנֹ ד ֲ א [Adonai/ (mein) Herr] reservierten Gottesnamen birgt� Es wird sich ihnen in der Anfangsphase ihres Studiums die Frage stellen, wie eine hebräische Gottesbezeichnung aus dem Alten Testament Eingang in die Sprache des Neuen Testaments findet� 35 In Erwartung dieser Frage 33 Zitat in Anlehnung an Roloff, Studienausgabe 2, 25. 34 Roloff, Studienausgabe 2, 371 mit Hinweis auf die Quelle (WA DB 8, 30)� 35 Vgl. dazu Tilly, Septuaginta, 79 f., sowie ausführlich Zimmermann, Namen, Kapitel III�2 (171-232). Zimmermann lotet die Traditionsgeschichte zwischen den Gottesbezeichnungen der hebräischen Bibel (הוהי/ יָנֹ ד ֲ א) und der LXX durch folgende Fragen aus: (1) »War Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 37 werden wir als Lehrende die Septuaginta in ihrer griechischen Fassung 36 und die Ausgabe Septuaginta Deutsch - in Buchform 37 (samt Erläuterungsbänden 38 ) und mit dem entsprechenden Hinweis auf die elektronische Version 39 - bereithalten, um auf Belege zugreifen zu können, in denen das griechische Wort κύριος zum einen in alltagssprachlich-profaner, zum anderen in theologischer Verwendung hervortritt. Anschauliche Beispiele für die profane Bedeutung »Herr, Gebieter, Besitzer« könnten etwa im Rahmen der Erzählung von Abrahams Kauf einer Grabhöhle für Sara (Gen 23,1-20) die Belege Gen 23,11.15 LXX sein (Anrede Abrahams als κύριε) oder im Rahmen der Rechtsordnungen Ex 21,1-23,19 das Syntagma ὁ κύριος τῆς οἰκίας (Ex 22,7 LXX )� Beispiele für die theologische Füllung des Wortes bieten permanent die Psalmen mit der wiederkehrenden Gottesanrede κύριε/ Herr (vgl. nur Ps 3,2LXX; 5,2LXX; 6,2LXX; 9,2LXX; 12,2LXX; 14,2 LXX ; pass�)� Stilistisch eindrücklich lässt sich die Verwendung der Kyrios- Anrede durch die Repetition in Ps 134,13 LXX (κύριε, κύριε/ Herr, Herr) und durch die Alliteration in Ps 8,2 LXX belegen (κύριε ὁ κύριος ἡμῶν/ Herr, unser Herr[scher])� Semantisch besonders überzeugend wird für Studierende der Hinweis auf Ps 7,2 LXX und Ps 79,5 LXX sein, wo sich »Herr« und »Gott« in einem Atemzug als Invokationen ergänzen können: κύριε ὁ θεός μου (Ps 7,2 LXX : Herr, mein Gott)/ κύριε ὁ θεὸς τῶν δυνάμεων (Ps 79,5 LXX : Herr, Gott der Heerscharen). Das Lehr-/ Lern-Gespräch wird in diesem Zusammenhang die Gelegenheit nutzen, die sprach- und kulturgeschichtliche Leistung der Septuaginta zu thematisieren 40 und fachsprachliche Termini wie »Gottesnamen«, »Würdenamen«, »christologische Hoheitstitel« einzuführen und zu reflektieren� 41 Möglicherweise werden wir als Lehrende aber zunächst mit einer ganz anderen Frage der Studierenden konfrontiert� Es könnte ihnen nämlich bei der Arbeit an Textgestalt 5 im Vergleich mit den bisher betrachteten Versionen von Joh 4,1 aufgefallen sein, dass anstelle des explizit benannten Subjekts »Jesus« (vgl. Textgestalt 1-4) im Druck der Lutherbibel von 1545 eben der Auszeichnungsname » HE rr« steht� Wenn wir nicht davon ausgehen wollen, dass Luκύριος wirklich die Übertragung des Gottesnamens הוהי ? « (2) »Warum übertrug man den Gottesnamen mit κύριος? « (3) »Woher kommt und was bedeutet die Gottesbezeichnung יָנֹ ד ֲ א ? « (4) »Wie unterscheidet sich die LXX-Übersetzung κύριος von יָנֹ ד ֲ א «? (5) »Übersetzte man den Gottesnamen הוהי nur durch κύριος? « (6) »Übersetzt κύριος auch andere alttestamentliche Gottesbezeichnungen? « (7) »Gibt es einen Unterschied zwischen κύριος und ὁ κύριος? « 36 Septuaginta 1935/ 2006. 37 Septuaginta 2009� 38 Septuaginta 2011� 39 Septuaginta Deutsch [Onlinefassung]� 40 Vgl. dazu Tilly, Septuaginta, 9 f.56-80. 41 Vgl� dazu noch immer forschungsgeschichtlich relevant Hahn, Hoheitstitel� 38 Christina Hoegen-Rohls ther hier eine andere Ausgabe des griechischen Textes vorlag - Nestle-Aland 28. Aufl. verzeichnet jene Zeugen, die in V. 1 κύριος lesen -, so werden wir mit den Studierenden entdecken können, dass Luther bewusst für »Jesus« den christologischen Titel »Herr« einsetzt und mit der dafür verwendeten Druckgestalt » HE rr« zum Ausdruck bringen möchte, dass er Jesus als Gott versteht� Um nun die berechtigte Vermutung der Studierenden, das Großbuchstabenpaar HE könne Jesus als den »Herrn Jesus Christus« zur Geltung bringen wollen, endgültig als relevant zu würdigen und im Blick auf die drucksemantische Dimension »Jesus ist Gott« hin zu vertiefen, lohnt sich der Blick auf das Wechselgespräch zwischen Jesus und der Samariterin in den V. 11-15, in denen gerade das alltagssprachliche »Herr« erscheint� Nach Jesu Wort vom lebendigen Wasser in V� 10 beginnt mit V� 11 eine neue Phase des Dialogs, die durch die irritierte Frage der samaritischen Frau eingeleitet wird, woher denn Jesus, zumal ohne Schöpfgefäß, »lebendiges Wasser« nehme - die Samariterin bezieht solches Wasser auf das sprudelnde Grundwasser, das der Brunnen als »›gefasste Quelle‹« 42 und aufgrund seiner Tiefe bereit hält. In V. 15 weicht ihre Irritation einer dringenden Bitte: Wenn wirklich, wie Jesus ihr sagt, er ein anderes Wasser zu bieten habe als der Jakobsbrunnen - eines, das in dem, der trinkt, eine Quelle von Wasser erzeugt, das ins ewige Leben »springt« 43 - , dann möge er ihr eben dieses Wasser geben! Textgestalt 7: Joh 4,11.15 im Druckbild der Lutherbibel 1545 11 Spricht zu jm das weib / Herr / hastu doch nichts / da mit du schepffest / vnd der Brun ist tieff / Wo her hastu denn lebendig wasser? 15 Spricht das weib zu jm / Herr / Gib mir dasselbige wasser / auff das mich nicht duͤrste / das ich nicht her komen muͤsse zu schepffen. Eindeutig können die Studierenden nun erkennen, dass zwischen » HE rr« (V� 1) und »Herr« (V. 11.15) ein Unterschied besteht. Die Samariterin spricht Jesus mit der Höflichkeitsanrede »Herr« an - und dem Bibeldruck von 1545 scheint daran gelegen zu sein, diese Anrede als eine alltagsbzw� routinesprachliche Anrede zu kennzeichnen. Weder in V. 11 noch in V. 15 wird »Herr« als christologischer Titel ausgezeichnet� Soll das zeigen, dass die samaritische Frau noch am Anfang eines Verstehensprozesses steht? Wird ihr im weiteren Gesprächsverlauf, in dem 42 Vgl� Thyen, Johannesevangelium, 247� 43 So die Grundbedeutung von ἅλλομαι in V. 14. Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 39 sie sich Schritt für Schritt an Jesu Bedeutung als Prophet (V� 19) und Messias (V. 15) herantastet, das doppelte Großbuchstabenpaar als Zeichen wachsender Christuserkenntnis zugebilligt? Studierende werden sich nicht ohne Neugier auf solche Fragen einlassen� Dritter Schritt: Die Verssegmentierung des Textes Wird schon mittels der visuellen Wahrnehmung des Textes und der Einsicht in seine drucksemantische Qualität das Verständnis für die äußere Bauform des Textes und für den Zusammenhang von Form und Inhalt gefördert, so dient diesem Erkenntnisinteresse in besonderer Weise der Schritt der Verssegmentierung� Formal bezieht er sich auf die Einteilung des Textes in nummerierte Verse. Sprachlich gesehen widmet er sich der Einteilung des Textes in Sätze. Der Schritt der Verssegmentierung führt Studierende zu der Kompetenzstufe, einen biblischen Text in seine syntaktischen Einheiten auffächern zu können, um Einzelaspekte seiner inhaltlichen Darstellung und einzelne »Schichten« seiner Textur genauer zu erfassen� Sowohl Form als auch Inhalt des Textes werden unter dem mikroskopischen Blick der Verssegmentierung »vergrößert«, die Wahrnehmung beider Aspekte verlangsamt. Der Gewinn liegt auf der Hand: Sollen später im Laufe diachroner Arbeitsschritte Studierende an Teilversen bzw� Teilsätzen durchspielen können, ob diese als form-, literar- oder redaktionskritisch relevant zu bewerten sind, so müssen sie zuvor ihren Blick eben für Teilverse und Teilsätze schärfen� Didaktisch kann zur Einübung dieses Schrittes zunächst wiederum am Druck der Lutherbibel von 1545 gearbeitet werden, wobei das Augenmerk auf die Satzzeichen zu richten ist, auf die Verwendung von Punkt und Virgel� Lässt sich beschreiben, welche Funktion genau diese Satzzeichen haben? Textgestalt 8: Joh 4,6-8 im Fließtext der Lutherbibel 1545 […]6 Es war aber daselbs Jacobs brun� Da nu Jhesus muͤde war von der Reise / satzte er sich also auff den brun / Vnd es war vmb die sechste stunde� 7 Da kompt ein Weib von Samaria wasser zu scheppfen� Jhesus spricht zu jr / Gib mir trincken. 8 Denn seine Juͤnger waren in die Stad gegangen / das sie Speise keufften� Studierenden wird auffallen, dass der Punkt - so wie sie es von ihrer Sprache, dem Neuhochdeutschen, her kennen - einen Gesamtsatz kennzeichnet und abschließt� Die Virgel hat demgegenüber gliedernde Funktion: Sie unterteilt 40 Christina Hoegen-Rohls einen Gesamtsatz in einzelne Hauptsätze oder in ein Gefüge von Haupt- und Nebensätzen� Beide Zeichen, Virgel und Punkt, scheinen demnach syntaktische Funktion zu besitzen� Produktive Widerstände gegen eine glatte Deutung der Satzzeichen auf ihre syntaktische Funktion hin könnten sich unter Studierenden allerdings im Blick auf die Satzeinheit »Vnd es war vmb die sechste stunde« regen� Die studentische Frage könnte lauten: Was ist das für ein Satz, wenn ihn kein Punkt, sondern die Virgel vom Vorigen trennt? Ist er dann als ein Haupt- oder Nebensatz im Gesamtsatz aufzufassen? Es könnte sich aber doch, vergleichbar mit dem ersten Satz von V. 6 (»Es war aber daselbs Jacobs brun.«) auch um einen eigenen Gesamtsatz handeln, eingeleitet durch »und«� Mitverantwortlich für diese Frage könnte die am Neuhochdeutschen geschulte Sehgewohnheit sein, dass neue Sätze mit einem Großbuchstaben beginnen. Mit ihrer Frage jedenfalls stießen die Studierenden auf die Eigenart des Interpunktionssystems im Deutschen, für dessen Entwicklung Luthers Bibelübersetzungen eine entscheidende Rolle spielten� 44 Um die Entdeckung der Studierenden zu würdigen und ihre Frage einer Antwort zuzuführen, wäre es hilfreich, den Text von verschiedenen Studierenden laut vorlesen zu lassen� Als Lehrende könnten wir den Text ein weiteres Mal selbst laut und betont vortragen� Vorlesende wie zuhörende Studierende werden dabei akustisch wahrnehmen, dass Punkt und Virgel phonetische Zäsuren im Vortrag setzen. Das Lehr-/ Lern-Gespräch wird daran anknüpfen und darauf hinweisen, dass sich Interpunktion vollständig erst im Neuhochdeutschen als ein syntaktisches, auf den Lese text bezogenes Ordnungsprinzip darstellt� Im Alt- und Mittelhochdeutschen und auch zu Beginn der frühneuhochdeutschen Zeit eignet der Interpunktion hingegen eine rhythmisch-intonatorische Funktion, und zwar im Blick auf den Hör text: Die Hauptaufgabe der Satzzeichen bestand darin, den Text für den mündlichen Vortrag in Sprechphasen zu gliedern� Punkt und Virgel zeigen somit natürliche Sprech-und Atempausen an� Auf der Grenze zwischen Hör- und Lesetext dienen sie »der optischen Kennzeichnung von Lesepausen« 45 � Damit aber sind auf dem Wege des entdeckenden Lernens zwei wesentliche Kriterien für die Verssegmentierung gewonnen: Sie wird sich an Satzzeichen orientieren und somit als syntaktisches Prinzip Anwendung finden� Sie kann aber zugleich oratorische Aspekte wie Sprechrhythmus und Satzmelodie für die Binnendifferenzierung der Verse zur Geltung bringen und somit als rhythmisch-intonatorisches Prinzip zur Anwendung kommen� Für Studierende, die am deutschen Text arbeiten, wird sich zeigen, dass die durch Satzzeichen und 44 Vgl. dazu Besch, Interpunktion, 191-199. 45 Vgl� Hartweg/ Wegera, Frühneuhochdeutsch, 131� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 41 aus rhythmisch-intonatorischen Gründen gesetzten Zäsuren häufig völlig oder weitgehend übereinstimmen� Eine kleine Abweichung zwischen Satzzeichen- Zäsur und rhythmisch-intonatorischer Zäsur zeigt die auf Joh 4,6-8 bezogene Textgestalt 9 in V� 7: Vom Sprechrhythmus her ergibt sich nach »Samaria«, also vor der Infinitivphrase »wasser zu scheppfen«, eine kurze Atempause� Es ergäbe sich daher folgende Textpräsentation: Textgestalt 9: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,6-8 (Lutherbibel 1545), orientiert an den Satzzeichen Virgel und Punkt sowie an rhythmisch-intonatorischen Zäsuren 6 Es war aber daselbs Jacobs brun� Da nu Jhesus muͤde war von der Reise / satzte er sich also auff den brun / Vnd es war vmb die sechste stunde� 7 Da kompt ein Weib von Samaria wasser zu scheppfen� Jhesus spricht zu jr / Gib mir trincken. 8 Denn seine Juͤnger waren in die Stad gegangen / das sie Speise keufften� Angesichts der für das Auge nun übersichtlich gegliederten Textgestalt wird sich für Studierende die Funktion der Virgel weiter erschließen: Sie dient im Bibeldruck von 1545 auch dem Übergang von Erzählung zu direkter Rede und vertritt den im späteren Frühneuhochdeutschen gebräuchlich werdenden Doppelpunkt mit seiner charakteristischen »Ankündigungsfunktion« 46 � Bei der weiteren gemeinsamen Erarbeitung der Segmentierungsregeln kann hieraus abgeleitet werden, dass Redeeinleitungswendungen grundsätzlich als eigenes Verssegment zu behandeln sind� Um sie als solche sofort kenntlich zu machen, können sie zusätzlich unterstrichen werden� Die davon abgesetzte direkte Rede kann durch Kursivdruck ausgezeichnet werden� Auf diese Weise kann das Druckbild jene Partien des erzählenden Textes hervorheben, in denen der Erzähler seine Stimme an die erzählten Figuren abtritt� Typographisch-funktional lässt sich somit eine Differenzierung zwischen Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede abbilden. Dementsprechend kann der Ausschnitt Joh 4,6-8 in der Version der Lutherbibel 1984 folgendermaßen präsentiert werden: 46 Vgl� Hartweg/ Wegera, Frühneuhochdeutsch, 132� 42 Christina Hoegen-Rohls Textgestalt 10: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,6-8 (Lutherbibel 1984), orientiert an Satzzeichen (in Übereinstimmung mit rhythmisch-intonatorischen Zäsuren) sowie an typographisch-funktionaler Differenzierung zwischen Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen� Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde� 7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen� Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen� Studierende schlagen häufig von sich aus vor, die Differenzierung zwischen Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede optisch noch zu verstärken, indem die direkte Rede eingerückt wird� Hier wird durch das Erstellen verschiedener Textdarbietungen auszuprobieren und abzuwägen sein, ob das Druckbild noch seine Übersichtlichkeit behält� In jedem Falle bietet es sich spätestens jetzt an, eine Bezeichnung der segmentierten Verse vorzunehmen, damit im weiteren Lehr-/ Lern-Gespräch - und später beim Erarbeiten der synchronen und diachronen Methodenschritte sowie beim Schreiben der exegetischen Proseminararbeit - präzise und unmissverständlich auf die einzelnen Verssegmente Bezug genommen werden kann� Der Abschnitt Joh 4,6-11 sähe bei einer Textpräsentation mit bezeichneten Verssegmenten und eingerückter erzählter Rede wie folgt aus: Textgestalt 11: Verssegmentierte Textpräsentation (mit Versbezeichnung) von Joh 4,6-9 (Lutherbibel 1984), orientiert an Satzzeichen, an rhythmischintonatorischen Zäsuren (vgl. Zäsur zwischen V. 9d und 9e) sowie an typographisch-funktionaler Differenzierung zwischen Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede 6a Es war aber dort Jakobs Brunnen� 6b Weil nun Jesus müde war von der Reise, 6c setzte er sich am Brunnen nieder; 6d es war um die sechste Stunde� 7a Da kommt eine Frau aus Samarien, 7b um Wasser zu schöpfen� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 43 7c Jesus spricht zu ihr: 7d Gib mir zu trinken! 8a Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, 8b um Essen zu kaufen� 9a Da spricht die samaritische Frau zu ihm: 9b Wie, 9c du bittest mich um etwas zu trinken, 9d der du ein Jude bist 9e und ich eine samaritische Frau? 9 f Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Aufgrund des immer schärfer werdenden Blicks, den die Verssegmentierung ermöglicht, bemerken Studierende häufig zu diesem Zeitpunkt der Arbeit am Text bereits dessen verschiedenen Erzählebenen� 47 Als Lehrende werden wir die Energie der Studierenden nutzen, um sie zu grundlegenden Beobachtungen hinsichtlich der unterschiedlichen Rollen, die der Erzähler des Textes einnimmt, zu führen. Bezogen auf den Abschnitt Joh 4,6-9 werden Studierende von sich aus oder mit Hilfestellung drei Erzählerrollen herausarbeiten können: In V� 6a-d erfüllt der Erzähler seine genuine Erzählerrolle, indem er im Erzähltempus Imperfekt Schauplatz und Zeit des erzählten Geschehens vor Augen führt� In V� 7a-d und in V� 9a-e wechselt er in die Rolle des »Regisseurs«, der im Präsens die Protagonisten des erzählten Stücks auftreten lässt� In V� 8a-b und in V� 9 f kommentiert er die erzählte Szene und die erzählte Rede� So erklärt er in V� 7 die Konzentration auf die beiden erzählten Figuren dadurch, dass er im Vorzeitigkeitstempus die Jünger als szenisch Abwesende einblendet� In V� 9 f erläutert er die scharfe Gegenüberstellung von »du ein Jude« (V. 9d) und »ich eine samaritische Frau« (V� 9e), in der sich die Irritation der Samariterin darüber artikuliert, dass Jesus, der Jude, sie anspricht� In allen drei narrativen Rollen - als Erzähler, als Regisseur und als Kommentator der Szene - agiert der Erzähler auktorial. Oft schlagen Studierende vor, alle drei Rollen typographisch durch Einrückungen hervorzuheben bzw� durch Spaltendruck voneinander abzuheben� Eine drucktechnische Umsetzung dieser Differenzierung gelingt am besten, wenn das Seitenlayout im Querformat gewählt wird (vgl� Handreichung 1 mit Textgestalt 12)� Textgestalt 12 ordnet dabei die erzählte Rede der auf die Bühne der Erzählung tretenden Figuren der Spalte »Regisseur« zu� Eben diese Zuordnung werden manche Studierende möglicherweise als unbefriedigend empfinden, zumal dann, wenn sie entdecken, dass im weiteren Ver- 47 Vgl. dazu Genette, Erzählung, 147-150. 44 Christina Hoegen-Rohls lauf des erzählten Gesprächs zwischen Jesus und der Samariterin der Erzähler selbst es ist, der die erzählten Figuren »auf die Bühne holt« - nicht, wie der »Regisseur« im Präsens, sondern im erzähltypischen Imperfekt� Dies kann Textgestalt 13 verdeutlichen: Textgestalt 13: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,10-15 (Lutherbibel 1984) mit Tempusbestimmung der für die Redeeinleitungswendung verwendeten finiten Verben 10a Jesus antwortete dt� Impf� / gr� Aorist 10b und sprach zu ihr: dt� Impf� / gr� Aorist 10c Wenn du erkenntest die Gabe Gottes 10d und wer der ist, 10e der zu dir sagt: 10 f Gib mir zu trinken! , 10g du bätest ihn, 10h und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11a Spricht zu ihm die Frau: dt� Präsens / gr� Präsens 11b Herr, 11c hast du doch nichts, 11d womit du schöpfen könntest, 11e und der Brunnen ist tief; 11 f woher hast du dann lebendiges Wasser? 12a Bist du mehr als unser Vater Jakob, 12b der uns diesen Brunnen gegeben hat? 12c Und er hat daraus getrunken 12d und seine Kinder 12e und sein Vieh. 13a Jesus antwortete dt� Impf� / gr� Aorist 13b und sprach zu ihr: dt� Impf� / gr� Aorist 13c Wer von diesem Wasser trinkt, 13d den wird wieder dürsten, 14a wer aber von dem Wasser trinken wird, 14b das ich ihm gebe, 14c den wird in Ewigkeit nicht dürsten, 14d sondern das Wasser, 14e das ich ihm geben werde, 14 f das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, 14g das in das ewige Leben quillt. Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 45 15a Spricht die Frau zu ihm: dt� Präsens / gr� Präsens 15b Herr, 15c gib mir solches Wasser, 15d damit mich nicht dürstet 15e und ich nicht herkommen muß, 15 f um zu schöpfen! Die Beobachtung, dass der Erzähler sowohl im Imperfekt bzw� Aorist als auch dramatisierend im Präsens erzählen kann, lassen seine Rollen als »Erzähler« und als »Regisseur« so nahe zusammenrücken, dass es gerechtfertigt erscheint, sie in einer Spalte abzubilden (vgl. Handreichung 2 mit Textgestalt 14). Gleichzeitig kann mit Studierenden erarbeitet werden, dass unabhängig davon, ob der »Erzähler« im Imperfekt erzählte Rede einleitet oder als »Regisseur« ins Präsens wechselt, die Figurenrede selbst zeitdeckendes Erzählen spiegelt, in dem Erzählzeit und erzählte Zeit »zur Deckung« kommen� 48 Die Typographie des Textes lenkt auf solche erzähltheoretisch relevanten Entdeckungen geradezu »physiologisch« hin� Als Lehrende werden wir daher in unserer Werkstatt-Arbeit mit den Studierenden immer wieder durchspielen, welche typographische Darbietungsform die Struktur und den Erzählcharakter des Textes am deutlichsten zur Geltung bringt. Die Studierenden werden hierbei eine hohe gestalterische Energie freisetzen, die ihnen durch die Feinarbeit der Verssegmentierung zugewachsen ist� Was die Verssegmentierung von Textgestalt 13 betrifft, so lassen sich abschließend zwei »kritische Punkte« benennen, die Aufmerksamkeit verdienen� Der erste Punkt: Exemplarisch für viele Fälle seiner Art kann V. 12c-e stehen. Nach welcher Regel wird hier segmentiert? Offenkundig sind es nicht Satzzeichen, die die Versunterteilung begründen können� Es greift also nicht das syntaktische, sondern das rhythmisch-intonatorische Prinzip� Nach V� 12c, dessen Sprechakzent, vom Satzganzen her bedingt, auf »er« liegt (»Und er hat daraus getrunken«), setzt der oratorische Vortrag eine kurze Sprech- und Atempause, bevor er, angeschlossen durch »und«, die weiteren Größen benennt, die - wie Jakob - aus dem Brunnen getrunken haben: seine Kinder und sein Vieh. Der Satz- und Sprechakzent liegt dabei jeweils auf dem Subjekt (»und seine Kinder «/ »und sein Vieh «) und zieht eine kurze Sprechpause nach sich� Beiden Satzteilen kommt daher ein eigenes Verssegment zu� Im Verlauf weiterer Textarbeit mit den Studierenden wird kritisch zu prüfen sein, ob sich aus dem Beispiel von V. 12c-e die allgemeine Regel ableiten lässt, dass Aufzählungen zu segmentieren 48 Zum Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit vgl� noch immer grundlegend Müller, Zeit; Müller, Erzählzeit; Lämmert, Bauformen; Genette, Erzählung, 17 f.53-71.99-102. 46 Christina Hoegen-Rohls sind� Hinzuweisen ist in jedem Falle darauf, dass die Verssegmente V� 12d stilistisch Ellipsen darstellen, in denen grammatikalisch jeweils das finite Verb zu ergänzen ist (V� 12d: »und seine Kinder haben daraus getrunken «; V� 12e: »und sein Vieh hat daraus getrunken «)� 49 Dieses Fehlen der Verben führt Studierende vielfach in Fällen wie V. 12c-e dazu, zurückzufragen, ob hier nicht auch eine andere Art der Versbezeichnung denkbar wäre� Orientiert an dem einzig vorhandenen finiten Verb von V� 12c könnte dieses Verssegment als V� 12c1, die beiden weiteren, elliptisch formulierten Verssegmente als V�12c2 und V� 12c3 gekennzeichnet werden� Man wird das erwägen können� Sollte die eine oder der andere Studierende sich für eine solche Versbezeichnung entscheiden, bleibt oberstes Prinzip, diese Bezeichnungsweise in allen vergleichbaren Fällen konsequent anzuwenden� 50 Der zweite Punkt: Sowohl durch das Satzzeichen-Prinzip als auch durch das rhythmisch-intonatorische Prinzip sind die Verssegmente V� 11b und V. 15b begründet. Nach »Herr« steht ein Komma, und allein dieses weist auf eine kurze Sprechpause hin� Ist diese aber sprechtechnisch bzw� pragmatisch bedingt durch die Anrede oder durch einen Anruf ? Anders gefragt: Worum handelt es sich im Sinne praktischer Sprachverwendung bei »Herr« - um eine Anrede (englisch: address, address form), deren Funktion es in der Regel ist, das Gegenüber in einer mündlichen oder schriftlichen Gesprächssituation zu charakterisieren und dabei die soziale Konstellation zu klären (z� B� hierarchisch versus symmetrisch); 51 oder um einen Anruf (englisch: call), mit dem die Aufforderung an den Angerufenen verbunden ist, eine kommunikative Beziehung mit dem Anrufenden einzugehen? 52 Die Fragen mögen dazu dienen, Lehrende wie Studierende auf ein weiteres Problemfeld aufmerksam zu machen, das sich mit der Methode der Verssegmentierung verbindet: das Feld der Sprechakte� 53 Grammatikalisch gesehen liegt mit dem Verssegment »Herr« ein Einwortsatz vor� 54 Aber wie wollen wir das Verssegment sprechakttheoretisch fassen? Und noch grundsätzlicher gefragt: Verändert ein sprechakttheoretischer Blick auf den Text unser Verständnis der Verssegmentierung? Werden wir Fälle 49 Dass die finiten Verben nicht vorhanden sind, könnte vielleicht sogar ein grammatikalischer Grund dafür sein, dass eine Sprechpause erzeugt wird. 50 Vgl� in Textgestalt 11 die Zäsur zwischen V� 9d (»der du ein Jude bist«) und V� 9e (»und ich eine samaritische Frau [zu ergänzen: bin ]«)� Auch hier müsste, orientiert am einzig vorhandenen finiten Verb »bist« in V� 9d, dann als Versbezeichnung V� 9d1 und V� 9d2 stehen� 51 Vgl� Bußmann, Sprachwissenschaft, 44; Nehring, Anruf, 128� 52 Vgl� Nehring, Anruf, 102� 53 Vgl� dazu Rolf, Illokutionäre Kräfte; Rolf, Austin; exemplarisch Brinker, Textanalyse, 79-88. 54 Vgl� dazu Nehring, Anruf; Hill, Vocatives� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 47 finden, in denen weder das Satzzeichen-Prinzip noch das rhythmisch-intonatorische Prinzip die Verssegmentierung begründen, sondern ein »Sprechakt- Prinzip«? 