ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
1999
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Dronsch Strecker Vogel1 -: · N .. i.. VI - 1 Ln OI r- 'lt .- N : ~~ -M '· 'lt 'lt ... Nz : ii: III c! ! ! Heft 3 • 2. Jahrgang (1999) ZEITSCHRIFT J ,~ NEUES TESTAMENT Das Neue Testament in Universität, Kirche, Schule und Gesellschaft Herausgegeben von Stefan Alkier, Kurt Erlemann, Roman Heiligenthal Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung? Jean Zumstein Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen Wolfgang Kraus Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus. Überlegungen zur neueren Diskussion Bernadette J. Brooten Liebe zwischen Frauen im frühen Christentum Uwe Böhm/ Gerd Buschmann Ein Gleichnis in der Rockmusik- Bruce Springsteen »My father's Hause « und Lk 15, 11-32 War Jesus Apokalyptiker? Klaus Koch versus Folker Siegert Buchreport Herausgeber Stefan Alkier Kurt Erlemann Roman Heiligenthal in Verbindung mit Klaus Berger Peter Busch Axel von Dobbeler Dirk Frickenschmidt Gabriele Hagenow Matthias Klinghardt Günter Röhser Jens Schröter Manuel Vogel Bernd Wander Jürgen Zangenberg Anschrift der Redaktion Universität Koblenz-Landau Fachbereich 6: Philologie Institut für Ev. Theologie Prof. Dr. Roman Heiligenthal Im Fort 7 · D-76829 Landau Manuskripte Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. Anzaigen Jutta Silbereisen, Tel.: 0 70 71/ 9797-31 Bezugsbedingungen Die ZNT erscheint halbjährlich (April und Oktober) Einzelheft: DM 24,- / öS 175,- / sFr 24,zuzügl. Versandkosten Bezugspreis jährlich: DM 48,- / öS 350,- / sFr 46,- Vorzugspreis für Studenten (Immatrikulationsbescheinigung beifügen) jährlich: DM 38,- / öS 277,- / sFr 38,- © 1999 · A. Francke Verlag Tübingen· Basel Alle Rechte vorbehalten ISSN 1435-2249 ISBN 3-7720-9902-5 Umschlagentwurf: Werner Rüb, Bietigheim-Bissingen. Satz: ScreenArt, Wannweil. Druck: Gulde, Tübingen. Bindung: Nädele, Nehren Neues Testament aktuell Zum Thema Kontroverse Hermeneutik und Vermittlung Buchreport Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung? . Jean Zumstein Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen ........ . Wolfgang Kraus Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus. Überlegungen zur neueren Diskussion . Bernadette]. Brooten Liebe zwischen Frauen im frühen Christentum .............. . Kurt Erlemann War Jesus Apokalyptiker? Einleitung zur Kontroverse .. Klaus Koch Jesus apokalyptisch Folker Siegert Die Apokalyptik vor der Wahrheitsfrage - Gedanken eines Lesers zum vorstehenden Artikel von Klaus Koch ............ . Uwe Böhm/ Gerd Buschmann Ein Gleichnis in der Rockmusik - Bruce Springsteen »My father's House« und Lk 15, 11-32. Ein rezeptionsästhetischer Versuch .... Stefan Alkier The Bible and Culture Collective: The Postmodem Bible ....... . A. Francke Verlag Tübingen und Basel · Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Telefon: 0 70 71/ 9797-0 · Fax: 0 70 71 / 7 52 88 Internet: http: / / www.francke.de · E-mail: narr-francke@t-online.de Dem Heft liegen Prospekte der Verlage Katholisches Bibelwerk, Stuttgart und Vandenhoeck & Ruprecht bei. 2 11 20 31 40 41 50 53 63 Mit Freude legen wir Ihnen Heft 3 der »ZNT« vor. Und mit Freude können wir berichten, dass immer mehr Leserinnen und Leser unsere Zeitschrift für sich entdecken. Das ist uns natürlich Ermunterung und Verpflichtung zugleich, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen und zugleich Neues anzubieten. So haben wir für diejenigen unter Ihnen, die sich möglichst aktuell über den Inhalt und die Konzeption der ZNT- Ausgaben informieren möchten, eine Homepage eingerichtet, die Sie über http: / / www.uniwuppertal.de/ FB2/ ev.theol/ znt/ index.html erreichen können. Im Laufe der Zeit werden Sie hier neben den Editorials und überblicken über bisherige und künftige Beiträge der Einzelhefte auch Kurzbesprechungen eingegangener Neuerscheinungen finden, die im gedruckten Heft keinen Platz finden. Die Homepage ersetzt also die gedruckten Ausgaben nicht, ergänzt sie aber im Sinne einer für Sie hilfreichen Informationsquelle. Die vorliegende Ausgabe ist kein Themenheft, hat aber einen Schwerpunkt in der Frage der Gleichnisauslegung. Der Stand der Gleichnisforschung hundert Jahre nach Erscheinen von Adolf Jülichers bahnbrechendem Gleichnisbuch ist Thema von »Neues Testament aktuell«. Auf eine vermeintlich >profane< Anwendung neutestamentlicher Gleichnisse in der gegenwärtigen Musikszene weisen Uwe Böhm und Gerhard Buschmann in ihrem Beitrag zu »Hermeneutik und Vermittlung« hin. Auch die »Kontroverse« hat einen aktuellen Zeitbezug, nicht (nur) wegen der näherrückenden Zeitenwende in unseren Kalendern: Die Frage »War Jesus Apokalyptiker? «, diskutiert von Klaus Koch und Folker Siegert, stellt die gegenwärtige Apokalyptikdebatte in einen histo- 1 risch-theologischen Rahmen. Passend zur Kirchen-Jahreszeit entfaltet Jean Zumstein eine moderne exegetische Herangehensweise zum johanneischen Osterbericht. Zu den zentralen Fragen christlicher Theologie gehört die Deutung des Todes Jesu. Wolfgang Kraus führt in die Diskussion um die Vorstellung des »Sühnetodes« bei Paulus ein. Bernadette Brooten führt mit ihrem Beitrag die Kontroverse des letzten Heftes weiter und untersucht Aussagen über die Frauenliebe im frühen Christentum. Der Buchreport von Stefan Alkier stellt eine provokative Anfrage an die traditionelle historisch-kritische Exegese vor das Buch The Postmodern Bible, das vom Bible and Culture Collective veröffentlicht wurde und eine maßgebliche Rolle in der gegenwärtigen Methodendiskussion US-amerikanischer Exegese spielt. Mit der Wahl der Themen und der Art der Darbietung in diesem Heft entsprechen wir, soweit dies möglich ist, dem Grundanliegen der ZNT, nämlich eine Brücke zwischen wissenschaftlicher Exegese und kirchlich-schulischer Praxis zu schlagen. Dieses Unternehmen fordert von beiden Seiten etwas ab: Von den Autoren, die sich bemühen, profunde Sachkenntnis verständlich darzubieten, und von den Leserinnen und Lesern, sich für die theologische Diskussion und für neue Wege der Textinterpretation zu öffnen. Es ist unsere Hoffnung, dass das beiderseitige Interesse weiter wächst und Früchte bringt. Wir haben daher als Herausgeberteam ein offenes Ohr für kritische Rückmeldungen, Anregungen und Vorschläge für künftige Artikel. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen! Stefan Alkier Kurt Erlemann Roman Heiligenthal ZNT 3 (2.Jg. 1999) Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung? Nicht von ungefähr ist die Betrachtung der synoptischen Gleichnisse seit jeher fester Bestandteil von Perikopenreihen und Unterrichtsplänen. Auch in der Exegese des Neuen Testaments bilden die Gleichnisse und die Frage nach ihrer (Be-) Deutung ein Kernstück. Denn die Gleichnisse gelten aufgrund ihrer Kürze und Geschlossenheit als »Urgestein« der Jesusüberlieferung, von ihrer Auslegung erhofft man sich den Zugang zum historischen Jesus. Die moderne Gleichnisauslegung nahm ihren Anfang mit dem bahnbrechenden Doppelband »Die Gleichnisreden Jesu«, Bde. I/ II, Tübingen 1886/ 1899 (21910) von Adolf Jülicher. 1 Seither hat sich nahezu ein Jahrhundert Forschung an diesem Thema in Auseinandersetzung mit Jülicher abgespielt. Das Jubiläumsjahr 1999 bietet Anlaß, eine kritische Standortbestimmung vorzunehmen und gleichzeitig nach richtungweisenden Trends zu fragen. 2 1. Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher Das Werk Jülichers läßt sich am besten in seiner Frontstellung gegen die bis dato übliche, allegorische Auslegung der Gleichnisse verstehen. »Allegorisch« meint dabei jegliche Form des Verständnisses, das von einem zu erschließenden, gewissermaßen »hinter« dem wörtlichen Verständnis versteckten, Sinn der Gleichnisse ausgeht. 3 Jülichers Arbeit ist dagegen ein Plädoyer für ein direktes, wörtliches Verständnis der Gleichnisse. Dabei wird er vom Bild des einfachen, schlichten Redners Jesus geleitet, dessen Gleichnisse schlechthin nicht mißverständlich sein konnten im Gegensatz zur (mangelhaft) überlieferten und verfälschten Form der schriftlich fixierten Gleichnisse. 4 Seinen methodischen Ansatzpunkt sieht Jülicher in der gattungsmäßigen Unterscheidung von »eigentlicher« und »uneigentlicher« Rede, von »Gleichnissen« mit dem Vergleich als Grundbaustein auf der einen und »Allegorien« mit der Metapher als Grundbaustein auf der anderen Seite. 5 Allegorien gelten als »uneigentliche«, zu entschlüsselnde Rätselreden, deren sich Jesus nicht ZNT 3 (2.Jg. 1999) bedient hat. Anders der Idealtyp der Gleichnisse im Munde Jesu: Sie haben pädagogische und rhetorisch-verdeutlichende Funktion, ihre Markenzeichen sind Präzision und Kürze (»simplex sigillum veri« 6 ). Überschießende, schwer verständliche Elemente stellt er für den historischen Jesus in Abrede. 7 Zwischen »Bildhälfte« und »Sachhälfte« gibt es nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis). Jülicher definiert das Gleichnis als »diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes«. 8 Ein Gedanke, genauer eine religiös-sittliche Wahrheit von dauerhafter Gültigkeit, ist denn auch das »tertium« des Gleichnisses, das es herauszufinden gilt. 9 Ist es herausgefunden, hat das Gleichnis seine Wirkung erreicht. Nach Form und Inhalt sind die Gleichnisse Jesu schlechthin unvergleichlich. »Jesus hat in seinen Parabeln >Meisterwerke volkstümlicher Beredtsamkeit< uns hinterlassen. Als Meister bewährt er sich hier auch im Sinne der Kunst; soweit wir bisher wissen, ist Höheres und Vollendeteres auf diesem Gebiete nicht geleistet worden. Allen Ansprüchen, die sich aus Wesen und Zweck der Parabel ergeben, genügt er aufs beste.« 10 Der religionsgeschichtliche Vergleich kann dies für Jülicher nur bestätigen. Mit der Position Jülichers sind die Grundparameter der Gleichnisforschung seither vorgegeben: Erstens, die Frage nach dem Verhältnis von Gleichnis und Allegorie, zweitens, die Frage nach dem Wesen der Metapher, drittens, die Frage nach der »Auslegbarkeit« der Gleichnisse, viertens, die Frage nach religionsgeschichtlicher Vergleichbarkeit und fünftens, die Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Gleichnisse. 2. Gleichnisse als eschatologische Botschaft Nahezu zeitgleich mit Jülichers »Gleichnisreden« erschien Johannes Weiß, epochemachendes Buch 2 Kurt Erlemann Professor Dr. Kurt Erlemann, Jahrgang 1958, Studium der Evangelischen Theologie in München, Zürich und Heidelberg. Promotion 1986, Habilitation 1994, seit 1996 Universitätsprofessor für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte an der Universität Wuppertal. »Die Predigt J esu vom Reiche Gottes« (Göttingen 1892), in welchem Weiß den grundsätzlich eschatologischen Charakter der Botschaft J esu herausstellte. Während Jülicher den Neuansatz von Weiß noch nicht verarbeitete, fiel dessen Ansatz im Gleichnisbuch des Engländers Charles Harold Dodd (»The Parables of the Kingdom«, London 1935) auf fruchtbaren Boden. Damit war die Kritik an Jülichers »allgemeinen Satzwahrheiten« als Inhalt der Gleichnisse auch in der deutschsprachigen Gleichnisforschung vorprogrammiert. Dodd und nach ihmJoachimJeremias (»Die Gleichnisse Jesu«, 1 1947) sehen den Inhalt der Gleichnisse Jesu in einer eschatologischen Botschaft, nämlich der Ankündigung der anbrechenden Gottesherrschaft; sie werde in ihren soteriologischen und ethischen Konsequenzen dargestellt. Konkret würden in den Gleichnissen die Gegenwart des Heils, Gottes Erbarmen mit den Verschuldeten, die große Zuversicht, die Forderung der Stunde, das drohende Zuspät, der Ruf zur Buße usw. thematisiert. Im Unterschied zu Jülicher geht es damit nicht primär um kognitiv erfaßbare »Wahrheiten«, sondern um eine Verhaltensänderung: Ihren Zweck, so Jeremias, haben die Gleichnisse im Ruf zur Entscheidung für oder gegen die Gottesherrschaft. »Alle Gleichnisse J esu zwingen den Hörer, zu Seiner Person und Seiner Sendung Stellung zu nehmen.« 11 Jesus ist dabei nicht der Künder sittlich-religiöser Wahrheiten, sondern der Gottesherrschaft und der Punkt der Entscheidung (gr. krisis). 12 3 l<urt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung7 WasJeremias mitJülicherverbindet, ist die Auffassung vom rhetorisch-argumentativen Zweck bzw. vom Situationsbezug der Gleichnisse, die Annahme eines »Idealtyps« von Gleichnis sowie die Annahme ihrer Unvergleichlichkeit. Alles zur Eigenart der Gleichnisse Gesagte ist streng auf die mündlich vorgetragene Gleichnisrede Jesu zu beziehen, die synoptischen Gleichnisse seien Produkt einer erheblichen Transformierung. So stellt Jeremias die Fragen nach der »vox ipsissima« Jesu, nach der Entstehungssituation 13 und nach den Gesetzmäßigkeiten, die im Verlauf der Verschriftlichung zur Umformung der Gleichnisse geführt haben, in den Mittelpunkt seiner Analysen. Der Idealtyp J eremias' unterscheidet sich von dem Jülichers nur wenig. Einfachheit, Anschaulichkeit, Realistik usw. entsprechen auch für ihn der rhetorisch-argumentativen Abzweckung der Gleichnisrede. Erheblich differenzierter beurteilt Jeremias indes die Frage der Umformung der Gleichnisse. Insgesamt zehn Umformungsgesetze arbeitet er heraus (Übersetzung ins Griechische, Wandlung des Anschauungsmaterials, Ausschmückungen, Einwirkungen des Alten Testaments und volkstümlicher Erzählungsmotive, Wechsel der Hörerschaft, Verwendung der kirchlichen Paränese, Einwirkung der Lage der Kirche, Allegorisierung, Sammlung und Fusion von Gleichnissen, sekundäre Rahmung). J eremias knüpft hier an den formgeschichtlichen Ansatz von Martin Dibelius und Rudolf Buhmann an. 14 Wie Jülicher erachtet Jeremias dementsprechend auch die Einleitungsformeln der Gleichnisse (»Das Reich Gottes ist wie ... « u.ä.) als sekundäre Bildungen. 3. Gleichnisse als Metaphern Ab Beginn der sechziger Jahre bahnt sich in der Gleichnis- und Metapherntheorie eine Wende an, die zu einem neuen, weitreichenden Konsens über die Bewertung der Gleichnisse Jesu als Metaphern führen sollte. Im erklärten Gegenzug gegen die ältere, »rhetorische« Position erfolgt eine »Rehabilitierung« der Metapher. Die Grundlage formen Sprachwissenschaftler wie Ivor Armstrong Richards, Max Black, Robert Funk und Harald Weinrich. 15 Die Metapher wird als nicht ersetzbare, da im Vergleich zu »direkter«, begrifflicher Sprache bessere und präzisere Redeweise, angesehen und aufgewertet. 16 Linguistisch ausgedrückt kommen die Metaphern als semantische Phäno- ZNT 3 (2. Jg. 1999) mene in den Blick, die im Unterschied zu einzelnen Begriffen nicht einfach substituierbar sind. Im Gegenteil, die Eigenart der Metapher bestehe in einem besonderen syntaktischen und logischen Verhältnis zu ihrem Kontext, was eine vollständige Ersetzung der Redefigur verunmögliche. Nicht würden einzelne Vokabeln ersetzt, vielmehr finde ein Prioritätenwechsel statt: Bedeutungsassoziationen »niedrigerer Priorität« gelangten zu höherer Prominenz. 17 Die erkenntnistheoretische Seite des Neueinsatzes liegt in der Entdeckung der metaphorischen Grundstruktur von (religiöser) Sprache überhaupt, die es allererst ermöglicht, Beziehungen zwischen verschiedenen Sektoren von Wirklichkeit zu entdecken bzw. herzustellen. 18 Theologen wie Eberhard Jüngel, Hans Weder und Wolfgang Harnisch 19 greifen die sprachwissenschaftlichen Überlegungen auf und übertragen sie auf die Gleichnisauslegung. Gleichnisse gelten hinfort so der neue Konsens als »erweiterte Metaphern«. 20 Übereinstimmend wird die Metapher als ein Phänomen der Bedeutungsübertragung angesehen. Übertragen werden Bedeutungsanteile von einem Bildspender auf einen Bildempfänger (H.Weinrich). Beispiel: Bei der Metapher »der Mensch ist ein Wolf« ist die Tierwelt der bildspendende Bereich, »Mensch« der bildempfangende. Deutlich ist, daß mehrere Vergleichspunkte (tertia comparationis) denkbar sind, da keine Festlegung (» ... so gefräßig wie ... « o. ä.) vorliegt. Das Beispiel macht auch deutlich, daß die Metapher ein semantisches, nicht ein lexikalisches Phänomen ist. 21 Ausschlaggebend für das Verständnis der Metapher sind der situative bzw. der literarische Kontext sowie die Erwartung seitens der Hörer-/ Leserschaft. 22 Das Verhältnis zwischen Metapher und Kontext ist das der Spannung bzw. der Konterdetermination 23 : Gegen die Erwartung sprachlich-lexikalischer Konvention werden zwei Bereiche (Mensch/ Tier) miteinander in Beziehung gesetzt, die von Haus aus unvereinbar sind: Der Mensch ist kein Tier. Und doch legt der situative oder literarische Kontext es nahe, dem eigentlich Unsinnigen eine sinnvolle Bedeutung abzugewinnen. 24 Und die Rezipienten lernen, die Wirklichkeit des Menschen mit anderen Augen zu sehen, Analogien zwischen vordergründig disparaten Bereichen zu entdecken. Die Metapher ermöglicht somit einen Zugewinn an Wirklichkeitserkenntnis, der mit Hilfe nicht-metaphorischer Sprache nicht möglich wäre. Diese Eigenschaft der Metapher wird in der Theologie auf die Gleichnisform übertragen: Auch sie verbinde zwei Bereiche etwa Gottesherrschaft als »Bildempfänger« und eine alltäglich-profane Erzählung als »Bildspender« miteinander. Das Modell ZNT 3 (2.Jg. 1999) der Konterdetermination stehe auch im Gleichnis Pate: Die Erzählung resp. der »Bildspender« handle nicht von dem, was er eigentlich verdeutlichen will und erreiche gerade so die Verstrickung des Hörers, der Hörerin in den »metaphorischen Prozeß«. Im Verlauf dieses Prozesses werde die Erzählung transparent für den »Bildempfänger«, die theologische Referenzebene. Diese bestehe in der Gottesherrschaft (gr. basileia tou theou) als Gegenwirklichkeit, die zu einer neuen, alternativen Existenzweise einlade. Das Gleichnis als erweiterte Metapher hat nach dieser Konzeption »performativen« bzw. »poietischen« Charakter, es ist der Ästhetik und Poetik, nicht der Rhetorik zuzuordnen. Insofern es als »eigentliche« Redeform sui generis zu gelten hat, das seinen Gegenstand allererst in Szene setzt, ist es auch nicht durch andere Sprachformen zu ersetzen oder zu »übersetzen«. - Graduelle Unterschiede gibt es bei der Frage der »Sprachkraft« der Metapher: Die moderatere Meinung spricht ihr die Fähigkeit, neue Sinnbezüge herzustellen bzw. die Wirklichkeit neu zu verstehen, neue Aspekte der vorfindlichen Wirklichkeit zu entdecken, zu. 25 Weiter gehen diejenigen, die der Metapher die Fähigkeit zuschreiben, Analogien allererst herzustellen bzw. neue Wirklichkeit zu konstituieren. 26 Gleichnisse werden dementsprechend als »Sprachereignis« bezeichnet, als Ereignis, das die basileia tou theou zur Sprache und damit zur Wirklichkeit bringe. Dem entspricht die erkenntnistheoretische Bewertung der Metapher als Medium, in dem sich Wirklichkeit konstituiert und als Methode allen menschlichen Erkennens.27 Sah die ältere Gleichnisforschung das Besondere an den Gleichnissen Jesu in ihrer argumentativen Überzeugungskraft, in ihrer Fähigkeit, sittlich-religiöse Ideale zu verdeutlichen Qülicher) bzw. Menschen zur Entscheidung für die Gottesherrschaft zu bewegen Qeremias), so lenkt die »metaphorische Theologie« das Augenmerk auf die einzigartige, Wirklichkeit und Sinn stiftende Sprachkraft der Gleichnisse und auf Jesus als den, der mithilfe von Metaphern und Gleichnissen »Sprachereignisse« inszeniert. In seiner Gleichnisverkündigung werde eine neue (Heils-)Wirklichkeit offenbar und die Möglichkeit einer neuen Existenzweise eröffnet. In einem einzigartigen metaphorischen Prozeß werde der Hörer in eine fiktive Erzählwelt verstrickt und, sofern das Gleichnis seine beabsichtigte Wirkung erzielt, zur Übernahme der neuen Wirklichkeitssicht bzw. Existenzmöglichkeit bewegt. 28 Dezidiert gelten diese Charakteristika nach Wolfgang Harnisch nur für die Verkündigung des historischen Jesus. Denn hier sei als Merkmal der mündlich vorgetragenen Gleichnisrede die 4 Hörerschaft, was den Sinn der Gleichnisrede angeht, noch unvoreingenommen. Unvoreingenommenheit aber sei unabdingbare Voraussetzung, daß der metaphorische Prozeß in Gang kommen kann und das Spiel gelingt. Keine Einleitungsformel, kein auch noch so geringer Hinweis auf einen externen Referenzrahmen wie »basileia tou theou« lenke die Hörer in Jesu Gleichnisrede ab. Dieser Transfer bleibe den Hörern überlassen. Anders die schriftlich fixierten Gleichnisse: Ihre Einbindung in einen literarischen Kontext, zum Teil mit expliziter Angabe dessen, worum es geht, verunmöglicht nach Harnisch dieses Spiel und führt zu einem »Sprachverlust«. Jetzt erst sei vom argumentativen Charakter der Gleichnisse zu sprechen. Jülichers Theorie vom Mißverständnis der Evangelisten findet hier eine modifizierte Fortsetzung. Dagegen werden Rhetorik und Argumentation zugunsten von Poietik (wörtlich, von gr. poiein: schaffen, machen) und Ästhetik negativ bewertet. Der theologische und hermeneutische Gewinn dieses »Paradigmenwechsels« ist deutlich: Nicht sind es mehr irgendwelche »Ideen«, die Jesu Verkündigung mehr oder weniger vor anderen auszeichnen, sondern es ist seine Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, die ihn einzig dastehen läßt. Außerdem wird die bis dato eher als problematisch empfundene Metaphorizität seiner Sprache hermeneutisch fruchtbar gemacht. Die metaphorische Sprache gilt als Medium der Selbstoffenbarung Gottes. Gleichnisform und eschatologischer Inhalt werden als unlösliche Einheit gesehen. »Die basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.«29 Die den Metaphern und den Gleichnissen als erweiterten Metaphern so zugeschriebene performative bzw. poietische Funktion verleiht ihnen Offenbarungsqualität mit soteriologischem Charakter.30 4. Zurück zur Rhetorik? Die »metaphorische Theologie«, die bis heute den »mainstream« der Gleichnisforschung prägt, ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Schon seit Ende der siebziger Jahre mehren sich die kritischen Stimmen. Die Trendwende in der US-amerikanischen Forschung wird durch das Symposium »Metaphor: The conceptual leap«, Chicago 1978, markiert. 31 Die Kritik macht sich an mehreren 5 l<urt Edernar; n Wohin steumt die Glelclrnisforsc: hung? Punkten fest: Erstens, an der Gleichsetzung von Metapher und Gleichnis; zweitens, an der »Sprachkraft« von Metapher und Gleichniserzählung; drittens, an der einseitigen Ausrichtung der Metapherntheorie auf Semantik und Poetik; viertens, am nach wie vor feststellbaren anti-allegorischen Affekt. 1. Kritik an der Gleichsetzung von Gleichnis und Metapher: Von verschiedenen Seiten wird daran Kritik geübt, daß unreflektiert Merkmale der Metapher auf die Form der Gleichnisse übertragen werden. So weist Klaus Berger unter anderem auf die zeitliche (szenische) Differenzierung bei Gleichnissen hin, die bei Metaphern fehle. Die Metapher sei allenfalls ein Baustein der Gleichnisse. 32 Eine doppelte Inkompatibilität sieht Peter Dschulnigg in seinem Forschungsbericht: »Wird das Metaphernphänomen der Lyrik auf Gleichnisse übertragen, muss dies fast notwendig zu Verkürzungen im Gleichnisverständnis führen, da hier gleich zwei Grenzen überspielt werden: die Grenze vom Satz zur Erzählung und diejenige von der Gattung Gedicht zur Gattung Gleichnis.« 33 Eckhard Rau beschreibt das Verhältnis zwischen Metapher und Gleichnis so: Gleichnisse haben zwar eine »metaphorische Dimension«, sind aber eine Form der Erzählung bzw. Besprechung und sind daher nicht monokausal aus der Metapher abzuleiten. 34 - Ein weiterer Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis ist darin zu sehen, daß Metaphern lediglich Analogien feststellen können, während Gleichnisse auch die Differenzen zwischen Bildspender (Welt, Alltag) und Bildempfänger (Gottesherrschaft) zum Ausdruck bringen könnten. 35 Beispiel: Gott ist eben nicht so wie der unwillige Richter in Lk 18,1-8, und er ist anders als ein weltlicher Arbeitgeber, der gewiß anders verfahren wäre als der »Herr des Weinbergs« im Weinberggleichnis Mt 20,1-16. 2. Kritik an der »Sprachkraft« von Metapher und Gleichniserzählung: Zurückhaltend wird die po(i)etische Funktion der Metapher beurteilt: Wohl könnten per Metapher Analogien entdeckt, jedoch nicht neu hergestellt werden. 36 Erst recht wird die Verabsolutierung der Metapher als Grundphänomen von Sprache zurückgewiesen, da sie zu einer Sinnentleerung dessen, was »Metaphern« sind, führe. 37 - Im Blick auf die Gleichniserzählungen wird eingewandt: Ihr erzählerischer Charakter sei zwar erheblich ZNT 3 (2.Jg. 1999) höher zu veranschlagen als bei Jülicher, doch seien sie keine »Sprachereignisse«, die unabhängig von seinem historischen oder literarischen Kontext seine Wirkung entfalten. Mary Ann Tolbert bringt die Kritik auf den Punkt: » lt would be difficult to document cases of people who in reading a parable or having it read to them experienced in that moment their lives being >torn apart<. 38 Im Gegenzug wird der grundsätzliche Kontextbezug von Gleichniserzählung und Metapher hervorgehoben. Wenn auch die konkrete Entstehungssituation der Gleichnisse J esu prinzipiell unzugänglich sei, sei der schriftliche Kontext als »typisierte Situation« nach der Sachebene hin abzuklopfen.39 3. Kritik an der einseitigen Ausrichtung der Metapherntheorie auf Semantik und Poetik: Gegen den Trend, die Semantik der Metapher zu verabsolutieren und ihre po(i)etische Dimension auszuleuchten, wird in der neueren Forschung wieder vermehrt auf die rhetorische Funktion der Metapher hingewiesen. Programmatisch formuliert William F. Brosend II: »What is needed is an understanding of metaphor that acknowledges its rhetorical power but recognizes its limits, and places it accurately in an understanding of parable and allegory.«40 Die Kritik erfolgt unter Rückgriff auf die Metapherntheorie Quintilians, der die rhetorische Abzweckung der Metapher mehrdimensional beschreibt: Sie soll zugleich Emotionen wecken bzw. verändern sowie Dinge exakt beschreiben und sie lebendig vor Augen halten. 41 In der Konsequenz untersucht Edmund Arens die metaphorische Redeweise als Bestandteil eines Kommunikationsgeschehens. 42 Nicht poetische Inszenierung neuer Wirklichkeit oder kognitiver Erkenntniszugewinn, sondern die rhetorische Überzeugung der Hörerschaft sowie die Beeinflussung seiner Emotionen und Verhaltensweisen werden in den Blick genommen. Im gleichen Zusammenhang wird die These, Metaphern und Gleichnisse seien generell unübersetzbar, relativiert. Jede Auslegung zeigt, daß es etwas übersetzbares gibt. Allenfalls sei von graduellen Unterschieden, was die »Übersetzbarkeit« angeht, zu sprechen. Auch auf die Gefahr eines möglichen Sinnverlustes hin sollte der Versuch gemacht werden, metaphorische Redeweise wenigstens zu paraphrasieren. 43 Wie entscheidend das Wissen um die Wortbedeutungen bei der Metaphernproduk- ZNT 3 (2. Jg. 1999) tion ist, hat jüngst der Linguist Werner Abraham herausgestellt. 44 Allerdings wird eingeräumt, daß anders als Jülicher angenommen hatte - Metaphern nicht ersetzbar sind. Die metaphorische Redeweise zeichne sich durch einen Sinn- oder Kommunikationszugewinn aus, der anders nicht zu erreichen sei. 45 Nicht sei Metapher versus wörtliche Rede die Alternative, sondern Metaphern versus rhetorisch weniger überzeugende Aussagen. 46 Als höchst effizientes rhetorisches Stilmittel sei die metaphorische Redeweise schlechthin unersetzbar. 4. Kritik am anti-allegorischen Affekt: Bei diesem Kritikpunkt sind zwei Diskussionsebenen voneinander zu unterscheiden: Zum einen die Diskussion um »Mischformen« zwischen Gleichnis und Allegorie, zum anderen die Diskussion um das Wesen der Metapher. Die Rehabilitation der Metapher erfolgte im Zusammenhang der »metaphorischen Theologie« (vgl. Abschnitt 3). Ihre Neubewertung führte allerdings nicht zu einem Umdenken, was die »Allegorie« betrifft. Gleichwohl ist die Kritik am »anti-allegorischen Affekt« so alt wie die Gleichnistheorie Adolf Jülichers selbst. Regelmäßig führen Vergleiche mit rabbinischen Gleichnissen zum Ergebnis, daß die Annahme von »Idealtypen« ein theoretisches Konstrukt sei, das an der literarischen Wirklichkeit vorbeigeht. Vielmehr sei von Mischformen bzw. von einer formalen Vielfalt der Gleichnisse Jesu auszugehen. »Wirkliche Gleichnisse bewegen sich gerne im Raum zwischen diesen beiden Extremen.« 47 Schon Paul Fiebig hat unter Rückgriff auf rabbinisches Gleichnismaterial diesen Nach weis erbracht. 48 In der neueren Gleichnisforschung wurden diese Ansätze wiederholt aufgegriffen, jedoch ohne eine größere Breitenwirkung. 