Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
vvaa
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
1125
2024
81
Fischer Heilmann Wagner Köhlmooswww.narr.digital VvAa - Vol. 8 | Issue I Wissenschaftskommunikation Edited by: Stefan Fischer, Matthias Hopf, Daniel C. Maier, Nancy Rahn In cooperation with: Melanie Köhlmoos Vol. 8 | Issue I Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an Wissenschaftskommunikation Forum Exegese und Hochschuldidaktik: VvAa Verstehen von Anfang an Vol. 8 | Issue I ISBN 978-3-381-11321-7 Editorial Contributions Nancy Rahn Spielerisches mit Tiefgang Eine Roundtable-Diskussion zu Exegese und Wissenschaftskommunikation Helga Kaiser Wissenschaftsjournalismus in der Praxis Am Beispiel des Magazins Welt und Umwelt der Bibel Michael Hölscher Wer nicht lernen will, muss hören Podcasts in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation Matthias Hopf Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation Einige grundsätzliche und praktische Überlegungen Teaching Examples Peter Wick Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen (Klassisches Format) Nils Neumann Bibelwissenschaft mit Schmackes Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Workshop Michael Sommer Ermächtigung zum Spielen Überlegungen zu den didaktischen Zielen der Videoreihe Die Bibel to go Helge Bezold / Matthias Hopf Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go Eine exegetisch-hochschuldidaktische Reflexion Reviews Interview with … Konrad Schmid Editors Stefan Fischer, Wien Matthias Hopf, Zürich Daniel C. Maier, Kopenhagen Nancy Rahn, Bern In cooperation with Melanie Köhlmoos, Frankfurt am Main In association with Clarissa Breu, Göttingen Johannes Diehl, Frankfurt am Main Jan Heilmann, Dresden Florian Oepping, Osnabrück Reettakaisa Sofia Salo, Münster Thomas Wagner, Wuppertal Editorial Matthias Hopf Theologische Fakultät der Universität Zürich Kirchgasse 9 8001 Zürich Schweiz Notice to Contributors All articles for submissions and review copies should be sent to the editor, Matthias Hopf. There is no obligation to discuss unsolicited books or publish unsolicited manuscripts. Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) is a bilingual, double-blind peer-reviewed journal for methodology and practice in academic didactics of biblical exegesis. VvAa Vol. 8 | Issue I Imprint Conditions The VvAa is published twice a year ( June and December) Single issue: € 45,- (plus postage) Annual subscription (print): € 65,- (plus postage) subscription (print & online): € 79,- (plus postage) subscription (e-only): € 69,- Orders will be accepted by your bookstore or the publisher: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 D-72015 Tübingen Phone: +49 (0) 70 71 / 97 97 0 eMail: info@narr.de Internet: www.narr.de Advertisment Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Phone: +49 (0) 70 71 / 97 97 10 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG ISSN 2366-0597 ISBN 978-3-381-11321-7 The published contributions are protected by copyright. All rights are reserved, especially those of translations into foreign languages. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or in another machine usable language particular for any kind of data processing systems, without the prior written permission from the publisher. 5 13 21 35 55 73 81 Inhalt Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptbeiträge Nancy Rahn Spielerisches mit Tiefgang. Eine Roundtable-Diskussion zu Exegese und Wissenschaftskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helga Kaiser Wissenschaftsjournalismus in der Praxis. Am Beispiel des Magazins Welt und Umwelt der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hölscher Wer nicht lernen will, muss hören. Podcasts in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Hopf Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation. Einige grundsätzliche und praktische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehr-/ Lernbeispiele Peter Wick Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen (Klassisches Format) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nils Neumann Bibelwissenschaft mit Schmackes. Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Workshop . . . . . . . . . . . . . 93 99 111 117 123 Michael Sommer Ermächtigung zum Spielen. Überlegungen zu den didaktischen Zielen der Videoreihe Die Bibel to go . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helge Bezold / Matthias Hopf Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go. Eine exegetisch-hochschuldidaktische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezensionen Daniel C. Maier Viola Falkenberg: Wissenschaftskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schmitz Florian Oepping/ Katharina Ellinghaus: Podcast Exegese . . . . . . . . . . . . . . . Interview Interview mit … Konrad Schmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Inhalt Editorial: VvAa - eine Retrospektive und ein Ausblick Stefan Fischer (orcid.org/ 0000-0002-4856-5946)/ Daniel C. Maier (orcid.org/ 0000-0002-1185-076X) Nachdem im letzten Jahr Thomas Wagner und Jan Heilmann als Herausgeber zurückgetreten sind, kann nun auch ich, Stefan Fischer, die Herausgeberschaft in andere Hände legen, und in den erweiterten Herausgeberkreis zurücktreten. Mit Matthias Hopf (Zürich), Nancy Rahn (Bern) und Daniel Maier (Kopenhagen) sind die alt- und die neutestamentliche Bibelwissenschaft wieder im Herausge‐ berkreis vertreten. Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an wurde von Thomas Wagner und mir 2016 gegründet. Seit 2018 war dann Jan Heilmann als Fach‐ mann für das Neue Testament im Herausgeberkreis aktiv. Bei allen Ausgaben wird darauf hingewiesen, dass die Zeitschrift in Zusammenarbeit mit Melanie Köhlmoos herausgegeben wird. Die Zeitschrift geht auf ihre Initiative zurück. Sie ermöglichte dem Projekt mit ihren Lehrstuhlmitteln die notwendige finan‐ zielle Unterstützung. Ausgangspunkt war das hochschuldidaktisch-exegetische Seminar Verstehen von Anfang an, zu dem sie Oktober 2014 nach Frankfurt einlud. In verschiedenen Workshops, mit Titeln wie „Exegese poetischer Texte“ und „Proseminar mit Sprachen“ wurde über Grundlagen der Vermittlung ge‐ arbeitet. Dabei wurde das Desiderat nach einer Zeitschrift benannt, welche die Hochschuldidaktik bibelwissenschaftlicher Inhalte zum Thema hat. Einen weiteren Schub zur Konkretion gab 2015 in Wuppertal eine von Thomas Wagner organisierte Tagung. Dort gab es einen wertvollen Austausch und die Idee eines erweiterten Herausgeberkreises. In diesen wurden Norbert Briden als Religionspädagoge und Johannes Diehl als Experte für alte Sprachen berufen. Dazu kamen Melanie und Christian Stein sowie Jan Heilmann und Matthias Hopf, die dann auch in den Herausgeberkreis nachrückten. Später kam Sofia Reettakaisa Salo hinzu und in der letzten Zeit Clarissa Breu und Florian Oepping sowie die neuen Herausgeber: innen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0001 Die Suche nach einem Verlag ließ uns bei Francke Attempto Narr in Tübingen fündig werden, der als Wissenschaftsverlag für Sprach- und Kulturwissenschaft mit Erfahrung in Fachzeitschriften, Monografien und Lehrbüchern auftritt. Von ihm stammt auch der Vorschlag dem Titel „Verstehen von Anfang an“ ein „Forum Exegese“ voranzustellen, so wie der Verlag ein „Forum“ bereits anderweitig in seinem Sortiment führte (Forum Modernes Theater). Der Name der Zeitschrift Forum Exegese - Verstehen von Anfang an (VvAa) war geboren. Aus den zwei Tagungen hatten sich die Themen der ersten Hefte ergeben, so dass das erste Heft den Titel Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschul‐ didaktik und das zweite den Titel Das exegetische Proseminar trug. Einzelne Beiträge wurden recht stark rezipiert, so etwa der Beitrag von Sandra Hü‐ benthal Vom Zauber der Schriftauslegung. Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese, und trugen zum Renommee der Zeitschrift bei. Um wissenschaftliche Qualität zu gewährleisten, wurden und werden alle Hauptbeiträge einem ‚double-blind Peer-Review‘ unterzogen. Hier sei im Rückblick den vielen selbst‐ losen Kolleg: innen gedankt, welche sich daran beteiligten. Die verschiedenen Kategorien der Zeitschrift wurden nach und nach entwi‐ ckelt. Drei bis vier Hauptbeiträge, zwei Buchrezensionen und ein Interview standen am Anfang. Wenig später kamen die Lehr- und Lernbeispiele und eine ‚Frontend‘-Rezension hinzu. Stets wurde bei den Beiträgen versucht, eine Mischung zwischen erfahrenen und jungen akademischen Kräften herzu‐ stellen. Als schwierig erwiesen sich immer wieder kurzfristige Absagen, die zu Verzögerungen der Hefte führten, um jemand neues zu gewinnen, aus dem Herausgeberkreis heraus einen Beitrag zu schreiben oder das Editorial zu einem thematischen Beitrag auszuarbeiten. Die folgenden Ausgaben hatten die Themen Bild und Text, Digital Humanities, Biblische Sprachen im Theologiestudium, Bibelkunde und Vernetztes Denken. Die Beiträge konnten auf Deutsch oder Englisch geschrieben werden. Da die Beiträge mehrheitlich deutschsprachig waren, wurde sich für drei Jahre die Arbeit gemacht, alle Beiträge auf Deutsch und Englisch zu veröffentlichen: Tutorien/ Tutorials, Materiale Kultur/ Material Culture, Religiöse Pluralität/ Reli‐ gious Plurality, Corona-Lehre(n)/ Lessons from the Pandemic, Außeruniversitäre Lernorte/ Learning beyond the Classroom. Der Aufwand führte jedoch nicht zu einer vermehrten Resonanz aus dem englischsprachigen Raum, sodass mit dem Heft Universitäres Studium und berufliche Praxis zur vorherigen Praxis zurückgekehrt wurde. Möglicherweise sind etliche Themen zu spezifisch auf den deutschsprachigen Bereich hin perspektiviert, wo sich doch schon zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz große Unterschiede zeigen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0001 6 Stefan Fischer / Daniel C. Maier Ein Desiderat ist ein Heft zu 25 Jahren Bologna. Hier wäre ein Vergleich der universitären Ausbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz nötig, um innezuhalten und zu fragen, was mit der Reform gewonnen und was verloren wurde. Das vorliegende Heft zur Wissenschaftskommunikation und das folgende zum Wissenschaftlichen Schreiben in den biblischen Fächern setzt die Reihe in guter Weise fort. So ist den neuen Herausgeber: innen zu wünschen, dass sie mit Freude und Erfolg die Reihe weiterführen. Stefan Fischer, Wien Liebe Lesende, es ist mir eine Freude, Ihnen diese neue Ausgabe des Forum Exegese: Verstehen von Anfang an vorstellen zu dürfen. Wie in der historischen Rückschau zur Genese des Mediums im ersten Teil des Editorials von Stefan Fischer ausgeführt, welchem ich für seinen jahrelangen Dienst an diesem Projekt herzlich danke, geht es in dieser Zeitschrift darum, wissenschaftliche Erkenntnisse und didak‐ tische Methoden in den bibelwissenschaftlichen Disziplinen zu fördern und zu verbreiten. Hierbei ab sofort mitwirken zu dürfen, ist mir eine große Ehre. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem hochaktuellen Thema der Wissenschafts‐ kommunikation - einem Bereich, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, da die Vermittlung von Forschungsergebnissen nicht nur innerhalb der akademischen Welt, sondern auch an ein interessiertes Publikum außerhalb der Akademie immer wichtiger wird. Hierfür haben wir eine breite Palette von Themen für Sie zusammengestellt. Diese Ausgabe eröffnet Nancy Rahn mit ihrem Beitrag Spielerisches mit Tief‐ gang: Eine Roundtable-Diskussion zu Exegese und Wissenschaftskommunikation. Darin präsentiert sie Einblicke von vier verschiedenen Exeget: innen, die über ihre Erfahrungen und Herausforderungen in der Wissenschaftskommunikation sprechen. Der Austausch zeigt, wie vielseitig und bedeutungsvoll die Vermitt‐ lung von biblischem Wissen in unterschiedlichen Kontexten sein kann, und regt so zum Nachdenken über die eigenen Erfahrungen rund um das Lehren und Lernen der biblischen Inhalte an. Helga Kaiser zeigt in ihrem Beitrag Wissenschaftsjournalismus in der Praxis konkret, wie Wissenschaftsjournalismus in den Bibelwissenschaften aussehen kann. Sie diskutiert die Fallstricke, Herausforderungen und Best Practices des Wissenschaftsjournalismus am Beispiel der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift Welt und Umwelt der Bibel, wo der Fokus auf der Vermittlung kom‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0001 Editorial: VvAa - eine Retrospektive und ein Ausblick 7 plexer wissenschaftlicher Inhalte an ein breites Publikum „vom Handwerker im Berufsleben zur Griechischlehrerin im Ruhestand“ liegt. Der dritte Hauptbeitrag ist Michael Hölschers Artikel Wer nicht lernen will, muss hören - Podcasts in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation. Höl‐ scher führt uns in die Welt der (wissenschaftlichen) Podcasts ein und zeigt, wie diese als effektive Werkzeuge in der Lehre und Wissenschaftskommunikation genutzt werden können. Er gibt praktische Tipps zur Erstellung ansprechender Podcasts und erläutert deren didaktisches Potenzial. Einige prinzipielle Überlegungen, über die in dieser Ausgabe diskutierte Thematik, als den Startpunkt unserer, von Stefan Fischer oben beschriebenen, Hauptbeiträge, formuliert der Artikel Die Spezifika einer theologisch-exegeti‐ schen Wissenschaftskommunikation: Einige grundsätzliche und praktische Über‐ legungen von Matthias Hopf. Er beleuchtet darin die lange Tradition der Wissenschaftskommunikation in der Theologie und betont die Bedeutung, alte und bewährte Formate zu nutzen, aber auch neue, insbesondere digitale Wege zu beschreiten, selbst wenn dies stets mit (teils unangenehmen) Kompro‐ missen verbunden ist. Dabei beleuchtet der Artikel die Herausforderungen und Chancen, die gerade eine theologische Wissenschaftskommunikation mit sich bringt, und gibt, aufbauend auf der in diesem Heft zusammengetragenen Expertise, den Lesenden Denkanstöße zum Potential der Wissenschaftskommu‐ nikation in den exegetischen Fächern mit auf den Weg. Peter Wick führt uns in seinem Artikel Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen (Klassisches Format) an‐ schaulich in die Praxis einer von Hopf angesprochenen klassischen Formen der Wissenschaftskommunikation innerhalb von Kirchengemeinden ein. Damit dieser bewährte Zugang auch im 21.-Jahrhundert gelingt, braucht es allerdings die richtige Herangehensweise. Darum beleuchtet Wick, wie neutestamentliche Forschung verständlich an Gemeindemitglieder vermittelt werden kann, und zeigt konkrete Methoden und Ansätze auf, um diese Kommunikation effektiv zu gestalten. Ein weiterer Beitrag von Nils Neumann trägt den Titel Bibelwissenschaft mit Schmackes: Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Work‐ shop. Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die das Format „Science Slam“ auch im Bereich der Geisteswissenschaften bietet. Es wird ein konkreter Ablauf mit vielen Tipps und Tricks zur Durchführung präsentiert - was große Lust macht, selbst einmal mit Nachwuchsforscher: innen ein solches Event auf die Beine zu stellen. In Ermächtigung zum Spielen. Überlegungen zu den didaktischen Zielen der Videoreihe Die Bibel to go stellt Michael Sommer dann seinen Youtube-Kanal DOI 10.24053/ VvAa-2023-0001 8 Stefan Fischer / Daniel C. Maier vor. Er erläutert seine Motivation und Zielsetzungen bei der Umsetzung jedes biblischen Buchs in Form von mit Playmobil-Figuren realisierten Kurzfilmen. Dieser Beitrag wird gleich im Anschluss von Helge Bezold und Matthias Hopf unter dem Titel Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go. Eine exegetisch-hochschul‐ didaktische Reflexion kommentiert und so die Verwendung des Kanals in der Hochschullehre noch stärker didaktisch reflektiert. Ich, Daniel Maier, hatte ebenfalls das Vergnügen, an diesem wegweisenden Heft als Rezensent mitzuarbeiten und durfte eine Buchbesprechung zu Viola Fal‐ kenbergs Wissenschaftskommunikation: Vom Hörsaal ins Rampenlicht beitragen. In dieser Rezension wird herausgearbeitet, wie Falkenberg zentrale Elemente der Wissenschaftskommunikation praxisnah und verständlich darstellt. Beson‐ ders hervorgehoben wird der Nutzen des Buches für eine breite Zielgruppe von Wissenschaftler: innen aller Senioritätsstufen, die ihre Forschungsergebnisse effektiv kommunizieren möchten. Der Beitrag Rezension zum Podcast Exegese von Daniel Schmitz bietet als unsere zweite Besprechung in diesem Heft die kritische Analyse eines Lernpod‐ casts, der an der Universität Osnabrück entstanden ist. Schmitz bewertet die didaktische Komposition und die verwendeten Methoden des Podcasts und untersucht, inwieweit dieser sowohl für Studierende als auch für interessierte Laien geeignet ist. Den Abschluss bildet ein Interview mit dem Zürcher Alttestamentler Konrad Schmid, welches die persönlichen Erfahrungen und Methoden eines erfahrenen Dozenten in der Vermittlung von Wissen in der Lehre und der Wissenschafts‐ kommunikation beleuchtet. Schon die Überschrift des Interviews, Verstehen von Anfang an: Ein Gespräch über Lehre und Wissenschaftskommunikation, verheißt tiefgehende Einblicke und praktische Ratschläge über Freuden und Leid in den verschiedenen Facetten der Wissensvermittlung in der akademischen Realität. Diese Beiträge zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig und elementar die Wissen‐ schaftskommunikation in den exegetischen Disziplinen stets war, momentan ist und in der absehbaren Zukunft sein wird. Sie bieten dabei nicht nur theoretische Einsichten, sondern auch praktische Ansätze und Beispiele, die dazu beitragen können, Forschungsergebnisse auf verständliche und ansprechende Weise zu vermitteln und ein breites Publikum für die faszinierende wissenschaftliche Erforschung der Bibel zu begeistern. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende und vergnügliche Lektüre und freue mich auf Ihre Rückmeldungen zu dieser Ausgabe. Mit herzlichen Grüßen, Daniel Maier, Kopenhagen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0001 Editorial: VvAa - eine Retrospektive und ein Ausblick 9 Hauptbeiträge Spielerisches mit Tiefgang Eine Roundtable-Diskussion zu Exegese und Wissenschaftskommunikation Nancy Rahn (orcid.org/ 0000-0003-3251-413X) Vier ganz unterschiedliche Personen trafen sich im Mai 2024 mit mir per Zoom für einen einstündigen Austausch über Kontexte, Herausforde‐ rungen und Chancen von Wissenschaftskommunikation. Sie alle verbindet nicht nur der Standort Schweiz, sondern vor allem Motivation und Freude für die Vermittlung des Kulturguts Bibel und ihre Erforschung an einen breiten Kreis von Interessierten, im Dialog mit den Fragen unserer Zeit. Four very different people met with me via Zoom in May 2024 for a one-hour chat about the contexts, challenges, and opportunities of scholarly communication. These people are all united not only by their location in Switzerland, but, above all, by their motivation and joy in communicating the cultural heritage of the Bible and its research to a broad audience, in dialogue with the questions of our time. All of them offer their individual perspectives; however, the exchange of experiences highlights the main concerns of scholarly communication in the field of exegesis/ theology for today. PD Dr. Veronika Bachmann ist Leiterin des Fachbereichs Theologie und Religion an der Paulus Akademie in Zürich und lehrt als Privatdozentin Altes Testament an der Universität Tübingen. Dr. Nina Beerli ist Geschäftsführerin der Theologischen und Religionswissen‐ schaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Sie hat im Fach Altes Testament promoviert und ist regelmäßig in der universitären Lehre und in der Erwachse‐ nenbildung tätig. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 1 Die Paulus Akademie ist eine Bildungs- und Kulturinstitution, die Begegnung und Dialog ermöglichen will. Wechselseitig bringt sie christliche Handlungs- und Hoff‐ nungsperspektiven in den gesellschaftlichen Prozess und gesellschaftliche Perspektiven in die katholische Kirche ein. Vgl. www.paulusakademie.ch. Die von der Paulus Akademie herausgegebenen Jahresberichte geben auch einen ausschnitthaften Einblick in Metadaten wie Teilnehmendenzahlen etc. Dr. Moni Egger ist Theologin und Bibelerzählerin. Sie arbeitet als Dozentin für Bibeldidaktik und Bibelhebräisch an der Universität Luzern und freischaffend rund um Märchen, Erzählkunst und Theologie (www.matmoni.ch). Dr. David Staub war ursprünglich Bezirksschullehrer und ist heute Wissen‐ schaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neues Testament und antike Religions‐ geschichte der Universität Bern. Seine Freude am Unterrichten hat er nie verloren. Wir starten mit einer Runde zu den jeweiligen Orten, an denen die Teilnehmenden mit Wissenschaftskommunikation in Kontakt sind oder waren. So zeigen sich Ausschnitte aus vier verschiedenen Wissenschaftskommunikationsbiografien. Veronika Bachmann: Ich bin seit knapp zwei Jahren Fachbereichsleiterin für Theologie und Religion an der Paulus Akademie in Zürich. 1 „Stellt Fragen zur Zeit! “ lautet der Claim der Paulus Akademie: Hier ergibt sich die Möglichkeit, Fenster zu öffnen auch zu biblischen Themen und zur Exegese. Unsere Veran‐ staltungen sind wissenschaftsbasiert, interdisziplinär, konstruktiv-kritisch und in weltanschaulicher Offenheit konzipiert. Dem muss ich auch in Veranstal‐ tungen gerecht werden, in denen die Bibel eine Rolle spielt. Das ist eine große Chance. Die Theo-Loge zum Beispiel ist ein Format, bei dem immer ein Gast aus der akademischen Theologie im Zentrum steht. Damit kann Faszination entstehen für das, was wir in der Theologie, auch in der Exegese, machen. Wissenschaft bekommt ein Gesicht. In Diskussionsformaten mit mehreren Personen kann das Diskurspotenzial z. B. von hermeneutischen Fragen deutlich werden. Menschen werden mit hineingenommen in Fragen nach Zugängen, nach dem Wert, aber etwa auch nach der Instrumentalisierung von Texten. Auch mit explizit textzentrierten Formaten beginnen wir zu experimentieren. Nina Beerli: Ich erlebe, dass Wissenschaftskommunikation bereits in der akade‐ mischen Lehre beginnt. Das exegetische Proseminar ist ein gutes Beispiel: Hier wird immer wieder grundsätzlich reflektiert, was Wissenschaft ausmacht und damit auch für ihre Kommunikation zentral ist. Das Studium der Theologie ist auch - oder sollte es sein - eine Ausbildung in Wissenschaftskommunikation. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 14 Nancy Rahn 2 Der evangelische Theologiekurs richtet sich an Menschen, die sich für theologische Fragestellungen interessieren und sich gern mit Grundfragen des Lebens auseinander‐ setzen. In der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau ist der Theologiekurs Bestandteil der Ausbildung für Religionslehrpersonen. Vgl. https: / / www.evang-tg.ch/ d e/ beratung/ angebote/ theologiekurs. 3 FAMA ist eine feministisch-theologische Zeitschrift in der Schweiz. Vgl. www.fama.ch. 4 BibelErz. Verein für biblische Erzählkunst. Vgl. www.bibelerz.ch. Ein weiterer Ort sind die evangelischen Theologiekurse, 2 in die ich eingebunden bin. Gerade dort erlebe ich stark hermeneutische Diskussionen, vor allem was den Umgang mit biblischen Texten angeht. Der Hintergrund, den die Lernenden haben, spielt eine große Rolle und fließt immer wieder in die Reflexion ein. Für uns Lehrende geht es darum zu übersetzen, zu aktualisieren, in ganz unterschiedlichen Formen und Formaten. Moni Egger: Einerseits bin ich ebenfalls in der Aus- und Weiterbildung tätig, inzwischen vor allem im Bereich Religionspädagogik und Katechese. Die schon angesprochene Unterscheidung von Wissenschaft und persönlichen Zugängen, von Spiritualität, ist dort sehr relevant. Auch bei der FAMA 3 bin ich aktiv; das ist wiederum schreibende Wissenschaftskommunikation. Hier zeigt sich im Schriftlichen nochmal verstärkt, dass exegetische Themen, die ich versuche einzubringen, doch zum Teil relativ viel Vorwissen voraussetzen. Die Aufberei‐ tung der Fragen für ein theologisch nicht geschultes Publikum ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Autor: innen. Auch durch die Erstellung von Lehrmitteln und Unterrichtshilfen bewege ich mich in diesem Feld von zunächst schriftlicher, dann mündlicher Wissenschaftskommunikation. Hier ist das schon biblisch bedeutsame Erzählen - ‚eine Geschichte draus machen‘ - etwas, das meine Arbeit stark prägt. Darum ist wohl mein Lieblingskind der Wissenschaftskommunikation auch BibelErz, 4 wo wir biblische Geschichten für verschiedene Zielgruppen frei erzählen. Für mich funktioniert Kommunikation über Bibel so am einfachsten: Fiktion und Bedeutung werden gleichermaßen klar. David Staub: Ich unterrichte an der Theologischen Fakultät Bern natürlich vor allem Studierende. Wir haben dort in den Bibelwissenschaften aber auch den Anspruch, unsere Arbeit einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das findet in unserem Format Bibelwissenschaft im Gespräch einen Platz. An der Volkshochschule Zürich habe ich einen Kurs zu den Evangelien durchgeführt, was für mich eine enorm spannende Erfahrung war: Dasselbe Thema, das mich auch im Unikontext beschäftigt, konnte ich mit einer ganz anderen und sehr heterogenen Gruppe bearbeiten. Überraschenderweise war das für mich als DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 Spielerisches mit Tiefgang 15 Dozent herausfordernder als der Kurs an der Uni; vor allem in Bezug darauf, den Menschen gerecht zu werden angesichts ihrer verschiedenen Hintergründe, Vorkenntnisse und Wünsche an den Kurs. Auch von meiner örtlichen Kirchge‐ meinde werde ich immer mal wieder für Themenabende angefragt. Da kann es dann um mein Dissertationsthema gehen oder um biblische Motive in einem aktuellen Streaming Format. Schon bei den Eingangsvoten und dem Blick auf die verschiedenen Orte von Wissenschaftskommunikation sind einige Herausforderungen deutlich geworden, denen wir uns noch zuwenden werden. Zunächst interessiert mich, was hinter der Motivation meiner Gesprächspartner: innen steckt: Warum Wissenschaftskom‐ munikation? Und gab es Stationen auf ihrem eigenen Lebens- und Lernweg, die besonders ausschlaggebend waren dafür? David Staub: Für mich persönlich ist es immer wieder ein Ausbrechen aus dem Elfenbeinturm. Mitten in meinen Gedanken, Themen, Forschungsfragen stellt sich mir die Frage nach der Relevanz von dem, was ich tue, und nach Verbindung zur Gesellschaft. Gerade nach Abenden mit größerem Publikum habe ich das Gefühl, ich konnte einem breiteren Kreis von Menschen etwas zugänglich machen von dem Wertvollen, das an der Universität passiert. Veronika Bachmann: Ich habe in Fribourg studiert. Für mich ging damals von der Arbeit rund um das BIBEL+ORIENT Museum, das die Bibel in den Kontext ihrer Welt stellt und mit Menschheitskultur zusammen in den Blick nimmt, eine große Prägekraft aus. Biblische Texte machen Menschheitsfragen zum Thema und haben damit Relevanz bis heute. Sie können uns darin trainieren, Brücken zu bauen. Schon das Lesen der Texte selbst, das Eintauchen in vergangene Zeiten, baut solche. Ich mache die Erfahrung, dass das Menschen auch neugierig macht, sich auf etwas einzulassen, was sie verändert. Vielleicht geht das sogar in Richtung Spiritualität? Was Wissenschaft ist und was spirituell - das darf für mich insofern gerne ineinandergreifen. Gerade der Fribourger Schule hat man gerne vorgeworfen, nicht theologisch, sondern rein historisch zu sein. Ein solcher Vorwurf greift für mich zu kurz. Nina Beerli: Für mich war schon seit Beginn des Studiums die Kommunikation und die Vermittlung der Inhalte ein entscheidender Punkt. Das hat Theologie, das hat Exegese für mich lebendig gemacht, und macht es immer noch. Theologiekurse, Volkshochschule, Lehre an der Uni - das gibt mir so viele Möglichkeiten zum Austausch, zur Diskussion. Ich lerne selbst dabei. Und die Teilnehmenden machen häufig die Erfahrung: Auch ohne religiösen Hinter‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 16 Nancy Rahn 5 Ein Beispiel dazu findet sich in Egger, Abtreibung. grund haben mir diese Texte etwas zu sagen, können mich zum Nachdenken anregen. Moni Egger: Ein weiterer Aspekt wäre für mich noch: Ich ziehe persönlichen Nutzen aus der Kommunikation exegetischer Inhalte. Erst wenn ich etwas erfolgreich kommuniziert habe, habe ich es selbst ganz verstanden. Oft denken wir bei Wissenschaftskommunikation über die Richtung vom Elfen‐ beinturm nach außen nach. Kann wissenschaftliche Exegese von dem, was in Wissenschaftskommunikation passiert, wiederum profitieren? Wie erleben Men‐ schen diese andere Denkrichtung? Moni Egger: Beim Leiten von Erzählkursen lerne ich unheimlich viel über die biblischen Texte. Es geht darum, wie das Weiße zwischen den schwarzen Buchstaben gefüllt wird. Die biblischen Texte alleine zu lesen kann ein Anfangs‐ punkt sein - größere Dimensionen eröffnen sich im gemeinsamen Lesen und Nachdenken. 