55 Ertrag: Die Methode der Verssegmentierung als Methode der Verlangsamung und als Methode der Text- und Sprachsensibilisierung Mit Studierenden die Methode der Verssegmentierung im Proseminar zu erarbeiten und einzuüben, heißt, exegetisches »Verstehen von Anfang an« aktiv zu unterstützen� 56 Von der ersten anvisierten Kompetenzstufe, einen Text in seiner äußeren Gestalt visuell wahrnehmen und beschreiben zu können, über die nächste Kompetenzstufe, seine drucksemantische Qualität im Sinne erster Hinweise auf den Zusammenhang von Form und Inhalt reflektieren zu können, bis hin zu der Kompetenzstufe, den Text syntaktisch »sortieren« zu können, um Einblick in seinen sachlichen, sprachlichen und strukturellen Gehalt zu gewinnen und dabei ein Verständnis für »Textualität« zu entwickeln, 57 versteht sich die Methode der Verssegmentierung als heilsame Methode der Verlangsamung und als Methode der Text- und Sprachsensibilisierung� Das geeignete Format, in dem ein »entschleunigter«, sprachsensibler Umgang mit dem biblischen Text gleich zu Beginn des Proseminars gelingen kann, ist meiner Erfahrung nach der exegetische Workshop, der sich unter den nüchternen Titel »Blocktag Exegese« stellen oder mit einem aktuelleren »label« - wie »Start up! « oder »Kick off! « - schmücken lässt� Ob an einem der ersten Samstage des Semesters, an zwei Freitagnachmittagen oder schon propädeutisch in der Orientierungswoche durchgeführt - der Exegese-Workshop zur Methode der Verssegmentierung weckt, wie wir in Münster positiv erfuhren, 58 die Sprach- und Textgeister Studierender 55 Auf diese Fragen gestoßen zu sein, verdanke ich der langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit mit Lars Maskow vom Exzellenz-Cluster der Universität Münster� Ihm sowie meinem Doktoranden Stefan Zorn und meiner Hilfskraft Matthias Feil danke ich herzlich für den inhaltlichen Austausch über die Methode der Verssegmentierung sowie für aufmerksames Korrekturlesen des vorliegenden Beitrags� 56 Mit diesem Interesse wurde die für die exegetischen Proseminare (AT/ NT) von mir entwickelte Methode der Verssegmentierung in gemeinsamen Lehreinheiten mit Lars Maskow (Münster), Jan Heilmann (früher Münster, jetzt Dresden), Moritz Gräper (Münster) und Sarah Neumann (Münster) über viele Semester hinweg erprobt� Ich nutze die Methode für jede exegetische Arbeit am originalsprachlichen und übersetzten Text - auch in der Vorlesung und im Hauptseminar� 57 Vgl. dazu Schwarz-Friesel/ Consten, Textlinguistik, exemplarisch 13-24. 58 Auch die Arbeitsschritte »Abgrenzung des Textes«, »Einbettung des Textes in seinen Mikro-, Meso- und Makrokontext« sowie »Analyse der Spannungskurve des Textes« 48 Christina Hoegen-Rohls und begeistert sie für die biblischen Texte als »starkes Material« 59 ihres bibelwissenschaftlichen Studiums� bieten sich für einen Exegese-Workshop an, der sich gut an den Workshop zur Verssegmentierung anschließen oder mit diesem - je nach zur Verfügung stehender Zeit - verknüpfen lässt. Es wird einleuchten, dass die anschauliche Graphik zum Spannungsbogen eines Textes, wie sie sich bei Erlemann/ Wagner, Leitfaden, 51, findet, unter Einzeichnung der einzelnen Verssegmente möglicherweise im einen oder anderen Fall überraschende »Hoch- und Tiefpunkte« der Kurve zu Tage fördert� 59 Vgl� dazu Hoegen-Rohls, Text, 231� Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 49 Handreichung 1: Textgestalt 12 im Querformat Textgestalt 12: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,1-9 (Lutherbibel 1984) mit typographischer Hervorhebung der Erzählerrollen und der Figurenrede Erzähler Regisseur/ Figurenrede Kommentator 1a Als nun Jesus erfuhr, 1b daß den Pharisäern zu Ohren gekommen war, 1c daß er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes 2a - obwohl Jesus nicht selber taufte, 2b sondern seine Jünger -, 3a verließ er Judäa 3b und ging wieder nach Galiläa. 4 Er mußte aber durch Samarien reisen. 5a Da kam er in eine Stadt Samariens, 5b die heißt Sychar, 5c nahe bei dem Feld, 5d das Jakob seinem Sohn Josef gab. 6a Es war aber dort Jakobs Brunnen. 6b Weil nun Jesus müde war von der Reise, 6c setzte er sich am Brunnen nieder; 6d es war aber um die sechste Stunde. 7a Da kommt eine Frau aus Samarien, 7b um Wasser zu schöpfen. 50 Christina Hoegen-Rohls 7c Jesus spricht zu ihr: 7d Gib mir zu trinken! 8a Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, 8b um Essen zu kaufen. 9a Da spricht die samaritische Frau zu ihm: 9b Wie, 9c du bittest mich um etwas zu trinken, 9d der du ein Jude bist 9e und ich eine samaritische Frau? 9f Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 51 55 Handreichung 2: Textgestalt 14 im Querformat Textgestalt 14: Verssegmentierte Textpräsentation (mit Versbezeichnung) von Joh 4,1-15 (Lutherbibel 1984) mit typographischer Hervorhebung der Erzählerrollen und der Figurenrede sowie mit Tempusbestimmung der für die Redeeinleitungswendung verwendeten finiten Verben Erzähler/ Regisseur/ Figurenrede Kommentator Tempus der für die Redeeinleitung verwendeten finiten Verben Verhältnis Erzählzeit / erzählte Zeit 1a Als nun Jesus erfuhr, 1b daß den Pharisäern zu Ohren gekommen war, 1c daß er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes 2a - obwohl Jesus nicht selber taufte, 2b sondern seine Jünger -, 3a verließ er Judäa 3b und ging wieder nach Galiläa. 4 Er mußte aber durch Samarien reisen. 5a Da kam er in eine Stadt Samariens, 5b die heißt Sychar, 5c nahe bei dem Feld, 5d das Jakob seinem Sohn Josef gab. 6a Es war aber dort Jakobs Brunnen. 6b Weil nun Jesus müde war von der Reise, 6c setzte er sich am Brunnen nieder; 6d es war aber um die sechste Stunde. 7a Da kommt eine Frau aus Samarien, 7b um Wasser zu schöpfen. 52 Christina Hoegen-Rohls 7c Jesus spricht zu ihr: deutsch: Präsens / griechisch: Präsens 7d Gib mir zu trinken! zeitdeckendes Erzählen 8a Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, 8b um Essen zu kaufen. 9a Da spricht die samaritische Frau zu ihm: deutsch: Präsens / griechisch: Präsens 9b Wie, zeitdeckendes Erzählen 9c du bittest mich um etwas zu trinken, 9d der du ein Jude bist 9e und ich eine samaritische Frau? 9f Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. 10a Jesus antwortete deutsch: Imperfekt / griechisch: Aorist 10b und sprach zu ihr: deutsch: Imperfekt / griechisch: Aorist 10c Wenn du erkenntest die Gabe Gottes zeitdeckendes Erzählen 10d und wer der ist, 10e der zu dir sagt: 10f Gib mir zu trinken! , 10g du bätest ihn, 10h und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11a Spricht zu ihm die Frau: deutsch: Präsens / griechisch: Präsens 11b Herr, zeitdeckendes Erzählen 11c hast du doch nichts, 11d womit du schöpfen könntest, 11e und der Brunnen ist tief; Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 53 11f woher hast du dann lebendiges Wasser? 12a Bist du mehr als unser Vater Jakob, 12b der uns diesen Brunnen gegeben hat? 12c Und er hat daraus getrunken 12d und seine Kinder 12e und sein Vieh. 13a Jesus antwortete deutsch: Imperfekt / griechisch: Aorist 13b und sprach zu ihr: deutsch: Imperfekt / griechisch: Aorist 13c Wer von diesem Wasser trinkt, zeitdeckendes Erzählen 13d den wird wieder dürsten, 14a wer aber von dem Wasser trinken wird, 14b das ich ihm gebe, 14c den wird in Ewigkeit nicht dürsten, 14d sondern das Wasser, 14e das ich ihm geben werde, 14f das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, 14g das in das ewige Leben quillt. 15a Spricht die Frau zu ihm: deutsch: Präsens / griechisch: Präsens 15b Herr, zeitdeckendes Erzählen 15c gib mir solches Wasser, 15d damit mich nicht dürstet 15e und ich nicht herkommen muß, 15f um zu schöpfen! 54 Christina Hoegen-Rohls Handreichung 3: Verssegmentierung am griechischen Text (Textgestalt 15/ 16) mit sprachsynoptischer Darstellung (Textgestalt 17) Studierende, die am griechischen Text arbeiten, werden die Verssegmentierung zweistufig durchführen� Da der griechische Text weniger Satzzeichen enthält als seine deutschen Übersetzungen, wird eine erste, interpunktionsorientierte Stufe der Verssegmentierung folgende Textpräsentation ergeben: Textgestalt 15: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,6-8 (Nestle-Aland 28. Aufl.), orientiert an Satzzeichen sowie an typographisch-funktionaler Differenzierung zwischen Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede 6 ἦν δὲ ἐκεῖ πηγὴ τοῦ Ἰακώβ. ὁ οὖν Ἰησοῦς κεκοπιακὼς ἐκ τῆς ὁδοιπορίας ἐκαθέζετο οὕτως ἐπὶ τῇ πηγῇ· ὥρα ἦν ὡς ἕκτη. 7 Ἔρχεται γυνὴ ἐκ τῆς Σαμαρείας ἀντλῆσαι ὕδωρ. λέγει αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· δός μοι πεῖν· 8 οἱ γὰρ μαθηταὶ αὐτοῦ ἀπεληλύθεισαν εἰς τὴν πόλιν ἵνα τροφὰς ἀγοράσωσιν. Eine zweite Stufe der Verssegmentierung kann mit Studierenden erarbeitet werden, indem - wie beim Umgang mit dem deutschen Text - rhythmisch-intonatorische, also auf den Textvortrag bezogene Kriterien zur Geltung gebracht werden� Der mündliche bzw� oratorische Vortrag des griechischen Textes ist für Studierende zwar kein regelmäßiger Übungsgegenstand in theologischen Lehrveranstaltungen� Er kann aber im exegetischen Proseminar durchaus gepflegt werden� Hilfestellung zur weiteren Segmentierung der Verse kann in jedem Falle die grammatikalische Orientierung am finiten und nicht finiten Verb bieten: Jede Verbform - ob als finites Verb, als Partizip (außer in substantivierter Form) oder als Infinitiv - wird zum grammatischen Marker eines Versbzw. Satzsegments� Auf dieser Stufe der Verssegmentierung empfiehlt es sich, auch die Versbezeichnungen einzufügen, wie es Textgestalt 16 zeigt: Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 55 Textgestalt 16: Verssegmentierte Textpräsentation (mit Versbezeichnung) von Joh 4,6-8 (Nestle-Aland 28. Aufl.), orientiert an Satzzeichen, rhythmisch-intonatorischen Zäsuren [= an teil- und gliedsatzbildenden Verbformen] sowie an typographisch-funktionaler Differenzierung von Erzählung, Redeeinleitungswendung und erzählter Rede 6a ἦν δὲ ἐκεῖ πηγὴ τοῦ Ἰακώβ. 6b ὁ οὖν Ἰησοῦς κεκοπιακὼς ἐκ τῆς ὁδοιπορία 6c ἐκαθέζετο οὕτως ἐπὶ τῇ πηγῇ· 6d ὥρα ἦν ὡς ἕκτη. 7a Ἔρχεται γυνὴ ἐκ τῆς Σαμαρείας 7b ἀντλῆσαι ὕδωρ. 7c λέγει αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· 7d δός μοι πεῖν· 8a οἱ γὰρ μαθηταὶ αὐτοῦ ἀπεληλύθεισαν εἰς τὴν πόλιν 8b ἵνα τροφὰς ἀγοράσωσιν. Was sich an dem gewählten Textausschnitt Joh 4,6-8 an Verssegmentierung ergibt, ist kongruent mit dem verssegmentierten Text der deutschen Übersetzung� Zurückgelenkt zu dem frühneuhochdeutschen Text der Lutherbibel von 1545 zeigt sich, dass auch dessen Verssegmentierung mit dem segmentierten griechischen Text übereinstimmt� Dies spiegelt die kongeniale Entsprechung, die der Luthertext hier von Anfang an strukturell für das griechische Original findet� Eine solche völlige Übereinstimmung zwischen griechischem, frühneuhochdeutschem und deutschem Text wird sich nicht bei jedem neutestamentlichen Text finden lassen� Studierende werden aber bei der Verssegmentierung weiterer Abschnitte aus Joh 4,1-42 und bei jeder folgenden Verssegmentierung, ausgehend von ihrer an Joh 4,6-8 gesammelten Erfahrung, darauf achten, wie sich griechische und deutsche Sprachverwendung zueinander verhalten� Im Interesse eines solchen Vergleichs können sie den jeweiligen Text sprachsynoptisch darstellen. Für Joh 4,6-8 ergäbe sich folgendes Bild: 56 Christina Hoegen-Rohls Textgestalt 17: Verssegmentierte Textpräsentation von Joh 4,6-8 in sprachsynoptischer Darstellung (Nestle-Aland, 28 . Aufl./ Lutherbibel 1545/ Lutherbibel 1984) 6a ἦν δὲ ἐκεῖ πηγὴ τοῦ Ἰακώβ. 6a Es war aber daselbs Jacobs brun. 6a Es war aber dort Jakobs Brunnen. 6b ὁ οὖν Ἰησοῦς κεκοπιακὼς ἐκ τῆς ὁδοιπορία 6b Da nu Jhesus muͤde war von der Reise / 6b Weil nun Jesus müde war von der Reise, 6c ἐκαθέζετο οὕτως ἐπὶ τῇ πηγῇ· 6c satzte er sich also auff den brun / 6c setzte er sich am Brunnen nieder; 6d ὥρα ἦν ὡς ἕκτη. 6d Vnd es war vmb die sechste stunde. 6d es war um die sechste Stunde. 7a Ἔρχεται γυνὴ ἐκ τῆς Σαμαρείας 7a Da kompt ein Weib von Samaria 7a Da kommt eine Frau aus Samarien, 7b ἀντλῆσαι ὕδωρ. 7b wasser zu scheppfen. 7b um Wasser zu schöpfen. 7c λέγει αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· 7c Jhesus spricht zu jr / 7c Jesus spricht zu ihr: 7d δός μοι πεῖν· 7d Gib mir trincken. 7d Gib mir zu trinken! 8a οἱ γὰρ μαθηταὶ αὐτοῦ ἀπεληλύθεισαν εἰς τὴν πόλιν 8a Denn seine Juͤnger waren in die Stad gegangen / 8a Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, 8b ἵνα τροφὰς ἀγοράσωσιν. 8b das sie Speise keufften. 8b um Essen zu kaufen. Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1 - 15 57 Literatur Bibelausgaben Biblia Das ist: Die gantze heilige Schrifft Deudsch� D� Mart� Luth� Wittemberg: durch Zacharias Lehman, 1586. Signatur: B deutsch 1585 03 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart [Onlineversion], http: / / www�wlb-stuttgart�de/ referate/ theologie/ versnummerierung/ 1586_01.html, letzter Zugriff am: 31. 05. 2016; digitale Bibliothek der Universität Halle [Onlineversion], http: / / www�digitale�bibliothek� uni-halle.de.html, letzter Zugriff am: 31. 05. 2016). Das Neue Testament in der deutschen Übersetzung von Martin Luther nach dem Bibeldruck von 1545 mit sämtlichen Holzschnitten. Studienausgabe, hg. v. 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Meine Großmutter hat mir besonders oft und besonders warmherzig das Samariter-Gleichnis vorgelesen. Zwischenzeitlich war mir das Gleichnis gleichgültig, wenn nicht verhasst. (Unsere Pastoren neigten dazu, das Gleichnis bei anstehenden Kollekten milde zu missbrauchen.) Lieben können sterben� Das wohl� Aber inzwischen ist meine Wertschätzung wieder stabil. Dieses Gleichnis, es gehört zu meinem Lieblingsperlen im literarischen Rosenkranz, entschlüsselt das Geheimnis der Literatur, Menschen verändern zu können�« 1 Die Erlebnisse mit seiner Großmutter waren für Huizing so prägend, dass er historische Fragestellungen an den Text und seine besondere Rolle im Kontext des Lukasevangeliums nicht befragt� Vielmehr werden die lukanischen Gleichnisse und Erzählungen für ihn zum hermeneutischen Schlüssel der Bibellektüre� Seine Perspektive ist also eine textpragmatische, die sich auf die Wahrnehmung des Textes in der Jetzt-Zeit bezieht� Und dies erfolgt unter ästhetischen Gesichtspunkten. In Anlehnung an Ingo Schulze spricht er von den »simplen Stories«, die die Bibel bietet. Gerade in ihnen kommt die Botschaft des kommenden Reiches Gottes auch in der heutigen Zeit noch zum Tragen. Diese Aufgabenstellung beschreibt auch Odil Hannes Steck in der Einleitung zu seinem Methodenbuch: »Daß das biblische Gotteswort auch heute lebendig und menschennah zur Sprache kommt, ist das Ziel aller theologischen Arbeit� Zu wachen, daß es im Vorgang dieser Übermittlung das Wort des biblischen Gottes bleibt, das gegenübertritt und sagt, was Menschen nicht schon aus sich wissen und wollen, ist die Aufgabe in aller theologischen Arbeit� An diesen Bestimmungen von Ziel und Aufgabe hat im Rahmen christlicher Theologie auch die Exegese des Alten Testaments Anteil« 2 � Eben dieser Aufgabe kommen die Bibelwissenschaften durch die historisch-kritische Betrachtung der Texte nach: »Die moderne historisch-kritische Methode der Bibelauslegung, die sich im Verlauf ihrer jahrhundertelangen Entstehungsgeschichte in eine Reihe von Arbeitsschritten ausdifferenziert hat, stellt einen Glanzpunkt der theologischen 1 Huizing, Theologie, 13 f� 2 Steck, Exegese, 1� Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 63 Wissenschaft dar� Sie repräsentiert den wissenschaftlichen Standard, den jeder an einer Universität Theologie Studierende erlernen muß� Wissenschaftlich ist geradezu synonym mit historisch-kritisch�« 3 Blicken wir auf unsere Praxis als Vermittlerinnen und Vermittler der Methodik historisch-kritischer Exegese, so stehen wir vor der Aufgabe, den Studierenden zuvorderst Wege zur Erschließung der historischen Dimension von Texten aufzuzeigen� Zunächst benötigen wir dazu eine Vorstellung davon, mit welchen Vorerfahrungen und Erwartungen Studierende die Texte des Alten und Neuen Testaments lesen� Ähnlich wie Klaas Huizing es beschreibt, stoßen wir immer wieder auf für die einzelne Person zentrale Texte, die zum Hermeneuten für andere biblische Texte werden� Blicken wir mit den Augen historisch-kritisch geschulter Exegetinnen und Exegeten auf diese Vorgänge, sehen wir dabei intertextuelle Vorgänge ablaufen, von denen wir nicht wissen, welcher der Kontext ist, in dem sich das Textverständnis der Studierenden ausbildete, das die Auslegung des Textes bestimmt� Dies lässt sich mit konfessionell geprägten Zugängen für einen Außenstehenden oftmals nur schwer verbinden� Die doppelte Vermittlung von der prägenden Figur voruniversitärer Bibeldidaktik - sei es die Gemeindepfarrerin oder der Religionslehrer oder ein Familienmitglied -, durch die zunächst die persönliche oder konfessionelle Vorstellung auf einen biblischen Text appliziert wird, dann das Verstehen der resp� des Studierenden und schließlich die Übertragung des an dem einen Text Verstandenen auf den nächsten Text lässt das dahinter stehende gedankliche Konstrukt für die akademischen Lehrerinnen und Lehrer oftmals undurchschaubar werden� Teilweise werden diese gedanklichen Voraussetzungen durch die Bibelausgaben verstärkt� Ich erlebte es im akademischen Unterricht immer wieder, dass die über den Perikopen stehenden Überschriften so prägend für die Textlektüre sind, dass der Text nur unter den in der Überschrift geäußerten Gesichtspunkten und dann noch verbunden mit der Erfahrung anderer, scheinbar thematisch verwandter Texte wahrgenommen wird� Eine Erschließung des Textes durch Wahrnehmung der Worte und Sätze erfolgt häufig nicht mehr� Der Text wird durch diesen Kontext zum Teil des Kontextes, so dass sich sukzessiv ein für das Individuum zeitunabhängiges Bild über die Gestalt biblischer Schriften ergibt. Und dieses ist dann eines, das von Widersprüchen frei ist, finden sich doch in den einzelnen Texten nur zeit- und autorenabhängige Variationen der einen Botschaft� Die Stimmung eines in allen Einzelzügen harmonischen Bildes, das sich auf diese Weise ergibt, wirkt auf die einzelnen Rezipienten sicherlich beruhigend und vermittelt ihnen Sicherheit im Umgang mit biblischen Texten� Wenn man für die Wirkung dieses Vorgangs ein Bild bemühen möchte, dann bietet sich 3 Oeming, Hermeneutik, 31� 64 Thomas Wagner die Vorstellung einer perfekt geformten Skulptur an� Ein Künstler modellierte aus formbarem Material eine Skulptur, deren Linienführung dem Auge des Betrachters schmeichelt� Wenn ich jedoch Studierende im Anschluss an die von ihnen besuchten exegetischen Proseminare erlebe, dann bekomme ich oft den Eindruck, dass sie den einzelnen Text nicht mehr als Teil dieser wohlgeformten Skulptur wahrnehmen, sondern ihn als Steinblock kennenlernten, den sie mit den im Proseminar angeeigneten Techniken bearbeiten� Dabei wird häufig kein Unterschied gemacht, welche Technik sich im (Methoden-)Koffer der Studierenden befindet� Es werden alle Techniken bemüht und jede am Stein erprobt� Am Ende entsteht dann häufig keine Skulptur, sondern der Stein sieht einfach nur beschädigt aus� Die Frage nach einem dem Material entsprechenden Einsatz der Techniken wird von Studierenden wohl nicht gestellt� Die Technik, also die Methode, muss jedoch bezogen auf das zu erreichende Ziel und damit in ihrer spezifischen Wirkweise eingesetzt werden, um das angestrebte Ziel zu erreichen� Erst mit einer genauen Zielvorgabe und einer entsprechenden Methodenauswahl wird der Arbeitsprozess für Lehrende und Studierende evaluierbar� Um dies zu erreichen, ist in der Vermittlung der Methoden historisch-kritischer Exegese nach wie vor dem von Fohrer u� a� formulierten Ziel zu folgen: »Auslegung muß daher - soll sie nicht nur den Zielen esoterischer Zirkel dienen - in ihrer Methodik mitteilbar und nachvollziehbar sowie in ihren Ergebnissen überprüfbar sein, d� h� sie darf nicht subjektive, sondern muß intersubjektive Auslegung sein�« 4 Dies setzt zwingend einen differenzierten und transparenten Umgang mit den Methoden voraus� Dass dies häufig nicht erfolgt und Methoden nicht ergebnisorientiert eingesetzt werden, lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Studierende verstanden am Ende des Methodenseminars oftmals nur, wie man eine Methode anwendet, häufig aber nicht, warum� Doch erst dann, wenn das Warum begriffen wurde, und die Kriterien, die zur Entscheidungsfindung führten, benannt sind, 5 kann die historisch-kritische Exegese biblischer Texte ihre eigene Hermeneutik entwickeln� So stellt sich im Folgenden die Frage, welche Zugänge akademisch Lehrende den Studierenden anbieten können, damit sie diese Zielsetzung erreichen können� 4 Fohrer u� a�, Exegese, 12 f� 5 Vgl. das von Huebenthal, Kompetenz, 75, formulierte Lernziel: »Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, eigenständig Exegesen zu verfassen, aber auch fremde Exegeten anhand einer Kriteriologie beurteilen zu können�« Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 65 Der historisch-kritische Zugang zu biblischen Texten Nicht nur die Textvorverständnisse und Erwartungen unserer Studierenden an das Proseminar, sondern auch die Entwicklung innerhalb der Methoden historisch-kritischer Exegese stellen für die Dozierenden Rahmenbedingungen für das Proseminar dar� Diese können die Studierenden jedoch nur dann einordnen, wenn sie zuvor einen vertieften Einblick in die Verstehens- und Anwendungsbreite der einzelnen historisch-kritischen Arbeitsweisen erhielten, um die eigene Textarbeit im wissenschaftlichen Diskurs verorten zu können� 6 Vor allem anwendungsbezogene Ansätze scheinen mir hier wenig geeignet, um die Grundlagen exegetischen Arbeitens erlernen zu können. 7 Viele Studierende gewinnen im Umgang mit exegetischen Methoden dann Sicherheit, wenn sie die Entstehung der einzelnen Methode sowie ihre Funktion zur Beschreibung des Textes kennenlernten� Innovative Neuansätze und anwendungsbezogene Ansätze können meist erst dann in ihrem jeweils eigenen Profil wahrgenommen werden� Die historische Dimension ist in verschiedenen Proseminarbüchern beschrieben und kann jeweils als einleitende Lektüre vor den Sitzungen gelesen werden� 8 Schwieriger erscheint es mir, eine Differenzierung der Betrachtungsebenen mittels einer Funktionsbestimmung der jeweiligen Methode und damit ihrer Stellung zum Text vorzunehmen� Hardmeiers kommunikationspragmatischer Zugang gibt auf diese Frage erstmals eine Antwort, deren Formulierung jedoch wesentlich davon befördert ist, dass er sich mit seinem Ansatz gegen die Vermittlung des traditionellen Methodenkanons abgrenzen und seine Position im Bereich der literaturwissenschaftlichen Analyse biblischer Text beschreiben möchte� 9 So leitet er aus seinem auf die Kommunikation ausgelegten Textver- 6 Es erscheint mir eine der wichtigen Aufgaben des Proseminars zu sein, Studierenden die Methoden so zu vermitteln, dass sie Textanalysen bezogen auf ihre Methodik hin kritisch hinterfragen können� Ein großes Problem stellt dabei die uneinheitliche Verwendung der Terminologie dar, die bereits Becker, Exegese, 7, ausführt: »Daß in der Literatur manchmal dieselben Begriffe Unterschiedliches meinen (z� B� ›Überlieferungsgeschichte‹, aber auch im Vergleich mit der neutestamentlichen Exegese), sollte zumal den Anfänger nicht verwirren� Es kommt auch hier nicht auf die Begriffe als solche, sondern auf die mit ihnen gemeinte Sache an�« Dies setzt allerdings voraus, dass Studierende die Sache an sich und ihre Darstellung erkennen� Bezogen auf die Bloom'sche Taxonomie ist diese Leistung auf Stufe 4 (Analysieren) anzusiedeln und damit Gegenstand eines weit fortgeschrittenen Lernprozesses� Zur Bloom’schen Taxonomie vgl� Bloom, Taxonomy� 7 Zur Akzeptanz dieser Ansätze vgl. Berlejung, Methoden, 21-58. 8 Hier ist besonders auf Kreuzer/ Vieweger, Proseminar 1, sowie auf Becker, Exegese, hinzuweisen, die jeweils die Entstehung der Methoden in ihrem Zeitbezug nachvollziehen� 9 Vgl� die pointierte Verhältnisbestimmung in Hardmeier/ Hunziker-Rodewald, Texttheorie, 39: »Im Blick auf das Verhältnis des hier vorgestellten [kommunikaitonspragmati- 66 Thomas Wagner ständnis drei Gesichtspunkte ab, unter denen ein Text betrachtet werden kann: »1. Unter dem Aspekt der Gegenständlichkeit im Sinne einer beobachtbaren Zeichengestalt ist ›Text‹ ein Produkt (von sprachlichen Handlungen); 2� unter funktionalem Aspekt ist ›Text‹ eine Partitur (von Kommunikationsvollzügen), die auf operativen Nach-Vollzug hin angelegt ist� Wie die Notenfolgen in einer Musikpartitur entfaltet ein Text seinen Sinn und seine Wirkung nur im performativen Vollzug seiner Rezeption; 3� unter semantischem Aspekt ist ›Text‹ eine Prozedur (der Sinnbildung), die als sprachlich programmierte Sequenz von Anweisungen die Reproduktion des Sinnangebots im Hör- und Lesevorgang steuert�« 10 Eine solche Funktion für jede Betrachtungsebene zu benennen und damit die Analyse auf ein Ziel hin auszurichten, erscheint mir ein geeigneter Weg, Studierenden einen Zugang zu den Arbeitsweisen der historisch-kritischen Exegese zu ermöglichen� Damit wird das Bewusstsein der Studierenden gefördert, die unterschiedlichen Ebenen der Texte wahrzunehmen, und ruft zugleich beim Lehrenden die Einsicht hervor, Vermittlung von Methoden und Perspektiven auf das mit der Textarbeit angestrebte Ziel hin zu beschreiben� 11 Der Anspruch, Studierende in die verschiedenen Arbeitsweisen einzuführen, setzt also eine weitgehende Differenzierung der einzelnen Perspektiven und damit eine deutliche Trennung der Zielsetzungen bei der Textbetrachtung voraus� Es erscheint im Sinne einer an der Zielsetzung des Methodeneinsatzes ausgerichteten Didaktik daher ratsam, exegetische Arbeitsweisen zunächst vom Analyseziel her zu kategorisieren, um ihre Leistungsfähigkeit beschreiben und damit auch ihren Einsatz benennen zu können� Auf der Basis dieser Differenzierung lassen sich Leitlinien für die Gestaltung des Proseminars erkennen, in dem die Studierenden mehr erfahren als historisch-kritische Methoden an ausgewählten (und meist für den Einsatz einer spezifischen Methode besonders geeigneten) Texten zu erproben� Eine Vorschlag für eine solche Differenzierung wird im Folgenden dargestellt� schen] Ansatzes zu den ›klassischen‹ Verfahren der Exegese sowie den verschiedenen Textzugängen, die seit den 70er Jahren des 20� Jahrhunderts diskutiert werden, liegt der Hauptunterschied im Textverständnis� […] Deshalb kann der Ansatz auch nicht additiv als Ergänzung oder Erweiterung von anderen Methoden der Textauslegung betrachtet werden� Vielmehr sind die Fragehinsichten, die sich in der exegetischen Forschung seit Jahrzehnten herausgebildet haben und auf repräsentationssemantischer Basis reflektiert worden sind, neu zu durchdenken und methodisch auf kommunikationspragmatische Grundlagen zu stellen.« Grundlegend erläutert in Hardmeier, Textwelten 1, 7-29. 