49 Hans-Josef Klauck 50 versucht, mit der Unterscheidung von Allegorie (keine Gattung, sondern eine literarische Verfahrensweise), Allegorese (exegetische Methode, mit der Texte als Allegorien gelesen weden) und Allegorisierung (nachträgliche »Anreicherung« von Texten mit Merkmalen der Allegorie) dem anti-allegorischen Affekt zu begegnen. Bekämpfenswert sei nicht die Allegorie an sich, sondern die Allegorese als unangemessenes Auslegungsverfahren. Der Unterschied zwischen Allegorie und Gleichnis wird heute mehr graduell oder im Sinne unterschiedlicher Rezeptionsmechanismen bestimmt. Nach W.Abraham (Linguistik, 259) liegt der Unterschied zwischen Gleichnis und Allegorie nicht in der »Eigentlichkeit« bzw. »Rätselhaftig- 6 keit«, beide seien vielmehr der uneigentlichen Rede zuzuordnen. Doch handle es sich um einen unterschiedlichen Typus der Produktions- und Interpretationsprozedur. Während im Gleichnis bestimmte Aussagen sowohl wörtlich wie metaphorisch gebraucht sein könnten, der metaphorische Charakter sich also punktuell manifestiere, bleibe in der Allegorie die metaphorische Bedeutung für die Dauer des gesamten Textes bestehen. Ich selbst sehe den Unterschied primär darin, ob die Erzählung von einem Zielgedanken her konstruiert und entsprechend auszulegen ist (Gleichnis, Gleichniserzählung) oder ob eine 1: 1 - Kodierung vorliegt (Allegorie). Vom Wesen der »Bausteine« her lassen sich die Formen m. E. nicht charakterisieren. 51 Die Feststellung fließender Übergänge zwischen Gleichnis und Allegorie und von Mischformen als »Normalfall« der Gleichnisse Jesu läßt auch Jülichers Postulat eines einzigen Vergleichspunktes (tertium comparationis) für die Gleichniserzählung (Parabel) obsolet erscheinen. 52 Die Beobachtung lexikalisierter Metaphern als Bausteine der Parabeln rechtfertigt den Versuch, diese in ihrer Bedeutung zu erschließen. Während von mehreren tertia comparationis auszugehen ist, ist am Postulat der einen Pointe als inhaltlichem Brennpunkt der Gesamterzählung festzuhalten. 53 5. Zwischenbilanz und Ausblick Hundert Jahre nach Jülicher ist die Frage zu stellen, welche Punkte inzwischen allgemeine, d. h. über die Grenzen der dargestellten Grundansätze wirksame, Zustimmung gefunden haben und welche nach wie vor kontrovers beurteilt werden. Daraus sind Anfragen an bzw. Aufgaben für die weitere Gleichnisforschung zu formulieren. Die Konsens- und Dissenspunkte sind: 1. Konsens ist: Die Gleichnisse haben eine metaphorische Dimension. Vieles von dem, was Jülicher einst dem Vergleich zuordnete, wird heute der Metapher zugeordnet. Strittig ist, worin die Gemeinsamkeiten zwischen Gleichnis und Metapher liegen, ob etwa das Gleichnis die Metapher als »Baustein« benutzt und bzw. oder ob es sich qua Eingebundensein in einen situativen oder literarischen Kontext als »metaphorische« Form der Erzählung zu erkennen gibt. 2. Konsens ist: Das Gleichnis ist, wie die Metapher, nicht »ersetzbar«, da seine Form eine an- 7 ders nicht zu erzielende Wirkung hat. Strittig ist, wie der unersetzbare Anteil inhaltlich gefüllt wird: Ist es das zur-Wirklichkeit-Kommen der Gottesherrschaft im Sinne eines »Sprachereignisses«, ist es ein bestimmter kognitiver Erkenntnisgewinn oder ist es eine mehrschichtige Wirkung auf Verstand, Emotionen und Verhalten? 3. Konsens ist: Die Gleichnisse zielen auf einen Hauptgedanken (»Pointe«) ab. Diese ist keine »Satzwahrheit«, sondern ein neuer Text. Strittig ist, ob es in Gleichniserzählungen (Parabeln) neben diesem Hauptgedanken weitere »tertia comparationis« gibt, die ohne Allegoreseverdacht zu erschließen sind. Dem korrespondiert: 4. Strittig ist, ob die Gleichnisse poetische oder rhetorische Formen sind. Damit zusammen hängt die Frage des Kontextbezugs der Gleichnisse: Ist die Interpretation der Gleichnisse in irgendeiner Hinsicht kontextabhängig oder haben wir es mit »autonomen Gebilden« zu tun? 5. Strittig ist, ob es einen »Idealtyp« des (mündlich vorgetragenen) Gleichnisses Jesu gibt, der frei von (»allegorischen«) Verweisen auf die externe »Sache« ist oder nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend am jeweiligen Jesusbild und an der Fragerichtung (Frage nach dem »Proprium« des Christlichen oder nach der religionsgeschichtlichen Einbettung von J esu Gleichnisrede). 6. Strittig ist dementsprechend, wie der Prozeß der Verschriftlichung der ursprünglich mündlich vorgetragenen Gleichnissen Jesu zu bewerten ist a) negativ im Sinne eines Mißverständnisses der Evangelisten mit der Folge eines schwerwiegenden Gattungswechsels oder b) positiv als Ermöglichung, die Gleichnisse in einer veränderten Situation überhaupt weiter zu tradieren. Erkennbar ist demnach ein »Minimalkonsens«, der trotz der Aufwertung der Metapher von den Kernansichten Jülichers nicht allzusehr abweicht. Über die Punkte, in denen Jülicher in der Vergangenheit zum Teil vehement widersprochen wurde, konnte bislang kein Konsens erreicht werden. Nur die Metapher hat dank der breit geführten sprachwissenschaftlichen Debatte eine allgemein anerkannte Aufwertung erfahren. Ich möchte mit einigen Beobachtungen schließen, die vielleicht dazu verhelfen könnten, die Diskussion konstruktiv weiterzuführen: 54 ZNT 3 (2. Jg. 1999) ad 1) Die Definition der Gleichnisse als »erweiterte Metaphern« legt die Diskussion auf einen Teilaspekt der Auslegung fest. Weiterführend könnte sein, die Definition offen zu halten, um so der Pluralität der gleichnishaften Formen und ihrer Charakteristika gerechter zu werden. 55 Andere Aspekte wie das Verhältnis von Fiktion, Dramaturgie und Emotionssteuerung könnten so mehr in den Blick kommen. ad 2) Zwischen Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft und deren Realisierung ist ebenso zu unterscheiden wie zwischen Exegese und Glaubensaussagen. 56 Im Rückgriff auf die antike Rhetorik (bes. Quintilian) ist der Gewinn metaphorischer Sprache »ganzheitlich« zu fassen. Doch bedeutet der Rekurs auf rhetorische Effizienz wiederum eine Engführung: Es geht nicht nur um die Überzeugung des Gegenübers, sondern um die Stimulation metaphorischen Sehens der Wirklichkeit und der eigenen Existenz, die in ihrer Konsequenz ermöglicht, sich das Zwingende, Plausible spielerisch und in der Freiheit der eigenen Entscheidung anzueignen. ad 3) Die besonders in Gleichniserzählungen (Parabeln) anzutreffenden lexikalisierten religiösen Metaphern und Sujets lösen, sofern diese die Sprachkonventionen des Autors teilen, Assoziationsketten bei den Adressaten aus. Wie bei allen Bildworten J esu lassen sich diese Sprachkonventionen mittels Konkordanzarbeit und Textvergleich mehr oder minder gut rekonstruieren. Das Ergebnis unterstützt die Interpretation des Gleichnisses und seiner Steuerungsmechanismen. Freilich ist dies kontrolliert zu leisten: Es ist möglichst eine Methodik der Pointenbestimmung zu entwickeln, die zwischen rein bildimmanent zu verstehenden Zügen und tertia comparationis unterscheidet sowie Zielaussage und Einzelelemente in ein adäquates Verhältnis setzt. ad 4) Gegenüber der Theorie des »Mißverständnisses« der Evangelisten ist zu fragen, ob von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Entstehungssituation und Situation der Verschriftlichung zu sprechen ist bzw. ob nicht die Evangelisten Veränderungen vornehmen mußten, um im Medium der Schriftlichkeit, und das heißt, jenseits des ursprünglichen Kommunikationsgesche- ZNT 3 (2. Jg. 1999) hens und im Rahmen eines Makrotextes die Eigenart der Gleichnisse J esu adäquat fortschreiben zu können. ad 5) Das Postulat eines »Idealtyps« der Gleichnisse Jesu ist die Kehrseite der Feststellung, daß sich die Gleichnisse und Bildworte Jesu, so wie sie in den Evangelien überliefert sind, ob ihrer Pluriformität einem systematischen Zugriff verweigern. Hilfreich könnte sein, prinzipiell von Pluriformität auszugehen, statt den hermeneutischen Wert eines Gleichnisses davon abhängig zu machen, ob es einer (postulierten) Urform entspricht oder nicht. Da auch Jesus sich in bestimmten Sprachkonventionen bewegte und ihm keine Weltfremdheit zu unterstellen ist, besteht kein Grund, ihm »allegorische« Züge a priori abzusprechen. ad 6) Wie in Punkt 2) bereits angedeutet, sind Rhetorik und Poetik keine sich ausschließenden Alternativen, im Gegenteil: Die »ganzheitliche« Dimension der Gleichnisse Jesu bzw. der Versuch, die Adressaten auf mehreren Ebenen gleichzeitig für die eigene Sache zu gewinnen, läßt die Grenzen zwischen beiden Bereichen verschwimmen. Gerade die Synthese von situationsgebundener Rhetorik und »zeitloser« Poetik, in der vielschichtige Erfahrungen gebündelt werden, macht die bleibende Faszination der Gleichnisse und des dahinter stehenden Gleichniserzählers Jesus aus. Anmerkungen 1 Was nicht heißen soll, daß nicht auch Jülicher auf zahlreiche Vorarbeiten Anderer, wie von Ferdinand Chr. Baur, Bernhard Weiß u. a., zurückgreifen konnte. 2 Vgl. auch meinen Beitrag »Adolf Jülicher in der Gleichnisforschung des 20. Jahrhunderts«, in: Die Gleichnisreden Jesu 1899-1999. Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher (BZNW), Berlin/ New York 1999. Gerade erschien auch der Forschungsüberblick von Christoph Kähler, Gleichnisse, Glauben und Lernen 13 (1998) 98-111. 3 Genauer ist mit Hans-Josef Klauck (Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (NA NF 13 ), Münster 1978) zwischen Allegorie und Allegorese zu unterscheiden: Allegorie ist literarische Verfahrensweise, die sich nur durch Codierung einzelner Bausteine (Symbole, Chiffren) auszeichnet. Allegorese bezeichnet das Auslegungsverfahren, das eine Erzählung wie eine Allegorie behandelt und die 8 einzelnen Elemente im Verhältnis 1: 1 dechiffriert (vgl. auch Gerhard Sellin, Allegorie und »Gleichnis«. Zur Formenlehre der synoptischen Gleichnisse, ZThK 75 (1978) 281-335: 300-313). 4 Die Gleichnisse in ihrer literarisch fixierten Gestalt sind nach Jülicher das Ergebnis schwerwiegender Mißverständnisse: Es ist »zu erklären, wie es so früh zu dem Mißverständnis kommen konnte, als habe Jesus hier schwer deutbare Allegorien vorgetragen und durch dies Mittel geradezu dem Volk die Wahrheit verheimlicht« Qülicher, Selbstdarstellung 1925/ 26, 186 (28). Außerdem sei die »Sachhälfte« im Überlieferungsprozeß verloren gegangen. - Jülicher überträgt damit die These von F. C. Baur, wonach Jesus von Paulus mißverstanden wurde, auf das Verhältnis von Jesus und den Evangelisten. Das Mißverständnis ist für Jülicher das Einfallstor allegorisierender, kirchlich-dogmatischer Fehldeutungen über die Jahrhunderte. 5 Gleichnisreden I, 58, im Rückgriff auf Aristoteles, Rhetorik III, 4 und II, 20 (Zitate hier wie im folgenden nach der 2. Auflage beider Bände 1910). 6 Im Anschluß an Gotthold Ephraim Lessing, Abhandlungen IV, Bd. 3, 322; vgl. auch Jülicher, Selbstdarstellung, 199 ( 41 ). 7 Der weithin spröden und schwer verständlichen Lehre des Protestantismus seiner Zeit hat Jülicher damit ein Gegengewicht gegeben. - Ausführlich dazu D. Schellong, Bürgertum und christliche Religion, München 1975, 17. 8 Gleichnisreden I, 80. 9 Ebd. 105.107. Lessing spricht von der »moralischen Wahrheit«, die in den Fabeln enthalten sei (Abhandlungen IV, 341.343 ff). 10 Gleichnisreden I, 182. 11 Gleichnisse Jesu, 227 (Zitate hier wie im folgenden nach der 10. Auflage, Göttingen 1984 ). 12 Ebd. 226. 13 Jeremias bezeichnet die Gleichnisse als »Streitwaffe« in oft unvorhergesehenen Situationen, die augenblickliche Antwort verlangen (Gleichnisse, 17f). Gegenüber Jülicher bedeutet dies eine erhebliche Reduktion der möglichen Anlässe (mit C. Kähler, Gleichnisse). 14 Martin Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 1919/ 1933 und Rudolf Buhmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 1921. 15 I. A. Richards, The Philosophy of Rhetoric, New York/ Oxford 1936 (1967); M. Black, Metaphor, in: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy, Ithaka 1962, 25-47; R. Funk, Language, Hermeneutic and the Word of God, New York 1966; H. Weinrich, unter anderem: Semantik der kühnen Metapher, in: Sprache in Texten, Stuttgart 1976, 295-316. 16 Zum Teil unter Rückgriff auf die antike Rhetorik (Quintilian). Eine besondere Frage ist, inwiefern Jülichers Rezeption antiker Rhetorik von seinen Kritikern sachgemäß eingeschätzt wird. Dazu Eckhard Rau, Reden in Vollmacht. Hintergrund, Form und 9 Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisfol'schung? Anliegen der Gleichnisse Jesu, (FRLANT 149), Göttingen 1990, bes. 53 ff. - Zur Diskussion vgl. meinen unter Anm. 2 genannten Beitrag. 17 Werner Abraham, Linguistik der uneigentlichen Rede. Analysen an den Rändern der Sprache, Tübingen 1998, 228. 18 Nach Gerhard Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 300, ist die Metapher »der deutlichste Ausdruck des analogischen Charakters der Sprache überhaupt, der menschlichen Fähigkeit, Beziehungen zu sehen, zu verbinden, zu interpretieren, Sinn zu erfassen.« - Ähnlich Hans-Josef Klauck (Allegorie und Allegorese, 140), Tullio Aurelio (Disclosures in den Gleichnissen Jesu. Eine Anwendung der disclosure- Theorie von I. T. Ramsey, der modernen Metaphorik und der Theorie der Sprechakte auf die Gleichnisse Jesu, Frankfurt/ M. u. a. 1977) und Paul Ricoeur (Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache, in: ders. / E. Jüngel (hgg.), Metapher (EvTh Sonderheft) 1974, 45-70); sowie A. Stock (Textentfaltungen. Semiotische Experimente mit einer biblischen Geschichte, 1978, 52). 19 E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen 4 1972 (11 962); ders., Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: ders., / Paul Ricoeur (hgg.), Metapher (EvTh Sonderheft) 1974, 71-122; H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (FRLANT 120), Göttingen 1978; W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung (UTB 1343), Göttingen 1985. 20 Im Anschluß an Harald Weinrich, Semantik, 295- 316. 21 W. Abraham, Linguistik, 263 f., beschreibt die Metapher als Resultat einer Verschmelzung zweier Bereiche bei gleichzeitiger Tilgung des expliziten wie-Satzes. 22 Bereits M. Black, Metaphor, bezeichnet die Metapher als ein »Kontextphänomen«. - Zuletzt W. Abraham, Linguistik, 237.254. 23 Philip Wheelwright, Metaphor and Reality, Bloomington 1962, spricht von »tensive language«. Weiter Weinrich, Semantik, und Sellin, Allegorie und »Gleichnis«. 24 W. Abraham, Linguistik, 241, sieht das Wesen der Metapher gerade in der Differenz zwischen »syntaktischer Nichtinterpretierbarkeit« und »metaphorischer« resp. »enzyklopädischer« Interpretierbarkeit. 25 So etwa Sellin, Allegorie und »Gleichnis« 318; Aurelio, Disclosures. 26 Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus, John D. Crossan, In Parables: The Challenge of the Historical Jesus, New York 1973. 27 Bruno Snell, Die Entstehung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den ZNT3 (2.Jg. 1999) Griechen' 4 1975; Sallie McFague, Speaking in Parables, Philadelphia 1975. 28 Dieser Prozeß hat ein spielerisches Moment, als durch die Fiktionalität der Erzählung den Rezipienten ein pragmatischer Freiraum gelassen wird (Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: Rainer Warning (hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, (UTE 303) München 2 1979, 228-252: 249. 29 Jüngel, Paulus und Jesus, 135. 30 So schon Dodd, Parables. 31 Die Hauptbeiträge sind im Sammelband »On Metaphor«, hg. von Sheldon Sacks, Chicago 1979, erschienen. Eine ausführliche Würdigung bietet William F. Brosend II, The Limits of Metaphor, in: Perspectives in Religious Studies (21), Richmond 1994, 23-41. 32 K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 44. 33 P. Dschulnigg, Positionen des Gleichnisverständnisses im 20. Jahrhundert, ThZ 45 (1989) 335-351: 348. 34 Rau, Reden in Vollmacht, 72. 35 Kurt Erlemann, Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen (BWANT 126 ), Stuttgart 1988, 27. - Entweder wird die Differenz in der »Anwendung« benannt oder sie wird durch die Extravaganz innerhalb der Bildebene deutlich. 36 Rau, Reden in Vollmacht, 61. 37 Wayne C. Booth, Metaphor as Rhetoric, in: On Metaphor, 51 f. 38 M. A. Tolbert, Perspectives on the Parables, Philadelphia 1979, 42f. 39 Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 314f. 40 Limits, 38. 41 Quintilian, Inst.Orat. III 8. 19. 42 E. Arens, Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie, Düsseldorf 1982. 43 Craig Blomberg, Interpreting the Parables, Downers Grove IL 1990. 44 Linguistik, 265. 45 Ted Cohen, Metaphor and the Cultivation of Intimacy (in: On Metaphor, 5) beschreibt das »Mehr an Kommunikation« als »achievement of intimacy«, als Herstellung geistig-emotionaler Nähe zwischen Au- Klaus Berger tor und Hörerschaft. Richtig daran ist, daß gemeinsame Sprachkonventionen und eine gemeinsame Erfahrungswelt zu den Voraussetzungen gelingender Metapherninterpretation gehören. 46 Booth, Metaphor as Rhetoric, 51 f. 47 Dschulnigg, Positionen, 348. 48 Paul Fiebig, Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse Jesu, 1904. Weiter Chr. A. Bugge, Die Haupt- Parabeln Jesu, 2 Bde. 1903; M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 3 1959; W.O.E. Oesterley: Die Gleichnisse der Evangelien im Lichte ihres jüdischen Hintergrundes (1936, in: W. Harnisch, Positionen 137-153) u. a. (Auflistung bei Rau, Reden in Vollmacht, 53). 49 Besonders zu nennen ist hier David Flusser, Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus (Teil I Bern/ Frankfurt/ Las Vegas 1981). Weiter P. Dschulnigg, »Rabbinische Gleichnisse und das Neue Testament« (1988). herausgestellt (vgl. IV.2). 50 H.J. Klauck, Allegorie und Allegorese, bes. 354.ff. 51 Anders G. Sellin, (Allegorie und »Gleichnis«, 284 ff.), der beide Formen weiterhin auf unterschiedliche Grundformen (Gleichnis: Metapher; Allegorie: Chiffre oder Symbol) zurückführt. Nicht Metapher und Gleichnis, wohl aber die Allegorie beruhe auf dem Substitutionsprinzip. Allerdings konzediert auch Sellin, daß es die »reine« Allegorie nicht gibt (ebd. 302). 52 Rau, Reden in Vollmacht, 53, weist darauf hin, daß in der Gleichnisexegese dieses Postulat de facto immer schon in Frage gestellt wurde (ausweislich Jeremias', Jüngels und anderer). Anders hält Sellin, Allegorie und »Gleichnis« am Postulat des einen Vergleichspunktes fest. 53 Erlemann, Bild Gottes, 28. 54 Einen ausführlicheren Versuch dazu werde ich in Kürze vorlegen (K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. [UTE]. Tübingen 1999). 55 Jülicher selbst bietet in Bd. II seiner »Gleichnisreden« eine weitaus größere Bandbreite an Gleichnisstoffen als die meisten seiner Nachfolger. 56 Mit Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 320. Hermeneutik des Neuen Testaments daß sich gerade von jüdischen Philosophen lernen läßt, wie die gesuchten Kriterien aussehen könnten. Der Versuch, historische Auslegung und zeitgenössische Neuanwendung auseinanderzuhalten, lehrt vor allem, methodisch nachdenklicher zu werden und Klarheit zu gewinnen. UTB 2035, 1999, 240 Seiten, DM 29,80/ ÖS 218,-/ SFr 27,50 UTB-ISBN 3-8252-2035-4 Klaus Berger geht es im vorliegenden Band um die Erstellung von Kriterien für die inhaltliche Schriftauslegung. Neben der grundlegenden systematischen Reflexion über das, was in der Exegese der Schrift geschieht, ZNT3 (2.Jg.1999) stehen konkrete Regeln der Umsetzung und Applikation heute. Beide Aspekte werden eher pragmatisch beantwortet. Der Horizont der deutschen idealistischen Philosophie wird verlassen. Statt dessen zeigt Berger, 10 Jean Zumstein Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen 0. Einleitung Die narratologische Lektüre der Evangelien und der Apostelgeschichte hat heutzutage sowohl in der englisch-amerikanischen als auch in der frankophonen Welt grossen Erfolg. Die Gunst, deren sich diese neue Methode erfreut, lässt sich zunächst auf einer theoretischen Ebene begründen. Eine bessere Kenntnis des Phänomens Erzählung (Was ist eine Erzählung? Welches sind ihre konstituierenden Elemente? Wie funktioniert sie? Usw.) kann für den Leser des Evangeliums, will er der Erzählung gerecht werden, nur ein Gewinn sein. Diese theoretische Begründung genügt jedoch nicht, denn erst die konkrete Praxis der narrativen Analyse zeigt auf, ob diese neue Lektüremethode den Weg zu einem besseren Verständnis des Textes öffnet oder ob sie die exegetische Arbeit nur komplizierter macht, ohne der Interpretation einen wirklichen Gewinn zu bringen. Anhand der joh Ostergeschichte soll demonstriert werden, dass die narratologische Lektüre eine genauere Wahrnehmung des Textes ermöglicht. Die Anwendung einiger klassischer Kategorien der narratologischen Lektüre auf Joh 20 versucht, diesen Gesichtspunkt zu dokumentieren. Einerseits arbeitet die folgende Lektüre mit dem vor kurzem von Mark Allan Powell beschriebenen Modell des »narrative criticism«1, andererseits bezieht sie sich auf die Untersuchungen von Gerard Genette. Die narratologischen Kategorien, die die Analyse strukturieren, sind der Plot, die Personen, die Zeit der Erzählung, der Kommentar, der implizite Autor und der implizite Leser. Die Ausgangshypothese lautet: Ich lese den Text nicht als Dokument, das mir Zugang zu einer vergangenen Geschichte verschafft (der Text wird nicht als Quelle behandelt). Ich betrachte den Text auch nicht als Fundgrube, aus der ich verstreute Elemente herausgreife, um eine zusammenhängende Theologie zu rekonstruieren. Ich lese die Erzählung als Erzählung und setze mich der Welt des Textes aus. 11 1. Der Plot (die dramatische Handlung) 1.1 Das Problem von ]oh 20 Eines der klassischen Forschungsprobleme von J oh 20, das vor allem durch die Literarkritik hervorgehoben wurde, besteht in der narrativen Inkonsistenz dieses Kapitels. 2 Die verschiedenen Szenen des Kapitels stehen dramatisch völlig unverbunden nebeneinander. So bleibt der exemplarische Glaube des Lieblingsjüngers ohne Folgen. Nachdem Petrus und der Lieblingsjünger weggegangen sind, steht Maria beim Grab, ohne dass sich ihre plötzliche Anwesenheit erklären liesse. Ihr Osterglaube, den sie den anderen Jüngern mitteilt, bleibt bei diesen wirkungslos, denn im folgenden Abschnitt scheinen die hinter verschlossenen Türen ängstlich versammelten Jünger nicht die geringste Ahnung von Jesu Auferstehung zu haben. In der entscheidenden Szene der V. 19-23 schliesslich bemerkt niemand weder Jesus noch die Jünger die Abwesenheit des Thomas. Zwar können die Spannungen und Brüche zwischen den verschiedenen Szenen der Erzählung durch die komplexe und bewegte Entstehungsgeschichte des Textes erklärt werden, aber wie wertvoll diese Erklärung auch immer ist, die Erzählung bleibt ungeordnet. Sie bleibt ungeordnet, solange angenommen wird, dass der implizite Autor die Osterereignisse in ihrer dramatischen Abfolge zu schildern beabsichtigte. Ist dies aber wirklich der Fall? Haben wir es tatsächlich mit einem dramatischen Plot zu tun, d. h. mit einem Plot, der darauf abzielt, die Entwicklung einer Handlung mit ihren Konsequenzen darzustellen? Liegt der Akzent auf der Reihenfolge bzw. der zeitlichen Verknüpfung der Ereignisse und der damit verbundenen Entwicklung? 1.2 Dramatischer und thematischer Plot Der aufmerksame Leser weiss, dass die Analyse des Aufbaus ein schwieriges Problem des Johannesevangeliums bildet. Er weiss, dass es durchaus gewagt ist, einen dramatischen Plot wiederherstellen zu wollen, um der zeitlich-logischen Er- ZNT 3 (2. Jg. 1999) eignisabfolge der joh Erzählung Rechnung zu tragen. Denn der Gesamtplot des Joh ist kein dramatischer, sondern ein thematischer. 3 Die Hauptperson der joh Christus durchläuft keine Entwicklung, seine Identität (der Gottesgesandte zu sein) wird von den berichteten Konflikten nicht tangiert. Im Zentrum steht vielmehr das Thema des Glaubens. Wie entsteht der Glaube? Wie wird er strukturiert? Wie wird er problematisiert? Das Joh ist in erster Linie als eine Strategie des Glaubens wahrzunehmen. 4 1.3 Der Plot von J oh 20: die Entstehung des Osterglaubens Wird diese Hypothese, die dieser Vortrag nicht vom Gesamtevangelium her begründen kann, durch Joh 20 bestätigt? Der Leser entdeckt recht schnell, dass J oh 20 das Verhältnis zwischen Sehen und Glauben bearbeitet. 5 In der ersten Szene (V. 1-10) ist das Sehen Marias von Magdala zuerst ein erfolgloses Sehen. Es erschöpft sich in der ungläubigen Erklärung, dass jemand den Leichnam Jesu aus dem geöffneten Grab an einen unbekannten Ort gebracht hat. Dieses verkehrte Sehen löst das Sehen-Wollen Petrus' und des Lieblingsjüngers aus. Während Petrus mit der Besichtigung des leeren Grabes (V. 6) als erster Zeuge des Ostergeschehens bestätigt wird, führt das Sehen des Lieblingsjüngers zum Glauben (V. 8). Es gilt zu betonen, dass der Lieblingsjünger nicht den Auferstandenen, sondern einzig und allein das leere Grab sieht. In der zweiten Szene (V. 11-18) bildet Marias von Verzweiflung geprägtes Sehen des leeren Grabes (V. 12) den Ausgangspunkt. Dieses verkehrte Sehen wird durch das Sehen der Erscheinung Christi (V. 14) verändert. Die bekehrte (V. 16: »Da wandte sie sich um«) und vom Auferstandenen belehrte Jüngerin wird zur ersten Osterzeugin gegenüber den Jüngern (V.18). In der dritten Szene (V. 19-23) erfüllt das Sehen des Herrn die hinter verschlossenen Türen ängstlich versammelten Jünger mit Freude (V. 20). Schliesslich weigert sich in der letzten Szene (V. 24-28) Thomas, dem österlichen Zeugnis Glauben zu schenken. Sein Nicht-Sehen führt zu einem Nicht-Glauben (V. 25). Dieses Nicht-Glauben wird durch die Erscheinung des joh Christus und dessen Ruf zum Glauben verändert (V. 27). Der berühmte abschliessende Makarismus definiert endgültig das Verhältnis zwischen Sehen und Glauben (V. 29). Fazit: Der Plot von J oh 20 ist kein dramatischer, ZNT 3 (2. Jg. 1999) Jean Zumstein Jean Zumstein, Jahrgang 1944, seit 1972 Pfarrer der Reformierten Kirche des Kantons Bern (Schweiz). 1973 Promotion. 1974 Habilitation. 1975-1990 Professor für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Neuenburg. Seit 1990 Professor an der Universität Zürich. Zur Zeit arbeitet er an einem Kommentar über das Johannesevangelium. sondern ein thematischer Plot. Die narrativ entfaltete, theologische Frage ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sehen und Glauben. Dieses von der Erzählung dargelegte und zugleich problematisierte Verhältnis ist das Proprium des Osterglaubens. Insofern erzählt J oh 20 nicht in erster Linie die Ostergeschichte als solche, sondern die Entstehung des Osterglaubens. 6 1.4 Die letzte Szene in einem Plot Die Plot-Analyse von Joh 20 ermöglicht, die Fragestellung dieser Perikope genauer wahrzunehmen. Ein Aspekt wurde jedoch bis jetzt ausser Betracht gelassen. J oh 20 bildet in der Geschichte des joh Christus die letzte Szene (von Joh 21, das später behandelt wird, vorläufig abgesehen). Nun stellt sich in bezug auf die letzte und ebenso in bezug auf die erste Szene einer Erzählung folgende Frage: Bilden diese Szenen bloss die erste bzw. letzte chronologische Etappe des erzählten Geschehens, oder spielen sie im Gesamtgefüge der Erzählung eine besondere Rolle? Die Sorgfalt, mit welcher der implizite Autor den Einstieg in die Erzählung verfasste, spricht für die zweite These. Denn der Prolog setzt den hermeneutischen Rahmen fest, in dem die Lektüre der eigentlichen Erzählung verlaufen soll. Er liefert dem Leser die notwendigen Angaben, die den Weg zu einem sachgemässen Verständnis der folgenden Ge- 12 schichte öffnen. Der Prolog ermöglicht den Einstieg in die Welt der Erzählung, d. h. er spielt die Rolle der Exposition. Die letzte Szene hat die umgekehrte Funktion: Sie führt den Leser aus der Welt der Erzählung in seine eigene Welt zurück und macht deutlich, wie die Erzählung in der Welt des Lesers weiterleben soll. Insofern ist es bestimmt kein Zufall, wenn die joh Erzählung mit dem Bericht über die Entstehung des Osterglaubens abschliesst. Dieser zeigt auf - und der letzte Makarismus in V. 29 dokumentiert dies auf eklatante Weise -, welche Zukunft dem Glauben bestimmt ist, der im Zentrum der ganzen Erzählung steht, und unter welchen Bedingungen er in der Welt des Lesers bestehen kann. 2. Die Personen Die Erzählung ist eine von Personen bewohnte Welt. Es handelt sich allerdings um literarische Personen. Jesus, Thomas, Petrus, Maria von Magdala, der Zwölferkreis und sogar der Lieblingsjünger haben zwar höchst wahrscheinlich existiert, aber darum geht es nicht. Diese Personen werden vom impliziten Autor neu geschaffen, so dass es sich nicht mehr um undurchsichtige, historische Personen handelt, die in facettenreiche Situationen verwickelt sind, sondern um transparente, stilisierte Personen, die im Rahmen des joh Plot handeln. 