5 Nina Beerli: Erst kürzlich hatte ich eine kurze WhatsApp-Kommunikation mit einer befreundeten Pfarrerin, die einen wissenschaftlichen Artikel von mir gelesen hatte. Sie hat Aspekte davon weitergedacht, quasi Punkte, die ich gesetzt hatte, als Doppelpunkte verstanden. Wir wissen ja, dass es immer noch mehr zu entdecken und neu zu verstehen gibt. Daraus kann im besten Fall eine Art Kreislauf werden, auch in Bezug auf das Nachdenken über Methodik und Kommunikation. David Staub: Ich bin immer wieder überrascht, welche Fragen Menschen ohne viel Vorwissen stellen, wenn sie relativ unbefangen an biblische Texte herangehen. Ich habe wiederholt die Erfahrung gemacht, dass sich dadurch Aspekte erschlossen haben, die ich vorher nicht im Blick hatte. Wir wissen ja aus der Forschungsgeschichte: Textauslegung lebt von den Fragen, die wir an die Texte stellen. Deshalb hat der Berner Neutestamentler Prof. Dr. Ulrich Luz (†) in seinen EKK-Kommentierungen jeweils nicht nur am Ende der Besprechung einer Perikope einen Ausblick auf ihre Rezeptionsgeschichte geboten, sondern manchmal die Reihenfolge radikal umgestellt und mit der Wirkungsgeschichte angefangen, um, davon ausgehend, zur exegetischen Diskussion zu gelangen. Veronika Bachmann: Gerade die verschiedenen Prägungen, denen man inner‐ halb von Formaten der Wissenschaftskommunikation bei Teilnehmenden be‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 Spielerisches mit Tiefgang 17 gegnet, haben viel mit der Rezeptionsbzw. Wirkungsgeschichte der Texte zu tun. Auf diese große Bedeutung der Rezeptionsgeschichte bin ich vor allem über die Vermittlung gekommen, nicht so sehr durch das Studium. Auch hermeneutische Fragen kommen hier wieder ganz stark ins Spiel: Wer macht was mit welchen Texten? Das lässt sich explizit zum Thema machen. Aus nur wenigen Stimmen in einem kurzen Gespräch wird viel vom Potenzial von Wissenschaftskommunikation deutlich. Welchen Herausforderungen - seien sie struktureller, inhaltlicher, organisatorischer Natur - begegnen Engagierte in der Vermittlung von exegetischen Einsichten in unserer Zeit? Wie kann man damit umgehen? Welche Ressourcen gibt es, um Herausforderungen zu bearbeiten? Nina Beerli: Eine große Herausforderung scheint mir, dass Menschen mit sehr vielen Vorurteilen an die Texte herangehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Lernende durch konservative und zum Teil wissenschaftsskeptische Standpunkte geprägt sind. Für einige von ihnen hat Theologie etwas Destruk‐ tives; der implizite oder explizite Vorwurf ist, dass Wissenschaft die Texte nicht als heilige Texte ernst nimmt. Da muss erst viel geklärt werden, da müssen Mauern abgerissen werden - das ist unter Umständen ein langer Prozess. Ähnliche Erfahrungen habe ich aber auch mit Lernenden gemacht, die ein explizit offenes, liberales Weltbild haben. Auch da gibt es zum Teil starke Vorbehalte. Die Texte werden nicht nur als alt, sondern auch als brutal, anstößig und theologisch schwierig zu verdauen wahrgenommen - und deshalb oft als Ganzes abgelehnt. Hier ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch anstößige, brutale Texte wichtige Einsichten vermitteln und zum Nach- und Weiterdenken anregen können, ist mindestens genauso herausfordernd! Aber es ist möglich. Viel ist da auch vom persönlichen Kontakt, von der Resonanz zwischen Lehrenden und Lernenden, abhängig. Moni Egger: Diese Erfahrungen kenne ich auch. Gerade bei Texten, bei denen Menschen das Gefühl haben, sie wissen ganz genau, was sie bedeuten, ist es anspruchsvoll, produktive Irritation, eine Atmosphäre des Hinterfragens ent‐ stehen zu lassen. Nicht selten begegnen zum Beispiel festgefahrene, unbewusst antijüdische Klischees, mit denen wir umgehen müssen. Daran merkt man auch, dass es wenige Orte gibt zum Nachdenken über biblische Texte, über Religion allgemein. Manche Glaubenssätze oder Prägungen nehmen Menschen bereits seit Jahrzehnten mit und hatten noch keine Möglichkeit, sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 18 Nancy Rahn Veronika Bachmann: Für mich ergibt sich dadurch auch die Notwendigkeit von wirklicher Übersetzungsarbeit. Die Komplexität der Bibelwissenschaft ist schon sehr hoch und unsere Ergebnisse können wir häufig nicht 1: 1 auf andere Kontexte übertragen. Ich habe gelernt, viel stärker von den Zielgruppen her zu denken. Was hilft wem, um eigenständigere und tragfähige Zugänge zu Bibli‐ schem zu finden? Das erfordert auch, manche Eitelkeiten abzulegen, mit einer gewissen Demut an die Aufgabe zu gehen und nicht Guru spielen zu wollen, so verlockend das sein kann. Ein Potenzial von Wissenschaftskommunikation kann also wiederum sein, sich selbst als Wissenschaftler: in zu reflektieren. Und noch ein ganz anderer Aspekt: Manchmal bin ich frustriert, wenn ich bei Profis, seien es Absolvent: innen von theologischen Studiengängen oder Wissenschaftler: innen, ein komplett fehlendes Interesse an Wissenschaftskom‐ munikation und Vernetzung in diese Richtung erlebe. Das zeigt deutlich, wie sehr Wissenschaftskommunikation auch eine Ressourcen- und Prioritätenfrage ist. David Staub: Wenn ich mich auf ein Seminar vorbereite, versuche ich immer, am Verstehenshorizont der Studierenden entlang zu navigieren. Das ist in vielen Wissenschaftskommunikationsformaten nicht oder nur bedingt möglich. Volkshochschulkurse sind am ersten Abend eine absolute Blackbox. Ich muss immer wieder neu, auch spontan, mit der Diversität der Gruppe umgehen, die Teilnehmer: innen abholen und vernetzen. Zum Abschluss und Weiterdenken interessiert mich: Wie könnten Wünsche lauten an die gute Fee der Wissenschaftskommunikation? Nina Beerli: Ich würde mir wünschen, dass Wissenschaftskommunikation im Bereich der (akademischen) Theologie insgesamt einen größeren Stellenwert bekommt. Forschung und ihre Kommunikation gehören auf das Engste zu‐ sammen. Das spiegelt sich meiner Wahrnehmung nach z. B. bei der Evaluierung akademischer Karrieren oftmals nicht wider. Veronika Bachmann: Eine stärkere Vernetzung von Menschen, denen Wissen‐ schaftskommunikation wichtig ist, wäre zukunftsweisend. Genauso wie die Verbindung von Kreativität und Wissenschaft. Das könnte nicht zuletzt Fronten zu bearbeiten und aufzubrechen helfen zwischen Menschen mit sehr unter‐ schiedlichen Meinungen zur Bibel. Vielleicht sogar auf unerwartete Art und Weise. Auch institutionelle Unterstützung, ob von Medien oder Kirchen, wäre hier wünschenswert und wichtig. Wir brauchen Zeit und Raum für Spielerisches mit Tiefgang. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 Spielerisches mit Tiefgang 19 Moni Egger: Vor allem im akademischen Kontext würde ich mir das noch verstärkt wünschen. Auch theologische Fakultäten, Universitäten allgemein, könnten Räume öffnen, in denen Wissenschaftler: innen und einer breiteren Öffentlichkeit Austausch ermöglicht würde, der beide Seiten befruchtet. David Staub: Mein Wunsch wäre, dass wir es dadurch schaffen, gerade jün‐ geren Menschen das Potenzial der Auseinandersetzung mit biblischer Literatur für aktuelle gesellschaftliche Fragen wieder neu deutlich und zugänglich zu machen. Ich denke, da liegt eine große Ressource für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung. Literatur Egger, Moni: Abtreibung in der Bibel? Die Heilung der blutflüssigen Frau, FAMA 34,3 (2018/ 3), 14-16, https: / / matmoni.ch/ wp-content/ uploads/ 2019/ 08/ FAMA_18_3_ Blutflu%CC%88ssige.pdf. Letzter Zugriff: 26.07.2024. https: / / www.bibelerz.ch. Letzter Zugriff: 26.07.2024 https: / / www.evang-tg.ch/ de/ beratung/ angebote/ theologiekurs. Letzter Zugriff: 26.07.2024. https: / / www.fama.ch. Letzter Zugriff: 26.07.2024. https: / / www.paulusakademie.ch. Letzter Zugriff: 26.07.2024. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0002 20 Nancy Rahn 1 Helga Kaiser, Theologin und Pädagogin mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung, ist wissenschaftliche Referentin und Redakteurin im Katholischen Bibelwerk e.-V. Wissenschaftsjournalismus in der Praxis Am Beispiel des Magazins Welt und Umwelt der Bibel Helga Kaiser 1 Plurale Gesellschaften wollen und brauchen die Erkenntnisse ihrer Univer‐ sitäten und Hochschulen. Wenn die Forschungen zielgruppengerecht und attraktiv vermittelt werden, können sie Ressourcen für die anstehenden Transformationsprozesse aktivieren. Um Menschen zu erreichen, kann die Wissenschaftskommunikation journalistische Kniffe etwa der Nachrich‐ tenwerttheorie oder Kategorien verständlicher Sprache nutzen, die Kon‐ zentration auf einen ‚Küchenzuruf ‘ oder sich unmittelbar erschließender Visualisierungen; sie kann einüben, Emotion und Neugier anzusprechen, Personalisierung und Überraschung zu nutzen. Wissenschaftskommuni‐ kation muss zudem heute partizipativ agieren: Sie ist keine Belehrung, sondern funktioniert als wechselseitiges Geschehen und bespielt Kanäle zum Austausch zwischen Wissenschaft und Rezipient: innen. Pluralistic societies want and need the knowledge of their universities and colleges. If research is communicated in an attractive and appropriate way, it can activate resources for the upcoming social transformation processes. In order to reach people, scholarly communication can use journalistic techniques such as news value theory or categories of comprehensible language, focusing on one central piece of information or immediately accessible visualisations; it can help us in targeting emotion and curiosity, using personalisation and surprise. Science communication today must be participatory: It is not an instruction, but a dialogic process that seeks ways of facilitating exchange between scholars and recipients. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 2 Maar, Schlange, 32. 3 Welt und Umwelt der Bibel. Archäologie - Kunst - Geschichte erscheint seit 27 Jahren im Katholischen Bibelwerk e. V., in Kooperation mit dem französischen Magazin Le Monde de la Bible (Bayard Presse). „So wie es Graubrot gibt, geschmacksarmes, plastikverpackt, so gibt es auch Graudeutsch. Es zeichnet sich aus durch viele, langweilige latinisierende Fremd‐ wörter; kein originelles Verb; wenn Bilder, dann nur die abgegriffensten, Münzen ohne Prägerand. Fast alle akademischen Publikationen zermalmen oder zelebrieren dieses Graubrot.“ 2 So der Literaturkritiker und Germanist Michael Maar in Die Schlange im Wolfspelz. In der Redaktion von Welt und Umwelt der Bibel (WUB) wollen wir genau das nicht. Unser Ziel ist es, den Lesenden vielfältige Geschmackserlebnisse zu bieten - auf keinen Fall ein Magazin in Graudeutsch! Welt und Umwelt der Bibel. Archäologie - Kunst - Geschichte 3 ist zugleich Fachmagazin und Special-Inte‐ rest-Zeitschrift, wir werden also von beruflichem Fachpublikum gelesen wie auch von Interessierten aller Couleur, vom Handwerker im Berufsleben zur Griechischlehrerin im Ruhestand. Viermal im Jahr entsteht ein Themenheft mit acht bis zehn Hauptartikeln, Infoseiten und Grafiken sowie einem Mantelteil mit aktuellen Meldungen, Berichten, Serien und Veranstaltungstipps. WUB ist im Abonnement erhältlich oder am Kiosk. 1 Von grau nach farbig: Sprache, Stil, Redigieren Bleiben wir zunächst bei Michael Maars These und der Sprache. Was macht Texte gut? Manche Beiträge, die wir bekommen, sind brillant. Ich erinnere mich aber nur an zwei von rund 400 Artikeln, die ich im Laufe der Zeit redigiert habe, in denen ich kein Jota verändert habe - dafür atemlos staunend gelesen und mich für die Leser: innenschaft gefreut habe. Viele Forschende schreiben ausgezeichnet und doch gelingt der Transfer aus der Universitätswelt in die Magazinwelt besser mit einem redaktionellen Weggeleit. Im Wissenschaftsjournalismus gilt es, nichts vorauszusetzen. Selbst wenn einige unserer Lesenden Theologie studiert haben: Das Studium ist lang her, das Fachgebiet groß und die wissenschaftliche Entwicklung bleibt nicht stehen. Ein Magazin soll Spaß machen und nicht vor allem daran erinnern, dass neben Kindererziehung, Elternpflege und Alltagsorganisation die eigene Fortbildung zu kurz kommt. Niemand soll beschämt sein, dass vor Zeiten erlerntes Wissen nicht mehr greifbar ist. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 22 Helga Kaiser 4 Maar, Schlange, 32. Nichts vorauszusetzen und gleichzeitig Graudeutsch zu Farbigdeutsch zu ma‐ chen, bedeutet für uns zuerst, die grundlegenden Redigier-Regeln als Basishand‐ werkszeug anzuwenden: Füllwörter eliminieren, Fremdwörter auflösen, aktive Sprache, schlanke Wörter. Michael Maars Zitat geht nämlich so weiter: „Es sind graue Begriffsbrocken, die sich aufeinandertürmen; Klapperbleche, mit denen man nicht Spatzen, sondern Leserschwärme verscheucht.“ 4 Und verscheucht werden soll gerade niemand. Im Bereich der biblischen Wissenschaften rutschen leicht ‚Begriffsbrocken‘ und theologische Phrasen durch, die entschlüsselt werden müssen - etwa „Erhöhungschristologie“, „deuteronomistisch“ oder „Rezeptionsästhetik“, um nur einige zu nennen. Zudem ist der akademische Stil eher substantivisch geprägt , was schnell zu Graudeutsch führt! Das heißt für die Redaktion: Begriffsbrocken und Schachtelsätze auflösen, Fremdwörter beim ersten Mal erklären (oder in der Seitenspalte) und verbalisieren, verbali‐ sieren, verbalisieren. Manchmal basteln wir an Sätzen, die gehaltvoll klingen; wenn man sie jedoch seziert, bleibt auch nach kollegialer detektivischer Suche bisweilen keine sinnstiftende Aussage übrig. Indiz für einen schwachen Text ist häufig auch, wenn sich schlicht kein einziges einfaches, prägnantes Textzitat finden lässt (die im WUB-Layout zur Leser: innenführung hervorgehobenen sind). Sprache kann erstaunlich verschleiernd sein. Aber noch einmal: Wir erhalten weitaus mehr ausgezeichnete Beiträge. 2 Verständlichkeit macht zufrieden Eine Anekdote: Ein Professor sagte in einer Sitzung unseres Wissenschaftli‐ chen Beirats Anfang der 2000er-Jahre, dass zehn bis zwanzig Prozent eines wissenschaftlichen Beitrags unverständlich sein müssten. „Dann ist es ein guter Text und die Leser sind zufrieden.“ Ob das an Universitäten heute noch so kommuniziert wird, wissen die Lesenden dieser Publikation besser. Für uns in der Redaktion wäre diese Haltung selbstbeschädigend. Diese zehn bis zwanzig Prozent bezeichnen jene Stellen, an denen der Lesefluss stoppt, wo man ‚rausfliegt‘, das Magazin weglegt und schließlich das Abonnement kündigt. Zufriedenheit stellt sich ein, wenn man - durchaus intellektuell gefordert - alles versteht! Im Zweifel sehen wir uns im Redaktionsteam als Anwält: innen unserer vielen Lesenden. Und genau darin sind wir doch auch wieder Anwält: innen des Autors oder der Autorin und möchten seinen/ ihren Text möglichst gut zur Geltung bringen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 Wissenschaftsjournalismus in der Praxis 23 Beliebt ist es bei Theolog: innen, in exegetischen Beiträgen Bibelstellen für Erzählungen einzusetzen: Ex 3 - natürlich Mose am Dornbusch; 2 Sam 11 - klar, die Batseba-Erzählung; Mt 24 - logisch, Endzeitrede. Außerhalb der bibelwissenschaftlichen Bubble kann man dieses Wissen nicht voraussetzen. Selbst wenn eine Bibelstelle vorher eingeführt wurde, gibt es nur wenige Menschen, die sich Ziffern als Chiffre für eine Überschrift merken können. Es ist nicht unser Ziel, dass Lesende Bibelstellen wie Vokabeln lernen. In einem journalistischen Format sind Bibelstellenbelege nur sinnvoll, wenn sie aufgelöst oder zumindest anfanghaft zitiert werden. Für Fachautor: innen mögen die Stellenbelege unumgehbar sein, für Lesende sind sie Platzverschwendung. Denn einen Magazinbeitrag zu lesen, muss funktionieren, ohne Nachschlagewerke verwenden zu müssen. Niemand muss also die Bibel neben eine Ausgabe von Welt und Umwelt der Bibel legen, um Freude an einem Dossier zu haben. Das ist auch ein Unterschied zur Fachzeitschrift wie etwa Bibel und Kirche aus dem Bibelwerk. Natürlich begleiten uns Fragen wie diese: Haben wir unzulässig vereinfacht? Wie steht es um Reputation in universitären Fachkreisen? Wie viele Eingriffe in den Text können wir den Autor: innen zumuten? Wie gelingt es, so nah wie möglich an ihrem Text zu bleiben und dennoch größtmögliche Verständlichkeit herzustellen? Bis jetzt konnten wir jedoch immer gemeinsam zu einer guten Lösung finden. 3 Textsorten und inhaltliche Grenzen Im Journalismus ist die Trennungsregel wichtig, also zwischen meinungs- und tatsachenbasierten Textsorten zu unterscheiden, beispielsweise Kommentar und Nachricht. Aber es gibt in informativen Texten auch Mischformen: In Welt und Umwelt der Bibel schreiben Forschende die Hauptartikel. Hier mischen sich objektive Informationen und subjektive Perspektive auf den Gegenstand, also Forschungsergebnis und Forschungsmeinung. Unsere redaktionelle Aufgabe ist es, vorab die Seriosität des Autors oder der Autorin zu prüfen. Wir versichern uns über den Wissenschaftlichen Beirat, den Redaktionskreis, die Netzwerke des Bibelwerks, Publikationen etc. Es ist ein Geschenk, wenn die betagten renom‐ mierten ‚Supergelehrten‘ mitarbeiten, aber gerade auch der wissenschaftliche Nachwuchs soll ein Forum erhalten und hat faszinierende neue Perspektiven. Im Zweifel recherchieren und prüfen wir Inhalte aktiv. Unser Ziel ist, dass die Le‐ senden Information und Meinung unterscheiden können. Daher kennzeichnen wir umstrittene Forschungsmeinungen als solche („andere Auffassung/ Inter‐ pretation siehe XY“). Abstruse, fundamentalistische, rassistische Thesen oder DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 24 Helga Kaiser etwa Passagen, die die Gleichberechtigung der Geschlechter oder Rechte von Minderheiten infrage stellen, würden wir im Gespräch versuchen zu bearbeiten - oder den Text ablehnen (was aber noch nicht vorgekommen ist). 4 Grundsätzlicher: Wieso überhaupt der Aufwand für ein Magazin zur Welt der Bibel? Wieso sollten Menschen über die Geschichte der Bibel und des frühen Chris‐ tentums, über Ägypten, Mesopotamien, alte Kulte und Rituale, über Judentum und Islam, über Archäologie und Kunst in einem Magazin lesen wollen? Der Sinn, Forschungsergebnisse oder -prozesse zu kommunizieren, ist Auf‐ klärung, Mündigmachung, Weltbewältigung, Lebenserklärung, Selbstverortung und Gemeinwohlorientierung. Es ist ein zivilgesellschaftlicher und demokra‐ tiebildender Akt. Wissenschaftsjournalismus kann Welten verbinden. Nicht weniger! Gerade theologische Inhalte können helfen, die transformatorischen Prozesse unserer Zeit zu bewältigen. Eine intensive Beschäftigung mit der Religions- und Kulturgeschichte kann Mut zur Veränderung und Ressourcen aktivieren: Man kann die Dinge auch anders denken: Gottes Wirken in der Welt bleibt unverfügbar; die Schriften bleiben dabei: Die Schöpfung ist immer noch gut… Das Wissen, das wir bieten, erscheint nicht lebenswichtig oder lebensrettend - auf den ersten Blick. Ob - ein konstruiertes Beispiel - sich Kaiser Konstantin sonntags früh frische Brötchen servieren ließ, ändert den Alltag im Jahr 2024 nicht. Auf den zweiten Blick hilft es aber, Menschheit und Gesellschaft zu verstehen; Hierarchien und Macht zu bestimmen; in ihren Koordinaten zu leben oder sie zu verändern. Denn vielleicht war das Mehl für die Kaiser-Brötchen geweiht, vielleicht wurde an Feiertagen den Armen davon gespendet, vielleicht war ein kultisches Ritual mit dem Ernten, Backen und Servieren für den Kaiser verbunden? Dieses Wissen könnte zeigen, wie sich ein gesellschaftliches System definiert, wie Sicherheit im Chaos konstruiert wurde, wie das Göttliche erfahrbar wurde - und natürlich auch, wie die Bibel und ihre Gottesbilder durch die Zeiten wirken. Man könnte die Liste des Ertrags verlängern. Eine plurale Gesellschaft will und braucht das Wissen, die Erkenntnisse und die Forschungen ihrer Universitäten und Hochschulen. Und natürlich verändern auch bibelwissenschaftliche Studien und Forschung zur frühen Kirche die Wahrnehmung und Deutung der Welt, bieten Hintergründe für Entscheidungen - im eigenen privaten Leben wie im öffentlichen Raum (und sei es für den kirchlichen Gemeinderat nach der Lektüre unserer Ausgabe Ämter in der frühen Kirche). DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 Wissenschaftsjournalismus in der Praxis 25 5 Die Theorie geht wesentlich auf die norwegischen Friedensforscher: innen Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge zurück, vgl. Galtung/ Holboe Ruge, Structure. Zur Weiterentwicklung der Theorie vgl. Harcup/ O’Neill, News. 6 Vgl. https: / / www.sinus-institut.de/ sinus-milieus/ sinus-milieus-deutschland. 5 Themenauswahl und ihre Kriterien: Was lockt die Zielgruppe hinter dem Ofen hervor? Auf unserer Heftthemen-Sammlungsliste stehen derzeit rund 100 Vorschläge. Und jeden Monat kommen neue hinzu. Nur vier davon setzen wir jährlich um. Aber welche vier sollen wir nehmen? Immer wieder eine knifflige Frage! Eine Hilfestellung bietet die Nachrichtenwerttheorie. 5 Sie besagt, dass Men‐ schen auf bestimmte Faktoren ansprechen: aktuell, kurios, prominent, exklusiv, räumliche Nähe, Gefühle, Unterhaltung, Klatsch, Neid, Fortschritt, wichtig für unsere Zukunft, Superlative, Konflikte und Dramatik, kurzum: „Mann beißt Hund“. Manches davon lässt sich auf Wissenschaftskommunikation und -journa‐ lismus übertragen, etwa Nutzwert, Staunen, existenzielle Betroffenheit, gesell‐ schaftliche, kulturelle und ethische Relevanz. Gern auch ein Hauch Boulevard: Ehezwiste, Sex and Crime haben die Bibel und ihre Wirkungsgeschichte ausrei‐ chend zu bieten! Manchmal ist die Wirkung eines Themas auch auf Social Media tendenziell sichtbar: Magie in der Bibel - doppelt soviel Interaktion wie andere Info-Posts. Was immer geht, ist etwas kirchenpolitische Subversivität… Wir erleben, dass positive Resonanz unserer Lesenden bei uns eintrifft, wenn For‐ schungsergebnisse so kommuniziert werden, dass sie gesellschaftlich relevante Fragen aufgreifen. Wir geben das an die Forschenden weiter, können aber nicht evaluieren, ob diese Publikumspräferenzen ihre weitere Kommunikation - oder sogar die Wahl von Forschungsthemen - beeinflusst. 6 Wie können wir unsere Zielgruppe kennen? Jede Marktforschung geht von einer Zielgruppe aus. Wir haben eine Weile mit Personas gearbeitet, also fiktiven exemplarischen Lesenden, auf die hin man Themenauswahl und Gestaltung ausrichtet. Ingenieur, 62 Jahre, Liebe für Geschichte, Museen und Reisen… Eine grobe Orientierung bietet auch die Sinusmilieuforschung. 6 Unsere Kli‐ entel ist vorwiegend im sogenannten ‚konservativ-gehobenen‘ Milieu zu finden, eine bildungsbürgerliche ‚Wissens-Omnivoren‘-Gruppe, die seriöse Allgemein‐ bildung liebt und sie zeigen möchte. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 26 Helga Kaiser 7 Vgl. Erhebungen zu in Medien bevorzugten Wissenschaftsfeldern: Nach einer Analyse von ca. 4.000 Artikeln aus FAZ, Süddeutscher Zeitung und Welt von 2006/ 2007 verteilten sich die Themen folgendermaßen: Medizin 29 %, Umwelt 15 %, Biologie 14 %, For‐ schungspolitik 6 %, Technik 6 %, Physik 5 %, Geowissenschaften/ Astronomie/ Psycho‐ logie je 4 %, danach Raumfahrt, Chemie, Informatik, Archäologie, Paläonthologie. Vgl. Elmer u. a., Science, Table 3. Für 2023 liegt eine Umfrage des Wissenschaftsbarometers (Wissenschaft im Dialog) vor. Demnach interessierten sich 2023 70 % der Befragten für Medizin/ Gesundheit/ Biologie/ Genetik; 50 % für sozial- und geisteswissenschaftliche Themen; 49 % für naturwissenschaftliche Themen; 46 % für ingenieurwissenschaft‐ liche Themen (Technik/ Technologie/ Künstliche Intelligenz), vgl. https: / / wissenschaft-i m-dialog.de/ projekte/ wissenschaftsbarometer/ #erhebung-2023. Laut Carbon Brief sind Themen der Klimawissenschaften und Umwelt weltweit relevant geworden: https: / / www.carbonbrief.org/ analysis-the-climate-papers-most-featured-in-the-media-in-20 23/ . Weitere Quellen: WSU Insider, Top research. O. N., Overview. Vgl. auch Lehmkuhl, Auswahlkriterien. Vor allem aber stützen wir uns auf unsere Begegnungen und Erfahrung: die unzähligen Gruppen in der biblischen Erwachsenenbildung, unsere Reise‐ gruppen, die studentischen Praktikant: innen sowie die breiten Kontakte im Bibelwerk-Netzwerk. Daraus ergibt sich eine intuitive Sicherheit, welches intellektuelle Futter nachgefragt wird. Welt und Umwelt der Bibel zu lesen, ist Hobby und professionelles Up-to-date-Bleiben, hat praktischen Nutzwert etwa für Religionslehrkräfte und kirchliche Hauptamtliche, soll aber auch unterhaltsam sein und zum abendlichen Rotwein passen. Unser Ideal ist, dass - im besten Sinne populär‐ wissenschaftlich - jeder Satz von Menschen mit Lesekompetenz verstanden werden kann. In der Realität klappt das leider nicht immer. Wir üben. 7 Aktualität macht neugierig: Was ist ‚aktuell‘ in der biblischen Forschung? Die Zielgruppe ist also vielfältig. Wie finden wir Themen, die möglichst viele interessieren? Wie sieht es mit Aktualität aus? In Theologie und Geisteswissen‐ schaften gibt es kaum das bahnbrechende neu erforschte Medikament. Doch attraktiv muss nicht nur Tagesaktualität sein, sondern auch Aktualisierung, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Im Journalismus bezeichnet man das als ‚Themenaktualität‘ im Gegen‐ satz zu ‚Ereignisaktualität‘ (also tagesaktueller Berichterstattung). Zudem un‐ terscheidet man Wissenschafts-Kommunikation (konkreter Anlass) und Wis‐ sens-Journalismus (allgemeines, ‚zeitloses‘ Interesse). 7 Welt und Umwelt der Bibel bietet eher Grundlagenwissen, aus dem neue geistige Welten und Welt‐ deutungen entstehen können. Damit setzen wir maßgeblich auf Neugier an DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 Wissenschaftsjournalismus in der Praxis 27 langfristigen Entwicklungen und grundlegenden Fragestellungen, die aktuelle Relevanz entfalten. Aktualisierende Interviews zum Thema sind ein fester Bestandteil unserer Dossiers, dazu unten mehr. 8 Kriterium Exklusivität: Was gibt es nur hier? Zur Auswahl von Themen gilt es zu schauen, was es so noch nicht gibt. Welche Themen finden Interessierte also nur hier auf spezifische Weise (interdiszipli‐ näres Wissen in Magazinform) aufbereitet? Ein Beispiel: Neben den thematischen Dossiers wählen wir jährlich ein Land aus, für das es kaum noch fundierte kunst- und kulturgeschichtliche Publikationen (nicht nur) für Reiseliebhaber: innen gibt, etwa Armenien oder Libanon; Länder, die aber kultur- und religionsgeschichtlich bedeutend sind. Ein anderes Kriterium ist, welche Themen sich multiperspektivisch aufbereiten lassen, war uns außerordentlich wichtig ist: Kann das Thema interreligiös und interkonfessionell betrachtet werden, christlich, jüdisch, muslimisch oder auch im Hinblick auf weitere Religionen? Wie können wir darüber hinaus originell, unerwartet hinschauen - feministisch, soziologisch, psychologisch, politisch? Welche spannenden Begegnungen mit besonderen lebenden oder historischen Personen oder Institutionen können sich entwickeln? 9 Kriterium existenzielle Betroffenheit und Neugier: Was bietet einen Überlebensvorteil im Dschungel des Lebens? Wissenwollen und Neugier sind evolutionäre Überlebensstrategien: Welches Weltwissen braucht die Sippe zum Überleben? Dazu gehört historische Infor‐ mation, um der Antwort näher zu kommen, wie die Welt wirklich ist. Wenn es einen Überlebensvorteil sichert, dann kann man Menschen vielleicht am besten fesseln. Unsere Themenauswahl ist im Letzten existenziell begründet. Jede Ausgabe soll das Nutzer: innenversprechen einlösen, sich im Job, im Alltag, im Verständnis des Lebens und der Welt besser orientieren und selbst besser verstehen zu können. Einige Beispiele: Wieso ist es relevant, sich mit der Baugeschichte des Fel‐ sendoms zu beschäftigen? Weil der Haram ash’Sharif bis heute Ort politischer Konflikte und mythischer Ansprüche ist, die dem Nahostkonflikt unterliegen. Wieso sollten frühe Häresien und christologische Streitigkeiten heute relevant sein? Weil sich unsere Kirche wandelt, unser Glaube vielfältiger wird und Ökumene ein Teil weltweiter Friedensschlüsse ist. Wieso sollte ich die biblischen Geschichten über die Könige Israels und Judas kennen? Weil Macht, Machtmiss‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 28 Helga Kaiser brauch und rückblickende historische Deutung hier strukturell zu erkennen sind. Der Dschungel des Lebens eben. Der Knackpunkt bei der Themenfindung liegt auf der Hand: Auch wir in der Redaktion haben persönliche Vorlieben und Interessen, unsere Deutung der Welt und unsere inneren Landkarten und Lebensstrategien - daher können wir mit unserer Einschätzung eines Themas trotz aller Zielgruppenorientierung richtig oder falsch liegen. Liebe und Eros in der Bibel, so dachten wir, wird ein Renner. Es verkaufte sich aber weniger als andere Themen. Auch können wir äußere Faktoren nicht beeinflussen. Als sich die Nahostkrise am 7. Oktober 2023 grausam und gewalttätig neu zeigte, arbeiteten wir an einer Ausgabe zu David, der als literarische und mythische Gestalt in die Auseinandersetzung verwoben ist. Damit mussten wir sensibel umgehen. ‚Richtige‘ Themenauswahl bleibt, trotz Berücksichtigung aller Nachrichtenwertfaktoren, zu einem Teil unverfügbar. 10 Was gibt es zu sehen? Visualisierbarkeit und Aufbereitung der Beiträge Bilder sind fundamental wichtig. Oft wählen wir Meldungen und Nachrichten danach aus, ob zu einer Ausgrabung oder Forschung gute Bilder angeboten werden. Im Dossier vertrauen wir auf unsere Erfahrung, attraktive Bebilderungen für jedes Thema zu finden. Manchmal beginnen wir an Themenheften zu arbeiten und sind noch ratlos, wie die Bebilderung aussehen könnte. Aktuell basteln wir an der visuellen Umsetzung für ein Heft zum Thema Häresien. Wir nutzen insgesamt einen Mix aus Landschaft (um die Lesenden in die geografische Welt zu führen), Kunst (Zeiten, Räume und Interpretationen öffnen), materiellen Hinterlassenschaften (Objekte, Zeugnisse menschlicher Kultur, Schriftrollen be-greifen) und Transferbildern (heutiger Mensch in antiker Stätte, vor Kunst‐ werk, im Museum). Die sozialen Medien verändern unsere Sehgewohnheiten, das gilt auch für Printmedien. Bildbearbeitungstools und KI erlauben immer grandiosere Motive und Qualitäten. Mit schlechten Bildern muss man nicht mehr antreten. Erlaubt ist alles, was zusammen mit dem Text funktioniert und Lust aufs Lesen macht! Studien zeigen, wie der Blick in Sekundenbruchteilen über eine Magazinseite flitzt: Bild, originelle Überschrift, Vorspann (z. B. mit Cliffhanger), Bildunterschrift. (Bei der Bildlegende ist übrigens zu beachten, dass sie ohne Info aus dem Artikel verständlich sein und alle Fragen der Betrachtenden beantworten muss: wer, was, wo, warum? ) DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 Wissenschaftsjournalismus in der Praxis 29 8 Vgl. Galtung/ Holboe Ruge, Structure, 82f.: Ereignisse, die prominente Personen be‐ treffen - Handeln oder Schicksal einer Person - haben einen überproportional hohen Nachrichtenwert. Alle Elemente einer Seite müssen also zusammenpassen, damit die Entschei‐ dung fällt, mit dem ersten Satz zu beginnen. Chronologien, Steckbriefe, Über‐ sichten, Grafiken, Quellentexte und Karten kommen in der Aufbereitung hinzu. Ein Beitrag sollte ein Gesamtkunstwerk aus Entertainment und Storytelling werden. Alles nur keine graue Bleiwüste! 11 Keine Scheu vor Interviews! - auch zu exegetischen Themen Einem Forscher, einer Forscherin authentisch nah zu kommen, bedient unser human interest und personalisiert Inhalte. Diese menschliche Komponente ist gemäß der Nachrichtenwerttheorie ein wichtiger Faktor. 8 Demzufolge eignen sich wissenschaftliche Themen nur bedingt für ein Interview. Um Wissen zu vermitteln, sollte man also eher kein Interview wählen. Das gilt besonders dann, wenn Vorkenntnisse nötig zu sein scheinen oder es um komplizierte Sachver‐ halte geht. Unsere Erfahrung ist eine andere. In einem Interview zu seinem Herzensthema einer Forscher: innenpersönlichkeit näher zu kommen, sich von seinem/ ihrem Wissen, seinen/ ihren persönlichen Fragen und Anstrengungen erzählen zu lassen, wird gern gelesen. Professor Karl Suso Frank (Freiburg i. Br.) hat seinen Studierenden im Proseminar Alte Kirchengeschichte vor Jahren dies mitgegeben: „Man kann nur für etwas begeistern, wovon man selbst begeistert ist.“ (Im Proseminar ging es um archäologische Spuren erster Kirchenbauten im südlichen Rheintal - er selbst war vom Thema hellauf begeistert, was übersprang.) Das ist der Sinn des Interviews: Lassen Sie uns teilhaben an Ihrer Begeisterung! Was fasziniert Sie? Wo sind Sie berührt von Ihrem Gegenstand? Oft haben die Interviewpartner: innen spürbar Freude an diesen Fragen und erzählen lebendig von ihrer Forschung. Es ist üblich und normal, dass Interviews redaktionell stark bearbeitet werden. Der gedruckte Text weicht bisweilen deutlich vom gesprochenen Wort ab und gibt doch wieder, worum es ging. Die Autorisierung ist für uns selbstver‐ ständlich. In Welt und Umwelt der Bibel mischen wir gern die verschiedenen In‐ terviewsorten: Expertengespräch, Meinungsinterview und Personeninterview. Das hat sich als zielführend erwiesen, weil wir in der Regel längere Interviews abdrucken, über vier bis acht Seiten. So werden verschiedene Facetten von Person und Thema erkennbar. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 30 Helga Kaiser Ich erinnere mich an nur ein einziges Interview, in dem ich - trotz mehrfachen Nachfragens - meinem Gesprächspartner nicht entlocken konnte, was an seinen historischen Forschungen relevant für die Gegenwart sein könnte. Hier blieb das Erforschte, eine archäologische Ausgrabung, leider in einer Schublade, die für die Lesenden nur wenig geöffnet wurde. 