10 Hardmeier/ Hunziker-Rodewald, Texttheorie, 21� 11 Dieses Vorhaben ist in der Darstellung der Methoden historisch-kritischer Exegese in Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, erkennbar, die die Methoden zumindest teilweise von ihrer Zielsetzung her erläutern� Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 67 a. Ebenen der Differenzierung: Eine Differenzierung der exegetischen Arbeitsweisen kann an dem Punkt ansetzen, an dem zwei derzeit bestimmenden Exegesetraditionen eine Trennung vollziehen - bei der Scheidung von synchroner und diachroner Betrachtung von Texten� Während die synchrone Betrachtung nach dem vorliegenden Text in seinem Kontext fragt und dabei auf textlinguistische, textpragmatische sowie formkritische Analysemethoden zurückgreift, 12 ist die diachrone Betrachtung an der Rekonstruktion der Entstehung des in den Bibelausgaben vorliegenden Textes in seinen unterschiedlichen Kontexten interessiert� Diese Differenzierung ist mit zwei weiteren zu korrelieren, um eine genaue Bestimmung der Zielsetzung jeder einzelnen exegetischen Arbeitsweise vornehmen zu können� Bereits die frühe historisch-kritische Forschung markierte mit der von ihr an vielen Texten durchgeführten Literarkritik und der daran anschließenden Zuweisung der voneinander getrennten Textanteile zu Quellen einen Übergang von einer an einem Einzeltext durchgeführten Methode zu einer ein größeres Textcorpus beschreibenden Perspektive� Dies gelang ihr durch die Beschreibung der Redaktionsgeschichte einzelner Quellenschriften hin zum vorliegenden (kompilierten) Text� Ihrer Arbeitsweise folgend, sind also eine Trennung von auf eine Perikope und ein größeres Textcorpus bezogenen Arbeitsweisen sowie eine Scheidung von Methoden und Perspektiven vorzunehmen� Unter einer Methode ist eine an verschiedenen Texten wiederholbare Analyse mit festen Kriterien zu versehen, unter einer Perspektive eine Beschreibung eines Aspekts eines Textes, die sich der Anwendung von Methoden bedient. 13 Mit dieser dreifachen Differenzierung lassen sich exegetische Arbeitsweisen hinsichtlich ihrer Analyseziele genauer fassen: 12 Vgl� für die alttestamentliche Exegese vor allem Utzschneider/ Nitzsche, Arbeitsbuch, 62-115; für die neutestamentliche Exegese Egger/ Wick, Methodenlehre, 106-219; für das Lehramtsstudium aufbereitet in Erlemann/ Wagner, Leitfaden, 35-81. 13 Im oben genannten Fall sind die Literar- und Redaktionskritik die angewendeten Methoden, die Redaktionsgeschichte eine Perspektive auf verschiedene literar- und redaktionskritisch behandelte Texte� Die Redaktionsgeschichte betrachtet die einzelnen Textanteile hinsichtlich ihrer einen Einzeltext übergreifenden Zusammengehörigkeit� Zum direkten Zusammenhang von Literar- und Redaktionskritik vgl� Steck, Exegese, 81, und Becker, Exegese, 80. Grundlegend Kratz, Art. Redaktionsgeschichte, 367: »Redaktion heißt im Sprachgebrauch der neuzeitlichen Bibel- und Einleitungswissenschaft die Bearbeitung eines vorgegebenen Texts im Rahmen der schriftlichen Überlieferung und dessen Umgestaltung zu einem neuen Ganzen. Redaktionskritik bezeichnet dementsprechend das Bemühen um die begründete Unterscheidung von Vorlage und Redaktion sowie um ein an den Texten nachvollziehbares Verständnis der dabei herrschenden Bearbeitungs- und Gestaltungskriterien, Redaktionsgeschichte den Vorgang der Redaktion als Prozeß der Textentstehung in ihrer literarischen und sachlichen Dimension�« (Hervorhebungen T�W�) 68 Thomas Wagner auf eine Perikope bezogen auf ein größeres Textcorpus bezogen diachron synchron diachron synchron Methode Textkritik Literarkritik Tendenzkritik Redaktionskritik Textlinguistik Textpragmatik Motivkritik Formkritik [Literarkritik und Redaktionskritik von verschiedenen Einzeltexten] Formgeschichte Perspektive Prätexte: - Traditionskritik (biblisch und außerbiblisch) Kompositionskritik Texthintergrund: - Soziologie - Historie - materielle Kultur [Narratologie] 15 Textgeschichte Überlieferungsgeschichte Traditionsgeschichte Redaktionsgeschichte Kompositionskritik Die auf ein größeres Textcorpus bezogene Differenzierung ist weiter zu unterteilen, da die diachrone Betrachtung in zwei Richtungen erfolgt� Zum einen wird die Entwicklung von Prätexten nachgezeichnet (Textgeschichte, Überlieferungsgeschichte, Traditionsgeschichte), zum anderen wird die Entstehung eines Einzeltextes innerhalb eines Werkes dargelegt� Diese sind wiederum für die Analyse des Einzeltextes relevant, da er nur in diesem Kontext gedeutet werden kann� Anders ist die Entwicklung von Prätexten zu werten� Die auf deren Entwicklung bezogenen Arbeitsweisen stellen jeweils eigenständige exegetische Untersuchungsfelder dar, die innerhalb des Proseminars als weiterführende Fragestellungen behandelt werden können, jedoch über die Exegese des Einzeltextes in seiner literarischen Genese hinausgehen. Sie vollständig in das Proseminar zu integrieren, würde bei durchschnittlich 28 Unterrichtsstunden, die innerhalb eines Semesters für das Proseminar zur Verfügung stehen, nur 14 Die Narratologie hat nicht nur ein Interesse an der Textstruktur und der Texterklärung, sondern setzt sich auch mit der Textnachwirkung auseinander� Dieser Analysebereich weist über die Textpragmatik hinaus, die sich mit der Wirkung des Textes auf den antiken Hörer/ Leser beschäftigt� Damit wird die Analyse auf die Frage des Texteinsatzes über seinen historischen Entstehungszeitraum hinaus geweitet� Zur Narratologie vgl� grundlegend Martinez/ Scheffel, Einführung, sowie als Perspektive für die wissenschaftliche Exegese biblischer Texte Finnern/ Rüggemeier, Exegese� Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 69 dann möglich sein, wenn auf Praxisphasen im Seminar weitgehend verzichtet wird� Beschränkt sich das Proseminar auf die auf einen Untersuchungstext bezogenen Methoden und Perspektiven, sind diese zunächst von ihrer Zielsetzung her zu verstehen, um durch sie die daraus resultierenden Arbeitsweisen zu begründen� Diachrone Analyse - Zielsetzungen Synchrone Analyse - Zielsetzungen Methode Textkritik Rekonstruktion des Ausgangstextes Textlinguistik Prüfung des Textes auf seine Kohärenz stiftenden Elemente und semantisch begründete Gliederung des Textes Literarkritik Prüfung des Textes auf seine Kohärenz Textpragmatik Prüfung der auf den Leser bezogenen Funktion des Textes (»Vermittlungsziel«) Thomas Wagner, * 1971, Dr� theol�, ist Akademischer Rat an der Bergischen Universität Wuppertal und Privatdozent an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel� Seit 2016 ist er Studiendekan der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften. Neben seinen Studien zum Alten Testament beschäftigt er sich mit der Entwicklung von hochschuldidaktischen Konzepten zur Vermittlung exegetischer Methodik in den BA- und Lehramtsstudiengängen� Zusammen mit Kurt Erlemann legte er 2013 mit Leitfaden Exegese einen ersten Entwurf zur Gestaltung von Proseminaren für Studierende vor, deren Studiengänge keine Kenntnis biblischer Sprachen vorsehen� 70 Thomas Wagner Tendenzkritik Prüfung des Textes auf inhaltliche Fortführungen Motivkritik Prüfung der Funktion der im Text verwendeten Motive Redaktionskritik Anschließend an die Ergebnisse von Literar- und Tendenzkritik Rekonstruktion der Genese des Einzeltextes an Formkritik Erschließung der grundsätzlichen Aussagerichtung des Textes Perspektive Traditionskritik 15 Rekonstruktion von Prätexten Texthintergrund Ermittlung der soziokulturellen Gegebenheiten und historischen Problemstellungen Redaktionsgeschichte Rekonstruktion der Geschichte der Textgenese verschiedener, zu einem Textcorpus (Buch, Redaktionsschicht) gehörender Einzeltexte Kompositionskritik Ermittlung des gestalterischen Prinzips des Autors 15 Die Zuordnung der Traditionskritik ist in den Proseminararbeitsbüchern umstritten� Die Traditionsgeschichte geht davon aus, »daß ein Verfasser zugleich in einer geistigen Welt vorgegebener und geprägter Sachgehalte lebt; sie fragt, inwieweit seine Aussagen von diesen vorgegebenen Elementen seiner geistigen Welt inhaltlich bestimmt bzw� nur auf ihrem Hintergrund verständlich zu machen sind und wo er sie gegebenenfalls abgewandelt hat« (Steck, Exegese, 124 f�)� Eine solche Beschreibung der Traditionskritik legt nahe, sie der Rekonstruktion des zeitgeschichtlichen soziokulturellen Hintergrunds zuzuordnen. Dieser Ansatz findet sich z. B. bei Ebner/ Heininger, Exegese, 241-246. Eine stärkere Pointierung der Traditionsgeschichte, durch die die theologische Relevanz der Traditionen sichtbar wird, schlagen Erlemann/ Wagner, Leitfaden, 83, vor: »Eine Tradition entstand also dann, wenn Vorgänge, Begebenheiten oder Gegenstände durch einen Autor eine theologische Deutung erfuhren und sie sowie ihre Deutung(en) von weiteren Autoren aufgenommen und evtl� um weitere Aspekte ergänzt bzw� variiert wurden�« Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 71 Die Zielsetzungen zeigen, dass die Grundlegung der synchronen und der diachronen Betrachtung von Texten jeweils auf Beobachtungen zur Kohärenz des Textes basieren� Während die diachrone Analyse auf der Inkohärenz des Textes aufbaut, setzt die synchrone Betrachtung bei den Kohärenz stiftenden Aspekten des Textes an und zeigt auf, durch welche Elemente der Text kohärent ist� Aufbauend auf diesen Beobachtungen fragt die diachrone Analyse nach der Genese des Textes, die synchrone Betrachtung nach der Wirkung des Textes auf den (antiken) Leser� Diese beiden Zielsetzungen gilt es im Proseminar zu markieren und grundsätzlich zu trennen� 16 Wenn die Zielrichtung der Arbeitsweise benannt ist, kann eine weitere Differenzierung von Methoden und Perspektiven erfolgen� b. Methoden und Perspektiven: Das entscheidende Kriterium zur Differenzierung von Methode und Perspektive ist der Umgang mit dem Text� Während sich die Methoden jeweils auf den Gesamttext der zu analysierenden Perikope beziehen, um ihn in jeweils einer Hinsicht beschreiben zu können, gehen die Perspektiven auf Aspekte des Textes ein, um diesen diesbezüglich hinterfragen zu können� Aus den Perspektiven und spezifischen Merkmalen eines Textes (bzw� im relationalen Verhältnis von Text und Perspektive) ergibt sich die Notwendigkeit, bestimmte Methoden auf die Texte anzuwenden� Die Analyseergebnisse sind demzufolge unterschiedlich, da sie von der Methodenwahl bestimmt werden� Dies bedeutet bezogen auf das Proseminar, dass zwischen den zur jeweiligen Methode gehörenden Arbeitsschritten am Text und den Methoden zur Erschließung von Perspektiven auf den Text zu unterscheiden ist� Es bedarf also eines Methodenpools, den Studierende für die Arbeit an Texten kennen lernen sollten, damit sie im jeweiligen Einzelfall wissen, welche Methode sinnvoll anzuwenden ist� Wie sieht dieser Methodenkanon im Konkreten aus? Die wichtigste aller Methoden ist sicherlich der Vergleich von Texten� Auf dieser Arbeitsweise beruht bereits die Textkritik, die Übereinstimmungen und Unterschiede in Handschriften sucht, um eine Textentwicklung bzw� das Nebeneinander von verschiedenen Texttraditionen zeigen zu können� Während die Auswahl der zu vergleichenden Handschriften durch die Auswahl der Perikope bestimmt ist und damit die Vergleichstexte bekannt sind, sind diese für 16 Der Versuch von Kreuzer/ Vieweger (Hg.), Proseminar 1, 49-55, sich über eine sprachliche Beschreibung dem Text zu nähern, ist sinnvoll� Hier geht es zunächst darum, die Textoberfläche zu beschreiben, woraus dann Konsequenzen für die diachrone und die synchrone Analyse erfolgen� Neben der reinen Sammlung der im Text zu beobachtenden Aspekte wäre es wünschenswert, Studierende würden die Beobachtungen in einem zweiten Schritt den Zielsetzungen zuordnen, damit sie in ihrer Analyse auf das Erkannte bereits differenziert zurückgreifen können� 72 Thomas Wagner alle weiteren auf der Methode des Vergleichs beruhenden Arbeitsweisen nicht eindeutig� Texte, die zum Vergleich herangezogen werden können, müssen erst identifiziert werden� Dies erfolgt innerbiblisch zumeist durch die Nutzung einer Konkordanz, mit der man jedoch zunächst nur einen Stichwortanschluss (das jeweils selbe Lexem) erkennen kann� Das Ergebnis kann durch die Erstellung eines Begriffsfeldes, also einer Annäherung an das jeweilige Motiv, erweitert werden� Schwieriger gestaltet sich die Suche nach außerbiblischen Texten� (Deutsch- oder englischsprachige) Konkordanzen der Texte aus der Umwelt des Alten und des Neuen Testaments existieren (noch) nicht, so dass hilfsweise nur Lexika (in den jeweiligen Ursprungssprachen) verwendet werden können� Diese haben jedoch nicht den Anspruch, alle Belegstellen aufzuweisen� Einmal identifiziert, sind die aufgefundenen Texte wie die zu analysierende Perikope auf ihre Textspezifika hin zu befragen� Hier ist also ebenfalls die synchrone und die diachrone Ebene des Textes mit den zur Verfügung stehenden Methoden wahrzunehmen� Zudem gilt für alle Texte, dass die Möglichkeit des Einflusses eines Textes auf den anderen plausibel zu machen ist. Gerade dies ist für außerbiblische Texte dann schwierig, wenn sich in den biblischen Texten keine direkten Zitate finden� 17 Diese Arbeitsweise gilt zunächst für die Darstellung der Traditionsgeschichte 18 , lässt sich vergleichbar aber auch - zumindest partiell, sofern es sich um Texte als Vergleichsgrundlage handelt - mit einer anderen Zielsetzung auf die Erschließung der historischen und sozialen Hintergründe des zu analysierenden Textes übertragen� Während die Traditionsgeschichte auf die Rekonstruktion von Prätexten zielt, dient die Erschließung der historischen und sozialen Hintergründe auf die Einordnung des Textes in seine Entstehungszeit� Eine über Texte hinausgehende Form des Vergleichs stellt die Einbeziehung von Zeugnissen der materiellen Kultur dar� Auch hier ergibt sich zunächst das Problem der Identifikation potentieller Vergleichsobjekte, anschließend die methodische Erschließung des Objekts, bis dann ein Vergleich möglich wird� Häufig wird die methodische Erschließung der Objekte bereits durch ihre Erstpublikation geleistet� Diese wird jedoch nur dann verständlich, wenn die von den Beschreibenden angewendeten Methoden bekannt sind� Für das Proseminar ist es daher ratsam, eine Einführung in die Arbeitsmethoden und Auswertungs- 17 Für die Bestimmung eines möglichen Einflusses des einen Texts auf den anderen ist die Auswahl der zu betrachtenden Kriterien entscheidend� Eine nach wie vor gute Kriterienauswahl bietet Hermerén, Influence, an. 18 Die Traditionsgeschichte wird häufig in eine (auf biblische Texte bezogene) Traditionsgeschichte und einen (auf außerbiblische Texte bezogenen) religionsgeschichtlichen Vergleich getrennt� Methodisch handelt es sich jedoch jeweils um den Versuch, Prätexte durch Textvergleich zu ermitteln� Vgl� zur Trennung Erlemann/ Wagner, Leitfaden, 86� Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 73 kriterien der Archäologie, der Numismatik, der Epigraphik, der Papyrologie sowie der Ikonographie zu geben, um Studierenden einen Zugang zu diesen Quellen zu ermöglichen� 19 Eine besondere Ausprägung des Textvergleichs stellt die Kompositionskritik dar� Sie findet zunächst auf der Ebene eines Einzeltextes statt, indem sie mit Hilfe der textlinguistischen Analyse die literarische Struktur des Textes beschreibt� Dies wird anschließend auf einer den Einzeltext übergreifenden Ebene fortgeführt, da die Kompositionskritik auch nach der Funktion des Textes für ein größeres Textcorpus oder in einer Situation fragt� Während gerade in längeren Erzählwerken, wie sie mit den Patriarchenerzählungen und Geschichtsbüchern des Alten Testaments oder den Evangelien des Neuen Testaments vorliegen, die einzelnen Perikopen eine Funktion für das gesamte Erzählwerk besitzen und demzufolge nicht zufällig an ihrem jeweiligen Ort stehen, sind poetische Texte oftmals nicht nur auf ihre Stellung im Buch hin konzipiert, sondern werden in Situationen des all- oder festtäglichen Lebens eingesetzt, um Situationen zu deuten resp� die Ursache und/ oder Relevanz dieser Situation für die die Texte Hörenden/ Lesenden zu erläutern� 20 Diese Texte sind in wiederkehrenden sprachlichen Mustern verfasst, aus denen sich Kompositionen ergeben� Um diese zu erfassen und sie textsowie textcorporaspezifisch zu beschreiben, sind die Ergebnisse der Textlinguistik, der Textpragmatik, der Form- und der Gattungskritik unter dem Gesichtspunkt der Komposition zusammenzuführen. Erst im Vergleich verschiedener, aber strukturell gleichartiger Texte lässt sich die spezifische Ausprägung des Einzeltextes benennen� In der Kompositionskritik fließen also die Ergebnisse aller synchronen Analysemethoden unter der Perspektive der Komposition des Textes zusammen� Ebenfalls auf die Ergebnisse früherer Analyseschritte greift die Redaktionsgeschichte zurück� Sie nimmt die Ergebnisse der auf die Diachronie von Texten zielenden Methoden auf� Während die Redaktionskritik nach dem Zusammenwachsen des Einzeltextes gemäß der in der Literarkritik identifizierten Textanteile und damit nach der Schichtung der Textanteile fragt, greift die Redaktionsgeschichte auf die Literar- und Redaktionskritik von unterschiedlichen Texten zurück und versucht, redaktionelle Schichten aufzuweisen� Partiell lassen sich Übergänge in die Textkritik erkennen, da einzelne Fortschreibungen nicht in alle Texttraditionen eindrangen� Die redaktionellen Fortschreibungen 19 Teilweise wird dies bereits von Kreuzer/ Vieweger, Proseminar 1, geleistet, die in ihrem Buch Darstellungen zur Archäologie (124-146) und zur Ikonographie (173-186) anbieten� Eine Einführung in die Methoden bieten darüber hinaus zur Biblischen Archäologie Vieweger, Archäologie, sowie zur Ikonographie de Hulster u� a�, Exegesis� 20 Zu performativen Aspekten biblischer Texte vgl� Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 119 f�128 f� 74 Thomas Wagner können sich auf Textcorpora unterschiedlicher Größe beziehen. D. h. sie finden sich innerhalb der biblischen Schriften auch über die Grenzen der einzelnen Bücher hinaus� So setzt die Redaktionsgeschichte die diachrone Analyse unterschiedlicher Texte und damit deren Methodik voraus und führt ihre Ergebnisse zu einem schlüssigen Gesamtbild. Der von Studierenden zu erlernende Methodenkanon setzt sich also aus den Methoden der historisch-kritischen Exegese, narratologischen resp� literaturwissenschaftlichen Perspektiven und Text- und Bildvergleichen zu jeweils spezifischen Analysen zusammen� Epilog Die einzelnen Methoden und Perspektiven zu vermitteln, sie in eine methodisch und perspektivisch differenzierte Balance zu bringen sowie Textbeobachtungen und daraus abgeleitete Schlüsse über Textentstehung und Textwirkung darzulegen, sind wesentliche Aufgaben des Proseminars� Erst in der Profilierung der einzelnen Argumentationsschritte kommt eine Exegese ihrer Aufgabe nach, überprüfbare und damit intersubjektive Auslegung des biblischen Textes zu sein� Eine zielorientierte und sich an den Funktionen der einzelnen Methoden und Perspektiven ausrichtenden Vermittlung exegetischer Methoden ermöglicht den Studierenden, ihre Arbeiten am Text spezifisch, d� h� auf die jeweilige Methode/ Perspektive bezogen darstellen zu können sowie die zur Deutung führenden Argumente strukturiert zu benennen� Blicke ich abschließend nochmals auf das Bild von der Skulptur und dem zerschundenen Steinblock zurück, so wird eine zielorientierte, Funktionen von Methoden und Perspektiven bedenkende Vermittlung exegetischer Methoden/ Perspektiven dazu führen, dass Studierende Steinblöcke nicht mehr beschädigen müssen, sondern von Anfang an lernen, zielorientiert mit der rechten Technik am Text zu arbeiten� Studierende werden in der eigenen exegetischen Praxis so früh beginnen können, schöne und dem Material entsprechende Formen mit den geeigneten Techniken zu bilden� Literaturverzeichnis Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments� Ein Methoden- und Arbeitsbuch ( UTB 2664), Tübingen 2 2008� Berger, Klaus: Exegese des Neuen Testaments� Neue Wege vom Text zur Auslegung ( UTB 658), Heidelberg/ Wiesbaden 3 1991� Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten 75 Berlejung, Angelika: Quellen und Methoden, in: Gertz, Jan Christian u. a. (Hg.): Grundinformation Altes Testament ( UTB 2745), Göttingen 4 2010, 21-58. Bloom, Benjamin S� u� a�: Taxonomy of educational objectives� The classification of educational goals, Handbook I: Cognitive domain, New York 1956. Ebner, Martin/ Heininger, Peter: Exegese des Neuen Testaments� Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis ( UTB 2677), Stuttgart 2 2007� Egger, Wilhelm/ Wick, Peter: Methodenlehre zum Neuen Testament� Biblische Texte selbständig auslegen, Freiburg/ Basel/ Wien 6 2011� Erlemann, Kurt/ Wagner, Thomas: Leitfaden Exegese� Eine Einführung in die exegetischen Methoden für das BA - und Lehramtsstudium ( UTB 4133), Tübingen 2013� Finnern, Sönke: Narratologie und biblische Exegese� Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28 ( WUNT II / 285), Tübingen 2010� Finnern, Sönke/ Rüggemeier, Jan: Methoden der neutestamentlichen Exegese� Eine Einführung in Studium und Lehre ( UTB 4212), Tübingen 2016� Fohrer, Georg u. a.: Exegese des Alten Testaments. Einführung in die Methodik ( UTB 267), Heidelberg 2 1976� Hardmeier, Christof: Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel (Textpragmatische Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte der Hebräischen Bibel 1/ 1), Gütersloh 2003. Hardmeier, Christof: Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel (Textpragmatische Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte der Hebräischen Bibel 1/ 2), Gütersloh 2004. Hardmeier, Christof/ Hunziker-Rodewald, Regine: Texttheorie und Texterschließung� Grundlagen einer empirisch-textpragmatischen Exegese, in: Utzschneider, Helmut/ Blum, Erhard (Hg�): Lesarten der Bibel� Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 13-44. Hermerén, Göran: Influence in Art and Literature, Princeton 1975. Huebenthal, Sandra: Was ist exegetische Kompetenz? , in: Bruckmann, Florian/ Reis, Oliver/ Scheidler, Monika (Hg�): Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie� Konkretion - Reflexion - Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 65-82. Huebenthal, Sandra: Vom Zauber der Schriftauslegung� Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese, VvAa 1 (2016), 19-38. Huizing, Klaas: Ästhetische Theologie� Band I: Der erlesene Mensch� Eine literarische Anthropologie, Stuttgart 2000� de Hulster, Izaak/ Strawn, Brent A�/ Bonfiglio, Ryan P� (Hg�): Ikonographic Exegesis of the Hebrew Bible/ Old Testament� An Introduction to Its Methode and Practice, Göttingen 2015. Kreuzer, Siegfried/ Vieweger, Dieter (Hg�), Proseminar 1 Altes Testament� Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 2 2005. Martinez, Matias/ Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, München 8 2009� Oeming, Manfred: Biblische Hermeneutik� Eine Einführung, Darmstadt 4 2013� 76 Thomas Wagner Steck, Odil Hannes: Exegese des Alten Testaments� Leitfaden der Methodik, Ein Arbeitsbuch für Proseminare, Seminare und Vorlesungen, Neukirchen-Vluyn 12 1989� Utzschneider, Helmut/ Nitsche, Stefan Ark: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 4 2014� Vieweger, Dieter: Archäologie der Biblischen Welt, Gütersloh 2 2012� Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Proseminar und Hermeneutik Hermeneutische Reflektion als notwendiger Bestandteil des Proseminars Stefan Fischer Abstract | This article resumes how an introductory seminar course has been shaped during the last decades while the number of methods increased� It emphasizes the change in linguistics and literary studies� The main concern lies on the inclusion of a hermeneutical reflection in an introductory seminar course� Manfred Oeming’s »hermeneutical square« offers a helpful model by which the student in his religious and social environment is brought into focus� Existential interpretation, confessional exegesis, evangelical positions and the relationship to Jewish exegesis as well as the tension between the interests of both the church and university are enlarged on� Finally, a suggestion is made how an introductory seminar course can be hold and an exegetical thesis can be written� Bestandsaufnahme Proseminar Ein Proseminar in den Bibelwissenschaften ist in erster Linie ein Methodenseminar, in welchem Studierende in die Methoden der alt- und neutestamentlichen Textauslegung eingeführt werden� So schreibt Siegfried Kreuzer: »Im Proseminar ist ein Kanon von Fragestellungen und Arbeitsweisen zu vermitteln, der sich im Lauf der Forschungsgeschichte herausgebildet und als sachgemäß erwiesen hat […]� Das wesentliche Anliegen ist es, die Quellen und die in ihnen erörterten und hinter ihnen stehenden Sachverhalte adäquat zu verstehen und 78 Stefan Fischer darzustellen�« 1 Die deutschsprachige Forschung wurde im Alten Testament maßgeblich durch Klaus Koch und Odil Hannes Steck und im Neuen Testament durch Hans Conzelmann und Andreas Lindemann geprägt� 2 Zwar wurden die historisch-kritischen Methoden ergänzt und erweitert, aber die zeitliche Beschränkung eines Proseminars und die Lehrtradition legen ein starkes Gewicht auf die klassische Methodik� Somit liegt der Fokus eines Proseminars auf der Textgenese� Der Autor bzw� die Redaktion und der Text stehen im Zentrum� Ein klassisches Proseminar, welches die neueren Ansätze literaturwissenschaftlicher Analyse nicht aufnimmt, gestaltet sich häufig so, dass das Handwerk der Textkritik erlernt wird, um eine Textgrundlage für die historisch-kritische Exegese zu erstellen� Als Nebenprodukt werden andere Überlieferungen sichtbar, die ggf� für die Exegese fruchtbar gemacht werden können� Darauf folgen in unterschiedlichen Modifikationen Literar-, Form-, Überlieferungs-, Traditions- und Redaktionskritik, so dass aus einer Einzelexegese eine Gesamtinterpretation entsteht� 3 Dieser Schritt von einzelnen Methodenschritten zu einer Gesamtinterpretation erwartet von den Studierenden eine kreative Eigenleistung, auf die sie nicht vorbereitet werden� Auf die daraus resultierende Überforderung weist Sandra Huebenthal ausführlich hin� Sie führt aus, wie im Proseminar strukturiertes Wissen vermittelt, dann aber mit Analyse und Vernetzung eine höhere Taxonomiestufe angesteuert wird� 4 Dieses führt nicht nur zu Frustration, weil Studierende eine kreative Leistung erbringen sollen, die über die Kenntnis und die Anwendung der Methodenschritte hinausgeht, sondern auch zu einer hermeneutischen Spannung, da die Voraussetzungen, die Studierende mitbringen, nicht reflektiert werden. Eine Gesamtinterpretation ist Studierenden häufig eher aus der kirchlichen Praxis mit einem unmittelbaren Bibelverständnis geläufig, so dass der Mehrwert der schrittweisen Exegese nicht erkannt wird, sondern diesem eher entgegensteht� Insofern sind einerseits der Methodenkanon und andererseits die dem Proseminar zugrundeliegende Hermeneutik, welche das subjektive Element der religiösen Sozialisation in die Exegese mit einbeziehen muss, zu bedenken� Wo dies geschieht, kann die Diskrepanz zwischen den erlernten Methoden und den Studierenden reflektiert und überwunden werden� Die Erweiterung des Methodenkanons, wie er nachfolgend skizziert wird, bietet die Möglichkeit von Textzugängen, welche den Studierenden näherliegen� Dies allein genügt jedoch nicht� Es bedarf der hermeneutischen Reflexion, damit Studierende sich selbst als Teil des Auslegungsprozesses wahrnehmen� 1 Kreuzer, Proseminar, 5 f. 2 Koch, Formgeschichte; Steck, Exegese; Conzelmann/ Lindemann, Arbeitsbuch� 3 So der Aufbau von Kreuzer, Proseminar, 13-112. 