2.1 Die Unverfügbarkeit der Hauptperson Wie wird die Hauptperson der Erzählung der auferstandene Christus dargestellt? Eine Reihe von konvergenten narrativen Zügen kennzeichnet die Person des Auferstandenen. Alle diese Züge betonen seine Andersartigkeit bzw. Unverfügbarkeit7, was nun anhand der Welt der Erzählung aufgezeigt werden soll. 1) Das Motiv des leeren Grabes (V. 1) bedeutet nicht nur, dass Jesus gestorben ist, sondern auch, dass sein Leichnam verschwunden ist. Trotz seines Todes bleibt er unverfügbar. 2) Das Motiv der Leinenbinden und des Schweisstuches (V. 5-7) macht deutlich, dass das Grab zwar leer ist, aber der Verstorbene eine Spur hinterliess. Die sorgfältig zusammengelegten Tücher verweisen auf Jesu Auferstehung, gleichzeitig aber auch auf einen sich entziehenden Christus. 3) Das Motiv der Verwechslung (V. 15) - Maria hält den Auferstandenen für den Gärtner bringt zum Ausdruck, dass der Auferstandene in keiner engen 13 Kontinuität zum Irdischen steht, sondern eine neue Identität hat. 4) Die Suche Marias von Magdala (V. 15) kennzeichnet den Auferstandenen als einen verschwundenen Christus, den es wiederzufinden gilt. 5) Nachdem Maria den Verschwundenen schliesslich wiedergefunden hat, verbietet er ihr, ihn anzufassen (V. 17). Der Auferstandene ist keine Person mehr, die sich anfassen lässt. 6) Thomas macht die seltsame Erfahrung, dass der joh Erhöhte trotz seiner Abwesenheit hört, was die Jünger sagen (V. 25.27). 7) Der joh Christus manifestiert sich, wo und wann er will (V. 20.26 ). Er ist der Kontingenz der geschichtlichen Existenz nicht mehr unterworfen. Dieser narrative Zug der Unverfügbarkeit bringt die neue Identität des zum Vater zurückgekehrten Christus zum Ausdruck. Gewiss, der Auferstandene ist niemand anderer als der Gekreuzigte wie die Szene mit Thomas zeigt, sind die Kreuzesmale die einzigen Zeichen, die den Herrn identifizieren -, der Auferstandene lebt als der Gekreuzigte, aber nicht mehr als historischer Mensch. Die Jünger sind eingeladen, zu diesem Christus, der trotz seiner Vertrautheit ein anderer geworden ist, der bei Gott lebt und in der Welt unverfügbar ist (V. 17), eine neue Beziehung zu knüpfen. 2.2 Die Nebenpersonen: Glaubenswege Die Nebenpersonen der joh Erzählung treten nur in strengem Bezug zu Christus auf. Als selbständige Personen haben sie in der Erzählung keinen Platz. Diese elementare Beobachtung lässt erahnen, dass anhand der in Joh 20 vorkommenden Nebenpersonen verschiedene Möglichkeiten einer Beziehung zum Auferstandenen bzw. verschiedene Glaubenswege thematisiert werden. 2.2.1 Die Protophanie vor Maria von Magdala Die Person Maria von Magdala verkörpert die Zuneigung zu Christus. Ihr Weinen am Eingang des leeren Grabes (V. 11[2x].13.15) ist äusseres Zeichen der Trauer, die sie aufgrund der radikalen Abwesenheit ihres Herrn empfindet. In dieselbe Richtung deutet ihre Suche nach dem verschwundenen Leib (V. 2.13.156). Obwohl sie Jesus liebt, ist sie nicht in der Lage, den Weg zum Glauben aus eigener Kraft zu finden. Sie reagiert nach den Massstäben dieser Welt auf das leere Grab und erklärt es mit einem Plausibilitätsargument: dem Diebstahl oder der Verlegung des Leichnams. Erst das Eingreifen der Hauptperson bzw. ihr Wort ZNT 3 (2. Jg. 1999) verändert dieses verkehrte Sehen Marias von Magdala. Die Veränderung gelingt insofern, als Maria von Magdala zur ersten Trägerin des österlichen Kerygmas wird. Sie birgt aber auch Schwierigkeiten, denn Maria besteht darauf, in der Person des Auferstandenen den irdischen Rabbi 8 zu erkennen, um so mit der Gestalt aus der Vergangenheit verbunden zu bleiben .. Maria wird jedoch vom Auferstandenen aufgefordert, den irdischen Christus nicht zurückzuhalten (»Für dich bin ich noch nicht zum Vater aufgestiegen«9). Erst die Trauer um den Irdischen lässt sie den Auferstandenen entdecken und seine Zeugin werden. Die literarische Person Maria von Magdala durchläuft einen Glaubensweg, der von der Verzweiflung zur Verantwortung führt. Ermöglichungsgrund dieses Fortschreitens aber ist der Auferstandene bzw. sein Wort. 2.2.2 Petrus und der Lieblingsjünger Im zweiten Teil des Evangeliums treten Petrus und der Lieblingsjünger oft gemeinsam auf. Gemeinsam erscheinen sie beim letzten Mahl (13,23- 24), im Hof des Kaiphas (18,15) und am Ostermorgen beim Grab. Ein wichtiges Element gilt es zu betonen: Nicht nur die jeweilige Beziehung der beiden Jünger zu Christus wird thematisiert wie es bei den anderen Personen der joh Erzählung der Fall ist -, sondern auch ihre Beziehung zueinander. Wie ist dieses Beziehungsnetz zu beschreiben? Der Wettlauf zum Grab macht zwischen den beiden eine gewisse Rivalität ersichtlich, denn der Sieg ist Ausdruck des grösseren Eifers für den Herrn. Er wird vom Lieblingsjünger errungen, dessen Nähe zu Christus damit ein weiteres Mal hervorgehoben wird. Petrus erhält zwar den Vortritt bei der Besichtigung des leeren Grabes dies entspricht seiner Zeugenrolle in der kirchlichen Tradition -, über seinen allfälligen Glauben wird aber kein Wort verloren. Er ist die einzige Person in Joh 20, deren Glaube eine offene Frage bleibt. Der Lieblingsjünger hingegen verkörpert den vollkommenen Glauben, denn er glaubt, ohne zu sehen. Während die anderen Jünger zum Glauben kommen, indem sie dem Auferstandenen begegnen, sieht der Lieblingsjünger nur das leere Grab, d. h. das Einzige, was er sieht, ist die radikale Entzogenheit Christi. Mit Petrus als kirchlichem Zeugen und dem Lieblingsjünger als Glaubensvorbild wird die Problematik von Joh 21 vorweggenommen. Dazu kommen wir später. ZNT3 (2.Jg.1999) 2.2.3 Der Zwölferkreis Der Zwölferkreis konstituiert eine kollektive Person. Ihr Weg führt aus der Angst, der Einsamkeit und der Verschlossenheit gegenüber der Welt zur Freude und zur Übernahme einer Verantwortung inmitten der Welt, denn die Erscheinung des Herrn eröffnet den Zwölf eine neue Lebensmöglichkeit. Der Auferstandene rüstet sie als Paradigma der Kirche für die nachösterliche Zeit aus, d. h. er sendet sie in die Mission, übergibt ihnen den Heiligen Geist und Vergebungsvollmacht. Der nachösterliche Glaube verwirklicht sich also einerseits in einer neuen Lebensqualität, d. h. in der Freude, andererseits in der Übernahme einer Verantwortung. 2. 2. 4 Thomas Mit Thomas wird eine neue Fragestellung in die Erzählung eingeführt. Sie betrifft nicht mehr die Entstehung des nachösterlichen Glaubens, sondern das dem österlichen Kerygma entgegengebrachte Misstrauen eines abwesenden Jüngers, der die Glaubenden späterer Generationen verkörpert. Zwar wird dem Zweifler zugestanden, den Erhöhten zu sehen (er sieht allerdings nicht mehr als die Zwölf und rührt den Auferstandenen nicht an 10 ), aber erst Christi Ruf zum Glauben führt ihn zum exemplarischen Glaubensbekenntnis. Thomas, Weg demonstriert, dass das echte österliche Privileg nicht im Sehen, sondern im Nicht-Sehen besteht. Zu Glauben, ohne zu sehen, ist das Privileg der nachösterlichen Zeit, mit dem der Glaube seinen vollkommenen Ausdruck erreicht. 3. Die Zeit der Erzählung Gerard Genette 11 hat gezeigt, dass die Strukturierung der Zeit der Erzählung eines der wichtigsten Interpretationsmittel ist, die dem impliziten Autor zur Verfügung stehen, um die erzählte Geschichte zu deuten. In dieser Hinsicht verdient die Kategorie der Zeit der Erzählung besondere Aufmerksamkeit. Das Spiel der Analepsen und Prolepsen setzt die erzählten Ereignisse zueinander in Beziehung. Durch die Kombination dieser Verweise auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft entsteht die Bedeutung der erzählten Geschichte. Wie ordnet sich die Ostergeschichte unter diesem Gesichtspunkt in die Gesamterzählung ein? Ist sie ein unentbehrliches Element der Gattung »Evangelium«, im Konzept der joh Theolo- 14 gie aber überflüssig, wie dies in der Sekundärliteratur zu lesen ist? Nimmt der Leser die Organisation der joh Erzählung ernst, so entdeckt er, dass die Ostergeschichte kein Anhängsel ist. Vielmehr korrespondiert Joh 20 mit zahlreichen Prolepsen aus den Abschiedsreden. Mit anderen Worten: In den Abschiedsreden kündigt der joh Christus sein österliches Kommen an und formuliert dessen Bedeutung. Joh 20 erfüllt die Verheissungen der Abschiedsreden. Was vor dem Kreuz vorhergesagt wurde, wird jetzt Wirklichkeit. Dazu einige Beispiele: Das grundsätzliche, von den Abschiedsreden aufgeworfene Problem stellt sich mit der Entzogenheit des Offenbarers. Diese Entzogenheit wird bei den Jüngern Trauer und Weinen auslösen (16,20). Das leere Grab und der verschwundene Leichnam Jesu bilden die narrative Form dieser Entzogenheit. So schildert das Weinen Marias von Magdala am Eingang des Grabes die von den Jüngern empfundene Trauer. Doch dem Weggehen folgt ein Kommen, dem Nicht-Sehen ein Sehen. Diese doppelte Bewegung strukturiert die erste Abschiedsrede (Joh 14) und zeigt auf, dass der Weggang des Offenbarers die notwendige Bedingung seines erneuten Kommens ist (vgl. 14,18). Das Wiederkommen des Offenbarers wird sich unter der Form des österlichen Sehens ereignen (14,19) und die Trauer in Freude verwandeln (16,20-22). Mit Joh 20 ist die Erfüllung dieser Verheissung gegeben. Das Wiederkommen des Offenbarers vollzieht sich in den Erscheinungen des Auferstandenen vor Maria, den Jüngern und Thomas, und dank dieser Erscheinungen verwandelt sich die Trauer der Jünger in Freude. Setzt die erste Abschiedsrede das erneute Kommen des Erhöhten zum Kommen des Parakleten in Beziehung (14,19-24.25-26), so gipfelt entsprechend in der Ostergeschichte die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern in der Gabe des Heiligen Geistes. Die Sendung der Jünger durch Jesus, die die Sendung Jesu durch den Vater redupliziert, wird in 17,18 angekündigt und in 20,21 vollzogen. Schliesslich kündigt die zweite Abschiedsrede an (15,14-16), dass der Aufstieg des Sohnes zum Vater zu neuen Beziehungen zwischen den Jüngern und Christus respektive Gott führt. In der Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala wird diese Ankündigung Ereignis. Fazit: Die joh Ostergeschichte ist das narrative Pendant zu 14,18-26 und zur Relecture dieses Abschnitts in 16,16-22. Hatte die Rede des schei- 15 denden Christus die nachösterliche Zeit und ihre theologischen Merkmale zum Thema, so zeigtJoh 20, wie diese Verheissungen des Weggegangenen Wirklichkeit geworden sind. 4 Der Kommentar Jeder Erzähler versieht seine Erzählung mit einem Kommentar. Dieser ist von grosser Bedeutung, denn er zeigt auf, wie der implizite Autor die erzählte Geschichte interpretiert. Der Kommentar kann explizit sein und äussert sich in diesem Fall in einer Metarede, d. h. einer Rede über die Erzählung. Demgegenüber ist der implizite Kommentar Bestandteil der Erzählung und bei Joh in literarischen Verfahren wie dem Missverständnis, der Ironie oder dem Symbol zu suchen. 12 4.1 Der explizite Kommentar Der explizite Kommentar ist in J oh 20 besonders deutlich entfaltet. Zwei Beispiele: - 20,9 bereitet der Exegese seit jeher lnterpretationsschwierigkeiten.13 Nachdem der implizite Autor den Glauben des Lieblingsjüngers angesichts des leeren Grabes beschrieben hat, fügt er hinzu: »Denn noch wussten sie nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste«. Vorausgesetzt, dass der Text kohärent ist, ist die argumentative Absicht klar. Der implizite Autor betont, dass der Lieblingsjünger im Unterschied zu Petrus ohne die Unterstützung der Schrift, die den klassischen hermeneutischen Rahmen für das urchristliche Verständnis des Ostergeschehens bildet, zum Glauben gekommen ist. Er ist also der unübertreffliche Ausleger der Geschichte J esu. Sein Glaube braucht keine Hilfe von aussen, um die Wahrheit zu finden. - Das zweite Beispiel eines expliziten Kommentars ist mit dem ersten Schluss des Evangeliums gegeben. V. 30-31 bilden nicht nur den Abschluss der joh Ostergeschichte, sondern den Buchschluss überhaupt. Die gesamte Erzählung, von nun an als abgeschlossenes Buch betrachtet, wird als sorgfältig getroffene Auswahl von Zeichen dargestellt. Der Grund ihrer Verschriftlichung besteht darin, zum Glauben zu rufen, zu einem Glauben, der in doppelter Weise näher bestimmt wird. Zum einen übernimmt er die christologische These, dass Jesus ZNT 3 (2.Jg. 1999) der Christus, der Sohn Gottes ist. Zum andern ist diese Übernahme von soteriologischer Tragweite: Wer an den Sohn glaubt, empfängt das eschatologische Leben. Die Bedeutsamkeit dieses Kommentars besteht in seinem hermeneutischen Gewicht für die Gesamterzählung, formuliert er doch sowohl ihre theologische Absicht als auch ihre pragmatische Funktion. Das Evangelium ist als eine Reihe von Zeichen zu lesen, die Jesu entscheidende Identität entdecken lässt und so Zugang zum echten Leben gewährt. Es verfolgt eine Strategie, Glauben zu bewirken und zu gestalten. Am Ende der Erzählung trifft der Leser auf den hermeneutischen Schlüssel, mit dessen Hilfe er überprüfen kann, ob seine Lektüre sachgemäss erfolgte. Wer aber sind die Adressaten des Evangeliums? Dieser Punkt bedarf weiter unten einer Abklärung. 4.2 Der implizite Kommentar Der implizite Kommentar in J oh 20 schlägt zwar nicht die klassischen joh Wege des Missverständnisses, des Symbols oder der Ironie ein, er ist aber dennoch greifbar. Zwei Beispiele: - Die Verwechslung durch Maria von Magdala in V. 14-16 erzielt eine komische Wirkung. Maria von Magdala hält den Auferstandenen für den Gärtner und fragt ihn, wo er den Leichnam J esu hingelegt hat. Für den Leser ist die Situation grotesk: Fragt nicht Maria ahnungslos Jesus, wohin er seinen Leib geschafft hat? Aber diese komische Wirkung ist voller Bedeutung. Der irdische Leib Jesu ist tatsächlich verschwunden, und die Begegnung mit ihm geschieht wie die berühmte Anrede in V. 16 deutlich macht von nun an auf der Ebene des Wortes. - Der implizite Kommentar äussert sich auch im Spiel der Intertextualität. Die frankophone Exegese hat seit längerer Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass die literarische Person Maria von Magdala denselben Weg zurücklegt wie die liebende Frau im Hohenlied (3,1-3). Beide Frauen verlassen ihr Haus vor der Morgenröte, um ihren Geliebten zu suchen; beide werden von dieser Suche völlig beansprucht; beide fragen ihre Nachbarn aus; beide versuchen, den Geliebten anzufassen. Maria wird also als »die Liebende« dargestellt, wobei hinzuzufügen ist, dass gerade bei Joh Liebe und Glaube nicht zu ZNT 3 (2. Jg. 1999) trennen sind. In 14,21.23-24 wird sogar festgehalten, dass nur derjenige, der Jesus liebt, Zugang zum Osterglauben hat. Das zweite Beispiel der Intertextualität ist allgemein bekannt. In V. 22 wird von Jesus erzählt, dass er »seine Jünger anblies«, um ihnen den Heiligen Geist zu übergeben. Die Anspielung auf Gen 2,7 ist offensichtlich und lädt den Leser dazu ein, das Kommen des Heiligen Geistes auf die Jünger als Neuschöpfung zu verstehen und zu erkennen, dass die nachösterliche Zeit unter das Zeichen dieser eschatologischen Gabe gestellt ist. 4.3 Der Epilog (Kap.21) Dieser kurzen Analyse des Kommentars der Erzählung muss noch ein Wort über Joh 21 hinzugefügt werden. Die Exegese beurteilt Joh 21 fast einstimmig als sekundären Zusatz zum abgeschlossenen Evangelium und liest dieses Kapitel als Epilog. Die Entstehungsgeschichte von J oh 21 kann an dieser Stelle nicht untersucht werden. Hingegen lässt sich unter einem narratologischen Gesichtspunkt fragen, was ein Epilog ist. 14 Was bedeutet es, dass die auktoriale Instanz beschliesst, einer abgeschlossenen Erzählung, ja einem abgeschlossenen Buch einen Zusatz hinzuzufügen? Dass Joh 21 vom impliziten Autor als Zusatz verstanden wird, steht ausser Zweifel. Der Abschluss 20,30-31 wurde respektiert, J oh 21 ist also nicht als Fortsetzung der in J oh 20 angefangenen Ostergeschichte zu lesen, sondern hat eine andere Funktion. Dieses Kapitel nimmt zur Gesamterzählung Stellung und zeigt auf, wie der erzählten Geschichte in einer veränderten Situation eine Zukunft zukommen kann und soll. Während J oh 20 die Zukunft der Geschichte Jesu für die Glaubenden späterer Generationen aufweist, erörtert Joh 21, warum der joh Erzählung in der Kirche eine Zukunft gewährt werden soll. Der Plot bleibt in Joh 21 zwar ein thematischer Plot, die zentrale Fragestellung ist aber keine christologische mehr, sondern eine ekklesiologische. Vier Argumente stützen diese Beobachtung: 1) Die Szene des reichen Fischfangs ist kein semeion (Zeichen) im joh Sinn mehr. Sie zielt nicht mehr darauf ab, Christi Identität entdecken zu lassen, sondern sie führt die Motive ein, die die Identität des Lieblingsjüngers respektive Petrus' bestimmen. 2) Die Personen sind nicht mehr dazu da, Christi Bedeutung hervorzuheben, sondern Christus ist dazu da, die Bedeutung des Lieblingsjüngers und Petrus' für die nachösterliche Zeit festzusetzen. 3) Somit ist 16 die zentrale Absicht der Erzählung die, das Verhältnis der beiden Jünger zueinander bzw. ihre jeweilige kirchliche Funktion zu definieren. 4) Der Tod, der im Zentrum der Reflexion steht, ist nicht mehr Jesu Tod, sondern Petrus' Märtyrertod und der Tod des Lieblingsjüngers. Das Fazit ist klar: Der Epilog ist als Epilog zu lesen, d. h. als eine Stellungnahme zur Erzählung, die aufzeigt, welche Stellung das Evangelium in der Kirche beanspruchen soll. 5 Der implizite Autor Die Analyse der joh Ostergeschichte hat gezeigt, dass die Erzählung aus einer Reihe von literarischen und theologischen Entscheidungen hervorgeht. Die Summe dieser verschiedenen Entscheidungen, die sich im Text objektivieren, ergibt den »impliziten Autor«. Wodurch ist der implizite Autor in J oh 20 gekennzeichnet? 5.1 Der implizite Autor in Joh 20 ist allgegenwärtig. In keiner der erzählten Szenen ist er abwesend. Er befindet sich bei Maria, die allein beim Grab steht, er läuft mit Petrus und dem Lieblingsjünger und gesellt sich sogar zu den Jüngern, die die Türen verschlossen und sich von der Aussenwelt sorgfältig abgeschirmt haben. Aber der implizite Autor ist nicht nur allgegenwärtig, sondern auch allwissend. Er weiss mehr als die Personen der erzählten Szenen. Von vornherein weiss er, was Maria von Magdala nicht weiss, nämlich dass der vermeintliche Gärtner in Wirklichkeit Jesus ist. Er kennt die inneren Gedanken der Personen. Obwohl der Lieblingsjünger kein öffentliches Glaubensbekenntnis ablegt, weiss er, dass dieser gesehen und geglaubt hat. Er ist kein historischer Zeuge im üblichen Sinn, denn er kennt den verborgenen Sinn der sich abspielenden Ereignisse. 5.2 Das Tempus der Verben signalisiert, dass wir es mit einer retrospektiven Erzählung zu tun haben. Dies ist insofern von Bedeutung, als erst eine abgeschlossene und rückblickend erzählte Geschichte ihren Sinn voll zum Ausdruck bringen kann. Die Abschiedsreden (14,12) oder das letzte Wort des joh Christus am Kreuz (19,30) deuten darauf hin, dass der implizite Autor sehr wohl 17 ,.! ean Zumstein Die johanneis(: he Ostergeschichte weiss, dass der Sinn des erzählten Geschehens erst im Rückblick, in der Anamnese 1 5, entsteht. Dann stellt sich die Frage: Welche Erzählperspektive nimmt der implizite Autor in seiner retrospektiven Erzählung der Geschichte Jesu ein? Der Abschluss 20,30-31 zeigt deutlich, dass die Erzählung unter der Perspektive des christologischen Glaubens steht, d. h. der implizite Autor Glauben an Jesus Christus bewirken will. Insofern identifiziert sich der implizite Autor mit der Perspektive des joh Christus, die er vorbehaltlos vertritt. Joh 20 z.B. zeigt, dass der einzige Gewinn, die echte Seligkeit (vgl. 20,29), darin besteht, den joh Osterglauben zu finden. 5.3 Besteht aber die vom impliziten Autor vertretene Erzählperspektive zu recht? Wie kann der Leser sicher sein, dass die zu lesende Erzählung »glaubenswürdig« ist? Kennt der Leser den Epilog, so weiss er, dass die Stimme des Erzählers ein Gesicht hat, nämlich dasjenige des Lieblingsjüngers (21,24). Nun entdeckt dieser Leser rückblickend, dass sich der Erzähler in J oh 20 selbst inszeniert, wie er das schon beim letzten Mahl (13,23) oder am Kreuz (19,26) getan hat. Die Art und Weise, wie er als Person in der Erzählung auftritt, hebt seine Autorität hervor. Hat nicht er am Ostermorgen den Wettlauf zum Grab gewonnen? Wird damit seine Liebe zu Jesus nicht endgültig unter Beweis gestellt? Hat nicht er das leere Grab gesehen? Ist damit seine Augenzeugenschaft nicht garantiert? Hat nicht er ohne Hilfe der Schrift gesehen und geglaubt? Weist ihn dies nicht als unübertrefflichen Interpreten der Geschichte J esu aus? In Joh 20 errichtet der implizite Autor sich selbst ein Monument, das für die Autorität seiner Erzählung bürgt. 6. Der implizite Leser Der implizite Autor fasst seine Erzählung als ein Kommunikationsgeschehen auf. Er richtet sich an einen Leser, d. h. er macht sich von seinem Leser ein Bild und schreibt dieses der Erzählung ein. Das in den Text eingeflochtene Bild des Lesers wird mit dem Begriff »impliziter Leser« bezeichnet. ZNT 3 (2. Jg. 1999) 6.1 Die Umrisse des impliziten Lesers stehen stets in Beziehung zur Identität der ersten Adressaten der analysierten Schrift. Z.B. wird in unserem Kapitel eine gewisse Kompetenz seitens des Lesers vorausgesetzt: Er kann Griechisch und kennt die jüdische Bibel, den jüdischen Kalender und die palästinensischen Trauersitten. Er kennt die Personen der Erzählung und weiss, dass sie die Juden fürchten und dass sie sich am ersten Tag der Woche versammeln. Es ist ihm bekannt, dass sich gegen die Auferstehung Jesu eine Polemik erhoben hat, dass Engel existieren, usw. 6.2 Wichtiger als diese vorausgesetzte Kompetenz aber ist der Vertrag, den der implizite Autor seinem Leser vorschlägt. Dieser Lektürevertrag zeigt sich insbesondere in der Gestaltung des Plots und im expliziten oder impliziten Kommentar. Der Abschluss des Evangeliums lässt den Inhalt dieses Vertrags klar hervortreten. Durch die Lektüre des Evangeliums soll der Leser zum Glauben kommen. Aber wie ist dieses Zum-Glauben- Kommen näher bestimmt? Es geht um den Übergang vom Unglauben zum Glauben, aber nicht in dem Sinn, dass der Leser ein zu bekehrender Heide wäre, sondern im Sinne von Thomas. Thomas' Zweifel richtet sich nicht auf die österliche Erscheinung als solche (die joh Jünger zweifeln nicht an der Realität der Erscheinung, wenn der Auferstandene zu ihnen kommt; anders verhält sich dies bei Mt oder Lk). Es geht um die Glaubwürdigkeit des österlichen Kerygmas, das den Anspruch erhebt, die unmittelbare Erscheinung des Auferstandenen zu ersetzen. Diese Problematik ist typisch für die Christen der zweiten und späteren Generation. Wie bleibt Glaube weiterhin möglich, wenn die Zeit der Inkarnation und die Zeit der Erscheinungen der Vergangenheit angehören? Der Leser wird dazu aufgefordert, sein Nicht-Sehen nicht als Defizit, sondern als Vorteil zu betrachten. Er kann sich von der theologischen Tragweite und der Berechtigung dieses Vorteils überzeugen, indem er die Wege einschlägt, die die Personen der Erzählung gegangen sind. Mit dem Lieblingsjünger lernt er, allein angesichts des leeren Grabes zu glauben. Mit Maria von Magdala wird er dazu aufgefordert, Jesus zu seinem Vater auffahren zu lassen, d. h. ihn zu verlieren, um ihn in einer anderen Gestalt wiederzugewinnen. So ZNT 3 (2. Jg. 1999) entdeckt er, in welcher Weise nach der Erhöhung eine neue Beziehung zu Christus und zu Gott möglich ist. Diese neue Beziehung wird in der Begegnung zwischen dem Erhöhten und den Jüngern mit der Gabe des Heiligen Geistes und der Vergebungsvollmacht inhaltlich gefüllt. Fazit: Joh 20 vertritt eine Stufenhermeneutik, die den Leser von einem elementaren zu einem tieferen Verständnis der Auferstehung und so zum im joh Sinn echten Osterglauben führt. 7. Schluss Dieser Vortrag versuchte, in aller Kürze ein Beispiel der narratologischen Lektüre zu geben. Das hermeneutische Anliegen dieser Lektüre lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass es ihr in erster Linie um die Erforschung der »Welt des Textes« geht. Paul Ricoeur schreibt: »Was ich mir schliesslich aneigne, ist ein Entwurf von dieser Welt; dieser findet sich nicht hinter dem Text als dessen verborgene Intention, sondern vor dem Text als das, was das Werk entfaltet, aufdeckt und enthüllt. Daher heisst Verstehen Sich-Verstehen vor dem Text. Es heisst nicht, dem Text die eigene Begrenztheit des Verstehens aufzuzwingen, sondern sich dem Text auszusetzen und von ihm ein erweitertes Selbst zu gewinnen, einen Existenzentwurf als wirklich angeeignete Entsprechung des Weltentwurfs. Nicht das Subjekt konstituiert also das Verstehen, sondern so wäre wohl richtiger zu sagen das Selbst wird durch die ,Sache< des Textes konstitutiert.« 16 Anmerkungen 1 Vgl. M. A. Powell, What Is Narrative Criticism? Guides to Biblical Scholarship, Minneapolis 1990; G. Genette, Die Erzählung, München 1994. 2 Vgl., z. B.J. Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 11-21, (ÖTBK 4/ 2) Gütersloh und Würzburg 31991, 714-720. 3 Zum joh Plot vgl. R. A. Culpepper, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, (Foundations and Facets: New Testament) Philadelphia 1983, 77-98. 4 Vgl. J. Zumstein, Das Evangelium: Eine Strategie des Glaubens, ThBeitr 28 (1997) 350-363. 5 Vgl. die Analyse von M.W.C. Stibbe, John, (Readings: A New Biblical Commentary) Sheffield 1993, 202-203. 18 Jean Zumstein Die johanneische Ostergeschichte 6 Vgl. z.B, Ch. Dietzfelbinger, Johanneischer Osterglaube, (ThSt 138) Zürich 1992, 7. 11 Vgl. Genette, Erzählung, 21-114. 12 Vgl. Culpepper, Anatomy, 152-202. 7 Vgl. Stibbe, John, 203-204, der die »elusiveness of the risen Jesus« hervorhebt. 13 Vgl. z.B. Becker, Johannes II, 716.721-722; Dietzfelbinger, Osterglaube, 12. 8 Indem Maria von Magdala den Auferstandenen »Rabbuni« nennt (der implizite Autor übersetzt diesen Titel mit »Meister«), setzt sie ihn mit dem irdischen Jesus gleich. 14 Zu dieser Frage, vgl. J. Zumstein, La redaction finale de l'evangile selonJean (a l'exemple du chap. 21), in: ders., Miettes exegetiques, (MoBi 25) Geneve 1991, 253-279. 9 Mit R. Buhmann, Das Evangelium des Johannes, (KEK II) Göttingen 10 1941, 533, der zu recht bemerkt, dass die Partikel noch nicht »im Grunde nicht von Jesus, sondern von Maria« gilt. 15 Zur joh Anamnese, vgl. J. Zumstein, Memoire et relecture pascale dans l'evangile selon Jean, in: ders., Miettes exegetiques, 299-316. 10 Der erste Teil des Makarismus (V. 29a) setzt das Sehen - und nicht das Anrühren mit dem Glauben in Verbindung. 16 P. Ricoeur, La fonction hermeneutique de la distanciation, in: ders., Du texte a l'action. Essais d'hermeeneutique II, Paris 1986, 116-117. 19 Kontakte - Beiträge zum religiösen Zeitgespräch Bernd Jochen Hilberath (Hrsg.) Dimensionen der Wahrheit Hans Küngs Anfrage im Disput Kontakte 7, 1999, 114 Seiten, DM 26,80/ ÖS 196,-/ SFr 26,80 ISBN-3- 7720-2526-9 1970 sorgte Hans Küng mit seinem Buch "Unfehlbar? Eine Anfrage" zwei Jahre nach Erscheinen der Enzyklika "Humanae vitae" zur Frage der Geburtenregelung für eine intensive Diskussion. Nach dem Entzug der Lehrerlaubnis ebbte die Debatte rasch ab, ohne daß die Sachfragen gelöst waren. Seit einigen Jahren sorgen vatikanische Behörden für neue Brisanz in der Frage nach dem Verhältnis von Gottesvolk, wissenschaftlicher Theologie und bischöflich-päpstlichem Lehramt. Wie wird Wahrheit in der Kirche gesucht und gefunden? Wer hat welche Kompetenz? Läßt sich Wahrheit überhaupt endgültig finden oder gar "unfehlbar" in "irreformablen" Definitionen festsetzen? Kollegen Hans Küngs leisten mit diesem Diskussionsband ihren Beitrag zur möglichen Rehabilitierung, indem sie die Anfrage erneut aufgreifen und in eine umfassende Perspektive hineinstellen: Sie diskutieren die Wahrheitsfrage, indem sie den Dimensionen der Wahrheit in Philosophie, Religion, christlicher Dogmatik und theologischer Ethik sowie in der Kunst nachspüren. Das vom Herausgeber auf einem Studientag zu Ehren von Hans Küng präsentierte Modell innerkirchlicher Kommunikation wurde als wegweisend für die weiteren Debatten akzeptiert. Zuletzt in der Reihe Kontakte erschienen: Arno Schilson Medienreligion Zur religiösen Signatur der Gegenwart Band 5, 1997, VIII, 230 Seiten, DM 39,80/ ÖS 291,-/ SFr 39,80 ISBN 3-7720-2524-2 Otto Baur / Michael Kessler (Hrsg.) Christus erkennen Ein Glaubensgespräch in Malbriefen von Wilhelm Geyer und Werner Oberle Band 6, 1997, 164 Seiten, DM 34,80/ ÖS 254,-/ SFr 34,80 ISBN 3-7720-2525-0 A. Francke Verlag Tübingen und Basel PF. 2560 · D-72015 Tübingen ZNT3 (2.Jg. 1999) Wolfgang Kraus Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus. Uberlegungen zur neueren Diskussion* 1. Im Jahr 1992 erschien ein Buch mit dem Titel: ,Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann<. Der Autor vertritt darin die These, die Bibel sei insgesamt ein archaisch-gewalttätiges und zutiefst inhumanes Buch, und dies werde vor allem durch die neutestamentliche Glaubenstradition vom Tod Jesu als eines Gott versöhnenden blutigen Menschenopfers deutlich. 