12 Weniger ist mehr: Gate-Keeping und Küchenzuruf Wenn Wissenschaftsjournalismus Orientierung in einer komplexen Welt er‐ möglichen soll, dann muss er aus dem großen Info-Meer auswählen und Informationsschnipsel zu einem begreifbaren Ganzen zusammenpuzzeln. Hier kommt ein wichtiger journalistischer Begriff ins Spiel: der Küchenzuruf. Was würde ein Partner vom Sofa dem anderen in der Küche zurufen, was er gerade Erstaunliches gelesen hat? Also die Kernaussage eines Beitrags. Je Beitrag sollte es nur einen Küchenzuruf geben. Wir versuchen, schon in der Artikelanfrage nur einen Küchenzuruf ins Zentrum zu stellen. Dabei stehen wir uns aber selbst oft im Weg: Muss nicht noch dieser und jener Aspekt ins Heft, damit es vollständig ist? Vielleicht bitten wir den Autor oder die Autorin, noch XYZ mitzubehandeln? Fast nie ist unser Bedürfnis nach umfassender Bearbeitung einzulösen - und von den Lesenden gar nicht erwartet und erwünscht! Doch die redaktionelle Versuchung, alle relevanten Aspekte eines Themas zu bearbeiten, begleitet unsere Arbeit. Da hilft der begrenzte Platz. Wir müssen viele Details weglassen. Doch es bleibt die Herausforderung vermutlich für alle Wissenschaftskommunizier‐ enden: Je tiefer man in ein Thema einsteigt und recherchiert, desto mehr möchte man „noch dieses Detail - und dieses noch! “ weitergeben und ins Format quetschen. Aus Lesenden-Sicht ist das sogar höchst unattraktiv. Daher gilt unbe‐ dingt: auswählen, kompendienhaften Anspruch verabschieden, Vollständigkeit abhaken, ‚Weglassen‘ als Methode etablieren. Weniger, aber dafür gut erklären, Küchenzuruf um Küchenzuruf. Das tut manchmal weh - den Autor: innen wie auch der Redakteurin. Wissenschaftsjournalist: innen wird eine Gatekeeper-Funktion zugespro‐ chen. Das bedeutet, sie filtern wie in einer Schleuse alles heraus, was das Lesen unnötig erschweren würde. Lesende sollen idealerweise geradlinig verwertbare Informationen erhalten; klar strukturiert und schnell erfassbar. Doch auch in diesen Prozessen stellen sich Fragen: Wieviel Vereinfachung ist redlich? Fallen wichtige Forschungsfragen unter den Tisch, die die eigene Forschung erst relevant machen? Wieviel Reduktion können wir einer Autorin DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 Wissenschaftsjournalismus in der Praxis 31 9 Vgl. Bundesministerium, Handlungsperspektiven, 55. oder einem Autoren zumuten? Wieviel Komplexität ertragen oder erwarten die Lesenden? Es bleibt ein ständiges Abwägen. 13 Mittlerweile unverzichtbar: Partizipation und Dialog Zur Wissenschaftskommunikation gehört auch der Dialog mit den Rezipier‐ enden. Diese Teilhabe ist kein Topdown-Geschehen. Ein reines Belehren wird im Feld der Wissenschaftskommunikaton heute als Defizit benannt. 9 Wissen aufzunehmen, ist ein freiwilliger Akt. Dass Dialog und Partizipation entschei‐ dende Kriterien in der Wissenschaftskommunikation auch der Universitäten und Hochschulen sind, wird derzeit zum Gemeingut. Daher laden wir unsere Lesenden in jedem Heft dazu ein, eigene Wünsche zur Planung der Dossiers mitzuteilen. Kommunikation geschieht auch indirekt über das Editorial, über Bücher- und Veranstaltungstipps. Wir kommunizieren in allen Heftbestandteilen professionelle Dialogbereitschaft und Offenheit. Für Rückfragen vermitteln wir gern Kontakt zu den Autor: innen. Auch im regelmäßigen Online-Format Talk mit dem Autor/ der Autorin können sich Fachwissenschaftler: innen und Leser: innen austauschen - möglichst neugierig und in lockerem Rahmen, jenseits aller Zwangskontexte, die die meisten in ihrer Lernbiografie erlebt haben. Der Vereinszweck des Katholischen Bibelwerks e. V. lautet (seit nun schon über 90 Jahren) schlicht, die biblischen Texte zu erschließen. Für diesen Bil‐ dungs-, Übersetzungs- und Vermittlungsauftrag haben wir eine große kreative Freiheit - vielleicht größer als in anderen, kommerziellen wissenschaftlichen Redaktionen. Ob ein Magazin wie Welt und Umwelt der Bibel eine Zukunft hat, hängt von der handwerklichen Qualität ab, davon, ob wir den Kontakt zu den Lesenden halten können, und ob es eben nicht grau ist, sondern farbig und relevant für die Gegenwart. Ein Leser hat uns eine Rückmeldung gegeben, die unser Anliegen spiegelt: „Da merkt man in jedem Heft: Die wollen tatsächlich verstanden werden.“ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0003 32 Helga Kaiser Literatur Bundesministerium für Bildung und Forschung: Handlungsperspektiven für die Wissen‐ schaftskommunikation, Berlin 2022, https: / / www.bmbf.de/ SharedDocs/ Downloads/ f iles/ factorywisskommpublikation.pdf ? __blob=publicationFile&; v=5. Letzter Zugriff: 04.08.2024. Elmer, Christina u.-a.: Science for Everybody? How the Coverage of Research Issues in German Newspapers Has Increased Dramatically, Journalism & Mass Communication Quarterly 85 (2008), 878-893. Galtung, Johan/ Holboe Ruge, Mari: The Structure of Foreign News. The Presentation of the Congo, Cuba and Cyprus Crisis in Four Norwegian Newspapers, Journal of Peace Research 2 (1965), 64-91. Harcup, Tony/ O’Neill, Deirdre: What is News? 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Der Beitrag möchte Lehrende, Studierende und Wissenschaftler: innen motivieren, radiojournalistische Kompetenzen zu erproben, etwa mit Blick auf die eigene Sprache und das Sprechen vor dem Mikrofon sowie mit einem neuen Blick auf Lehr-Lern-Situationen, der die Lerngruppe als Zielgruppe von Medieninhalten und -formaten ernst nimmt. The boundary between digital university teaching and scholarly commu‐ nication is fluid. This article provides an introduction to the world of podcasts, demonstrating what makes an appealing format, how to develop it and what didactic possibilities exist for podcasts. The article aims to motivate teachers, students and academics to explore radio journalism skills, particularly in terms of phrasing and speaking in front of the microphone, as well as adopting a new perspective on teaching-learning situations that takes the learning group serious as a target group for media content and formats. „Stille Nacht, heilige Nacht“ - Stimmungsvoll und ruhig begann am 22. De‐ zember 1920 die Geschichte des öffentlichen Rundfunks in Deutschland. Es waren die Mitarbeiter: innen der Reichspost, die in der Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen auf selbst mitgebrachten Instrumenten ein Weihnachtskonzert spielten. Von dort war es noch ein langer Weg, bis das Radio nach dem besinnlichen Start zunächst zum linearen Massenmedium wurde und schließlich mit dem Podcast auch Audio auf Abruf entstanden ist. Heute sind Radio und Podcast DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 1 Alle Links zu den in diesem Beitrag erwähnten Podcasts und Websites werden im Anschluss an die Bibliographie angeführt. 2 Eins, Podcasts, 7. aus vielen Küchen, Badezimmern und Hobbykellern nicht mehr wegzudenken. Man hört beim Kochen, während man putzt oder die Wohnung aufräumt. Viele Nutzer: innen sind inzwischen vom klassischen Empfangsgerät auf das Smart‐ phone oder den Smart Speaker umgestiegen, hören im Zug, auf dem Weg in die Uni oder beim Spazierengehen: von Ausgestorben, dem Paläontologie-Podcast, bis hin zum Miau-Katzen-Podcast. 1 Und auch die Wissenschaft hat Podcasts entdeckt, entweder als Kanal für die Wissenschaftskommunikation oder als Medium in der Hochschullehre. Auch wenn Rezeption und Produktion von Radio und Podcasts heute einfa‐ cher geworden sind, inmitten großer Konkurrenz ist mehr Konzeptarbeit ge‐ fragt, um überhaupt zu seinen Hörer: innen durchzudringen. Die Fülle an mobil verfügbaren Hörfunkbeiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender ist enorm und fast jede Nische hat inzwischen ihren Podcast. Es empfiehlt sich, mit einer guten Vorbereitung in die Öffentlichkeit zu treten, sich also Gedanken zur Zielgruppe zu machen, das richtige Format für den eigenen Podcast zu finden und sich sprachlich und technisch fit fürs Podcasten zu machen. Das gilt umso mehr für diejenigen, die in der Hochschullehre mit Audio und Podcasts experimentieren möchten, denn ein schlecht gemachter Vorlesungspodcast ist nicht unbedingt konkurrenzfähig. Dieser Beitrag möchte zeigen, was ansprechende Podcasts ausmacht, inwie‐ fern Podcasts Anknüpfungspunkte für die Hochschullehre bieten und was es für den ersten Podcast braucht. Zunächst aber zur Frage, was man unter dem Begriff überhaupt versteht. 1 Was ist ein Podcast? Der Begriff setzt sich aus dem Wortbestandteil „pod“, eine Abkürzung für „play on demand“, und „cast“, für „Broadcast“, zusammen. Podcasts sind daher „digi‐ tale Sendungen zum Abspeichern, Mitnehmen und mobilen Konsumieren“ 2 , die in der Regel aus abonnierbaren Audiodateien bestehen. Podcasts sind damit also Audioserien, die aus einzelnen, regelmäßig erscheinenden Episoden bestehen. Diese lassen sich über eine spezielle Software (sog. Podcatcher) abrufen, in denen die neuesten Episoden jeweils oben angezeigt werden. Technisch steht ein RSS-Format im Hintergrund, das die Abonnent: innen jeweils mit dem neuesten Audiobeitrag versorgt. Doris Hammerschmidt bringt es auf den Punkt: „Was ein DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 36 Michael Hölscher 3 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21. Vgl. insgesamt zur Definition Eins, Podcasts, 7 f.; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21f. 4 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21. 5 Vgl. Eins, Podcasts, 8. echter Podcast ist, ist lediglich über die Dreieinigkeit der technischen Aspekte definiert: RSS-Feed - Serie von Audiobeiträgen - abonnierbar.“ 3 Neben dieser engen Definition gibt es auch eine breitere. Man spricht häufig auch dann von Podcasts, wenn Audiodateien auf Websites oder über einen anderen Verbreitungsweg bereitgestellt werden. Die breitere Definition ist also: Ein Podcast ist ein „Audiobeitrag im Internet“ 4 . Inzwischen findet sich auch der Begriff „Video-Podcast“ oder „Vodcast“, der die serielle Ausspielung verbunden mit dem RSS-Feed auf das audiovisuelle Format überträgt. 5 Podcasts sind, auch wenn sie auf den ersten Blick als reine Audiodateien ausgespielt werden, doch mehr als ein einfaches Angebot zum Hören. In der Regel werden Podcast-Folgen heute mit zusätzlichen Informationen ausgestattet (enhanced podcasts). Die Audiodatei wird beispielsweise mit zusätzlichen Steu‐ erelementen versehen. Dies können Kapitel- oder Sprungmarken sein, um be‐ stimmte Stellen im Podcast direkt aufzurufen. Es können aber auch Shownotes, bestehend aus Links oder Infos zu weiterführender Literatur sein. Im Grunde sind Screencasts, die zusätzlich zur Audiospur eine begleitende Präsentation zeigen, auch als eine Spielart von enhanced podcasting zu bezeichnen. Die Grenzen zum Video-Podcast sind damit fließend. Flankierend bewerben viele Podcaster: innen ihre Podcasts heute auch auf eigenen Social-Media-Präsenzen und betreiben ein mehr oder weniger aufwän‐ diges Marketing. Über die verschiedensten Kanäle werden dann etwa O-Töne aus Podcasts als Audiogramme geteilt, die Appetit machen sollen. Solche Audi‐ ogramme unterstreichen das Gehörte visuell, indem sie neben dem Logo des Podcasts oder einem Foto der Podcaster: innen auch eine Wellenform-Animation zeigen. Wie ein kurzes Video klickt man das Audiogramm an, um sich die Podcast-Sequenz anzuhören. Wer Podcasts produzieren möchte, überlegt sich am besten schon zu Beginn, welche Variante des Podcasts für die eigenen Zwecke und die eigene Zielgruppe geeignet ist. Nicht immer ist der Podcast im engeren Sinne die beste Wahl. Häufig - zumal in der Hochschullehre - bietet der „Audiobeitrag im Internet“ vielfältigere Einsatz- und Kombinationsmöglichkeiten. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 37 6 Brecht, Rundfunk, 553. Vgl. zu Podcasts und Brechts Radiotheorie auch Eins, Podcasts, 19f. 7 So bereits der Titel des Beitrags Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe. 8 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159. 9 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159. 2 Mehr als Senden und Empfangen: Vom Radio zum Podcast Wenn viele Podcaster: innen auch Social Media nutzen, um ihre Podcasts be‐ kannt zu machen, dann zeigt das bereits, dass Podcasts nur auf den ersten Blick nach dem Prinzip der Einbahnkommunikation funktionieren. Viele Pod‐ caster: innen kommunizieren rege mit ihren Hörer: innen und nehmen deren Anregungen im Podcast auf. Der Podcast greift damit eine Entwicklung auf, die bereits das Radio in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. Auch dort hat das klassische Sender-Empfänger-Modell inzwischen ausgedient. Die Kritik an diesem Modell setzte dabei schon früh an. Am Beginn der 1930er Jahre trug Bertolt Brecht seine Vision für einen Rundfunk vor, der auch die Hörer: innen als Produzierende ernst nimmt: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunika‐ tionsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d. h., er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.“ 6 Damit nimmt Brecht die Entwicklung vorweg, die sich in der Geschichte des Radios erst sehr viel später realisiert und die Jonas Schützeneder und Michael Graßl auf den Begriff „Evolutionsstufe Audio 3.0“ bringen. 7 Sie unterscheiden insgesamt „drei Evolutionsstufen des interaktiven Hörens“ 8 . In ihrer Systema‐ tisierung, mit der sich neben dem klassischen Radio auch jüngere Audioformate, wie der Podcast, beschreiben lassen, gehen sie von der Rolle und Funktion des Publikums aus. Insbesondere auf die Zeit des Radiohörens in den 1930er bis 1950er Jahren, in der das Fernsehen noch nicht die dominante Rolle eingenommen hatte, beziehen sie sich mit dem Begriff Audio 1.0. Kennzeichnend für diese Phase war ein Radio, das „ohne direkte Rückkopplung zum Publikum“ 9 funktionierte. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 38 Michael Hölscher 10 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160. Zu Audio 1.0 vgl. insgesamt Schützen‐ eder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159 f. Das bedeutet natürlich nicht, dass keine „Anschluss‐ kommunikation“ auf Seiten der Hörenden stattfindet. Sie haben lediglich nicht die Möglichkeit, massenwirksam zu reagieren. Vgl. dazu etwa Sommer, Anschlusskommu‐ nikation. 11 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160. 12 Vgl. insgesamt Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160 f. Zu verschiedenen Formaten mit Hörer: innenbeteiligung vgl. etwa auch Buchholz, Hörerbeteiligung; Brombacher, Radio-Aktionen; Brombacher/ Köster, Radio-Spiele. 13 Vgl. Beisch/ Koch, ARD/ ZDF-Onlinestudie, 462 f. mit Tabelle 5. Dabei liegt das Musik‐ streaming noch vor der Nutzung von Podcasts und Radiobeiträgen (vgl. Oehsen, Audionutzung, besonders 481 f. mit den Abbildungen 1-2). 14 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161. 15 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161. Vgl. insgesamt zu Audio 3.0 Schützen‐ eder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161-163. Zugespitzt formuliert: „Audio 1.0 ist so gesehen Radio als Massenmedium für ein schweigendes Publikum.“ 10 Diese Phase wurde spätestens durch den Digitalisierungsschub in den 1990er Jahren von einer neuen abgelöst, in der das Publikum sich beteiligen kann: „weg von der schweigenden Masse, hin zu einem aktiven Teil des Programms.“ 11 Audio 2.0 lebt von nutzergenerierten Inhalten. Konkret spiegelt sich das neue Denken etwa in Sendungen mit Hörer: innenbeteiligung, in neuen Möglichkeiten der Partizipation über Aktionen und Spiele oder im selbstbestimmten Audioabruf auf den Websites der Sender. 12 Heute gehört Audio in der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren zu den am meisten genutzten Medienangeboten im Internet, unmittelbar nach dem Bewegtbild. 13 Audio 2.0 ist maßgeblich von den Entscheidungen in den jeweiligen Re‐ daktionen geprägt. Diese „Entscheidungshoheit“ 14 schwindet in der Phase, die sich als Audio 3.0 bezeichnen lässt. Hier kann jede und jeder „aus dem Publikum heraus […], mit niedrigschwelligem technischem Know-how Audio-Content […] produzieren, […] distribuieren und so vom Hörendenin den Gehörten-Status […] wechseln.“ 15 Audio 3.0 zeichne sich insbesondere durch Entwicklungen auf den drei Ebenen production, distribution und conferencing aus: Mit Hilfe des Smartphones kann jede und jeder eigene Inhalte erstellen (production) - häufig sind es Podcasts -, diese mit Hilfe der großen Plattformen verbreiten (distribution) und sich gleichberechtigt mit anderen austauschen (conferencing), wofür bei Schützeneder und Graßl insbesondere die Plattform Clubhouse steht. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 39 16 Vgl. zur Geschichte des Podcasts Eins, Podcasts, 9-12; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 19-26. Hammerschmidt setzt die zweite Welle für Deutschland etwa ab dem Jahr 2017 an. Während in der ersten Welle (ab etwa 2004) vor allem Hobby-Podcaster: innen experimentierten, sorgten vermutlich die Verbreitung des Smartphones und das mobile Internet für eine sehr viel breitere Podcastnutzung ab der zweiten Welle. 17 Vgl. etwa aus dem Jahr 2007 Schmidt u.-a., Podcasts. 18 Vgl. etwa Zorn u. a., Educasting, aus dem Jahr 2013 (1. Auflage 2011). Auch der Podcast von Elisabeth Barkov greift den Begriff auf: „Educasting - Podcasts in der Hochschulbildung“. 19 Brecht, Radio, 217. 20 Brecht, Radio, 217. 21 Vgl. zu dieser Differenzierung Schmidt u. a., Podcasts, 6 f. Sie übernehmen die drei Ansätze von Bachmann u. a., Internetportal, 95, und wenden sie auf den Podcast an. Bachmann u. a. beziehen sich auf das E-Learning allgemein und beschreiben das Verhältnis zwischen multimedialen Elementen und der Vor-Ort-Lehre. Vgl. zu Podcasts als eine Spielart von E-Learning auch Arnold u.-a., Handbuch, 240-245. Bereits weit vor der zweiten Podcast-Welle, die in den USA etwa ab dem Jahr 2014 beginnt, 16 wurde der Podcast auch (hochschul-)didaktisch aufgegriffen. 17 Podcasting in der Hochschuldidaktik firmiert dann unter dem Begriff „Educas‐ ting“. 18 Schon früh machte man sich auch Gedanken, wie sich das damals noch recht neue Phänomen Podcast in Lehr-Lern-Formate didaktisch sinnvoll integrieren lässt. 3 Educasting: zwischen Anreicherung der Lehre durch Audio und vollständiger Virtualisierung der Lehre „Tatsache ist, daß wir uns immerfort von Möglichkeiten an der Nase herum‐ führen lassen.“ 19 So kritisierte bereits Bertolt Brecht die Vorstellung, dass die neue Technik allein schon etwas Nützliches oder Sinnvolles mit sich bringt. Ironischer formuliert er: „Man wunderte sich, was für Darbietungen da aus den Sphären kamen. Es war ein kolossaler Triumph der Technik, nunmehr einen Wiener Walzer und ein Küchenrezept endlich der ganzen Welt zugänglich machen zu können. Sozusagen aus dem Hinterhalt.“ 20 Wer Podcasts für die Hochschullehre nutzen möchte, kommt also nicht umhin, sich wie in der analogen Lehre auch, Gedanken über die Lernziele und die methodisch-didaktische Gestaltung zu machen. Speziell für die Podcastnutzung in Lehr-Lern-Kontexten haben Tim Schmidt, Markus Ketterl und Karsten Morisse bereits 2007 drei Konzepte der Podcast-Nutzung vorgeschlagen, die auch heute noch zum Weiterdenken anregen. 21 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 40 Michael Hölscher 22 Schmidt u.-a., Podcasts, 7. 3.1 Anreicherung Mit Anreicherung durch Audio lässt sich eine Form beschreiben, in der die Vor-Ort-Lehre durch zusätzliche Materialien im Audioformat ergänzt wird. Hier handelt es sich also um Audioangebote, die fakultativ sind. Dies könnten Hintergrundinformationen zu bestimmten Lehrveranstaltungsinhalten sein, etwa bei Überblickslehrveranstaltungen, die im Laufe des Semesters viele Themenbereiche anreißen. Aber auch Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Prüfungsformen oder zur Studienorganisation sind möglich. Solche Angebote könnten insbesondere dann funktionieren, wenn sie auf einen entsprechenden Bedarf reagieren und den Servicecharakter stark machen. Die drei Autoren gehen stark lehrendenzentriert an das Thema Podcast heran. Es ist natürlich auch möglich, dass solche Audiobeiträge von Studierenden produziert und der Lerngruppe zur Verfügung gestellt werden. 3.2 Integration Unter Integration von Audio in die Lehre werden Formate gefasst, die On‐ line- und Vor-Ort-Lehre verbinden: „Im Integrationskonzept werden vorrangig netzbasierte Veranstaltungen mit hohem Online-Anteil und gegebenenfalls mit tutorieller Betreuung durchgeführt.“ Hier sind unterschiedliche Szenarien denkbar, wie Einheiten im Plenum und Selbstlerneinheiten aufeinander abge‐ stimmt und rhythmisiert sein können, je nachdem, welchen Umfang asynchrone Selbstlerneinheiten mit audiogestützten Materialien haben und inwiefern syn‐ chrone gemeinsame Termine vorgesehen sind. Werden die Podcasts durch die Lehrenden erstellt und sind sie Teil eines asynchronen Lehr-Lern-Settings, dann fordern sie in der Regel ein hohes Maß an Motivation und Selbstorganisation auf Seiten der Studierenden ein und sind möglicherweise eher für fortgeschrittene Studienphasen geeignet. Werden - etwa anstatt von Referaten - Podcasts von den Studierenden selbst erstellt und sinnvoll in das Lehr-Lern-Szenario eingebunden, ist die Motivation gegebenenfalls größer, auch die Beiträge der anderen zu hören. 3.3 Virtualisierung Unter Virtualisierung versteht man schließlich ein Format, in dem „einzelne Vor‐ lesungen nur online zur Verfügung gestellt werden und damit den Besuch der Präsenzveranstaltung ersetzen“ 22 oder Podcasts „als verpflichtende Vorberei‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 41 23 Schmidt u.-a., Podcasts, 7. 24 Der Beitrag beschränkt sich auf die nicht-technischen Aspekte des Podcastens. Hin‐ weise und Empfehlungen zur technischen Seite - von Aufnahmetechnik über Audio‐ schnitt bis hin zum Podcasthosting - finden sich online unter Hölscher, Podcasts. Vgl. darüber hinaus auch Eins, Podcasts, 117-129 („Technische Ausrüstung für die Au‐ dioaufnahme“); 143-155 („Postproduktion und Audioschnitt“); 169-188 („Verbreitung und Marketing“), sowie Hammerschmidt, Podcast-Buch, 96-108 („Audio-technische Aspekte der Podcast-Produktion“); 109-117 („Inhaltlich-technische Aspekte der Pod‐ cast-Produktion“); 117 f. („Mobiles Podcasten - für ganz Eilige“); 119-135 („Veröffentli‐ tung auf eine Lehrveranstaltung“ 23 eingesetzt werden. Hier setzen die Autoren ein recht klassisches Vorlesungsszenario voraus, wobei sich die Virtualisierung umgekehrt auch auf Projekte von Studierenden ausweiten ließe, also etwa auf umfangreichere Gruppen- oder Projektarbeiten. 4 Fit fürs Podcasten in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation Jede Form von Podcast kann - auch wenn sie stärker im Sinne von Audio 1.0 konzipiert ist - hilfreich und zielführend sein, wenn sie professionell gemacht ist. Gegebenenfalls kann ein Format, das dem Konzept Audio 1.0 folgt, sogar auf ein bestimmtes Bedürfnis der Zuhörenden reagieren und mit Muße und Gewinn gehört werden, wenn es durch sprachliche Gestaltung, eine gute Struktur, Steuerelemente und Zusatzmaterialien so gestaltet ist, dass es gut konsumierbar ist. Andererseits können Studierende, vor die Aufgabe gestellt, in einer Lehrver‐ anstaltung einen Podcast zu produzieren, allzu sehr herausgefordert sein, weil das Zusammenspiel von neu zu erschließenden wissenschaftlichen Inhalten und angemessener technischer sowie sprachlicher Umsetzung des Themas ihnen zu viele Kompetenzen auf einmal abverlangt. Für beide Seiten - Lehrende wie Studierende - bieten Podcasts also ein herausforderndes, aber vor allem spannendes Lernfeld. Studierende können ganz praktisch etwas über das Medium Podcast lernen und sich damit gleich‐ zeitig wissenschaftliche Inhalte erschließen. Eine wichtige Fertigkeit ist dabei, komplexe Themen für sich und andere so zu erschließen und zu erklären, dass man sie leicht verstehen kann. Lehrende können erproben, wie man auch mit Hilfe von Sprache und Stimme, Distanz überbrücken und persönliche Nähe zu seiner Zielgruppe schaffen kann, um Verbundenheit zu erzeugen. Wichtig beim Podcasten ist eine Sprache, die ankommt, zielgruppengerechte Kommunikation, das Ernstnehmen der Hörgewohnheiten der angesprochenen Gruppe und das richtige Format. Darum soll es im Folgenden gehen. 24 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 42 Michael Hölscher chung - Der Podcast muss an die frische Luft“); 179 („Modelle der Podcast-Produktion - Bronze, Silber, Gold“). 25 Vgl. insgesamt zu Sprache und Sprechen in Radio und Podcast Hammerschmidt, Podcast-Buch, 85-88; La Roche, Hören; Linke, Manuskript; Rossié, Frei sprechen. 4.1 Kino im Kopf: Sprache und Sprechen Während das Fernsehen vom Bild lebt und die Sprache nur Begleitung ist, müssen Audiobeiträge die Bilder im Kopf erzeugen. Dies funktioniert aus‐ schließlich über Sprache, Stimme und manchmal über Geräusche. Podcasts funktionieren auch deshalb so gut, weil sie etwas von der Person hinter dem Mikrofon preisgeben. Wer frei und authentisch spricht, eigene Positionen und persönliche Einschätzungen erkennen lässt, kommt im Podcast meistens besser an als derjenige, der die Distanz zwischen Sprecher: in und Empfänger: innen noch zusätzlich durch sprachliche Distanz markiert. 25 Fünf konkrete Tipps helfen, um als Sprecher: in das virtuelle Gegenüber zielsicher zu erreichen: 1. Am besten ist es, frei zu sprechen. Professionelle Sprecher: innen können geschriebene Texte so sprechen, dass sie klingen, als seien sie im Moment frei formuliert worden. Für Ungeübte ist das in der Regel schwer. Jede und jeder hat dabei andere Vorlieben, sich das, was man sagen möchte, ins Gedächtnis zu rufen: Manche nutzen Mnemotechnik, andere haben ausgefeilte Systeme, wie sie sich ihre Notizen organisieren. Eine gute Struktur hilft immer, zielsicher zu formulieren und sich auf das Wichtigste zu beschränken. 2. Eine natürliche Sprache, wie im direkten Gespräch, kommt meistens am besten an. Es hilft, sich vor dem Sprechen locker zu machen, durch Bewegung und Atemübungen. Zuweilen helfen banale Dinge, wie, sich bequem anzuziehen, um eine gute Atmosphäre zu schaffen. Erstaunlich gut funktioniert auch, wenn man sich selbst mit einem Lächeln in eine positive Stimmung versetzt. 3. Als Podcaster: in spricht man häufig direkt über den Kopfhörer ins Ohr seiner Hörer: innen. Audio ist eine sehr intime Kommunikationssituation. Man sollte also so sprechen, dass man eine Person ganz unmittelbar anspricht (und sich nicht etwa eine Menschenmenge im Hörsaal vorstellt). Dabei hilft es, wenn man beim Sprechen eine vertraute Person imaginiert, die in die Zielgruppe passt, und sich direkt an diese Person richtet. 4. Auch wenn es für einen selbst zunächst übertrieben klingt, man muss sprachlich meistens etwas dicker auftragen, als man zunächst meint. Es hilft enorm, wenn man Emotionen in die Sprache legt, die zum jeweiligen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 43 26 Vgl. von Oehsen, Audionutzung. Vgl. auch die Infografiken auf https: / / www.ard-zdfonlinestudie.de/ . 27 Vgl. von Oehsen, Audionutzung, 484-486 mit Abbildung 7. Am zweithäufigsten in der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren wird angeführt: „weil ich nebenbei etwas anderes tun kann“ (76-%). 28 Von Oehsen, Audionutzung, 485. Inhalt passen - in der Regel zu einzelnen Satzteilen, Sätzen oder Absätzen. Wer eine Forschungsposition referiert, die man selbst ablehnt oder kritisch beurteilt, kann das auch sprachlich-emotional zum Ausdruck bringen. 5. Hörer: innen merken schnell, ob jemand das, was er oder sie sagt, auch tatsächlich meint. Authentizität ist also besonders wichtig. Wer für das Sprechen schreibt, kann Folgendes beherzigen: 1. Kurze Sätze formulieren, 2. Redundanzen einbauen (Namen, Daten, Fachbegriffe usw. wiederholen), 3. einfache Sprache verwenden und Fachbegriffe vermeiden (oder so ein‐ führen, dass sie hängen bleiben), 4. Bilder im Kopf erzeugen (Stichwort „Kino im Kopf “, beispielsweise Esels‐ brücken für einen Fachbegriff einführen o.-ä.), 5. Geschichten erzählen (Storytelling ist ohnehin immer zu empfehlen). Ein Ansatzpunkt kann die Frage sein: Gibt es eine Grundspannung im Thema, aus dem heraus sich eine Geschichte erzählen lässt? Letztlich geht es beim Sprechen immer darum, dass man gerne zuhört, damit das, was man sagt, bei den Hörer: innen ankommt. Dabei kann es sich lohnen, sich bei seiner Zielgruppe direkt zu erkundigen, wie die eigene Sprache und das Sprechen wahrgenommen werden. 4.2 Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler: Formatentwicklung für die Zielgruppe Das Nachdenken über die Zielgruppe setzt bereits bei der Wahl des Mediums an. Die ARD/ ZDF-Onlinestudie 2022 hat gezeigt, dass Audionutzung - das betrifft sowohl Musikstreaming als auch Podcasts und Radiobeiträge - bei der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren hoch im Kurs steht. 26 Das in dieser Altersgruppe am häufigsten genannte Motiv für die Podcastnutzung ist: „um etwas zu lernen“ (78 %). 27 Damit fällt auf, dass das Informationsinteresse in dieser Altersgruppe groß und „das Verfolgen von Prominenten, Stars und Influencern nicht zu den zentralen Nutzungsmotiven von Podcasts gehört.“ 28 Es DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 44 Michael Hölscher 29 Zum Teil lassen sich auch die regelmäßig von den Hochschulen organisierten (anonymen) Lehrveranstaltungsbewertungen nutzen, um Zielgruppenanalyse zu be‐ treiben. 30 Vgl. zur Zielgruppenanalyse etwa auch Eins, Podcasts, 59-65; Hammerschmidt, Pod‐ cast-Buch, 68f. 31 Vgl. Sauer, Kirchengemeinde. ist also auch hochschuldidaktisch sinnvoll, diesen Trend aufzugreifen und mehr Audioformate für die Lehre zu entwickeln. Innerhalb der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren lässt sich nun genauer differenzieren. Wer in der Hochschullehre tätig ist, hat tagtäglich mit Mitglie‐ dern dieser Zielgruppe zu tun und kann über Lehrveranstaltungen oder durch persönliche Gespräche einiges über die Interessen herausfinden: 29 • Welche Themen funktionieren gut oder sorgen immer wieder für Diskus‐ sionen in der Lehre? • Welche Hörgewohnheiten hat die Zielgruppe? • Wo werden Podcasts konsumiert (in Bus oder Bahn, beim Sport …)? • Welche Länge wird bevorzugt? • Welchen Mehrwert muss ein Podcast bieten, damit er regelmäßig gehört wird? Im besten Falle füllt der neue Podcast eine Lücke im Leben der Studierenden und ist von der Ansprechhaltung über den Klang insgesamt bis zum Thema auf diese Zielgruppe abgestimmt. 30 Wer einen Podcast neu entwickeln möchte, kann auch nach einer ersten Zielgruppenerkundung eine Pilotfolge produzieren, in der Ansatz und Anliegen des Podcasts sowie der Host hinter dem Mikrofon vorgestellt werden. Mit einer solchen Pilotfolge kann man dann Rückmeldungen einholen, sei es im persönlichen Gespräch oder über selbst erstellte Umfragen: Was interessiert die Zielgruppe inhaltlich besonders am Podcast? Passen Ansprechhaltung und Akustik? Wie kommt das Format an? Und vieles mehr. Ein recht einfaches Reflexionsinstrument, um pragmatisch Podcast-Angebote für konkrete Zielgruppen zu entwickeln, bietet Tobias Sauer auf seiner Web‐ site ruach.jetzt. 