4 Vgl� Huebenthal, Zauber, 30� Proseminar und Hermeneutik 79 Erweiterung des Methodenkanons Die Veränderungen, welche in den vergangenen Jahrzehnten in der alttestamentlichen Exegese stattfanden, schlagen sich in der größeren Vielfalt der Methoden nieder� 5 Beispielsweise nehmen Kreuzer/ Vieweger Biblische Archäologie, soziologische und sozialgeschichtliche Auslegung, Ikonographie, Feministische Exegese und tiefenpsychologische Exegese auf� 6 Eine Begründung für diese Auswahl wird nicht gegeben, außer dass so »ergänzende Arbeitsweisen und erst recht aktuelle, kritische Anfragen berücksichtigt werden« 7 � Diese Methoden nehmen bei ihnen zwar weiten Raum ein, stehen aber wie ein erratischer Block unverbunden mit dem herkömmlichen Methodenkanon� Anders skizziert Becker neuere literaturwissenschaftliche Ansätze innerhalb der Literarkritik und würdigt, dass sich diese mit »großem Gewinn anwenden lassen«� 8 Trotz des Lobs gewährt er diesen an den » Produktionsbedingungen des Textes« 9 orientierten Zugängen aber keinen Raum, sondern nimmt lediglich die am heutigen Leser orientierte Rezeptionsästhetik als neuen Methodenschritt auf� 10 Besonderer Erwähnung bedürfen die Methodenbücher, welche sich mit den Ansätzen linguistischer und literaturwissenschaftlicher Methoden auseinandersetzen� Sie sind nicht einfach eine Erweiterung des Methodenkanons, sondern verändern die erkenntnisleitenden Fragestellungen� Linguistische Studien werden seit einem halben Jahrhundert in der deutschsprachigen Exegese betrieben� 11 Bereits ab 1970 wurde die Zeitschrift Linguistica Biblica. Interdisziplinäre Zeitschrift für Theologie, Semiotik und Linguistik vom Neutestamentler Erhard Güttgemanns in Bonn herausgegeben. In ihr wurden interdisziplinär Aufsätze veröffentlicht, welche Ansätze der allgemeinen Sprachwissenschaft für die bibelwissenschaftliche Exegese nutzen� So fanden etwa Strukturalismus (Bachtin, Lotmann) und die Hermeneutik der Konstanzer Schule (Iser, Jauß) Eingang� Hier deutete sich ein nicht nur methodischer, sondern hermeneutischer Umbruch 5 Einen Überblick über alt- und neutestamentliche Methodenlehren stellt Sönke Finnern zusammen� Er erstellt eine Synopse der in 27 deutschsprachigen Büchern verwendeten Methoden� Die Auflistung wurde 2007 erstellt� http: / / www�nt1�evtheol�uni-muenchen�de/ service/ bibliografie/ methodenlehren/ methodenlehren_dt/ index.html 6 Kreuzer, Proseminar, 124-208. 7 Kreuzer, Proseminar, 6� 8 Becker, Exegese, 42-49. 9 Becker, Exegese, 49� 10 Becker, Exegese, 50-62. 11 Als Teil eines Methodenbuchs findet sich außerhalb des deutschsprachigen Raums Strukturanalyse als Methodenschritt der linguistischen Methode bereits 1973 bei Verhoef, Eksegese, 68-80. 80 Stefan Fischer an, der Exegese als Sprachereignis verstand� Etwa zeitgleich vertrat Wolfgang Richter Bibelwissenschaft als einen »Zweig der Literaturwissenschaft« 12 � Er verband literaturwissenschaftliche Analyse und syntaktische Beschreibung zur »Exegese als Literaturwissenschaft«, so der Titel seines Standardwerks von 1971� In diesem wehrt er sich gegen »theologische« Voraussetzungen der Exegeten, welche diese nicht als wechselnde Größe im Fortgang der Wissenschaft anerkennen� Er setzt sich dagegen für eine »selbständige Position der Literaturwissenschaft des AT « ein und verlangt eine »gründliche Methodenreflexion in der Literaturwissenschaft. Andernfalls läuft die Hermeneutik Gefahr, dass sie nur als eine moderne Form der Allegorese eingeschätzt wird« 13 � Diese Diskussion wurde stark im angelsächsischen Raum geführt, und zwar in der Zeitschrift Semeia: an experimental journal for biblical criticism (derzeit: Semeia studies )� Methodische Fortschritte brachte Christof Hardmeiers Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft des Altes Testaments� Es liefert einen wertvollen Beitrag, insbesondere zur kommunikativen Funktion der Texte, verlangt vom Leser aber eine hohe Bereitschaft, sich in die eigenwillige Terminologie einzuarbeiten� Insofern sind seine Forschungen wenig anschlussfähig und die Wirkung in der grundständigen Lehre ist vergleichsweise gering� 14 Vorangetrieben wurde die Aufnahme literaturwissenschaftlicher Fragestellungen durch zwei in ihrer Wirkung einflussreiche Lehrbücher� 1987 publizierte Wilhelm Egger eine Methodenlehre zum Neuen Testament und führte mit ihr linguistische Methoden im akademischen Unterricht ein� 15 Ein zentrales Anliegen ist ihm die Anleitung zum strukturierten Lesen� Im ersten Teil widmet er sich dem »Text als Produkt seiner internen Beziehungen und seiner Einbettung in ein kommunikatives System«� Danach wendet er sich mit der Textkritik, der Textgliederung 16 und der Übersetzung vorbereitenden Schritten der Analyse zu, auf die eine Lektüre unter synchronem Aspekt folgt� Diese setzt sich aus einer sprachlich-syntaktischen Analyse der kleinsten Textbausteine und 12 Richter, Literaturwissenschaft, 12� 13 Richter, Literaturwissenschaft, 7� 14 Hardmeier, Textwelten 1, verlangt in seinem alternativen Ansatz vom Studierenden, sich »auf ein empirisch-beobachtendes Verstehen der biblischen Texte einzulassen« und will mit seinem Buch »Wahrnehmungsblockaden reflektiert aufbrechen« (XVI)� Eine Würdigung der Arbeit Hardmeiers und die Aufnahme seines Dreischritts, Produkt (von sprachlichen Handlungen), Partitur (von Kommunikationsvollzügen) und Prozedur (der Sinnbildung), für die Arbeit mit Studierenden bietet Wagner, Proseminar als Chance, S� 78 in diesem Heft� 15 Egger, Methodenlehre� Inzwischen in 6� Auflage erweitert und überarbeitet� 16 Das Verssegmentierung, wie sie Hoegen-Rohls, Schritt-für-Schritt, S. 25 in diesem Heft vertritt, setzt hier an� Sie führt zu einem verlangsamten und sinnerfassenden Lesen, da bereits im Druckbild eine inhaltliche und strukturelle Gliederung des Textes vorgenommen wird� Proseminar und Hermeneutik 81 ihrer Verbindungen, einer semantischen Analyse sowie einer pragmatischen Analyse zusammen� Erst darauf folgt eine Lektüre unter diachronem Aspekt, welche unter der Überschrift »Die Beziehungen eines Textes zu seinen Vorstufen« steht� Hierzu gehören dann die Literar-, Traditions- und Redaktionskritik� Diese Voranstellung der synchronen Analyse wird auch in dem 2001 von Utzschneider/ Nitsche 17 veröffentlichten alttestamentlichen »Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung« vertreten� 18 Es bietet einen dezidiert literaturwissenschaftlich orientierten Ansatz der Exegese� In verschiedenen Proseminaren machte ich die Erfahrung, dass Studierende, je nach Aufbau des Proseminars und Gewichtung der einzelnen Schritte, Textphänomene unterschiedlich beurteilten� Literar-, redaktions- und formkritisch geschulte Studierende achten besonders auf Uneinheitlichkeit, logische Spannungen, Wiederholungen und sprachliche Differenzen� So analysieren sie kleine Einheiten, die sie in eine homogene Reihung bringen, welche sie einer Quelle bzw� Redaktion zuordnen� 19 Hingegen beurteilen synchron und literaturwissenschaftlich geschulte Studierende die gleichen Phänomene vom Endtext her und neigen dazu, sie eher als vom Verfasser bzw� der Redaktion intendiert anzusehen� So verändert die ausgewählte Methode die Wahrnehmung des Textes� Eine Reflexion darüber findet m� E� jedoch, wenn überhaupt, nur unzureichend statt� Die Erweiterung des Methodenkanons verlangt nach einer hermeneutisch verantworteten Methodenauswahl� Notwendigkeit der Hermeneutik im Proseminar Wenn die Zugangsweisen dazu führen, Textphänomene unterschiedlich zu interpretieren, so ist eine hermeneutische Reflexion der exegetischen Methoden notwendig� Diese wird zu einem notwendigen Schritt verantworteter Exegese� Publikationen zur Hermeneutik finden sich viele� Als hilfreich stellte sich das »hermeneutische Viereck« heraus� Durch Manfred Oeming wurde unter diesem Begriff eine Zuordnung gegenwärtiger Auslegungsmethoden in die akademische Diskussion eingebracht� 20 Er unterscheidet vier Bereiche - Autoren, 17 Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch� 18 Siehe die Würdigung und Auseinandersetzung dieses Werkes im Vergleich zu anderen alttestamentlichen Methodenwerken bei Hopf, Mehrwert, S� 7 in diesem Heft� 19 Diesen Vorwurf erhob bereits Alonso Schökel, Manual, 43: »The historical-critical method must beware of falling into the temptation of texts into bands of perfectly homogenous thought�« 20 Oeming, Einführung, 176� In früheren Ausgaben stellte Oeming sein hermeneutisches Modell stets voran und nahm es als Ausgangspunkt seiner Überlegungen� 82 Stefan Fischer Texte, Rezipienten und Sachen in ihren Welten - und ordnet diesen siebzehn Methoden zu, welche jedoch nicht alle trennscharf einem Bereich zugeordnet werden können� Insofern sind es vier Bereiche, die miteinander in Wechselbeziehung stehen und Schnittmengen besitzen� Die von Oeming ausgewählten Methoden sind nicht abschließend� Die Fülle methodischer Zugänge ist etwa im Handbuch Bibeldidaktik 21 ersichtlich� Dort werden 23 Zugänge und Lernwege aufgezeigt und die Vielfalt der Rezipienten von Lernenden und Lesenden an zwölf Beispielen ausgeführt� Auch das Oxford Handbook bietet eine reichhaltige Zusammenstellung von gegenwärtigen und historischen Interpretationen� Der größte Teil der Aufsätze gehört in den Bereich der Wirkungsgeschichte� Sie zeigen, in welchen Lebenswelten die Bibel oftmals auch jenseits einer historischen Kritik rezipiert wurde� 22 Persönliche Voraussetzungen und Zugänge Studierender: Zwischen der christlichen Sozialisation der Studierenden und universitärer Theologie gibt es ein Spannungsfeld, welches destruktiv oder konstruktiv genutzt werden kann� Einen kleinen Einblick in die religiöse Sozialisation und die Motivation zum Theologiestudium bieten Portraits von Studierenden� 23 Die meisten haben eine kirchliche Sozialisation und zwar sowohl freials auch landeskirchlich� Dabei kommt es häufig vor, dass Studierende Glaubenserfahrungen in einer Freikirche oder einem Jugendverband machten und dann mit der Perspektive Landeskirche Theologie studieren� Vereinzelt gibt es Studierende, die keine Kirchenmitglieder sind und aus Interesse an der Theologie, an alten Sprachen und Geschichte o. ä. studieren� Unterschiedliche Frömmigkeitsstile und damit verbundene religiöse Haltungen werden in das Studium mitgebracht� Sie reichen von abgrenzend, »nicht so fromm sein zu wollen«, bis evangelikal� Wenn es gelingt, dass Studierende das Studium nicht nur als intellektuelle Disziplin ansehen, in der sie Wissen ansammeln, sondern es nutzen, um ihre Voraussetzungen und Überzeugungen zu prüfen und sich so wiederum dem Studium zuwenden, so ist eine produktive Interaktion innerhalb des hermeneutischen Vierecks in Gang gesetzt. Der Notwendigkeit, Wissenschaft und Glaube zu verknüpfen, bzw. der Furcht, dass dieses nicht gelingt, wurde man sich in der Evangelischen Kirche in Deutschland in den vergangenen Jahren bewusst� In einer Werbung für das 21 Zimmermann, Handbuch� 22 Lieb u� a�, Oxford� Häufig wird bei Personen und ihren spezifischen Interpretationen angesetzt, z. B. »Dante and the Bible: a sketch« (281-290) und »Bob Dylan’s Bible« (355-368). Jedoch ist ein Übergang zu den Themen einer konfessionellen Exegese gegeben, so etwa in »Karl Barth on Romans« (509-608) oder »Luther on Galatians« (621-634). 23 http: / / www�theologiestudium�ch/ studium/ portraets/ � Proseminar und Hermeneutik 83 Theologiestudium heißt es: »Das Theologiestudium fordert die eigene Person und deren Einstellung zur Welt und zu Gott heraus. Das wissenschaftliche Studium schafft zunächst eine ungewohnte Distanz zur Praxis des Glaubens. Dennoch kommt der eigene Glaube nicht zu kurz. Denn Theologie und die eigene Biographie sind eng miteinander verknüpft�« 24 Und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers schreibt ähnlich zum Grundstudium: »Auch der eigene Glaube und die eigenen Fragestellungen sollten nicht zu kurz kommen. Denn Theologie und die eigene Biografie sind eng miteinander verknüpft�« 25 Gerade beim Erlernen exegetischer Methoden muss dies mit einbezogen werden, denn die Frage nach dem Wahrheits- und dem Wirklichkeitsgehalt der Bibel und ihrer Theologie steht immer mit im Raum� Anknüpfend an die Hintergründe der zuvor angedeuteten Portraits von Theologiestudierenden sollen nun hermeneutische Voraussetzungen von Studierenden skizziert werden� Studentische Voraussetzungen finden sich in kirchlich-konfessioneller Exegese� Hier mischen sich lutherische, reformierte und evangelikale Denkstrukturen und Schwerpunktsetzungen� Die Evangelikalen sind zwar keine Kirche, aber eine Bewegung verschiedener konservativer Strömungen, die eigene Bekenntnisse formuliert und in Landes- und Freikirchen zu finden ist� a� Im universitären Raum ist die existentiale Interpretation insbesondere durch die Arbeiten Rudolf Bultmanns weit verbreitet, obwohl die Generation, die maßgeblich davon geprägt wurde, inzwischen emeritiert ist� Jedoch wird in der Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie dieses Erbe 24 http: / / www�landeskirche-hannovers�de/ evlka-de/ presse-und-medien/ frontnews/ 2013/ 01/ 11 25 http: / / www.theologie-studieren.de/ themen/ vor_dem_studium/ theologiestudium/ grundstudium� Stefan Fischer, * 1966, Dr� theol�, ist Privatdozent und Lehrbeauftragter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien� Außerdem ist er Forschungsmitarbeiter an der University of the Free State, Bloemfontein, Südafrika� Er lehrt seit 20 Jahren alttestamentliche Wissenschaft im deutsch- und englischsprachigen Bereich� Als Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt steht er im steten Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis� 84 Stefan Fischer nicht nur gepflegt, sondern auf gegenwärtige Lebenswelten hin adaptiert� Sie verfolgt das Ziel, »hermeneutische Theologie zu fördern, die in der Einheit der theologischen Disziplinen und im Gespräch mit der Philosophie die geschichtlichen Verstehensbedingungen und die Gegenwartsbedeutung des biblischen Zeugnisses bedenkt« 26 � Als hermeneutischer Ausgangspunkt ist sie bei Studierenden jedoch kaum mehr gegeben� Latent ist der kerygmatische Anspruch der existentialen Interpretation jedoch vorhanden, da die Voraussetzung, dass aus der Bibel trotz eines fremden, mythischen Weltbildes Wahrheit entnommen werden kann, bei einer Gruppe Studierender selbstverständliche Akzeptanz besitzt� b� Im deutschsprachigen Raum ist universitäre Exegese konfessionelle Exegese� Gäbe es keine Unterschiede, so könnte der Fortbestand getrennter Fakultäten allein aus historischen Gründen nicht aufrechterhalten werden. Im Unterschied zum Judentum gehen »Christlicher Glaube und Theologie […] davon aus, dass in AT und NT derselbe Gott redet und handelt« 27 � Als christliche Exegese setzt sich alttestamentliche Exegese mit den »vorderen Zweidritteln der christlichen Bibel« 28 auseinander� Kirchlich sozialisierten Christen eröffnen sich durch das Aufeinanderbezogensein von Texten des Alten und Neuen Testaments Räume des Verstehens� Dies schlägt sich beispielsweise in der evangelischen Perikopenordnung nieder� Der durch die Auswahl der Texte geschaffene Textraum ist auch in der zur Erprobung freigegebenen Neuordnung 29 von den drei wiederkehrenden Texten (Evangelium, Epistel, Altes Testament) und drei weiteren Texten, die zur Konsonanz bzw� Dissonanz beitragen, bestimmt� So bleiben Altes und Neues Testament aufeinander bezogen, auch wenn Evangelium und Epistel mehr Gewicht erhalten� Theologiestudierende, insofern sie eine landeskirchliche Sozialisation mit regelmäßigem Gottesdienstbesuch besitzen, sind mit dieser Zuordnung, wie sie z� B� in dem weitverbreiteten Losungsheft der Herrnhuter Brüdergemeinde mit Losung und Lehrtext Verbreitung fand, vertraut� Konfessionelle Exegese steht in der Tradition der Theologiegeschichte� Der lutherische Theologe Achim Behrens nimmt in seiner Einführung in die Fra- 26 § 2 der Satzung der Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie e. V. vom 12� März 1998 (https: / / www�univie�ac�at/ bultmann/ satzung�html)� 27 Behrens, Hermeneutik, 180� 28 Loader, Biblische Hermeneutik, 90� 29 Der Entwurf zur Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte von 2014 nimmt zwar mehr alttestamentliche Texte auf, hält aber an der Zuordnung ebenso fest wie an der Leseordnung, die alle Texte bis auf die Epistellesung, welche auf eine andere Tradition zurückgeht, auf das Evangelium bezieht� http: / / www�ekd�de/ download/ 20140826_perikopenrevision�pdf� Proseminar und Hermeneutik 85 gestellung evangelischer Hermeneutik 30 nicht nur die Lehre von der Schrift auf, sondern thematisiert auch weitere theologische und anthropologische Leitlinien. Dazu zählt er u. a.: Die Mitte der Schrift, Gesetz und Evangelium, der Mensch als »Gerechter und Sünder zugleich«, vom unfreien Willen, das Leben in beiden Reichen� 31 Solche oder ähnliche Ansätze können bei kirchlich-konfessionell geprägten Studierenden als Denkstrukturen vorausgesetzt werden� 32 Die Anerkennung der eigenen konfessionellen Prägung als hermeneutischer Schlüssel und dessen Hinterfragung lösen wichtige Prozesse aus, so etwa wenn »was Christum treibet« als hermeneutisches Prinzip erkannt wird, welches dem sensus literalis zuwiderlaufen kann� 33 Auch die Entdeckung, dass das Alte Testament im kirchlichen Kontext bereits in der Gottesdienstliturgie im Verhältnis zum Volumen viel zu kurz kommt und ein großer Teil nie verlesen wird, kann Anstoß geben, sich dem Text neu zuzuwenden� c� Evangelikal geprägte Studierende entstammen Gemeinschaften, in denen sie sich »zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung« 34 bekennen� Eine Erweiterung auf alle Bereiche des Lebens und der Wissenschaft findet sich im Fundamentalismus, in dessen Kontext »die göttliche Inspiration und die Unfehlbarkeit der ganzen Heiligen Schrift« 35 postuliert wird. Fundamentalismus lässt sich mit Oeming als eine »Geisteshaltung verstehen, welche die Bibel als eine wortwörtliche Inspiration Gottes begreifen möchte, die ausschließlich zuverlässige Tatsachen berichtet und deren Lehren ewige Gültigkeit besitzen« 36 � Sie entzieht durch dieses Bibelverständnis allem historischen Relativismus sein Fundament, so dass hier ein Paradigmenwechsel notwendig ist� In der Ausprägung als evangelikaler Theologie hingegen eröffnen sich Gesprächsräume bei einem Nachsinnen über den Offenbarungscharakter der 30 Behrens, Verstehen� 31 Behrens, Verstehen, 138-176. 32 Behrens, Verstehen, 219-235, bietet einige Praxisimpulse, in denen er Altes Testament, neutestamentliche Rezeption und lutherische Bekenntnisschriften in die hermeneutische Besinnung aufnimmt� 33 Vgl. Froehlich, Sensing, 25-27. Er kommt zu dem Schluss, »that Luther really is not a good candidate for the role of the true ancestor for the exclusive preoccupation with the literal sense of Scripture« (27)� 34 So im Glaubensbekenntnis der deutschen evangelischen Allianz: http: / / www�ead�de/ dieallianz/ basis-des-glaubens�html� 35 So das Bekenntnis der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten: http: / / www�kbaonline� de/ index�php? id=11� 36 Oeming, Einführung, 150. 86 Stefan Fischer Theologie, welche den Rezipienten einbezieht. So vertritt Gerhard Meier eine kommunikative Auslegung der »Hermeneutik der Begegnung« und schreibt über den Auslegenden: »Was er auslegte, hat ihn selbst verändert� Nun personifiziert er die Veränderung, die durch die Begegnung mit der Offenbarung geschaffen wird� Indem er die Auslegung weitergibt, die ihn selbst verändert und zum Zeugen gemacht hat, wird seine Auslegung selbst zum Zeugnis. […] Begegnung ist der Grundcharakter der Offenbarung.« 37 Hier kommt eine Theologie zum Ausdruck, welche den Formulierungen des zweiten Vatikanischen Konzils näher steht als einer protestantischen-dialektischen Theologie� 38 Die existentiale Interpretation Rudolf Bultmanns verhält sich zu ihr wie eine ungleiche Schwester� Sie stimmt im Einbezug des Interpreten überein: »Die Forderung, dass der Interpret seine Subjektivität zum Schweigen bringen, seine Individualität auslöschen müsse, um zu einer objektiven Erkenntnis zu gelangen, ist also die denkbar widersinnigste�« 39 Sie unterscheidet sich jedoch im Offenbarungsanspruch, denn die »Interpretation der biblischen Schriften unterliegt nicht anderen Bedingungen des Verstehens als jede andere Literatur« 40 . Sie sieht bereits in der Frage, wer Gott ist, Gott. »Wäre seine Existenz nicht […] von der Gottesfrage bewegt […], so würde er auch in keiner Offenbarung Gottes Gott als Gott erkennen.« 41 d� Auch das Verhältnis von Christentum zum Judentum gehört in den Bereich der konfessionellen Exegese� Selten bringen Studierende eine eindeutige Einstellung dazu mit� Obwohl natürlich das Wissen vorhanden ist, es in der Bibel mit jüdischen Schriften zu tun zu haben, die, was das Alte Testament betrifft, Juden als Empfänger hatten und Christen nur sekundäre Leser sind, so ist doch eine latente Unsicherheit vorhanden, falls dieses Wissen nicht einfach ignoriert wird� Insbesondere in Deutschland wirkt sich die Aufarbeitung der Schoa dahin aus, Überheblichkeit abzulegen und sich für jüdische Exegese des Alten Testament zu interessieren� Insofern geht es um die »hermeneutische Frage nach dem Verhältnis einer christlich-theologischen Deutung des AT einerseits und dem Sinn andererseits, den das Textkorpus in den jeweiligen Entstehungs- und Tradierungskontexten der Texte und im Kontext einer jü- 37 Meier, Hermeneutik, 358. 38 Vgl. Kirchschläger, Gottesprojekt, 131-141, mit dem Kapitel »Die Selbsterschließung Gottes - ein dialogischer Beziehungsweg«. Nach ihm lässt sich im Gottesgeschehen eine »von Gott ausgelöste Beziehungsdynamik« erkennen, die auf eine »wachsende Intensität (und deshalb auf Gegenseitigkeit) angelegt ist« (134). Kirchschläger sieht die Offenbarungsabsicht Gottes »als zeitübergreifende Zusage der Gottesgemeinschaft« (139) an. 39 Bultmann, Hermeneutik, 242� 40 Kursiv im Original� Bultmann, Hermeneutik, 243� 41 Bultmann, Hermeneutik, 244� Proseminar und Hermeneutik 87 dischen Rezeption gewinnt« 42 � Christopher Seitz erinnert daran: »That the Old Testament can be bought and read like any other book ought not blind one to the very specific connection it asserts in the substance of its discourse and as the correlate of its very existence to be the record of God’s discourse with one particular people�« 43 Marianne Grohmann ruft in ihrer Dissertation Aneignung der Schrift. Wege einer christlichen Rezeption jüdischer Hermeneutik die jüdische Grundlage des Christentums in Erinnerung und gewinnt diese für die Exegese neu� Sie vertritt eine Hermeneutik der »Aneignung ohne Enteignung« bei einem bleibenden »Konflikt der Interpretationen«� 44 Sie zeigt auf, dass sich schriftliche und mündliche Tradition im Judentum bzw� Schrift und Evangelium im Christentum gegenseitig interpretieren� 45 Frank Crüsemann hebt hervor, dass sich zwei Religionsgemeinschaften auf den gleichen Text beziehen und hinterfragt, ob es eine doppelte Hermeneutik geben könne� Er hebt die jüdische Bibel in ihrer Funktion als Schrift für das Neue Testament hervor und vertritt im Anschluss an Gerhard Theißen, dass ein Vorrang des Neuen Testaments nicht begründet werden kann und bricht so mit einem wesentlichen Punkt christlicher Exegese� 46 Gewöhnlich werden im alttestamentlichen Proseminar die letzten zwei Jahrtausende jüdischer Exegese ignoriert� Die Begegnung mit dem Judentum beschränkt sich auf die Kenntnisnahme jüdischer Texte im Rahmen der Textkritik� Jedoch bleiben die dort begegnenden Texte für die Studierenden Fremdkörper, so dass sie zwar um die Existenz von Targumim, Qumrantexten und samaritanischem Pentateuch wissen, diese aber nicht im Horizont der jüdischen Traditions- und Religionsgeschichte erfassen, von einer theologischhermeneutischen Auseinanderersetzung ganz zu schweigen� Im neutestamentlichen Proseminar gibt es gewöhnlich etwas mehr zeitgeschichtliche und methodische Bezüge, wie bspw� zu den exegetischen Regeln (Middot) der Rabbinen Hillel und Jischmael� Spannung zwischen kirchlichem Anspruch und universitärer Theologie: Nicht nur zwischen dem Vorverständnis der Studierenden und den Erfahrungen im Theologiestudium gibt es ein Spannungsverhältnis, sondern auch zwischen dem 42 Slenczka, Kirche, 85. 43 Seitz, Word, 73� 44 Grohmann, Aneignung, 131-166. 