1 In einem Aufsatz über den Gekreuzigten als Problem feministischer Theologie aus dem Jahr 1995 stellt Monika Schwinge fest: »Feministische Kritik entzündet sich schließlich ganz besonders an der Kreuzestheologie, in der die Heilsbedeutung des Todes Jesu entfaltet wird. Kritisiert wird das Gottesbild und das Menschenbild, das darin zum Ausdruck komme, und das Sünden- und Erlösungsverständnis.«2 In der Kreuzestheologie erscheint feministischen Theologinnen das Bild von Gott, dem patriarcharlischen Herrscher, als besonders unerträglich: Gott werde dargestellt als der, der der Opferung seines Sohnes bedürfe, damit für die Sünden der Menschen Genugtuung geleistet werde und Versöhnung mit den Menschen ermöglicht würde. Das Bild eines sadistischen Herrschers werde hier gezeichnet. In einer Habilitationsvorlesung an der Ruhr- Universität Bochum aus dem Jahr 1996 führt Werner Zager aus: »Die Vorstellung, daß vor rund 2000 Jahren ein Mensch zur Sühne für unsere Schuld am Kreuz gestorben sein soll, erscheint heute immer mehr Menschen fragwürdig.« 3 Es sei »für den Menschen seit dem Zeitalter der Aufklärung ein inakzeptabler Gedanke, daß Jesus vor zwei Jahrtausenden in seinem Kreuzestod Schuld und Strafe aller Menschen der damals lebenden, der damals bereits verstorbenen und der künftigen, also auch heutigen auf sich genommen und beseitigt haben soll.« 4 Im Deutschen Pfarrerblatt von 1997 findet sich eine breite Diskussion zum Thema der Interpretation des Todes Jesu. Sie wurde ausgelöst durch einen Artikel von Jochen Vollmer, in dem das im Sühnegedanken implizierte Gottesverständnis kritisiert wurde: »Die Deutung des Todes Jesu als Sühnetod impliziert, daß Gott die Sühneordnung ZNT 3 (2.Jg. 1999) und die Ermordung seines Sohnes als Sühne letztlich gewollt und verfügt hat.« 5 Sie besagt »daß Gott letztlich nicht souverän und in sich gespalten ist. Der liebende Gott, für den sich Jesus verbürgt hat, muß ein Opfer grausamster Gewalt fordern, damit seine Liebe zu uns Sündern wirksam werden kann. Gott ist ein unendlich liebender und barmherziger und zugleich weil er gemäß dem Sühnedenken und seiner Heiligkeit auf der Strafe bestehen muß ein unendlich grausamer und gewalttätiger Gott.« 6 Die Mehrzahl der im Deutschen Pfarrerblatt zu Wort gekommenen Autoren läßt die Schwierigkeiten erkennen, die für Pfarrer mit der Interpretation des Todes Jesu als Sühnetod verbunden sind. Und dies nicht nur angesichts der Problematik, daß ein heutiger Mensch sich mit dem Verständnis der alttestamentlichen Opfer schwer tut, sondern gerade deshalb, weil man aus theologischen Gründen das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen des alttestamentlichen Sühnekultes ablehnt. 7 Sieht man diese auf breiter Front vorgetragene Kritik am Verständnis des Todes Jesu als Sühnetod, so fragt man sich, was einen Theologen noch bewegen könnte, an diesem Paradigma weiterhin festzuhalten. Es gibt freilich auch die Gegenposition. Nach Peter Stuhlmacher bedeutet die Ablehnung der Deutung des Todes Jesu als Sühnetod letztlich eine Abwendung vom >articulus stantis et cadentis ecclesiae<, dem protestantischen Artikel von der Rechtfertigung. Stuhlmacher sieht in der Kritik an Opfer und Sühne das Symptom dafür, daß die Theologie im Begriffe steht, sich von ihren biblischen Wurzeln zu lösen. Er ist der Meinung, daß der Sachgehalt des neutestamentlichen Kreuzesgeschehens uns nur in der Sprachgestalt des neutestamentlichen Zeugnisses zugänglich sei, weshalb der, der sich vom neutestamentlichen Text und seiner Gestalt zu lösen versuche, sich auch von der Sache löse, die die biblischen Schriften bezeugen. 8 2. Neben der hermeneutisch-prinzipiellen Infragestellung des Todes J esu als Sühnetod findet 20 Wolfgang Kraus Professor Dr. Wolfgang Kraus, geboren 1955 in Würzburg. Studium der ev. Theologie in Neuendettelsau, Heidelberg, Göttingen und Erlangen. Von 1980-1990 Vikar und Pfarrer in der Ev.- Luth. Kirche in Bayern. Danach Assistent bei Jürgen Roloff in Erlangen. Lehrstuhlvertretungen in Bayreuth und Jena. Seit 1996 Professor für Biblische Theologie und ihre Didaktik an der Universität Koblenz-Landau, Abt. Koblenz. sich in der gegenwärtigen Diskussion noch eine zweite Ebene, die ich als exegetisch-historisch bezeichnen möchte. Es geht um die exegetische Frage, welchen Stellenwert die kultische Opfervorstellung bei der Explikation des Todes Jesu für die neutestamentlichen Autoren, insbesondere Paulus, hat. Im Gefolge der Arbeiten von Eduard Lohse, Ernst Käsemann und anderen galt die kultische Sühne als für die paulinische Theologie wenig relevant. 9 Auch Cilliers Breytenbach hat in seiner 1990 unter dem Titel >Versöhnung, erschienenen Arbeit dafür plädiert, die paulinische Rede von der Versöhnung nicht im Kontext kultischer Sühne zu verstehen. 10 Freilich findet sich auch hierzu die Gegenposition. So ist etwa Ulrich Wilckens in seinem Römerbriefkommentar der Meinung, daß Sühne und Rechtfertigung, Lebenshingabe J esu für uns und Versöhnung nicht voneinander zu trennen seien, daß vielmehr »die kultische Sühnevorstellung durchweg der Horizont (sei), unter dem der Tod Christi in seiner Heilsbedeutung im Urchristentum gedacht (werde).« 11 Wir haben es also im folgenden im Grunde mit drei Fragenkreisen zu tun: Einmal mit der grundsätzlichen Frage der Bedeutung von Opfer und Sühne in der Bibel. Zum anderen mit der Frage, inwieweit kultische Sühnevorstellungen für die 21 paulinische Theologie relevant sind. Und schließlich mit der Frage, inwieweit und wenn ja wie die biblische Kategorie der Sühne zur Explikation des Todes Jesu heute noch von Bedeutung ist. 1. Opfer und Sühne in der Bibel 1. Beim Abschluß der Sintflutgeschichte im akkadischen Gilgameschepos bringt der gerettete Utnapischtim ein Opfer dar: »Je sieben Räucherschalen stellte ich hin/ (und) füllte sie mit Rohr, Zeder und Myrte./ Es rochen die Götter den Duft. / Die Götter rochen den süßen Duft, / wie Fliegen scharten sich die Götter um den Opfernden ... « 12 Hier ist der Mensch der aktiv Handelnde. Er wirkt mit seinem Opfer auf die Götter ein. Ganz anders verhält es sich bei den Sühnopfern im Alten Testament: Die Vorstellung des Opfers zur Besänftigung der Götter begegnet hier nicht mehr. Es findet sich höchstens noch ein Nachklang in der umstrittenen Wendung, die bei manchen Opfern auftaucht, wenn es heißt, sie waren Gott ein >lieblicher Geruch" ein >Beruhigungsduft,. Nach Gerhard von Rad hat die alttestamentliche Opfertheorie mit dieser urtümlichen Vorstellung aus der Umwelt nichts mehr zu tun. 13 Anders hatte noch Ludwig Köhler geurteilt: Der priesterliche Kult sei »eine Anstalt, das zu leisten, was zur Beschwichtigung Gottes dient.« 14 Der Kult des Alten Testaments sei »ein zäher, kniffliger, entsagungsvoller, verzweifelter Versuch des Menschen, sich das Heil nicht zu erzwingen, dazu ist die Furcht vor Gott, das Verständnis seiner Heiligkeit zu groß, aber zu verdienen.« 15 Dieses Urteil von Ludwig Köhler galt lange Zeit als maßgeblich in der protestantischen Theologie. Eine neue Sicht der Dinge ergab sich im Anschluß an Gerhard von Rad und Roland de Vaux und in deren Nachfolge Klaus Koch, Rolf Rendtorff, Hartmut Gese und BerndJanowski. 16 2. Vor allem Bernd Janowski hat eine Forschungsepoche bündelnd nachgewiesen, daß Sühne nach priesterschriftlichem Verständnis als Heilsgeschehen zu beurteilen sei. Der Sühnekult ist demnach eine Stiftung Gottes, durch welche die Begegnung des unheiligen Volkes mit dem heiligen Gott wieder ermöglicht wird. Sühne, so hat vor Janowski schon Gese formuliert, sei »Lebenshingabe an das Heilige« 17, »ein Zu-Gott- Kommen durch das Todesgericht hindurch«. 18 Von elementarer Bedeutung ist dabei das Ver- ZNT 3 (2. Jg. 1999) ständnis von Lev 17,11: »Denn das Leben des Fleisches ist im Blut und ich habe es euch für den Altar überlassen, damit es für eure Seelen (d. h. persönlich) Sühne schaffe. Denn das Blut ist es, das durch das (in ihm enthaltene) Leben sühnt.« D. h.: das Blut ist eine Gabe Gottes für den Altar. Es ist dem Genuß entzogen. Es geht um eine heilvolle Setzung Gottes, aus der die Sühnewirkung des Blutes resultiert. Die Darbringung des Opfertieres, die einzige »Leistung« des Menschen beim Opfer, gründet demnach in einer Gabe Gottes und stellt nicht eine selbständige Aktion des Menschen dar. Nichts widerspricht Ludwig Köhlers Ansicht mehr, als Lev 17,11. Schon von hier aus wäre also den anfangs genannten Positionen, die im Opfer eine sadistische, das Gottesbild verzerrende Sache sehen, der Boden entzogen. Objekt der Sühne im Alten Testament ist nicht Gott, der ein blutiges Opfer braucht, sondern der Mensch. Gott ist vielmehr Subjekt, er hat die Opfer eingesetzt, um Menschen rituell von Sünde zu befreien und den Unheilszusammenhang zwischen sündiger Tat und Tatfolge zu unterbrechen. Dies läßt sich im Detail am Sühnopferritus nachweisen. Bei den Sühnopfern, wie sie uns Lev 4 und 5 geschildert werden, lassen sich folgende Grundbestandteile unterscheiden: Das Herbeibringen des Tieres, die Handaufstemmung mit dem Sündenbekenntnis, die Schlachtung, der Blutritus und das Verbrennen der Fettstücke auf dem Brandopferaltar. 3. Fragt man nach der Logik des Sühnopfers, also danach, wie das Sühnopfer »funktioniert«, so gibt es in der Gegenwart eine lebhafte Diskussion, die sich vor allem um den Blutritus und die Handaufstemmung dreht. M.E. sind die stärkeren Argumente auf seiten derer, die den Blutritus beim Sühnopfer als zeichenhafte Lebenshingabe an das Heilige (Gott) verstehen und die Handaufstemmung als Identifikation des Opfernden mit dem Opfertier. Die Funktion des Rituals könnte damit am besten als rituelle Existenzstellvertretung bezeichnet werden. Zwei Positionen stehen sich einander gegenüber, beide gehen jedoch übereinstimmend davon aus, daß der Blutritus zentrale Bedeutung hat. a) Nach Bernd Janowski bedeutet dieser Ritus die zeichenhafte Lebenshingabe an das Heilige (Gott). Das Sühnopfer könnte damit in seiner ZNT 3 (2.Jg. 1999) Funktion bezeichnet werden als rituelle Existenzstellvertretung. Daß das Sühnopfer, so wie es uns heute vorliegt, eine ritualgeschichtliche Entwicklung durchlaufen hat, steht dabei außer Frage. Entscheidend ist, daß es jetzt eine kultische Entsühung des Opfernden darstellt. 19 b) Dagegen hat Jakob Milgrom eingewandt, das Sühnopfer sei im Grunde kein Ritual zur Entsühnung von Menschen, sondern ein Reinigungsritus für das Heiligtum. Und zwar werde durch den Blutritus das Heiligtum von den Sünden gereinigt. 20 Das Wesen kultischer Sühne besteht also nach Milgrom in der Beseitigung von Sünde, näherhin der Reinigung von Tempel und Altar, wohingegen Janowski stärker die zeichenhaft-reale Lebenshingabe des Opfernden an das Heiligtum betont. Lassen sich beide Sichtweisen in Beziehung setzen oder stehen sie sich mit Ausschließlichkeitsanspruch einander gegenüber? Um hier weiterzukommen, muß nach der Funktion der Handaufstemmung gefragt werden. Hier stehen drei grundsätzliche Möglichkeiten zur Debatte. 21 a) Lange Zeit wurde die Handaufstemmung im Sinn einer Sündenübertragung gedeutet. D. h. sie wäre ein Eliminationsgestus. 22 b) Die andere Möglichkeit ist, daß es sich um einen Identifikationsgestus handelt. 23 Das Hauptargument für das Verständnis als Identifikationsgestus besteht darin, daß die Hand nicht auf den Rücken, sondern auf den Kopf des Tieres aufgestemmt wird. Es bedeutet daher eine Identifikation des Opfernden mit seinem Opfertier, d. h. eine Subjektübertragung und keine Objektabladung. Dies geht auch aus dem übrigen Gebrauch von Handaufstemmungsgesten im Alten Testament hervor. Die einzige Ausnahme im Alten Testament, wo es sich bei der Handaufstemmung um einen Eliminationsgestus handelt, ist die beim Asaselbock in Lev 16. Nur hier werden Sünden auf dem Tier abgeladen und dann von diesem Bock aus dem Lager hinausgetragen. Die Handaufstemmung erfolgt hier jedoch mit zwei Händen und nicht mit einer, wie beim Sühnopfer. Beim Sühnopfer bedeutet dagegen das Aufstemmen der Hand die Identifikation mit dem Tier. c) R. Rendtorff ist dafür eingetreten, daß es sich bei der Handaufstemmung nicht um einen Eliminationsgestus handelt, aber auch nicht um 22 eine Identifikation, sondern neutraler um die Deklaration des Besitzrechtes. 24 Dies muß m. E. jedoch nicht in einem ausschließlichen Gegensatz zur Identifikation stehen. 25 d) Zum Verständnis des alttestamentlichen Sühnopfers ist noch eine weitere Unterscheidung notwendig. Die im Alten Testament berichteten Sühnopfer enthalten nicht alle die Handaufstemmung. Es werden Sühnopfer angeordnet - und diese sind nach Rendtorff und Janowski ritualgeschichtlich sogar älter -, in denen keine Handaufstemmung erfolgt, so in Ezechiel 43 und 45 bei der Neuweihe des Altars bzw. des Heiligtums. D. h. - und hier dürfte es sich dann in der Tat um ein Reinigungsopfer handeln es muß also unterschieden werden zwischen einem Sühnopfer zur Personsühne und einem Sühnopfer zur Heiligtumssühne.26 Doch ganz gleich, welche Funktion Blutritus und Handaufstemmung beim Sühnopfer haben, entscheidend bleibt, daß das Objekt der Sühnehandlung der Mensch und nicht Gott ist. Gott ist vielmehr eindeutig Subjekt des Sühnegeschehens, er hat die Sühne gestiftet, er gewährt Sühne und ermöglicht dadurch Vergebung. Dies wird auch deutlich durch die Funktion der Priester: Sie stehen an Gottes Stelle und sprechen dem Sünder, der opfert, die Vergebung zu. Sie sind nicht Mittler des Menschen zu Gott, sondern stehen an Gottes Stelle und handeln an seiner Statt. In der früheren Fehldeutung der atl. Sühneopfer wie auch in der (späteren) Satisfaktionstheorie ist der Genugtuung fordernde Gott das Problem. Er ist das Objekt des Handelns. Bei der alttestamentlichen Sühne ist dagegen die Sünde als tödliche Macht das Problem; sie wird beseitigt, indem stellvertretend ein Tier stirbt. Es geht also um die symbolisch vollzogene Hingabe des ,Homo Peccator<. 2. Die Bedeutung kultischer Sühne für die paulinische Theologie Daß es im Neuen Testament eine Interpretation des Todes Jesu auf dem Hintergrund kultischer Sühne gibt, kann von niemandem bestritten werden. Vor allem der Hebräerbrief spricht hier eine absolut eindeutige Sprache. Er ist nur verstehbar auf dem Hintergrund des jüdischen Rituals, das 23 am großen Versöhnungstag, dem Jom Kippur, vollzogen wird. Die Frage stellt sich jedoch, welchen Stellenwert kultische Sühneaussagen im Neuen Testament haben, ob sie eher essentiell oder nur akzidentiell sind. Zudem fragt es sich, wie es zur Interpretation des Todes Jesu als Sühnetod kam. Hat Jesus selbst seinen Tod schon so verstanden? Und wie ist das bei Paulus: Benutzt er wirklich die Vorstellung kultischer Sühne um die Bedeutung des Todes Jesu zu explizieren? 1. Die Frage, ob Jesus seinen Tod in kultischen Kategorien verstanden hat ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt im Evangelium nach Markus zwei Texte, die für solch eine Deutung in Frage kommen: Mk 10,45, das Lösegeldwort, und die Abendmahlsüberlieferung Mk 14,24-25. Peter Stuhlmacher hat in vielen Arbeiten eine direkte Linie gezogen von der Verkündigung Jesu über den Stephanuskreis bis hin zur Interpretation des Todes Jesu bei Paulus. Er hält das Lösegeldwort für ein authentisches Jesuswort, das dann durch den Stephanuskreis und Paulus interpretierend weitergeführt wurde. 27 Ich bin hier skeptischer. Mk 10,45 ist meines Erachtens eine spätere Zusammenfassung der heilsmittlerischen Sendung Jesu. Das Wort könnte gebildet sein auf Grund der Abendmahlsüberlieferung aus dem Wort vom Dienen, wie es sich in Lk 22,27 findet. Es läßt sich zudem nicht nachweisen, daß der Begriff ,Lösegeld< aus dem Kontext kultischer Sühne stammt. 28 Wie verhält es sich mit der Abendmahlstradition? Gesetzt, die Abendmahlsworte gehen in ihrem Grundbestand auf Jesus zurück, dann bedeutet dies dennoch nicht einfach, daß Jesus seinen Tod im Sinn kultischer Sühne interpretiert hat. Es wäre viel eher an J es 53, das Lied vom Gottesknecht, als Hintergrund zu denken. Dabei hat Jes 53 gerade eine anti-kultische Spitze. Es geht hier auch nicht um ein Sühnopfer, sondern um ein Schuldopfer (Ascham), das den Hintergrund bildet.29 Handelt es sich somit bei der Deutung des Todes Jesu in kultischen Kategorien um ein nachösterliches lnterpretament (so R. Buhmann, E. Käsemann, W Schrage u. a.) oder gibt es noch eine weitere Möglichkeit der Ableitung? 2. Nach meiner Erkenntnis kann die Stellung J esu zum Tempel den Ausgangspunkt für die kultische Interpretation des Todes Jesu bieten. 30 Das Tem- ZNT 3 (2. Jg. 1999) pelwort, das mit der Tempelaktion zusammengehört, geht auf Jesus zurück. Es beinhaltete die Ansage des Endes der alten und die Ankündigung der Errichtung einer neuen Stätte der Begegnung mit Gott. Daß Jesu Tod als Errichtung eines neuen Ortes der Gottesbegegnung verstanden wurde, geht aus verschiedenen neutestamentlichen Texten hervor, u. a. aus dem Zerreißen des Tempelvorhangs. Bei der Ausbildung der Sühnetheologie im Neuen Testament spielen dann die sog. Hellenisten, der Kreis um Stephanus, eine wichtige Rolle. Aus Apg 6 f. wissen wir, daß es über die Stellung zum Tempel in der Urgemeinde zu Auseinandersetzungen kam. Es ist wahrscheinlich, daß die Hellenisten jene Gruppe in der Urchristenheit waren, die dem Tempelkult nicht generell dem Gesetz gegenüber reserviert waren. Dabei läßt sich auch im zeitgenössischen Judentum eine lebhafte Auseinandersetzung um die Frage der Effizienz des Tempelkultes nachweisen. 3. Ein Text, der hier in der Diskussion eine entscheidende Rolle gespielt hat, findet sich in Röm 3,25-26. Paulus zitiert hier wahrscheinlich ein vorpaulinisches Überlieferungsstück. Der Text lautet in seiner jetzigen Fassung: » Ihn hat Gott eingesetzt als Sühneort aufgrund des Glaubens, kraft seines Blutes, zum Erweis seiner Gerechtigkeit, wegen des Aufschubs der vormals zur Zeit der Zurückhaltung Gottes begangenen Sünden; zum Erweis seiner Gerechtigkeit zum jetzigen Zeitpunkt, auf daß er selbst gerecht sei und rechtfertige den, der an Jesus glaubt.« Das von Paulus verwendete Überlieferungsstück war etwas kürzer und hatte vermutlich folgenden Umfang 31 : »Dieser (Christus) wurde eingesetzt als Sühneort kraft seines Blutes wegen des Aufschubs der vormals zur Zeit der Zurückhaltung Gottes begangenen Sünden.« Die Diskussion drehte sich vor allem um den Begriff Sühneort (Hilasterion). 32 Zwei Möglichkeiten der Ableitung stehen zur Wahl: Zum einen aus der Vorstellung des stellvertretenden Sühnetods der Märtyrer wie sie uns in IV Makk 6,28 f. und 17,21 f. begegnet oder die Ableitung aus dem Kontext kultischer Sühne speziell des Rituals am großen Versöhnungstag (Jom Kippur). Auf Grund der überwältigenden Belege aus der Septuaginta und den übrigen antiken Schriften ist es wahrscheinlich, daß der Begriff Sühneort ZNT 3 (2. Jg. 1999) (Hilasterion) in Anlehnung an Lev 16 und Ez 43 (und Am 9,1 LXX) den Sühneort bezeichnet und nicht aus der Märtyrervorstellung abzuleiten ist. Der einzige Beleg, der in eine andere Richtung geht, IV Makk 17,21 f., stammt wohl erst aus der Zeit nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. Die Vorstellung vom sühnenden Märtyrertod ist somit ein Theologumenon, das in einer Zeit seine Wurzeln hat, in der der Jerusalemer Tempel entweiht war; sie kommt zu ihrer vollen Ausbildung erst nach der Zerstörung des zweiten Tempels. D. h., die Vorstellung vom sühnenden Märtyrertod ist im Judentum zu einer Zeit ausgebildet worden, als der Tempelkult entweder zweifelhaft oder obsolet geworden war. Das vorpaulinische Überlieferungsstück Röm 3,25 f. ist am besten zu verstehen aus der Auseinandersetzung um die Effizienz des Tempelkultes in der Urchristenheit. Die Überlieferung besagt, daß Gott Jesus zum neuen, endzeitlichen Ort der Sühne gemacht hat. Dieser Ort wurde durch das Blut Jesu eingeweiht. Hier kommt eine Überlegung zum Tragen, die wir im Zusammenhang der Frage nach dem Blutritus bei den Sühnopfern schon angesprochen haben: Es gibt Sühnopfer zur Entsühnung von Personen und zur Entsühnung des Heiligtums. 33 Kraft des Blutes Jesu wurde ein neuer Ort der Sühne eingeweiht. Hilasterion meint den Ort der Sühne, der Epiphanie und der Präsenz Gottes. Die vorpaulinische Formel besagt also, daß Jesu Kreuzestod die Einsetzung des endzeitlichen Heiligtums bedeutet, und daß die vorher, in der Zeit göttlichen Zuwartens, begangenen Sünden, die bisher nur aufgeschoben waren, dadurch endgültig beseitigt sind. Im Kontext einer im Frühjudentum vorhandenen Erwartung eines neuen, endzeitlichen Tempels wird der Tod Jesu als Errichtung eines Ortes der Sühne, Präsenz und Epiphanie Gottes verstanden. Wir könnten auch sagen: Der eschatologische Jom Kippur hat am Karfreitag stattgefunden. 4. Bislang haben wir noch über das vorpaulinische Überlieferungsstück nachgedacht. Wie hat nun Paulus selbst die kultische Sühnevorstellung aufgenommen? Ich will hierzu auf Röm 3,25 f. im Kontext von 3,21-26 eingehen und schließlich II Kor 5, 14-21 interpretieren. Zu Röm 3,21-26 34 : Der kultische Kontext ist durch die Verwendung des vorpaulinischen Überlieferungsstückes evident. Zentrales Thema von Röm 3,21 ff. ist je- 24 doch das Offenbarwerden der Gerechtigkeit Gottes. Dies geschieht auf dem Hintergrund der Bezeugung der Gottesgerechtigkeit durch Gesetz und Propheten. Zur Erläuterung zieht Paulus eine Sühneaussage heran, in der es um die Weihe des endzeitlichen Heiligtums ging. In Anknüpfung daran bedeutet der Kreuzestod J esu den endzeitlichen Versöhnungstag für alle Sünden. Im Todesgeschick J esu ist der Ort zu finden, an dem Gott sich endgültig zeigt, an dem vollkommene Sühne geschieht und an dem Gott präsent ist. Die Gerechtigkeit Gottes ist somit sichtbar geworden als Gottes Wesen wie auch als Gottes Handeln. Im Kreuz Jesu tritt das Gott-Sein Gottes in seinem tiefsten Grund zutage als Heiligkeit und Liebe, als Richten und Vergeben, als seine Gerechtigkeit. Dabei setzt Paulus gegenüber der vorpaulinischen Überlieferung drei wichtige Akzente: Er betont ausdrücklich, daß es um ein Handeln Gottes geht. Zum anderen betont Paulus den Glaubensaspekt: Jesus ist ein Sühneort aufgrund des Glaubens. Und Paulus betont schließlich den gemeindlichen Aspekt: Mit der Einsetzung Jesu zum endzeitlichen Heiligtum ist auch die Gemeinde der Gerechtfertigten eingesetzt. 5. Auf zwei weitere Texte im Römerbrief, hinter denen sich die kultische Sühnevorstellung finden läßt, gehe ich jetzt nicht näher ein. Nur zwei kurze Bemerkungen: In Röm 5,1-11 heißt es, daß die Glaubenden durch das Blut Christi gerechtfertigt und daher mit Gott versöhnt seien. ,Blut Christi, spielt hier auf die kultische Sühne an. Die Sühne ist damit die Basis für die Versöhnung. Auch Röm 8,2 f. wäre hier noch zu nennen. Die F ormulierung in Vers 3, wonach Jesus »um der Sünden willen« (peri hamartias) gestorben sei, bezieht sich auf die altestamentlichen Sühnopfer. Peri hamartias kann auch im technischen Sinn als Begriff für ,Sühnopfer< verstanden werden. 35 6. Etwas ausführlicher soll noch auf II Kor 5,14- 21 eingegangen werden 36 : Zielpunkt der Argumentation ist in jedem Fall die Versöhnung der Menschen mit Gott. Die Basis der Argumentation findet sich in Vers 14: »Wenn einer für alle gestorben ist, dann sind alle gestorben.« Welche Möglichkeiten gibt es, diesen Vers zu verstehen? Einige Exegeten haben versucht, die Vorstellung aus dem Kontext juridischer Stellvertretung zu verstehen. Dann jedoch bleibt die zweite Hälfte des Satzes: »folglich sind alle gestorben«, 25 unklar. Andere Exegeten haben deshalb versucht, den Gedanken der Corporate Personality einzubringen: Hier gehe es darum, daß die vielen durch den einen repräsentiert seien. Wie aus Röm 5,12-21 und I Kor 15,20f. deutlich wird, kennt Paulus dieses Schema der Repräsentation der vielen durch den einen. Diese Vorstellung ist auch aus dem Alten Testament geläufig. Sieht man jedoch genauer hin, so ist der Bezug von II Kor 5 auf Röm 5 bzw. I Kor 15 schief: Dort lesen wir, daß »in Adam« alle sterben, »in Christus« jedoch alle leben. Die Repräsentation hinsichtlich des Sterbens wird hier also an Adam und nicht an Christus festgemacht. Zudem heißt es in Röm 5 und I Kor 15 in Adam bzw. in Christus. Beide Texte sprechen nicht von einem Sterben Christi für (hyper). Das Stichwort »folglich« in Vers 146 bezieht sich jedoch eindeutig auf den Vorsatz »einer ist für alle gestorben«. Vers 146 steht daher in einer logisch-sachlichen Beziehung zu dem »für« (hyper) in Vers 14a. Weder der juridische Stellvertretungsgedanke noch die Vorstellung der Repräsentation der vielen durch den einen ist also geeignet, II Kor 5,14 zu erklären. Ein ganz ungezwungenes Verständnis ergibt sich jedoch, wenn man diesen Vers aus dem Kontext der kultischen Sühne versteht, wonach das Sühnopfertier den Sünder repräsentiert. Nach der Vorstellung des Sühnopfers kommt es zu einem rituellen Sterben des Opferherrn bei der Darbringung des Opfertieres. Als Paralleltexte zu II Kor 5,14 könnte man daher auf Röm 3,25f.; 8,3 und vielleicht auch auf Gal 3,13 verweisen. Was die kultische Sühnevorstellung gegenüber allen anderen Konzeptionen auszeichnet und daher als Hintergrund von II Kor 5,14 empfiehlt, ist die Tatsache, daß im Zentrum der kultischen Sühne ebenfalls der Identitätsgedanke steht. 37 Unterstützt wird diese Interpretation, wenn man Vers 21 noch dazu heranzieht. Die Verse 18- 21 sind geprägt von der Versöhnungsvorstellung. Die Wendung dies alles aber ist von Gott her geschehen bezieht sich zum einen zusammenfassend zurück auf Vers 14-17 und hebt die folgenden Aussagen in einen theozentrischen Zusammenhang. Durch Christus, d. h. durch das Geschehen in Kreuz und Auferstehung hat Gott die Versöhnung verwirklicht. Das bedeutet: Paulus interpretiert jetzt die Sühneaussage von Vers 14 im Kontext der Versöhnung. Dabei ist es durchaus möglich, die paulinische Versöhnungsvorstellung aus dem Kontext des hel- ZNT3 (2.Jg.1999) lenistischen Versöhnungsgesandten abzuleiten, wie Cilliers Breytenbach dies versucht hat. 38 Versöhnung bedeutet die Beendigung eines feindschaftlichen Verhältnisses. Paulus kombiniert hier somit zwei Konzepte: das der kultischen Sühne mit dem vom Versöhnungsgesandten, der zerstrittene Parteien miteinander versöhnt. Die Sühne durch den Tod Jesu ist jedoch bei Paulus nicht nur ein untergeordnetes Interpretament dieser Versöhnungsvorstellung, wie Breytenbach dies verstehen möchte, die Dinge liegen vielmehr umgekehrt! 39 Der Sühnetod Jesu wird von Paulus in II Kor 5,18f. wie auch in Röm 5,10 im Sinn der dadurch vollzogenen Versöhnung zwischen Gott und den Menschen weiterführend interpretiert. Primär ist das urchristliche Verständnis des Todes Jesu als Sühne, die Versöhnung dagegen ist paulinisches Interpretament. 7. Bei alledem geht es nicht um den Versuch, Gott in seinem Zorn umzustimmen. Auch bei der Versöhnung ist Gott der aktiv Handelnde und der Mensch derjenige, der gebeten wird, »laß dich mit Gott versöhnen«. Der Form nach ergeht die Versöhnungsbotschaft also im Modus einer Bitte. Inhaltlich lautet die Versöhnungsbotschaft: »Den, der die Sünde nicht kannte, den hat Gott zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.