31 Er geht vom konkreten Mehrwert eines Podcasts für drei Zielgruppen aus und reflektiert jeweils auch den Arbeitsaufwand auf der Seite der Produzierenden. Seine drei Zielgruppen sind zwar für die Arbeit in Kirchen‐ gemeinden entwickelt, lassen sich aber recht gut auf den Hochschulkontext übertragen. Er setzt mit Blick auf die Zielgruppen bei der räumlichen Reichweite an: DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 45 1. Überregionale Zielgruppe - Thema im Fokus: Diese Adressat: innen haben wir meistens als erstes im Kopf, wenn wir an Podcasts denken. Man hat ein spannendes Thema, das eine Zielgruppe auch anderswo interessiert. Im Hochschulbereich können das beispielsweise Theologiestudierende oder Theolog: innen in der Berufspraxis sein. Für solche Zielgruppen wären un‐ abhängig vom Standort Themen wie „Theologie und Beruf “ von Interesse. Das Beispiel zeigt bereits: Solche Zielgruppen müssen nicht besonders groß sein, allein ein spezifischer Bedarf bei einer klar umrissenen kleinen Ziel‐ gruppe kann schon zu einer konstanten Hörer: innenzahl führen. Das Motto könnte lauten: Mut zur Nische! Wichtig bei der Themenwahl ist, dass man selbst Lust auf das Thema hat, dass man dieses Thema möglichst ohnehin schon beruflich oder privat verfolgt, sodass der Vorbereitungsaufwand gering ist. 2. Lokale Zielgruppe - Leben vor Ort im Fokus: Allzu schnell fokussiert man die überregionale Zielgruppe, weil man diese Gruppe mit seinem Thema erreichen möchte, auch wenn das Interesse tatsächlich gar nicht in dem Maße vorhanden ist. Gerade im Hochschulbereich ist es häufig sehr viel einfacher, der Öffentlichkeit vor Ort zu zeigen, was man forscht und lehrt. Die meisten Fakultäten und Institute sind bereits in Kirche und Gesellschaft vor Ort vernetzt. Warum also nicht das eigene Thema oder interessante Forscher: innenpersönlichkeiten in der Stadtgesellschaft bekannt machen? Viele Hochschulen haben Formate, die genau so etwas im Sinne der ‚Bürgeruniversität‘ versuchen. Zuweilen lassen sich auch Themen der Stadtgeschichte aufgreifen und mit dem eigenen Forschungs‐ feld verbinden. Wer eine solche Zielgruppe in den Blick nimmt, schafft Verbindungen zwischen der eigenen Institution und der Öffentlichkeit vor Ort. Bezugspunkte sind dabei der gemeinsame Ort und die Menschen, die an diesem Ort leben und arbeiten. 3. Hyperlokale Zielgruppe - Nutzen für die eigenen Mitglieder: An unseren Hochschulen haben wir meistens mit Angeboten zu tun, die sich an die Mit‐ glieder der eigenen Organisation richten, also an die Studierenden vor Ort, die Lehrenden, Wissenschaftler: innen, das Verwaltungspersonal. Wenn es darum geht, Angebote für die hyperlokale Zielgruppe aufzubereiten, kann der Nutzen sehr groß sein, bei einem unter Umständen sehr geringen Produktionsaufwand. Tobias Sauer denkt hier an Predigtmitschnitte bei Spotify oder Audioversionen des Gemeindebriefs für Menschen mit Seh‐ behinderung. In der Regel ist bei diesen Zielgruppen das Interesse an den Angeboten bereits vorhanden, das Audioformat bringt es in einer konsumierbaren Form zu ihnen. Im Hochschulbereich wäre hier etwa zu DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 46 Michael Hölscher 32 Schmidt u.-a., Podcasts, 2. 33 Weiner, Voices. 34 Kerres, Mediendidaktik, 39-41, bezeichnet dieses Phänomen als „seamless learning“. denken an Audioinformationen zur Prüfungsordnung oder zum Studien‐ verlauf, an Aufzeichnungen von Veranstaltungen und Vorträgen, die sich eher an die Mitglieder des Instituts oder Fachbereichs richten. Den häufig eher geringen Abrufzahlen bei solchen Podcasts steht ein häufig geringer Aufwand und ein großer Nutzen für die Zielgruppe gegenüber. Wer für das eigene Podcast-Projekt klar sagen kann, an welche Zielgruppe man sich richtet, wer vielleicht sogar steckbriefartig eine konkrete Persona entwickelt und stets vor Augen hat, setzt damit zugleich die nächsten Schritte, denn ein Podcast für eine hyperlokale Zielgruppe kann allein intern ausgespielt und über Mail-Verteiler beworben werden, während überregionale Podcasts ein professionelles Podcast-Hosting und eine eigene Werbestrategie erfordern. 4.3 Auf dem Sofa oder im Zug: Lernräume und Orte zum Hören „Radio-Anytime-Anywhere. So können beispielsweise Studierende die Fahrt mit dem Bus zur Universität nutzen, um eine Vorlesung zu wiederholen.“ 32 So stellte man sich im Jahr 2007 Audionutzung in der Hochschullehre vor. Aber auch hier gilt: Nicht der Wunsch, wo und zu welchem Zweck die Zielgruppe Podcasts konsumieren soll, ist entscheidend, sondern wo sie dies tatsächlich tut. Streng genommen ist dieser Aspekt der Podcastnutzung natürlich ein Teilbereich der Zielgruppenanalyse. Weil er aber hochschuldidaktisch so relevant ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf diesen Aspekt. Wer die Hörgewohnheiten der Zielgruppe genau kennt und in der Hochschul‐ lehre aus der Raumgebundenheit ausbrechen möchte, für die oder den bieten Podcasts enorme Vorteile, gerade auch im Unterschied zu bildschirm- oder schreibtischgebundenen Formaten wie Videos, Screencast oder der klassischen Lektüre von Texten. So formuliert der Journalist Jonah Weiner anschaulich: „Staring at a laptop or a tablet for hours on end exacts a physical toll; podcasts present a way to re-enter, and move through, the natural world without logging off. In an antidotal, and almost paradoxical way, podcasts are the Internet freed from pixels.“ 33 Produktion und Rezeption von Podcasts sind mobil geworden. Wer das Smartphone in der Tasche hat, kann überall gleichermaßen Audios aufzeichnen, mit anderen teilen und abrufen. 34 Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten auch für Lehr-Lern-Kontexte. Studierende können rausgehen und etwa Umfragen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 47 35 Etwas despektierlich spricht man inzwischen vom „Laber-Podcast“, wenn sich zwei Menschen im Podcast miteinander unterhalten. 36 Vgl. Hammerschmidt, Podcast-Buch, 49-61. Auch Eins, Podcasts, 27-57, bietet eine Übersicht über verschiedene Podcast-Formate und ihren Aufbau. 37 Vgl. insgesamt zu Formatentwicklung und Konzept bei Podcasts Eins, Podcasts, 27-73; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 43-83. machen und dabei O-Töne einsammeln, über Messenger-Dienste untereinander Sprachnachrichten verschicken und daraus mit wenig Aufwand Audiobeiträge schneiden. Lehrende können mit Hilfe des Mediums Podcast gezielt Ortswechsel herbeiführen, um Studierende vom Schreibtisch wegzubekommen: Seien es Griechischvokabeln für Pendler: innen, Audioguides für Museumsbesuche oder Podcasts zur Exkursionsbegleitung. 4.4 Die Welt ist bunt: Podcast-Formate und Beispiele Die Bandbreite der Podcast-Formate ist riesig. Und die Liste verbreiteter Formate lädt förmlich dazu ein, sie neu zu kombinieren oder aus einem vermeintlich abgegriffenen Format 35 mit einem kreativen Dreh etwas Neues zu machen. Doris Hammerschmidt stellt eine ganze Reihe von Formaten vor, 36 darunter etwa: • „Zwei Menschen reden über … Der Laber-Podcast“ • „Die große Geschichte … Der Storytelling-Podcast“ • „Fachgespräch mit … Der Interview-Podcast“ • „Ich helfe Euch … Der Experten-/ Köder-Podcast“ • „Hey Fans … Der Promi-/ Personality-Podcast“ • „Ist das spannend … Der True-Crime-Podcast“ • „Mit Mikrofon unterwegs … Der Reportage-Podcast“ • „Ich arbeite gern hier … Der Recruiting-Podcast“ • „Angeln, Fußball, Heavy Metal … Der Nischen-Podcast“ • „Kommet her, schauet hin … Der Event-Podcast“ • „Ich bin das Gesicht dazu … Der Live-Podcast“ Es muss also nicht immer der ‚Laber-Podcast‘ sein, in dem sich zwei Menschen unterhalten; man kann auch mit Storytelling oder Reportage experimentieren. Möglicherweise haben viele Lehrende und Studierende auch Expertise in Ni‐ schenthemen, aus denen sich ein Podcast entwickeln ließe. Wer weitere Anre‐ gungen zur Formatentwicklung benötigt, findet in der einschlägigen Literatur Tipps und Anregungen. 37 Im Folgenden sollen ein paar ausgewählte Beispiele nicht nur aus dem Hochschulbereich präsentiert werden, um Anregungen zu geben und die Bandbreite zu illustrieren, die möglich ist. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 48 Michael Hölscher 38 So die Auskunft der Hörsaal-Redakteurin und Moderation Katja Weber. 39 Dass solche Podcasts sogar auch als Prüfungsleistung eingesetzt werden können, zeigt etwa Korbel, Future. 40 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 44. 41 https: / / www.radiozentrale.de/ kampagnen/ radio-geht-ins-ohr-bleibt-im-kopf/ . 42 Vgl. insgesamt Hammerschmidt, Podcast-Buch, 43f. Der Hörsaal von Deutschlandfunk Nova liegt auf der Skala zwischen Anrei‐ cherung und Virtualisierung deutlich im Bereich der Virtualisierung. Gesendet werden Vorträge von Wissenschaftler: innen; die Beiträge sind daneben auch on-demand über die Audiothek abrufbar. Der Podcast gehört zu den reichwei‐ tenstärksten des Deutschlandradios. 38 Am Hörfunk-Feature orientiert sich der Podcast Hinter den Dingen des SFB 980 „Episteme in Bewegung“. Er erzählt Wissenschaft mit professionellen Sprecher: innen und ausgefeilter Dramaturgie auf unterhaltsame Weise und mit Elementen des Hörspiels. Journalismus funktioniert häufig multimedial, indem Text-, Bewegtbild- und Audioelemente kombiniert werden. Auch solche Ansätze gibt es im Podcast-Be‐ reich. Clio auf die Ohren ist Teil der multimedialen Plattform Clio 2.0 am Historischen Seminar der Universität Mainz. Ein Anliegen ist dabei, die Grenzen zwischen Forschung, Lehre und Wissenschaftskommunikation aufzulösen. Dort produzieren die Studierenden selbst geschichtswissenschaftliche Podcasts. 39 Mit dem Bibeldoktor - Das Online-Proseminar hat Michael Hölscher ein multimediales Format erprobt. Es handelt sich dabei um ein offenes Lernformat in Form eines Blogs, der Podcasts, Videos, Text und interaktive H5P-Bausteine zu multimedialen Online-Handouts verbindet. 5 Fazit: Podcasts als Lernfeld Seit Jahrtausenden sitzen Menschen zusammen und erzählen Geschichten. Dabei kommt der Sprache und der menschlichen Stimme eine besondere Bedeutung zu: „Wessen Stimme wir kennen, dem vertrauen wir, den integrieren wir fast schon in unsere Familie.“ 40 Obwohl in der digitalen Welt ausgerechnet das bewegte Bild dominiert, scheint der Werbeslogan der Radiozentrale - „Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf.“ 41 - einen wahren Kern zu haben. 42 Aber auch darüber hinaus bietet das Lernfeld Podcast einige Vorteile. • Indem Forschende, Lehrende und Studierende die eigene Sprache und das eigene Sprechen schulen, zielgruppengerechte Formate entwickeln und Medieninhalte passgenau auf die Hörgewohnheiten der adressierten DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 49 Gruppe abstimmen, können alle gleichermaßen daran arbeiten, ihr eigenes Handeln zu professionalisieren. • Im digitalen Raum stehen Lernmaterialien direkt neben Angeboten qualifi‐ zierter Akteur: innen, von Influencer: innen bis hin zu Medienschaffenden. Mit einem Klick ist man von diesem Produkt bei jenem. Wer sein eigenes Handeln professionalisiert, kann das qualitative Gefälle dazwischen im besten Falle etwas verringern. • Derzeit wird häufiger über digitale Grundbildung von Lehrkräften disku‐ tiert. Hier bietet sich die Podcastproduktion - von Aufnahmetechnik und Schnitt bis hin zu digitaler Vermarktung über Websites und Social Media - als Lernfeld ganz besonders an. • In Zeiten zunehmenden Drittmittelwettstreits erwarten Geldgeber häufig Engagement im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Auch hier bieten Podcasts eine Möglichkeit, um zielgruppengerechte Kommunikation und plattformgerechte Ausspielung von Inhalten zu schulen. • Versteht man Wissenschaft im Kern als Kommunikation zwischen Wis‐ senschaftler: innen, zwischen Lehrenden und Studierenden oder zwischen Mitgliedern einer Hochschule und außeruniversitären Publika, dann dienen diejenigen, die medial kompetent agieren, nicht zuletzt auch der Wissen‐ schaft selbst. Was es allerdings bräuchte, um mit Podcasts gerade in der Hochschullehre ein‐ facher arbeiten zu können, wäre ein Angebot für das Podcasthosting durch die Hochschulen selbst, das zugleich auch eine Langzeitarchivierung gewährleistet, wie sie im Bereich digitaler Texte, seien es wissenschaftliche Blogs oder die Dokumentenserver der Universitätsbibliotheken, schon Standard sind. Da klas‐ sische Lernmanagementsysteme meistens nicht den Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe entsprechen, gibt es auch für multimedial angelegte Projekte, in die Audios eingebunden werden können, noch einige Entwicklungsmöglich‐ keiten. 6 Loslegen: Drei Fragen und fünf goldene Regeln zum Podcasten Wer nach diesem Beitrag direkt mit dem Podcasten loslegen möchte, kann mit diesen Fragen direkt beginnen: 1. Für welches Thema brenne ich? 2. Wen will ich erreichen? 3. Welches Format liegt mir? DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 50 Michael Hölscher 43 Bodingbauer, Gedanken, Nr.-28. Alle weiteren Aufgaben lassen sich mit den „Golden Five“ von Lothar Boding‐ bauer aus der Podcast-Community Sendegate zusammenfassen: „Audioqualität, Formatklarheit, Feedbackkultur, Workflow sitzt, Sprache passt“ 43 . Literatur Arnold, Patricia u.-a.: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien (UTB 4965), Bielefeld 2018. Bachmann, Gudrun u.-a.: Das Internetportal „LearnTechNet“ der Universität Basel. Ein Online-Supportsystem für Hochschuldozierende im Rahmen der Integration von E-Learning in die Präsenzuniversität, in: Bachmann, Gudrun u. a. (Hg.): Campus 2002. Die Virtuelle Hochschule in der Konsolidierungsphase (Medien in der Wissenschaft 18), Münster 2002, 87-97. Beisch, Natalie/ Koch, Wolfgang: ARD/ ZDF-Onlinestudie: Vier von fünf Personen in Deutschland nutzen täglich das Internet. Aktuelle Aspekte der Internetnutzung in Deutschland, Media Perspektiven (2022/ 10), 460-470. 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DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 53 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation Einige grundsätzliche und praktische Überlegungen Matthias Hopf (orcid.org/ 0000-0002-9183-7740) Der Beitrag thematisiert dezidiert die Chancen und Grenzen, mit denen eine theologische Wissenschaftskommunikation konfrontiert ist. Nach ei‐ nigen Überlegungen auf einer grundsätzlichen Ebene (Wissenschaftskom‐ munikation als Teil des Demokratieerhalts, einem Lob auf die Neugier und einigen Anmerkungen zur Wissenschaftssprache) wird zwischen unidi‐ rektionalen und diskursiven Formaten der Wissenschaftskommunikation unterschieden und es werden deren Vor- und Nachteile beleuchtet. Der Artikel benennt weiterhin Gefahrenbzw. theologisch-exegetischer Wis‐ senschaftskommunikation insgesamt (etwa die spirituelle Existenzialität vieler Themen) und identifiziert schließlich auch einige den exegetischen Fächern inhärente Chancen (z. B. die Anschlussfähigkeit vieler Themen oder die oft gegebene Narrativität von Texten). The article addresses the opportunities and limitations faced by „scholarly communication“, i. e. the dissemination of theological insights to a broader public. After fundamental considerations (dissemination as part of the democratic process, praise of curiosity, and some remarks on scholarly language style), a distinction is made between unidirectional and discur‐ sive formats of dissemination, with a focus on their respective advantages and disadvantages. The contribution also identifies dangers and risks in theological-exegetical dissemination as a whole (such as dealing with existential-spiritual nature of many topics) and ultimately highlights some of the opportunities inherent in exegesis and its subject matters (e.-g., the relevance of many topics to modern societies, or the narrativity of many texts). DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 1 Vgl. seinen Beitrag Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemein‐ deveranstaltungen in diesem Heft. 2 Traditionell lösen solche ‚Hochglanz‘-Formate im Bereich der Theologie nach meiner Einschätzung oft eher Skepsis und Zurückhaltung aus - vermutlich ein Ergebnis der traditionell protestantischen Obrigkeitskritik. Vgl. für ein gutes Gegenbeispiel aber auch weiter unten Anm. 22. „Wissenschaftskommunikation“ und Theologie - es mag auf den ersten Blick den Anschein haben, dass diese zwei Begriffe nicht so recht zusammenpassen. Das gilt sogar noch mehr, wenn man das englische Pendant des ersten mit her‐ anzieht: „Science Communication“ bezieht sich semantisch zunächst tatsächlich nur auf die Naturwissenschaften, die sciences. Dabei hat die wissenschaftliche Theologie, ganz wie Peter Wick schreibt, 1 eigentlich eine lange Tradition der Wissenschaftskommunikation - selbst wenn viele dieser Formen (wie Gemein‐ deabende, Beiträge in Kirchenzeitschriften o. ä.) nicht immer in einem ‚Hochglanzformat‘ daherkommen. 2 Gerade in der zunehmenden Aufmerksamkeit, die Wissenschaftskommunikation in der akademischen Öffentlichkeit erhält, ist dies zu betonen. Gleichwohl sind neben solchen bewährten Formaten sicher auch stärker neue Wege zu gehen, neue - meist elektronische - Medien zu ‚bespielen‘. Das wirft natürlich die Frage auf, was mit „Wissenschaftskommunikation“ überhaupt gemeint ist. Gerade um die Chancen derselben auszuloten, scheint es mir aber dienlich, bewusst eine sehr weite Definition mit fließenden Grenzen zu verwenden: Es geht um jedwede Form der Wissensvermittlung jenseits der engeren Adressat: innenschaft der regulär eingeschriebenen Studierenden (bzw. des Forschungsbetriebs). Und es wird sich gleichzeitig zeigen, dass selbst diese Definition noch ein gewisses Potenzial hat ‚auszufransen‘. Dabei bringt eine theologische Wissenschaftskommunikation m.-E. verschie‐ dene spezifische Herausforderungen mit - wie auch Chancen. Diese sollen in diesem Beitrag beleuchtet werden, mit einem besonderen Fokus der Bedürfnisse einer Wissenschaftskommunikation im Bereich der Theologie insgesamt bzw. der exegetischen Fächer im Besonderen. 1 Einige grundsätzliche Gedanken Warum aber ist Wissenschaftskommunikation überhaupt so wichtig? Hierzu sind zu Beginn einige grundsätzliche Bemerkungen sinnvoll, die aber jeweils auf die theologische Spezifik zugespitzt werden. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 56 Matthias Hopf 3 Vgl. dazu z.-B. Kiefer, Radikalisierungsprävention, oder Kart, Schlüsselrolle. 1.1 Demokratieerhalt Zunächst ist zu betonen, dass Universitäten gerade als Bildungsinstitutionen sowie durch ihr Ideal des hierarchiefreien Diskurses zentrale Institutionen der Demokratie sind. In den gegenwärtigen Zeiten ist dies in besonderem Maße von Relevanz. Die theologischen Fakultäten und Hochschulen sind öffentliche Orte freier Forschung und Lehre. Dieser Aufgabe ist auch durch Wissenschaftskom‐ munikation gerecht zu werden, indem dieses Wissen nicht nur frei zugänglich gemacht wird (man denke hier beispielsweise auch an das Stichwort „open access“), sondern auch ganz gezielt mit der Öffentlichkeit geteilt wird. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, durch die sachlich notwendigen Spe‐ zialdiskurse zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ins ‚Esoterisch‘-Un‐ verständliche abzudriften - und dies letztlich in allen Fächern, wie die Coronas‐ kepsis äußerst schmerzlich aufgezeigt hat. Insofern steht es letztlich auch im eigenen Interesse der Fächer, die Weitervermittlung ihrer Inhalte und Ansätze möglichst breit zu streuen. Nur so können Menschen ‚mitgenommen‘ werden auf den Pfad des Verstehens - was ja die ureigene Aufgabe einer Bildungsinsti‐ tution ist. Weiterhin ist nicht zu vergessen, dass die Bevölkerung als der demokrati‐ sche Souverän letztlich immer auch die Geldgeberin für den größten Teil der Lehr- und Forschungsmittel ist. Insofern liegt die Wissenschaftskommunikation immer im Eigeninteresse der akademischen Community und ist gleichzeitig ein entscheidendes Instrument des Demokratieerhalts, da Bildung und das damit verbundene Bewusstsein für Komplexitäten zumindest in der Tendenz vor Radikalisierung bewahren kann. 3 Theologie ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Auch ihr ist die Aufgabe aufgetragen, sich selbst zu erklären. Entscheidend ist dabei, dass das Fach als Ganzes, insbesondere aber auch der Exegese, selbstbewusst ihre Inhalte und Ansätze erläutert. Schließlich sind biblische Texte durch ihre Sprache, Motive, Themen und Ideale nach wie vor eine zentrale Grundlage für das kulturell-ge‐ sellschaftliche Selbstverständnis in westlichen Gemeinwesen. Diese Grundlagen mögen in der breiteren Bevölkerung bisweilen nur noch sehr entfernt oder nicht mehr bewusst sein. Gerade darum ist es jedoch so wichtig, die kulturprägende Funktion biblischer Texte innerhalb der historischen wie gegenwärtigen Gesell‐ schaft aufzuzeigen, zu erklären und dabei unter Umständen auch kritische Punkte anzusprechen - den Texten, ihrer Auslegung und ihren Ausleger: innen gegenüber aber auch gegenüber der Gesellschaft. Dieses kritische Potenzial der Texte und ihrer Auslegung ist ein Schatz, mit dem zu wuchern ist. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 57 4 Vgl. Bourdieu, Kapital. 5 Vgl. zu dieser Basisemotion Degé, Art. Emotionen, sowie o.-N., Art. Interesse. 6 Vgl. dazu auch die Anmerkungen zur Nachrichtenwert-Theorie im Beitrag von Helga Kaiser. 7 Dieser Aspekt wäre beispielsweise auch von Kirchen noch stärker zu beherzigen, die nach wie vor zu stark von unidirektionalen Bewegungen in das Pfarramt ausgehen und zu wenig in Rechnung stellen, dass Menschen vielleicht nur eine begrenzte Zeit den Beruf als Pfarrperson anstreben, um sich dann weiter zu orientieren. 1.2 Neugier wecken Weiterhin ist Wissenschaftskommunikation deswegen so wichtig, weil es ein grundsätzliches movens von Wissenschaft sein sollte, Neugier auf mehr zu we‐ cken - gerade auch bei der breiten Bevölkerung. Auf den ersten Blick mag dies ein Allgemeinplatz sein. Gleichzeitig ist es in Zeiten, in denen Aufmerksamkeit faktisch eine wichtige „soziale Währung“ ist (um es im weiteren Sinne mit Bourdieu zu sagen 4 ), von zentraler Bedeutung, im Gespräch zu bleiben. Dies sichert nicht nur „soziales Kapital“ in Form gesellschaftlicher Relevanz, sondern auch finanzielle Mittel und Studierendenzahlen - vom basalen wissenschaftli‐ chen Eros einmal ganz abgesehen. Kommunikationstaktisch geht es dabei um die Ansprache der Basisemotion ‚Interesse‘. 5 Ein solches ‚fishing for interest‘ mag bei manchen eventuell ethische Bedenken hervorrufen, nicht zuletzt sich weil politische Propaganda vergleich‐ barer Mittel bedient. 6 Diese wären aber m. E. dahingehend zumindest zu lindern, dass damit (anders als oft in jenen Fällen) sinnvolle und wissenschaftlich vertretbare Inhalte vorgetragen werden. Dieser Aspekt des Neugier-Weckens hat dabei aber gerade für das Fach Theo‐ logie noch ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, das eben schon angemerkt wurde: So dürfte Wissenschaftskommunikation nämlich insbesondere hinsicht‐ lich der Studierendengewinnung Wirkung entfalten. Vielleicht können dabei nicht unbedingt immer ‚reguläre‘ Studierende in Lehr- oder Pfarramtsstudien‐ gängen gewonnen werden, sondern vielleicht eher auch Studierende in späteren Lebensphasen. Gleichwohl präsentieren sich Berufsbiographien inzwischen ohnehin deutlich vielfältiger als noch vor nicht allzu langer Zeit. 7 Weiterhin besteht - soweit ich dies überblicken kann - nach wie vor größeres Potenzial im Ausbau von Studiengängen, die nicht direkt auf Berufsziele in Kirche oder Schule ausgerichtet sind. In dieser Hinsicht ist Wissenschaftskommunikation also per se auch ein Instrument zur Aufbrechung der ‚kirchlichen Bubble‘. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: An der Facoltà Valdese etwa, der einzigen protestantischen Ausbildungsstätte in Italien, sind nach Auskunft des Dekans insgesamt mehr als zehnmal so viele Menschen in einem Studiengang DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 58 Matthias Hopf 8 Die Information stammt aus persönlicher Korrespondenz mit Dekan Lothar Vogel. Weitere Informationen zu diesem Studiengang „Laurea in Scienze Bibliche e Teologiche (LSBT)“ finden sich auf der italienischen Website der Facoltà unter http: / / facoltavalde se.org/ it/ Laurea+in+SBT. Dies bringt dort und brächte wohl auch in Deutschland aber eine stärkere Hinwendung zu mindestens hybrider Lehre mit sich - die nach Corona trotz manchen Potenzials inzwischen leider wieder in einer Nische gelandet ist. 9 Vgl. z. B. die Studiengänge zu christlicher bzw. religiöser Kulturgeschichte in Berlin (https: / / www.theologie.hu-berlin.de/ de/ studienangebot/ mrc), Erlangen (https: / / me instudium.fau.de/ studiengang/ kulturgeschichte-des-christentums-ba/ ) oder Heidel‐ berg (https: / / www.theologie.uni-heidelberg.de/ de/ studium/ studiengaenge/ christen tum-und-kultur) sowie den Studiengang Evangelische Theologie und Hermeneutik in Bonn (https: / / www.uni-bonn.de/ de/ studium/ studienangebot/ studiengaenge-a-z/ evangelische-theologie-und-hermeneutik-bakf). 10 Es wäre sicher reizvoll, diesen Fragen in einer fundierten quantitativen oder qualita‐ tiven Studie weiter nachzugehen. Mir ist derzeit keine entsprechende Untersuchung bekannt. Lediglich von einzelnen nicht repräsentativen Umfragen (z. B. innerkirchliche Aktionen dieser Art) habe ich verschiedentlich gehört. eingeschrieben, der im Grunde eine Bildung in religiöser Kompetenz im Allge‐ meinen als Ziel hat, als dies im Studiengang für das Pfarramt der Fall ist. 8 Dies ist umso bemerkenswerter angesichts des Umstands, dass diese Studierenden aus ganz unterschiedlichen Hintergründen kommen und sie ‚lediglich‘ das Interesse an biblischen Texten und theologischen Fragen vereint. Erste Schritte in dieser Hinsicht wurden mancherorts auch in Deutschland schon mit verschiedenen spezifischen Masterstudiengängen gemacht. 9 Ausbau‐ fähig scheint mir dieser Bereich in aller Regel jedoch nach wie vor zu sein - etwa auch hinsichtlich dessen, was in der Schweiz als „Certificate of Advanced Studies (CAS)“ firmiert, also Fortbildungszertifikaten, mit denen sich verschiedenste Personen in religionskulturellen Fragen zusätzliche Qualifikationen erwerben können. Mit anderen Worten: Die Grenzen zwischen universitärer Bildung und akademischer Fortbildung können bzw. sollten dementsprechend fließender werden. Schließlich dürfte Wissenschaftskommunikation aber nicht nur in dieser Verbreiterung des Studierendenpools wirksam sein, sondern auch mit Blick auf die ‚regulären‘ Studierenden: Schließlich besteht bei jeder interessierten Person, die ein Wissenschaftskommunikationsangebot wahrnimmt, immer die Möglichkeit, dass jene eben dieses Interesse an andere Menschen weitergibt - innerhalb der Familie, im Freundeskreis oder der Gemeinde. Wissenschafts‐ kommunikationsinteressierte können mithin als Multiplikatoren wirken. 10 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 59 11 Vgl. beispielsweise die Thema-Hefte des bayerischen Sonntagsblatt, https: / / shop.sonnt agsblatt.de/ thema. 12 Vgl. etwa die Vorstellung von Welt und Umwelt der Bibel hier im Heft. 1.3 Die Sprachformen Ein letzter Punkt auf der grundsätzlichen Ebene benennt zunächst ein Problem: die starke Trennung im Sprachstil Forschungs-, Studien- und breitenwirksamer theologischer Literatur in der deutschsprachigen Forschung. Dies ist natür‐ lich kein allein für die Theologie spezifisches Problem. Gleichzeitig besteht aber gerade im Bereich der Exegese eine große Chance zur Lösung oder zumindest Linderung dieses Problems: Bekanntlich wird der Umgang mit der Wissenschaftssprache etwa im Bereich der US-amerikanischen Exegese anders gehandhabt. So sind dort die Grenzen zwischen diesen Literatur-‚Genres‘ deut‐ lich fließender. Dementsprechend ist dort selbst Forschungsliteratur prinzipiell viel leichter auch für ein breiteres Publikum zugänglich, was sich denn auch in den Auflagen- und Verkaufszahlen niederschlägt. Damit wird das Ziel der Wissenschaftskommunikation per se viel leichter erreicht, ohne dass damit zu große Einbußen in der exegetischen Qualität einhergehen. Natürlich hat die starke Hochsprachlichkeit im deutschen Bereich eine lange Tradition und bis zu einem gewissen Grad auch eine grundsätzliche Berechti‐ gung - nicht zuletzt in der Exegese aufgrund ihres Umgangs mit linguistischen Details in den Ursprachen. Dennoch denke ich, dass es hier Wege gäbe, die Trennlinien zwischen den Bereichen etwas weniger scharf zu ziehen. Insofern könnte eine verstärkte Nutzung von Wissenschaftskommunikation auch einen positiven Sekundäreffekt mit sich bringen, indem sich die Sprachformen des exegetischen Diskurses auf eine größere Zugänglichkeit hin transformieren. Diese liegt letztlich im Eigeninteresse der Exegese - ob hinsichtlich der Rezep‐ tion neuerer Forschungsergebnisse durch Pfarr- und schulische Lehrpersonen oder ob in einem Abbau von Klischees und Fehlinformationen in der breiteren Bevölkerung (z. B. das leider nach wie vor zu weit verbreitete Zerrbild vom Alten Testament mit seinem ‚Rachegott‘). 2 Formen der Wissenschaftskommunikation Wenn man nun auf die Wege blickt, welche eine theologische Wissenschafts‐ kommunikation einschlagen kann, ist, wie schon eingangs erwähnt, zunächst zu betonen: Es gibt hier vieles, was sich seit Langem bewährt hat - Ge‐ meindeabende, Kirchenzeitungen (oft auch mit Themenheften 11 ), spezifische breitenwirksame theologische Zeitschriften, 12 aber natürlich auch Predigten DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 60 Matthias Hopf 13 Gleichzeitig bin ich mir nicht sicher, ob dieser Reichtum an Formen immer wirklich gesehen bzw. wertgeschätzt wird. Wissenschaftskommunikation muss jetzt möglichst modern und reichweitenstark geschehen. 14 Das Projekt UR: BAN - Urban Religion: Bridging Ancient & New wird von Jan Rüggemeier (Bonn) und Benjamin Schließer (Bern) geleitet und sollte demnächst seine Früchte veröffentlichen. Vgl. in jedem Fall aber schon die Projektbeschreibung auf der Website der Universität Bonn, https: / / www.etf.uni-bonn.de/ de/ fakultaet/ neues-testament/ proj ekte. 15 Vgl. die Zusammenfassung der Taxonomiestufen bei Bloom u. a., Taxonomie, 217-223. in Universitätsgottesdiensten bzw. auf Einladung in anderen Gemeinden - um nur die nächstliegenden zu benennen. 13 Diese sind oft aber eher auf die ‚kirchliche Bubble‘ beschränkt. Umso wichtiger ist, dass inzwischen Blogs, soziale Medien und manch anderes hinzugekommen ist. Selbst große, durch Drittmittel geförderte Unternehmungen sind hier zu nennen, wie beispielsweise das vielversprechende Projekt UR: BAN, das in Bern und Bonn angesiedelt ist. 14 Da zumindest einige dieser Formate aber in anderen Beiträgen dieses Hefts dargestellt werden, soll es im Folgenden weniger um diese einzelnen Vermitt‐ lungswege gehen, sondern mehr um eine grundsätzlichere Frage, die mit einer zentralen didaktischen Grundsatzentscheidung zusammenhängt: nämlich ob in der Wissenschaftskommunikation ein eher unidirektionaler Weg beschritten wird oder ob auf diskursive Formen gesetzt wird. Dies scheint mir ein viel entscheidenderer Aspekt zu sein als die nachfolgende konkrete Umsetzung. 2.1 Diskursive Formate Ich beginne mit den diskursiven Formen. Dabei denke ich z. B. an Workshops etwa mit Lehrkräften oder Pfarrpersonen, aber auch an Kinderuniversitäten, z. T. auch an soziale Medien, bei denen ein Posting ja nicht selten längere Diskussionen ins Rollen bringt. Mein Eindruck ist, dass solche Formate ein gewisse Präferenz erfahren: Alles soll möglichst in den Diskurs führen - was unter didaktischen Gesichtspunkten in der Tat viel für sich hat. Meiner Ansicht nach müssen aber Vor- und Nachteile solcher Formate in den Blick genommen werden. Der größte Vorteil besteht sicherlich darin, dass bei interaktiven Veran‐ staltungen höhere Taxonomiestufen des Lernens erreicht werden können. 