45 In ihrem literaturwissenschaftlich orientierten Ansatz zeigt Grohmann, dass »literaturwissenschaftliche Konzeptionen wie das der Intertextualität als kreative Ergänzung historisch-kritischer Fragestellungen einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung zwischen jüdischer und christlicher Hermeneutik liefern« (Grohmann, Aneignung, 165). 46 Crüsemann, Wahrheitsraum, 85-90. 88 Stefan Fischer kirchlichen Interesse, insbesondere dem pfarramtlichen Anspruch, und der universitärer Theologie� Zu den Kompetenzen, die eine reformierte Pfarrperson in der Schweiz im Laufe von Studium und Lernvikariat erwerben soll, gehört die hermeneutische Reflektion� Auf dem akademischen Wissen der Bibelwissenschaften aufbauend wird erwartet, dass Modelle und Konzepte der Hermeneutik gekannt und eine Vielfalt von Traditionen anerkannt werden� So wird das erworbene Können als wissensbasiertes Handeln verstanden, welches Bezüge zwischen Theologie und Lebenswelt herstellt� 47 Hermeneutische Kompetenz gehört damit grundlegend zum Studium dazu und sollte entsprechend frühzeitig im Studium eingeführt werden. Gleichwohl kommt der Hermeneutik in den Curricula nur eine untergeordnete Stellung zu� An der Universität Tübingen wird laut Modulhandbuch nur in einem Aufbaumodul Neues Testament hermeneutische Kompetenz angestrebt� 48 Das Curriculum für das Bachelorstudium Evangelische Fachtheologie in Wien 49 sieht keinen Kurs Hermeneutik vor� Jedoch gibt es zwei Wahlmodule zu »Jüdische Bibelauslegung« und »Fundamentaltheologie« 50 , welche Grundkenntnisse der Methodik vermitteln� Auch im Masterstudiengang gibt es den Kurs »Biblische Hermeneutik« nur als Wahlmodul� 51 So kommt es im Bachelor-Studiengang eher zufällig zu einer Auseinandersetzung mit hermeneutischen Fragestellungen, und im Masterstudiengang muss ein spezifisches hermeneutisches Interesse vorliegen� Eine grundsätzliche hermeneutische Auseinandersetzung ist damit nicht gegeben� Wenn Hermeneutik als Lehrveranstaltung nicht verpflichtend ist, so wird damit ausgeblendet, dass Studierende durch die Begegnung mit historisch-kritischen Methoden zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Voreinstellung gezwungen, aber in der hermeneutischen Reflexion allein gelassen werden� In Zürich hingegen gibt es an der Theologischen Fakultät das Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie, an welchem ein Studium im Nebenfach Hermeneutik angeboten wird� 52 Es ist vom Lehrpersonal her in der Systematik angesiedelt und wird als Kombination mit anderen Studiengängen, die mit Interpretation zu tun haben, beworben� Durch den interdisziplinären Ansatz kommen Studierende der Theologie, Religionswissenschaft, Literaturwissenschaft, Philosophie, Philologie, Geschichtswissenschaft etc. miteinander ins Gespräch. 47 Schaufelberger u�a�, Kompetenzstrukturmodell� 48 »Sie sind in der Lage, zentrale Problemstellungen der neutestamentlichen Forschung in exegetischer, historischer und hermeneutischer Perspektive wissenschaftlich zu bearbeiten�« Aufbaumodul Neues Testament EvTh-NT 2. Modulhandbuch, 15. 49 http: / / www�univie�ac�at/ mtbl02/ 2013_2014/ 2013_2014_218�pdf� 50 BA-EVANG 23.5 und BA-EVANG 23�13�1� 51 http: / / senat.univie.ac.at/ fileadmin/ user_upload/ senat/ Konsolidierte_Curricula/ Master/ MA_EvangelischeFachtheologie_Version2014�pdf MA-EVANG 11�3� 52 http: / / www�hermes�uzh�ch/ de�html� Proseminar und Hermeneutik 89 Diese besondere Gewichtung bietet die Möglichkeit, sich in die Hermeneutik zu vertiefen� Im Theologiestudium gibt es dort das von der Praktischen Theologie verantwortete Modul »Einführung in die Theologie«, in dem zwei wichtige Aspekte der Hermeneutik aufgegriffen werden, nämlich »Reflektierte Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Biographie« und »Theologie als Wissenschaft«� 53 Dies ist sehr zu begrüßen, da es wesentliche Anliegen aufnimmt� Einen eigentlich bibelwissenschaftlichen Kurs zur Hermeneutik stellt es jedoch nicht dar� Wenn der Raum für eine Auseinandersetzung betreffend eines wissenschaftlich-reflektierten Bibelzugangs nicht in den Lehrveranstaltungen gegeben wird, so verlagert er sich an den universitären Rand� So bot etwa das Albrecht-Bengel- Haus, Theologisches Studienhaus Tübingen, im SS 2016 für Studienanfänger der Theologie eine Einführung in die biblische Exegese und Hermeneutik an� 54 Man kann es Vertretern pointierter theologischer Richtungen nicht zum Vorwurf machen, solche Kurse anzubieten. Im Gegenteil muss ihnen zugestanden werden, dass Studierende im Studium in eine spirituelle Not geraten können und seelsorgerliche und fachliche Begleitung benötigen� Problematisch wird es dort, wo jemand aus einer Oppositionshaltung heraus zum Studium kommt und sich auf einen Perspektivwechsel nicht einlässt und u� U� nicht anschlussfähig ist� Jedoch geht es in der Verbindung von Bibelwissenschaft und Hermeneutik bei Weitem nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen historisch-kritischer Theologie und evangelikalen Zugängen, sondern um die Relativierung aller Zugänge durch deren Einordnung in einen hermeneutischen Komplex, wie er im hermeneutischen Viereck aufgezeigt wird Exegese als Dialog: Theologie im Spannungsfeld von Wissenschaft und Offenbarung: Historisch-kritische Exegese steht in der Gefahr einer Hermeneutik, die auf Text und Autor fokussiert und die Subjektivität des Interpreten nur aufnimmt, insofern sie ihn objektivierend zurückdrängt� Die Bibel wird wie ein anderer historischer Text interpretiert und erscheint dadurch primär in seiner historisch-geschichtlichen Dimension� Hingegen ist Exegese als dialogisches Geschehen reflektierte Rezeptionsästhetik, in welchem Leser und Text notwendigerweise aufeinander bezogen sind� Studierende als interpretierende Subjekte sind je eigene Teilnehmende des hermeneutischen Zirkels, in welchen sie ihr von Christentum und Zeitgeist geprägtes Vorverständnis mitbringen� Aus diesem heraus kommen sie zu theologischen Deutungen� Insofern gibt es 53 http: / / www�vorlesungen�uzh�ch/ HS16/ lehrangebot/ fak-50000001/ sc-50306207/ cga-50306 207230/ cg-50306225/ cg-50308269/ sm-50358582�modveranst�html� 54 http: / / www�bengelhaus�de/ lehrveranstaltungen�htm� Einführung in biblische Exegese und Hermeneutik� 90 Stefan Fischer kein Nacheinander der Interpretation, sondern ein Ineinander von Text und theologischer Deutung, aus der heraus der Text seine Wirksamkeit entfalten kann� Uwe Becker formuliert es so: »[Die historisch-kritische Methode] kann und sollte das Zeugnis offenlegen, indem sich die göttliche Wahrheit - und zwar nie anders als mittelbar , nämlich in theologischer Deutung - ausspricht. Aber ob dieses Zeugnis dann auch zu uns spricht, uns anspricht und verändert, steht nicht mehr in der Verfügung des Auslegers - weder des Exegeten noch des Dogmatikers. Das ist (dogmatisch gesprochen) das Werk des Heiligen Geistes, der den Glauben wirkt.« 55 Praxisüberlegung Ein modifiziertes Proseminar: In der Praxis des Proseminars bewährte es sich, das hermeneutische Viereck in der ersten Lehrveranstaltung einzuführen� Dieses verhilft Studierenden dazu, sich selbst und die jeweilige Methode einzuordnen, so dass sie sich in den beiden Feldern Rezipienten und Sachen mit ihren eigenen Voraussetzungen und ihrer Lebenswelt finden können� Für eine hermeneutische Auseinandersetzung in einem Proseminar sind das hermeneutische Viereck und die damit verbundenen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bereichen ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt� Das Selbstverständliche muss benannt werden� Die stillschweigende Voraussetzung, sich in einem Proseminar allein auf Autoren und Texte in ihren Welten zu beschränken, wird so transparent gemacht� Da niemand voraussetzungslose Wissenschaft betreibt, gehört es zur Redlichkeit der Lehrenden, sich selbst im hermeneutischen Viereck zu verorten und dieses offenzulegen� So werden nicht nur der eigene theologische Werdegang und die gegenwärtige Position innerhalb von Rezipienten in ihren Welten sichtbar, sondern auch Themen, die einen selbst prägten und Teil des eigenen Auslegungsinteresses und damit der Methode wurden� Da das Studium und Forschungsinteresse die eigene Kenntnis beeinflusst, bestimmt sie die Auswahl der Methoden mit� Das führt unweigerlich zur Relativierung der eigenen Lehre, nimmt aber wesentlich auf, dass sich Studierende ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen bewusst werden und darüber hinaus den Freiraum erhalten, diese zu reflektieren und zu diskutieren� So wird ein oft stillschweigend übergangenes Dilemma vermieden, dass Studierende eine Spannung zwischen ihrer Ausgangsposition und der gelehrten Methode erfahren, die sich insbesondere am Referenzobjekt Bibel zeigt, diese Spannung aber nirgends thematisiert wird� Wenn hingegen Studierende sich im 55 Becker, Exegese, 6� Proseminar und Hermeneutik 91 Proseminar ihrer eigenen Voraussetzungen bewusst werden, so kann auf Neugier und intellektuelle Redlichkeit hingearbeitet werden� Bei einer überschaubaren Anzahl von Proseminarteilnehmerinnen und -teilnehmern kann eine Austauschrunde eingefügt werden, in welcher die Studierenden selbstreflektierend ihren individuellen Werdegang zum Studium schildern und sich dabei bewusst werden, wie dieser das Vorverständnis und den Zugang zu biblischen Texten prägt� Dabei ist darauf zu achten, dass dies in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geschieht� Wenn Studierende sich bereits aus anderen Zusammenhängen kennen, so kann dies zu Beginn als Vorstellungsrunde eingefügt werden� Ansonsten bietet es sich bei der Einführung der Rezeptionsästhetik an� Studierende erlebten diese Selbstreflexion im Rückblick oft als wesentlich für das eigene Selbstverständnis und das Verständnis der Mitstudierenden� Gewöhnlich ist ein Proseminar mit der Vermittlung von Methoden und den dazugehörigen Übungen gut gefüllt, so dass für eine Erweiterung des Methodenkanons und hermeneutische Reflexion keine Zeit bleibt� Das Bologna- System mit der Vergabe von Kreditpunkten, die an den zeitlichen Aufwand gebunden sind, vergrößert das Dilemma für einen Kurs, der von je her überladen ist� Schon deshalb besteht ein gewisser Druck, das Curriculum und die zu erzielenden Kompetenzen, die mit der Beherrschung des klassischen historisch-kritischen Methodenkanons einhergehen, zu überarbeiten� Als Teil des Curriculums ist eine hermeneutische Reflexion über die verwendeten Methoden und eine Erweiterung des Methodenkanons anzustreben� Die Aufteilung der Bibelwissenschaften in Altes und Neues Testament kann im Bereich des Proseminars als Chance gesehen werden, den Methodenkanon aufzuteilen und diejenigen Methoden, die in beiden identisch sind, nur in einem der Kurse aufzunehmen� 56 Dazu treten dann die Besonderheiten der einzelnen Disziplinen, wie die Pentateuchkritik oder die synoptische Frage� 57 Der zeitliche Freiraum kann nun für hermeneutische Reflexion unter Einbezug verschiedener Methoden genutzt werden� Ansatzweise in einem Proseminar und ausführlicher in einem Hermeneutikseminar lässt sich der theologiegeschichtliche Horizont der Hermeneutik aufzeigen� Das Studienbuch Hermeneutik von Susanne Luther und Ruben Zimmermann bietet dazu einen reichhaltigen Fundus� Der Untertitel Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation gibt seinen Inhalt treffend wie- 56 Diese Aufteilung wurde von Marianne Grohmann und Markus Oehler in Wien vor etwa 15 Jahren eingeführt. In Frankfurt wechseln sich die beiden Bibelwissenschaften in der Schwerpunktsetzung zwischen einem historisch-kritischen und einem literaturwissenschaftlich-semiotischen Proseminar ab� 57 Häufig werden diese bereits ansatzweise in der Bibelkunde eingeführt� Bormann, Bibelkunde 34-37.176-182. 92 Stefan Fischer der� Zu verwendende Kapitel sind z� B� Augustinus »Vom rechten Verständnis der Heiligen Schrift«, Martin Luther »Die Klarheit der Schrift«, August Hermann Francke »Die Verknüpfung philologisch-historischer Exegese mit geistlicher Erfahrung« sowie Joseph Ratzinger »Gottes Offenbarung in Schrift und Kirche«. Für den Bereich »Sachen in ihren Welten« bieten sich Texte wie Carlos Mesters »Befreiungstheologische Bibelhermeneutik« und Elisabeth Schüssler Fiorenza »Der Weisheitstanz - Hermeneutische Bewegungen und Drehungen« an. Dazu wird reiches Quellenmaterial auf einer CD zur Verfügung gestellt� Die Proseminararbeit: Üblicherweise sind im Pfarramtsstudium jeweils kurze Proseminararbeiten im Alten und im Neuen Testament zu schreiben� So sollen Studierende auf knappem Raum nachweisen, dass sie die methodischen Schritte der historisch-kritischen Exegese beherrschen� Wenn das Ziel des Proseminars Methodenbeherrschung ist und sich diese im Alten und Neuen Testament nicht grundlegend unterscheiden, spricht vieles dafür, nur eine, aber dafür längere Arbeit in einem der Fachbereiche zu schreiben� 58 Diese sollte so gestaltet sein, dass die dialogischen Strukturen des hermeneutischen Vierecks zum Tragen kommen� Dazu wird den Studierenden mehr Raum zur eigenen Schwerpunktsetzung und Entfaltung geboten, als dieses bei zwei kleinen Arbeiten der Fall ist, die über den Aufweis einzelner historisch-kritischer Methodenschritte nicht hinauskommen� 59 Eine exegetische Proseminararbeit, welche das hermeneutische Viereck umsetzt, kann folgende Gliederung haben: 1� Textkritische Rekonstruktion des Ausgangstextes und Übersetzung [Texte und ihre Welten] 2� Notizen der Erstbegegnung (Textvorverständnis, Persönlicher Zugang zum Text) [Rezipienten und ihre Welten] 60 58 Wichtig scheint mir, dass die Zusammenlegung der Arbeiten keine versteckte Sparmaßnahme ist, um alt- und neutestamentliche Fächer zusammenzulegen, sondern, dass die Studierenden einen erkenn- und nachweisbaren Kompetenzzuwachs erwerben� 59 An der evangelisch-theologischen Fakultät Wien wurde dieser Schritt vollzogen� So wurden im Rahmen der Bologna-Reform beide Proseminare zu prüfungsimmanenten Veranstaltungen und die Proseminararbeit durch eine Bachelorarbeit im bibelwissenschaftlichen Modul »Methoden der Exegese« ersetzt� Curriculum für das Bachelorstudium Evangelische Fachtheologie (Version 2014) § 6 Bachelorarbeiten� http: / / www�univie�ac�at/ mtbl02/ 2013_2014/ 2013_2014_218�pdf� 60 Steck, Exegese, kennt als Annäherung an den Text den »Einsatz von Phantasie und Imagination« Er legt diese jedoch für die weitere Arbeit beiseite, um erst »nach der Exegese, für eine Heranziehung des Textes in Predigt, Unterricht; christlicher Lebensgestaltung heute« (180) wieder darauf zurückzukommen� Proseminar und Hermeneutik 93 3� Textanalyse (Textoberfläche, Texttiefenstruktur, Textpragmatik) [Texte/ Rezipienten und ihre Welten] 61 4� Gattungskritik (mit sozialgeschichtlichen und religionsgeschichtlichen Fragestellungen) [Autoren und ihre Welten] 5. Textanalyse gemäß der Textgattung [Texte und ihre Welten] 6� Vorgeschichte des Textes (Literar-, Form- und Redaktionskritik) [Autoren/ Texte und ihre Welten] 7� Traditionskritik und -geschichte [Autoren und ihre Welten] 8� Rezeptionsorientierte Exegese der Gegenwart [Sachen/ Rezipienten und ihre Welten] 9� Reflexion über die Exegese 62 - Auswertung [Dynamik des hermeneutischen Vierecks] In diesem Aufbau wird das hermeneutische Viereck so umgesetzt, dass eine synchrone Exegese der diachronen vorausgeht� Neben den Analyseschritten der Textoberfläche und der Texttiefenstruktur kommt der Rezeptionsästhetik bei der Textanalyse großes Gewicht zu, da hier die Voraussetzungen des gegenwärtigen Lesers methodisch durchdacht werden und die Studierenden lernen, ihre eigene Situation mit ihren Voraussetzungen einzubeziehen� Die rezeptionsorientierte Exegese der Gegenwart bietet viele Möglichkeiten, da sie bei unterschiedlichen Lebenswelten und Sachen ansetzt� Hier ist auch die konfessionelle Exegese angesiedelt� Das Kennenlernen verschiedener Methoden ist ein Ansatz der Hermeneutik, bei dem gezeigt wird, wie - insbesondere, wenn alle Methoden am gleichen Referenztext ausgeführt werden - unterschiedlich und vielfältig ein und derselbe Text zum Klingen gebracht wird� Dies relativiert einzelne methodische Schritte, indem sie diese als Teil einer komplexen Interaktion des hermeneutischen Zirkels sieht� Sie sieht sie als wissenschaftlich verantworteten Umgang einer Disziplin an, die nicht in den einzelnen Schritten aufgeht� Sie ist »ihrem Wesen nach hermeneutische Theologie« 63 und legt so Rechenschaft über den Glauben ab. 61 Hier empfiehlt es sich, die Sprechaktanalyse (vgl� Wagner, Sprechaktanalyse) sowie die ästhetische Dimension ( Jauß, Apologie, insbesondere die Tabelle »Fünf Modelle ästhetischer Erfahrung«, 46) eines Textes einzubeziehen� 62 Auf den Begriff »Gesamtinterpretation« wird wegen des bereits kritisierten Taxonomiewechsels verzichtet� Vielmehr geht es darum, die einzelnen Schritte in einen nachvollziehbaren Zusammenhang zu bringen, so dass von hier der Schritt zu einer Gesamtinterpretation oder zu einer Predigtdisposition mit entsprechender Schwerpunktsetzung vollzogen werden kann� Das Erstellen einer Predigtdisposition kann aus der Texttiefenstruktur abgeleitet und durch die darauf folgenden Schritte modifiziert werden� 63 Vgl� Körtner, Systematisch-theologisch, 248� 94 Stefan Fischer Literaturverzeichnis Alonso Schökel, Luis: A Manual of Hermeneutics (The Biblical Seminar 54), Sheffield 1998� Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments� Ein Methoden- und Arbeitsbuch ( UTB 2664), Tübingen 3 2011� Behrens, Achim: Das Alte Testament verstehen� Die Hermeneutik des ersten Teils der christlichen Bibel (Einführungen in das Alte Testament 1), Göttingen 2013. 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Wie die faktische Zitationspraxis in vielen Proseminararbeiten zeigt, ist es Studierenden häufig nicht bewusst, dass exegetische Forschungsliteratur sich in vielerlei Hinsicht (z� B� durch ihre Orientierung an einer spezifischen und klar umrissenen Forschungsfrage) von überblicksorientierter Studieneingangsliteratur unterscheidet, wobei die Herausforderungen für die Studierenden durch Grauzonen zwischen den genannten Polen noch vergrößert werden. Hinzu kommt ferner, dass auch ein Bewusstsein dafür ausgebildet werden muss, worin der fundamentale Unterschied zwischen Forschungsliteratur 1 auf der einen und 1 Ich verzichte auch in meinen Lehrveranstaltungen bewusst auf den m� E� misslichen Begriff »Sekundärliteratur«, der zum einen eine subtile Bewertungsdimension enthält, aus der man als Student/ in schließen könne, durch die »Primärliteratur« habe man einen direkten Zugang zu den Phänomenen. Zum anderen ist der Gegenbegriff »Primärliteratur« angesichts der verschiedenen, auch materiellen und nicht-schriftlichen Quellengattungen in den historischen Fächern unzureichend� Stattdessen bevorzuge ich die einfache Unterscheidung zwischen Quellen und Forschungsliteratur, wobei der Status einer Quelle nicht ontologisch begründet ist, sondern sich nur in Relation zu einer (exegetischen bzw� his- Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar 99 Quellen als der Erkenntnisgrundlage historischer Fächer auf der anderen Seite liegt� Um dieses Lernziel zu erreichen, reicht freilich das Verfassen einer Kurzrezension nicht aus� Die Lehr-/ Lernmethode, die ich im Folgenden vorstellen werde, 2 soll die skizzierte hochschuldidaktische Herausforderung konkret adressieren� Sie ist aus der Erfahrung erwachsen, dass Hinweise von Lehrenden im Vortragsstil und lange (meist unkommentierte) Literaturlisten eher das Gefühl der Unsicherheit und Überforderung angesichts des Überangebots an Studienliteratur und exegetischer Forschungsliteratur steigern und vielfach zu wenig dazu beitragen, eine kritische »Gattungskompetenz« und Einschätzungsfähigkeit des Nutzens von Studienliteratur auszubilden� Um dies zu erreichen, schreibt jede/ r Teilnehmer/ in des exegetischen Proseminars eine Kurzrezension zu einem ausgewählten Titel aus dem Bereich der Studieneingangsliteratur (verstanden in einem weiten Sinne)� Didaktische und organisatorische Einbettung der Lehr-/ Lernmethode in das Proseminar Auch wenn die Präsenzzeit im Exegetischen Proseminar angesichts der häufig beklagten »Fülle des Stoffes« schon ohne solch eine Zusatzaufgabe viel zu knapp erscheint, lohnt es sich aus der Sicht des Verfassers, etwa sieben Minuten einer jeden Einzelsitzung zu investieren, in denen ein Student/ eine Studentin die von ihm/ ihr verfasste Kurzrezension vorträgt� Es wird damit eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen, die Studierenden aktiv am Seminargespräch zu beteiligen und hilft den Studierenden, ihre Fähigkeiten im mündlichen Vortrag zu trainieren, ohne dass die Seminarkonzeption durch frei vorgetragene Referate zeitlich in Bedrängnis gebracht wird� Fakultativ kann die Schreibaufgabe damit verbunden werden, die Studierenden mit einem Wiki-System vertraut zu machen, um erste Hürden abzubauen, damit man dieses Medium leichter für andere Lehr-/ Lernmethoden in der Lehre der Bibelwissenschaften verwenden kann� 3 Die von den Studierenden verfassten Kurzrezensionen werden dann nicht nur im Seminar vorgelesen, sondern in einem internen Wiki veröffenttorischen) Fragestellung ergibt - also Forschungsliteratur zuletzt in Bezug auf rezeptions- und forschungsgeschichtliche Fragestellung selbst zur Quelle werden kann� 2 Die Idee zu dieser Lehr-/ Lernmethode geht auf den hochschuldidaktischen Austausch mit Christina Hoegen-Rohls zurück, der ich dafür an dieser Stelle ganz herzlich danken möchte� 3 Vgl� dazu Heilmann, E-Learning� 100 Jan Heilmann licht und können dort z� B� in Echtzeit, synchron zur Seminardiskussion überarbeitet werden� Es ist aus didaktisch-methodischer Sicht unbedingt angezeigt, die Länge der Kurzrezensionen strikt (z� B� in Form der Satzanzahl oder Zeichenzahl) vorzugeben (s� u�)� Dies erleichtert einerseits das Zeitmanagement während der Sitzung und ermöglicht, dass innerhalb der sieben Minuten auch noch Rückfragen gestellt und bei Bedarf zusätzliche Reflexionserläuterungen gegeben werden können� Andererseits hilft eine klar umgrenzte und vorgegliederte Schreibaufgabe den Studierenden, relativ niederschwellig in den Prozess der fachspezifischen wissenschaftlichen Schreibsozialisation einzusteigen, der für die Studierenden im Vergleich zu anderen Fächern und theologischen Fachdisziplinen wegen der besonderen Methodenorientierung und -reflexion in exegetischen Fachtexten und wegen einer gewissen Unschärfe bezüglich des Verhältnisses von Analyse und Darstellung 4 eine besondere Herausforderung darstellt� 5 Zur Niedrigschwelligkeit der Schreibaufgabe gehört auch, dass die Studierenden mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen einen klaren Adressaten ihrer Texte vor Augen haben - und sich damit etwa von (Pro)Seminararbeiten unterscheidet. Dies kann im Seminargespräch zum Anlass genommen werden, um gemeinsam mit den Studierenden über die Adressaten von studentischen Arbeiten zu reflektieren und bewusst zu machen, dass Seminararbeiten zwar als Übungstexte für den wissenschaftlichen Diskurs geschrieben werden, als Prüfungsleistung aber anderen Bewertungsnormen unterliegen und faktisch nur an die Prüferinnen oder Prüfer adressiert sind. Gerade im eigentlich zu schützenden Übungsraum eines Proseminars ist es daher didaktisch umso problematischer, dass durch die Modularisierung der Studiengänge Proseminararbeiten an vielen Universitäten als Prüfungsleistungen schon für die Abschlussnote relevant werden� 4 Vgl. dazu Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 350 f.; Finnern, Narratologie, 246. 5 Das an vielen Universitäten zentral zur Verfügung stehende Angebot von Schreibzentren sollte zwar (auf nachdrückliche Empfehlung der Lehrenden) unbedingt von den Studierenden genutzt werden, es dispensiert aber nicht davon, Angebote zur Ausbildung von fachspezifischen Schreibkompetenzen in die Konzeption von Lehrveranstaltungen der exegetischen Fächer zu integrieren oder vielleicht sogar halbtägige, spezifisch exegetische Schreibwerkstätten anzubieten� Es ist davon auszugehen, dass die fachspezifische Schreibsozialisation nur im Fach selbst durchlaufen werden kann und statt einem blinden Vertrauen auf die Zufälligkeiten des hidden curriculum möglichst dort einen Ort der Reflexion haben sollte� Vgl� dazu weiterführend z� B� Böttcher/ Czapla, Repertoires flexibilisieren; Frank/ Lahm, Schreiblabor� Zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht erschienen, aber für das Thema fachspezifische Schreibsozialisation/ -kompetenz und disziplinenorientierte Schreibdidaktik sicher sehr interessant: Lahm, Schreiben� Eine disziplinenorientierte Schreibdidaktik für die Lehre in den Bibelwissenschaften steht m� W� noch aus� Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar 101 Weitere, mit der Lehr-/ Lernmethode verbundene Lernziele bestehen darin, dass die Studierenden nicht nur die »Gattungen« der Studieneingangsliteratur und deren Einsatzzwecke kennenlernen, sondern durch das Konzipieren und Verfassen einer eigenen Kurzrezensionen mit der Gattung »Rezension« und deren Funktion im Wissenschaftsdiskurs vertraut gemacht werden� Dazu bietet es sich an, bei der Verteilung der Aufgabenstellung im Seminar einen Exkurs zu den Merkmalen und zum Stil von Rezensionen und zur Funktion des Rezensionswesens für den wissenschaftlichen Fachdiskurs einzuplanen� Um Verbindlichkeit herzustellen, eine klare Erwartungshaltung zu kommunizieren sowie Erwartungssicherheit auf der Seite der Studierenden zu erzeugen, erscheint es sinnvoll, die Aufgabenstellung in der ersten Sitzung in ausführlicher Form schriftlich auszuteilen und zusätzlich mündlich zu erläutern� Die im Folgenden abgedruckte Aufgabenstellung kann als Veranschaulichung und Vorlage dienen: Aufgabenstellung für die Studierenden Liebe Studierende, mit dem Besuch des Proseminars »Exegetische Methoden« wird von Ihnen erwartet, dass Sie eine Kurzrezension vorbereiten� Dahinter verbirgt sich eine Rezension eines Buches aus dem Bereich der Studieneingangsliteratur u� a� für Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, die, nachdem Sie den Text geschrieben haben, in der jeweiligen Sitzung von Ihnen vorgelesen und besprochen wird� Im Folgenden wird erläutert, wie diese Aufgabe bearbeitet werden soll: 1� Sie suchen sich das zu rezensierende Buch aus dem Bibliotheksregal heraus (ggf� im Semesterapparat) und gewinnen einen Eindruck von diesem Buch, indem Sie es selektiv rezipieren, d� h� Inhaltsverzeichnis, Einleitung und Schluss lesen, ein bis zwei zentrale Kapitel und den Rest diagonal/ quer lesen/ »überfliegen«� 2� Sammeln Sie in Stichworten die notwendigen Informationen für die Kurzrezension. Auf dieser Grundlage verfassen Sie dann Ihren Text. Es ist sinnvoll, sich vor der Schreibplanung und Abfassung der Rezension mit dem Stil von Rezensionen vertraut zu machen, indem sie selbst welche lesen� Rezensionen finden Sie in fachspezifischen Rezensionsmedien wie z� B� der Theologischen Literaturzeitung und in vielen exegetischen Fachzeitschriften� Eine Anleitung zur Abfassung von Rezensionen finden Sie zudem auf http: / / thlz�com/ rezen senten_wie-verfasst-man-eine-rezension.php. 3� Die Kurzrezension sollte aus etwa 10-15 Sätzen bestehen� Die Adressaten Ihres Textes sind Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen� Diese müssen 102 Jan Heilmann nach der Lektüre des Textes verstehen, wofür Sie dieses Buch z� B� bei Ihrem Selbststudium oder beim Abfassen Ihrer Seminararbeit konsultieren können und inwiefern sich die Lektüre des Buches lohnt� 4� Folgende Elemente sollte Ihre Kurzrezension enthalten/ Leitfragen: (a) Komplette Literaturangabe des Buches (b) Nur ein zusammenfassender Satz zum Verfasser des Buches: Lebensdaten; Lehrort, Forschungsgebiet� 1 Satz (c) Welcher »Gattung« kann man das Buch zuordnen? (Kommentare, Einleitungsliteratur, Einführungswerk, Bibelkunde, Methodenbuch, Arbeitsbuch etc�) 1 Satz (d) Welches Ziel verfolgt das Buch? 1 Satz (e) Beschreiben Sie den groben Aufbau des Buches� 3-5 Sätze [Bei einer Online-Veröffentlichung z� B� in einem Wiki: Setzen Sie einen Link auf das Inhaltsverzeichnis, das Sie bei den meisten Büchern online finden� Alternativ scannen Sie das Inhaltsverzeichnis ein und laden es in das Wiki hoch� Setzen Sie in diesem Fall einen Link auf das Dokument�] (f) Nennen Sie zusammenfassend die Vor- und Nachteile des Buches� Können Sie sich vorstellen, damit zu arbeiten und wofür ist es empfehlenswert? 