« In Vers 21a nimmt Paulus erneut die Vorstellung der Stellvertretung auf, die schon in Vers 14 zum Ausdruck kam. In Vers 216, führt Paulus dies jedoch weiter, indem er in der Zielaussage die Kategorie der Gerechtigkeit Gottes einbringt. Die Formulierung, Gott habe Jesus zur »Sünde« gemacht, läßt sich auf zweierlei Weise verstehen40: a) Entweder im Sinn einer Metonymie, d. h. ein abstrakter Begriff »Sünde« wird für einen konkreten Begriff »Sünder« benutzt. Gott hätte also dann Jesus zum Sünder schlechthin gemacht. b) Die andere Möglichkeit besteht darin, das Wort »Sünde« (hamartia) im Sinn des Sühnopfers zu verstehen. Dann also hätte Gott, indem er Jesus zur »Sünde« gemacht hat, ihn de facto zum »Sühnopfer« gemacht. Ich halte diese zweite Möglichkeit für näherliegend. Damit wäre der kultische Kontext erneut unter Beweis gestellt. Ähnlich wie in Röm 3 verwendet Paulus zunächst die kultische Sühneaussage, geht dann jedoch noch einen Schritt weiter, um ZNT3 (2.Jg.1999) das sühnende Handeln Gottes in den Horizont der Gottesgerechtigkeit einzuzeichnen. Wir können somit für Paulus festhalten: Die Interpretation des Todes Jesu im Rahmen kultischer Sühne gehört für Paulus zu den Voraussetzungen seiner Theologie. Die durch J esu Tod geschehene Sühne ist christologische Substanz. Der Tod Jesu als Sühnetod wird dann jedoch eingezeichnet in den Horizont der Gottesgerechtigkeit und damit in der paulinischen Rechtfertigungslehre fortgeführt. Die Rechtfertigungslehre ist somit die von Paulus gezogene Konsequenz aus der Christologie. Paulus bleibt also nicht dabei stehen, den Tod Jesu im Rahmen kultischer Sühne auszusagen, sondern führt diese Aussagen charakteristisch weiter, und zwar: a) Der Tod Jesu ist zugleich die Überbietung und Aufhebung des Kultus. Jesu Tod ist Ziel und Ende des Kultus (Röm 3,25f.). b) Die entscheidende soteriologische Kategorie, auf die es Paulus ankommt, ist die durch Jesus geschehene Stellvertretung. c) Die Sühne, die Jesus vollbracht hat, wird als Versöhnung der Menschen mit Gott verstanden, d. h. in personale Kategorien gehoben. d) Insgesamt steht Jesu Tod als Sühnetod bei Paulus in einem theologischen Kontext: Er bedeutet den Erweis der Gottesgerechtigkeit. Meines Erachtens stellt Röm 3,266 die authentische paulinische Interpretation der Gottesgerechtigkeit dar. Gott ist gerecht und rechtfertigt den, der glaubt. Michael Theobald hat deshalb recht, wenn er aus Röm 3,21-26 das Gottesbild des Paulus zu gewinnen versucht. 41 Und dies gilt freilich auch mit Blick auf die zu Beginn angeführten Kritiker neutestamentlicher Sühnevorstellung. Oder um es mit Hans-Joachim Iwand auszudrücken: Im Sühnetod Jesu wird die Einheit von Gottes Sein und Gottes Schaffen erkannt. 42 3. Die Sühne und die heutigen Hörer der Botschaft Ich komme noch kurz zum dritten Gedankenkreis, der hermeneutischen Frage. 1. Rein äußerlich betrachtet ist dem Tod Jesu die Heilsbedeutung nicht anzusehen. Rein äußerlich betrachtet könnte es sich auch um eine tragische 26 Verkettung mißlicher Umstände handeln, die schließlich dazu führte, daß der Prediger aus Nazaret hingerichtet wurde. Nur von der Auferweckung her kann über die heilvolle Dimension des Todes Jesu überhaupt gesprochen werden. Nur aufgrund des Handelns Gottes an dem Gekreuzigten läßt sich sein Tod als heilvoll begreifen und nur aus dem Nachdenken über die Zusammengehörigkeit von Tod und Auferweckung J esu ergibt sich die soteriologische Qualität. 43 Jesu Tod als Sühnetod steht deshalb auch nicht am Anfang urchristlicher Traditionsbildung, sondern stellt eine fortgeschrittene Reflexionsstufe dar. 2. Um die heilvolle Dimension des Todes Jesu auszusagen, finden sich im Neuen Testament ganz unterschiedliche Vorstellungen und Motive. Nicht immer geht es dabei um die Kategorie der Stellvertretung oder um Motive aus dem kultischen Kontext: Nach dem Johannesevangelium ist Jesus das Lamm, das der Welt Sünde trägt. Nach II Petr 2,1 hat Christus die christliche Gemeinde losgekauft. Nach I Petr 1,18 f. geschah dieser Loskauf nicht mit vergänglichem Gold oder Silber sondern mit dem kostbaren Blut Christi als eines Lammes ohne Fehl und Makel. Nach Kol 2,13-16 hat Christus durch seinen Tod den Schuldschein gegenüber dem Gesetz vernichtet. Nach Apg 5,30 ist Christus der Anführer des Heils. Rudolf Schnackenburg hat daher gefragt, ob der Gedanke des Sühnetodes Jesu der einzige Zugang zum Verständnis unserer Erlösung durch Jesus Christus sei, und er hat diese Frage mit Recht verneint. 44 Der Evangelist Lukas etwa hat das Paradigma des Todes Jesu als Sühnetod zwar gekannt, aber nicht zur Deutung benutzt. Dennoch steht sein Evangelium im neutestamentlichen Kanon. Es ist anzunehmen, daß Lukas um seiner hellenistischen Hörer willen die Vorstellung kultischer Sühne zur Interpretation des Todes Jesu nicht herangezogen hat. Ich würde daraus auch für uns heute folgern, daß im Blick auf bestimmte Adressaten, das Verständnis des Todes J esu als Sühnetod sich als nicht geeignet erweisen könnte. Es könnte also sein, daß der Prediger angesichts mangelnder Erfahrung heutiger Menschen mit kultischen Opfern und auf Grund der Gefahr eines Mißverständnisses mit der Interpretation des Todes J esu als Sühnetod zurückhaltend umgeht. Dieses Vorgehen hat jedoch nichts damit zu tun, den Tod Jesu aus prinzipiellen Erwägungen nicht mehr als Sühne- 27 Wolfgang Kraus Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus tod zu verkündigen, sondern geschieht angesichts des Verstehenshorizontes der heutigen Hörer. Anders verhält es sich hingegen mit der (falschen) Vorstellung der Opfer als Versöhnung Gottes oder mit der Satisfaktionstheorie, die auf Anselm von Canterbury zurückgeht 45 , und deren Auswirkungen sich bis in unsere Bekenntnisschriften niedergeschlagen haben. In Confessio Augustana 3 heißt es, Christus sei »ein Opfer nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden«, er habe »Gottes Zorn versöhnt«. Und in CA 20 lesen wir, er allein sei »der Mittler, um den Vater zu versöhnen«. Solche Aussagen können sich meines Erachtens weder auf die kultische Sühne im Alten Testament noch auf deren Aufnahme im Neuen Testament beziehen. Nach Paulus rettet Christus zwar vor dem endzeitlichen Zorngericht Gottes (vgl. I Thess 1,9f.) aber er versöhnt nicht den zornigen Gott. Solche und ähnliche Aussagen, wie sie sich auch in unseren Kirchenliedern finden, halte ich auf Grund der Einsicht in die biblische Sühnevorstellung für falsch und würde sie daher auch nicht mehr gebrauchen. 3. Die Interpretation des Todes Jesu in Kategorien kultischer Sühne bedeutet keineswegs, daß durch den Tod Jesu ein neuer Kult inauguriert wäre im Gegenteil! Was die neutestamentlichen Interpreten aufnehmen, ist die Symbolik der im Sühnekult begegnenden Stellvertretung und der Unterbrechung des Tat-Folge-Zusammenhangs. Paulus will nicht mit seiner Interpretation des Todes J esu als Sühnegeschehen ein neues Kultdrama etablieren, sondern die Vollendung dessen aussagen, was durch das Kultgeschehen stets beabsichtigt war: die Zurechtbringung des Sünders und die Wiederherstellung des Gemeinschaftsverhältnisses durch Gott. 4. Die Kritiker der Sühnevorstellung führen vor allem zwei entscheidende Punkte an: Zum einen das Gottesbild und zum anderen das Problem der Unvertretbarkeit des Individuums. Das Problem des in der Sühnevorstellung implizierten Gottesbildes scheint mir auf Grund der neueren Forschungen zum Thema Sühne gelöst. Die biblische Sühnevorstellung impliziert nicht das Bild eines sadistischen Herrschers, dem für die Sünden der Menschen Genugtuung geleistet werden muß. Der Gott, der Sühne gewährt, ist kein anderer als der, von dem Jesus im Gleichnis erzählt, der als ein alle Gepflogenheiten über den Haufen wer- ZNT 3 (2. Jg. 1999) fender Vater seinem zerlumpten Sohn entgegenläuft, ihn in die Arme schließt und alle auffordert, sich mit ihm zu freuen über den Heimgekehrten. Der Gott, an den wir glauben, braucht für sich keine Sühne er gewährt sie uns. Insofern haben die eingangs zitierten Autoren die biblische Opfervorstellung zutiefst mißverstanden. Die andere Frage, wie ein vor zweitausend Jahren gestorbener Tod heute für mich von Bedeutung sein kann, ist jedoch noch nicht explizit beantwortet. Die neuzeitliche Schwierigkeit mit der Sühnevorstellung rührt aus dem Axiom der Unvertretbarkeit des Subjekts. Immanuel Kant hat das Problem auf den Begriff gebracht: Stellvertretung im Blick auf Schuld und Strafe der Menschen kann es nicht geben. Die Schuld kann »nicht von einem anderen getilgt werden; denn sie ist keine transmissibile Verbindlichkeit, die etwa, wie eine Geldschuld ... , auf einen anderen übertragen werden kann, sondern die allerpersönlichste, nämlich eine Sündenschuld, die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige, er mag auch noch so großmütig sein, sie für jenen übernehmen zu wollen, tragen kann.« 46 Natürlich gibt es, so lautet die Ansicht der Nachfolger Kants, im täglichen Leben Stellvertretung: Wenn ein anderer mir einen Platz in der Gesellschaft freihält, indem er mich als Vormund oder Anwalt oder Repräsentant gegenüber anderen vertritt. Aber eine Stellvertretung in Sachen Schuld kann es nicht geben, denn die Schuld haftet dem Ich an und keiner kann sein Ich einem anderen abtreten. Denkt man diesen idealistischen - Gedanken zu Ende, so kann es in der Tat aus der so verstandenen Schuld kein Entrinnen geben. Die Schuld wird hier ganz auf die autonome Entscheidung des Schuldigen reduziert. Sie wird sowohl von den Voraussetzungen als auch den Folgen gelöst; von den Taten, die sie ausgelöst haben und von der Gesellschaft an und in der sie sich auswirkt. Sie wird dadurch zu einem rein moralischen Problem. Nach biblischem Verständnis ist jedoch die Schuld kein rein moralisches Problem, sie ist vielmehr die Folge des Versuchs, im Widerspruch zur Schöpfung zu leben. 47 Und in diesem Kontext hat dann auch die Aussage Anselms von Canterbury ihr Recht, wenn er seinem fiktiven Gesprächspartner gegenüber sagt: »Du hast noch nicht bedacht, welches Gewicht die Sünde hat.« Sünde ist mehr als ein moralisches Problem. Christian Link hat deswegen herausgestellt, daß die entscheidende Frage bei der biblischen Stellvertretung gar ZNT 3 (2. Jg. 1999) nicht lautet, »ob Schuld übertragbar« sei oder nicht, »ob sie durch eine fremde Leistung kompensiert oder weggeschafft« werden könne, wie etwas, »das mir wie eine unbezahlte Rechnung oder wie eine Krankheit anhaftet«. 48 Die entscheidende Frage lautet vielmehr nach Christian Link, ob »einer da ist, der sich in dieser Situation mit uns identifiziert, der zwischen uns und unsere Vergangenheit tritt und uns für Gott und die Welt (und darum auch für uns selbst) wieder erträglich macht«. 49 Die biblische Schulderfahrung stellt keinen Gewissenskonflikt dar, sondern reflektiert die Erkenntnis, unter die Sünde als eine Macht versklavt zu sein und deshalb das Leben selber »verwirkt« zu haben. Erst an dieser Stelle bricht das eigentlich theologische Problem der Stellvertretung auf, und erst an dieser Stelle wird deutlich, was der Tod Jesu für uns bedeutet, nämlich die »Aufhebung« des alten Menschen und die Schaffung einer »Neuen Kreatur«. Wer den Tod Jesu als stellvertretenden Sühnetod streicht, der kann auch nicht mehr sagen: »Ich lebe, doch nun nicht mehr ,ich" sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20); der kann auch nicht mehr sagen: »Ist einer in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden« (II Kor 5,17). Wer den Tod Jesu als stellvertretenden Sühnetod streicht, der hat die eschatologische Dimension des Todes und der Auferstehung Jesu preisgegeben. In nur selten erreichter Dichte hat Hans-Joachim ! wand den theologischen Sachverhalt zum Ausdruck gebracht: »So ist also sein Tod mein Tod und meine Sünde ist die seine.« »Sein Tod für uns ist das über uns alle ergangene Todesurteil, aber dieses Todesurteil ist zugleich die Freilegung unseres Lebens von ihm her, ist die ungeheure Verlagerung meiner Existenz aus der Mitte meines Ich-Sein-Wollens hinein in Jesus Christus, so daß ich an ihm ablesen kann, wer ich bin und wohin mein Weg geht.« »Das wirkliche und wahre Wesen, das wir in den Augen und vor dem Angesichte Gottes sind, ... ist in ihm ... Geschichte geworden. «50 Anmerkungen '' Um Anmerkungen erweiterter Vortrag beim Symposion ,Schuld - Vergebung - Neuer Anfang< aus Anlaß des 75-jährigen Bestehens der EVANGELISCH- 28 LUTHERISCHEN THEOLOGISCHEN UNIVERSITÄT BUDA- PEST im Juni 1998. 1 F. Buggle, Denn sie wissen nicht, was sie tun. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann, Hamburg 1992, 131-150. 2 M. Schwinge, Das Ziel verfehlt. Der Gekreuzigte als Problem feministischer Theologie, EK 28 (1995), 161-164: 163. 3 W. Zager, Wie kam es im Urchristentum zur Deutung des Todes Jesu als Sühnegeschehen? Eine Auseinandersetzung mit Peter Stuhlmachers Entwurf einer ,Biblischen Theologie des Neuen Testaments<, ZNW 87 (1996) 165-186: 165. Abgesehen davon, daß Zager die Position Stuhlmachers, mit der er sich auseinandersetzt, dadurch, daß er die hermeneutischen und die exegetischen Fragehorizonte nicht sauber trennt, nicht unverzerrt wiedergegeben hat, gewinnt man den Eindruck, Zager möchte die historisch-kritisch rekonstruierte Verkündigung des ,historischen Jesus< zum Ausschlußkriterium theologischer Aussagen machen (vgl. 184). 4 Zager, a.a.O., 184f. 5 J. Vollmer, Zur Deutung des Todes Jesu, DtPfBI 1997, 119-122: 120. 6 Vollmer, a.a.O., 120. 7 Vgl. J.-D. Reuß, Christozentrische Pluralität. Wie deuten die vier Evangelisten den Kreuzestod Jesu? , DtPfBl 1997, 285-287; C. Petersen, The Times They Are A-Changin,. Anknüpfung an Jochen Vollmer, DtPfBl 1997, 287-289; Leserbriefe ebd., 290ff. 413.455. 8 P. Stuhlmacher, Zur Predigt am Karfreitag, in: C. Breytenbach u. a. (hgg.), Anfänge der Christologie, FS F. Hahn, Göttingen 1991, 447-472. 9 E. Lohse, Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen (11955) 2 1963; E. Käsemann, Erwägungen zum Stichwort ,Versöhnungslehre< im Neuen Testament, in: E. Dinkler (hg.), Zeit und Geschichte, FS R. Bultmann, Tübingen 1964, 47-59. 10 C. Breytenbach, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60 (1989); vgl. ders., Versöhnung, Stellvertretung und Sühne. Semantische und traditionsgeschichtliche Bemerkungen am Beispiel der paulinischen Briefe, NTS 39 (1993) 59- 79. 11 U. Wilckens, Der Brief an die Römer I, EKK VI.1, 2 1987, 240. 12 Text nach W. Beyerlin, Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, GAT 1 (1975) 22. 13 G. von Rad, Theologie des Alten Testaments I, München 6 1969, 266 f. 14 L. Köhler, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 3 1953, 188. 15 Köhler, a.a.O., 189. 16 R. de Vaux, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen II, Freiburg 2 1966, 297-308; K. Koch, Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, EvTh 26 (1966), 29 217-239; R. Rendtorff, Studien zur Geschichte des Opfers im Alten Israel, WMANT 24, Neukirchen 1967; H. Gese, Die Sühne, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, BEvTh 78, München 1977, 85-106; B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen 1982. 11 Gese, Sühne, 98. 18 Gese, Sühne, 104. 19 Janowski, Sühne, 220 f. 20 J. Milgrom, Studies in Cultic Theology and Terminology, SJLA 36, Leiden 1983. 21 Eine weitere Variante hat H. Utzschneider zur Diskussion gestellt. Nach seiner Auffassung handelt es sich beim Sündopfer um ein Ritual, das den Schuldausgleich durch Strafverzicht zum Ziel hat. Der Blutritus stehe dabei nicht im Zentrum: Vergebung im Ritual. Zur Deutung des hatta't-Rituals (Sündopfer) in Lev 4,1-5,13, in: R. Riess (hg.), Abschied von der Schuld? , Theologische Akzente 1, Stuttgart u. a. 1996, 96-119; 250-255: 108; 110. Unklar bei Utzschneiders These bleibt die Funktion der Handaufstemmung, die bei den Sündopfern in Ez 43; 45 nicht stattfindet. Ebenso fragt es sich angesichts dieser Belege zur Heiligtumssühne, ob das Blut nicht doch Sühnemittel ist, und nicht nur »Zeichen der Versöhnung«. 22 Vgl. die Darstellung der Diskussion bei R. Rendtorff, Leviticus, BK III, 1985 ff., 32-48. 23 Gese, Sühne, 97. 24 Rendtorff, BK III, 43 ff. 25 Vgl. H. Merklein, Die Bedeutung des Kreuzestodes Christi für die paulinische Gerechtigkeits- und Gesetzesthematik, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 1-106: 26f. 26 W. Kraus, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe, WMANT 66, 1991, 56-65; 69f.; vgl. ders., Der Jom Kippur, der Tod Jesu und die ,Biblische Theologie" JBTh 6 (1991) 155-172. 27 P. Stuhlmacher, Die neue Gerechtigkeit in der Jesusverkündigung, in: ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit. Aufsätze zur biblischen Theologie, Göttingen 1981, 43-65; ders., Jesu Auferweckung und die Gerechtigkeitsanschauung der vorpaulinischen Missionsgemeinden, in: Versöhnung, 66-86; ders., Die Gerechtigkeitsanschauung des Apostels Paulus, in: Versöhnung, 87-116. Vgl. dazu Kraus, Jesu Tod, 194-199. 28 Kraus,Jesu Tod, 179-184; 197f. 29 Kraus, Jesu Tod, 196. 3 ° Kraus, Tod Jesu, 199.200-234. 31 Zur Begründungs. Kraus, TodJesu, 15-20. 32 Vgl. dazu Kraus, TodJesu, 21-70. 33 Vgl. dazu Kraus, TodJesu, 80-91. 34 Für Einzelheiten: Kraus, Jesu Tod, 168-190. 35 Kraus Jesu Tod, 191 f. 36 Für Einzelheiten: W. Kraus, Das Volk Gottes, WUNT 85 (1996) 256-261. ZNT 3 (2. Jg. 1999) 37 Vgl. Merklein, Bedeutung (Anm. 24), 25 ff.; ders., Gericht und Heil, JBTh 5 (1990) 71-92: 89 Anm. 59. 38 Breytenbach, Versöhnung, 1989. 39 Breytenbach, Versöhnung, 221; s. aber die Selbstkorrektur in NTS 39 (1993) 77 Anm. 61. 44 R. Schnackenburg, (mit Teilbeiträgen von 0. Knoch und W. Breuning), Ist der Gedanke des Sühnetodes Jesu der einzige Zugang zum Verständnis unserer Erlösung durch Jesus Christus? , in: K. Kertelge (hg.), Der Tod Jesu, QD 74, Freiburg 1976, 205-230. 40 S. dazu Kraus, Volk Gottes, 260f. 45 Cur Deus homo I,13-15. 4 1 M. Theobald, Das Gottesbild des Paulus nach Röm 3,21-31, SNTU 6/ 7 (1981/ 2) 131-168. 46 I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der 42 H.J. Iwand, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, in: B. Klappert (hg.), Diskussion um Kreuz und Auferstehung, Wuppertal 4 1971, 279-297: 280. bloßen Vernunft, PhB 45, 8 1978, 77. 47 Link, a.a.O., 152. 48 Link, a.a.O., 153. 49 Link, a.a.O., 153. 43 Vgl. C. Link, ,Für uns gestorben nach der Schrift" EvErz43 (1991) 148-69: 162. 50 Iwand, Kreuz, Zitate: 288; 287f.; 288. Einmalige, Schön ausgestattete Sonderausgabe zum 100. Geburtstag des Novum Testamentum Graece. Der Text der aktuellen 27. Auflage und interessante Beigaben: eine Würdigung Eberhard Nestles und seines Werks von Barbara Aland. Im Anhang Fotos von Eberhard Nestle und seinem Sohn Erwin, das Titelblatt der Erstausgabe und die Reproduktion einer Seite aus dem Arbeitsexemplar von Eberhard Nestle. ZNT 3 (2. Jg. 1999) limitierte Jubiläums- Ausgabe Novum Testamentum Graece Jubiläumsausgabe (100 Jahre Nestle) Herausgeberin: Barbara Aland 13,3 x 18,7 cm, XVI, 80* und 81 0 Seiten, 7 Abb., Leinen ISBN 3-438-05108-7 DM 49,-/ öS 358,-/ sFr 49,- BB Deutsche Bibelgesellschaft Postfach 81 03 40, 70520 Stuttgart, Telefon 07 11/ 71 81-0, Fax 07 11/ 71 81-1 26 30 Bernadette J. Brooten Liebe zwischen Frauen im frühen Christentum 1 1. Der kulturelle Rahmen frühchristlicher Diskurse über gleichgeschlechtliche Liebe In christlichen wie auch in nicht-christlichen Quellen findet sich die Vorstellung von Sexualität, die in der römischen Welt herrschte. Nach dieser Vorstellung ist der Phallus zentral und sexueller Kontakt findet immer zwischen zwei Beteiligten statt, die nicht nur verschieden, sondern auch ungleich sind. Schriftsteller der römischen Epoche stellen diejenigen sexuellen Beziehungen als normativ dar, die eine soziale Rangordnung zwischen Menschen ausdrücken. Die wichtigsten Kategorien dieser Rangordnung sind aktiv/ passiv, die für diese Autoren noch grundlegender sind als die Kategorie Geschlecht. Nach ihrer Überzeugung gibt es unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten bei jeder sexuellen Begegnung einen aktiven und einen passiven Teil, obwohl diese Kategorien kulturell mit den Geschlechtern verbunden wurden (männlich heißt aktiv und weiblich heißt passiv). Darum werden »passive«, d. h. penetrierte Männer häufig als verweiblicht definiert. Bedeutsam ist dabei, daß Männer sowohl aktiv, wie auch passiv ( z.B. als Jungen oder Sklaven) sein können, während Frauen immer passiv sein sollen. Die Unterscheidung zwischen passiv und aktiv ist daher keine biologische, obwohl Autoren wie Seneca der Jüngere (ein Zeitgenosse des Paulus aus dem 1.Jhd.) die Unterscheidung biologisiert, indem er Frauen beschreibt als »dazu geboren, passiv zu sein« (pati natae). Nach diesen kulturbestimmten Vorstellungen stellen Frauen in einer Frauenbeziehung ein Problem dar. Wie können diese Schriftsteller eine Frauenbeziehung verstehen, wenn alle Frauen passiv und alle sexuellen Begegnungen zwischen Aktiven und Passiven stattfinden? Diese Autoren wenden das vorherrschende kulturelle Schema von aktiv/ passiv auf Frauenbeziehungen an, indem sie eine der Partnerinnen als aktiv und damit als >widernatürlich, definieren. Manchmal heißt es gar, eine solche Frau verhalte sich wie ein Mann. Autoren der römischen Antike beschreiben somit 31 weibliche Homoerotik als Nachahmung phallozentrischer Sexualität. Diese Schriftsteller betrachten nämlich weibliche Homoerotik anders als männliche Homoerotik. Ich bin durch zwei Beobachtungen zu diesem Ergebnis gekommen. Erstens durch die Quellenlage: es gibt zwar einige Schriftsteller, die sexuelle Beziehungen zwischen Männern gutheißen, aber fast keine der erhaltenen Quellen akzeptiert weibliche Homoerotik. Zweitens durch den Sprachgebrauch: Autoren der römischen Antike benutzen das Wort tribas, den im Griechischen und Lateinischen gebräuchlichen Begriff für eine Frau, diesexuelle Kontakte mit anderen Frauen hat, nicht eindeutig. Einerseits scheint tribas nur die aktive Partnerin in einer Frauenbeziehung zu bezeichnen. So gebraucht der römische Dichter Martial aus dem 1.Jhd. den Begriff tribas, um eine Frau Namens Philaenis zu beschreiben, die sowohl Jungen wie Mädchen penetrierte. Auch für den Astrologen Ptolemaios aus dem 2. Jhd. scheint tribas ausschließlich die ,aktive< Frau in einer Frauenbeziehung zu sein. Andererseits scheinen einige Autoren anzunehmen, daß beide Frauen in einer Frauenbeziehung >widernatürlich, handeln. So benutzt der ältere Seneca, ein älterer Zeitgenosse des Paulus, tribades für ein Frauenpaar. Ebenso bezeichnet eine Randnotiz zum Asklepiades, einem hellenistischen Epigrammendichter zwei Frauen, nämlich Bitto und Nannion, als tribades, weil beide nicht dem Gesetz der Aphrodite folgten. In früherer Zeit hatte bereits Platon alle Frauen, die ein erotisches Interesse an anderen Frauen hatten, mit einem Begriff bezeichnet: hetairistria. Auch innerhalb des Judentums wurden beide Partnerinnen gleich behandelt. So dokumentiert der Jerusalemer Talmud eine Debatte zwischen der Schule des Hillel und der Schule des Schammai darüber, ob Frauen, die gleichgeschlechtliche Liebe lebten, am Essen der priesterlichen Abgaben teilnehmen durften oder zur Ehe mit einem Priester tauglich waren. Dabei steht das Vergehen beider Frauen zur Debatte. Der christliche Schriftsteller Klemens von Alexandrien definiert Frauen als widernatürlich, die entweder ZNT3 (2.Jg. 1999) Bernadette ]. Brooten Bernadette J. Brooten, zur Zeit Fulbright Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Oslo in Norwegen, ist Robert and Myra Kraft and Jacob Hiatt Professor of Christian Studies an der Brandeis Universität in Waltham, Massachusetts, USA, eine vom amerikanischen Judentum geförderte Universität. Für ihr neuestes Buch, Love between Warnen, erhielt sie drei Preise, und sie ist neuerdings zum MacArthur Fellow ernannt worden. Sie stellt sich eine Kirche vor, die gegen den sexuellen Mißbrauch auch innerhalb der Familie und innerhalb der Kirche arbeitet, statt gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle. (Foto© Brandeis News Bureau) die aktive oder die passive Rolle bei der Ehe zwischen Frauen einnehmen. Dieser Widerspruch zwischen der ausschließlichen Konzentration auf die sogenannte ,aktive< Partnerin in einer Frauenbeziehung einerseits und der Verurteilung beider Partnerinnen andererseits verdeutlicht die Schwierigkeiten der antiken Autoren, erotische Liebe zwischen Frauen überhaupt zu verstehen. Da gibt es diejenigen, die weibliche Homoerotik in das phallozentrische Konzept von aktivem und passivem Geschlechtsverkehr einpassen, einschließlich eines anatomischen oder künstlichen Penetrationsorgans. Und dann sind da die anderen Autoren, für die alle Frauen eine Gruppe bilden, die sich weigern, von einem Mann penetriert zu werden oder einfach eine Frauenbeziehung leben, egal ob sie dabei eine aktive oder passive Rolle spielen. Dieser Widerspruch veranschaulicht, daß Frauenbeziehungen sich nicht problemlos in das antike Verständnis sexueller Beziehungen als wesensmäßig ungleich einfügen ließen. ZNT 3 (2.Jg. 1999) 2. Die paulinische Verurteilung von sexuellen Beziehungen zwischen Frauen Die frühchristlichen Schriftsteller gingen von den in ihrer Welt allgemeingültigen Annahmen über sexuelle Beziehungen und Geschlechterrollen aus. Daher lehnten sie die weibliche Homoerotik ab, und zwar aus denselben Gründen wie ihre Zeitgenossen. In seinem Brief an die Römer schreibt der Apostel Paulus in Kap 1 über Menschen, die sich von Gott abgewandt hatten und Götzen anbeteten. Wie andere jüdische Autoren der antiken Welt sah Paulus Vielgötterei als die Ursache sexueller Abweichungen an: »24 Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, so daß sie ihren eigenen Leib durch ihr eigenes Tun entehren. 25 Sie vertauschen die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beten das Geschöpf an und verehren es an Stelle des Schöpfers gepriesen sei er in Ewigkeit! Amen. 26 Darum liefert Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; 27 ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde füreinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung [... ] 32 Sie kennen Gottes Ordnung, daß, die solches tun, den Tod verdienen. Trotzdem tun sie es nicht nur selber, sie stimmen auch denen zu, die so handeln.« Paulus verurteilt hier ganz explizit sexuelle Beziehungen zwischen Männern, aber einige Wissenschaftler meinen, daß die hier erwähnten Frauen dadurch widernatürlich handelten, daß sie analen Verkehr oder Fellatio mit Männern hatten. Dagegen gehe ich davon aus, daß »widernatürlicher Verkehr« sich doch auf Beziehungen zwischen Frauen bezieht, und zwar aus folgenden Gründen: 1. »Ebenso« (homoios) in Röm 1,27 dient dazu, die Bedeutung von Röm 1,26 genauer zu beschreiben. 2. Andere antike Quellen schildern sexuelle Beziehungen zwischen Frauen als widernatürlich (Platon, Seneca der Ältere, Martial, Ovid, Ptolemaios, Artemidor, wahrscheinlich Dorotheos von Sidon). Wie sollen wir also die paulinische Verurteilung von sexuellen Beziehungen zwischen Frauen verstehen? Paulus war ein Mann seiner Zeit, ein Autor, der die Begriffe »Unreinheit«, »entehren«, »austauschen«, »natürlich«, »widernatürlich« und 32 »schamlos« in den Bedeutungen benutzte, wie auch andere Schriftsteller seiner Zeit. Wie wir sehen werden, haben seine frühesten Leser, nämlich die frühen Kirchenväter, Paulus als einen Mann seiner Zeit gelesen. Sie legten Paulus so aus, als verurteile er Homoerotik aus den gleichen Gründen wie andere seiner Zeit. Ich fasse hier »Unreinheit« (akatharsia) als eine Verwischung von Grenzen auf, in diesem Fall der Grenzen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Genauso wie gemäß dem Buch Levitikus als unreine Tiere solche Tiere bezeichnet werden, die nicht mit bestimmten Kategorien übereinstimmen, so haben die von Paulus beschriebenen Menschen keine klaren Geschlechterunterscheidungen, die notwendig für eine spezifische soziale Ordnung waren. Wenn wir daher die paulinische Beschreibung von Homoerotik als »Unreinheit« ernst nehmen, hilft es uns, dies eher als ein soziales Anliegen und nicht so sehr als reines Privatanliegen zu verstehen. Mit dem Begriff »entehren« (atimazo; cf. atimia ), übernimmt Paulus das Konzept von Ehre und Schande der antiken Mittelmeerwelt. In Vers 27 beschreibt Paulus Männer, die »Unzucht« oder »schamlose Taten« (aschemosyne) mit Männern begehen. Dies ist ein Konzept, das mit »entehren« (V. 24) und »entehrend« (V. 26) in Verbindung steht. Für Paulus sollte der Umgang mit weiblichen und männlichen Körpern unterschiedlich sein, besonders in Bezug auf Ehre. Paulus fragt in I Kor 11, 14: »Lehrt euch nicht die Natur selbst, daß wenn ein Mann langes Haar trägt, dies entehrend für ihn ist? « Diese vorgeschriebene Geschlechterunterscheidung durch die Länge der Haare weist auf körperliche, äußere Erscheinung als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Frau und Mann hin. Nach der theologischen Anthropologie in I Kor 11,3 gilt der Mann als Haupt der Frau. Kurzes Haar ohne Schleier bezeichnet einen männlichen Körper als Gottes Ebenbild und Ruhm (I Kor 11,7); das Gegenteil, langes Haar und Schleier kennzeichnen den weiblichen Körper und bedeuten zugleich den untergeordneten Status der Frau als Ruhm des Mannes (I Kor 11,7). In diesem hierarchisch geprägten Rahmen bringt eine Frau, die sich nicht unterordnet, Schande über ihren Ehemann (I Kor 11,5, kataischyno ). Paulus jedoch scheint den Begriff atimazo (entehren) sowohl für Frauen als auch für Männer zu benutzen, als ob auch Frauen Ehre zu verlieren hätten. Meint Paulus etwa, daß die Frauen in Röm 1,26 ihre Ehre verloren haben, oder 33 Bernad1t? tte J. Brooten Lie-be zwischen Frauen im frühen Christentum mehr noch, daß sie Schande über die Männer gebracht haben? Paulus schreibt, daß gewisse Menschen »den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen vertauscht haben.