15 Dadurch wird Lernen nachhaltiger. Hinzu kommt, dass viel stärker auf die individuellen Vorkenntnisse, Fragen und Interessen der Zielgruppe eingegangen werden kann. Zudem ist es beispielsweise durch Online-Systeme wie Zoom, Teams, Big Blue Button o. ä. viel einfacher geworden, solche Formate anzu‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 61 16 Dies spricht natürlich bis zu einem gewissen Grad gegen Gemeindeabende, wobei diese vielleicht auch eher in den Mittelbereich zwischen ‚diskursiv‘ und ‚unidirektional‘ fallen, weil die Grundlage hier meist ein Vortrag ist. 17 Man kann hier natürlich an die größeren Tageszeitungen denken, wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zei‐ tung ebenso wie an Wochenzeitungen wie Die Zeit, Chrismon etc. bieten, da sie recht niederschwellig und ohne Anreise durchgeführt werden können. Nachteilig wirkt sich hier jedoch aus, dass wirklich diskursive Formate, in denen eine echte Diskussion unter großer Beteiligung der Teilnehmenden ent‐ steht, letztlich nur mit kleineren Gruppen sinnvoll möglich sind. Entsprechend sollte man bei der Zielgruppenwahl u. U. darauf achten, sich mit dieser Art Ver‐ anstaltung aus Gründen der ‚Ressourcenökonomie‘ auf high-impact-Gruppen zu konzentrieren, also Multiplikator: innen auf Fortbildungen o. ä. zu adres‐ sieren. 16 Auch Kinderuniversitäten wären m. E. unter solche high-impact-Veran‐ staltungen zu zählen, weil positive Erfahrungen hier langfristig wirken können und auch kurzfristig womöglich an einen großen Personenkreis weitererzählt werden. Ein weiterer Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, hängt mit einem Vorteil zusammen: Um sich auf die Interessenlage einzulassen, bedarf es einer höheren Vorbereitung, als man vielleicht geneigt ist, vorab anzunehmen. Weiterhin ist aufgrund des hohen Zeitbedarfs dieser Formate - der gedankliche Aufbau muss meist eher kleinschrittig sein - die Arbeit eher exemplarisch und ausschnitts‐ haft. Dies muss kein Nachteil sein, nur muss diese Einschränkung im Blick bleiben, um nicht an der Adressat: innenschaft vorbeizuwirken. Kurz: So hochwertig (echt) diskursive Formate sind, so passgenau sind sie m. E. auch einzusetzen, weil sie einer gründlichen Vorbereitung bedürfen und zeit- und personenintensiv sind. 2.2 Unidirektionale Formate Mit unidirektionaler Wissenschaftskommunikation beziehe ich mich insbeson‐ dere auf Vorträge vor verschiedenen Gruppen, Artikel in überregionalen Zei‐ tungen oder in breitenwirksamen Zeitschriften, 17 aber auch auf elektronische Formen wie Podcasts, Blogs, Vlogs etc. Einer der großen Vorteile solcher Formate ist, dass jene Formen, denen eine schriftliche Ausarbeitung voraus‐ geht, vergleichsweise leicht ‚bespielbar‘ sind. Vorträge/ Artikel zu schreiben ist eine Kernkompetenz des Forschens und die Genresicherheit ist mithin groß. Breitenwirksame Texte können zudem aufgrund der in der Regel bestehenden DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 62 Matthias Hopf 18 Vgl. dazu auch die Überlegungen bei Hölscher in seinem Beitrag in diesem Heft. 19 Gerade bei elektronischen Formen ist beispielsweise eine Empfehlung via Link schnell weitergegeben, was die ‚Mund-zu-Mund-Propaganda‘ deutlich erleichtert. 20 Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Peter Wick hinsichtlich des Gemeindevortrags. Vertrautheit mit der Materie schnell geschrieben werden. Dies ist bei den genannten elektronischen Formen zwar so nicht oder nur begrenzt machbar, weil deren Charme oft von einer eher freien ad-hoc-Atmosphäre lebt. 18 Der Aufwand bewegt sich hier also dennoch in gut beherrschbaren Grenzen. Auch auf der Rezipierendenseite gibt es Vorteile: Letztlich sind alle diese Formate nämlich deutlich niedrigschwelliger rezipierbar - und damit im Grunde (zumindest potenziell) wesentlich breitenwirksamer. 19 Schließlich dürfte auch die Darstellung komplexerer Sachverhalte auf diesen Wegen grundsätzlich leichter vonstattengehen - was sowohl den (oft hohen) Ansprüchen der Autor: innen, den Inhalten und damit letztlich auch den Rezipierenden zugute‐ kommt. Mit diesen letzteren Aspekten verbinden sich jedoch auch Gefahren bzw. Nachteile: Zum einen besteht nämlich immer das Risiko, dass sich solche Formate leicht ‚versenden‘ - dass also die Nachhaltigkeit in der Wirkung geringer ist. Hinzu kommt, dass es in exegetischer Wissenschaftskommunikation oft um konkrete Texte geht. Insbesondere in den elektronischen Formaten (auditiv bzw. audiovisuell) liegen die den Rezipierenden aber vermutlich gerade nicht vor, was die Bezugnahme auf textliche Details schwierig macht. Dies ist in schriftlichen unidirektionalen (wie auch diskursiven) Formaten in der Regel leichter zu bewerkstelligen. Bei schriftlichen unidirektionalen (wie auch diskursiven) Formaten hingegen stellt dies von Haus aus ein geringeres Problem dar, auch wenn hier dennoch Fragen wie Textmenge, Präsentation etc. eine Rolle spielen. 20 Zum anderen kann bei den schriftlichen Darstellungen - gerade komplexerer Sachverhalte - leicht die Neigung zur Wissenschaftssprache durchschlagen. Wenn dann nicht - wie bei Welt und Umwelt der Bibel oder vergleichbaren Formaten - eine Redaktion darauf achtet, dass die Verständlichkeit gewähr‐ leistet ist, kann ein Wissenschaftskommunikationsprojekt schnell nach hinten losgehen. Auch dies ist aber kein Gegenargument, sondern einfach eine Untiefe, um die es herumzunavigieren gilt. Schließlich sei noch ein Grundproblem erwähnt, das gerade in der Theologie gerne stärker zum Tragen kommt: Insbesondere medienintensive Formate setzen ja ein gewisses technisches Know-How voraus. Entsprechend kann zu Beginn der Nutzung solcher Medien dann aufgrund mangelnder Kompetenz letztlich Frustration, Überforderung oder schlicht ein übermäßig großer Zeitauf‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 63 wand bei der Umsetzung das eigentliche Ergebnis sein. Dies lässt sich aber u. U. durch einen einfachen Kniff umgehen, der eigentlich ohnehin zu den Grund‐ pfeilern einer guten Wissenschaftskommunikation gehören sollte: Im Idealfall ist Wissenschaftskommunikation nämlich Teamarbeit und es sollten möglichst viele Personen eines Lehrstuhls bzw. sogar mehrerer eingebunden werden - nicht zuletzt weil Nachwuchskräfte in diesen Dingen nicht nur geübter sind, sondern oft auch kreativer (zudem haben sie meist noch mehr Zeit). Nicht zu vergessen ist diesbezüglich, dass die meisten Universitäten inzwischen in aller Regel die verschiedensten Ressourcen bereitstellen, angefangen bei Software, über Hardware bis hin zu ganzen PR-Abteilungen mit Kamera-/ Media-Teams. All dies kann die Wissenschaftskommunikation erheblich vereinfachen. Abschließend sei zu diesem gesamten Bereich noch gesagt, dass diskursive und unidirektionale Formate nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Beide haben ihre Berechtigung, ihre Chancen und Grenzen. Wichtig ist daher, sich selbst vorab Rechenschaft zu geben, welches der Formate - bzw. vielleicht auch welche Mischform derselben - für welche inhaltlichen Ziele und welche Zielgruppe am besten geeignet ist. 3 Die ‚Schattenseiten‘ So wichtig Wissenschaftskommunikation für die Theologie ist, so sehr gibt es doch auch Risiken bei solchen Unternehmungen, da misslungene Wissen‐ schaftskommunikation sehr kontraproduktiv auf die öffentliche Wahrnehmung des Fachs zurückfallen kann. Ein Punkt in dieser Hinsicht ist eben schon angeklungen: Ein Grundproblem jeder Wissenschaft sind ja die Vermittlung der Komplexität ihrer Hypothesen mit der dazugehörigen Kleinteiligkeit sowie die Problematik, dass das Zielpublikum mit solchen Komplexitäten womöglich nicht vertraut ist. Dies darf aber nicht als Ausrede dienen, sich gar nicht erst der Herausforderung zu stellen. Vielmehr gilt es, sich der ‚Schattenseiten‘ bewusst zu sein und die Risiken durch gute Vorbereitung zu minimieren. Ein erster Punkt in dieser Hinsicht - und gleichzeitig Aufgabe jeder Wissen‐ schaftskommunikation - ist es, die Vorläufigkeit von Forschungsergebnissen zu erläutern. Dabei ist das Erläutern wörtlich zu nehmen: Die Vorläufigkeit muss auch selbst thematisiert werden, da ansonsten die Gefahr einer Frustration bei den Adressat: innen besteht. Die sich immer weiter entwickelnden und sich verändernden Verstehensbedingungen selbst zum Thema zu machen, kann aber eine große Chance mit sich bringen. Die größere Gefahr besteht nämlich darin, dass populistische Strömungen solche Relativismus-Motive verwenden, um jegliche Forschung ad absurdum zu führen. Entsprechend wichtig ist es, die DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 64 Matthias Hopf 21 Vgl. etwa schon Engelhardt (Hg.), Heimat, 350 u.-ö. 22 Vgl. nur die Mediatheken von ZDF, ARTE oder Welt. Vgl. zudem die Hinweise auf die Themen der Wissenschaftskommunikation bei Helga Kaiser. 23 Es ist nach wie vor eher eine Seltenheit, dass größere Drittmittelbeträge für Wis‐ senschaftskommunikations-Projekte ausgegeben werden. Vgl. aber das weiter oben erwähnte Projekt UR: BAN. Vorläufigkeit nicht mit ‚anything goes‘ gleichzusetzen und etwaige erkenntnis‐ theoretische Vorbehalte auch nicht zu stark zu machen, sondern zu zeigen: Forschung ist immer Forschung auf der Höhe unserer Zeit - auch und gerade in der Theologie. Ein zweites Risiko hat damit zu tun, dass nicht selten existenzielle spirituelle Fragen von theologischen Themen der Wissenschaftskommunikation berührt sind. Hier können durch Missverständnisse ungewollt Verletzungen entstehen, oder aber Rückzugsbewegungen verursacht werden (wie sie beispielsweise auch Peter Wick skizziert). Solche Schwierigkeiten sind sicherlich in diskursiven Formaten leichter zu adressieren. Es bedarf aber auch einer gewissen Sensibilität für diesen Problemkomplex in unidirektionalen Formen der Wissenschaftskom‐ munikation. Eine dritte Schwierigkeit - könnte man meinen - hängt mit dem gene‐ rellen Relevanzverlust von Kirche und damit auch von christlicher Theologie zusammen. Tatsächlich zeigen aber nicht nur die Kirchenmitgliedschaftsunter‐ suchungen seit Langem, dass sich Religiosität Wege jenseits von Kirche sucht. 21 Entsprechend sind biblische Themen (bzw. religiöse insgesamt) durchaus nach wie vor von Interesse, wie nur ein kurzer Blick in verschiedene Mediatheken zeigt. 22 Durch selbstbewusste und idealerweise auch ökumenische Initiativen dürfte hier viel erreichbar sein, nicht zuletzt jenseits kirchennaher Kreise. Ein letzter - und oft entscheidender - Punkt besteht aber darin, dass für Wissenschaftskommunikation in aller Regel die Zeit und die Arbeitskapazitäten fehlen. Dieses Problem betrifft natürlich prinzipiell alle Fächer gleichermaßen. Gleichwohl sind die Schwierigkeiten für den Bereich der Theologie insofern ungleich größer, als derzeit auf den theologischen Fakultäten, Instituten etc. ein erheblicher Spardruck lastet. Dennoch ist mit diesem Punkt v. a. eine Frage des grundsätzlichen Stellenwerts im akademischen Betrieb benannt. Entsprechende Forderungen nach Wissenschaftskommunikation von Seiten der Universitäten erfolgen demgemäß meist additiv zu bestehender Arbeitsleistung. Gleichzeitig zählen für die einschlägigen ‚Leistungsmarker‘ wie Forschungsbzw. Wissenschaftsbericht Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation wohl doch weniger als Forschungsoutput oder Drittmittel. 23 Dies ist ein grundsätzli‐ ches Problem, das insbesondere in der Kommunkation mit Universitätsleitungen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 65 24 Vgl. dazu nochmals die Hinweise zur Nachrichtenwert-Theorie bei Helga Kaiser. 25 Vgl. etwa den Sammelband Hensel/ Wetz (Hg.), Migration, aber auch die SBL-Section zu Exile (Forced Migrations) in Biblical Literature. 26 Vgl. exemplarisch Keller, Experte, oder Bangert, Wissen; jeweils insbesondere im Rekurs auf Maier, Glück. 27 Solche breitenwirksame Aufmerksamkeit kann natürlich nicht alleine Ausgangspunkt für exegetische Forschung sein. Aber als Inspirationsquelle für Anfangsuntersu‐ chungen kann sie allemal dienen. immer wieder zu benennen ist. Wissenschaftskommunikation ist wichtig - und dies sollte sich auch in finanzieller und personeller Ausstattung nieder‐ schlagen. Gleichzeitig ist es in der gegenwärtigen Situation umso wichtiger, dass zumindest ein kleiner Teil der Kapazitäten in Projekte der Wissenschaftskom‐ munikation fließt, sodass Theologie als Ganzes in der Summe wenigstens eine gewisse Aufmerksamkeit erhält. 4 Das inhärente Potenzial Abschließend müssen unbedingt auch die ‚Pfunde‘ benannt werden, mit denen eine exegetische Wissenschaftskommunikation ‚wuchern‘ kann, um es bewusst biblisch auszudrücken. Tatsächlich besitzen nämlich gerade die biblischen Fächer ein großes Potenzial für verschiedene Umsetzungen von Wissenschafts‐ kommunikations-Projekten. Dies beginnt bereits bei den biblischen Figuren bzw. Personen, die oft per se faszinierend sind. Der Mensch Jesus ist regelmäßig Thema vielfältiger Medien. Ähnliches gilt für Mose und - mit gewissen Abstrichen - vielleicht auch für prominente israelitische Könige wie David oder Salomo sowie Petrus und Paulus. Die Geschichten über diese ‚Stars‘ der Bibel üben in jedem Fall eine große Faszination auch auf heutige Menschen aus. 24 Daran kann angeknüpft werden. Tatsächlich würde eine ordentlich recherchierte Wis‐ senschaftskommunikation auf der Höhe der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse oft sogar gut tun im Vergleich zu dem, was in Spiegel oder anderen Outlets gesagt/ geschrieben wird. Neben den Figuren sind es aber auch viele biblische Themen, die äußerst anschlussfähig und relevant für die Gegenwart sind. Diese mögen nicht immer unbedingt kongruent sein mit den von der Exegese selbst erwählten Themen. Gleichzeitig besteht hier u. U. aber sogar die Möglichkeit, sich zu neuen Perspek‐ tiven oder Fragestellungen inspirieren zu lassen. Themen wie ‚Migration‘ 25 oder auch ‚Glück‘ 26 sind dabei nur zwei Beispiele, bei denen allgemeines Interesse und spezifische Forschung Hand in Hand gehen. 27 In solchen Glücksfällen wird Forschung im besten Sinn zum Spiegel der Gesellschaft. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 66 Matthias Hopf Schließlich eignet der Bibel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Haus aus gerne eine gewisse ‚mysteriöse Aura‘. Ich würde dabei sogar eine grund‐ legende Verwandtschaft zwischen den Forschungsanliegen der exegetischen Fächer und dem Wissenschaftskommunikationsansatz der „Wahrheit über…“ so mancher populärer Darstellungen erkennen wollen. Letzterer kommt natürlich in aller Regel zu reißerisch daher und muss für eine seriöse Wissenschaftskom‐ munikation adaptiert werden. Aber die Ähnlichkeit zwischen einem ‚den Texten auf den Grund gehen‘ und dem Reiz der Neugier auf Religiös-Mysteriöses ist prinzipiell vorhanden; und darauf kann aufgebaut werden - leichter als in so manch anderem Fach. Ein letzter Pluspunkt exegetischer Wissenschaftskommunikation schließlich ist, dass weite Teile des Alten und Neuen Testaments letztlich schon eine ‚Vor‐ aussetzung‘ erfüllen, die gerne im Bereich der Wissenschaftskommunikation betont wird: die narrative Präsentation der Texte. Natürlich besteht dann die Herausforderung, für die Besprechung dieser narrativen Texte nicht zu sehr in den argumentierenden Stil der Wissenschaftssprache zu verfallen, wie weiter oben schon ausgeführt wurde. Gerade in dieser Hinsicht kann es aber sein, dass letztlich sogar die reguläre Lehre (und womöglich sogar die Forschung) von solchen Wissenschaftskommunikations-Projekten profitiert - ob in Form der draus entstehenden Materialien, Darstellungskonzepte oder des erneuten, noch basaler angelegten Durchdenkens der Forschung. 5 Ein kurzes Fazit Leider erfährt das Thema Wissenschaftskommunikation in der Theologie nach wie vor nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit - auch aus vielfältiger Res‐ sourcenknappheit. Gleichzeitig werden entsprechende Unternehmungen von verschiedenen Seiten (Universitätsleitungen, Drittmitellgeber, Politik) immer stärker eingefordert. Um in diesem Hiatus zu bestehen, bedarf es verschiedener Strategien: Zunächst ist herauszustellen, dass Wissenschaftskommunikation be‐ reits jetzt weit verbreitet ist, da bewährte und etablierte Formen oft nicht genug gesehen werden. Gleichzeitig sollten neue Wege erschlossen werden. Gerade aufgrund der Begrenztheit der Resourcen bedarf Wissenschaftskommunikation aber genauer Planungen und eines zielgerichteten Einsatzes. Entsprechend müssen Formate, Medien und Adressierungen wohl bedacht sein. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Unterscheidung zwischen diskursiven und unidirektionalen Formaten. Beide haben ihre Berechtigung und Wirkung, gleichzeitig aber auch Nachteile und Grenzen, sind also zielgenau einzusetzen, um theologisch-exege‐ tische Themen einer breiteren Bevölkerung näherzubringen. Denn auch wenn DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 67 es ‚Schattenseiten‘ und ‚Untiefen‘ in einer theologischen Wissenschaftskommu‐ nikation geben mag, überwiegen insgesamt die Chancen und das Potenzial - gerade im biblisch-exegetischen Bereich. Literatur Bangerter, Annika: „Dieses uralte Wissen steht in der Bibel“. Theologe erklärt, warum das Buch der Bücher auch ein Ratgeber zum Glück ist, in: Tagblatt 24.12.2021, leicht überarbeitet online abrufbar unter: www.tagblatt.ch/ leben/ weihnachtsinterview-dieses -uralte-wissen-steht-in-der-bibel-theologe-erklaert-warum-das-buch-der-buecher-auch -ein-ratgeber-zum-glueck-ist-ld.2231492. Letzter Zugriff: 14.07.2024. Bloom, Benjamin S. u.-a.: Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich (Beltz-Stu‐ dienbuch 35), Weinheim 5 1976. 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DOI 10.24053/ VvAa-2023-0005 Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation 69 Lehr-/ Lernbeispiele Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen (Klassisches Format) Peter Wick (orcid.org/ 0000-0003-0613-9305) 1 Vorbereitungen, Reflexion empathischer Aspekte und Zielbestimmungen für den Gemeindevortrag Die Theologie verfügt über eine lange und große Tradition von Wissenschafts‐ kommunikation und Forschungstransfer in breite Kreise der Bevölkerung hinein. Wahrscheinlich gibt es kaum ein anderes Fach, das über eine ähnliche Möglichkeit verfügt. Tatsächlich predigen manche Theologieprofessor: innen ab und zu in Kirchgemeinden. Zugleich werden sie aufgrund ihrer Profession in kirchliche Ausschüsse berufen, in denen sie als Expert: innen zu aktuellen Sachfragen aus ihrer Forschungsperspektive heraus Stellung nehmen. Es gibt Stadtakademien, die Theolog: innen und auch andere Wissenschaftler: innen zu Vorträgen einladen. Andere geisteswissenschaftliche Disziplinen verfügen m. E. über viel weniger Möglichkeiten und Foren. Der klassische Fall dieses niederschwelligen Wissenschaftstransfers ist der Gemeindevortrag. Schon von den Anfängen des 20. Jahrhunderts sind mir solche Formate bekannt und wahrscheinlich reichen sie weit darüber hinaus zurück. Der theologische Gemeindevortrag ist nicht nur ein klassisches Format, sondern zugleich auch ein extremes: Hier wird der Wissenschaftstransfer über eine weite Brücke zu einem früher kaum wissenschaftlich gebildeten Publikum, heute jedoch durch das Anwachsen der Studierendenquote seit den 1960er Jahren von einem mehrheitlich fachfremden, studierten Publikum gehalten. Es gilt immer noch: Ein: e Professor: in hält einen Vortrag, der/ die gerade als Professor: in aus einer fremden Welt heraus spricht. Zugleich wird an die vortragende Person das Ideal der Relevanz und der Aktualisierung herangetragen. Auch wenn der Professor oder die Professorin aus einer historischen Disziplin kommt, soll die Präsentation der aktuellen Forschung eine gewisse Relevanz für die Kirche und für die Glaubenden heute DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 haben und zugleich allgemein verständlich sein. Selbst wenn über die Jahre sowohl gegen dieses Relevanzgebot als auch gegen das Verständlichkeitsgebot immer wieder verstoßen worden ist, hat dies nicht zu einer Änderung dieser Erwartungshaltung geführt. Enttäuschtes Publikum ist gegebenenfalls wegge‐ blieben, hat aber seine Erwartungen nicht geändert. Neben einer ungebrochenen Erwartungshaltung in der Gemeinde besteht oft ein namhafter Teil des Publi‐ kums aus Enttäuschten, die der Wissenschaft wieder einmal eine Chance geben, dabei aber skeptisch gestimmt bleiben. Das Publikum ist für gewisse wissenschaftliche Kommunikationsformen nicht zugänglich. Der wissenschaftliche Diskurs, bei dem mehrere Stimmen aus der Forschung diskutiert werden, wirkt beim Vortragspublikum schnell ermü‐ dend. An Forschungsliteratur können vielleicht zwei bis drei Werke vorgestellt werden, aber auch das stößt schon an die Grenze des Zumutbaren. Vorausgesetzt werden können ein gewisses Interesse, eine Offenheit für Relevantes, für das eigene Leben und sogar eine gewisse Begeisterungsfähigkeit bei einer verständlichen und einfachen Präsentation und ein Respekt vor dem Wissen des Professors bzw. der Professorin. Doch alle diese positiven Voraussetzungen können sich sofort verschließen, wenn der Vortrag die Aufmerksamkeit der Zuhörenden verliert und damit ihre Skepsis bestätigt. Aus diesen Erwartungs‐ haltungen und Rahmenbedingungen ergibt sich für mich folgender Zugang zum Professor: innen-Vortrag in der Kirchgemeinde: Die Ziele für mich als Vortragenden sind einerseits möglichst informativ zu sein und andererseits einen tiefen Respekt gegenüber meinem Publikum zu haben. Ich stelle mir das Publikum vor und wähle eine imaginierte Person aus dem imaginierten Publikum aus, über die ich folgende Fragen stelle: Wie alt ist diese Person, wie ist ihr Bildungshintergrund, wie ist ihre Verbundenheit zur Kirchgemeinde, wie lauten zentrale Glaubensätze und Traditionen in deren Glaubensrichtung? Bei dieser ‚typischen‘ Person muss der Vortrag seine Ziele erreichen. Erfahrungsgemäß wird so ein Großteil des Publikums angesprochen. Zu diesen Vorträgen werde ich eingeladen. Entweder wird mir ein Thema vorgegeben oder ich wähle es selbst aus. In beiden Fällen frage ich nach der Relevanz des Themas für das Publikum. Wer ein bestimmtes Thema möchte, muss mir darüber Auskunft geben, weshalb dieses Thema ausgewählt worden ist und was seine Relevanz für das Publikum ist. Wenn es um reine Wissensver‐ mittlung geht, lasse ich im Vorbereitungsgespräch mit den Gastgebenden nicht locker, bis sich das Thema in eine Richtung entwickelt hat, die auch mich von der Relevanz für das Zielpublikum überzeugt. Relevanz und Vertrautes hängen eng zusammen, sind aber nicht das Gleiche. Wenigstens ein Teil des Themas muss sich auch auf Bekanntes beziehen, um verstehbar zu sein, wobei sich im DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 74 Peter Wick relevanten Bereich oft das Neue verbirgt. Als Bibelwissenschaftler kann ich mich immer direkt auf Bibeltexte beziehen, die ich wenigstens teilweise als bekannt und vertraut voraussetzen kann. Ich kann sogar davon ausgehen, dass viele dieser Texte als relevant für das Leben der Gemeinde und des Publikums angesehen werden. Meine Vorträge zielen dann in der Regel darauf ab, neue Erkenntnisse mit vertrauten Texten zu verbinden, so dass im Idealfall jede: r diese Erkenntnisse im bekannten Text nachvollziehen kann und sich fragt, weshalb er/ sie diese nun offensichtliche Aussage noch nie im Text gesehen hat. Dabei versuche ich Fachbegriffe zu vermeiden, oder diese, wenn ich sie benutze, gezielt einzusetzen und zu erklären. 2 Ein erstes exegetisch-psychologisches Beispiel: „Wir werden verändert in der Akzeptanz unseres Leidens“ Als Beispiel: Für einen Kurzvortrag habe ich für eine baptistische Gemeinde ein biblisches Konzept als Thema entfaltet, dass sowohl von Paulustexten als auch psychologischen Erkenntnissen inspiriert war. „Wir werden verändert, wenn wir unserem Schmerz nicht ausweichen, sondern ihn bewusst und im Vertrauen zu Gott wahrnehmen.“ Grundlage war 2 Kor 3,17f. „wir werden verändert“ und sein anschließender Kontext, in dem es sehr um das Leiden des Apostels geht. Ich ging davon aus, dass dieses Thema neu und anspruchsvoll ist, da sowohl in der Rezeption wichtiger theologischer Traditionen als auch im Verständnis von verschiedenen psychologischen Therapieansätzen die Frage diskutiert wird, ob der Mensch sich verändern kann oder nicht. Um mit Vertrautem zu beginnen und sofort eine hohe Relevanzerwartung zu erzeugen, habe ich zum Einstieg die Frage gestellt, ob der Mensch sich prinzipiell ändern kann oder nicht und gleich für beide Möglichkeiten eine Bibelstelle angeboten. ‚Mein imaginierter Adressat‘ war männlich, ca. 50 Jahre alt, ein im Leben stehender Macher, der als Baptist eher von Traditionen geprägt ist, die die Veränderungsmöglichkeit des Menschen betonen und deshalb - theologisch gesprochen - die Heiligung nicht als negativen Weg der Selbstrechtfertigung, sondern als Pflicht ansehen. Tatsächlich hat sich auch so ein Mann, tendenziell etwas älter, gemeldet und ausführlich begründet, weshalb der Mensch sich ändern kann. Ich habe sowohl kurz die Bejahung als auch Verneinung dieser Frage in psychologischen und theologischen Ansätzen angesprochen, rhetorisch mit dem Publikum kokettiert, dass ich diese Frage weder mit ja noch mit nein beantworten kann, sondern eine dritte Antwort mitbringe: Veränderung ist möglich, im Passiv, wenn wir der Konfrontation mit unserem Leiden nicht mehr ausweichen! „Wir werden verändert.“ Nun betonte ich, dass dies kein Futur ist, sondern ein Präsens, DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen 75 welches eine durative oder auch iterative Bedeutung hat. Die Erklärung dieser Fremdworte hat sofort das ganze Thema argumentativ unterstützt: Wir sind bereits in Veränderungsprozessen, andauernd und immer wieder! 3 Struktur, Rhetorik und Medien Meine Vorträge strukturiere ich sehr geplant, inspiriert durch die antike Rhe‐ torik, mit der ich mich auseinandergesetzt habe und die ich bei Paulus immer wieder entdecke. Ich beginne mit einer sehr kurzen Vorstellung meiner Person und schließe eine captatio benevolentiae an. Die ‚Einfangung des Wohlwollens‘ schafft Vertrauen. Ich setze mich mit dem Publikum in Beziehung und zeige so, dass ich das Publikum, ihre Gebäude, ihre Traditionen oder auch nur ihre erste Reaktion auf mich (als Schweizer) wahrnehme. Eine Anspielung auf die Besonderheit des Ortes, des Publikums oder auf meinen Schweizerakzent schafft eine erste ‚Vertrautheit‘. Anstelle des von manchen geforderten Witzes spiele ich hier eine feine Ironie ein. Ganz wichtig ist nun eine kurze Einführung in das Thema und eine Ankün‐ digung, weshalb dieses Thema relevant für meine Zuhörenden sein könnte. Lange habe ich dies nicht gemacht, sondern einen thematisch-argumentativen Spannungsbogen aufgebaut, der sich am Ende in zwingend logischen Schluss‐ folgerungen und wichtigen Pointen aufgelöst hat. Doch eine Hochschuldidak‐ tikerin warnte mich, nicht alle meine Vorträge als Krimi aufzubauen; dies würde in der Regel die Zuhörerschaft überfordern. Mit der Doppelfrage im oben genannten Beispiel und indem ich anschließend meine Antwort gegeben und so vorweggenommen habe, bin ich dieser rhetorischen Herausforderung nachgekommen. Die Struktur des Haupt- und Schlussteiles des Vortrages ergibt sich in der Regel aus dem Thema. Ich zwinge mich immer dazu, zu Beispielen oder auch Anekdoten zu greifen. Das ‚Ich‘ des Vortragenden mache ich immer wieder spürbar. Dies stößt üblicherweise auf großes Interesse. In der Regel steigt die Aufmerksamkeit sofort. Wichtig ist, dass dies geplant geschieht, sonst führt dies zur Abweichung vom Thema und zum ermüdenden Geschwafel. Am Ende fasse ich die wichtigsten Punkte zusammen und formuliere gegebenenfalls offene Fragen. In der Regel benutze ich eine einfache PowerPoint-Präsentation, die nicht mit Inhalten überfrachtet ist. Manchmal reduziert sich diese auf die von mir behandelten Bibelverse oder Quellen und die zusammenfassende Auflistung von wichtigen Ergebnissen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 76 Peter Wick 4 Die Interaktion mit dem Publikum Wenn der Vortrag länger als 30 Minuten dauert, dann plane ich eine Unterbre‐ chung ein, in der das Publikum bereits Fragen stellen kann. Dies erhöht die Aufmerksamkeit stark. Am Ende gibt es immer eine Möglichkeit zu Fragen und Antworten. Indem ich nicht alle Fragen selbst beantworte, führe ich das Publikum in eine kleine Diskussion hinein, die ich anschließend wieder auflöse. Wichtig ist mir, dass am Schluss wenigstens gewisse Fragen und thematische Aspekte offenbleiben. Damit vermittle ich den prozessualen Charakter der Wissenschaft und, dass alle Ergebnisse in ihrer Relevanz für aktuelle Fragen durch unabgeschlossene hermeneutische Prozesse gelenkt sind. Wenn die Zuhö‐ rerenden genügend neue Erkenntnisse gewonnen haben, schwächt ein Ausblick mit offenen Fragen weder den Inhalt des Vortrags noch die Bereitschaft der Zuhörenden, sich darauf weiterhin einzulassen - im Gegenteil! Meistens ist keine eigentliche Feedback-Runde vorgesehen. Bewährt hat sich für mich in diesem Fall, dass ich mich an den Ausgang stelle, möglichst bevor die ersten Fragesteller: innen kommen und mich im vorderen Bereich des Vortragsraumes ‚blockieren‘. In der Regel geben so einige der Zuhörende Signale zum Inhalt und der Verständlichkeit des Vortrages. 5 Embodiment Energetisch ist jeder Vortrag eine große Herausforderung. Die Aufmerksamkeit von mir als Vortragendem geht meistens sehr stark zur Sache, zum Thema des Vortrages, von dem ich begeistert bin. Dies kann leicht dazu führen, dass ich weder mich noch das Publikum richtig spüre und so den Kontakt zu mir und dem Publikum verliere und nur noch mit meiner Aufmerksamkeit beim Thema meiner jahrelangen Forschung bin. Deshalb habe ich mir angewöhnt, kurze Pausen einzulegen, in denen ich bewusst atme und in meinen Körper spüre, um mich wieder im Raum und in der Beziehung zum Publikum und dieses in seiner Beziehung zu mir wahrzunehmen. Dies hilft mir, den Kontakt zum Publikum nicht zu verlieren, und bei Aufmerksamkeitsverlust Kürzungen oder die spontane Einführung von anschaulichen Beispielen zu erwägen. Solche Mikropausen werden vom Publikum kaum bemerkt. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen 77 6 Das zweite Beispiel: Ein Vortrag über die Interaktion neutestamentlicher Schriften mit den antiken Mysterienkulten Ein weiteres Beispiel: Ich bin ein Experte für die Interaktion von neutestament‐ lichen Autoren mit den Mysterienkulten ihrer Zeit. Dazu halte ich immer wieder Vorträge. Die Herausforderung ist, die exotisch anmutende Erforschung von Gottheiten wie Dionysos oder Demeter und die vielleicht sogar für den Glauben gefährliche Annäherung an diese Gottheiten in biblischen Texten relevant für heutige gesellschaftliche Fragen und für die Lebensgestaltung aus dem Glauben zu machen. Wenn das Publikum gewisse Kenntnisse der Apostelgeschichte mitbringt, erzähle ich ihnen mit der Hilfe einer Folie einen formalen Plot. Der Sohn Gottes, Kind einer menschlichen Mutter, tritt als neuer Gott auf. Die Verehrung breitet sich auf der ganzen Welt aus. Nur ausgerechnet von seinen Verwandten wird Widerstand geleistet. Doch dies nützt nichts. Der Widerstand führt nur zu einer noch größeren Verehrung. Das Publikum hört sofort die Ge‐ schichte der Verkündigung von Jesus Christus in der Apostelgeschichte. Ich aber erzähle ihnen mit diesem Plot den Dionysosmythos nach den Bacchantinnen des Euripides. Dieses Werk wird so als nach dem Alten Testament zweiter Subtext der Apostelgeschichte kenntlich gemacht. Dies ist spannend und erzeugt ein gewisses Aha-Erlebnis. Von dort aus gehe ich zur Bedeutung von Fruchtbarkeit. Ich zeige auf, wie diese in protestantischer Tradition kaum gewürdigt wird, mache das an Kirchenliedern fest und zeige, dass die Gemeinde tatsächlich Lieder kennt und singt, die der Fruchtbarkeit der Erde eine entscheidende Funktion für den Christus zuerkennen. Auf dieser Basis kann ich dann von Interaktionen des Himmels mit der Erde in Gleichnissen von Jesus sprechen und die Selbsttätigkeit der Erde gegenüber Gott und seinen Boten hervorheben und zwar immer so, dass das Publikum das sofort in den von mir präsentierten Texten erkennen kann. Auf diese Weise bringe ich weitere Themen ins Spiel wie die Funktion von positiven Todesdeutungen, der Unterscheidung von entschlüsselbaren Rätseln und unsagbaren Geheimnissen und anderem mehr. Auch hier habe ich Beispiele für diese Phänomene aus unserer Zeit. Diese setze ich auf eine Weise ein, die die Bereitschaft des Publikums immer wieder erzeugt, in die für sie historisch und religiös fremde Welt des Neuen Testaments vor seinem religionsgeschichtlichen Hintergrund einzutauchen und weitere Relevanzen für ihre Religiosität zu entdecken. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 78 Peter Wick 7 Eine kurze Zusammenfassung Anders und doch zusammenfassend gesagt: Ich versetze mich empathisch in mein Publikum bei der Vorbereitung eines Vortrages und gehe mitleidend (sympathisch) mit ihm durch den Hör- und Entdeckungsprozess mit, den es während meines Vortrags erfahren soll. In diesem bei meiner Vorbereitung in‐ tendierten und beim Vortrag realisierten Setting präsentiere ich meine fachliche ‚Anderswelt‘ und die oft sperrigen Entdeckungen, indem ich sie gezielt für mein Publikum ordne und an ihm und seinen Reaktionen deren Relevanz fortlaufend teste. Im Gemeindevortrag geht es nicht nur um die Vermittlung von fachlichem Wissen, sondern auch um eine Selbstoffenbarung der vortragenden Person und um ein Beziehungsgeschehen mit dem Publikum. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0006 Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen 79 1 Als Geisteswissenschaftler stoße ich mich an der gängigen Bezeichnung der Veranstal‐ tungen als ‚Science Slam‘, denn ‚Science‘ umfasst im englischen Sprachraum ja nur die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer. Das hält Slam-Veranstalter: innen im deutschsprachigen Bereich freilich nicht davon ab, auch Forschende aus den Geisteswissenschaften einzuladen oder gar Slams rein für Geisteswissenschaftler: innen auszurichten. Um den Begriff nicht überzustrapazieren, spreche ich für unseren bibel‐ wissenschaftlichen Kontext im Folgenden daher schlicht vom ‚Slam‘. 2 Ausführlich dazu Hill, Art, 86-93. Vgl. außerdem Dittrich, Zehn-Minuten-Herausfor‐ derung, 736; Eisenbarth/ Weißkopf, Science Slam, 157; Grummt, Sociology, 1653; Lampe, Science Slam, 109; Stimm, Science Slam, 116 f.; Hill, Science Communication, 518. Bibelwissenschaft mit Schmackes Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Workshop Nils Neumann (orcid.org/ 0000-0002-4244-2662) Bibelwissenschaft ist schön. Bibelwissenschaft ist spannend. Und Bibelwissen‐ schaft kann sogar Spaß machen. Nur - viele Menschen wissen das leider gar nicht. Angesichts der hochgradigen Ausdifferenzierung und Spezialisierung in der gegenwärtigen Forschungslandschaft kann es auch kaum verwundern, dass nicht jede und jeder sofort den Nutzen dessen erblickt, was wir Exeget: innen tagtäglich so an unseren Schreibtischen treiben. Also sollten wir es ihnen erklären. 1 Ein Slam-Workshop Das Veranstaltungsformat Science Slam eignet sich dazu sehr gut. 1 Inspiriert durch die damals beliebten Poetry Slams kam der Nachwuchswissenschaftler Alexander Deppert am Anfang der 2000er Jahre auf die Idee, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, die es jungen Leuten ermöglicht, ihr Forschungsthema kurz und knackig mit Schmackes zu präsentieren und es so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. 2 Daraus erwuchs 2006 der erste Science Slam DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 3 Zum Aspekt der Wissenschaftskommunikation vgl. Hill, Art, 100-105. 4 Damit besteht prinzipiell die Möglichkeit, den Workshop mit Credit Points zu be‐ punkten. Als Rahmen dazu kommt m.-E. etwa ein Oberseminar oder ein BA-/ MA-Kol‐ loquium in Betracht. in Darmstadt. Das Format kam gut an. Bald wurden auch an anderen Orten ähnliche Veranstaltungen installiert, und gerade in den 2010er Jahren erfreuten sich die Science Slams großer Beliebtheit. Nach der erforderlichen Pause wäh‐ rend der Pandemie rollen Veranstaltungen in verschiedenen Universitätsstädten inzwischen wieder an. Typischerweise präsentiert hier wissenschaftlicher Nachwuchs Aspekte der eigenen Forschung. Gelegentlich wagen sich aber auch etablierte Forschende auf die Bühne. Und fortgeschrittenen Studierenden bietet die Slam-Veranstaltung ebenfalls eine Plattform, wenn sie etwa das Thema ihrer Abschlussarbeiten vorstellen möchten. Somit stellt das Slam-Format eine wunderbare Möglichkeit der Wissenschaftskommunikation dar, die besonders für junge Menschen at‐ traktiv ist. 3 In meinem Lehr-Lern-Beispiel beschreibe ich einen Slam-Workshop, der sich an fortgeschrittene Studierende und Promovierende richtet. Solche Workshops habe ich mehrfach an unterschiedlichen Standorten durchgeführt. Ausgelegt ist der Workshop als Blockveranstaltung, die sich über drei halbe Tage erstreckt und idealerweise in die Durchführung einer Slam-Veranstaltung mit echtem Publikum mündet. Zwischen den thematischen Einheiten sollte ein Abstand von mindestens 14 Tagen liegen, damit die Teilnehmenden Zeit haben, an ihren Ideen zu arbeiten. Der Umfang des Workshops entspricht damit dem einer regulären Lehrveranstaltung. 4 Konkret baue ich den Workshop folgendermaßen auf: Tag 1: Einführung a. Grundlagen zum Format b. Das eigene Thema präsentieren Tag 2: Ausgestaltung des Vortrags a. Sprachliche Mittel b. Weitere Gestaltungsmittel Tag 3: Einübung des eigenen Vortrags a. Vorstellung der erarbeiteten Rohfassungen b. Rückmeldungen aus der Gruppe Tag 4: Durchführung einer Slam-Veranstaltung (optional) Es ergibt sich dadurch ein fortschreitender Aufriss, bei dem die Teilnehmenden zunächst einen Überblick über den Ablauf einer Slam-Veranstaltung gewinnen und erste Gedanken zur Findung und Formulierung eines eigenen Themas DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 82 Nils Neumann 5 Ich empfehle - sortiert nach dem Grad der Lockerheit der Gruppe - besonders die folgenden Übungen: a. ‚Guten Morgen‘ (Hahn, Warm-Up, 70); b. Swish - Boing - Pow! (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 57) ; c. ‚Au ja! ‘ (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 20); d. Moleküle bilden (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 68). 6 Vgl. dazu insbesondere Kramer, Spiel, 55. anstellen (Tag 1). Danach erhalten sie Einblicke in die Möglichkeiten der konkreten Ausgestaltung einer Präsentation (Tag 2), üben diese ein (Tag 3) und bringen sie zur Aufführung (Tag 4). Die letzte Einheit markiere ich deshalb als ‚optional‘, weil ich keinen Druck aufbauen möchte, der dann die Ergebnisse negativ beeinflusst. Wenn die Teilnahme am Workshop nicht auf völliger Freiwilligkeit beruht, kann es Teilnehmende geben, die sich mit der öffentlichen Präsentation ihres Beitrags unwohl fühlen, und das möchte ich respektieren. Für das gesamte Programm des Workshops wähle ich möglichst aktivierende Arbeitsformen. Es hat sich bewährt, immer wieder nach den Pausen kleine Theaterübungen als Eisbrecher einzustreuen, da diese bei den Teilnehmenden die Bereitschaft fördern, aus sich herauszukommen, 5 und gerade diese Bereit‐ schaft ist für den Slam unverzichtbar. Die thematischen Inhalte erarbeiten wir beim Workshop unter möglichst intensivem Einbezug von Impulsen aus der Gruppe: Es bietet sich an, gemeinsam Videos von besonders gelungenen Slam-Beiträgen zu analysieren, Gestaltungsmittel in der Gruppe zu diskutieren, Gruppenarbeiten zu Einzelaspekten durchzuführen und die Teilnehmenden zu bitten, sich über ihre eigenen Ideen in Zweiergruppen gegenseitig zu beraten. Viele Techniken und gestalterische Mittel, die nützlich sind, können die Teilnehmenden auf diese Weise selbst entdecken. Ich beschränke mich in den folgenden Ausführungen auf einige Punkte, die sich in der Praxis besonders bewährt haben. 2 Der Rahmen Seit nun fast zwei Jahrzehnten existiert das Format des ‚Science Slam‘ als Mittel der Wissenschaftskommunikation und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Zahlreiche Standorte im deutschsprachigen Raum veranstalten sogenannte ‚Slams‘, bei denen Wissenschaftler: innen einem interessierten Publikum von Laien innerhalb von je 10 Minuten ihre wissenschaftlichen Thesen nahebringen. Der Slam zeichnet sich dabei durch die Verschmelzung von Fachwissen und Unterhaltung aus, 6 so dass diese Veranstaltungen recht große Menschenmengen anzuziehen und mit den wissenschaftlichen Inhalten zu erreichen vermögen. Darüber hinaus sind viele Slammer: innen inzwischen als Sachbuchautor: innen in Erscheinung getreten und haben auf diese Weise ihren Radius nochmals DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 83 7 Vgl. Hill, Science Communication, 528. 8 Vgl. dazu auch Dittrich, Zehn-Minuten-Herausforderung, 736 f.; Grummt, Sociology, 1654 f.; Stimm, Science Slam, 116-118. 9 Vgl. zu diesem Aspekt auch Lampe, Science Slam, 111 f., sowie Hill, Art, 108. erweitert (Boris Lemmer, Henning Beck u. a.). Manche ihrer Bücher haben es sogar bis in die Bestsellerlisten geschafft (Giulia Enders). 7 Wie funktioniert eine Slam-Veranstaltung? 8 - Ein: e Moderator: in oder ein Moderator: innen-Team führt durch den Abend. Auf der Bühne liefern nachein‐ ander eine Handvoll (meist jüngere) Forscher: innen die Präsentationen ihrer Erkenntnisse ab. Der Slam vermittelt nach außen den Eindruck, es handle sich hier um einen Wettbewerb. Das macht die Sache besonders aufregend. Als Jury fungiert in der Regel das Publikum, das jeden Vortrag entweder durch die Vergabe von Punkten oder durch die Lautstärke des Applauses bewertet. Am Ende des Abends wird der Gewinnerbeitrag prämiert und die Siegerin bzw. der Sieger mit einer Trophäe in der Hand nach Hause entlassen. Wenn wir mal ehrlich sind, ist es natürlich sonnenklar, dass sich auf diese Weise weder die Qualität von Forschung noch die Persönlichkeit der Forschenden angemessen bewerten lässt. Gutes Abschneiden bei einem Slam sagt wenig darüber aus, wie gelungen das wissenschaftliche Projekt ist, das hier präsentiert wurde. Allerdings ist die Rückmeldung durch das Publikum durchaus ein Indikator dafür, wie unterhaltsam und witzig jemand die eigenen Thesen vorgetragen hat. Nur - Unterhaltsamkeit und Witzigkeit gehören ja eigentlich nicht zu unseren Kernkompetenzen im Labor oder am Uni-Schreib‐ tisch. Damit ist so ein Slam also eine heikle Angelegenheit. Einerseits zieht das Format gerade auch wegen seines Wettkampfcharakters und wegen des Unterhaltungswertes viele Menschen an, die sich bereitwillig etwas aus dem drögen Forschungsalltag erzählen lassen und meist sogar noch Eintrittsgeld dafür bezahlen. 9 So eröffnet das Slam-Format eine brillante Möglichkeit, um in die Gesellschaft hinein wissenschaftliche Inhalte zu kommunizieren, die sonst in Peer-Review-Journals versteckt und lediglich von Fachleuten gelesen werden. Der Slam gibt uns Wissenschaftler: innen die Gelegenheit, vor normalen Menschen über unsere Themen zu reden. Andererseits verleitet er aber auch DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 84 Nils Neumann 10 Das Problem sieht auch Kramer, Spiel, 64. Miira Hill weist zudem zu Recht darauf hin, dass das Format Science-Slam in Gefahr steht, in der Forschung vorherrschende Geschlechtsstereotype und Rollenzuweisungen zu perpetuieren - gerade auch durch die Art des Einsatzes von Humor. Teilnehmende bei Slams versuchen gelegentlich, Lacher einzuheimsen, indem sie Geschlechtsstereotype bedienen und u. U. Personen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminieren (Hill, Science Communication, insbesondere 536). Ich habe auch gesehen, wie jemand bei einem Slam für einen rassistischen Witz Applaus bekam. Solche Äußerungen möchte ich nicht tolerieren. Daher halte ich es für unerlässlich, die Teilnehmenden des Workshops für die Problematik an diesem Punkt besonders zu sensibilisieren. nur allzu leicht dazu, Flachwitze auf Kosten der Inhalte einzusetzen und so vom Thema abzulenken, anstatt es dem Publikum wirklich verständlich zu machen. 10 Wer Wissenschaft gelingend an ein Publikum vermitteln möchte, das nicht vom Fach ist, gleicht daher dem tapferen Helden Odysseus, der mit seinem Schiff durch eine Meerenge segelt, während links und rechts die beiden Ungeheuer Skylla und Charybdis lauern, die danach gieren, das Schiff samt seiner Besatzung zu verschlingen bzw. zu versenken. Odysseus muss darum genau in der Mitte zwischen den beiden Monstern hindurchsegeln. Das schafft er am Ende mehr schlecht als recht (Hom., Od. 12). So auch wir: Wir wollen weder von der Skylla gefressen werden, wenn wir das Publikum nur mit inhaltsarmen Witzen bespaßen, noch wollen wir von der Charybdis in den Abgrund gerissen werden, wenn wir das Publikum mit abgehobenen Fachinformationen langweilen. Ge‐ fragt ist daher Bibelwissenschaft mit Schmackes! 3 Auf dem Weg zum Thema Wer anderen etwas über die Bedeutung der eigenen exegetischen Arbeit sagen möchte, muss diese Bedeutung natürlich zunächst einmal für sich selbst er‐ kennen. Eine Grundbedingung für gelingende Wissenschaftskommunikation ist es daher, die Relevanz des Themas zu sehen und selbst Spaß daran zu haben. Beides gehört zusammen: In der Überzeugung, dass die Forschung Sinn ergibt, lässt sich diese Forschung auch mit entsprechender Freude betreiben. Ein Patentrezept für einen gelingenden Slam-Vortrag gibt es nicht, und zwar aus den genannten Gründen: Es kommt eben auf das Verhältnis der Forschenden zu ihrem Thema an. Die Forschungsfelder sind verschieden, und die Persönlich‐ keiten derer, die in der Wissenschaft arbeiten, sind es erst recht. Im Folgenden gebe ich einige Hinweise, die in der Praxis gut funktioniert haben. Doch was im konkreten Fall angebracht ist, müssen diejenigen selbst entscheiden, die einen Vortrag gestalten. Alle gut gemeinten Vorschläge wollen und sollen nicht die Persönlichkeit und Authentizität der Forschenden überdecken. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 85 11 Vgl. z.-B. Perneger/ Hudelson, Writing, 191f. 12 Vgl. Campbell, Hero, 23. Die eigene Forschung bietet sich als Gegenstand für den Wissenschafts‐ transfer natürlich an. Vortragende haben in diesem Bereich das größte Wissen und identifizieren sich zu einem hohen Grad mit dem Thema. Das ist eine gute Voraussetzung, um einen engagierten Vortrag auszuarbeiten. Je nach den Regularien der Slam-Veranstaltung ist es aber auch nicht ausgeschlossen, dass jemand einen Bereich des Lehrbuchwissens zu einem spritzigen Vortrag ausarbeitet. Hilfreich ist es in der Vorbereitung auf den Vortrag, sich im Klaren über die eigene Hauptaussage zu sein. Es ist gut, gleich zu Anfang der Arbeit eine Kern‐ botschaft als ‚Take Home Message‘ zu formulieren, die sich in einem einzigen gut verständlichen Satz benennen lässt. Hier ist nach dem Motto ‚weniger ist mehr‘ Bescheidenheit gefragt. Wer dem Publikum eine einzige Botschaft gut verständlich machen kann, leistet mehr, als wenn am Ende mehrere Einsichten nebeneinander stehen, die in der kurzen Zeit weniger pointiert erklärt werden konnten und daher auch die Hörerschaft weniger gut erreichen. Sobald die Kernbotschaft feststeht, lohnt es sich, über den Aufbau des Vortrags nachzudenken: Mitunter gleichen Referate einem Spaziergang über eine Blumenwiese. Ein Strauß aus bunten Blumen kann ja wirklich schön aussehen. Aber: Er zieht vielleicht mehr Blicke auf sich und bleibt ganz gewiss besser im Gedächtnis der Betrachtenden, wenn er eine Struktur erkennen lässt. Assoziativ aneinander gereihte wissenschaftliche Einzelerkenntnisse drohen, wegen des mangelnden Zusammenhangs sehr flott wieder aus dem Gedächtnis der Hörenden zu entweichen. Eine Möglichkeit besteht darin, den Slam-Vortrag so aufzubauen wie ein typisches wissenschaftliches Paper: Einführung - Methoden - Ergebnisse - Diskussion. 11 Mit dem Gliederungspunkt Methoden folgt hier auf die For‐ schungsfrage die sehr sinnvolle Reflexion darüber, mit welchen Mitteln die gestellte Frage sich wissenschaftlich überhaupt beantworten lässt. Und am Ende steht neben dem Ergebnis auch noch die redliche Diskussion über die Grenzen der Untersuchung bzw. Bedarfsanzeigen für die künftige Arbeit am Thema. Für noch reizvoller halte ich es dem gegenüber jedoch, mit dem Vortrag eine Geschichte zu erzählen, etwa nach dem Muster der Heldenreise nach Joseph Campbell 12 oder mit der Struktur des ‚aristotelischen Dramas‘. In seinem Lehr‐ buch zur Poetik unterteilt der antike Philosoph Aristoteles jede gute Geschichte, jedes Drama, grundsätzlich in zwei Bausteine. Der erste enthält die „Schürzung des Knotens“, der zweite dessen „Lösung“. Mit anderen Worten: Ein Problem DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 86 Nils Neumann 13 Vgl. dazu Freytag, Technik, 100f. tritt auf und muss sodann wieder aus der Welt geschafft werden - aus denselben Gründen entsteht schließlich auch gute Forschung. Aristoteles gebraucht dafür das Bild einer Schnur, in die zunächst ein Knoten hineingerät, um anschließend wieder entwirrt zu werden. Spannend ist, dass es nach Aristoteles genau zwei Möglichkeiten gibt, den Knoten zu ‚enttöddern‘. Zunächst nämlich durch eine „Peripetie“, durch einen Umschwung des Schicksals. Aufgrund eines mehr oder weniger unvorhergesehenen Ereignisses nimmt die gesamte Geschichte eine unerwartete Wende. Etwas geschieht und dadurch eröffnet sich plötzlich der Ausweg aus einer verzwickten Situation. Die „Anagnorisis“ ist hingegen eine „Erkennung“ und stellt die zweite Möglichkeit dar, den Knoten zu lösen. Es muss dazu gar nichts Spezielles geschehen, aber der Held des Dramas kommt plötzlich auf einen entscheidenden Gedanken, sodass seine gesamte Situation sich nunmehr in völlig neuem Licht darstellt. Das antike Musterbeispiel für diese „Lösung“ ist der Showdown der Ödipus-Geschichte: Nachdem der Held Kämpfe ausgefochten und vermeintlich die große Liebe gefunden hat, erhält er eine göttliche Offenbarung und stellt rückblickend fest, dass er versehentlich seinen Vater getötet hat und mit seiner Mutter in die Kiste gestiegen ist. Beides nicht so schön. Es ist ja auch eine Tragödie. Aber es ist eben auch eine gute Geschichte. Und darum lohnt es sich, im Hinblick auf gelingende Wissenschaftskommunikation über sie nachzudenken. Menschen haben offenkundig Freude an Geschichten, die von einem Problem und dessen Lösung erzählen. Deswegen folgen bis heute die allermeisten erfolg‐ reichen Kinofilme der aristotelischen bzw. Campbell’schen Struktur. Und wie wir gesehen haben, beschreitet auch jeder wissenschaftliche Forschungsbeitrag einen Weg von einer Forschungsfrage hin zu einer Antwort, vom Problem hin zur Lösung. Was liegt also näher, als in der Wissenschaftsvermittlung beides miteinander zu kombinieren? Erzählen wir unserem Publikum eine Geschichte; nehmen wir es mit auf eine Reise durch die Abenteuer der Forschung! 13 Pfiffige Akteur: innen der Wissenschaftsvermittlung verwenden eine grund‐ legende Allegorie, um ihr Thema zu präsentieren. Sie greifen auf eine Thematik zurück, die dem Publikum vertraut und sympathisch ist, und legen diese wie eine narrative Schablone über die Darstellung der eigenen Forschung. So erzählt der Science Slammer André Lampe eine sogar fast romantische Geschichte über das Verhältnis zwischen einem Lemur und einer Maulwürfin (Lemuren sind diese drolligen Affen mit den riesengroßen Augen). Parallel zu den sehr unterschiedli‐ chen Fähigkeiten dieser Tiere, Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten, erläutert André Lampe die technischen Clous moderner elektronischer Mikroskope. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 87 14 Vgl. auch Hill, Science Communication, 531; dies., Art, 134. 15 Vgl. dazu Walde, Ovids Ars Ridendi, passim. 16 Vgl. dazu insbes. auch Kramer, Spiel, 62-64. 4 Mittel der Darstellung Prinzipiell ist hinsichtlich der Ausgestaltung des Vortrags beim Slam alles erlaubt. Gesetzt ist allerdings die Erwartung, dass bei einer Slam-Veranstaltung gern und viel gelacht werden darf. 14 Doch wie funktioniert ein Witz? Bereits die antiken Lehrer der Redekunst wie Cicero und Quintilian wussten: Menschen zum Lachen zu bringen, erfordert vom Redner eine gewisse Grundbegabung. Die Techniken sind nur zum Teil erlernbar. Es gibt bei Ihnen aber eine Faustregel, nämlich: Das, was vom Üblichen abweicht, regt zum Lachen an. 15 Grundsätzlich lässt sich eine witzige Wirkung also oft durch die Platzierung unerwarteter Elemente erzielen. Das Unerwartete regt zum Lachen an. Dabei ist es prinzipiell zwar auch möglich, Witze über dritte Personen anzubringen oder sich gar über sie lustig zu machen. Solche Gags funktionieren sehr häufig, hinterlassen bei vielen Lachenden aber auch einen bitteren Beigeschmack. Wer im Vortrag einen Witz über Dritte macht, muss sich folglich überlegen, ob der Effekt es wirklich wert ist, den Lacher um diesen Preis zu erkaufen. Ebenso ist Fingerspitzengefühl bei Witzen über Sex angebracht. Die ehrwürdigen Rhetoriker Cicero und Quintilian haben hier Sorge um das Ansehen des Redners: Wer unanständige Witze macht, verspielt die eigene Vertrauenswürdigkeit und outet sich als unanständiger Kerl. Im antiken Kontext steht somit das Ansehen der Vortragenden auf dem Spiel (gr. êthos). Inwieweit dies auch heute noch der Fall ist, muss die Praxis zeigen. Beim Slam beliebte Techniken zur Erzeugung von Humor sind die folgenden: 16 • Der Kontrast zwischen Fachvokabular und Verständlichkeit: Lustig wirkt es, zuerst das Publikum mit einer längeren Formulierung in Fachterminologie zu konfrontieren, um dann das soeben Gesagte in sehr einfache pointierte Sprache zu übersetzen. • Running Gags als die über den Vortrag verteilte mehrfache Wiederholung von witzig-deplatzierten Elementen. Dieses Mittel lässt sich noch steigern: Zuerst einen Running Gag etablieren, und dann am Ende des Vortrags in unvorhergesehener Weise vom Gag, den das Publikum erwartet, abweichen. • Selbstironie: Anders als Witze über Dritte (s. o.) wirkt es ungebrochen witzig, wenn Vortragende auch über sich selbst bzw. die eigene Fachkultur lachen können und dabei Clichés über das eigene Fach bedienen und/ oder hinterfragen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 88 Nils Neumann 17 Vgl. Eisenbarth/ Weißkopf, Science Slam, 159 f., und insbesondere Hill, Science Commu‐ nication, 531f. 18 Vgl. dazu Bultmann, Stil, 10-64. 19 Vgl. dazu insbesondere Kramer, Spiel, 60. 20 Vgl. dazu etwa Reiners, Stilfibel, insbesondere 86 f. und 93-95. Vgl. außerdem Tucholsky, Ratschläge, passim. Bei allen Gestaltungsmitteln - den sprachlichen wie auch den nicht-sprachli‐ chen - gilt: Ob sie gut funktionieren, hängt stark vom individuellen Geschmack ab. Vortragende stehen darum vor der Aufgabe, sie so auszuwählen und zu do‐ sieren, dass ein möglichst großer Teil des Publikums das Ergebnis als angenehm empfindet. Dies gilt insbesondere für die Formulierung des Titels. Da der Titel des Vortrags ggf. im Vorfeld bereits bekannt gemacht wird und das Publikum ihm besondere Aufmerksamkeit schenkt, lohnt es sich, ihn mit Bedacht zu formu‐ lieren, um Neugier zu wecken. Hilfreich kann es dabei sein zu provozieren, eine Anspielung auf ein Phänomen der Popkultur zu verwenden, kurz und präzise zu formulieren, eine Alliteration zu benutzen, eine Analogie anzubringen (s. o.) oder einen einen erläuternden Untertitel anzufügen. Im Umgang mit dem Thema sind Eingängigkeit und Verständlichkeit hilf‐ reiche Zutaten für die Gestaltung eines Slam-Vortrags. 17 Danach richteten sich bereits die kynischen und stoischen Philosophen im Altertum. 18 Bewährt haben sich dazu die folgenden Mittel: • Eine bildhafte Sprache: Wissenschaftliche Sachverhalte lassen sich oft gut durch Allegorien aus der Alltagswelt erläutern. • Ein niederschwelliger Zugang: Vortragende dürfen sich im Hinblick auf das Thema dumm stellen und bei Null anfangen zu erklären. Sie können mögliche Einwände gegen die vorgetragenen Thesen aufgreifen, absurde Missverständnisse aussprechen und diese dann ablehnen. 19 • Ein verständlicher Satzbau: Es bietet sich an, Redewendungen zu benutzen, Wichtiges in kurzen Sätzen zu formulieren, starke Verben zu verwenden, 20 an betonten Stellen Pausen einzusetzen, auf Alltagssprache zurückzu‐ greifen, Fremdwörter zu vermeiden oder zu erklären, gerne auch durch Slang-Ausdrücke die ‚Schnoddrigkeit‘ des Vortrags zu erhöhen sowie Kose‐ namen für Personen, Gegenstände oder Theorien der eigenen Fachkultur zu etablieren. • Zitate: Aussprüche berühmter Persönlichkeiten, Filmzitate oder Werbeslo‐ gans können auf das eigene Forschungsthema bezogen werden, um die Einprägsamkeit der Ausführungen zu erhöhen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 89 21 Das beobachten auch Kramer, Spiel, 57; Hill, Art, 130. 22 Zu diesem letzten Punkt vgl. auch Kramer, Spiel, 56. 23 Vgl. insbesondere auch Lampe, Science Slam, 113; Hill, Science Communication, 532f. 24 Vgl. auch Hill, Science Communication, 533f. Zudem ist es sinnvoll, das Publikum zu aktivieren, es also durch gezielte Ansprache aktiv in den Denkprozess einzubinden. 21 Dies geschieht etwa durch eine direkte Anrede mit inkludierendem ‚Wir‘, durch spontanes Aufgreifen von Äußerungen aus dem Publikum, (rhetorische) Fragen, Ratespielchen, Live-Ex‐ perimente, Umfragen, Abstimmungen, durch den Einbezug von Zuhörenden als Testpersonen, durch Provokation von Zwischenrufen, sowie durch die klassische captatio benevolentiae („Erlangung des Wohlwollens“ des Publikums) am Anfang und Ende des Vortrags, z. B. durch einen Witz, Dank oder Glück‐ wunsch. 22 Aus kommunikationstheoretischer Sicht ist es in diesem Zusammenhang auch nützlich, sich zur Informationsübermittlung mehrerer ‚Kanäle‘ zu be‐ dienen. Daher bietet es sich an, eine Präsentation zu verwenden, die über einen Videoprojektor abgespielt wird. Folgende Überlegungen und Richtlinien können beim Erstellen einer Präsentation helfen: Präsentationsfolien sollten prägnant gestaltet werden, den Text sparsam dosieren und Abbildungen als Visualisierung des Themas einsetzen anstatt das Gesagte nur zu illus‐ trieren. 23 Bilder können zudem als Mittel zur Erzeugung von Witzen mittels Bild-Wort-Kontrast fungieren. Ein guter Eindruck entsteht, wenn die Präsenta‐ tion einheitlich gestaltet ist. Visual Notes können dazu einen guten Beitrag leisten. Neben der klassischen Diaschau-Programmen (Powerpoint, Impress), die einzelne Folien nacheinander abspielen, nimmt in letzter Zeit auch der Einsatz solcher Software zu, die mit zoomfähigen Vektorgrafiken arbeitet (Prezi, Inkscape/ Sozi) und damit die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen noch anschaulicher visualisieren kann. Neben der Projektion von Bildern eignen sich auch mitgebrachte Gegenstände, also Requisiten zur Ver‐ deutlichung des Themas, 24 z. B. ein Faksimile einer antiken Handschrift, ein 3D-Modell eines Artefakts oder einer baulichen Struktur, fachtypische Kleidung oder die Zutaten für die Durchführung eines Live-Experiments. Die Wirkung des Vortrags lässt sich nicht von der vortragenden Person mit ihrem körperlichen Auftreten isolieren. Deswegen lohnt es sich, bei der Einübung des Vortrags im Workshop auch die folgenden Punkte zu reflektieren: Inwieweit agiert die Person authentisch bzw. schlüpft sie in eine Rolle? Wie wirken Tonfall, Vortragsgeschwindigkeit und Gestik? Wie präsent zeigt sich die oder der Vortragende in der Interaktion mit dem Publikum? DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 90 Nils Neumann 25 Wer den wissenschaftlichen Fachdiskurs als Ideal ansetzt und die Slam-Veranstaltung hieran misst, wird unweigerlich eine Enttäuschung erleben. Wissenschaftlicher Tief‐ gang ist beim Slam nur zu einem gewissen Grad möglich. Zur Kritik siehe auch Grummt, Sociology, 1660 f. Doch das Ziel des Slams besteht m. E. auch nicht darin, nuancierte fachliche Diskussionen zu führen, sondern das Publikum auf fachlich ver‐ antwortungsvolle Weise mit in die Forschung hineinzunehmen und ihm einen Einblick zu ermöglichen. Das Format kann Personen mit bibelwissenschaftlichen Themen in Berührung bringen, die zu diesem Forschungsfeld ansonsten keinerlei Bezug hätten. Dafür lohnt es sich. Vgl. außerdem auch Hill, Science Communication, 540f. 5 Los geht’s! Es gibt damit insgesamt sehr viele Stellschrauben, an denen man drehen kann, um die Slam-Präsentation zu optimieren. Alle Energie, die in die Vorbereitung und Einübung des Vortrags fließt, ist daher sicherlich gut investiert. Dies alles soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, als liege die Messlatte beim Slam in unerreichbarer Höhe. Nein, das Slam-Publikum ist in der Regel ein sehr wohlwollendes Publikum, das das Engagement der Vortragenden sehr wohl zu schätzen weiß. Es lohnt sich daher ganz gewiss, nach gründlicher Vorbereitung rauszugehen, mit Schmackes abzuliefern und die Rückmeldungen zu genießen. Viele Slam-Veranstaltungen bieten zudem die schöne Möglichkeit, nach der Schlusswertung noch beisammen zu bleiben und sich bei einem prickelnden Getränk weiter über die Forschung und andere Themen auszutauschen. 25 Literatur Bultmann, Rudolf: Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13), Göttingen 1910. Campbell, Joseph: The Hero With a Thousand Faces, Novato 3 2008. Dittrich, Jens: Die Zehn-Minuten-Herausforderung. Über Science Slams, Forschung & Lehre 19 (2012), 736f. Eisenbarth, Britta/ Weißkopf, Markus: Science Slam: Wettbewerb für junge Wissen‐ schaftler, in: Dernbach, Beatrice u. a. (Hg.): Handbuch Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2012, 155-163. Freytag, Gustav: Die Technik des Dramas, Leipzig 3 1876. Grummt, Daniel: Sociology Goes Public. Der Science Slam als geeignetes Format zur Vermittlung soziologischer Erkenntnisse? , in: Lessenich, Stephan (Hg.): Routinen der Krise - Krise der Routinen. Verhandlungen des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Trier 2015, 1652-1663. Hahn, Volkmar: Warm-Up. Spiele und Übungen für die Gruppenarbeit, Frankfurt a.-M. 2005. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 91 Hill, Miira B.: Innovative Popular Science Communication? Materiality, Aethetics, and Gender in Science Slams, in: Morcillo, Jesús Muñoz/ Robertson-von Trotha, Caroline Y. (Hg.): Genealogy of Popular Science. From Ancient Ecphrasis to Virtual Reality, Bielefeld 2020, 517-543. Hill, Miira B.: The New Art of Old Public Science Communication. The Science Slam, London 2022. Kramer, Olaf: Spiel mit dem Publikum. Zur Rhetorik des Science-Slams, in: Niemann, Philipp u.-a. (Hg.): Science-Slam. Multidisziplinäre Perspektiven auf eine populäre Form der Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2020, 53-67. Lampe, André: Science Slam als Bereicherung einer Tagung oder Konferenz, in: Knoll, Thorsten (Hg.): Neue Konzepte für einprägsame Events. Partizipation statt Langeweile - vom Teilnehmer zum Akteur, Wiesbaden 2016, 109-124. Perneger, Thomas V./ Hudelson, Patricia M.: Writing a Research Article. Advice to Beginners, International Journal for Quality in Health Care 16 (2004), 191f. Pfeifer, Malte/ List, Volker: Kursbuch Darstellendes Spiel, Stuttgart 2009. Reiners, Ludwig: Stilfibel. Der sichere Weg zum guten Deutsch, München o.-J. Stimm, Maria: Science Slam. Ein Format der Wissenschaftskommunikation aus erwach‐ senenpädagogischer Perspektive (Bildungsforschung 2), Bielefeld 2020. Tucholsky, Kurt: Ratschläge für einen schlechten Redner [1930], Forschung & Lehre 23 (2016), 854. Walde, Christine: Ovids Ars Ridendi, in: Mauser, Wolfram (Hg.): Lachen, Würzburg 2006, 77-99. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 92 Nils Neumann 1 Michael Sommer studierte Literaturwissenschaft in Freiburg und Oxford. In seiner Theaterkarriere war und ist er u. a. als Regisseur, Autor, und Dramaturg tätig. Seit 2015 betreibt er den YouTube-Kanal Sommers Weltliteratur To Go und unterrichtet seit 2016 an der Heimerer Fachakademie für Sozialpädagogik in München. Weitere Informationen finden sich unter https: / / sommers-weltliteratur.de/ michael-sommer/ . 2 Seit Oktober 2023 gibt es auch eine Live-Performance, die auf der Videoreihe basiert. 3 https: / / www.youtube.com/ @sommersweltliteraturtogo. Ermächtigung zum Spielen Überlegungen zu den didaktischen Zielen der Videoreihe Die Bibel to go Michael Sommer 1 Was ist Die Bibel to go? Von Oktober 2020 bis September 2021 habe ich die 66 Bücher der Lutherbibel in 66 kurzen Videos zusammengefasst, die jeweils eine Einführung bzw. einen Überblick über die Texte bieten. 2 Es handelt sich bei den Adaptionen um Inhaltsangaben, die freilich bei handlungsarmen oder kryptischen Originalen notwendigerweise eine bestimmte Interpretation vor‐ aussetzen. Hinzu kommt, dass die Handlungsträger der Filme normalerweise auf dem Kinderzimmerfußboden zuhause sind. Es handelt sich um Playmobil-Fi‐ guren. Sie sind der Kern der Vermittlungsarbeit meines Youtube-Kanals Som‐ mers Weltliteratur to go. 3 Im Folgenden werde ich zunächst auf die Arbeit an diesem Kanal eingehen, bevor ich auf das darauf basierende Projekt Die Bibel to go zurückkomme. Seit Anfang 2015 präsentiert Sommers Weltliteratur to go wöchentlich ein etwa 10-minütiges Video, in dem der Inhalt eines literarischen Werkes mit Hilfe von Playmobil-Figuren zusammengefasst wird. Dabei handelt es sich in der Regel um literarische Klassiker, oft um Schulstoffe, denn die meisten Nutzer: innen des Kanals sind Schüler: innen und Studierende, die einen Überblick über ein Werk suchen oder es vor der nächsten Klausur (oder dem schriftlichen Deutsch-Ab‐ itur) noch einmal wiederholen wollen. Die Videos sind keine Hochglanzanimati‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0008 4 Huizinga, Homo ludens, 133. onslehrfilme, sondern eher eine Art Küchentisch-Kasperltheater. Diese flapsige Formulierung deutet bereits auf ein wichtiges Vermittlungsprinzip: Die Videos sollen niederschwellig, verständlich, aber vor allem auch unterhaltsam sein. Wieso unterhaltsam? Ist die Vermittlung von Inhalten der Hochkultur nicht eine ernsthafte Angelegenheit? In der Tat. Ich nehme Literatur sehr ernst, deshalb bemühe ich mich, sie so vielen Menschen wie möglich zu vermitteln, vor allem denjenigen, die ihr gegenüber Berührungsängste haben. Die größte Herausforderung dabei ist, dass Bücher einen schlechten Ruf haben. Unter anderem, weil der Literatur‐ unterricht an Schulen (und Hochschulen) häufig einem zentralen Charakteris‐ tikum von Geschichten nicht gerecht wird: Geschichten sollen den Lesenden Spaß und/ oder Freude bereiten. Aber selbst wenn Lehrkräfte große Fans der Geschichte sind, die sie gerade vermitteln wollen, merken die Lernenden oft nichts von deren potentieller Unterhaltsamkeit. Das Wort ‚Pflichtlektüre‘ macht das Problem deutlich. Wenn ich ein Buch lesen muss, dann wird das eher meinen Widerstand als meine Freude daran aktivieren. Es ist daher notwendig, Bildungserlebnisse so zu gestalten, dass sie jeweils so motivierend wie möglich für die Lernenden sind. Mein Leitbild dabei ist das spielerische Lernen; meine wichtigste Botschaft ist, dass Literatur selbst ein Spiel ist. Der Historiker Johan Huizinga schreibt in seinem 1938 veröffentlichen Werk Homo ludens: „[W]ährend Religion, Wissenschaft, Recht, Krieg und Politik in höher organisierten Formen der Gesellschaft die Berührungen mit dem Spiel, die sie in frühen Stadien der Kultur offenbar in so reichlichem Maße hatten, nach und nach zu verlieren scheinen, bleibt das Dichten, das in der Spielsphäre geboren ist, immerfort in dieser zu Haus. Poiesis ist eine Spielfunktion. Sie geht in einem Spielraum des Geistes vor sich, in einer eigenen Welt, die der Geist sich schafft. Dort haben die Dinge ein anderes Gesicht als im ‚gewöhnlichen Leben‘ und sind durch andere Bande als logische aneinandergebunden. [Dichtung] steht jenseits vom Ernst, auf jener ursprünglichen Seite, wo das Kind, das Tier, der Wilde und der Seher hingehören, im Felde des Traums, des Entrücktseins, der Berauschtheit und des Lachens.“ 4 Für Huizinga ist das Spiel der Ursprung aller menschlicher Kultur, aber während die eingangs genannten Lebensbereiche im Laufe ihrer Entwicklung bestimmte Merkmale des Spiels verloren haben, nimmt die Dichtung eine Sonderstellung ein, weil sie immer in vollem Umfang Spiel bleibt. Literatur ist nicht von der Logik oder den Zwängen der Realität abhängig, sondern schafft sich ihre DOI 10.24053/ VvAa-2023-0008 94 Michael Sommer Welt im menschlichen Geist, wo andere Spielregeln gelten. Nicht zufällig assoziiert Huizinga Kinder und Lachen mit der Dichtkunst, denn als Kinder haben wir alle eine große Kompetenz darin, die Welt, die Menschen und uns selbst durch Geschichten spielerisch zu erkunden. Das geschieht in Rollen- und Puppenspielen und (seit 1974) auch mit Playmobil-Figuren. Das kindliche Sich-Erspielen der Welt mit Hilfe von Figuren ist der Königsweg des Lernens. Zwischen 2006 und 2014 war ich als Schauspieldramaturg am Theater Ulm tätig und habe viele Experimente zum Thema Theatervermittlung (die immer auch Literaturvermittlung ist) durchgeführt. Zu meinen Methoden gehörten Livestreaming (damals noch weitgehend unbekannt) und die Entwicklung einer Augmented-Reality-App, aber auch analoge Spiele wie Kochen mit dem Publikum, der Einsatz von Barbie-Puppen und Playmobil-Figuren. 2013 hatte ich die Aufgabe, eine extrem handlungsarme Inszenierung von Büchners Dantons Tod zu vermitteln. Um den Ablauf des Stückes zu erklären, verwendete ich bei einer Veranstaltung Playmobil- und andere Figuren, die ich vor einer Kamera agieren ließ, die an einen Videobeamer angeschlossen war. Hinterher stellte ich die Aufzeichnung der kleinen Performance zu Youtube, wo sich innerhalb kurzer Zeit viele Schüler: innen das Video anschauten - weil Dantons Tod in Baden-Württemberg zu diesem Zeitpunkt gerade eine Pflichtlektüre für das schriftliche Deutschabitur war. Gerade im Kontext von schulischem Druck und Zwang, so schien es, war es für die Nutzer: innen wichtig, auf einen Content zugreifen zu können, der dem ‚Ernst des Lebens‘ eine kindliche, spielerische Art des Zugangs entgegensetzte - und dabei dennoch Inhalte vermittelte. Ich nahm diese Erfahrung zum Anlass, Anfang 2015 Sommers Weltliteratur to go ins Leben zu rufen. Insgesamt wurde etwa 35 Millionen Mal auf die seither veröffentlichten Videos zugegriffen; 46 % meiner (registrierten) Nutzer: innen sind unter 25 Jahren alt. Für einen Youtube-Kanal sind diese Zahlen nicht sehr groß, für einen kulturellen Inhalt und ein junges Publikum jedoch un‐ gewöhnlich. Einerseits orientiere ich mich an meiner Zielgruppe, indem ich Schullektüren behandle, andererseits ist der Kanal durchaus auch ein Selbstbil‐ dungsprojekt und ich versuche mich Schritt für Schritt der vollmundigen Be‐ hauptung anzunähern, der Kanal präsentiere ‚Weltliteratur‘. Angesichts dessen war abzusehen, dass ich mich irgendwann auch mit der Bibel auseinandersetzen würde, deren kulturelle und historische Bedeutung auch jenseits des religiösen Bereichs schwer zu übertreffen ist. Aus dem bisher Gesagten sollte deutlich geworden sein, dass ich kein Religi‐ onspädagoge bin. Andererseits ist meine Motivation für die Auseinandersetzung mit der Bibel keineswegs rein parodistisch oder monetär. Der primäre Zweck meiner Videos ist es, jeweils eine Zugangsmöglichkeit zu einer Geschichte DOI 10.24053/ VvAa-2023-0008 Ermächtigung zum Spielen 95 zu schaffen und einen Überblick über die Figuren und die Handlung eines Buches zu geben. Dadurch, dass meine Methode figurenbasiert ist, steht die Mechanik von Handlungen immer im Vordergrund. Die Stärke meiner Methode ist es, Figuren, ihre Probleme und Problemlösungsstrategien einprägsam und prägnant erzählen zu können; die Schwäche meiner Methode ist es, dass ich Faktoren wie sprachliche Schönheit oder Stilistik nur beschreiben kann, ohne sie wirklich erfahrbar machen zu können. Hinzu kommt, dass der Text zu meinen Videos einen bestimmten Stil aufweist: Er ist grundsätzlich einfach und erklärend, oft aber auch ironisch, nimmt Anleihen an der Jugendsprache, ver‐ wendet Sprachspiele und inszenierte Versprecher. Die sprachliche Gestaltung dient also einerseits der guten Verständlichkeit, andererseits aber auch der Unterhaltsamkeit. Ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass die Attraktivität und damit auch Unterhaltsamkeit von Medien im Bereich der Didaktik an erster Stelle stehen muss, denn der beste Inhalt nützt nichts, wenn die Nutzer: innen ihn nicht rezipieren - und das müssen sie (spielerisches Prinzip) freiwillig tun. Der sekundäre Zweck meiner Arbeit ist es, Imagewerbung für Literatur und für das Lesen zu machen. Ich habe weiter oben schon von einem Problem des Literaturunterrichts gesprochen, der leider viele junge Menschen eher vom Lesen abschreckt. Hinzu kommt, dass Lesen im Vergleich zu anderen (gerade digitalen) Formen der Unterhaltung viel kognitive Energie erfordert. Ein Faktor, der Playmobil-Figuren für den Einsatz in meinen Videos hervorragend geeignet macht, ist das Image dieses Spielzeugs. Es ist sehr bekannt, viele Menschen haben als Kinder damit gespielt, und sie assoziieren nichts Negatives damit. Playmobil verkörpert in nahezu idealer Weise die Merkmale des Spiels, die auch Huizinga aufzählt: Zweckfreiheit, So-Tun-Als-Ob, Freiheit und Freiwilligkeit, Autonomie, Freude. Pragmatisch kommt noch hinzu, dass die Figuren eine gute Größe für die Handhabung vor einer Kamera haben, dass sie heutzutage zwar in extremer Diversität vorhanden sind, trotzdem aber (als Puppenspielzeug) noch sehr neutrale Projektionsflächen für die Zuschauer: in sind. Gerade der Kontrast zwischen Hochkultur (oder in diesem Fall religiösem Text) und Kinderzimmer‐ fußboden scheint das Publikum zum Zuschauen und Zuhören zu motivieren. Ein dritter Zweck meiner Arbeit ist die Frage der Ermächtigung zum Umgang mit Geschichten. Im Deutschunterricht werden bestimmte ‚legitime‘ Techniken vermittelt, wie man als Erwachsene: r mit Texten umgehen darf: Inhaltsangaben, Interpretationen und Kommentare sind in Ordnung, aber bitte nicht zu fanta‐ sievoll und deutlich voneinander getrennt. So sinnvoll und notwendig der Grund für diese Herangehensweise ist, gerät der kindlich-spielerische Zugang zu Geschichten daneben oft ins Hintertreffen. Ihn jedoch gilt es zu stärken. Indem ich vermeintlich unpassende Elemente miteinander kombiniere und mir DOI 10.24053/ VvAa-2023-0008 96 Michael Sommer so Hochkultur aneigne, vermittle ich, dass dies eine ebenso legitime Art des Zugangs zu Literatur ist. Wenn daher Lehrkräfte mit ihren Klassen eigene Videos drehen (oder etwas ganz anderes machen), was von meiner Arbeit inspiriert ist, dann ist dies für mich ein Erfolg. Sowohl in der religiösen Praxis als auch im Religionsunterricht hat der Einsatz unterschiedlicher Formen von Theater, Rollenspielen und auch Figuren‐ theater eine lange Tradition. Die Bibel to go reiht sich diese lange Tradition ein, aktiviert Kindheitserinnerungen und sucht sich ihre Bühne an einem Ort, an dem junge Menschen viel Zeit verbringen - Youtube. Literatur Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek 24 2015. https: / / sommers-weltliteratur.de/ michael-sommer/ . Letzter Zugriff 26.08.2024. https: / / www.youtube.com/ @sommersweltliteraturtogo. Letzter Zugriff: 26.08.2024. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0008 Ermächtigung zum Spielen 97 Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go Eine exegetisch-hochschuldidaktische Reflexion Helge Bezold (orcid.org/ 0000-0002-4100-998X)/ Matthias Hopf (orcid.org/ 0000-0002-9183-7740) 1 Ein kurzer Überblick Auf seinem Youtube-Kanal Sommers Weltliteratur to go erzählt Dramaturg und Literaturwissenschaftler Michael Sommer seit 2013 Werke der Weltliteratur in Form von Playmobil-Figurentheaterstücken nach. Der konsequente Einsatz für kurzweilige und unterhaltsame Inszenierungen zahlt sich aus: Knapp 35 Mil‐ lionen Aufrufe haben die Videos in Summe, mehr als 150.000 Abonnent: innen folgen dem Kanal. Der Einfluss der Nacherzählungen von Sommer auf die literarische Bildung kann somit kaum überschätzt werden. Seit 2020 existiert eine eigene Reihe Die Bibel to go, die sich in 66 Videos der Bücher des protestantischen Bibelkanons annimmt. Das längste Video zur Genesis dauert 13: 40 Minuten, das kürzeste zum 3. Johannesbrief 1: 55, was letztlich auch den Bekanntheitsgrad der Bücher widerspiegeln dürfte. Die Gesamtspielzeit umfasst ca. acht Stunden. Im Vergleich: Große Hörbibeln, in denen der gesamte Bibeltext vorgelesen wird, laufen über 80 Stunden. Die selbstständige Lektüre im Rahmen von Bibelleseplänen oder im Kontext von universitären Bibelkundeveranstaltungen dauert entsprechend länger. Die Kürze der Nacherzählungen ist Programm und Grund für den Erfolg: Die biblischen Texte werden stark verdichtet und auf bekannte Hauptfiguren und Erzählstränge reduziert. Zuschauende erhalten kompakte Zusammenfassungen bzw. besser: für heutige Lesende anschlussfähige und unterhaltsame Nacherzäh‐ lungen, die - so auch der von Michael Sommer selbst formulierte Warnhinweis unter jedem Video - die eigene Lektüre der Bücher nicht ersetzen können oder sollen. Der hier skizzierte Blick auf Die Bibel to go möchte deshalb nicht diskutieren, inwiefern Youtube-Videos die eigene Lektüre und Beschäftigung mit biblischen Texten im universitären Kontext ‚ersetzen‘ können - das können DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 sie nicht. Vielmehr möchten wir eine kritische Reflexion über den Umgang mit den Filmen im hochschuldidaktischen Kontext bieten. 2 Beobachtungen zu Umsetzung und Stil 2.1 Die Darstellung Gottes in den Filmen Eine interessante Grundentscheidung Sommers sei dieser Reflexion vorange‐ stellt: Wie alle anderen Personen von Abraham bis Jesus wird Gott von einer menschlichen Playmobil-Figur gespielt. Obwohl Sommer diese durch eine nonbinäre Geschlechtsidentität - in der Anrede wechselt Sommer rege‐ mäßig zwischen „sie“ und „er“ - und als besonders ‚bunte‘ Figur (verschiedene Hautfarben, Tattoos, blaue Haare, Hippie-Kleidung) von anderen Charakteren abhebt, steht Gott in seinen Interaktionen stets neben den anderen Personen und interagiert mit diesen auf Augenhöhe. Diese Entscheidung erleichtert sicherlich eine moderne Inszenierung und sie mag für Teile der alttestamentlichen Gottes‐ darstellung passen, die für die Mehrheit der Texte elementare Überzeugung der göttlichen Transzendenz geht dadurch allerdings verloren - trotz der Tatsache, dass die Figur Gottes in den Videos manchmal ein Schild mit der Aufschrift „unsichtbar“ trägt. Dazu kommt zum einen, dass göttliches Reden oft kindlich und flapsig an‐ mutet, und Gebote oder Kultanweisungen durch Sommers ironische Stimmlage als absurd oder lächerlich erscheinen können. Die vollzogenen Opfer sind oft ‚lustig‘ und werden mal eben ‚veranstaltet.‘ Die Einsetzung der Beschneidung geschieht à la ‚schnipp-schnapp.‘ Zum anderen ist auffällig, dass die Figur Gottes in dieser Weise beinahe ausschließlich in Videos zum Alten Testament auf der Bühne präsent ist - der Anfang des Hebräerbriefes und das Ende der Offenbarung sind die Ausnahme. So sehr sich diese Differenz aufgrund unterschiedlicher Erzähltechniken im Alten und Neuen Testament bzw. aus religionsgeschichtlichen Entwicklungen nahelegt, bleibt doch der Eindruck, die neutestamentlichen Autoren hätten das allzu menschliche, alttestamentliche Gottesbild abgelegt. 2.2 Der Umgang mit den Texten insgesamt Die Inszenierung der wesentlichen Handlung der biblischen Bücher gelingt Sommer insgesamt ausgesprochen gut und auf unterhaltsame Art und Weise. Schnelle Szenen- und Figurenwechsel, reduzierte Bühnenbilder und humorvolle Erzählerkommentare machen es Menschen ohne fundierte Bibelkenntnis mög‐ lich, die Hauptfiguren und Kernelemente biblischer Bücher kennenzulernen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 100 Helge Bezold / Matthias Hopf Wenngleich zwangsläufig klassische Spannungen wie z. B. die der beiden Schöpfungstexte (Gen 1-3) oder in der Fluterzählung (Gen 6-9) übergangen werden (Gott zu Noah: „Packste n’Paar von allen Tieren rein“), erweist sich Sommer als guter Leser und gewitzter Erzähler, der auf kleinstem Raum große Erzählbögen spannt und ein Gespür für rezeptionsgeschichtlich ‚wichtige‘ Texte und Themen hat. Bisweilen kommt sogar klassisches Einleitungswissen oder Übersetzungsfragen zur Sprache, z. B. wenn Sommer betont, dass in der Paradieserzählung gar nicht von einem Apfel und im Buch Jona nicht von einem Wal die Rede ist. Für heutige Lesende ‚schwierige‘ Texte spricht Sommer an und versieht sie bisweilen mit kritischen Anmerkungen. So lässt er Gott zum Thema Homose‐ xualität im Buch Levitikus ergänzen, dass man über diese Regel ja im 21. Jahr‐ hundert noch einmal reden könne. Besonders anstößige Szenen (wie z. B. die Vergewaltigungen in Sodom und Gomorra, die Erzählung von Juda und Tamar oder von Lot und seinen Töchtern) stellt Sommer in den regulären Videos nicht dar, sondern er weist sie als Stoff der eigens produzierten ‚Erwachsenenversion‘ aus. Dieses eigene Video („Genesis-Clips für Erwachsene to go“) beschließt Sommer mit einem Kommentar, der erklärt, dass viele moralische Vorstellungen alt- und neutestamentlicher (! ) Texte „mit unserem heutigen Wertesystem nicht vereinbar“ sind und wir uns heute kritisch fragen müssen, „was wir uns da zum Vorbild nehmen wollen, und was nicht“. 2.3 Elemente alttestamentlicher Exegese in den Texten In erfrischender und aus exegetischer Sicht erfreulich nuancierter Art und Weise versteht es Sommer, auch Texte vorzustellen, deren Gattungen deutlich jenseits der Erzählung liegen. Das Video zum Psalter schafft es z. B. mithilfe von Vergleichen zu moderner Popmusik, für die Genretypik der biblischen Poesie zu sensibilisieren. Mit Zitaten aus unterschiedlichen Psalmen führt er in Unterschiede zwischen Lob- und Klageliedern ein, diskutiert theologische und anthropologische Fragen des Psalters und deutet an, dass die Verfasserfrage der Psalmen nicht eindeutig zu klären ist. In die jesajanische Prophetie leitet Sommer mit einem Verweis auf die historische Entwicklung um die assyrischen und babylonischen Eroberungen von Israel und Juda ein; er verweist auf die Entstehungsgeschichte des Buches („Ich bin drei Propheten“), singt (mit Gitarrenmusik hinterlegt) das Weinberglied und umschreibt theologische Kern‐ gedanken („Wölfe und Schafe machen ’ne WG auf “). Das Video zu Hiob beginnt Sommer mit einer Klassenzimmerszene zur Erklärung des Begriffs ‚Theodizee,‘ bevor die Handlung des Buches nacherzählt wird. Nuanciert gelingt es Sommer, DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go 101 in knapp 5 Minuten die Positionen der Freunde Hiobs herauszuarbeiten. Am Schluss wagt sich Sommer an einer Interpretation im Munde der Figur Gottes („Ich lasse viel Freiheit zu in meiner Schöpfung“), die zumindest zur weiteren Diskussion einlädt. 2.4 Das Neue Testament in den Filmen Den Einstieg in das Neue Testament macht ein schwarz-weiß-Video im Stil eines Gangsterfilms zum Matthäusevangelium. Jesus ist der kapitalismuskritische „J“ (bzw. „Jay“), der seiner Jünger: innen dazu auffordert zu „Extremisten des Guten“ zu werden. Das Video zum Markusevangelium („Dem Brühwürfel unter den Evangelien“) präsentiert Jesus als coolen Wundertäter in Basketballkleidung, bei Lukas ist er ein umhangtragender Weisheitslehrer und Heiler, bei Johannes („Johnny“) hat Jesus „Beef “ mit den Pharisäern und trinkt am Kreuz Essig, „was wahrscheinlich voll eklig ist.“ Leider wirken die Inszenierungen der Evangelien ziemlich gekünstelt. Insofern sie die vielen Szenen aus dem Leben Jesu knapp anreißen und Jesus/ Jay gewollt ‚cool‘ darstellen, bleiben die individuellen Profile der Einzeldarstellungen blass und es fehlt an Tiefe. Gewichtige Szenen wie die Kreuzigungen und Auferstehungsberichte erscheinen als beinahe beiläufige Anhänge. Hier bliebe besonders Potential in der Lehre, insofern die mediale Aufbereitung der Evangelien einiger kritischer Reflexion bedarf (vgl. weiter unten). Mehr überzeugen können die Videos zur Briefliteratur. Paulus erhält eine biographische Einleitung und die Briefe werden (z. B. im Falle des Galaterbriefes) in ihre historische Reihenfolge gebracht sowie in ihren Abfassungskontexten verortet. Auch schwierige theologische Denkformen bringt Sommer gut auf den Punkt, wenngleich hier wieder der umgangssprachliche Duktus und die Comicsprache u. E. eher Distanz als Nähe schafft („Wir können den ganzen Sün‐ denscheiß hinter uns lassen“ zu Röm 7). Die paulinische Haltung zu Israel nach Röm 9-11 kommt bei Sommer insofern überzeugend zur Sprache, als er Paulus in der ersten Person Plural als Mitglied des jüdischen Volkes sprechen lässt. Auch die für viele heutige Bibellesende vermutlich eher sperrigen Vorstellungen des Hebräerbriefes kann Sommer in seiner Darstellung einprägsam vermitteln, u. a. indem er die Verweise auf das Alte Testament mit ‚bekannten‘ Figuren aus den alttestamentlichen Videos gestaltet. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 102 Helge Bezold / Matthias Hopf 1 Vgl. zu diesem Aspekt insbesondere auch Gerstenmaier/ Mandl, Wissenserwerb, worin eine Lanze für eine vielgestaltige Lehre gebrochen wird, die möglichst viele Anknüp‐ fungspunkte für individuelle (Lern-)Erfahrungen bietet. Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, dass hier auch die Gefahr einer unbewussten Übernahme der filmischen Interpretation außerordentlich groß ist. 3 Erwägungen zum didaktisch sinnvollen Einsatz Die entscheidende Frage ist nun natürlich, wie diese überwiegend gelungenen Filme in hochschuldidaktischen Kontexten sinnvoll eingesetzt werden können. Zur Beantwortung dessen sollen zunächst einige Grundsätze benannt werden, auf welche dann Überlegungen zur Verwendung in unterschiedlichen Veran‐ staltungstypen folgen. 3.1 Grundsätze 1. So gelungen die Filme sein mögen, so wenig können sie die Auseinander‐ setzung mit den biblischen Primärtexten ersetzen, wie Michael Sommer selbst betont. Gleichzeitig aber bieten diese medialen Aufbereitungen viele Chancen zur intensiven und reflektierten Beschäftigung mit selbigen Texten. 2. Grundsätzlich ist eine Sensibilität für die Differenz zwischen Text und medialer Interpretation anzumahnen: Filme reproduzieren nicht einfach Texte, sie interpretieren sie. Insofern muss diese Sensibilität Ausgangs- und Zielpunkt jeden Einsatzes dieser und ähnlicher Medien sein. Aus‐ gangspunkt ist sie dabei insofern, als die Sensibilität das hermeneutische Fundament für den Einsatz bildet; und Zielpunkt deswegen, weil so bei Studierenden das Bewusstsein für diese Differenzen geschärft werden kann. Davon können sie auch in der späteren Berufspraxis profitieren, da Bibelrezeption ein wichtiges Betätigungsfeld darstellt. 3. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt kann jedoch sein, dass die biblischen Texte und v. a. ihre Inhalte durch die audiovisuelle Ansteuerung verschiedener Rezeptionskanäle wahrscheinlich nachhaltiger wirkt, als dies eine rein lesende Rezeption bewirken kann. 1 Ähnliches gilt für die sehr ‚modern‘ gestalteten Sprachformen der Filme, die aber - wie schon ange‐ deutet - bei den Rezipierenden womöglich auch Befremdung hervorrufen kann. 4. Angesichts dieser Aspekte sollte ein Einsatz der Filme immer wohl durch‐ dacht und gut geplant sein - und nicht nur ein ‚Gimmick‘. Vielmehr sollte nach einer vorlaufenden Rezeption behutsam abgewogen werden, wie DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go 103 2 Vgl. beispielsweise Utzschneider/ Nitsche, Arbeitsbuch, 334 f. und 340. genau sich die filmischen Präsentationen zu den didaktischen Zielen der Veranstaltung fügen. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Filme primär unterhalten wollen, was in einem gewissen und eigentüm‐ lichen Kontrast zur existenziellen Tiefe der biblischen Texte steht bzw. zumindest stehen kann. 3.2 Verwendung innerhalb eines Vorlesungskontextes Im Kontext von eher monologisch ausgerichteten Veranstaltungen wie Vor‐ lesungen dürfte insbesondere der erwähnte durchaus vorhandene und ggf. auch gewinnbringend einzusetzende Unterhaltungswert der Filme zum Tragen kommen. Eine Vorführung kann zwar referierend durch die dozierende Person kommentiert werden. Gleichzeitig dürfte dies im Lerneffekt bei den Studie‐ renden nicht die gleiche Tiefe erreichen, die eine stärker eigenständige Ausein‐ andersetzung mit Film und Text haben kann. Entsprechend kann hier die Gefahr entstehen, dass das Medium durch seine eindrücklichere Prägnanz eine etwaige vorlaufende oder nachfolgende Kommentierung überlagert oder gar verdrängt. Insofern wären wir gegenüber einer Verwendung in solchen Kontexten eher zurückhaltend. 3.3 Verwendung in Seminar-Kontexten Ganz anders stellt sich dies u. E. in Veranstaltungen dar, die einen semina‐ ristischen Charakter haben. Hier bieten sich in verschiedener Weise große Chancen für den Einsatz der Filme. Die nächstliegenden sind dabei vermut‐ lich: exegetische Proseminare und zwar insbesondere dann, wenn dezidiert die Rezeptionsgeschichte thematisiert wird. 2 Aspekte wie Ähnlichkeiten bzw. Differenzen in Erzählperspektive und -weise können dabei ebenso thematisiert werden wie die inhaltliche Auswahl bzw. die theologischen Deutungen und Schwerpunktsetzungen. Auch ein Vergleich mit modernen Bibelübersetzungen in einfachem bzw. Jugend-Deutsch könnte produktiv in Veranstaltungen einge‐ setzt werden. Ähnliches gilt natürlich neben Proseminaren für andere seminaristische Veranstaltungen wie Hauptseminare oder Übungen, in welchen auf entspre‐ chende Aspekte fokussiert wird. Dies kann beispielsweise in interdisziplinären Veranstaltungen der Fall sein. Gemeinsam mit der Religionspädagogik, der übrigen Praktischen Theologie oder anderen Fächern (womöglich sogar jenseits DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 104 Helge Bezold / Matthias Hopf 3 Ob man dies alleine auf die Besprechung bezieht oder auch auf die Rezeption der Filme, hängt letztlich von der Infrastruktur an. Ein gleichzeitiges Abspielen mehrere Filme, könnte sich schwierig darstellen je nach Raum- und Gruppensituation. Der Vorteil läge natürlich darin, dass dann arbeitsteilig mehrere Filme bearbeitet werden können. der theologischen Disziplinen) kann der Blick auf filmische (und andere) Interpretationen der Bibel gerichtet werden - hier bietet sich der Youtube-Kanal in besonderer Weise an. Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil dieser und ähnliche Kanäle unter Umständen auch für eine spätere Berufspraxis in Schule und/ oder Gemeinde von Interesse sein können. Gerade für solche Fälle ist eine vorlaufende Reflexion derselben bereits im Studium umso wichtiger und hilfreicher. In solchen Kontexten bietet sich zudem ggf. eine Auslagerung der Arbeit vom Plenum in Paarbzw. Gruppenarbeiten an. 3 In solchen Arbeitseinheiten dürfte die eigene Auseinandersetzung der Studierenden mit dem interpretierenden Medium Film noch stärker und nachhaltiger ausfallen. Allerdings empfiehlt es sich dann, klare Arbeitsanweisungen in diese Gruppenarbeiten zu geben, um den dortigen Diskussionen die nötige Tiefe und Reflexionsstufe zu geben. Etwas weniger umfangreich, aber nicht weniger gewinnbringend kann der Einsatz der Filme zum Einstieg in ein Seminar insgesamt bzw. in einen bestimmten Textund/ oder Themenbereich sein. Hier dürften die Filme moti‐ vierend wirken und Interesse wecken. Gleichzeitig bietet sich dann natürlich auch an, die Filme am Ende des Seminars bzw. des Themenbereichs noch einmal aufzugreifen, um nach der intensiven gemeinsamen Arbeit nochmals neu auf die Interpretation zu blicken und zu prüfen, was sich ggf. in der Beurteilung verändert hat. Eine weitere Möglichkeit in dieser Hinsicht ist natürlich die Bibelkunde, wobei es Gründe hat, warum wir diese nicht zu Beginn benannt haben. Für diese Veranstaltungen dürfte der Aspekt der nachhaltigeren Einprägung der Inhalte durch die Filme sicher am interessantesten sein. Gerade hier besteht jedoch die Gefahr, Filme und Texte zu sehr gleichzusetzen und zu übersehen, dass eine Diskrepanz zwischen Text und Interpretation liegt - auch weil der Einsatz im Veranstaltungskontext ‚Bibelkunde‘ diese Gleichsetzung suggerieren könnte. Insofern ist insbesondere in dieser Art Veranstaltungen dezidiert eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit den Interpretationen vonnöten. Dann jedoch stellt sich die Frage, ob in den ohnehin immer sehr gedrängten Veran‐ staltungen Zeitaufwand und Ertrag noch in einem sinnvollen Verhältnis stehen - was nahezu in jedem Veranstaltungstyp ein Grundproblem beim Einsatz von audiovisuellen Mitteln darstellt. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go 105 4 Vgl. dazu schon Heilmann, E-Learning. 5 Vgl. nicht zuletzt die Beiträge von Michael Hölscher und Daniel Schmitz in diesem Heft. Weitet man aber den Blick ein wenig jenseits des Standardspektrums von Veranstaltungen, finden sich noch verschiedene weitere Einsatzmöglichkeiten. Gerade im Kontext der breitenwirksamen Wissenschaftskommunikation sind vielfältige Formen der Verwendung vorstellbar: als Anschauungsbeispiel in der Erwachsenenbildung für die schon mehrfach betonte Sensibilisierung für die Differenz von Text und Interpretation; aber auch in biblischen Angeboten für Kinderuniversitäten liegt ein Einsatz sehr nahe. Viele weitere Ideen ließen sich hier anführen. Es sei aber noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen: Neben der reinen Sachebene kann bisweilen auch die Beziehungsebene für Veranstaltungen eine Rolle spielen. In vielen Fakultäten und Instituten existieren beispielsweise Tra‐ ditionen wie die ‚Faschingsvorlesung‘, die ‚Nikolausvorlesung‘ oder dergleichen mehr. Gerade in diesen Kontexten können solche filmische Umsetzungen zur Auflockerung bestens eingesetzt werden - und dabei ggf. in leicht ironischer Brechung sogar mit dem didaktischen Impetus hinsichtlich der Sensibilität verbunden werden, sodass eine vermeintliche ‚Ulkveranstaltung‘ doch zu mehr wird als nur Jux und Dollerei. 3.4 Verwendung im Selbststudium Ganz ähnlich wie im seminaristischen Kontext kann auch für die Einzel- oder Gruppenarbeit zwischen den Seminarsitzungen verfahren werden. Hier bieten sich ebenfalls große Chancen, nicht zuletzt weil so der Faktor Zeit weniger ins Gewicht fällt. Doch sollte in solchen Fällen vielleicht sogar noch größere Sorgfalt auf eine gut formulierte Arbeitsanweisung verwendet werden. Im Idealfall könnten dann jedoch sogar einzelne Detailbeobachtungsaufträge mit‐ gegeben werden. Ein zusätzlicher Vorteil könnte sein, dass daraus resultierende Ergebnisse in schriftlicher Form als Leistungsnachweis für die administrative Seite der Veranstaltung gewertet werden können. Wichtig erscheint uns nur, dass sich der Einsatz nicht auf diese Heimarbeit beschränkt, sondern in ein reflektierendes Plenumsgespräch mündet. Denkbar wäre dabei auch, diese Arbeit noch mit anderen IT-basierten Elementen zu kombinieren - etwa dass ein kommentierend-reflektierendes Wiki zu den Filmen entsteht 4 oder evtl. sogar eine Überführung in eine Art Kommentar-Podcast zu den Filmen. 