3-5 Sätze (g) Weitere Verlinkungen auf bestehende Rezensionen oder den Bibliotheksstandort, die Seite beim Verlag o� ä� sind für Ihre Leserinnen und Leser wünschenswert� 5. Die Kurzrezensionen sind ordentlich zu formatieren und sollten im Kopf analog zu Protokollen, den Namen der Universität, der Fakultät bzw� des Instituts, den Namen der Lehrveranstaltung und des Dozenten/ der Dozentin, das Semester sowie den Namen der Rezensentin/ des Rezensenten und das Veröffentlichungsdatum vermerken� [Dies gilt auch, wenn die Rezensionen digital z� B� in einem Wiki veröffentlicht werden�] Die Verteilung der Titel kann durch eine vorbereitete Liste erfolgen, die für jede Sitzung einen konkreten Titel zur Vorstellung vorsieht� Dabei ist darauf zu achten, dass möglichst viele »Gattungen« der Studieneinführungsliteratur berücksichtigt werden� »Studieneingangsliteratur« ist hier im Übrigen sehr weit verstanden; so bietet es sich an, ebenfalls Kommentare, Handbücher u� ä� zu integrieren, die nicht im engeren Sinne als Studieneinführungsliteratur gelten, aber von den Studierenden doch relativ früh im Studium konsultiert werden (sollten)� Die nachfolgende Liste ist als Anregung zu verstehen und kann beliebig modifiziert werden� Die Liste enthält pro Sitzungstermin zwei Bücher, die entweder zur Wahl gestellt oder bei größeren Seminargruppen für zwei Buchvorstellungen verwendet werden können� Möchte man die Lernzeit im Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar 103 Seminar begrenzen, die man für die Kurzrezensionen investieren muss, ist es auch möglich, dass die Kurzrezensionen in kleinen Teams geschrieben werden� Wie bei allen Aufgaben, die man den Studierenden gibt, ist es allerdings didaktisch unbedingt angezeigt, die Aufgaben der Studierenden im Seminargespräch dadurch zu würdigen, dass sie präsentiert und zumindest kurz diskutiert und kommentiert werden� Für das AT-Proseminar: Datum Buch Rezensent/ Rezensentin Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments� Ein Methoden- und Arbeitsbuch ( UTB 2664), Tübingen 2 2008; Steck, Odil Hannes: Exegese des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 14 1999� Gertz, Jan Christian u. a. (Hg.): Grundinformation Altes Testament� Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments ( UTB 2745), Göttingen 3 2009; Köhlmoos, Melanie: Altes Testament ( UTB basics), Tübingen/ Basel 2011� Schmitt, Hans-Christoph, Arbeitsbuch zum Alten Testament. Grundzüge der Geschichte Israels und der alttestamentlichen Schriften ( UTB 2146), Göttingen 2005; Schmid, Konrad: Literaturgeschichte des Alten Testaments� Eine Einführung, Darmstadt 2008� Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments� Die kanonischen und apokryphen Schriften� Mit Lernübersichten von Dirk Schwiederski, Neukirchen-Vluyn 8 2013; Horst Dietrich Preuss, Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments 1: Altes Testament ( UTB 887), Tübingen 5 2006� Frevel, Christian: Geschichte Israels ( KS tTh 1,2), Stuttgart 2015; Edzard, Dietz Otto, Geschichte Mesopotamiens� Von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen, München 2 2009� 104 Jan Heilmann Görg, Manfred: Religionen in der Umwelt des Alten Testaments III . Ägyptische Religion, Wurzeln - Wege - Wirkungen ( KS tTh 4,3), Stuttgart 2007; Bonnet, Corinne/ Niehr, Herbert: Religionen in der Umwelt des Alten Testaments II � Phönizier, Punier, Aramäer ( KS tTh 4,2), Stuttgart 2010� Hutter, Manfred: Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I� Babylonier, Syrer, Perser ( KS tTh 4,1), Stuttgart 1996; Donner, Herbert: Einführung in die biblische Lands- und Altertumskunde, Darmstadt 2 2008; Vieweger, Dieter: Archäologie der Biblischen Welt, Gütersloh 2012. Gerstenberger, Erhard S.: Theologien im Alten Testament� Pluralität und Synkretismus alttestamentlichen Gottesglaubens, Stuttgart 2001; Schmidt, Werner H.: Alttestamentlicher Glaube, Neukirchen-Vluyn 11 2011� Wolff, Hans Walter: Anthropologie des Alten Testaments� Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski, Gütersloh 2010; Janowski, Bernd: Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2 2006� Koch, Klaus: Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese, Neukirchen-Vluyn 1964; Fischer, Alexander Achilles: Der Text des Alten Testaments� Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein, Gütersloh 2009. Dohmen, Christoph/ Stemberger, Günther: Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments ( KS tTh 1,2), Stuttgart 1996; Oeming, Marnfred: Biblische Hermeneutik� Eine Einführung, Darmstadt 2 2007� Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar 105 Für das NT-Proseminar: Datum Buch Rezensent/ Rezensentin Ebner, Martin/ Heininger, Bernhard: Exegese des Neuen Testaments� Paderborn 3 2015; Egger, Wilhelm/ Wick, Peter: Methodenlehre zum Neuen Testament� Biblische Texte selbständig auslegen, Freiburg u� a� 6 2011� Conzelmann, Hans/ Lindemann, Andreas (Hg�): Arbeitsbuch zum Neuen Testament� ( UTB 52), Tübingen 14 2004; Alkier, Stefan: Neues Testament, Tübingen 2010� Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 8 2013; Ebner, Martin/ Schreiber, Stefan (Hg�): Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008� Bienert, David C�: Bibelkunde des Neuen Testaments, Gütersloh 2010; Bormann, Lukas: Bibelkunde. Altes und Neues Testament, 2014� Thyen, Hartwig: Das Johannesevangelium ( HNT 6), Tübingen 2005; Bultmann, Rudolf: Das Evangelium des Johannes ( KEK 2), Göttingen 17 1962� Zimmermann, Ruben (Hg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007; Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen� Bd� 1: Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013. Theißen, Gerd/ Merz, Anette: Der historische Jesus. Göttingen 4 2011; Stemberger, Günter: Pharisäer, Sadduzäer, Essener� Fragen, Fakten, Hintergründe, Stuttgart 2013� Stegemann, Ekkehard W�/ Stegemann, W�: Urchristliche Sozialgeschichte: Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart 2 1997; Ebner, Martin: Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen ( GNT 1,1), Göttingen 2012. 106 Jan Heilmann Schröter, Jens/ Zangenberg, Jürgen K� (Hg�): Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 2013; Schnelle, Udo (Hg�): Neuer Wettstein� Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Band I/ 1�1� Texte zum Markusevangelium, Berlin/ New York 2008� Berger, Klaus: Hermeneutik des Neuen Testaments, Tübingen/ Basel 1999; Wischmeyer, Oda: Hermeneutik des Neuen Testaments� Ein Lehrbuch ( NET 8), Tübingen/ Basel 2004� Hahn, Ferdinand: Theologie des Neuen Testaments� Band 1 und 2, Tübingen ³2011; Schnelle, Udo: Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007. Literatur Böttcher, Ingrid/ Czapla, Cornelia: Repertoires flexibilisieren� Kreative Methoden für professionelles Schreiben, in: Perrin, Daniel u�a� (Hg�): Schreiben� Von intuitiven zu professionellen Schreibstrategien, Wiesbaden 2002, 184-202. Finnern, Sönke: Narratologie und biblische Exegese� Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28 ( WUNT II / 285), Tübingen 2010� Frank, Andrea/ Lahm, Swantje: Das Schreiblabor als lernende Organisation� Von einer Beratungseinrichtung für Studierende zu einem universitätsweiten Programm Schreiben in den Disziplinen, in: Hirsch-Weber, Andreas/ Scherer, Stefan (Hg�): Wissenschaftliches Schreiben in Natur- und Technikwissenschaften, Wiesbaden 2016, 9-18. Heilmann, Jan: E-Learning und Forschendes Lernen mit Wikis in der Lehre der Bibelwissenschaften� Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? VvAa 1 (2016), 77-100� Lahm, Swantje: Schreiben in der Lehre� Handwerkszeug für Lehrende, Stuttgart 2016� Utzschneider, Helmut/ Nitsche, Stefan A�: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 4 2014� Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Die Chance des Anderen: Lektüre von Bibeltexten mit fachfremden Studierenden Christian Stein Die Idee einer besonderen Lehrveranstaltung Ausgangspunkt des folgenden Artikels sind Erfahrungen und damit zusammenhängende Überlegungen aus einer Lehrveranstaltung, die von 2012 bis 2014 regelmäßig am Evangelischen Fachbereich der Universität Frankfurt angeboten wurde� Das Besondere an dieser Seminaridee ist, dass sie nicht die Studierenden der Evangelischen Theologie, sondern Studierende aus anderen Studiengängen in den Blick nimmt� Sie richtet sich ganz klar nach außen, spricht Studierende anderer Fachbereiche an und fordert zu einem Studium mit interdisziplinären Anteilen auf� Vor allem Studierende unterschiedlicher BA-Studiengänge müssen häufig eine »fachfremde« Veranstaltung besuchen und dort eine mehr oder weniger (abhängig von der jeweiligen Studienordnung) große Leistung erbringen� Statt Studierende anderer Fächer an klassisch-theologische Vorlesungen und Seminare zu verweisen, hat sich der Frankfurter Fachbereich dazu entschlossen, der hohen Nachfrage aus anderen Disziplinen aktiv zu begegnen� Es wurde ein eigenes Lehrangebot geschaffen, welches den Ansprüchen und den Fragen Studierender aus nicht christlich-theologischen Studiengängen in geeigneter Weise begegnet und sich für diese Begegnung entsprechend Raum und Zeit nehmen kann� Mit der Verankerung interdisziplinärer Module in den neueren Bachelor- und Masterstudienordnungen ist solch ein Angebot gefragt und kann entsprechend als Studienleistung angerechnet werden� Die hohe Nachfrage durch Institute sowie durch Studierende zeigt, dass eine solche Lehrveranstaltung, die den Kontakt mit anderen Studienfächern nicht scheut und sich aus der eigenen 108 Christian Stein Fachnische herauswagt, zeitgemäß ist und eine Lücke im universitären Lehrplan zu füllen vermag� Die Lehrveranstaltung ist in großen Teilen von Lektüreprozessen biblischer Texte bestimmt� Dabei rückt sie den Leser in den Mittelpunkt und zielt auf eine eigene Auseinandersetzung mit dem Text sowie auf eine Reflexion des Lektürevorgangs� Dies geschieht immer mit Blick auf das jeweilige »eigentliche« Studienfach der Studierenden und unter Einbringung der dort gelernten Lesetechniken und wissenschaftlichen Methoden� In Zusammenhang mit diesen Lektüreprozessen kommen verschiedene Aspekte zum Vorschein, die die Fremdheit biblischer Texte zeigen und unter anderem vor Augen führen, dass mediale Inszenierungen biblischer Texte oder Bezüge auf biblische Texte nicht als solche erkannt werden� 1 Schnell wird die mediale Inszenierung (und Umdeutung) als pure Wiedergabe des Textes (der den Studierenden unbekannt ist) angesehen, so dass der Eindruck entsteht, man hätte nun Wissen über Texte aus der Bibel erhalten� Studierende wissen teilweise um ihre Lücke im Bereich des Bibelwissens und möchten diesen Umstand ändern� Es herrscht ein gewisses Bewusstsein dafür, dass die »westlichen Kulturen in Geschichte, Gegenwart und absehbarer Zukunft ohne die Grundlage der Bibel nicht umfassend zu verstehen« 2 sind� Zwar spielen auch die Entstehungssituationen der Texte und die historischen Hintergründe eine Rolle; es geht jedoch mehr darum, die Studierenden an die Sinnpotentiale der Texte heranzuführen, sie (die Studierenden) dazu zu ermuntern, zu Lesern zu werden, die durch ihre eigene Person den Text auf eine einzigartige Weise zum Sprechen bringen, mit Hilfe des eigenen Studienfachs den Text zu ergründen, seine Strukturen, Konzepte und Strategien zu benennen und schließlich daran weiter zu arbeiten, die Texte mit dem eigenen Fach in Kontakt zu bringen bzw� bereits vorhandene Bezüge und/ oder Parallelen zu entdecken� Die Studierenden werden auf diese Weise Teil der »Dialoggeschichte der Bibel« 3 und erfahren, welche Vielfalt in den Texten zu entdecken ist� Dabei gilt zu bedenken, dass der jeweils gelesene Text niemals für sich steht� Er ist nicht isoliert, sondern wird unter einer Vielzahl von Vorbedingungen und mit Voreinstellungen gelesen� 4 Nicht selten steht am Ende der studentischen Lektüre keine Eigeninterpretation, sondern die Präsentation 1 So berichteten mehrere Studierende während der Lehrveranstaltung, dass sie Teile des Films (noch nicht einmal des Buchs) »The Da Vinci Code - Sakrileg«, welcher auf dem Roman »Sakrileg« von Dan Brown beruht, als Nacherzählung biblischer Texte aufgefasst hätten� 2 Müller, Schlüssel, 12� 3 Vgl� Theißen, Bibel, 172� 4 Im Gegensatz zu Hieke, Verstehen, 75, ist in einer solchen Lehrveranstaltung, in so einer Lesesituation nicht der Kanon der erste Kontext, sondern vielmehr das kulturelle Gedächtnis/ die Enzyklopädie der Studierenden� Die Chance des Anderen 109 von kulturell weitergegebenen Deutungen� Meinungen (nicht selten Vorurteile) über Christentum und Kirche versperren manchmal den Blick auf die Texte und müssen abgebaut werden, damit ein echter Kontakt zwischen Studierenden und Text überhaupt erst möglich wird� 5 Eine Lehrveranstaltung, die den Lektüreprozess biblischer Texte mit Studierenden aus nicht-christlich-theologischen Studiengängen in den Mittelpunkt rückt, muss also dreierlei ermöglichen: den unmittelbaren Kontakt zu den Texten, die Verknüpfung von bereits erworbenem Fachwissen mit dem neu erworbenen Wissen über biblische Texte und die Fähigkeit, sich mit der Bibel und ihren Fragen selbst auseinanderzusetzen� 6 Der vorliegende Artikel zielt darauf, konzeptuelle Ideen der Lehrveranstaltung darzulegen, die gesammelten Erfahrungen zu strukturieren und Herausforderungen sowie Begegnungsansätze zu formulieren� Der Artikel möchte die Zielgruppe und ihre Besonderheiten im Rahmen der Bibellektüre herausstellen und die damit verbundenen didaktischen Herausforderungen benennen� Die Zielgruppe Eine Lehrveranstaltung, die eine zunächst nicht näher greifbare Zielgruppe (bis auf den Umstand, dass es keine Theologiestudierenden sind) besitzt und für Studierende aller Fachbereiche (und damit auch aller Studiengänge) offen ist, muss einer äußerst heterogenen Gruppe und ihren Erwartungen und Ansprüchen gerecht werden� Sitzen Studierende der Islamischen Studien mit Studierenden der Philosophie, der Literaturwissenschaft und den Wirtschaftswissenschaften zusammen, so eint diese Menschen zunächst nur ein Aspekt: Sie sind an den Texten der Bibel interessiert� Es handelt sich der Erfahrung nach um Studierende, die zunächst keinen (ausgeprägten) eigenen Zugang zur Bibel als Gesamtwerk und/ oder zu ihren Einzeltexten besitzen, 7 diesen Umstand jedoch aus eigenem Antrieb ändern möchten� Die Basis für dieses Interesse, die Motivationen der Studierenden, diese Texte zu lesen, sich zu erschließen und einen eigenen Kontakt herzustellen, sind jedoch noch vielfältiger als die vertretenen Studiengänge� Mal geht es um das Vertiefen der im schulischen Religionsunterricht gesammelten Erfahrungen, mal um die außerschulischen Prägungen aus der eigenen Kindheit� Bei anderen handelt es sich um Interesse an einer ihnen fremden oder ihnen fremd 5 Siehe dazu auch die Abschnitte Praxis des Lesens und Das scheinbar Bekannte � 6 In Anlehnung an Müller, Schlüssel, 12� 7 Interessanterweise ist es wirklich nur jene Gruppe Studierender, die immer wieder eine solche Veranstaltung besucht� Studierende mit einem eigenen Zugang zum Text scheinen sich für das Angebot weniger zu interessieren� 110 Christian Stein gewordenen Religion� Es gibt selbstverständlich auch solche, die um die Bibel als besonderes Kulturgut wissen und eine gewisse inhaltliche Lücke gefüllt wissen möchten� Dabei ist jedoch zu betonen, dass diese hier nur auszugsweise und in ihrer Komplexität reduziert genannten Motivationen nur sehr selten so eindeutig zu benennen sind� Vielmehr bringt jede/ r Teilnehmende mehrere Motivationen und Interessen mit� Diese vermischen sich miteinander, werden von der jeweiligen fachspezifischen Perspektive und nicht zuletzt der eigenen Biografie und biografisch-kulturellen Vorerfahrungen geprägt und ergeben vor allem in Kombination mit anderen Seminarteilnehmenden ein schwer fassbares Konglomerat aus Motivationen, Interessen und Grundeinstellungen hinsichtlich der biblischen Texte� Die Ansichten, um was es sich bei der Bibel handelt (literarisches Werk, Kulturgut, historische Quelle, göttliche Offenbarung, Steinbruch für mediale Umsetzungen und Ideen etc�), sind so unterschiedlich wie die Motivationen und nur selten eindeutig zu benennen� Zwar schaffen es Studierende, eine mehr oder weniger eindeutige Antwort auf die Frage, was die Bibel sei, zu geben� Im Verlauf der Lehrveranstaltung zeigt sich aber oft, dass diese Eindeutigkeit nur oberflächlich ist� Das erwähnte Zusammenspiel aus Motivationen, Interessen und Grundeinstellungen ist für den Lektüreprozess und die sich daran anschließende Aneignungsphase von Wissen über die biblischen Texte von hoher Bedeutung und zeigt, dass es mit dem bloßen Feststellen von vorhandenem Interesse seitens der Studierenden nicht getan ist� Die zugrunde liegenden Interessen müssen ergründet, differenziert betrachtet und hinsichtlich ihrer Perspektiven und Auswirkungen für Lehre und den darin beinhalteten Leseprozess beachtet werden� Die Zielgruppe einer Lehrveranstaltung, die die Lektüre biblischer Texte mit Studierenden aus nicht-christlich-theologischen Studiengängen als Mittelpunkt besitzt, ist äußerst heterogen und hält damit immer wieder neue Herausforderungen und zu beachtende Elemente bereit� Nicht zuletzt können sehr gegensätzliche Anschauungen und Positionen in einer solchen Gruppe aufeinandertreffen und durch polarisierendes Verhalten den Leseprozess im Seminar nachhaltig (positiv und negativ) beeinflussen� Praxis des Lesens (Probleme und Herausforderungen) In Hinblick auf das Lesen biblischer Texte mit Studierenden ist vor allem eines zu bedenken: Im Alltag gibt es schon seit längerem (vgl� bspw� Ebeling sowie Daiber 8 ) keinen Ort und keine Selbstverständlichkeit der Bibellektüre mehr� 8 Ebeling, Wiederentdeckung, 7, und Daiber, Bibelfrömmigkeit, 103 ff� Die Chance des Anderen 111 Auch die Allensbachumfrage von 2005 (IfD-Umfrage 7074) 9 zeigt, dass die biblischen Texte immer fremder und unbekannter werden� Das Lesen der Bibel findet (meistens) in bestimmten Kontexten statt� 10 Außerhalb dieser Kontexte gilt die Beschäftigung mit der Bibel oftmals als befremdlich� Einige dieser Kontexte werden nicht unbedingt mit positiven Assoziationen belegt. Gottesdienste gelten als konservativ, langweilig, abständig� Der Bibellesekreis wird schnell in eine fundamentalistische Ecke gerückt� Kurzum: Studierende haben zunächst keinen Zugang zur Lektüre dieser Texte� Durch ihre jeweils eigene Biographie bringen sie ein Interesse an den Texten mit, hatten jedoch (bisher) Hemmungen (vielleicht auch keinen Anlass), eine eigenständige Lektüre zu wagen� Sie müssen erst ihren eigenen Weg finden, sich damit vertraut zu machen, dass diese Texte gelesen werden wollen, und erkennen, dass das Lesen nicht automatisch eine religiöse Handlung darstellt� Oft kann man feststellen, dass Studierende etwas über die Texte lernen wollen� Um allerdings mit den Texten zu lernen, sich mit ihnen eingehend zu beschäftigen, bedarf es zunächst des Abbaus einer Hemmschwelle� Es finden sich also neben dem Interesse auch noch die Hemmungen der Studierenden, welche eine Eigendynamik, eine Emanzipation hin zum Bibellesen blockieren� An dieser Stelle gilt es anzusetzen, die verschiedenen Zugänge und Grundeinstellungen zur Lektüre deutlich zu machen und anzubieten, der Reduzierung der Lektüregelegenheiten 11 Erfahrungsräume entgegenzusetzen� Die Beschäftigung mit der Bibel ruft, wie bereits beschrieben, eine Reihe von (durchmischten und nicht voneinander zu trennenden) Grundhaltungen hervor� Durch die Vielzahl von Prägungen und Interessen gibt es Perspektiven und Erwartungen an die Lehrveranstaltung (und auch an die Texte), die es erst zu erfassen und dann aufzugreifen gilt� Hierzu zählt auch, dass verschiedene kulturelle Einflüsse auf das Vorverständnis der Studierenden einwirken� Sollen am Ende der Lehrveranstaltung die Studierenden sich selbstständig und reflektiert mit den Texten auseinandersetzen können, muss die Lehrveranstaltung dieser Vielzahl an Elementen begegnen, ihnen Rechnung tragen und sich den daraus eventuell resultierenden Herausforderungen und Irritationen bewusst sein sowie den Leseprozess der Studierenden dementsprechend anleiten und begleiten� Oft fordern Studierende eine gewisse Eindeutigkeit der Texte ein� Werden sie dann jedoch mit der Vielfalt der Textdeutungen in Berührung gebracht, entstehen Überraschung, Irritation, Verwirrung, die sich in eine aktive 9 Bericht zur Studie einsehbar unter: http: / / www.ifd-allensbach.de/ uploads/ tx_reportsn docs/ prd_0520�pdf, letzter Zugriff am: 08� 06� 2016� 10 Müller, Schlüssel, 12, und Ebeling, Wiederentdeckung, 7: »Der Bibelgebrauch ist […] geschrumpft�« 11 Müller, Schlüssel, 12� 112 Christian Stein Neugier verwandeln lassen� Diese kann wiederum in eine selbstständige Auseinandersetzung (Lektüre, Untersuchung, Reflexion, Anbindung an das eigene Fach) mit den Texten münden� Ähnlich verhält es sich mit der verhältnismäßig stark eingeforderten historischen Kritik� Studierende zeigen sich interessiert an Entstehung (sowohl historischer Kontext, als auch Komposition und Redaktion) und Alter der Texte; begegnen sie dann Erkenntnissen der historischen Kritik, mischt sich in das Interesse eine gewisse Verwirrung, wie die Texte zu verstehen sind� Es entsteht eine Spannung zwischen Erwartung (und Voreinstellung) und vermittelten Inhalten� Diese Spannung wird ggf� durch den Zugang und den methodischen Umgang mit dem Text erhöht� Studierende zeigen hohes Interesse am theologischen Methodenkanon, stellen dann jedoch die Frage nach dem Umgang mit der Heiligen Schrift (auch wenn die Bibel für sie selbst vielleicht gar nicht als heilig gilt, so wissen sie doch um diesen Stellenwert für andere Angehörige des Christentums)� Die Bibel mit ihren vielfältigen Eigenschaften, allen voran dem Umstand, dass sie »eine Sammlung von Einzelschriften, nach Umfang, Form und Inhalt sehr verschieden und in einem Zeitraum von über tausend Jahren enstanden« 12 ist, stellt sich einem Erstrezipienten sehr schnell als ein Buch dar, das nicht einfach zu lesen ist� In ihrem Aufbau und ihren Texten entspricht sie nicht heutigen Texten� In der ersten Begegnung sieht man sich mit »dem Dickicht dieses Buches« 13 konfrontiert und fühlt sich schnell hilflos� 14 Diese besondere Struktur macht es schwierig (nahezu unmöglich), interessierten Studierenden in sehr kurzer Zeit ein umfassendes Wissen zu vermitteln� Von einer frontalen Vermittlung von Wissen über die Bibel ist jedoch abzusehen� Vielmehr muss es um eine Verbesserung der intrinsischen Lektürebedingungen, einen Abbau der Hemmschwelle zum eigenen Lesen gehen� Studierende müssen einen Zugang zu den Texten finden� Die eigene Leseerfahrung soll ihnen ermöglicht und eröffnet werden� Dazu gehört natürlich auch, dass Ihnen Hilfsmittel zur eigenen Erschließung bereitgestellt und auffindbar gemacht werden� Die vorhandene Recherche- und Methodenkompetenzen der Studierenden müssen mit Blick auf biblische Texte hin erweitert werden� Die Studierenden sollten in ihrer jeweils eigenen Kompetenz, sich mit den Texten auseinanderzusetzen, bestärkt werden und eine Passivität gegenüber der Bibel und ihren Texten überwinden, indem sie sich in das Lesen der Texte hineinbegeben und so eine eigene Dynamik entsteht� 12 Müller, Schlüssel, 13� 13 Ebeling, Wiederentdeckung, 7� 14 Ebeling, Wiederentdeckung, 7� Die Chance des Anderen 113 Das scheinbar Bekannte Die heutige Studierendengeneration (oder zumindest Teile von ihr) lässt sich in Bezug auf die Bibel und ihre Texte als Erstrezipienten des 21. Jahrhunderts (im Weiteren der Kürze halber: Erstrezipienten ) beschreiben� Es sind Menschen (Leser), die ein Interesse an der Bibel