« Wenn wir Röm 1,26f. im Licht einer breiten Vielfalt von antiken Quellen über Sexualität und Geschlechterrollen lesen, so bedeutet »natürlicher« Geschlechtsverkehr das Eindringen einer übergeordneten Person in eine untergeordnete Person. Erotische Beziehungen zwischen Frauen brachten die sozialen Kategorien der Geschlechter durcheinander: nach diesen Kategorien galten alle Frauen als passive, untergeordnete Empfängerinnen von Penetration. Wie ich vorhin ausgeführt habe, galten in diesem Rahmen sämtliche sexuellen Beziehungen von Frau zu Frau von Grund auf als widernatürlich. Autoren der römischen Zeit (z.B. Seneca, Martial, Soran, Lukian) beschrieben Frauen, die erotische Beziehungen mit anderen Frauen hatten, so, als wären diese zu Männern geworden, d. h. als ob diese versuchten, die passive, untergeordnete Rolle, die ihnen von Natur aus gegeben sei, zu überschreiten und eine dominante, penetrierende Rolle anzunehmen. Zwei Texte, die zeigen, daß Paulus diese Auffassungen teilte, sind Röm 7,2, wo Paulus von einer verheirateten Frau als »unter einem Mann« spricht, und I Kor 11,3, wo Paulus den Mann als das »Haupt der Frau« bezeichnet. Paulus benutzt m. E. das Wort »vertauschen« um anzuzeigen, daß die Menschen die natürliche sexuelle Ordnung des Weltalls kannten und sie hinter sich ließen. Paulus benutzt den Plural im ganzen Abschnitt Röm 1,18-32 und zeigt so den gemeinschaftlichen Aspekt des Verhaltens: Als ein Volk unterdrückten sie die Wahrheit über Gott, und als ein Volk änderten sie die Form von sexuellem Verhalten. Mit anderen Worten sehe ich Paulus alle Formen von Homoerotik verurteilen als das widernatürliche Verhalten derer, die sich von Gott abgewandt hatten. Heißt »natürlicher Verkehr« (physike chresis) hier heterosexueller Verkehr? Falls dies der Fall ist, schließt das alle Arten von heterosexuellen Beziehungen ein? Sind sexuelle Praktiken, Alter und Zustimmung wichtige Kategorien? Meine Forschungen haben ergeben, daß die Leitfiguren in der Kulturwelt des Paulus jede Art von vaginalem Verkehr, egal ob es mit Zustimmung oder ob es gewaltsam war, als natürlich ansahen auch wenn sie bestimmte Formen von vaginalem Verkehr als sündhaft, unsittlich oder illegal klassifizierten. Als natürlich galt z.B. der vaginale Verkehr zwischen ZNT3 (2.Jg. 1999) einem erwachsenen Mann und einer Frau, die miteinander verheiratet sind, oder zwischen einem erwachsenen Mann und einer freien Frau, die nicht miteinander verheiratet sind, oder einem erwachsenen Mann und einer Sklavin, d. h. auch mit einem Sklavenmädchen, oder einem erwachsenen Mann und seiner Tochter, oder einer erwachsenen Frau und ihrem Sohn. Die >natürlichen Beziehungen<, die die Frauen aufgaben, schließen daher auch eine große Vielzahl von heterosexuellen Beziehungen wie Ehe, Ehebruch, Vergewaltigung, Inzest, Prostitution und sexuelle Beziehungen zwischen einem erwachsenen Mann und einem minderjährigen Mädchen ein. Paulus hat dieses Konzept des >natürlichen Verkehrs, nicht erfunden, sondern es eher von seiner damaligen Umwelt übernommen und ihm theologische Untermauerung gegeben. Dieses Verständnis von >natürlichem Verkehr< entstammt dem antiken Verständnis von Natur im allgemeinen. Paulus standen zwei grundsätzliche Konzepte von Natur zur Verfügung. 2 Erstens konnte Natur sich auf die Schöpfungsordnung beziehen. Röm 1 gibt die Schöpfungssprache aus Genesis wieder. Erinnern wir uns doch, daß in I Kor 11,2-16 Paulus sich ausdrücklich auf die zweite Schöpfungsgeschichte der Genesis bezieht, um seinen Ruf nach einer unterschiedlichen äußerlichen Geschlechterunterscheidung zu untermauern. Wenn wir die Natur als Schöpfungsordnung in Röm 1 lesen, könnte sich Natur auf das Fehlen von gleichgeschlechtlicher Paarung unter den Tieren beziehen (obwohl einige antike Autoren die Existenz von gleichgeschlechtlicher Paarung unter den Tieren beschreiben), oder auf die Natürlichkeit der Ehe zwischen Frau und Mann beziehen, die auf der Erschaffung der Frau aus dem Mann basiert. Oder aber Natur könnte zweitens ausdrücklich auf die besondere Natur des Mannes und die besondere Natur der Frau verweisen. Daher, würde »widernatürlich«, »wider ihre Natur als Frau« bedeuten. Einige Autoren der Antike schildern die Frau tatsächlich mit einer vom Mann verschiedenen Natur. Z.B. las der Kirchenvater Johannes Chrysostomus im 4. Jh. Röm 1 unter dem Gesichtspunkt seines Arguments, Frauen und Männer hätten nicht die gleiche Natur. Wir sehen, beide Vorstellungen von Natur entweder als die Schöpfungsordnung, oder als die Natur der Frau im Gegensatz zur Natur des Mannes bringen eine Hierarchie der Geschlechter mit sich. Zu beachten ist, daß Paulus nie die Fortpflan- ZNT3 (2.Jg.1999) zung als ein Argument gegen irgendeine Art von sexuellem Verhalten benutzt, auch nicht gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Paulus gleicht auch darin antiken Schriftstellern über weibliche Homoerotik, die normalerweise Frauen, die in Beziehung mit anderen Frauen stehen, nicht deswegen angreifen, weil sie keine Kinder gebären, sondern weil deren Leben schandhaft, unrein, widernatürlich und abscheulich seien. Paulus verurteilt sexuelle Beziehungen zwischen Frauen als »widernatürlich« (para physin), weil er die weitverbreiteten kulturellen Ansichten teilt, daß Frauen von Natur aus passiv sind und daher auch in ihren sexuellen Beziehungen passiv bleiben sollten. So wie antike medizinische Schriftsteller, Astrologen und viele andere Schriftsteller, über die ich in meinem Buch Love Between Women 3 schreibe, sieht Paulus sexuelle Beziehungen als asymmetrisch an, so daß jeder sexuelle Kontakt notwendigerweise einen aktiven Partner und eine passive Partnerin voraussetzt. Ebenbürtige, gegenseitige Beziehungen gehörten nicht zum vorherrschenden kulturellen Diskurs der damaligen Zeit. Dieser Literatur zufolge kann keine Frau der Natur gemäß eine aktive Rolle übernehmen und von daher sind alle sexuellen Beziehungen zwischen Frauen unmöglich. Weit davon entfernt, das Ergebnis von umsichtigen Philosophen zu sein, die sich darum sorgten, sexuelle Beziehungen zu unterstützen, die die volle Menschlichkeit jedes Partners und jeder Partnerin würdigten, erwuchs der Widerstand der römischen Zeit gegenüber sexueller Liebe zwischen Frauen aus dem Verständnis, Frauen seien weniger wert, zum Herrschen ungeeignet, passiv und schwach. Die paulinische Verurteilung von weiblicher Homoerotik hat dazu beigetragen, diese Auffassung aufrecht zu erhalten. Das zentrale Anliegen des Paulus während seiner Missionstätigkeit war es, die Grenzen zwischen jüdischen und heidnischen Menschen abzubauen. In seinen Briefen behandelt Paulus oft und leidenschaftlich solche Hindernisse zum Zusammenleben von Juden und Jüdinnen und Heiden und Heidinnen wie Beschneidung, Speisegebote und das jüdische Gesetz im Ganzen. Paulus vertrat jedoch keine radikalen Veränderungen in solchen Bereichen wie Sklaverei und den Status von Frauen. Ich gehe davon aus, daß Paulus an die christliche Gemeinde in Rom schrieb, weil er glaubte, daß jüdische und heidnische Menschen vor dem Gott J esu Christi gleichberechtigt seien und gleicherweise durch den Glauben an Jesus 34 Christus gerechtfertigt werden konnten, und weil er sich erhoffte, die christlichen Gemeinden würden diesen Grundsatz übernehmen. Der Einsatz des Paulus für die Aufrechterhaltung der traditionellen Geschlechterwerte der römischen Welt durch seine Verurteilung der gleichgeschlechtlichen Liebe steht in schroffem Gegensatz zu seinem angsterregenden Verwischen von Grenzen zwischen jüdischen und heidnischen Menschen. So entschieden wie er darauf besteht, daß jede/ r die/ der gleichgeschlechtlichen Verkehr ausübt, den Tod verdient, so besteht er auch darauf, daß jüdisch-heidnisches Zusammenleben dem Leben der Gemeinde in Christus bekommt. An anderen Stellen in seinen Schriften reagierte Paulus selbstverständlich anders auf Frauen. Er arbeitete eng mit weiblichen Kolleginnen zusammen, wie z.B. der Lehrerin Prisca, der weiblichen Apostelin Junia, seinen Mitarbeiterinnen Euhodia und Syntyche, Tryphaina, Tryphosa und Persis, sowie Phöbe, die Amtsträgerin in der Kirche von Kenchraia war, und vielen anderen. Paulus würdigte die Arbeit und die Führungsqualitäten dieser Frauen in der Kirche, was mit seinem Ideal über das Einssein von Frauen und Männern in Christus übereinstimmt. Weiterhin erinnert Paulus verheiratete Paare an deren beiderseitiges Recht auf Geschlechtsverkehr. Er geht sogar einen Schritt weiter und spricht über die Verfügungsgewalt (exousiazo) der Frau über den Körper ihres Ehemannes, obwohl aus sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gründen die Frauen in Wirklichkeit sehr viel weniger Macht hatten, solche Verfügungsgewalt auszuüben. Aber alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die paulinische Verurteilung von weiblicher Homoerotik doch dem eher konservativen Teil seines Denkens zuzuordnen ist. Für Paulus ist in Röm 1 Homoerotik eine Sünde gegen die von Gott in der Schöpfung erstellte soziale Ordnung, und nicht nur eine Privatsünde gegen das System von privater Moralität, wie zeitgenössische Christen und Christinnen es verstehen mögen. Jene, die sich nicht selbst auf die von Natur aus gegebenen und von Gott abgesegneten Geschlechtsgrenzen beschränken, lösen die notwendige Geschlechterpolarität und die Geschlechterunterscheidungen auf, und diese Menschen werden dadurch unrein. Daher handelt eine Frau oder ein Mann, die/ der körperliche Liebe oder Zuneigung zu einer Person desselben Geschlechts·ausdrückt, widernatürlich und verdient den Tod. Und der Gott, der sich unvoreingenom- 35 Bernad? .tt,? J. Brooten Liebe zwischen frnuen irn frühen Christentum men gegenüber Menschen zeigt, gleich ob sie jüdisch oder heidnisch sind, zeigt sich doch extrem voreingenommen gegenüber denen, die Menschen gleichen Geschlechtes lieben oder heiraten wollen. Ganz konkret bedeutet dies, daß eine jüdischchristliche Frau nicht einen beschnittenen Mann heiraten muß, aber wenn sie heiratet, muß sie einen Mann heiraten. Wenn man also die Grenzen, was die Beschneidung anbetrifft, überschreitet, gefährdet dies nicht mehr das Seelenheil, wenn man aber die Geschlechtergrenzen überschreitet, bringt das dieser Person den Tod. 3. Der jüdische Kontext der paulinischen Verurteilung gleichgeschlechtlicher Liebe Wir hören im Römerbrief auch den Widerhall jüdischen Rechtes, insbesondere des Buches Levitikus: Erstens benutzen Röm 1 und Lev 18; 20 ähnliche Begriffe, zweitens beinhalten beide eine gänzliche· Verurteilung von sexuellen Beziehungen unter Männern, und drittens beschreiben beide jene, die sich auf solche Praktiken einlassen, als des Todes würdig. Paulus erweitert das Levitikus- Verbot und schließt auch Frauen ein. Auch einige seiner jüdischen Zeitgenossen hatten die weibliche Homoerotik verboten. Die Abhandlung des jüdischen Philosophen Philon von Alexandrien, ein Zeitgenosse des Paulus, über die männliche gleichgeschlechtliche Liebe überschneidet sich in drei Punkten mit Röm 1,27: Erstens verurteilen Paulus und Philon solche Beziehungen gleichermaßen, zweitens bezeichnen beide solche Beziehungen als »widernatürlich« (para physin ), und drittens schildern beide eine physische Auswirkung solcher Beziehungen auf die Körper der Beteiligten. Weiterhin verbinden sowohl Philon als auch Paulus Geschlechterunterscheidungen mit Kleidung und Haartracht und Philon sagt, daß die Männer von Sodom, die Geschlechtsverkehr miteinander hatten, das Joch des Naturrechts abgelegt hätten. Auch dieser Vergleich mit Philon zeigt auf, daß sich Paulus innerhalb der jüdischen Gesetzesdiskussion bewegte. Wenn wir Röm 1 im Lichte des jüdischen Gesetzes lesen, hilft uns das, den theologischen Denkrahmen von Paulus zu Heiligkeit gegenüber Unreinheit zu verstehen ein theologischer Denkrahmen, der für die heutige Ethik nicht mehr geeignet ist. Das Konzept, daß bestimmte sexuelle Praktiken die Beteiligten entehren, dient ZNT 3 (2.Jg. 1999) als Grundlage für die Verbote solcher Handlungen in Levitikus. Daß eine bestimmte Art von Verkehr eine Abscheulichkeit darstellt, hat in diesem Konzept nichts mit Zustimmung oder Nötigung zu tun - Kategorien, die die heutige Ethik als zentral ansieht. Daher unterscheidet Lev 20,13 (»Wenn ein Mann mit einem anderen Mann wie mit einer Frau liegt, so haben beide eine Abscheulichkeit begangen: sie sollen daher getötet werden; deren Blut ist auf ihnen.«) nicht zwischen Verkehr zwischen zustimmenden erwachsenen Männern, zwischen Erwachsenen und Minderjährigen und zwischen einem Erwachsenen und einem nichtzustimmenden Erwachsenen. Gemäß Lev 20, 13 steht dem Opfer von homosexueller Vergewaltigung und dem kindlichen Opfer eines Kinderschänders die Todesstrafe zusammen mit den Tätern bevor. Philon von Alexandrien legt Lev 20,13 in genau dieser Weise aus. Er spricht den passiven, minderjährigen Jungen schuldig und betrachtet ihn als »gerecht verurteilt und des Todes würdig in den Augen derer, die das Gesetz beachten, das bestimmt, daß die Mann-Frau, die die Natur so beschmutzt, ungerächt vergehen solle und es nicht verdiene, einen Tag oder nicht einmal eine Stunde als Schande für sich selbst, sein Haus, seine Heimat und die ganze Menschheit zu leben.« In der gleichen Weise gelten die Strafen in Levitikus für Inzest, die den Tod zur Folge haben, nicht nur für zustimmende Erwachsene, sondern auch für kindliche Opfer zusammen mit deren erwachsenen Schändern. Alter und Zustimmung erscheinen nicht als entscheidende Kategorien in den levitischen Verboten von gleichgeschlechtlicher Paarung, Inzest und Geschlechtsverkehr mit Tieren. Alter und Zustimmung sind aber unverzichtbare Kategorien für unsere heutige Ethik. Ebenso tauchen die Kategorien Zustimmung und Nötigung in der paulinischen Verurteilung von Homoerotik nicht auf. Im levitischen Gesetz geht es um die Heiligkeit und Reinheit des israelitischen Volkes. In der gleichen Weise möchte Paulus die christliche Gemeinde als heilig wissen und die Unreinheit, die für heidnisches Leben steht, vermeiden. 4. Die Rezeption der paulinischen Verurteilung gleichgeschlechtlicher Liebe bei den Kirchenvätern Um meine Auslegung von Paulus zu überprüfen, habe ich die Kommentatoren von Paulus des ZNT 3 (2. Jg. 1999) 2.-5. Jahrhunderts untersucht. Dieses frühchristliche Schrifttum bestätigt die Richtigkeit sowohl meiner Methode, als auch meiner Forschungsergebnisse, d. h.: die frühesten Leser haben Paulus in demselben kulturellen und intellektuellen Rahmen gelesen, wie ich es getan habe. Frühchristliche Schilderungen von homoerotischen Frauen, die in der Hölle für ihre Sünden bestraft werden, spiegeln die Ansicht des Paulus wider, daß solche Frauen nach Gottes Urteil den Tod verdienen. Wie in Röm 1 klassifizieren solche Behauptungen homoerotische Frauen und Männer als zwei relativ parallele Gruppen, was in der römischen Welt unüblich war. Frühchristliche Schriftsteller schildern nämlich weibliche Homoerotik als Geschlechterüberschreitung und bestehen darauf, daß beide weibliche Partnerinnen schuldig sind. Geschlechtergrenzen, die durch Kleidungsvorschriften verstärkt werden unter ausdrücklicher Berufung auf I Kor 11,2-16 sowie ein geschlechterspezifisches Verständnis von der Natur selbst, bilden einen wichtigen Rahmen für diese frühchristlichen Diskussionen über sexuelle Liebe zwischen Frauen. Schließlich sehen auch die frühen Kirchenväter eine Verbindung zwischen Paulus und dem levitischen Gesetz. Verschiedene apokalyptische Texte beschreiben in grellen Farben ein Bild der Lehren, die wir im Römerbrief des Paulus fanden: daß nämlich Frauen und Männer, die die Geschlechtergrenzen in ihren sexuellen Praktiken überschreiten, eine extreme Form der Bestrafung verdienen, da sie ein schweres Vergehen gegen das Gesetz Gottes begangen haben. In erzählender Art und Weise schildern diese apokalyptischen Texte, wie sich frühchristliche Leserinnen und Leser von Paulus das Ergebnis dieses göttlichen Urteils und die endzeitlichen Auswirkungen von Gottes Zorn vorgestellt haben. Obwohl Paulus das Jüngste Gericht oder das menschliche Leiden in der Hölle nicht ausdrücklich beschrieben hat, war sein Denken doch apokalyptisch in seiner Orientierung an einem zukünftigen Gericht und einer Wiederkunft Christi. Die Apokalypsen weisen eine gewisse Vereinbarkeit mit dem Römerbrief auf. Aber wo Paulus auf den »Zorn Gottes« und auf diese todeswürdigen Menschen nur dunkel verweist, schildern die frühchristlichen apokalyptischen Visionen ganz genau und sehr präzise diese Strafen nach dem Tod. Diese grauenvollen Details bezeichnen die relative Schwere der Sünde in den Augen der Autoren oder Autorinnen der apokalyptischen Be- 36 schreibungen und lassen vermuten, wie diese die weibliche Homoerotik gesehen haben. So werden z.B. in der Petrusapokalypse, die in der alten Kirche weite Verbreitung fand und die älteste der uns erhaltenen frühchristlichen Schriften dieser Gattung ist, gleichgeschlechtlich liebende Frauen und Männer beschrieben, die sich nun in der Hölle von einer hohen Klippe herabstürzen müssen, nur um kurz darauf wieder von ihren Peinigern auf die Klippe getrieben zu werden, um sich dann erneut herabzustürzen. Diese Apokalypse beschreibt die Männer, die auf diese Weise gepeinigt werden, als »solche, die ihre Körper entwürdigen, indem sie sich wie Frauen benehmen«, und Frauen unter ihnen als »solche, die Geschlechtsverkehr miteinander haben, wie ein Mann mit einer Frau«. Weil die Petrusapokalypse jede Strafe als dem Vergehen angemessen darstellt, interpretiere ich die Szene so, daß diese Bestrafung bedeutet, daß diese Frauen und Männer während ihres Lebens ihre angemessenen Rollen auf den Kopf gestellt haben, und dementsprechend müssen sie nun hinaufgehen und sich kopfüber herunterstürzen, weil sie die Rollen der Gesellschaft auf den Kopf gestellt haben. In der Petrusapokalypse finden sich nur passive männliche homosexuelle Partner in der Hölle wieder, nicht deren aktive männliche Partner (denn nur passive Männer handeln >wie Frauen,). Aber beide weibliche Partnerinnen, passive und aktive, verdienen offensichtlich die gleiche ewige Bestrafung, weil beide Frauen als Sünderinnen angesehen werden. Wir wissen zwar nicht, ob die Petrusapokalypse Paulus direkt kennt, denn im Text finden sich ja keine Indizien dafür, aber sie veranschaulicht auf jeden Fall den kulturellen Rahmen der frühesten Leser und Leserinnen des Paulus, sowohl innerhalb des römischen Reiches allgemein, als auch innerhalb des apokalyptischen Denkens. Im späten 2. Jh. reagierte der Kirchenvater Klemens von Alexandrien ausdrücklich sowohl auf Röm 1, als auch auf die Ehe zwischen Frauen (wie auch andere Zeitgenossen, so z.B. die rabbinischen Gelehrten in dem Levitikuskommentar, die Sifra, die in Lev 18,3 ein Verbot für die Ehe zwischen Frauen finden). Klemens befürwortete die traditionelle Ehe mit deren geschlechtsspezifischen Unterscheidungen und wandte sich gegen jegliche radikale Ideen von der Gleichheit aller Menschen, die er mit sexueller Freizügigkeit in Verbindung brachte. Z.B. forderte eine christliche 37 Bernadette J. Brooten Uabe zwischen Frauen im frühen Christ.m1tum Gruppe, nämlich die Karpokratianer / innen, solche Gleichheit, und Klemens griff sie äußerst heftig wegen ihrer angeblichen sexuellen Verworfenheit an. Er griff besonders Epiphanes an, der in seinem Werk mit dem Titel Über die Gerechtigkeit die Gleichheit aller irdischen Wesen, aller Wesen, auf die die Sonne in gleicher Weise scheint, behauptet. Karpokrates »unterscheidet nicht zwischen reich und arm, Volk und Herrscher, dumm und weise, Frauen und Männern, Freien und Sklaven.« Karpokrates weigerte sich auch, Tiere in irgendeiner Weise anders zu behandeln als Menschen. Im Gegensatz dazu gilt dem geschlechterspezifischen Denksystem des Klemens die Ehe zwischen Frauen als widernatürlich, weil sie sich erstens Gott widersetzte, der die Frau aus dem Mann erschaffen habe, damit sie den Samen des Mannes empfange und ihm helfe. Zweitens verhindere die Frauenehe, daß der männliche Same ein ordnungsgemäßes Feld finde. Drittens riefen die Gebärmütter beider Frauen danach, mit männlichem Samen gefüllt zu werden. Viertens sollten Menschen nicht solchen wollüstigen Tieren wie den Hasen nacheifern. Schließlich habe Paulus die weibliche Homoerotik als widernatürlich erklärt. Diese kurze Verurteilung der Frauenehe von Klemens gewährt uns einen Einblick in sein theologisches Verständnis von Mannsein und Frausein. Nach der Theologie des Klemens hat Gott dem Mann eine größere körperliche Ähnlichkeit mit Christus gegeben und ihm gemäß Genesis eine Führerrolle zugeteilt, und aus diesem Grund läuft eine Frauenehe dem Plan Gottes für die Menschheit theologisch zuwider. Der Mangel eines männlichen Hauptes und das Fehlen von sich ziehmender weiblicher Passivität stellt die Frauenehe jenseits der Grenzen der Theologie des Klemens. Wenn Klemens von Alexandrien meine Auslegungen von Röm 1 bestätigt, so auch die vierte Predigt des Johannes Chrysostomus (4. Jh.) über den Römerbrief Die gesamte Struktur der Predigt des Chrysostomus spiegelt seine asymmetrische Konzeption der Geschlechter wider. Er verwendet sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf »die Gier von Männern nach Männern und Knaben« als auf die sexuellen Beziehungen zwischen Frauen und behauptet, daß im Vergleich zu männlicher Homoerotik es »weit entwürdigender ist, wenn sogar Frauen diese sexuellen Verbindungen suchten, weil sie doch mehr Scham empfinden sollten als ZNT 3 (2.Jg. 1999) die Männer.« Im Gegensatz zu Klemens von Alexandrien hätten Frauen nach Chrysostomus sogar eine vom Mann verschiedene Natur. Diese unterschiedlichen Naturen führten zu sehr verschiedenen sozialen Rollen. Indem er sich selbst auf die zweite Schöpfungsgeschichte bezieht, behauptet Chrysostomus, daß der Mann von Natur aus dazu bestellt sei, ein Lehrer der Frau, und die Frau dazu berufen sei, eine Helferin des Mannes zu sein. In den Augen des Chrysostomus hätten daher die »männliche Gier« und deren weibliche Entsprechung die natürliche Schöpfungsordnung, wie sie im Buch Genesis niedergelegt wurde, zerstört. Solche Frauen und Männer provozierten soziales Chaos und stürzten die soziale Ordnung um. In an die Petrusapokalypse erinnernder Weise formuliert Chrysostomus: »Wann immer Gott jemanden verläßt, so werden alle Dinge kopfüber gestürzt.« Er fragt: »Wieviele Höllen sind für diese Menschen nötig? «, und behauptet: »Es gibt nichts, das unsinniger und schlimmer ist als diese Greueltat«. Chrysostomus betrachtet Homoerotik als schwerwiegenderes Übel als Prostitution. Prostitution, obwohl widergesetzlich, sei zumindest natürlich. Die »männliche Gier« sei unsäglich »schlimmer als Unzucht«. Warum ist das schlimmer? Weil sich ein homoerotisch handelnder Mann selbst dadurch auf die Grenze von Männlichkeit und Weiblichkeit gestellt habe, aber nicht wirklich eine weibliche Natur angenommen habe, obwohl er seine männliche Natur verloren habe. Wegen seines zweideutigen Geschlechtes verdiene er es, wie in den Tagen von Levitikus »hinausgejagt und zu Tode gesteinigt zu werden von Männern und Frauen gleichermaßen.« Indem Chrysostomus beide Kategorien widergesetzlich und widernatürlich verbindet, betont er die soziale Dimension der Widernatürlichkeit. Widernatürlichkeit ist nach Chrysostomus kein privates Vergehen, sondern von öffentlichem Interesse, eine Sache von Gesetz und sozialen Gebräuchen. 5. Zusammenfassung Die Quellen, die ich oben besprochen und die ich in meinem Buch Love Between Woman ausführlicher untersucht habe, zeigen ein weitverbreitetes Bewußtsein in der römischen Welt von sexueller Liebe zwischen Frauen. Dieses Bewußtsein reichte von Schriftstellern der kulturellen Elite wie Martial über niedere städtische Provinzbe- ZNT 3 (2.Jg. 1999) wohner wie Paulus oder wie die Frauen, die erotische Zauberformeln in Auftrag gaben, und endlich bis hin zu den rabbinischen Gelehrten, die in der Sifra die Frauenehe erwähnen. Ungleich den Quellen über die männliche gleichgeschlechtliche Liebe, wovon einige solchen Verkehr befürworten und andere ihn verabscheuen, verurteilen die antiken Quellen fast einstimmig sexuelle Liebe zwischen Frauen. Entgegen der weitverbreiteten und heftigen Ablehnung der Frauenliebe bestätigen die Quellen zugleich, daß die sexuelle Liebe zwischen Frauen in verschiedenen Teilen des gesamten römischen Reichs praktiziert wurde. Als eine Gegenreaktion zeugt der heftige Widerstand doch gleichzeitig von einer gewissen Toleranz, die sich offensichtlich darauf erstreckte, daß Frauen ihre Partnerinnen sogar gelegentlich als »Ehefrauen« bezeichnet haben. Diese Praxis zwingt uns zu der Annahme, daß zumindest ein gewisses Maß an Toleranz bestand, denn jedwede Art von eheähnlicher Gemeinschaft benötigt zumindest ein Minimum an sozialer und wirtschaftlicher Unterstützung. Überschreitungen von Geschlechterrollen tauchen als der am häufigsten erscheinende Grund für die Ablehnung von erotischen Beziehungen unter Frauen auf. Die kulturelle Elite ging von derselben Annahme aus wie Paulus, nämlich daß eine verheiratete Frau »unter einem Mann« sei, und sah homoerotische Frauen als die Natur dadurch überschreitend, daß sie, ohne unter einem Mann zu sein, sich dennoch Lustgewinn bereitet hatten. Für diese Elite waren solche Freuden sowohl gegen die Natur, als auch gegen den göttlichen Willen. Während sowohl christliche als auch nichtchristliche Autoren weibliche Homoerotik als eine Geschlechterrollenüberschreitung schilderten, hatten sie Schwierigkeiten, dies in die asymmetrischen, phallozentrischen kulturellen Vorstellungen der römischen Welt einzubauen. Das phallozentrische Modell von einem Eindringer und einem passiven Partner oder einer passiven Partnerin, in die eingedrungen wird, kann nicht ohne weiteres auf Handlungen zwischen Frauen angewandt werden. Diese Schwierigkeit führte zu verschiedenen Antworten darauf, ob beide Partnerinnen in einer erotischen Beziehung tribades genannt werden sollten, oder nur die >männliche, Partnerin, ob beide Partnerinnen schuldig seien, und schließlich ob eine Partnerin die andere penetrierte oder ob beide in anderer Form sich gegenseitig Lust bereiteten. Christliche wie nicht- 38 christliche Autoren versuchten immer wieder, sich erotische Frauenbeziehungen unter den Gesichtspunkten der strengen Unterscheidung von aktiven und passiven Rollen und der Vorherrschaft des Phallus vorzustellen, aber letztlich gelang ihnen das nicht. Es gab immer Ungenauigkeiten, Sperrigkeiten und Rückstände. Sie vermochten es doch nicht, die weibliche gleichgeschlechtliche Liebe mit der männlichen auf eine Linie zu setzen und haben es nie geschafft, die Erfahrungen von Frauen in männliche Begriffe zu fassen. Autoren der römischen Zeit schilderten weibliche Homoerotik zuerst und im besonderen als eme widernatürliche Geschlechterrollenüberschreitung. Gleichzeitig aber war ihr Verständnis von Geschlecht, Geschlechterrollen und Natur von ihren Vorstellungen über die soziale Rangordnung und der Ständegesellschaft geprägt. Die Aneinanderreihung in einigen Texten von tribades und Prostituierten mag Bilder von Sklavinnen heraufbeschworen haben, die dazu dienten, die Frauen der höheren Schichten daran zu erinnern, daß nur sie wahrhafte Frauen waren. Das implizite Ideal war die wahrhaft weibliche Frau einer höheren Schicht, die entweder ihrem Mann oder bei den gottgeweihten Jungfrauen und den Witwen der Kirchenleitung untergeben war. Während antike Schriftsteller fast jeder sexuellen Liebe zwischen Frauen widersprachen, unterschieden sie sich doch beträchtlich hinsichtlich der Frage ihrer Ursachen und Behandlung. Entgegen den unterschiedlichen Ursachenforschungen und Behandlungen zieht sich die Vorstellung von weiblicher Homoerotik als widernatürlich wie ein roter Faden insbesondere durch die griechischen Quellen, und zwar sowohl durch die christlichen als auch durch die nicht-christlichen. Durch den Römerbrief des Paulus und durch andere frühe Kirchenschriften sind diese und verwandte antike Vorstellungen maßgeblich für die 39 Bernadette J. Brooten Uebe zwischen Frauen im frühen Christentum westlichen Kulturen und zu einer Quelle für unsere Ethik geworden. Wenn wir in Kirche und Gesellschaft fortfahren, der heterosexuellen Ehe vor der Liebe zwischen Frauen Vorrang zu geben, werden wir alte Traditionen aufrechterhalten, die das Leben von Lesben, bisexuellen Frauen und in der Tat aller Frauen gemindert und herabgewürdigt haben. Indem wir unsere Vergangenheit verstehen, können wir auf eine menschlichere Zukunft zugehen eine Zukunft, in der wir Frauenliebe sogar als heilig betrachten können. Anmerkungen 1 Der Aufsatz geht auf Vorträge zurück, die ich vor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, der Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt, der Humboldt-Universität, Berlin und der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, gehalten habe. Ich nutze die Gelegenheit, nochmals für die Einladungen, für die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer und für die angeregten Diskussionen zu danken. Ich bedanke mich sowohl bei Frau Bettina Kleeberg und Frau Karin E. Grundler-Whitacre von der Brandeis Universität, als auch bei Frau Elisabeth Wolf, die die Erstfassung der Übersetzung erstellten, und Frau Marianne Bjelland Kartzow von der Universität Oslo, die mir bei der Abfertigung des Manuskriptes geholfen hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Stefan Alkier, Universität Hamburg, für seine großzügige und einfühlsame redaktionelle Arbeit, die weit über die Pflichten eines Herausgebers hinausging. 