5 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 106 Helge Bezold / Matthias Hopf 4 Zusammenfassung Trotz kritischer Untertöne sollte deutlich geworden sein, dass wir den You‐ tube-Kanal von Michael Sommer als eine Bereicherung für die anschlussfähige Vermittlung biblischer Texte im Allgemeinen und für die exegetische Hoch‐ schullehre ansehen. Nur muss der Einsatz reflektiert und abgewogen erfolgen und dabei immer der Prämisse folgen, dass sämtliche dieser Medien immer Interpretation der biblischen Texte darstellen. Literatur Gerstenmaier, Jochen/ Mandl, Heinz: Wissenserwerb unter konstruktivistischer Perspek‐ tive, Zeitschrift für Pädagogik 41 (1995,6), 867-888, doi.org/ 10.25656/ 01: 10534. Heilmann, Jan: E-Learning und forschendes Lernen mit Wikis in der Lehre der Bibelwis‐ senschaften. Ein Weg zur Entwicklung guter Bibelauslegung im Studium? , Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an 1 (2016/ 1), 77-100. Utzschneider, Helmut/ Nitsche, Stefan Ark: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibel‐ auslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 4 2014. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0009 Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go 107 Rezensionen Viola Falkenberg: Wissenschaftskommunikation rezensiert von Daniel C. Maier (orcid.org/ 0000-0002-1185-076X) Bibliographische Details: Falkenberg, Viola: Wissenschaftskommunika‐ tion: Vom Hörsaal ins Rampenlicht. Mit Übungen und Checklisten (UTB 5670), Tübingen 2021, 200 S., ISBN 978-3-825-25670-8, doi.org/ 10.36198/ 9783838556703. In diesem für die Praxis konzipierten Buch stellt Viola Falkenberg anschaulich die zentralen Elemente der Wissenschaftskommunikation im 21. Jahrhundert heraus. Es behandelt also eine Thematik, welche - wie die Einleitung anschau‐ lich vor Augen führt - von herausragender Bedeutung für die Zukunft der Universitäten ist. Während allerdings von allen Seiten eine verstärkte Kom‐ munikation der Forschungsergebnisse gefordert wird, nicht zuletzt, weil die universitäre Forschung immer noch zu großen Teilen mit öffentlichen Geldern finanziert wird, sehen sich Wissenschaftler: innen, die sich diesem Unterfangen annehmen, immer wieder kritischen Rückfragen ausgesetzt, wie die Autorin hervorragend herausarbeitet. Der Titel ihrer Einleitung lautet folglich treffend „Wissenschaftskommunikation als Herausforderung“. Dabei ist die Autorin für ein solches Buchprojekt prädestiniert. Als ausgebil‐ dete Journalistin mit reichhaltiger Erfahrung in Themen rund um Öffentlich‐ keits- und Pressearbeit sowie der Vermittlung jener Kompetenzen in der Lehre, kann sie aus dieser reichhaltigen Erfahrung schöpfen. Es gelingt ihr, auf Grund‐ lage empirischer Erkenntnisse zu den Bedürfnissen der (vornehmlich deutsch‐ sprachigen) Öffentlichkeit nach zugänglichen Ergebnissen der Forschung von Anfang an die Relevanz des in ihrem Buch verhandelten Themas pointiert hervorzuheben. Dabei wird der bereits erwähnte Praxisbezug von Anfang an durch Check‐ listen und klare Gliederungspunkte ersichtlich. Sowohl im Ausblick der Einlei‐ tung als auch im ersten Kapitel mit dem treffenden Titel „Bühne vorbereiten“ erwartet die Rezipierenden eine klare Aufstellung von möglichen Vorgehens‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-00010 weisen, die mit zugänglichen Akronymen wie „SMART“ (die Ziele und Stra‐ tegie der eigenen Forschungskommunikation sollten idealerweise spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein; vgl. S. 15) leicht memoriert werden können. Ferner werden Beispiele vorgelegt, wie diese Ziele anschlie‐ ßend aussehen könnten. So lernen die Lesenden über bereits erfolgte Konzept‐ arbeiten der Universität Hamburg, die nach ihrer SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats) gezielte Schritte hin zur Verbesserung der Professionalität der Leitungsstrukturen auf Fakultätsebene und zum ver‐ stärkten Nutzen des guten Images der Universität ergriffen hat, und erleben anschaulich das konkrete individuelle Vorgehen anhand der (vermutlich fik‐ tiven) jungen Forscherin Julia Schmidt, die ebenfalls klare Kommunikationsziele festlegt, um ihre Studierenden besser zu erreichen und ihre Karrierechancen zu verbessern. Dabei offeriert das Buch gerade zu der Zielgruppe der Studierenden enorm hilfreiche Daten zur Mediennutzung von jungen Menschen. Allerdings stellt die Autorin selbst fest, dass auch große Sendeanstalten „ihre Angebote laufend an die wechselnden Wünsche und Bedürfnisse ihrer Zielgruppe an‐ passen“ (S. 23) müssen. Da einige der im Buch abgedruckten Zahlen mittlerweile schon wieder drei bis fünf Jahre alt sind (z. B. nur 5,5 Millionen TikTok Nutzer: innen im Jahr 2020), muss die Recherche und anschließende Bewertung aufgrund der Schnelllebigkeit der digitalen Mediennutzung noch einmal von den Rezipierenden selbst erfolgen. Dies kann man der Autorin aber mitnichten zu Lasten legen. Somit bildet die prägnante Medienanalyse ein Fundament für das Verständnis, wie welche Zielgruppe erreicht werden kann und bietet einen formidablen Ausgangspunkt für eigene Untersuchungen im spezifischen fachlichen und demographischen Kontext. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel auch praktische Erwägungen wie die richtige Verwendung von Bild und Ton für die Wissenschaftskommunikation beleuchtet. Schließlich wird die im Wissenschaftsbetrieb virulente Frage geklärt, wie die notwendigen Rechte für Bild und Ton in öffentlichen Kontexten zu organisieren sind. Sind die Vorarbeiten für den geplanten Schritt ins Rampenlicht erledigt, widmet sich das zweite Kapitel der Gewinnung einer Leserschaft für geschrie‐ bene Texte. Mittels verschiedener Methoden - v. a. auch im Digitalen Raum mit Sozialen Medien, akademischen Netzwerken, Wikis oder Blogs - werden hier Vorschläge dargeboten, wie die eigenen Ergebnisse nach einer in Kapitel 2.1 (mit dem Titel „Schreiben für andere“) skizzierten Überarbeitung einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden können. Auch im zweiten Kapitel des Buches fällt erneut die Praxisorientierung positiv auf, insofern konkret Hil‐ festellungen genannt werden, wie sich eine wissenschaftliche Veröffentlichung - unabhängig von der akademischen Disziplin - vereinfachen und verbreiten DOI 10.24053/ VvAa-2023-00010 112 Daniel C. Maier lässt. Dementsprechend schließt das Kapitel auch mit einem Leitfaden, wo ein wissenschaftliches Buch für die breite Öffentlichkeit am besten publiziert und wie es durch Marketing und der Teilnahme an Wettbewerben (wieder mit konkreten Beispielen) beworben werden kann. Nach der Kommunikation von Inhalten in geschriebener Form widmet sich das dritte Kapitel der audiovisuellen Vermittlung von Wissenschaft. Neben hilfreichen und empirisch fundierten Hinweisen zum Halten von Vorträgen, von denen Dozierende nicht nur im Rampenlicht, sondern auch im Hörsaal profitieren können, und in welchem Rahmen sich diese am besten präsentieren sowie anschließend evaluieren lassen, werden mit Podcasts und Videobeiträgen modernere Methoden der Wissensvermittlung über das Internet vorgestellt. Dabei werden kontinuierlich ‚Best Practice‘ Beispiele gegeben, sodass das beschriebene Vorgehen auch am Anschauungsobjekt beobachtet werden kann. Diese Beispiele machen v. a. die audiovisuelle Kommunikation von Wissenschaft anschaulich und ermöglichen die eingehendere Beschäftigung mit exzellenten Beispielen der Wissenschaftskommunikation. Somit gelingt es dem geschrie‐ benen Buch, auch dieses Mittel des Dialogs zwischen Wissenschaft und Öffent‐ lichkeit auf hohem Niveau und dennoch praxisnah zu vermitteln. Das vierte und fünfte Kapitel widmen sich dem Kontakt mit Journalist: innen sowie dem Training der eigenen Wissenschaftskommunikation. Dabei soll im vierten Kapitel das souveräne journalistische Schreiben sowie die Identifizie‐ rung des korrekten Mediums überdacht und der richtige Umgang mit Pressege‐ sprächen und möglichen Krisen eruiert werden. Das fünfte Kapitel hingegen, bietet eine Materialsammlung von Förderungsorganen, Wettbewerben und den bereits in den vorangegangenen Kapiteln passend eingebauten Checklisten. Dabei enttäuscht dieses Kapitel etwas, da v. a. die Wettbewerbe in einer langen Liste ohne fachliche Differenzierung dargeboten werden. Die konkreten Beispiele aus der Praxis und die Gewinner der vergangenen Jahre wirken in dieser Fülle eher ermüdend. So hilfreich diese Sammlung zweifelsohne ist, wäre der Verweis auf ein Onlinetool, in dem die Preise gesammelt und aktualisiert werden könnten, wünschenswert gewesen, auch wenn man diese Zusatzfunktion höchstens anregen und keineswegs einfordern kann. Das Buch schließt mit Übungen mit Lösungsvorschlägen, bei denen das im Verlauf der Lektüre angeeignete Wissen nun in die Praxis umgesetzt werden darf. Auch wenn das Format am Ende eines Buches, welches ganz klar an Forscher: innen adressiert ist, eher ungewohnt daherkommt, so passt es doch hervorragend zu dem Lehrbuchcharakter und bleibt damit auch der ‚Hands On‘-Philosophie, welche sich durch das ganze Werk zieht, treu. Somit können DOI 10.24053/ VvAa-2023-00010 Viola Falkenberg: Wissenschaftskommunikation 113 die Übungen enorm gewinnbringend sein, sofern man sich hierauf einlassen mag. Allgemein hält Falkenberg in ihrem Lehrbuch etwas für jede und jeden bereit: dem Kommunikationsbeauftragten der Universität oder Fakultät, der sich um die Außenwirkung seiner Institution bemüht; der Dekanin, die errei‐ chen will, dass die Studierendenzahlen nach dem durch die Pandemie verur‐ sachten Einbruch nun endlich wieder steigen; dem etablierten Professor, der seine mühsam über Jahrzehnte aufgebaute Expertise nun an eine breitere Öffentlichkeit außerhalb des Hörsaales bringen möchte; oder eben der jungen Doktorandin, die eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt und sich hierfür mit der so wichtigen und professionell organisierten Öffentlichkeitsarbeit von Anfang an ein ‚Alleinstellungsmerkmal‘ aufbauen möchte. Diese enorme Breite der Adressat: innen birgt allerdings auch Risiken: Denn gerade bei jungen Forschenden ist neben Lehre, der eigenen Forschung, Drittmitteleinwerbung, Administration und der Orientierung in der akademischen Welt die Zeit für Öffentlichkeitsarbeit stark begrenzt. Während also eine Forschungsgruppe oder ein PR-Department problemlos die hervorragenden dargebotenen Mittel zu großen Teilen ausschöpfen kann, müssen Individuen bei der Fülle an Möglich‐ keiten, welche Falkenberg präsentiert, umsichtig abwägen, was ihnen wichtig ist und wo das Kosten-Nutzen Verhältnis nicht stimmt. Eine enorme Breite fällt auch hinsichtlich des Einbezuges der Fachdisziplinen auf. Der Autorin gelingt es, elegant Zugänge zu formulieren, die sowohl für geistesals auch sozial- oder naturwissenschaftliche Themen funktionieren. Nie hat man das Gefühl, dass das Buch in erster Linie für die eine oder andere Disziplin geschrieben ist. Die Beispiele aus den Disziplinen wechseln sich stets in einem guten Ausmaß ab. Dies ist der Autorin hoch anzurechnen und macht das Buch auch für Theolog: innen bzw. Bibelwissenschaftler: innen zu einer gewinnbringenden Lektüre. Somit liefert das Buch auf übersichtlichem Raum ein wahres Kompendium an Möglichkeiten, die eigene Forschung aus dem Elfenbeinturm der Akademie herauszuholen und sie für eine breite Öffentlichkeit interessant und zugänglich zu machen. In einer Welt, in der sich die universitäre Forschung und im Besonderen die Geisteswissenschaften zunehmend für ihre Existenz und ihre Finanzierung durch die Gesellschaft rechtfertigen müssen, ist dieses Buch und das in ihm behandelte Thema von zentraler Bedeutung und sollte von jeder Person, die sich für den Dialog zwischen Universität und Öffentlichkeit interessiert, aufmerksam gelesen werden. Nur so können auch zukünftige Generationen in einer Zeit, welche durch eine immer unüberschaubarere Fülle von Angeboten für den individuellen Lebensweg gekennzeichnet ist, für das DOI 10.24053/ VvAa-2023-00010 114 Daniel C. Maier Studium der eigenen Disziplin begeistert werden, was wiederum die nachhaltige Zukunft der vielfältigen faszinierenden Fachbereiche sichert. DOI 10.24053/ VvAa-2023-00010 Viola Falkenberg: Wissenschaftskommunikation 115 1 Vgl. hierzu https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1053973/ umfrage/ nutzung-vo n-podcasts-nach-orten-in-deutschland/ . Florian Oepping/ Katharina Ellinghaus: Podcast Exegese rezensiert von Daniel Schmitz (orcid.org/ 0000-0002-7194-1698) Der Podcast Exegese wurde Anfang Oktober 2023 veröffentlicht. Er ist an der Universität Osnabrück im dortigen DigiLab unter Zusammenarbeit des Proseminarleiters Florian Oepping sowie der Tutorin für Exegese Katharina Ellinghaus entstanden und sowohl als Zusatzangebot - ein „Lernpodcast“ so Oepping in Folge 1 - für diese beiden Kursangebote als auch für weitere Interessierte konzipiert. Wie ist die Qualität der entstandenen acht Folgen zu bewerten? Überzeugen seine didaktische Komposition sowie die verwendeten Methoden? Gelingt der Spagat, sowohl interessierte Lai: innen als auch Teilnehmende exegetischer Proseminare zu adressieren? Diese Fragen werden im Folgenden beantwortet. 1 Zum Podcast Der Autor dieser Rezension hat den Podcast an den Orten getestet, an denen er wohl primär zur Anwendung kommen wird: Zuhause sowie auf einer langen Zugfahrt, in einer vollen Bahn, mit einer Signalstörung. 1 Der Podcast ist auf allen gängigen Streamingportalen verfügbar, wodurch eine gute Erreichbarkeit der Inhalte gegeben ist und das Herunterladen von Folgen für den Offline-Gebrauch ermöglicht wird. Gehört wurde er über das Streamingportal Spotify mit On-Ear-Kopfhörern. Die einzelnen Folgen sind auf den Plattformen mit kurzen Teasertexten versehen, die zumeist durch das Andeuten einer vor dem Hören rätselhaften Metapher, die im Verlauf der Folge aufgegriffen wird, zum Zuhören einladen und tiefergehende Literaturtipps, speziell von exegetischen Methodenbüchern bieten. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0011 Die Tonqualität der Folgen ist größtenteils gut; gestört wird der Eindruck durch knackende Explosivlaute bei von Florian Oepping gesprochenen harten Labialen und Dentalen. Es scheint, dass der genutzte Popschutz unzureichend für eine höhere Tonqualität ist. Das Podcastduo Oepping/ Ellinghaus harmoniert gut miteinander und es entwickeln sich Austausche, bei denen der/ die Zuhörer: in leicht folgen kann und eine angenehme Gastrolle einnimmt, die durch vereinzelte Ansprachen an diese dritte zuhörende Person verstärkt wird. Hört man mehrere Folgen hintereinander, so grenzen sich diese nur durch die Abfolge von Verabschiedung und Begrüßung voneinander ab. Hier hätte ein eingängiger Jingle für eine deutlichere Grenze sowie einen höheren Wiederer‐ kennungswert sorgen können. 2 Zu Didaktik und Methode Im Dialog tauschen Florian Oepping und Katharina Ellinghaus ihre jeweiligen persönlichen Erfahrungen mit exegetischem Arbeiten aus und teilen ihre Pro‐ bleme sowie Verständnisfragen bei den einzelnen Methodenschritten mitein‐ ander und mit den Zuhörer: innen. Außerdem liefern sie zu jeder Methode alltagsnahe Beispiele aus Kunst, Film, Architektur und Popkultur. Katharina Ellinghaus bringt immer wieder die Perspektive der Studierenden sowie ihre Sicht als Tutorin ins Gespräch, wodurch - sowie durch Florian Oeppings Antworten - didaktische Reduktion und Binnendifferenzierung im virtuellen, anonymen und nicht einsehbaren ‚Seminarraum der Podcasthör‐ enden‘ angewendet werden. Gleichsam gibt es keine podcastinterne Hierarchie, da auch Oepping die Rolle eines fragenden und an den Methoden zweifelnden Exegeten einnimmt und Ellinghaus ebenso oft die ‚interne Expert: innenrolle‘ übernimmt, welche den aktiven Part der Wissensübermittlung annimmt. Die Erklärungen, die beide Podcaster: innen liefern, können als größtenteils nieder‐ schwellig klassifiziert werden, ohne dass erfahrenere Exeget: innen das Gefühl rein repetitiver Inhalte vermittelt bekommen. In jeder Folge wird zu Beginn in die Methode, die Thema ist, eingeleitet; zum Schluss der Folge wird diese dann in Kürze zusammengefasst. Flankiert wird der Podcast an der Universität Osnabrück durch die als Blockseminar konzipierte Kombination aus Proseminar und Tutorium. Inwieweit der Podcast aber auch über den Bereich der Mauern, zwischen denen er entstanden ist, anwendbar und relevant ist, soll im Folgenden beantwortet werden. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0011 118 Daniel Schmitz 3 Der Podcast als Third-Mission-Medium Durch das Bespielen aller gängigen Plattformen für Podcasts, seien es Bezahl‐ dienste oder frei zugängliche, ist der Podcast nicht nur für Teilnehmende der lokalen Proseminarangebote, sondern auch für Theologiestudierende weiterer deutschsprachiger Hochschulen sowie interessierte Lai: innen verfügbar. Eine statistische Auswertung, welche dieser Gruppierungen die Angebote in welcher Anzahl wahrgenommen haben, wäre wünschenswert, ist aber aufgrund von Unternehmensstrukturen sowie der variierenden Definition von Click-Zählern und der Anonymität von Zuhörer: innen nicht eindeutig durchführbar. Inhaltlich sprechen beide zwar in ihrer Einführung Interessierte als Adressat: innen des Podcasts an und auch in den weiteren Folgen erfolgt bei der Ansprache an Hörer: innen meist die Differenzierung in Studierende und Interessierte, der Podcast bleibt aber dennoch weit mehr ein Lernangebot für Studierende als dass er ein funktionierendes Third-Mission-Medium ist. Das manifestiert sich exemplarisch in der einführenden ersten Episode, die den Fokus der weiteren Episoden vorgibt: Während die Frage, was Exegese ist, für Lai: innen verständlich erklärt wird, wird der Zweck von Exegese mehr oder minder vorausgesetzt. Es erschließt sich der zuhörenden Gruppe der interessierten Personen daher nicht, wieso sie überhaupt exegetisch tätig werden sollten und wo der Gewinn der nun folgenden Arbeitsschritte liegt. Als Zusatzangebot für Studierende ist diese Zweckfrage per se beantwortet und auch die vermehrten Studienbezüge, wie die Thematik der Sprachen als Zugangsvor‐ aussetzung mancher, aber nicht aller Studiengänge des Lehramtstudiums, zeigen demnach ein Ungleichgewicht in der Berücksichtigung der als Adressat: innen‐ gruppen proklamierten Studierenden und interessierten Personen. Dieses Ungleichgewicht wird auch durch die gut gewählten, alltagsnahen Beispiele, die in jeder Folge präsentiert werden, sowie durch den insgesamt niedrigschwelligen Ansatz in der Erklärung jeder Methode nicht aufgewogen. Speziell beim Medium Podcast besteht die Gefahr, dass interessierte Personen wegen der nicht beantworteten Frage nach dem Zweck das Interesse am Zuhören schnell verlieren. Kurzum: Was bietet der Podcast Exegese? In einer lockeren Gesprächstatmosphäre werden Studierende in die Methoden alttestamentlicher Exegese eingeführt. Dabei weckt der Podcast durch alltags‐ nahe Beispiele nicht nur Interesse, sondern sorgt sicherlich auch für den ein oder anderen Aha-Effekt. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0011 Florian Oepping/ Katharina Ellinghaus: Podcast Exegese 119 Was fehlt dem Podcast Exegese? Will der Podcast auch für Lai: innen interessant sein, so muss die Frage nach dem Zweck der exegetischen Methodenschritte auch für Exeget: innen außerhalb des Proseminars beantwortet werden. Das könnte gelingen, indem Inhalte aus der letzten Folge in die erste Folge verlagert werden, da den interessierten Personen so das Ziel direkt vor Augen geführt wird. Für beide Adressat: innen-Gruppen böte sich zudem eine exemplarische Durchführung der jeweiligen Methode an einem Bibeltext an. Literatur https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1053973/ umfrage/ nutzung-von-podcastsnach-orten-in-deutschland/ . Letzter Zugriff: 26.07.2024. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0011 120 Daniel Schmitz Interview Interview mit … Konrad Schmid Steckbrief Konrad Schmid (orcid.org/ 0000-0002-8968-2604) Geboren: 1965 Werdegang: Promotion (1996) und Habilitation (1998) an der Universität Zürich, 1999-2002 Professor für Alttestament‐ liche Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidel‐ berg, seit 2002 Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich. Gastforscher und -dozent an vielen internationalen Einrichtungen, darunter die Hebräische Universität Jerusalem und das Princeton Theological Seminary. Forschungsinteressen: Literatur- und Theologiegeschichte der Hebräischen Bibel, Rechtsgeschichte Privates: verheiratet, zwei erwachsene Kinder Vorneweg - Blitzlicht • Lehre - Frust oder Lust? Es gibt wahrscheinlich wenige akademische Tätigkeiten, die sich ohne Rest auf Frust oder Lust aufteilen lassen. Das gilt für die Forschung wie für die Lehre. Forschung kann frustrierend sein, wenn man etwa an einem be‐ stimmten Punkt stecken bleibt, wenn sich zeigt, dass eine Forschungsfrage nicht produktiv oder zu komplex ist oder sogar, wie man vielleicht nach dem Studium der einschlägigen Literatur bemerken wird, bereits beantwortet worden ist. Lehre kann eine große Lust sein, wenn in einem Seminar- oder Vorlesungsraum die Atmosphäre kreativen Denkens und Entdeckens entsteht, doch hat eine akademische Lehrkraft dies nicht immer in der Hand. Insofern ist die Lehre beglückend, wenn der Funke zwischen Lehrenden und Studierenden überspringt, doch dazu braucht es neben intensiver Vorbereitung auch ein gewisses Momentum. • Lehre oder Forschung? Es gibt den wichtigen Unterschied zwischen passiver und aktiver Beherr‐ schung eines wissenschaftlichen Gegenstandes. Was bedeutet das? Wenn DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 ich der Meinung bin, etwas in meinem Fachgebiet erforscht zu haben, beherrsche ich diesen Gegenstand meist nur passiv. Bringe ich dieses Thema dann in die Lehre ein, merke ich oft, dass die aktive Vermittlung dieser Erkenntnis noch einmal einen eigenen Arbeitsgang erfordert, den ich durchaus auch als Forschung charakterisieren würde. Insofern gehören Lehre und Forschung zusammen: Die Forschung ist die Grundlage akademi‐ scher Lehre, aber die Lehre hat selbst auch einen Forschungsaspekt, indem sie passive Erkenntnis zu aktiver weiter entwickelt. • Lieber Erstsemester oder lieber fortgeschrittene Master-Studierende? Da wir keinen starren Stundenplan in unserer Studienorganisation haben, sind in den meisten meiner Lehrveranstaltungen sowohl Anfänger: innen und Fortgeschrittene. Zudem stammen die Studierenden oft auch aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Ich bemühe mich, sowohl elementar verständlich zu bleiben, als auch komplexere neue Erkenntnisse zu vermit‐ teln. Insofern habe ich in dieser Frage keine Präferenz. • Neues oder Bewährtes? Neben neuen Themen, die mich selbst interessieren, biete ich gerne auch Vorlesungen und Seminare an, die ich schon einmal gehalten habe. Dabei bin ich jeweils überrascht, dass keine Neuausgabe der Vorgängerversion ähnelt, denn jede Durchführung bringt jeweils neue Erkenntnisse mit sich, die mir den mir als bekannt erscheinenden Gegenstand in ungewohnter Weise neu erschließen. Entsprechend gestalte ich dann meinen Lehrplan um. Auch Bewährtes bringt also Neues, wie man übrigens auch in der vermeintlichen Präsentation von Neuem im Bewährten stecken bleiben kann. • Referate oder Gruppenarbeit? Weder noch. Referate nützen aus meiner Sicht im Wesentlichen einer Person, nämlich derjenigen, die referiert. Gruppenarbeiten können sinnvoll sein, aber da ich sie selbst als Student nicht gerne mochte, verzichte ich darauf in der Regel in meiner Lehre. Was ich für sehr sinnvoll halte, sind kurze Inputs von ca. 3-5 Minuten durch Studierende. Dadurch beteiligen sich viele Teilnehmende aktiv an einem Seminar und kommen mit einem bestimmten Vorwissen in die Sitzung, was den Diskussionen sehr zugute kommt. Herr Schmid, welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Vielleicht am ehesten schlechte Vorträge: Ich habe einige solche gehört und mir jeweils gesagt, dass ich dieses Erlebnis meinen Hörerinnen und Hörern nicht bescheren will (auch wenn ich natürlich nicht sicher bin, dass mir das mitunter nicht auch passiert ist). Umgekehrt haben mir aber auch gelungene DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 124 Interview mit … Konrad Schmid Präsentationen (anderer und meiner selbst) geholfen, meine eigene Lehre zu verbessern. Was ist das Grundparadigma Ihrer Lehre; also würden Sie sagen, dass es bei Ihnen eine Grundüberzeugung gibt, die sich durchzieht? Eine Universität ist eine Institution von Erwachsenen für Erwachsene. Meine universitäre Lehre unterscheidet sich nicht grundsätzlich von Weiterbildungen für Pfarrpersonen oder anderen erwachsenenbildnerischen Tätigkeiten, die ich anbiete. Für falsch halte ich das Konzept, dass am Anfang einer Seminarsitzung die Lehrperson etwas weiß und am Ende sollen die Studierenden dies auch wissen. Akademische Lehre sollte partizipativ, kreativ und weiterführend sein, nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die Lehrenden. Was die Inhalte betrifft, so halte ich es mit Lessing: Die größte Klarheit war mir schon immer die größte Schönheit. Als Qualitätskontrolle frage ich mich jeweils: Wäre ich gerne in dieser oder jenen Vorlesungs- oder Seminarsitzung dabei gewesen? Was hätte ich dabei gelernt? Welche Bedeutung hat die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Ich bin ein Anhänger des traditionellen Humboldtschen Bildungsideals: Akade‐ mische Bildung soll die gesamte Persönlichkeit der Studierenden und Lehrenden formen. Aus meiner Sicht ist die Aufgliederung dieses Ideals in einzelne, für sich identifizierbare Kompetenzen zwar heuristisch interessant und auch hilfreich, doch in manchen neueren Diskussionen ist der Blick auf das Ganze bisweilen verloren gegangen. Oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen im Gegensatz zur Forschung eher stiefmütterlich behandelt wird. Beschreiben Sie bitte Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Wo sehen Sie Potentiale für Synergieeffekte zwischen diesen beiden Bereichen? Ich bin mir nicht sicher, ob die Hierarchisierung der Forschung zuungunsten der Lehre zutrifft. An meiner Universität wird die Forschung nicht stärker unterstützt oder höher gewertet als die Lehre. Das ist auch durchaus richtig so: Je mehr man in der Forschung publiziert hat, desto eher lässt sich die Wissensvermittlung in der Lehre wertschätzen. Es gibt zahlreiche Forschungs‐ publikationen, die kaum zur Kenntnis genommen werden, während die Lehre Studierende, Doktorierende und Postdocs für ihr Leben prägen kann. Die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift setzt sich mit dem Thema der Wissen‐ schaftskommunikation auseinander, einem Arbeitsbereich, der zunehmend an Wichtigkeit gewinnt. Was sind Ihre Erfahrungen in diesem Bereich und was DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 Interview mit … Konrad Schmid 125 ist Ihrer Ansicht nach zu beachten, damit eine breitenwirksame Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelingen kann? Ich denke, Wissenschaftsvermittlung in die breitere Öffentlichkeit ist eine zentrale Aufgabe der Universität. In der Theologie gilt das besonders, da ihre Fragen nach wie vor ein sehr breites Publikum interessieren. Für mich ist dabei die Wissenschaftskommunikation wie die akademische Lehre nicht eine Einbahnstraße, in der ein bestimmter Gegenstand in die Öffentlichkeit hinein vermittelt wird, sondern diese Vermittlung hat eine Rückwirkung auf die Be‐ stimmung und Bearbeitung des Gegenstandes selbst: Seine Kontextualisierung in der allgemeinen Wissenschaftslandschaft hat, jedenfalls bei mir selbst, jeweils zahlreiche Veränderungen und Verbesserungen in meinen Zugangsweisen zu diesem Gegenstand nach sich gezogen, auf die ich selber bei einem dezidierten Verbleib im akademischen Elfenbeinturm nicht gekommen wäre. Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Es würde mir widerstreben, die Kolleg: innen belehren zu wollen, ich könnte lediglich darauf hinweisen, dass für mich selbst die Befolgung der Goldenen Regel in der Lehre hilfreich war: Würde mich selbst meine eigene Lehre inter‐ essieren? Würde ich gerne hingehen? Wenn ich diese Fragen nicht eindeutig mit Ja beantworten könnte, würde mich dies sehr nachdenklich stimmen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 126 Interview mit … Konrad Schmid Editors Stefan Fischer, Wien Matthias Hopf, Zürich Daniel C. Maier, Kopenhagen Nancy Rahn, Bern In cooperation with Melanie Köhlmoos, Frankfurt am Main In association with Clarissa Breu, Göttingen Johannes Diehl, Frankfurt am Main Jan Heilmann, Dresden Florian Oepping, Osnabrück Reettakaisa Sofia Salo, Münster Thomas Wagner, Wuppertal Editorial Matthias Hopf Theologische Fakultät der Universität Zürich Kirchgasse 9 8001 Zürich Schweiz Notice to Contributors All articles for submissions and review copies should be sent to the editor, Matthias Hopf. There is no obligation to discuss unsolicited books or publish unsolicited manuscripts. Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) is a bilingual, double-blind peer-reviewed journal for methodology and practice in academic didactics of biblical exegesis. VvAa Vol. 8 | Issue I Imprint Conditions The VvAa is published twice a year ( June and December) Single issue: € 45,- (plus postage) Annual subscription (print): € 65,- (plus postage) subscription (print & online): € 79,- (plus postage) subscription (e-only): € 69,- Orders will be accepted by your bookstore or the publisher: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 D-72015 Tübingen Phone: +49 (0) 70 71 / 97 97 0 eMail: info@narr.de Internet: www.narr.de Advertisment Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Phone: +49 (0) 70 71 / 97 97 10 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG ISSN 2366-0597 ISBN 978-3-381-11321-7 The published contributions are protected by copyright. All rights are reserved, especially those of translations into foreign languages. 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Maier, Nancy Rahn In cooperation with: Melanie Köhlmoos Vol. 8 | Issue I Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an Wissenschaftskommunikation Forum Exegese und Hochschuldidaktik: VvAa Verstehen von Anfang an Vol. 8 | Issue I ISBN 978-3-381-11321-7 Editorial Contributions Nancy Rahn Spielerisches mit Tiefgang Eine Roundtable-Diskussion zu Exegese und Wissenschaftskommunikation Helga Kaiser Wissenschaftsjournalismus in der Praxis Am Beispiel des Magazins Welt und Umwelt der Bibel Michael Hölscher Wer nicht lernen will, muss hören Podcasts in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation Matthias Hopf Die Spezifika einer theologisch-exegetischen Wissenschaftskommunikation Einige grundsätzliche und praktische Überlegungen Teaching Examples Peter Wick Präsentation neutestamentlicher Forschung im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen (Klassisches Format) Nils Neumann Bibelwissenschaft mit Schmackes Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Workshop Michael Sommer Ermächtigung zum Spielen Überlegungen zu den didaktischen Zielen der Videoreihe Die Bibel to go Helge Bezold / Matthias Hopf Sommers Weltliteratur: Die Bibel to go Eine exegetisch-hochschuldidaktische Reflexion Reviews Interview with … Konrad Schmid