besitzen und dabei über ein diffuses Wissen von diesen Texten, der christlichen Kirche und dem Christentum als Religion verfügen� Wissen und Interessen sind unterschiedlich stark ausgeprägt� Die Erstrezipienten stehen inmitten einer »Gegenwartskultur, in der biblische Texte gelesen und verarbeitet werden«� 15 Sie sind sich dessen aber nur selten bewusst� Unterschwellige Anspielungen und Verweise entdecken sie nicht, da sich ihr Wissen oftmals auf vorgeprägte Bilder und Auslegungen, auf Reduktionen (Ebeling spricht von einer Verzerrung 16 ) der Texte und nicht auf die Texte selbst erstreckt� Sie sind weit von den kulturellen Produktionsbedingungen der biblischen Texte entfernt und besitzen keinen Überblick über die Rezeptionsvorgänge dieser Texte� Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) gilt die Bibel als »bekannt«� Die Bibel ist jedoch nur vermeintlich bekannt� Bei einer Auseinandersetzung mit den Texten entdecken die Studierenden dann jedoch die Fremdheit dieser Texte� Müller 17 sieht in der vermeintlichen Bekanntheit der Bibel den Grund für eine geringe Lesebereitschaft (man liest nicht, was man schon zu kennen glaubt)� Wichtiger ist m� E� jedoch der Umstand der vorschnellen bzw� vorgeprägten Interpretation der Texte, die den eigenen Leseprozess behindert, ihm geradezu im Wege steht und einen echten Kontakt des Individuums mit dem Text verhindert� Die Texte sind aufgrund der vermeintlichen Bekanntheit der Bibel nur halb fremd� Oft sind sie verfälscht oder verkürzt im kulturellen Gedächtnis der Studierenden vorzufinden. Selten hat jemand noch nie z� B� von Adam und Eva gehört, aber gerade durch diesen Umstand werden Fremddeutungen und Dogmen (auch wenn es vielleicht die Dogmen der eigenen Überzeugung oder Glaubensgemeinschaft sind) in die Texte hineingelesen, so dass der Lektüreprozess bereits von Beginn an stark beeinflusst, also nicht neutral, sondern verzerrt ist� Dieses Eintragen von vorgeprägten Deutungen stellt eine der größten Herausforderungen für die Lehrenden dar� Interessanterweise scheinen viele dieser Deutungen auf Prägungen aus Schule und Kindergarten zurückzuführen zu sein, denen aber scheinbar kein offener Lektüreprozess voranging. Gerade wegen dieser Eintragungen muss den Erstrezipienten bewusst gemacht werden, dass Bibel und Christentum nicht in 15 Alkier, Sehen, 87� 16 Ebeling, Wiederentdeckung, 7� 17 Müller, Schlüssel, 13� 114 Christian Stein eins zu denken sind - Studierende tragen sehr schnell Dogmen und heutige Vorstellungen in die Texte ein bzw� suchen diese in den Texten� Dabei kann es zu einer vorschnellen Aktualisierung (im Sinne einer übereilten Übernahme von Fremdinterpretationen o� ä�) der Texte mit Hilfe von anderem Wissen kommen, wodurch die Lektüre beeinträchtigt wird� Diesen Interpretationen muss man begegnen, sie aushalten und die Studierenden dazu anleiten, den Text in seiner Fremdheit zunächst erst einmal zu lesen, ihn dann ggf� in seinen geschichtlichen Kontext einzuordnen und spätere Interpretationen und Entwicklungen davon zu trennen� 18 Genauso wie für Schülerinnen und Schüler ist die Bibel für die Erstrezipienten des 21� Jahrhunderts ein »Niemandsland«, 19 von dem sie zwar schon viel hörten, selbst aber noch nie dort waren� Diese eingeschränkte Fremdheit ist als Ausgangspunkt zunächst zu akzeptieren, 20 dabei gilt jedoch: »Fremdheit ist - didaktisch betrachtet - aber kein schlechter Ausgangspunkt. Niemandsland kann bedeutungslos sein, sich aber zur Relevanz hin öffnen� Ein Begegnungsprozess […] muss aber gestaltet werden, damit er gelingen kann�« 21 Studierende, die ein Seminar zur Bibel besuchen, bringen, wie erwähnt, bereits Interesse mit und erkennen auch eine gewisse Relevanz für das eigene Studium� Der Begegnungsprozess startet also unter günstigen Bedingungen� Studierende müssen damit vertraut gemacht werden, dass biblische Texte trotz aller gesellschaftlichen Bekanntheit fremde Texte sind, die anderen Rationalitätsmustern folgen und von fremden Welten erzählen� Doch gerade diese Fremdheit gilt es zunächst bewusst zu machen und dann zu nutzen, um sie den Studierenden als wertvolle und anspruchsvolle Texte, die gelesen werden wollen, bewusst zu machen� 22 Es gilt, die Studierenden für den Umstand zu sensibilisieren, dass die Texte fremder sind, als sie zunächst anmuten� »Wir müssen bei jedem einzelnen Wort damit rechnen, dass es in diesem Text etwas anderes bedeutet, als wir es gewohnt sind«� 23 Die Erstrezipienten der Texte müssen erkennen, dass sie die Texte selbst entdecken können und müssen� »Denn es geht nicht darum, uns von den fremden Texten das erzählen zu lassen, was wir ohnehin wissen� Das würde heißen, sie zu okkupieren, anstatt ihnen zu begegnen�« 24 Diese unver- 18 Es wäre begrüßenswert, wenn die Systematische Theologie diesem Phänomen begegnen würde. Studierende wissen oftmals nur sehr wenig über christliche Dogmen - heraus kommen verkürzte, meist aus Medien übernommene Bilder, die der christlichen Theologie nicht gerecht werden� 19 Müller, Schlüssel, 58. 20 Müller, Schlüssel, 58. 21 Troue, Fäden, 263� 22 Alkier/ Dressler, Wundergeschichten, 167; Müller, Verstehst du, 144� 23 Alkier/ Dressler, Wundergeschichten, 181� 24 Alkier/ Dressler, Wundergeschichten, 183� Siehe auch Müller, Schlüssel, 83: »Die Texte in ihrer Fremdheit wahrzunehmen, bewahrt davor, in ihnen nur das zu finden, was man Die Chance des Anderen 115 fälschte Begegnung zu ermöglichen, ist Aufgabe der Lehrveranstaltung� Dies bedeutet immer wieder, gewissen vorschnellen Deutungen entgegenzuwirken und Studierende dazu zu ermutigen, sich auf den Text einzulassen, um selbstbestimmt eine eigene Perspektive einzunehmen� Würde die Begegnung nur in das Vorfinden von ohnehin Bekanntem münden, würde dies eine Bestätigung des Eindrucks, man kenne die Texte bereits, darstellen und die Lektürebereitschaft bei den Erstrezipienten im Keim ersticken� Warum sollte man lesen, was man bereits kennt? In der Lehrveranstaltung geht es also darum, die Fremdheit(en) der Texte zu entdecken, mit ihr konfrontiert zu werden und gemeinsam mit Studierenden eine Begegnung zu ermöglichen, die Interesse und Neugier weckt� Relevanz und Wert biblischer Texte können so für das eigene Studienfach erfahrbar werden� Im Bestreben, diese Fremdheit der Texte bewusst und erfahrbar zu machen, ist der auf Alkier/ Dressler basierende Ansatz Rusters, gemeinsam mit Lernenden das biblische Wirklichkeitsverständnis 25 zu erkunden, von der Schule auf die Hochschule übertragbar� Zwar gibt es hinsichtlich Alter, Selbstständigkeit, Kompetenzen und Vorprägungen einige Unterschiede zu Schülerinnen und Schülern in der allgemeinbildenden Schule� Jedoch sind das grundlegende Anliegen, die Texte gemeinsamen mit den Lernenden hinsichtlich der Textwelt zu erkunden, sowie eine Teilhabe an einer fremden Erfahrung 26 gewinnbringend� Während Ruster die Lernenden beschreibt, indem er sie allgemein als Crew eines Raumschiffs sieht, muss bei der Lektüre mit Nicht-Theologen beachtet werden, dass es sich hier um (fortgeschrittene) Studierende aus anderen Fächern mit einem jeweils eigenen Methodenkanon handelt� Jeder Studierende ist also, um das Bild der Raumfahrer weiter zu bemühen, ein Spezialist in der Crew� Die Crew setzt sich aus vielen Spezialisten zusammen und besitzt damit einen breite Auswahl von Perspektiven, Methoden und Herangehensweisen� Im Rahmen der Lektüre mit Erstrezipienten zeigt sich, dass die Bibel - auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird - eben kein Buch mit sieben Siegeln ist. Der so oft bemühte Vergleich mit dem Buch aus Offb 5 legt nahe, dass die Bibel ein Buch ist, dass kein normaler Mensch auftun ( in diesem Kontext sich erschließen) kann� Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet diese Bezeichnung auch, dass man ein Thema, eine Sache bereits aufgab und sich nicht mehr damit auseinandersetzen möchte� Es zeigt sich jedoch, dass die Bibel ein scheinbar bekanntes Buch ist, das schon vor jeder eigenen Lektüre mit solch starken gesellschaftlich-kulturell überlieferten Eindrücken belegt wird, dass Erstrezipienten ohnehin schon weiß oder zu wissen glaubt�« 25 Den Ausdruck übernimmt Ruster von Marquardt, Bekenntnis, 172� 26 Ruster, Welt, 202� 116 Christian Stein davor zurückscheuen und sich nicht alleine an den Leseprozess herantrauen� Bei einer angeleiteten Lektüre zeigen sich Anknüpfungspunkte� So wird die Bibel zu einem symbol- und motivstiftenden Text - Motive, Symbole und Themen, die bereits aus anderen Kontexten den Studierenden bekannt sind, treten hervor� Ein Buch mit sieben Siegeln wäre die Bibel dann, wenn die Studierenden sie »nicht auftun könnten«, kein Zugang möglich wäre (weder durch sich selbst noch durch andere)� Es bedarf hingegen nur geringer Impulse, dem Abbau einer anfänglichen Unsicherheit, um den Zugang (durch das eigene Fach) zu ermöglichen� Die Motivation, das Fremde kennenzulernen, ist bei Vielen vorhanden� Studierende sind (in Anlehnung an Alkier und Ruster) »Spezialisten-Raumfahrer« - sie können die Texte der Bibel und ihr Diskursuniversum selbstständig entdecken, die eigene Enzyklopädie erweitern und aus biblischen Texten neue Erkenntnisse für das eigene Fach und die eigene Person gewinnen� Überlegungen zur Textauswahl: »Pars pro toto-- aber welches? « Eine Gesamtlektüre der Bibel ist innerhalb eines Jahres möglich. Innerhalb eines Semesters im Rahmen einer Lehrveranstaltung, die mehr erreichen möchte, als eine angeleitete Lektüreübung, ist dies hingegen nicht zu realisieren� Es liegt nahe, nur bestimmte Texte der Bibel mit den Studierenden zu lesen und zu besprechen� Dabei gilt es jedoch, die Texte nicht derart zu selektieren, dass nur das Altbekannte übrig bleibt� 27 Eine solche Auswahl sollte bestimmten Kriterien folgen, die sich in zwei Ansätze unterscheiden lassen� Eine Möglichkeit ist, dass die Auswahl durch den Lehrenden erfolgt, der durch eigene Prägung, entsprechende (theologische) Fachkenntnis um seines Erachtens wichtige Texte weiß, die den Studierenden nahe gebracht werden sollen� Im besten Fall handelt es sich hierbei um Texte, die in der einen oder anderen Weise die Besonderheiten von biblischen Texten exemplarisch aufzeigen können, so dass Studierende Erkenntnisse abstrahieren und transferieren können� Hier könnte man also von einem Diktum der Theologie sprechen� Die Theologie formt das Curriculum aus ihrer eigenen Perspektive und betont, welche der biblischen Texte die Grundlage für eine Auseinandersetzung darstellen� Ein anderer Weg wäre, aus den jeweiligen anderen Fächern heraus dieses Curriculum zu entwickeln� Eine Auseinandersetzung zwischen Theologie und Literaturwissenschaft, Archäologie, Geschichtswissenschaft, Pädagogik usw., in der ein Austausch darüber stattfindet, welche Texte der Bibel für die Studierenden in ihren Fächern sinnvoll und weiterführend sind, ist wünschenswert und entspricht dem Charakter der 27 Alkier / Dressler, Wundergeschichten, 163� Die Chance des Anderen 117 Schrift als Sammlung� Bei der Bewertung der Texte besteht allerdings erneut das Risiko, nur das Altbekannte zu tradieren und keinen Raum für neue Ansätze zu lassen� Auch andere Lehrveranstaltungen könnten von diesem Diskurs profitieren und den Besuch der Veranstaltung am theologischen Fachbereich entsprechend einbinden bzw� voraussetzen� 28 Die koordinierte Kombination von facheigener und fachfremder Lehrveranstaltung führt dazu, dass die gelesenen und besprochenen biblischen Texte nicht an der Studienwelt der Studierenden vorbei ausgewählt werden, sondern direkt in Kontakt zu den alltäglichen Studieninhalten� Dieses Verfahren kann ebenfalls zu einer neuen Wahrnehmung biblischer Schriften außerhalb der Theologie führen� Ebenfalls ermöglicht der mit Blick auf zu lesende Bibeltexte geführte Auswahldiskurs zwischen Theologie und anderen Fächern die Entdeckung von neuen Zugängen und Spuren biblischer Texte in Untersuchungsgegenständen anderer Disziplinen� Auch wenn der Aufwand des zweiten Ansatzes ungleich höher ist, so ist doch von einem reinen autoritären Diktum der Theologie abzusehen, um wertvolle Synergieeffekte nicht im Keim zu ersticken� Studierende anderer Fächer erhalten so die Möglichkeit, ihren Leseprozess direkt mit Inhalten und Aspekten des eigenen Faches zu verbinden und die Relevanz biblischer Texte auch für andere Disziplinen immer wieder neu zu erfahren� Da der dargestellte Diskurs gerade in Bezug auf fächerübergreifende Lehre meist nur aus Eigenantrieb einzelner Lehrender entsteht, wäre in einer Variation dieses Ansatzes gemeinsam mit den Studierenden zu überlegen, welche Spuren biblischer Texte sie in ihren eigenen Fächern und ihrer eigenen (Studien-)Umwelt finden� Anschießend kann überlegt werden, welche Lektüreprozesse über das reine Inhaltswissen hinausgehen und welche Verknüpfungen zwischen Bibel und Studienfach hergestellt werden können� 29 Es bleibt jedoch gerade in Bezug auf die Textauswahl immer die Frage: »Mit wie wenig kann ich mich zufrieden geben? « 30 Doch allein das Anstoßen der Lektüre, die ermöglichte Begegnung und die Öffnung des Blicks, dass biblische Texte nicht nur für die christliche Theologie eine Relevanz besitzen, ist bereits ein Erfolg, der nicht unterschätzt werden sollte� 28 So könnten bspw� in Abstimmung mit dem Fachbereich Literaturwissenschaft jene biblischen Texte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, die in »Moby Dick« aufgegriffen wurden, so dass das Seminar zu »Moby Dick« im folgenden Semester von anderen Voraussetzungen ausgehen kann und neue Gestaltungsmöglichkeiten erfährt. 29 In Anlehnung an Berg, Grundriß, 20. 30 Hennecke, Bibel, 238� 118 Christian Stein Was bleibt? Konzeption und Durchführung einer Lehrveranstaltung für ein gänzlich heterogenes Publikum, das nur durch ein grundlegendes Interesse am Gegenstand geeint wird, stellen große Herausforderungen dar� Die Reduktion der eigenen Fachinhalte ist nicht selten schmerzhaft, jedoch notwendig, um das vorhandene Interesse weiter zu befördern und Studierende anzuleiten, sich einen eigenen Zugang zu biblischen Texten vor dem Hintergrund der eigenen Fachkultur anzueignen� Durch die Fokussierung auf die einzelnen Lektüreprozesse der Studierenden lassen sich die erwähnten kulturell tradierten Vordeutungen und Verkürzungen biblischer Geschichten auch in der Lehrveranstaltung herausarbeiten� Ist dieser Kontakt zu den Texten einmal hergestellt, folgt der Rückgriff der Studierenden auf den Methodenkanon des eigenen Fachs meiner Erfahrung nach zunächst zögerlich, durch motivierende Verstärkung aber immer selbstverständlicher. Gerade die Interdisziplinarität stellt eine große Chance für die Veranstaltung dar� Studierende erfahren bereits in der Lerngruppe, wie unterschiedlich Texte auf der Basis von verschiedenen Fachperspektiven wahrgenommen werden� Diese Chance kann jedoch schnell von einer falsch verstandenen Autorität des Fachlehrenden unterlaufen werden, wenn die Studierenden ihren eigenen Lektüren misstrauen und sich nur zu gerne vom Dozenten führen lassen� Hier wird es zur Aufgabe, echte Freiräume zu eröffnen, die Recherche- und Methodenkompetenz der Studierenden zu fördern und die Studierenden in eine aktive Auseinandersetzung mit dem Text zu entlassen� Es ist hilfreich, mit den Studierenden gemeinsam über die Ausgangsvoraussetzungen zu sprechen und diese tiefergehend zu erörtern� Ein bewusster Umgang mit dem Umstand der Erstrezeption auf der Basis von kultureller Tradition und Interpretation ist ein Vorgehen, welches Studierenden und Lehrenden gleichermaßen dabei hilft, eine möglichst unverfälschte Begegnung mit den Texten zu ermöglichen� Letztlich ist festzuhalten, dass der Lehrende sein eigenes Fachwissen an geeigneter Stelle dazu nutzt, die Studierenden zur eigenständigen Auseinandersetzung mit den Texten und ihrer Geschichte zu befähigen. Denn: Entfacht ein Seminar die Bereitschaft zur Lektüre der Bibel und ein Bewusstsein für die unzählige intertextuellen Bezüge in- und außerhalb biblischer Texte, so folgen weitere Fragen und weiteres Interesse von ganz allein� Literaturverzeichnis Alkier, Stefan/ Dressler, Bernhard: Wundergeschichten als fremde Welten lesen lernen� Didaktische Überlegungen zu Mk 4,35-41. in: Dressler, Bernhard/ Meyer-Blanck, Die Chance des Anderen 119 Michael (Hg.): Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik (Grundlegungen 4), Münster 1998, 163-187. Alkier, Stefan: Erlesenes Sehen mit offenen Augen und allen Sinnen� Zum Verhältnis von Intratextualität, Intertextualität, Intermedialität und Visualisierung, in: Beinhauer-Köhler, Bärbel / Pezzoli-Olgiati, Daria/ Valentin, Joachim (Hg�): Religiöse Blicke - Blicke auf das Religiöse. Visualität und Religion, Zürich 2010, 83-107. Berg, Horst Klaus: Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte - Modelle - Methoden, München / Stuttgart ³ 2003� Daiber, Karl-Fritz: Bibelfrömmigkeit als Gestalt gelebter Religion ( TAB 6), Bielefeld 1991� Ebeling, Gerhard: Wiederentdeckung der Bibel in der Reformation. Verlust der Bibel heute? ZT hK 78 (1981), 1-19. Hennecke, Elisabeth: »Die Bibel - das Buch der unbekannten Geschichten.«, Katechetische Blätter 131 (2006), 238-241. Hieke, Thomas: Vom Verstehen biblischer Texte� Methodologisch-hermeneutische Erwägungen zum Programm einer »biblischen Auslegung«, BN 120 (2003) 71-89. Marquardt, Friedrich Wilhelm: Das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden, Gütersloh 1990. Müller, Peter: Schlüssel zur Bibel� Eine Einführung in die Bibeldidaktik, Stuttgart 2009� Ruster, Thomas: Die Welt verstehen »gemäß den Schriften«� Religionsunterricht als Einführung in das biblische Wirklichkeitsverständnis� Religionsunterricht an höheren Schulen 45 (2000), 189-203. Theißen, Gerd: Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003. Troue, Frank: Auf der Suche nach »roten Fäden« für meinen Unterricht�, Katechetische Blätter 131 (2006), 263-266. Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Rezensionen Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament. Herausgegeben von Christian Frevel. 9., aktualisierte Auflage. Stuttgart 2016, Kohlhammer ( KS tTh 1,1), 728 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-17-030351-5, € 34,00 rezensiert von Melanie Köhlmoos Zum Buch »Der Zenger« ist längst ein Klassiker: Die erste Auflage erschien vor zwanzig Jahren (1995). Als erste Einleitung in das AT machte sie die Umbrüche in Pentateuch-, Psalmen- und Prophetenforschung in der Einleitungswissenschaft sichtbar� Überdies nimmt sie durch ihr programmatisches Anfangskapitel »Heilige Schrift der Juden und der Christen« (A: S. 11-26) einen theologischen Ausgangspunkt für die Exegese ein� Drittens schließlich war sie erste Einleitung, die als Gemeinschaftswerk konzipiert ist und trotzdem eine gemeinsame Linie besitzt. Gekennzeichnet ist Zengers »Einleitung« darüber hinaus durch zwei weitere Charakteristika: Erstens ist sie um konsequente Aktualität bemüht� Neun Auflagen in zwanzig Jahren bedeutet durchschnittlich alle zwei Jahre eine neue Auflage� Hinsichtlich der Aktualität ist dies bemerkenswert und verdient Hochachtung: Die Einleitungswissenschaft gibt sich daher als genuines Forschungsfeld zu erkennen, das ständig im Fluss ist� Das macht die »Einleitung« aber auch gerade für Lehrende zu einem recht schwierigen Buch, verlangt sie doch eine ständige Neuanschaffung und -lektüre, will man das Buch zur Grundlage der Lehre machen� Es ergibt sich die Frage: Hat Einleitungswissenschaft wirklich so eine geringe »Halbwertszeit«? Zweitens ist Zengers »Einleitung« als einzige im deutschsprachigen Gebiet international ausgerichtet: Die Literaturverzeichnisse weisen im Schnitt zwischen 30 und 50 % fremdsprachige Literatur (auf Englisch, 122 Rezensionen Französisch, Holländisch, gelegentlich auch Italienisch und Spanisch) auf� Das macht es für Studierende wie Lehrende als Recherchetool außerordentlich hilfreich� Was unterscheidet die 9� Auflage nun von den vorigen? 1 Das Kapitel »Grundriss der Geschichte Israels« ist inzwischen als eigenständiges Werk publiziert. 2 Damit ist die »Einleitung« wieder eine reine Einleitung geworden - die beiden vorigen Auflagen machten sie mehr zu einem Kompaktlehrbuch� Erstaunlicherweise ist die 9� Auflage trotzdem nicht dünner geworden: Sowohl mit als auch ohne »Geschichte Israels« hat sie einem Umfang von rd. 700 Seiten. Nach dem Tode Erich Zengers (2010) hat der neue Herausgeber Christian Frevel einen großen Teil von dessen Texten neu bearbeitet� Neue Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen wurden bisher nicht gewonnen� Eine solche Neuausrichtung ist für die 10. Auflage geplant. Obwohl die reine Einleitung 125 Seiten mehr Text als die Auflage von 2008 enthält, handelt es sich bei den Überarbeitungen durchgängig um leichte Akzentverschiebungen und Aktualisierungen; kein Kapitel wurde grundlegend revidiert� Das Buch umfasst sechs Kapitel� Das erste (A: »Heilige Schrift der Juden und der Christen«: S. 11-36) befasst sich mit der hermeneutischen Frage nach dem Alten Testament als Heiliger Schrift für beide Religionen� Anders als viele andere deutschsprachige Einleitungen 3 behandelt Zengers »Einleitung« so den Kanon nicht als das Ende eines Entstehungsprozesses, sondern als den Rahmen, in dem sich eine Beschäftigung mit dem Alten Testament sinnvollerweise entfalten sollte. Das zweite Kapitel (B. »Der Text und seine Geschichte«: S. 37-66) behandelt die Textgeschichte und -kritik des Alten Testaments. Ein solches Kapitel ist einzigartig unter den deutschsprachigen Einleitungen� Die Kapitel C-F bieten die eigentlichen Einleitungen in der Abfolge Pentateuch (C: S. 67-228), Geschichte (D: S. 229-406), Weisheit (E: S. 407-512) und Prophetie (F S. 513-710). Die Kapitel D-F sind gleichartig aufgebaut. Sie beginnen jeweils mit einem form- und theologiegeschichtlichen Überblick über das Teilcorpus 1 Es kann hier nicht der Ort für eine umfängliche Würdigung aller vorigen Auflagen sein� Die Referenz für die Bewertung ist daher die 7� Auflage von 2008� 2 Christian Frevel: Geschichte Israels (KStTh 1,2), Stuttgart 2015. 3 Etwa Jan-Christian Gertz (Hg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (utb 2745), Göttingen 5 2016� Hier bildet dieses Thema den abschließenden Teil� Bei Hans-Christoph Schmitt: Arbeitsbuch zum Alten Testament. Grundzüge der Geschichte Israels und der alttestamentlichen Schriften (utb 2146), Göttingen 3 2011, 149-172, beginnt der einleitende Teil mit Erwägungen zur Kanonsgeschichte und Hermeneutik, er folgt jedoch auf einen Überblick zur Geschichte Israels� Ähnlich verfahren auch die älteren Einleitungen von Werner H� Schmidt, Einführung in das Alte Testament, Berlin/ New York 5 1995, und Otto Kaiser, Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, Gütersloh 5 1984� Rezensionen 123 und entfalten dann die einzelnen Bücher in der Abfolge »Aufbau«, »Entstehung«, »Theologie«� Als Besonderheit der »Einleitung« von Erich Zenger kann gelten, dass der Abschnitt »Aufbau« jeweils auf die Kompositionsstruktur der Endgestalt des Buches abhebt und daraus Impulse für entstehungsgeschichtliche Fragen ableitet� Die Beobachtungen zur Komposition werden als Indizien für entstehungsgeschichtliche Theorien gewertet, die in einem jeweils recht umfänglichen Forschungsüberblick dargeboten werden� Im Prinzip ist auch das Kapitel zum Pentateuch so angelegt, hier ist die Einleitung nach Überblick ( A I: S. 67-78), Forschungsgeschichte (A II : 79-135) und Entstehung (A III : S. 136-151) dann jedoch an den einzelnen Überlieferungseinheiten orientiert (A IV . Deuteronomium, S. 152-182; A V. Priesterschrift: S. 183-209; A VI � Vorpriesterschriftliche Texte, S. 210-228). Drei Anhänge schließen das Buch ab: Eine tabellarische Übersicht zur Geschichte Israels (S. 711-718), ein Glossar (S. 719-726) und ein Kartenteil (S. 727 f.). Zur Didaktik Didaktik und Methodik des Buches sind wesentlich von den zwei exegetischen und hermeneutischen Grundentscheidungen geprägt. Erstens: Das Alte Testament ist als Teil der einen Bibel und als heilige Schrift des Judentums wahrzunehmen� Die »Einleitung« von Zenger fängt damit historisch am Ende der Entwicklung der Schriften an: bei ihrer Qualität als Kanon� Theologisch gesprochen ist dies aber der Ausgangspunkt einer theologischen Beschäftigung mit der Bibel, also ihr Anfang� Im (didaktischen) Konzept wird dies vor allem in den jeweiligen Schlussabschnitten der Einzelabschnitte erkennbar, die unter dem Abschnitt »Theologie« 4 inhaltlich wichtige Aspekte des Buches eben unter theologischem Gesichtspunkt entfalten. Zweitens: Die Einzeleinleitungen gehen konsequent von der »Endgestalt« des Buches aus, d� h� von einem synchronen Überblick über Aufbau und Komposition� Diese beiden Grundentscheidungen leisten didaktisch, dass die einzelnen Bücher des Alten Testaments und seine kanonische Gestalt von Anfang an als sinnhaft gestaltete Gesamtkompositionen wahrgenommen werden: Vor der Frage nach der Entstehung steht die Würdigung des Buches als Buch� 5 Leider wird dieses Prinzip nicht auch in ein didaktisches Konzept des Buches umgesetzt� Nur beim Pentateuch und bei den Psalmen folgt auf den synchronen Überblick 4 So seit der 7� Auflage (2008)� Vorher lautete die Überschrift »Relevanz«� 5 Das unterscheidet Zengers »Einleitung« signifikant von der »Grundinformation«. Dort wird der Gesamtüberblick unter der Überschrift »Bibelkunde« verhandelt. 