2 Vgl. dazu auch die Kontroverse von Martin Hasitschka und Wolfgang Stegemann über Homosexualität im Neuen Testament in ZNT 2 (1998), 53- 68. 3 B.J. Brooten, Love Between Women. Early Christian Responses to Female Homoeroticism Chicago/ London 1996. Eine deutsche Übersetzung dieses Buches ist zur Zeit in Arbeit. ZNT3 (2.Jg.1999) Kurt Erlemann War Jesus Apokalyptiker? Einleitung zur Kontroverse War Jesus Apokalyptiker oder war er es nicht? Das ist eine alte Streitfrage, zu erinnern ist nur an die Debatte zwischen Ernst Käsemann und Rudolf Buhmann zu Beginn der sechziger Jahre um den Stellenwert der Apokalyptik im Neuen Testament. Nicht zuletzt im Zuge allgemeiner »Konjunkturbelebung« apokalyptischen Denkens zur Jahrtausendwende ist die Streitfrage wieder aktuell. Sie rührt an zentrale Punkte des christlichen Glaubens und des Verhältnisses zum Judentum. Und so ist die Debatte bislang kaum je ohne apologetische Implikationen geführt worden. Auch abgesehen von der Frage, ob Jesus in der Tradition alttestamentlich-jüdischer Apokalyptik zu verstehen ist oder nicht, hängen von ihrer Beantwortung Grundentscheidungen für eine ganze Reihe exegetischer Problemfelder ab: Ist Jesu Verkündigung, speziell seine Gleichnisrede, apokalyptischesoterisch gelagert oder gerade nicht (dazu vgl. den Leitartikel dieses Heftes)? Hatte Jesus eine »Naherwartung« des Endgerichts oder gerade nicht? SIEGFRIED KREUZER u.a. Proseminar I Altes Testament Ein Arbeitsbuch 208 Seiten. Kart. DM 30,70/ E 15,70/ öS 224,-/ öE 16,14/ sFr 29,- ISBN 3-17-013050-1 MARTIN MEISER u.a. Proseminar II Neues Testament - Kirchengeschichte Ein Arbeitsbuch Ca. 230 Seiten. Kart. ca.DM 34,-/ ca. E 17,38/ ca. öS 248,-/ ca. öE 17,87/ ca. sFr 31,50 ISBN 3-17-015531-8 Arbeitsbücher für Proseminare orientieren sich sowohl an der Zielsetzung der grundlegenden Einführung als auch an den Weiterentwicklungen der theologischen Diszipli- Die nachfolgende Kontroverse geht die Debatte von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus an. Die historisch-kritische Aufarbeitung ist das Eine, und sie wird von Klaus Koch, einem der namhaftesten Apokalyptikforscher geleistet. Die theologische Wahrheitsfrage ist das Andere, sie wird von Folker Siegert, einem ebenso profilierten Neutestamentler, in seiner Replik auf Klaus Kochs Gedanken gestellt. Am Ende steht ein kontroverses Ergebnis ein Anreiz für unsere Leserinnen und Leser, am Thema selbst weiterzudenken und weiterzuarbeiten. nen. Neben den erprobten und bewährten Methodenschritten sowie den fachspezifischen wissenschaftlichen Innovationen sind für die Disziplinen Neues Testament und Altes Testament neue Fragestellungen und Gewichtungen von Bedeutung. Aber auch in der Kirchengeschichte sind fachliche, methodische und arbeitstechnische Fragen neu zu klären und darzustellen. Vorgelegt wird hier ein aktuelles zweibändiges Arbeitsbuch für die drei historischen Fächer Altes Testament, Neues Testament und Kirchengeschichte, in dem im Horizont neuester wissenschaftlicher Standards die methodischen Arbeitschritte einschließlich der dazu nötigen Hilfsmittel beschrieben werden. ULRICH MELL Die Zeit der Gottesherrschaft Zur Allegorie und zum Gleichnis von Markus 4, 1-9 1998. 164 Seiten. Kart. DM 59,80/ E 30,58/ öS 437,-/ öE 31,44/ sFr 54,- ISBN 3-17-015896-1 Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, Band 144 Kohlhammer W. Kohlhammer GmbH • 70549 Stuttgart · Tel. 0711/ 78 63 - 280 · Fax 0711/ 78 63 - 430 ZNT3 (2.Jg. 1999) 40 Klaus Koch Jesus apokalyptisch Als Ernst Käsemann 1960 seine Fachkollegen mit dem Satz herausgefordert hat, daß »die Apokalyptik die Mutter aller christlichen Theologie gewesen« sei1, wurde von ihm der historische Jesus aus dieser Herkunft ausdrücklich ausgenommen und für ihn an der Profeten-Anschluß-Theorie des 19. Jahrhunderts festgehalten 2 • Ist das zu Recht geschehen oder hatte hier ein dogmatisches Vorurteil den Ausschlag gegeben? 1. Gewiß war Jesus kein Apokalyptiker im engeren Sinn des Wortes. Er hat weder eine Apokalypse noch ein pseudonymes Testament verfaßt oder überarbeitet. Die Synoptiker lassen ihn zwar vis10nar überweltliche Vorgänge erschauen (Mk 1,10f.; Lk 10,18), aber es fehlen die für Apokalypsen typischen ausgedehnten Zwiegespräche mit überir- K dischen Größen und die dort übliche bizarre Symbolik. Apokalyptisches Schrifttum hat jedoch in jener Zeit nicht nur auf den ursprünglich intendierten Primärleserkreis an einem festen Sitz im Leben eingewirkt. Zwar gibt es damals keine Literatur, die für einen freien Büchermarkt und eine soziologisch unbestimmbare Leserschaft erzeugt wird. Dennoch besteht bei manchen religiösen Individuen und Gruppen durchaus ein Interesse an Schriften andersartiger Herkunft, wie die Bibliothek aus Qumran erweist, und dadurch die Möglichkeit unterschiedlicher Beeinflussung. Deshalb bleibt es sinnvoll, zu untersuchen, ob Jesus von apokalyptischen Ideen beeindruckt war. Wenn ja, wieweit haben sie seine Botschaft geprägt? Der Wanderprediger aus Galiläa setzt bei seinen Zuhörern zweifellos Kenntnis von wesentlich apokalyptischen, dem vorapokalyptischen AT fremden Lehren voraus. Dazu gehört die Erwartung einer endzeitlichen Auferweckung der Toten mit nachfolgendem Jüngsten Gericht über alle Individuen (Mk 12,18-27; Lk 11,31 f.; zuerst I Hen 22; Dan 12 belegt). Der Ausgang führt sie entwe- 41 der in das Paradies oder die Hölle (Mk 9,43-48; Mt 10,28). Die Naherwartung einer wunderhaften, von Gott allein herbeigeführten eschatologischen Revolution teilt Jesus mit bestimmten (nicht allen! ) apokalyptischen Verfassern. Für die Gegenwart rechnet er mit einem gottfeindlichen, unsichtbaren Reich von Satan und Dämonen, das nicht nur Menschen zur Sünde verleitet, sondern auch physische Übel und Krankheiten hervorruft (so wohl zuerst im Wächterbuch I Hen 1-36). Strittig sind die Querverbindungen bei Themen wie Gottesreich und Menschensohn, die im Vordergrund der Jesuslogien stehen. Zu bedenken ist jedoch, was meist übersehen wird, daß die spätisraelitische Apokalyptik ihre eigene Geschichte hatte. Die frühen Apokalypsen, vor allem das 1. Henoch- und Danielbuch, unterscheiden sich bei wichtigen Themen etwa der Aionenlehre deutlich von der Apokalyptik nach der Zeitenwende, wie sie dann vornehmlich im 4. Esra und syrischen Baruch zur Sprache kommt. Wer die Beziehungen Jesu zu dieser Geistesbeschäftigung untersuchen will, hat deshalb zu prüfen, zu welcher Stufe ihrer Geschichte Jesus in allfälliger Beziehung steht. 2. Der Begriff Reich Gottes Unter den Neutestamentlern besteht trotz weit auseinanderklaffenden Meinungsverschiedenheiten über das Selbstverständnis und das Wollen des historischen Jesus darin Übereinstimmung, daß der Begriff basileia tau theou (Reich Gottes) im Mittelpunkt jesuanischen Denkens und Redens gestanden hat und bei den Zuhörern als bekannt vorausgesetzt worden ist. Er begreift das ewige Leben derjenigen ein, die sich jetzt zur Umkehr entschließen und führt eine Umkehrung gegenwärtig herrschender ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse herbei (Lk 6,20ff.). Strittig jedoch ist, ob und wieweit Jesus mit der Wendung ein zukünftiges Heilsgut oder eine schon präsentische, geistliche Gottesgegenwart ZNT 3 (2.Jg. 1999) Klaus Koch Klaus Koch, Jahrgang 1926, 1953 Promotion, 1956 Habilitation. Seit 1962 Professor für Altes Testament und Altorientalische Religionsgeschichte an der Universität Hamburg. gemeint hat; davon hängt ab, ob er eine apokalyptische Füllung des Begriffes vorausgesetzt hat. Die Antwort hierauf wird für manchen Neutestamentler zum ausschlaggebenden Argument für Jesu Nähe oder Ferne von Apokalyptik überhaupt. 3 Seit Johannes Weiß 1892 für »Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes« eine apokalyptische Herkunft behauptet hatte, ist die Diskussion nicht mehr abgebrochen; »das angestrengte Bemühen, Jesus vor der Apokalyptik zu retten« 4 hält bis heute an. Der in Frage stehende Begriff hatte längst vor Jesus eine wechselhafte Geschichte. An den wenigen Stellen, wo in der hebräischen Bibel ausdrücklich von der malkut Jahwäs gesprochen wird (Ps 103,19; 145,11.13), wie an den häufigen, wo Gott als ma: la: k gepriesen wird, denken offenkundig Verfasser wie Leser an eine seit Urzeiten bestehende, irdischer Königsmacht analoge, aber ewige Regierung des Alls durch dessen Schöpfer; sie ist auf Erden in Jerusalem und seinem heiligen Tempel verankert. Für die Chronisten sind die Davididen deren ausführendes Organ (I Chr 17,14; 28,5; II 13,8). Die Auffassung hält sich in der hebräischen Literatur durch, mit oder ohne Voraussetzung davididischer Vermittlung, bis hin zu den Sabbatopferliedern von Qumran und den talmudischen Aussagen über das Reich des Himmels. 5 Sie scheint für viele Israeliten die einzige mögliche Folgerung aus der Lehre von dem einen Gott und Schöpfer zu sein. Dennoch weichen von diesem Konsens einige exilische und nachexilische Profetien ab durch die Aussage, daß Jahwä seine Königsherrschaft erst nach der Heilswende für Israel (wieder? ) in voller Form ZNT 3 (2.Jg. 1999) aufnehmen werde (Jes 24,23; 52,7; Ez 20,33; Mi 4,7). Das wird allerdings mit dem finiten Verb mlk zum Ausdruck gebracht, was etwa heißen mag: »Er wird die Regierung wieder fest in die Hand nehmen.« Solche Profezeiung setzt also noch nicht notwendig eine fundamentale Veränderung der göttlichen, in der Schöpfung begründeten malkut voraus. 6 Einen wichtigen Schritt weiter ist jedoch an diesen Stellen die aramäische Bibel im Profetentargum gegangen. Sie verheißt nicht nur an den eben erwähnten Stellen, sondern auch an anderen, wo masoretisches Äquivalent fehlt (Jes 31,4; 40,9f.; Ez 7,7), als Höhepunkt der eschatologischen Wende: »Offenbaren wird sich die malkuta Jahwäs«. Danach steht das Reich Gottes gegenwärtig noch aus, vielleicht verborgen existierend, aber für die Welt nicht erkennbar. Erst in der Zukunft wird es von oben über den Zion unwiderstehlich hereinbrechen und allen Völkern erfahrbar werden. Der Profetentargum ist in seinem Grundbestand wohl schon vor 70 n. Chr. verfaßt worden. 7 Er steht in vieler Hinsicht der Apokalyptik nahe, ist an dramatischer Eschatologie weit mehr interessiert als an Halacha. Die Bibelwissenschaft pflegt allerdings, in exklusivem Respekt vor den heiligen Sprachen Hebräisch und Griechisch, diese aramäische Bibel mit Mißachtung zu strafen. 8 Dem aramäischen Sprachbereich gehört auch Dan 2,44 ff. zu, wo vielleicht auf solche Profetien angespielt wird: »In den Tagen jener Könige läßt erstehen der König des Himmels ein Königreich, das in Weltzeiten nicht zerstört wird. ,Sein, Königreich wird aber nicht weiter einem Volk überlassen werden.«9 Das ewige Gottesreich erscheint und erfüllt die Erde (V. 35) nach diesem Kapitel, wenn die irdischen Reiche beseitigt sind. Ein gleichartiges, unzerstörbares Reich wird mit dem »Menschenähnlichen« nach Dan 7,13 f. auftauchen, wieder nachdem die irdischen Herrschaften verschwunden sind. Das Wesen der künftigen malku wird wohl Dan 9,24 mit der »ewigen Gerechtigkeit« und der »Salbung eines Allerheiligsten« umrissen, welche am Ende der Tage »Vision und Profet« besiegeln. Bezeichnenderweise greifen aber die hebräischen Danielkapitel den Begriff des Gottesreiches nicht auf. Als zukünftiges Heils gut erscheint das Reich dagegen AssM 1 O; TDan 5,13 (in beiden Fällen aramäische Vorlagen? ), in 4Q 203,9,6 (Gigantenbuch) und im Qaddisch- Gebet.10 Dem aramäischen Lexem malku scheinen andere Konnotationen im Blick auf mögliche Verborgenheit und unverhüllte Offenheit zu eignen als dem hebräischen malkut, obwohl es einige Lehnübertragungen hinüber und herüber gegeben hat. 11 Das weckt den Eindruck, daß hinter dem synoptischen Sprachgebrauch eine aramäische Tradition steht. » Jesus knüpft dabei besonders ... an Dan 2,44 an ... und an Dan 7,27«. 12 42 Die Entscheidung darüber, wieweit bei Jesus mit der Übernahme handfester apokalyptischer Anschauungen zu rechnen ist, hängt schon von der genauen Übersetzung von hebräisch-aramäisch malkutlmalku bzw. der neutestamentlichen Entsprechung basileia ab. Jahrhundertelang war (nach dem lateinischen regnum) die deutsche Wiedergabe »Reich Gottes« selbstverständlich, was die Vorstellung einer klar umschriebenen Ausdehnung und für die in Frage stehende Ansage einer futurischen Erscheinung als dramatische Besitzergreifung vorausgesetzt hat. Seit jedoch G. Dalman 13 als aramaistischer Sachkenner die Konnotation eines beherrschten Gebietes für die biblischen Ausdrücke in Frage gestellt und behauptet hatte, die Bedeutung sei stets ,Königsregiment<, niemals ,Königreich, 1 4, konnte er des Beifalls der Exegeten sicher sein. 15 Trifft die Bestimmung zu, verbindet sich mit der Weissagung einer kommenden Gottesherrschaft nicht notwendig eine revolutionäre Durchsetzung auf Erden; und die für Jesus (und eventuelle Vorgänger) bislang vorausgesetzte eschatologische Dramatik läßt sich einschneidend reduzieren. Damit entfällt ein schwerer Anstoß, welche die biblische Eschatologie für modernes Bewußtsein gebildet hatte. Dalman konnte mit anscheinend einschlägigen Beispielen aufwarten. Schon die alttestamentliche Aussage, daß die malkut Jahwes in der Hand der Davididen liege (II Chr 13,8), kann nicht meinen, daß sie das Universum regieren! Wenn im Neuen Testament Jesus behauptet, mit dem Erfolg seiner Exorzismen sei die basileia tau theou bei seinen Anhängern angekommen (Lk 11,20), denkt er gewiß nicht an eine räumlich wahrnehmbare Größe. So gehört es denn seit Jahrzehnten zur exegetical correctness, statt vom >Reich, von der ,Königsherrschaft Gottes< zu reden. Seit in unserem demokratischen Zeitalter die Institution des Königs suspekt geworden ist, wählt man gern das unverfänglicher klingende Nomen ,Gottesherrschaft,. 16 Solche Wiedergaben erlauben, Jesu Eschatologie weit mehr zu spiritualisieren, als es noch um die Wende zu unserem Jahrhundert möglich erschien. Ist das aber die ganze historische Wahrheit? Dalmans Lösung stehen im Alten wie im Neuen Testament Stellen entgegen, wo der fragliche Begriff beim unbefangenen Leser durchaus die Assoziation eines beherrschten Gebietes hervorruft. So, wenn Dan 2,35 die göttliche malku durch einen großen Stein symbolisiert wird, der die ganze Erde ausfüllt. Oder wenn Jesus voraussieht (Mt 8,1 lf.), daß von den Enden der Erde die Men- 43 sehen herbeiströmen, um in der basileia des Himmels zu Tische zu liegen; sollten sie dann nur in einer göttlichen Eigenschaft sich betten? Nicht nur hier, sondern auch sonst ist vermutlich der räumliche Aspekt »durchweg mitzubedenken«.17 Die Doppeldeutigkeit befremdet vermutlich den modernen Betrachter deshalb, weil das Lexem im althebräischen wie aramäischen Denken einem anderen kategorialen Paradigma zugeordnet war als einem uns vertrauten, was freilich viele (der Semantik abholden) Exegeten nicht wahrhaben wollen. Beide Sprachen rechneten m. E. mit unsichtbaren numinosen Wirkungsgrößen, die sich zwischen überirdischer und irdischer Welt aufbauen und bewegen. 18 Das würde in unserem Falle bedeuten, daß die biblischen Stellen an ein von Gott ausgehendes Herrschaftspotential denken, das sich auf die Erde zu bewegt, dort entgegenstehende Mächtigkeiten überwindet und sich dann als bleibende Struktur eines künftigen himmlisch-irdischen Gemeinwesens realisieren wird. Dann aber zielen die betreffenden Voraussagen durchaus auf einen endzeitlichen, dramatischen Umsturz irdisch-gesellschaftlicher Verhältnisse. 19 Schwerer wiegt das eigentümliche Ineinander von Gegenwart und Zukunft des Gottesreiches bzw. der Königsherrschaft Gottes in den Reden Jesu für das Urteil über seine Nähe oder Ferne zur Apokalyptik. In dieser Ambivalenz meinen viele Neutestamentler, einen Ansatzhebel zu besitzen, um Jesus aus den ihnen so unangenehmen apokalyptischen Verstrickungen herauszulösen. Allein für die Apokalyptik wird dann die Idee einer eindeutig zukünftigen Gottesherrschaft vorausgesetzt. Nun läßt sich schwerlich in Abrede stellen, daß Worte Jesu wie die Vaterunserbitte »Dein Reich komme« auf eine noch ausstehende zukünftige Größe verweisen. Doch dem lassen sich Aussagen entgegenstellen, wenngleich nicht allzu viele, wonach mit Jesu eigenem Wirken die göttliche basileia bereits angekommen sei. Selbst die Zusammenfassung der Jesusbotschaft am Eingang des Markusevangeliums (1,15): »Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium« läßt sich dahin deuten, daß dieses Reich für Jesus bereits Gegenwart geworden sei, er also seinen Hörern keinen »Vorverkauf« für eine zukünftige Veranstaltung, sondern den Eintritt in ein bestehendes Unternehmen anbietet. Merkwürdigerweise scheint noch niemand bemerkt zu haben, daß ein vergleichbares dynamisches Ne- ZNT 3 (2.Jg. 1999) beneinander von Schon-Jetzt und Noch-Nicht des Gottesreiches bereits den Aussagen der aramäischen Danielkapitel zugrunde liegt. So rühmt in einem Schreiben an die untergebenen Völker der Großkönig N ebukadnezzar, nachdem er nach sieben Zeiten des Wahnsinns wieder zu Vernunft zurückgekehrt und in die Regierung eingesetzt worden war, die Zeichen und Wunder, welche der höchste Gott an ihm vollbracht hat (3,33 vgl. 4,31): »Seine Zeichen, wie gewaltig! Seine Wunder, wie mächtig! Sein Reich ist ein ewiges Reich.« Das Bekenntnis bedeutet keineswegs, daß die endzeidiche Beseitigung aller irdischen Reiche, die Kapitel 2 angekündigt hatte, und ihr Ersatz durch das Gottesreich bereits erfolgt wären. Doch es schließt ein, daß das Reich Gottes bereits während dieser Weltzeit in einem wunderhaften Ereignis aus seiner Verborgenheit herausgetreten und einem einzelnen Menschen transparent geworden ist, weil er dadurch die Übermacht dieses Gottes erfahren hatte. Gleiches läßt sich dem Rundbrief entnehmen, den der Meder Dareios mit einem Preis des Gottes Daniels hinausgehen läßt, nachdem er wahrgenommen hatte, daß Daniel wider alles Erwarten in der Löwengrube bewahrt worden war (6,27f.): »Er ist ein lebendiger Gott, feststehend in Weltzeiten. Sein ,Reich, geht niemals unter und seine Herrschaft ist unendlich. Er rettet und tut Zeichen und Wunder! « Altorientalischen Großkönigen widerfährt also ein göttliches Eingreifen, das den Rahmen ihrer bisherigen Erfahrung und ihrer absolutistischen Regierungsweise sprengt, so daß sie die Existenz eines hinter der vorletzten irdischen Wirklichkeit verborgenen übermächtigen Gottesreiches anerkennen müssen. Es bleibt freilich eine momentane Einsicht, die keine Bekehrung nach sich zieht. Solche Stellen beweisen, daß die Ambivalenz von Noch-Nicht und Schon-Jetzt auf eine apokalyptische Dialektik zurückgeht. Auch bei Jesus sind es gottgewirkte Wunder, welche den vorwaltenden Rahmen von Erfahrung, aber auch von satanischer Macht sprengen, so daß die Gegenwart des Gottesreiches transparent wird (Lk 11,20; Mk 3,27). Er verwendet also das gleiche gedankliche Muster. Allerdings tritt er selbst dabei (anders als die Danielbekenntnisse) als das ausführende Subjekt solcher Gotteswunder hervor. Er vertritt das künftige Gottesreich schon in seiner Person. Und er erwartet von seinen Hörern nicht nur ein momentanes Bekenntnis, sondern fordert sie auf, sich durch Umkehr und Nachfolge wie durch Abkehr vom Mammon proleptisch diesem Reiche einzugliedern und dessen hintergründige Macht an sich selbst zu erfahren. Insofern wird bei Jesus eine ZNT 3 (2.Jg. 1999) vorgegeben gelehrte Theorie zum Anstoß einer täglichen Praxis, die über die Vorstufe weit hinaus führt. 3. Der kommende Aion In einem sowohl in Q wie in Markus überlieferten Logion setzt Jesus das Reich Gottes mit einer künftigen Weltzeit in Beziehung und greift damit einen anderen, apokalyptischer Herkunft verdächtigen Begriff auf: »Niemand ist, der verläßt Haus oder Frau oder Bruder oder Verwandte wegen des Reiches Gottes, der nicht empfängt Vielfältiges in dieser Zeit und im kommenden Aion das ewige Leben ererbt.« (Lk 18,29f.; Mt 19,29; Mk 10,29f. 20 ) Die hier benutzte Wendung vom kommenden Aion/ 'Alam ist den jüngeren (ursprünglich aramäischen) Apokalypsen geläufig und ersetzt den älteren Begriff des Reiches Gottes in den Bilderreden des Henoch, dem IV Esr und dem syrischen Baruch. Gelegentlich wird sie schon im Profetentargum benutzt (z.B. II Sam 22,28 f.) und häufig in den übrigen Targumen. Die hebräische Entsprechung dringt auch in das rabbinische Schrifttum ein. 21 Dem künftigen 'alam/ 'olam werden einschneidende Erscheinungen zugewiesen, die noch für das Danielbuch (und für Jesus) mit dem Reich Gottes verbunden waren, wie Auferstehung, Jüngstes Gericht, Paradies und Hölle (z.B. IV Esr 7,31-44). Zwar hatten schon die früheren Apokalypsen wie die Qumranschriften eine Mehrzahl von 'alamin vorausgesetzt und sich dadurch von der im älteren Alten Testament üblichen Verwendung des Singulars für das hebräische Parallelnomen abgesetzt. Sie haben aber noch eine unbestimmte Vielzahl von Weltzeiten im Sinn gehabt (I Hen 12,3; Dan 2,44 usw.). Indem jedoch in der Literatur nach der Zeitenwende ein einziger gegenwärtiger 'alam als »dieser« von einem »kommenden« oder bereitstehenden, ewigen 'alam unterschieden wird, verschiebt sich das Verhältnis von Gegenwart und eschatologischer Zukunft. Während die Rede von einer demnächst anbrechenden göttlichen malkuta als Antithese zu den ungerechten politischen Verhältnissen auf Erden aufgefaßt wurde und dadurch auch das göttliche Königreich einen hierarchischen Anstrich behalten mußte, verbinden sich solche Konnotationen mit einem künftigen 'alam nicht mehr. Die Vorstellung von einer quasi politischen Struktur fällt dahin. Das in Aussicht stehende Heil wird innerlicher und geistiger aufgefaßt: » Dann wird das Herz der Erdbewohner verwandelt und zu einer anderen Gesinnung hingelenkt. Denn das Böse wird zerstört ... 44 der Glaube aber blüht, die Verderbnis wird überwunden, die Wahrheit herausgestellt« (IV Esr 6,25- 28). Wie beim Lexem malku(t), kommt es hinsichtlich 'alam/ 'olam bei den Exegeten zu Verständnisbarrieren, die mit einer fehlenden Bereitschaft zu semantischen Untersuchungen zusammenhängen. Während das hebräische 'olam in alttestamentlichen Texten mißverständlich mit "Ewigkeit« übersetzt wird, setzt man in ebenso bequemer Manier dafür in späteren und rabbinischen Texten die Wiedergabe "Welt«. Unter diesem Vorzeichen lautet der dann als apokalyptischer Grundsatz verstandene Satz IV Esr 7,50: »Der Höchste hat nicht eine Welt geschaffen, sondern zwei.« Das erweckt den Eindruck, daß für den Verfasser der gegenwärtige und der künftige 'alam unvermischt neben- und nacheinander existieren, letztlich nichts miteinander gemein haben. Wer jedoch wie W. Harnisch 22 auf die Texte einzugehen versucht, gelangt zu dem komplexen Ergebnis, daß sowohl zeitliche wie räumliche Konnotationen stets einbegriffen sind, gemeint sei demnach "eine sich bewegende, ,weltförmige" als Geschehnis von ,Welt, qualifizierte ,Raum-Zeit<.« Nach den einschlägigen Stellen durchdringen sich die beiden "Raum-Zeiten« bis zu einem gewissen Grad, und zwar so, daß der künftige 'alam/ 'olam schon in "dieser« Weltzeit hintergründige Wurzeln schlägt. Es handelt sich keineswegs um zwei in sich abgeschlossene Welten. Schon der erste 'alam war nämlich für das erwählte Volk geschaffen worden (IV Esr 6,55; 7,1); in ihm ist das Gesetz Gottes offenbart worden, durch das in dieser Weltzeit bereits das Leben der künftigen zu finden ist (IV Esr 9,31; 14,22), so daß, wie Esau den ersten, so Jakob proleptisch den zweiten 'alam repräsentiert (IV Esr 6,9). Angesichts solcher Wandlung in der spätisraelitischen Apokalyptik verwundert nicht, daß bezeichnende Charakteristika, die Jesus mit dem hereinbrechenden Reich Gottes verbunden hat, in diesen Apokalypsen dem kommenden 'Alam zugewiesen werden. Auf das Beispiel der entscheidenden Kehre mit Auferstehung und Jüngstem Gericht war schon verwiesen. Ein eingehender Vergleich ist m. W. noch nicht vorgenommen worden. Hier einige Beispiele. Wie nach Matthäus (6,33) dikaiosyne die basileia auszeichnet, so nach IV Esr 7,113 f. iustitia die kommende Weltzeit. Ähnlich wie nach Mt 5,3.5 die Armen und Machtlosen das Reich des Himmels und die Erde ererben, so ererben nach syrBar 44,11-15 (vgl. IV Esr 6,29) die Gerechten den künftigen 'Alam. Besonders auffällig ist die verbreitete Metaphorik von Saat und unscheinbarem Wachstum in der Gegenwart gegenüber einer grandiosen Ernte in der eschatologischen Zukunft. An jesuanische Paral- 45 lelen erinnert vor allem das Gleichnis vom zweifachen Saatfeld in IV Esr 4,276-32 23 : "Dieser Äon ist voll von Trauer und Ungemach. Gesät ist das Böse, wonach du fragst, und noch ist seine Ernte nicht erschienen. Ehe das Gesäte also noch nicht geerntet und die Stätte der bösen Saat nicht verschwunden ist, kann der Acker, da das Gute gesät ist, nicht erscheinen ... ermiß ,also< selber: Wenn schon ein Körnchen bösen Samens solche Frucht der Sünde getragen hat -, wenn einst Ähren ,des Guten< gesät werden ohne Zahl, welche große Ernte wird das geben! « Die gegenwärtige Weltzeit stellt demnach nicht nur Rahmenbedingungen und befristete Zeiträume für menschliches Leben bereit, sondern gleicht einer Art Ackerfeld, das durch menschliche Taten mitgestaltet werden kann, mit Auswirkungen im eschatologischen Endstadium. Das geschieht normalerweise durch böse Taten. Doch auch die kommende Weltzeit ist einem Acker vergleichbar, dessen durch Menschen gelegte Frucht ausreift, und das beginnt ebenfalls schon gegenwärtig (vgl. syrBar 70,2). Insofern ist der kommende Äon, wenngleich verborgen und ungreifbar, schon im gegenwärtigen Zeitalter zugänglich. Mit seinem endgültigen in-Erscheinung-Treten nach dem Ende des alten Äons wird der künftige »die Frucht auf der Tenne unseres Lohnes« sichtbar werden lassen (IV Esr 7,35; 8,33; syrBar 66,6). Gewiß legt der historische Jesus in seinen Gleichnissen die Akzente anders. Die Eigenarbeit, mit der der Hörer den künftigen Aion für sich bereiten soll, tritt bei ihm gegenüber einem Wachstum des Reiches zurück, welches durch das Wort der Verheißung hervorgerufen wird und Menschen dazu treibt, sich einen Schatz im Himmel zu erwerben. Stimmen aber die semantischen Felder nicht überraschend überein? 