124 Rezensionen der Abschnitt »Hinweise auf eine komplexe und mehrstufige Entstehung« bzw� »Hinweise auf eine planvolle Buchkomposition«� So wird der Übergang von der »Reliefbeschreibung« 6 einer Komposition zu deren diachroner Analyse auch didaktisch transparent� In den übrigen Kapiteln ist das so nicht der Fall� Hier folgt nach der synchronen Analyse der Abschnitt »Entstehung«, der jedoch unterschiedlich eröffnet wird� Teils finden sich aufgelistete Vorstufen ( Josua, Richter, Könige), teils Problemanzeigen (Ruth; Esra-Nehemia), teils Vorläufertexte und mündliche Überlieferungen (Ijob), teils »Beobachtungen zur Diachronie« (Zwölfprophetenbuch)� Das Verfahren ist sachlich angemessen, indes wurde hier das didaktische Potenzial verschenkt, das im Grundkonzept liegt. Form, Stil und Gestaltung des Buches setzen ein geübtes Lesen voraus. Angezielt ist ein Lesepublikum, das mit der Bibel vertraut und vor allem fähig ist, Analyse- und Kompositionsergebnisse selbständig am Bibeltext zu überprüfen� Das heißt, die Verfasser rechnen mit Studierenden, die die Einleitung und die Bibel gleichzeitig lesen� Trotz eines Glossars, historischen Tabellen und Karten im Anhang des Buches ist das fachspezifische Niveau hoch. Verlangt wird im Grunde ein wissenschaftlich versiertes Lesepublikum, das nicht nur nebenbei seine Bibel bearbeitet, sondern sich ggf� auch weitere Informationen von anderswoher beschafft� Überdies werden Englischkenntnisse ebenfalls stillschweigend vorausgesetzt� Angenommen sind daher Studierende, die lernen und verstehen wollen: der klassische Student der vorigen Generation(en). Es bietet insofern recht vielfältige Gelegenheiten für selbstgesteuertes Lernen, als jede Leserin/ jeder Leser autonom entscheiden kann, wie tief sie/ er in die Materie eindringt: Das Spektrum reicht von der Möglichkeit, Stoff zu »pauken« bis zum Einstieg in die Forschung� Das Buch setzt ausschließlich auf Lerntypen und -stile, die durch das Lesen lernen und die Aneignungs-, Organisations- und Wiederholungsstrategien selbst entwickelten� Visualisiert wird ausschließlich durch Tabellen. Sie sind jedoch - anders als in den vorigen Auflagen - ohne Gitternetzlinien, Rahmung und Schattierung gesetzt; die Kompositionsanalysen sind dadurch deutlich weniger hilfreich als noch in den vorigen Auflagen� 7 Ein Grund für diesen deutlichen didaktischen Verlust lässt sich nicht benennen� Insgesamt bietet die enge und unübersichtliche Gestaltung nur insofern eine Motivation zu eigenständigem Lernen, als der Leser mit Farbstiften dem Material selbständig »zu Leibe rücken« muss� 6 Der Begriff von Blum, Erhard: Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin 1990, 17� 7 Vgl. als Beispiel die Einleitung in das Buch Jesaja (7. Auflage: S. 428-439; 9. Auflage: S. 526-540). Rezensionen 125 Zur Methodik Methodisch ist die »Einleitung« von Zenger ein Musterbeispiel wissenschaftlicher Texte� Die Informationen werden mit einem methodisch begründeten Vorgehen objektiv, systematisch und unter Einhaltung der exegetischen Darstellungskonventionen präsentiert� Besonders sorgfältig sind die Forschungsdiskussionen aufbereitet: Hier werden die einzelnen Ansätze kritisch dargestellt und gegeneinander abgewogen, außerdem ist die exegetische Forschung in hinreichender Breite präsent� Somit wird methodisch die Bevorzugung einer bestimmten Forschungsmeinung vermieden� Besonders erfreulich ist, dass viele Forschungsdiskussionen darauf verweisen, dass es angesichts der Schwierigkeiten des Textes keinen Konsens gibt bzw� dass noch viele Fragen offen bleiben� 8 Explizite Hinweise zur Weiterarbeit, Impulse oder Aufgabe gibt es nicht� Struktur und Anordnung des Buches folgen dem alttestamentlichen Kanon der Vulgata sowie den Konventionen der Einleitungswissenschaft; sie sind sozusagen »alternativlos«� Allerdings muss sich der Benutzer bewusst sein, dass diese Einleitung von römisch-katholischen Exegeten verantwortet wird: Sie enthält die Bücher Tobit, Judit, Makkabäer, Weisheit, Sirach und Baruch als Bestandteile des Kanons und folgt der römisch-katholischen Tradition in Titel (Buch der Sprichwörter) und Schreibweise (Rut, Ijob) der biblischen Bücher� Verwirrend ist allerdings, dass Esra-Nehemia als ein Buch behandelt werden� Das ist zwar gute Tradition in der alttestamentlichen Einleitungswissenschaft, steht aber der kanonischen Perspektive ein Stück weit entgegen� Man wünscht sich überdies einen Hinweis bzw� eine ausdrückliche Reflexion für die Wahl dieser Anordnungsperspektive� Das Buch als Lehr- und Lernbuch Für das Selbststudium ist die »Einleitung« von Zenger im Grunde am besten geeignet� Dabei muss die Leserin allerdings ein hohes Maß an Disziplin und ein bereits vorhandenes Repertoire an Lese- und Lernstrategien sowie Fachwissen mitbringen� Es ist daher kein Buch, das Studienanfängerinnen und -anfänger gut allein bearbeiten können� Laut Vorwort (zur 1� Auflage! ) ist das Buch »zuallererst als Lehr- und Studienbuch für den universitären Unterricht« 9 konzipiert� Eine genaue Zielgruppe ist jedoch nicht explizit genannt� Mit intensiver Begleitung in Lehrveranstaltungen kann es auch in der Studieneingangsphase 8 Vgl� als Beispiel die Einleitung in das Buch Richter (D IV: S. 267-277). 9 Zenger, Einleitung, 9� 126 Rezensionen verwendet werden, für das Selbststudium werden eher fortgeschrittene Studierende und Examenskandidaten davon profitieren� Hervorragend geeignet ist es für Studierende, die Seminar- und Abschlussarbeiten schreiben wollen, außerdem Doktoranden und Doktorandinnen in der Anfangsphase� Da das Buch ebenso anspruchsvoll wie umfangreich ist, halte ich es für Studierende des Lehramts für Grundschulen bzw. für BA -Studierende für weniger geeignet� In Lehrveranstaltungen einsetzbar ist das Buch am besten, wenn die Lehrende es durch konkrete Arbeitsaufgaben, zusätzliche Visualisierung und intensive Diskussion begleitet� Die fehlende didaktische Konzeption des Buches muss durch Einsatz des Lehrenden ausgeglichen werden� Das Buch bietet dafür aber durchaus gute Anhaltspunkte� Wie bereits angedeutet, ist das Buch von römisch-katholischen Exegeten verfasst� Die konfessionelle Differenzierung wird gelegentlich thematisiert: In der Frage nach Aufbau und Umfang des Kanons (S� 32), in der Frage nach dem »Gesetzes«-Charakters des Pentateuch (S. 83-86) sowie bei den deuterokanonischen Büchern� Ansonsten ist das Buch aber um eine konfessionell integrative Perspektive bemüht und versucht vor allem die Rezeption des »Alten« Testaments zwischen Judentum und Christentum ins Gespräch zu bringen. Dazu gehört auch die programmatische Wahl des Begriffs »Erstes Testament«, die S. 28-36 ausführlich begründet wird. Hier wird auch der gesamtbiblische Horizont hinreichend transparent� Trotz des Kapitels zur Textgeschichte ist das Problem der alttestamentlichen Ursprachen nicht vollständig befriedigend reflektiert� Dass die jeweiligen Kompositionsstrukturen und die Theologien der biblischen Bücher im Grunde nur am hebräischen Text erkennbar sind, wird nicht thematisiert� Auch, welche Übersetzung den gelegentlichen Bibelzitaten zugrunde liegt, ist nicht angegeben� In praktischer Hinsicht werden vor allem Bezüge zur Forschungspraxis hergestellt� Andere Praxisfelder sind nicht explizit besprochen, aber in den theologischen Abschnitten als Impuls vorhanden� Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die »Einleitung in das Alte Testament« von Erich Zenger auch nach ihrer Bearbeitung durch Christian Frevel kaum etwas von ihrer hohen Qualität verlor� Die Neugestaltung des Layouts ist jedoch wirklich problematisch� Zengers »Einleitung« hebt sich durch ihre Breite der Forschung, den theologischen Schwerpunkt und den textorientierten Zugang merklich (und positiv) von anderen Einleitungen ab� Im Hinblick auf praktische Aspekte in Studium und Lehre bleibt die 7� Auflage mit ihrem historischen Teil und den übersichtlichen Graphiken jedoch die bessere Version dieses Buches. Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa) Jahrgang 1 - 2016, Heft 2 Sönke Finnern/ Jan Rüggemeier, Methoden der neutestamentlichen Exegese. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen 2016, Francke (utb 4212), 300 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-8252-4212-1, € 24,99 rezensiert von Michael Schneider Zum Buch Sönke Finnerns und Jan Rüggemeiers Einführung in die »Methoden der neutestamentlichen Exegese« erschließt einen Bereich neutestamentlicher Forschung für Studium und Lehre, der sich während der letzten Jahrzehnte zunehmend ausdifferenzierte� Angesichts der Vielfalt und Breite methodischer Neuansätze, innerdisziplinärer Perspektivverschiebungen und interdisziplinärer Einflüsse lässt sich der Gegenstandsbereich »exegetische Methoden« nur schwer eingrenzen� Den Autoren ist dieses Problem bewusst; statt eines unverbundenen Nebeneinanders verschiedener Methoden möchten Finnern und Rüggemeier allerdings einen »Schmelztiegel der Auslegungsmethoden« (so die Ankündigung des Titels) vorlegen� In diesem Schmelztiegel finden sich textkritische Untersuchungen, »klassische« historisch-kritische Methoden, aber auch Ansätze aus Linguistik, Literaturwissenschaft und Psychologie� Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Abschnitte zur methodischen Erschließung von Erzähltexten, die - im Anschluss an Finnerns eigene Arbeiten zur Narratologie - aktuelle Forschungsdiskussionen für die Lehre zu Studienbeginn aufbereiten� Nicht nur hermeneutische und methodische Ansätze differenzierten sich in den letzten Jahren und Jahrzehnte aus - ähnliches gilt auch für den Buchmarkt im Bereich der einführenden Literatur� Buchhandlungen und Bibliotheken halten eine große Zahl von Lehrbüchern als Begleitliteratur zu grundlegenden neutes- 128 Rezensionen tamentlichen Lehrveranstaltungen (theologische und historische Einführungen bzw� Einleitungen, Bibelkunden, exegetische Methodenlehren für Studierende unterschiedlicher Studiengänge) bereit� Während Lehrende noch in den 1990er Jahren in den genannten Veranstaltungen auf ein oder zwei Titel zur kursorischen Lektüre verweisen konnten, sind heute auf den ersten Blick selbst innerhalb des UTB-Angebots, in dem das rezensierte Werk erscheint, alle Bereiche der einführenden Literatur mehrfach besetzt� Auf den zweiten Blick weichen diese Titel aber teilweise deutlich voneinander ab, da sie in den Studienstrukturen nach Bologna jeweils anderen Studienstandorten und unterschiedlich profilierten Studiengängen als Grundlagenliteratur dienen. Beim Thema der »Methoden der neutestamentlichen Exegese« treffen nun Methodenpluralismus und sich ausdifferenzierender Lehrbuchmarkt zusammen: Ein gewisser Methodenkonsens (mit einem mehr oder weniger einheitlichen historisch-kritischen Methodenkanon) wurde durch einen Methodenpluralismus ersetzt. Gleichzeitig wurden auf dem Lehrbuchmarkt wenige Titel, die diesen Konsens über viele Auflagen abbildeten (etwa die Bücher von Strecker/ Schnelle oder auch Conzelmann/ Lindemann) durch eine große Zahl von unterschiedlichen »Einführung in die exegetischen Methoden« abgelöst� Finnern und Rüggemeier versuchen angesichts dieser doppelten Ausdifferenzierung beides: einen Überblick über ganz unterschiedliche methodische Ansätze einerseits und ein Konzept für ein konkret durchführbares methodisches Proseminar andererseits� Dafür, dass dieser Spagat gelingt, ist es von nicht geringer Bedeutung, dass die vorgestellten methodischen Ansätze nicht nur nebeneinander gestellt, sondern in einem gemeinsamen Konzept aufeinander bezogen werden� Die unterschiedlichen in deutsch- und englischsprachigen Methodenbüchern bearbeiteten Ansätze bringen die Autoren in ein systematisches Ganzes, indem sie zunächst verschiedene »Grundinteressen des Umgangs mit Texten« unterscheiden, die als »philologisch, historisch, systematisch, kritisch, praktisch« (7) identifiziert werden können� Die im Folgenden dargestellten konkreten Methoden(schritte) werden dann diesen Aspekten zugeordnet und somit systematisch in eine kohärente Textanalyse eingeordnet� Die »Grundinteressen im Umgang mit Texten« werden im Buch durchaus unterschiedlich gewichtet� Den weitaus größten Anteil in der Darstellung nehmen solche Methoden ein, die sich einem »philologischen Grundinteresse« verdanken� Finnern und Rüggemeier differenzieren daher innerhalb dieser philologischen Perspektive noch einmal zwischen fünf unterschiedlichen Zugängen zu bzw� Leitfragen an den (biblischen) Text� Hinter dem von den Autoren verwendeten Akronym »B-E-S-E-N« verbergen sich die Untersuchungsaspekte »Text-Bestimmung, Text-Entstehung, Text-Struktur, Text-Erklärung und Text- Nachwirkung�« (7) Diese Aspekte und die damit korrespondierenden Methoden Rezensionen 129 werden in Teil I auf ca. 250 Seiten ausführlich dargestellt. Demgegenüber fallen die Abschnitte zu den vier weiteren Aspekten der Textanalyse deutlich knapper aus. Der Abschnitt zum »historischen Grundinteresse« (265-274) geht unter der Leitfrage »Ist das Erzählte historisch wahr? «, hinter den Text zurück und skizziert entsprechende Forschungsfelder wie die »Leben-Jesu-Forschung« oder die Frage nach dem »historischen« bzw� »erinnerten Jesus«� Mit der Frage »Welche Themen behandelt der Text? «, geht Kapitel 13 (276-289) »systematischen« bzw� »thematischen« Problemen nach, bevor sich der folgende Abschnitt (290-299) »kritisch« mit der Beurteilung des biblischen Textes aus einer textexternen (ästhetischen oder auch »engagierten«) Perspektive auseinandersetzt. Kapitel 13 (300-320) widmet sich schließlich einem »praktischen« Grundinteresse nach »Verwendungsmöglichkeiten der Exegese« und gibt dabei einen Ausblick auf die Rezeption biblischer Texte in Predigt und Unterricht, Medien und Gegenwartskultur und nicht zuletzt - ganz praktisch - in einer Seminararbeit� Zur Didaktik Obwohl das Buch den konkreten Einsatz in einem exegetischen Proseminar immer im Blick behält, ergibt sich die didaktische Konzeption nicht unmittelbar aus dieser Verwendbarkeit in einer (universitären) Lehrveranstaltung� Vielmehr ist das didaktische Konzept des Lehrbuchs eng mit dessen hermeneutischem Ziel, »Grundinteressen des Umgangs mit Texten« zu differenzieren, verknüpft. Studierenden (und anderen Interessierten) soll ein Leitfaden an die Hand gegeben werden, um »sich über die Methoden des eigenen Bibelverstehens klar zu werden,« (V) und wesentliche hermeneutische und methodische Zugänge der gegenwärtigen Exegese kennenzulernen� Schließlich sollen Studierende über methodengeleitetes Arbeiten an biblischen Texten grundlegende Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens überhaupt kennenlernen: »Die Wissenschaftlichkeit steht und fällt mit der Methodik�« (1) Sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der didaktischen Ebene ist dem Band daher ein so klares wie reflektiertes Konzept zu bescheinigen: Exegetische Methoden (aus ganz unterschiedlichen hermeneutischen und methodologischen Kontexten) dienen der wissenschaftlichen Erarbeitung und intersubjektiven Kommunikation von Entstehung, Struktur, Eigenart und Nachwirkung eines (biblischen) Textes� Die einzelnen Methoden lassen sich ergänzend aufeinander beziehen und mit dem vorliegenden Buch sukzessive einüben� Dieses Konzept hat sicherlich Studierende in den Anfangssemestern als primäre Zielgruppe im Blick� Der Fließtext setzt daher auch kein exegetisches (und 130 Rezensionen theologisches) Fachvokabular voraus� Erklärungsbedürftige Fachtermini bzw� im Text erläuterte Themen werden durch hellgraue Kästchen/ Eyecatcher am Rand hervorgehoben� Jeder Abschnitt beginnt mit einer Liste der im Folgenden bedeutsamen Leitbegriffe, und komplexe Zusammenhänge werden tabellarisch zusammengefasst. Die Kapitel zu den einzelnen Methoden (Abschnitte 2-13) sind weitgehend nach demselben Konzept aufgebaut� Die Verfasser beginnen i� d� R� mit Beispielen für Textauslegung bzw� -interpretation aus der Alltagswelt, die das jeweilige erkenntnisleitende Interesse einer Methode veranschaulichen� Darauf folgt eine (forschungsgeschichtliche) Einführung, die dann zu einer methodischen Konkretion führt� Abschließend wird im Abschnitt »Demo« eine beispielhafte Analyse an konkreten Texten (zumeist von Studierenden erstellt) beigefügt� Zur Methodik Neben den im vorherigen Abschnitt genannten Ergänzungen des Fließtexts bietet das Lehrbuch eine Reihe weiterer Beigaben, die zur eigenständigen und differenzierten Weiterarbeit anregen und gezielt anleiten� So stehen etwa eine Fülle weiterführender und ergänzender Literaturangaben (systematisch am Ende der Abschnitte und jeweils direkt in Fußnoten) sowie Wiederholungsfragen zur Verfügung. Letztere können in Einzelarbeit oder in der Gruppe (»Vernetzen Sie sich«) bearbeitet werden� Es gelingt Finnern und Rüggemeier, ganz unterschiedliche Lerntypen an die Arbeit mit exegetischen Methoden heranzuführen� Diese erschließen sich je nach persönlicher Auswahl über Beispiele aus der Alltagswelt, forschungsgeschichtliche Einordnungen, konkret dargestellte Methodenschritte, »Musterlösungen« und Anregungen zur individuellen oder gemeinsamen Weiterarbeit� Die Kapitel schließen jeweils mit kurzen Kontrollen der Lernziele (»Überprüfen Sie sich selbst anhand der Lernziele«), mit denen die Lesenden erworbene Fähigkeiten (»Sie können jetzt…«) und erworbenes Wissen (»Sie kennen jetzt…«) selbstständig überprüfen können. Trotz dieser vielfältigen Ergänzungen bleibt auch der reine Fließtext des Lehrbuchs für sich alleine fortlaufend lesbar� Dem Buch gelingt es auch hier, über ganz unterschiedliche Methodenschritte hinweg, einen »roten Faden« (oder: »B-E- S-E-N«) erkennen zu lassen� Rezensionen 131 Das Buch als Lehr- und Lernbuch Finnerns und Rüggemeiers »Methoden der neutestamentlichen Exegese« ist nach meinem Leseeindruck äußerst vielfältig als Lehr- und Lernbuch einsetzbar� Es lässt sich gewinnbringend auch als Grundlage eigenständiger Arbeit (zum Selbststudium, zur Prüfungsvorbereitung sowie als Nachschlagewerk) nutzen� Sein primärer Ort ist jedoch zunächst einmal ein neutestamentliches Probzw� Methodenseminar, das Studierende mit Griechischkenntnissen in den ersten Studiensemestern im Blick hat� Durch das klare didaktische Konzept und auch die Einteilung in zwölf »verpflichtende« und weitere »optionale« Abschnitte eignet es sich passgenau für den Einsatz in bzw� neben einer einsemestrigen Lehrveranstaltung� Diese »direkte praktische Verwendbarkeit im Proseminar« (V) ist auch den Autoren ein Anliegen, so dass sie die einzelnen Abschnitte auf die »Erfordernisse des Semesters zugeschnitten« haben und »zur Vorbzw� Nachbereitung jeweils ein Kapitel pro Semesterwoche gelesen werden kann«� Als in dieser Form absolutes Alleinstellungsmerkmal stellen die Autoren für den Einsatz im neutestamentlichen Proseminar nicht nur Online-Materialien zur Verfügung� Das im Vorwort angekündigte Zusatz-Material besteht vielmehr aus kompletten, von Lehrenden individuell anzupassenden Unterrichtsmaterialien (inkl� Arbeitsblätter) und detaillierten Stundenverlaufsplänen (inkl� Erwartungshorizont an Studierende und Dozierende bzw� Kompetenzziele)� Die einzelnen Abschnitte oder das Buch als Ganzes können so in unterschiedlichen (bestehenden) Proseminarkonzepten zur begleitenden Lektüre eingesetzt werden� Zugleich haben die Autoren mit ihrem Band aber auch ein innovatives, unterschiedliche Methoden verbindendes Modell für ein neutestamentliches Methodenseminar neu ausgearbeitet� Diejenigen Lehrenden, die im Wesentlichen ein historisch-kritisches Proseminar anbieten, finden grundlegende Darstellungen aller relevanten Methoden und Ergänzungen weiterer textanalytischer Verfahren� Lehrende, die bereits stärker »neuere« exegetische Ansätze aufgreifen, wird eine Fundgrube für vernetzte methodische Arbeit geboten� Konfessionelle Perspektiven werden im Lehrbuch nur in den wenigen Kapiteln, in denen sie tatsächlich eine Rolle für die Texthermeneutik spielen (etwa bei den Ausführungen zur Kanonhermeneutik oder zu Bibelübersetzungen), diskutiert� Und auch wenn eine dezidierte Einführung in Methoden der neutestamentlichen Exegese vorliegt, ließen sich die einzelnen Methodenschritte, erst recht aber das verschiedene Grundinteressen verbindende Gesamtkonzept (»B-E-S-E-N«) auch auf die Auslegung alttestamentlicher Texte übertragen - ein weiterer Vorteil des Buchs, den die Autoren allenfalls implizit ansprechen, indem sie die Leserschaft am Ende ganz allgemein als »Exegetinnen und Exegeten« adressieren: »Jetzt sind Sie an der Reihe - Sie gehören zur neuen 132 Rezensionen Generation der Exegetinnen und Exegeten! « (319). Finnern und Rüggemeier reagieren auf die eingangs beschriebene doppelte Ausdifferenzierung der exegetisch-hermeneutischen Ansätze und der Lehrbuchliteratur mit einem Werk, das zugleich Lehrwerk und Kompendium, Lehr- und Lernbuch, positionelles Konzept und Fundgrube für andere Seminarkonzepte ist� Jetzt sind die Lehrenden und Lernenden an der Reihe, diesem Buch den verdienten Stammplatz im Regal der neutestamentlichen Studienliteratur zu verschaffen� Interview mit-… Peter Wick Steckbrief: Prof� Dr� Peter Wick Alter: 50 Jahre Familiäres: verheiratet, vier Kinder Berufliches: Theologiestudium an der Universität Basel und Universität Fribourg, 1993 Doktor der Theologie, Universität Basel, 1999 Habilitation im Fach Neues Testament, 2000-2003 Assistenzprofessor für Neues Testament und antike Religionsgeschichte an der Universität Basel, seit April 2003 Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum Herr Wick, zum Start ein kurzes Blitzlicht: Lehre - Frust oder Lust? Vor allem und immer wieder einfach Lust! Lehre oder Forschung? Lehre, aber deren Inhalt ganz aus der eigenen, neusten Forschung, das macht am meisten Spaß� Lieber Erstsemester oder lieber Integrationsphase? Am liebsten ab 3� Semester, dann ist die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken schon da, und zugleich eine große Offenheit für Neues! Neues oder Bewährtes? Ein rabbinische Sprichwort lautet: Es gibt kein Lehrhaus ohne Neuigkeit, also immer vor allem Neues, aber dies muss rückgekoppelt werden an das Bewährte� Referate oder Gruppenarbeit? In einer Vorlesung etwas frontal zu entfalten, einen exegetischen »Krimi« zu erzählen, dessen Lösung am Ende der Stunde kommt, macht fast so viel Freude, wie wenn Studierende die Resultate ihrer eigenständigen exegetischen Forschung präsentieren� 134 Interview Wenn Sie auf Ihren Berufsweg zurückblicken, welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Markus Barth, der Sohn von Karl Barth, mit seiner verschmitzt lächelnden Liebe gegenüber dem Neuen Testament, Ekkehard Stegemann mit seiner intellektuellen Kraft, Paulus zu verstehen, und Rabbiner Michel Birnbaum- Monheit aus Straßburg, mit der Fähigkeit, jedes Strichlein in der Tora auf seine Bedeutung hin zu untersuchen� Würden Sie sagen, dass es bei Ihnen ein Grundparadigma Ihrer Lehre gibt? Lehre beruht vor allem auf der eigenen Forschung� Lehre vermittelt den Studierenden die Kunst, Fragen zu stellen, deshalb ist sie immer interaktiv. Gute Lehre ist immer auch Beziehungsgeschehen. Welche Bedeutung besitzt die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Lehre ist nie nur Vermittlung und Anhäufung von Wissen, sondern immer auch die Vermittlung der Lust am Bibeltext und von Kompetenzen, diesen selbstständig zu erforschen und auszulegen� Herr Wick, oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen eher stiefmütterlich im Gegensatz zur Forschung behandelt wird. Beschreiben Sie bitte Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Lehre und Forschung sind für mich keine getrennten Welten� Meine Lehre beruht nicht nur so weit wie möglich auf meiner eigenen Forschung, sondern sie produziert immer wieder Rückkopplungsprozesse in die eigene Forschung hinein. Zur Zeit lese ich mit einer kleinen Gruppe von Nicht-Theologen den Römerbrief� Der Zwang zur Reduktion auf die wesentlichen Argumentationsgänge und die Rückfragen der Teilnehmer zwingen mich selbst, den Römerbrief noch besser zu verstehen� Ich nehme neue und exaktere Fragen mit in die Forschung� So ist für mich Lehre immer auch ein Teil der Forschung, und bei der Forschung freue ich mich jeweils schon auf deren Präsentation� Sie sind seit etwas mehr als 10 Jahren Professor in Bochum und haben dort von Beginn an die Umstrukturierungen und Umbrüche im Zuge des Bologna-Prozesses mitbekommen und mitgestaltet. Bochum war eine der ersten Universitäten, die nahezu konsequent auf konsekutive und modularisierte Studiengänge umstellte. Die Veränderungen des Studiums durch den Bologna-Prozess werden häufig negativ bewertet. Welche positiven Entwicklungen erkennen Sie durch den Prozess? Wie fällt Ihre Bilanz vor allem im Hinblick auf die Lehre in den exegetischen Fächern aus? Der größte Vorteil ist sicher, dass viel mehr Studierende zu einem akademischen Abschluss gebracht werden� Am Anfang haben wir den Fehler gemacht, alles vorzugeben� Unterdessen haben unsere Studierende eine große Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen� So haben wir in unseren Seminaren Interview 135 immer wieder hoch motivierte Gruppen. Ich denke, die Umstellung hat sich gelohnt� Das alte System ließ zu viele Studierende stranden� Als Vater von vier Kindern bin ich auch froh, dass meine Kinder nicht so in der Gefahr stehen, in einem Studium auf Kosten der Eltern »verloren zu gehen«� Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Erst die didaktisch aufbereitete, durch Lehre erfolgreich vermittelte Präsentation der eigenen Forschung gibt dieser den letzten Schliff� Zugleich ist es ein großes Privileg, mit jungen Erwachsenen so viel Zeit zu verbringen und die nächste Generation prägen zu dürfen. Dieses Privileg möchte ich gegen nichts eintauschen� Forum Exegese und Hochschuldidaktik: VvAa Verstehen von Anfang an Jg. 1 - 2016 | Heft 2 www.francke.de ISBN 978-3-7720-8602-1 Editorial Hauptbeiträge Matthias Hopf Der exegetische und didaktische Mehrwert literaturwissenschaftlichen Arbeitens Dargestellt anhand eines Vergleichs alttestamentlicher Methodenwerke Christina Hoegen-Rohls Schritt für Schritt auf dem Weg in den Text - Die Methode der Verssegmentierung am Beispiel von Joh 4,1-15 Thomas Wagner Das Proseminar als Chance zur Entdeckung biblischer Textwelten Zielorientierte Vermittlung exegetischer Methoden und Perspektiven Stefan Fischer Proseminar und Hermeneutik Hermeneutische Reflektion als notwendiger Bestandteil des Proseminars Lehr-/ Lern-Beispiele Jan Heilmann Kurzrezensionen im exegetischen Proseminar Christian Stein Die Chance des Anderen: Lektüre von Bibeltexten mit fachfremden Studierenden Rezensionen Interview mit ... Peter Wick