4. Der Menschensohn Der Jesus der Evangelien bezeichnet sich bekanntlich wieder und wieder als der gegenwärtige Sohn des Menschen, ho hyos tau anthr6pou, oder verweist auf eine gleichnamige Gestalt als künftigen Weltenrichter und Heiland der Gläubigen. Es handelt sich um die einzige, mehrfach belegte Selbstbezeichnung Jesu, und sie wird nirgends erklärt, also als bekannt vorausgesetzt. Die Neutestamentler streiten sich seit langem, ob mindestens für den zweiten, ankündigenden Gebrauch ZNT 3 (2. Jg. 1999) die Sprache der Apokalyptik, insbesondere Dan 7,13, die Grundlage geliefert hat. Die Auseinandersetzung läßt sich dadurch einerseits unbekümmerter, andererseits um so heftiger führen, als man in der Regel auf Semantik verzichtet und sich statt dessen an das Lexikon hält. Danach läßt sich behaupten, daß zugrunde liegende aramäische bar 'zenas(a') habe » 1. den Menschen generell (im >generischen Sinn,), 2. irgendeinen Menschen (im indefiniten Sinn) und ... 3. selten ,ich< bedeutet. 24 Verfolgt man statt bloßer lexikalischer Anreihung jedoch die Sprachgeschichte, so ergibt sich, daß nicht nur der dritte Sinn für die Zeit Jesu mehr als umstritten ist, sondern auch der erste, sonst »bezeugt ab dem 10. Jh.n. Chr.«. 25 Übrig bleibt also für das Mittelaramäische zunächst ein indefiniter Gebrauch, der allerdings nur für den indeterminierten Status beim zweiten Nomen, also bar 'zenas, zu belegen ist. 26 In den Targumen ist jedoch andererseits ein Gebrauch mit dem Status emph., also bar 'zenasa' ebenso verbreitet; dieser aber meint: »der (vorgenannte) betreffende, bestimmte Mensch« 27 oder gar im Psalmentargum 8,5; 80,16-18 ein Ehrenprädikat des Messias! 28 J. Jeremias hat also durchaus Recht: »bar bezeichnet das zu dem als Kollektivbegriff gebrauchte 'zenas >Mensch, gehörige Individuum«.29 Das kann aber sowohl auf einen gewöhnlichen Menschen wie auf einen bestimmten, eine herausragende Persönlichkeit verweisen. Da die Worte vom kommenden Menschensohn (insbesondere Lk 12,8; Mk 8,28) zumeist als alt und am ehesten auf Jesus selbst zurückgehend beurteilt werden, kann sich die überlieferungsgeschichtliche Rückfrage auf diesen Strang beschränken. Da nach Dan 7,13 ein kebar 'zenas mit den Wolken des Himmels kommen wird ('ateh), wird beim Für oder Wider eines apokalyptischen Einflusses auf Jesus primär um diese Stelle gerungen. Nach dem Danielkontext ist der indeterminiert verwendete Ausdruck noch nicht titular verstanden worden; vielmehr wird ein von oben kommender »Menschenähnlicher« geweissagt, dem das universale, ewige Gottesreich übertragen wird und der das Gegenbild darstellt zu den von unten stammenden, tierischen Repräsentanten vorangehender irdischer Weltreiche (7,1-8). Das von Gott heraufgeführte und durch den Menschenähnlichen bestimmte Heilsreich wird wirklich menschlich-menschenwürdig gestaltet sein im Gegensatz zu den vergangenen und gegenwärtig bestehenden Herrschaftssystemen der Weltzeit. Wer aber ist mit diesem Repräsentanten und Regenten des Gottesreiches gemeint? Abwegig erscheint die bei vielen Exegeten seit 150 Jahren beliebte These, der Ausdruck werde in Dan 7 auf das Kollektiv des Volkes bezogen. Sollte der Apokalyptiker sich das endzeitliche Israel wie einen Heuschreckenschwarm vorgestellt haben, der auf himmlischen Wolken heranschwebt? Die Semantik ZNT3 (2.Jg.1999) schließt es aus. Das betont vorangestellte Singulativ bar (anders 7,4! ) meint im damaligen Aramäisch fraglos eine individuelle Größe, am ehesten einen Erzengel, der zugleich als der Völkerengel Israels angesehen worden sein mag. 30 Zwischen der Abfassung von Dan 7 und derjenigen der Evangelien liegen aber mehr als zwei Jahrhunderte. Währenddessen ist die von Daniel geschaute Gestalt von der nachfolgenden Apokalyptik in veränderte Erwartungshorizonte gestellt und abgewandelt rezipiert worden. Zeitlich nicht weit von Dan 7 entfernt, weissagt die Tiervision des Henoch, vermutlich aufgrund einer hebräischen Wiedergabe baen 'adam, einen mit Anbruch des Heilszeitalters auftauchenden weißen Bullen als den zweiten Adam, in den alle dann existierenden Arten von Menschen verwandelt werden (I Hen 90,37f.). 31 Die Gestalt wird in weiteren apokalyptischen Texten zunehmend individueller aufgefaßt, und ihr werden mehr und mehr Kompetenzen zugeschrieben, so schon in der Daniel-Septuaginta 32 , dann den Bilderreden des Henoch, dem 4. Esra; im syrischen Baruch taucht zwar der Ausdruck selber nicht auf, sein Inhalt wird aber vorausgesetzt, indem eine vor dem Weitende eintretende Anfangszeit des Messias von einer späteren Parusie der hier ebenfalls Messias genannten Gestalt »in Herrlichkeit« unterschieden wird. 33 Fügen sich die Aussagen des Jesus der Evangelien in diese Entwicklungslinie einer endgültigen Heilandsgestalt mit ihren mehrfachen Funktionsbestimmungen des o hyos tau anthropou nicht durchaus sinnvoll ein, historisch gesehen? Daran ist eine weitere Beobachtung anzuschließen. Wo in diesen Apokalypsen der endzeitliche Menschensohn oder eine ihm entsprechende Heilandserscheinung geweissagt werden, ist immer auch von einem zukünftigen Messias die Rede. Dieser aber wird vom ersten stets abgehoben (Ausnahme syr Bar), und zwar so, daß der Messias vorangeht, allein für Israel zuständig ist, sein Volk befreit und dann verschwindet, während danach der Menschensohn erscheint, der mit der Totenauferweckung und dem Weltgericht im Zusammenhang steht und ein endgültiges universales Heil heraufführt. So die Henoch-Bilderreden und 4. Esra (vgl. schon Dan 9,26 mit 7,13; I Hen 90,9-14 mit V.37f.; Apok Abr 29 mit 31). Die Apokalyptik (im Laufe der Zeit auch Daniel) vertritt also eine zweistufige Messianologie, um es in der Begrifflichkeit des syrBar zu formulieren, sie bietet, genauer gesagt, eme Zwei-Stadien- Heilandserwartung. Trifft die Beobachtung zu, so legt sich bei bestimmten Abschnitten der Evangelien die Frage nahe, ob da nicht ein gleiches Nacheinander in Blick auf das kommende Heil vorausgesetzt war, zumindest in aramäischen Vorstufen der Texte. Denn das Christus-Prädikat wird mehrfach mit seinem Erdenwirken in Israel in Beziehung ge- 46 setzt (z.B. Mk 15,18.26.32); wo im Kontext auf den Menschensohn eingegangen wird, wird sein Erscheinen hernach unter veränderten Umständen erwartet, was Mk schon mit dem Kreuzestod anscheinend anheben läßt (8,27-30+31; 13,21f.+24-27; 14,61f.). Hing diese Unterscheidung womöglich mit Jesu Selbstverständnis zusammen? 5. Jesu Angriff auf den Tempelkult Spielen apokalyptische Ideen eine wichtige Rolle für den Prozeß Jesu und das Todesurteil über ihn? Die Evangelisten lassen an einigen Stellen hindurchscheinen, obwohl sie selbst den Zusammenhang nicht durchschauen, daß J esu verbaler und aktiver Angriff auf die Tempelinstitution Anlaß für seine Verhaftung und die Anklage gewesen sind (Mk 14,18.58; vgl. 13,lf.; Joh 2,19f.; Apg 6,14). Der Überfall auf den Verkauf von Opfertieren (die im Tempelvorhof feilgeboten werden, weil sie dort auf levitische Makellosigkeit geprüft worden waren? ) bedeutet eine gewaltsame Störung des Opferdienstes. Die Aktion fügt sich zu der im anderen Zusammenhang überlieferten Weissagung Jesu, daß der Tempel abgebrochen und in drei Tagen durch ihn wiederaufgerichtet werde. Als eine Art profetische Symbolhandlung (vgl. Jes 20) nimmt sie zukünftiges Geschehen zeichenhaft vorweg. Der Tempel ist seiner Aufgabe nicht nachgekommen, Bethaus für die Völker zu sein, sondern zu einer Räuberhöhle entartet. So wird er beseitigt. Er wird durch ein eschatologisches Gegenbild ersetzt, das göttlichem Willen gemäß ist. 47 Eine Kritik des Tempels wegen der dort geübten Ausbeutung der Armen und einer vorherrschenden Verunreinigung war für die Gemeinde von Qumran der Grund, sich vom Kult in Jerusalem fernzuhalten. Mit solcher Distanzierung waren schon apokalyptische Schriften vorangegangen, die den zweiten Tempel scharf verurteilen und ein eschatologisches, weltweites Heiligtum erwarten. Vielleicht zielt schon Dan 9,24 auf die Salbung eines ewigen Allerheiligsten, dessen Rang über den demnächst wieder funktionierenden J erusalemer Kult hinausreicht. Deutlich gibt jedenfalls die Tiervision des Henoch einem Gegensatz zwischen dem bestehenden und dem endzeitlichen Gottesheiligtum Ausdruck. Mit der eschatologischen Kehre wird danach der zweite Tempel restlos beseitigt - »Alles Brot auf ihm war verunreinigt und nicht rein« (89,73) - und mit dem Einbruch der Heilszeit ein für sich neuer Tempel errichtet, »und alle wilden Tiere und alle Völker des Himmels versammelten sich in jenem Haus« (90,28- 33 ). Die sogenannte 10-Wochen-Apokalyse erwähnt in ihrem Geschichtsabriß zwar Bau und Zerstörung des salomonischen Tempels, verschweigt aber die Existenz des zweiten Tempels und kündet erst für die eschatologische Zukunft an, daß »der Tempel der Herrschaft des Großen in der Herrlichkeit seines Glanzes für alle Generationen auf ewig« errichtet werde (I Hen 93,7f.; 91,13). Die syrische Baruch- Apokalypse schildert in ihrer ersten Vision, wie der Tempel in Jerusalem durch die Kaldäer zerstört wird, aber zuvor Gesetzestafeln von Engeln in der Erde verborgen wurden »bis auf die letzten Zeiten«, wenn dann das Paradies mit dem himmlischen Jerusalem und der eschatologischen Stiftshütte auf die Erde herabkommt (6,6-9; 4,1-7); auch hier bleibt der zweite Tempel unberücksichtigt, wohl deshalb, weil er nicht als Gott wohlgefällig gilt. Den zweiten Tempel lehnt auch der Kreis ab, der hinter dem Gotteswort für ein anderes Heiligtum in der Tempelrolle von Qumran steht (11 Q 19.20); dabei ist allerdings nicht sicher, ob das Programm auf eine apokalyptisch verstandene Endzeit zielt (vgl. weiter Jub 1,17.27.29; 4,26). Auf dem Hintergrund solcher Stimmen scheint es zweifelhaft, daß die »Tempelreinigung« von Jesus als grundsätzliche Verwerfung von Kult überhaupt gemeint und er der Überzeugung gewesen wäre, daß mit der demnächst vergehenden Weltzeit auch der Tempel für immer verschwinde. 34 Stand Jesus der Apokalyptik seiner Zeit womöglich näher als der Hellenist Markus, dessen Passionsbericht die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge in Palästina nicht versteht? 6. Die Ostererfahrungen der Apostel Wie immer man über das Maß apokalyptischer Voraussetzungen bei Jesus selbst urteilen mag ihre ausschlaggebende Rolle bei seinen Anhängern nach seinem Tode und damit bei der Entstehung des urchristlichen Kerygmas ist nicht zu verkennen. Die Erscheinungen des hingerichteten Meisters in Verbindung mit Auditionen konnten nur deshalb als Beweis seiner Auferweckung und seines Übergangs in eine himmlische Herrlichkeit begriffen werden, weil die Überzeugung von eschatologischer Totenerweckung den Betroffenen längst gewiß war! In den Tagen des altisraelitischen Königtums hingegen hätte eine solche Erscheinung kaum anders gewertet werden können als die Erscheinung des abgeschiedenen Samuel vor Saul (I Sam 28) nämlich als die eines sehe- ZNT 3 (2.Jg. 1999) menhaften Geistes oder Gespenstes. Für manche Neutestamentler scheint ein unableitbarer Auferstehungsglaube die Wurzel aller Christologie zu sein, als deus e machina der neutestamentlichen Botschaft. Wer zu historischen Erwägungen bereit ist, wird auch für die den Aposteln widerfahrenen Erscheinungserlebnisse mentale und psychologische Voraussetzungen in Rechnung stellen, ohne die Kontingenz des Geschehens in Abrede zu stellen. Das gilt ebenso für die Hörer, die sich dann ohne eigene Begegnung mit dem Auferstandenen der Urkirche angeschlossen haben. Neben der Erwartung einer endzeitlichen Totenerwekkung, welche die Apokalyptik geweckt hatte und die auch in die Targume eingedrungen war Qes 26,19; Jer 51,39.57 u. ö.), mag die Idee einer Reinkarnation entrückter Gottesmänner (wie Elija) eine Rolle gespielt haben und natürlich die (durch Jesus) an einen kommenden Menschensohn geknüpfte Erwartungen. »So konnte man durch Ostern die Aufrichtung der Gottesherrschaft durch Jesus ihrem Inhalt nach neu bekräftigt sehen«.35 Ohne daß solche Überlieferungen bekannt und für selbstverständlich gehalten worden waren, wäre es zu keinem Osterglauben gekommen. Den Einfluß apokalyptischer Ideen, insbesondere des Danielbuches, auf Jesus und die Urgemeinde zu bestreiten, führt also dazu, beide Erscheinungen aus ihrem religionsgeschichtlichen Kontext herauszulösen. 36 Anmerkungen 1 Die Anfänge der christlichen Theologie, ZThK 57 (1960) 162-185: 180 = E. Käsemann, Exegetische Versuche und Vorarbeiten II, Göttingen 2 1960, 82- 104: 100. 2 K. Koch, Ratlos vor der Apokalyptik, Gütersloh 1970, 35-37; zu Käsemann, 71-73. 3 Vgl. Art. Apokalyptik/ Apokalypsen IV (A. Strobel), TRE 3, Berlin 1978, 251-257: 255. 4 K. Koch, Ratlos, 55 ff. 5 M. Hengel/ A.M. Schwemer (hgg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, (WUNT 55) Tübingen 1991. 6 Obd 21 spricht von der meluka, der Königsmacht, die Jahwä dann wieder zukommt, vermeidet jedoch den Begriff malkut; vgl. weiter Sach 14,9. 7 Vgl. die prohasmonäische Parteinahme in I Sam 2,4; dazu K. Koch, Das apokalyptische Lied der Profetin Hanna, in: W. Zwickel (hg.), Biblische Welten, FS M. Metzger (OBO 123) Fribourg 1993, 61-82: 64.71. Der Profetentargum hatte eine längere Re- ZNT3 (2.Jg.1999) daktionsgeschichte. Dabei gehören die den rabbinischen Theorien fremden Auffassungen m. E. zu einer früheren Stufe. 8 Der Profetentargum bleibt in dem sonst materialreichen Lehrbuch von G. Theissen/ A. Merz, Der historische Jesus, Göttingen 1996, im Abschnitt über die »Aussagen über das Reich Gottes in der zwischentestamentarischen Zeit« (228 ff.) unerwähnt. Anders die vorzügliche Darstellung in Art. Kingdom of God, Kingdom of Heaven (D. C. Duling), AncBD 4, Garden City 1992, 49-56. 9 Zur Übersetzung K. Koch, Daniel (BK XXII 2) Neukirchen-Vluyn 1994, 103. 10 Dazu vgl. Duling, Kingdom, 52. 11 Hebräisch wird ein künftiges Gottesreich ausgedrückt in lQM VI 6; XII 7-15; XIX 8 und in einigen Synagogengebeten; Bill I 179. Aramäisch erscheint das Gottesreich als präsentische Größe I Hen 84,3, wohl auch Dan Add 3,35 (K. Koch, Deuterokanonische Zusätze zum Danielbuch, (AOAT 38) Neukirchen-Vluyn 1987, I 91. 202.210). 12 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I, Gütersloh 3 1979, 104f. 13 Die Worte Jesu, Leipzig 2 1930, 75-119. 14 Ebd. 77. 15 Vgl. Art. gamos (K. Niederwimmer), ThWNT I, Stuttgart 1980, 564-571 : 570; Art. Reich Gottes I. Im Judentum und NT (H. Conzelmann), RGG 3 5,Tübingen 1961, 911-918: 915. 16 Art. Herrschaft Gottes/ Reich Gottes VII (C. Walther), TRE 15, Berlin 1986, 228-244. 17 Art. Herrschaft Gottes/ Reich Gottes IV (A. Lindemann), TRE 15, Berlin 1986, 196-218: 200. 18 K. Koch, Die hebräische Sprache zwischen Polytheismus und Monotheismus, in: ders., Spuren des hebräischen Denkens, Gesammelte Aufsätze 1, Neukirchen-Vluyn 1991, 25-64. 19 Anders, aber kaum überzeugend, 0. Camponovo, Königtum, Königsherrschaft und Reich Gottes in den frühjüdischen Schriften (OBO 58) Fribourg 1984, 428-432, zum Profetentargum. 20 Dazu K. Koch, Der Schatz im Himmel, in: ders. Vor der Wende der Zeiten, Ges. Aufs. 3, Neukirchen- Vluyn 1996, 267-279. 21 Bill 4, 815-857. 22 Verhängnis und Verheißung der Geschichte, (FRLANT 97) Göttingen 1969, 90-106: 98. 23 H. Gunkel in: APAT II 357. 24 So wieder Theissen / Merz, Jesus, 4 71. 25 K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Ergänzungsband, Göttingen 1974, 311. 26 Z.B. I Hen 22,5; Beyer, Texte, 241. 27 So z.B. in Unterscheidung zum indefiniten Gebrauch Targum Neofiti zu Gen 9,5f. 28 K. Koch, Das Reich der Heiligen und der Menschensohn, in: ders., Die Reiche der Welt und der kommende Menschensohn, Gesammelte Aufsätze 2, Neukirchen-Vluyn 1995, 140ff.: 157-162; ders., Messias und Menschensohn, in: ders., Vor der Wen- 48 de der Zeiten, Gesammelte Aufsätze 3, Neukirchen- Vluyn 1996, 235-266: 243-246. 29 Neutestamentliche Theologie 1, 248. 3 ° K. Koch, Das Buch Daniel (EdF 144) Darmstadt 1980, Kap. 9; J. J. Collins, Daniel (Hermeneia), Minneapolis 1993, 304-310. 31 Koch, Messias und Menschensohn, 248-250. 32 K. Koch, Spätisraelitisch-jüdische und urchristliche Danielrezeption vor und nach der Zerstörung des zweiten Tempels, in: R. G. Kratz/ Th. Krüger (hgg.), Rezeption und Auslegung im Alten Testament und in seinem Umfeld (OBO 153) Fribourg 1997, 93-123: 99-101. 33 Messias und Menschensohn, 244-264. 34 Theissen/ Merz,Jesus, 381. 35 J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin 1996, 443. 36 Das Danielbuch hatte wohl deshalb um die Zeitenwende besonderes Ansehen erlangt, weil seine zentrale Weissagung über 3,5 Jahre Tempelentweihung sich so termingerecht erfüllt hatte wie keine andere im profetischen Schrifttum. TANZ - Texte und Arbeiten zum Neutestamentlichen Zeitalter Peter Söllner Jerusalem,~ ~gebaute Stadt Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum Peter Söllner Jerusalem, die hochgebaute Stadt Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum TANZ 25, 1998, XII, 348 Seiten, DM 96,-/ ÖS 701,-/ SFr 86,- ISBN 3-7720-1876-9 Wie konnte es zur Vorstellung des "Himmlischen Jerusalem" kommen, die erst im neutestamentlichen Kanon aber nicht vorher - Erwähnung findet? Die Arbeit geht der traditionsgeschichtlichen Entwicklung des eschatologischen und "Himmlischen Jerusalem" im Frühjudentum und im Neuen Testament nach. In diesem Zeitraum vom dritten vorchristlichen Jahrhundert bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde die alttestamentliche Zion/ Jerusalem-Restaurationskonzeption auf die veränderten politisch-gesellschaftlichen sowie religiösen Situationen in modifizierter Form appliziert. Jürgen Zangenberg Frühes Christentum in Samarien Topographische und traditionsgeschichtliche Studien zu den Samarientexten im Johannesevangelium TANZ 27, 1998, 308 Seiten, DM 78,-/ ÖS 569,-/ SFr 74,- ISBN 3-7720-1878-5 Jürgen Zangenberg Frühes Christentum in Samarien Topographische und traditionsgeschichtliche Studien zu den Samarientexten im Johannesevangelium Samarien ist für die neutestamentliche Exegese noch weitgehend terra incognita. Und doch besitzt die Region vor allem für das Johannesevangelium eine im NT einzigartige Bedeutung. Die Arbeit setzt nun nicht bei theologischen oder historischen Modellen zur Geschichte des frühen Christentums an, sondern bewußt bei den Ortsangaben des Evangeliums selbst. Was wissen wir von diesen Orten? Welches religiöse und kulturelle Profil der Region Samarien ist erkennbar? Wie geht der Evangelist mit den dort ansässigen Gruppen um? - A. Francke Verlag Tübingen und Basel· Postfach 2560 • D-72015 Tübingen 49 ZNT 3 (2. Jg. 1999) Folker Siegert Die Apokalyptik vor der Wahrheitsfrage - Gedanken eines Lesers zum vorstehenden Artikel von Klaus Koch 1. Es gibt exegetische Richtigkeiten, und es gibt theologische Wahrheiten (oder Wahrheit). Erstere zusammenzutragen, ist Zweck eines Sammelwerkes wie JSHRZ; auch viele neutestamentliche Kommentarreihen erschöpfen sich darin. In Person und Anspruch Jesu jedoch bündelt sich beides. So möchte ich es mir erlauben, von den Richtigkeiten eine Brücke zu schlagen zur Wahrheitsfrage. Klaus Kochs nicht selten polemische Korrekturen an der exegetical correctness unseres Jahrhunderts bleiben insofern innerhalb ihrer, als sie apokalyptisches Denken allgemein nicht aber konkrete apokalyptische Aussagen als Bezugsrahmen Jesu erweisen. Daß hier insbesondere aramäische Texte einschlägig sind, leuchtet natürlich ein. Der Tag, wo man zum ersten Mal den Ausdruck >Sohn Gottes< in einem Qumran-Fragment aramäisch las, ging durch die Weltpresse. Ein Problem erwächst aus apokalyptischem Denken da, wo ein Visionär sich vermißt, ein Prophet zu sein (vgl. schon Jer 23, 27f.). Welcher Apokalyptiker seit »Daniel« hätte etwas Wahres oder wenigstens Richtungweisendes über die vor ihm liegende Zukunft zu sagen gewußt so wie Israels Gang ins Exil und die Rückkehr aus dem Exil ihre Propheten hatten? Es gibt schon Gründe, warum das rabbinische Judentum nach der Katastrophe Jerusalems die von keiner Fortschreibung des Danielbuches vorausgesehen oder gar verhindert worden war bei der These blieb, mit Haggai, Sacharja und Maleachi ende die Prophetie. Man hatte gekämpft und war gestorben im Vertrauen auf falsche Propheten. Der Trost, den die jüdischen Apokalypsen bereithalten von ps.-Daniels Erwartung eines Sturzes der Seleukidenherrschaft bis zum slavischen Henoch, der das Heil Jerusalems für eine Zeit zu erwarten gibt, in der dann ausgerechnet Hadrian herrscht besteht im jeweiligen Verweis auf eine nahe Zukunft, die, endlich gekommen, sich als ZNT 3 (2.Jg. 1999) schlimmer erweist als die bisher schon als unerträglich empfundene Lage. Das »hermeneutische« Multiplizieren von Jahren zu J ahrwochen usw. mochte sodann in der Wirkungsgeschichte dieser Texte die Atempause verlängern doch um den Preis, daß ein Pseudo-Wissen über den vorgesehenen Ablauf der Weltgeschichte entstand. Auch für dieses ist jede Bestätigung ausgeblieben; statt ihrer erhielten wir Geschichtsphilosophien und Ideologien, deren Wirksamkeit ebenso unbestritten ist, wie sie der westlichen Welt zunehmend fatal wurden. Bleiben wir in der großen geschichtlichen Perspektive! Gegen das Ende dieses 20. Jahrhunderts können wir doch feststellen: Die Erwartungen eines Staatswesens »mit menschlichem Angesicht«, die von der Menschensohn- Vision in Dan 7 geweckt wird (und von der Abschnitt 4 recht sympathisch spricht), hat sich bisher am ehesten in solchen Gesellschaften verwirklicht, deren politische Agenten sich nicht als Erfüller eines Weltplanes verstanden. Die einzige Wahrheit, die den apokalyptischen Schriften eignet, ist die des Protestes, also der Negation. Hinter ihr stehen die »Zukurzgekommenen der Geschichte«. Darum vermag jede Theologie, die Katastrophen bewältigt, ihnen Sympathie entgegenzubringen. Es sei ihrer gedacht im Sinne von J. B. Metz als der Opfer von Gewalt und menschlichem Hochmut. Man lese sie als Gegenmittel gegen ein theologia gloriae. 2. Bleibt die Wahrheitsfrage angesichts von Texten, die uns als kanonisch überliefert werden. Erfahren wir aus ihnen Gültiges, was nicht Menschen sich selber, sondern Gott den Menschen sagt? Es sei R. Bultmann zugute gehalten, daß er als Religionsgeschichtler, der er zeitlebens war nie von einem, wenn auch punktuellen, offenbarungstheologischen Ansatz abgelassen hat. Mit ihm der Käsemanns These bekanntlich nicht geteilt hat 1 fragen wir: wo ist hier ein Gotteswort? 50 Folker Siegert Professor Dr. theol. Folker Siegert, geb. 1947, derzeit ordentlicher Professor für Judaistik und Neues Testament und Leiter des Institutum Delitzschianum in Münster. Zahlreiche Studien zu Philo von Alexandrien, zum antiken Judentum und zur neutestamentlichen Theologie. Am wenigsten, scheint mir, in den als besonders alt und authentisch angesehenen apokalyptischen Äußerungen Jesu. Auch sie wurden, je konkreter, umso irriger: »Amen, amen, ich sage euch: dieses Geschlecht wird nicht vergehen [... ].« Inzwischen sind viele Geschlechter vergangen. Es gibt keine bessere Antwort auf diese Verlegenheiten, als mit dem Kerygma, mit dem Johannesprolog, mit vielen anderen, mit Buhmann zu sagen: Jesus Christus selber ist das Wort Gottes. Dieses spricht uns an als Wort der Versöhnung (II Kor 5, 19). Ein Wissen aber teilt es uns nicht mit, weder über Gott noch über die Welt. Dieses Wort bringt uns in einen Kontakt mit Gott einen heilsamen Kontakt -, den man mit vielen Begriffen und Metaphern, auch, wenn man will, mit dem Ausdruck Gottesreich bezeichnen kann (so auch Paulus in Röm 14, 17). Dann liefern die apokalyptischen Texte, wie im 4. Abschnitt des Artikels angedeutet, gerade in ihrer diachronen Entwicklung Farben für die Ikone einer »Heilandsgestalt«. Diese ist mir selber freilich weniger wichtig als das aufregende, wenn auch wiederum nicht alles entscheidende - Bild das irdischen Jesus, wie es etwa aus der Quelle Q resultiert. Wie weit aber und inwiefern das Gottesreich für mich, für uns heute eine räumliche und/ oder eine zeitliche Dimension hat, darüber ist von keinem Apokalyptiker etwas zu erfahren außer der Forderung als solcher. Daß die Apokalyptiker 51 selbst in der Regel das Heil in zwei Stufen erwarteten - Punkt 4 am Ende schließt hier Jesus ein -, mag immerhin entlastend wirken angesichts der Anfragen an die Kirche: wo sieht man etwas vom Heil? Auch geht die Theologie in der christlichjüdischen Verständigung jetzt verstärkt auf die Zweistufigkeit von Röm 11 ein, im Verlassen bisheriger Geschichtsentwürfe. 3. Nach Abschnitt 5 hat Jesu Polemik gegen den Zweiten Tempel einen weiten apokalyptischen Hintergrund (und Jesus erweist sich einmal mehr als radikaler als die Pharisäer). Dieser Hintergrund verblaßt für mich aber vor der friedlichen Art, mit der wenigstens hier die Christen ihren eigenen Gottesdienst und ihr Herrenmahl einrichten, ohne die religiösen Übungen anderer zu stören. Nicht einmal der Hebräerbrief hat es nötig, auf das gewaltsame Ende des Jerusalemer Opferkults hinzuweisen. Darauf hat erst späterer Triumphalismus Wert gelegt. Wenn wir schon die apokalyptische Realität von damals nicht übernehmen, so auch nicht die Haltung des irdischen Jesus, die, als prophetische Geste mit alsbaldiger Erfüllung, in seinem Tod aufgehoben ist. Was vorher Apokalyptik war, wird Christologie. Muß das den Exegeten stören? 4. Dem 6. Abschnitt könnte ich am meisten zustimmen, finde ihn jedoch einer Ergänzung bedürftig, die nochmals bei der Richtigkeit einsetzt und sich von dort durchfragt zur Wahrheit. Die Erwartung einer Totenauferweckung in verschiedenen Formen zum Guten, auch zur Strafe (Platons Staat) ist zu J esu Zeiten Gemeingut der Menschheit gewesen. Sie gehört zur Religion als menschlichem Fragen nach Gott. Die Inder hatten sie früher als die Griechen, und die Griechen früher als die Juden. Die Apokalyptiker haben sie nicht aufgebracht, sondern zu ihrer Popularisierung im Judentum beigetragen. Das mag ihr Verdienst sein; nur eben: bis zu ihnen hin handelt es sich um unbestätigte Erwartungen; und der Wunsch ist Vater des Gedankens. Nichts verbürgt eine individualisierende relecture von Ez 37. Hier darf man naturgemäß eine Bestätigung durch nachprüfbare Sachverhalte nicht verlangen ZNT3 (2.Jg.1999) (auch nicht in der Form von Mt 27, 62-66), so wahr es um den Übergang in einen »anderen Aeon « gehen soll. (Darum gehören, streng genommen, auch die Totenauferweckungen des irdischen Jesus nicht hierher.) Die biblische - und apokalyptische - Sprache hilft immerhin, die Erwartung zu präzisieren und der griechischen letztlich animistischen - These von der Unsterblichkeit der Seelen die Ankündigung einer Neuschöpfung (Röm 8; II Kor 5) entgegenzusetzen. Abschnitt 6 geht aber in eine andere Richtung mit seiner These, daß auch die Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen einzige »Bestätigung« dessen, was wir oben einen Wunschgedanken nannten sich dem apokalyptischen Denken verdanken. Das ist richtig, tant bien que mal. Ein Unwohlsein bleibt, denn die allgemeine Erwartung der Menschheit (die Mehrheit des Judentums inbegriffen) macht die visionäre Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen nicht plausibler, als diese jene. Der Glaube darauf läuft nun mein Plädoyer hinaus nährt sich nicht aus visionären Ereignissen, sondern aus der im Wort der Versöhnung erfahrenen Gotteskindschaft. Sie erhält in den Schriften des Neuen Testaments einen vielfältigen, vielstimmigen Ausdruck, dessen Grundstimmung auch »kontrafaktisch« durchgehalten die Freude ist. Demgegenüber eine letzte Bemerkung, die nochmals ein Unwohlsein aufgreift: Es ist menschlich verständlich, aber theologisch nicht weiterführend, wenn der einzige Apokalyptiker, der mit einer eigenen Schrift in unserem Neuen Testamtent auftritt, einen rächenden Christus verlangt (Apk 6, 10). Ich meine also: den Einfluß der antiken und jüdischen Apokalyptik auf Jesus, auf die Kirche und auf die Christenheit gilt es ebenso klar zu sehen - Ziel des Artikels wie zu begrenzen - Ziel dieser Antwort. Anmerkung 1 Siehe seine Exegetica, Tübingen 1967, 476-482. ZNT 3 (2.Jg. 1999) Das Grundthema der Gottesfrage Olav Hanssen Gott alles in allem Exegetische Einblicke in das Neue Testament. Mit einem Geleitwort herausgegeben von Christoph Burchard. 1999. 95 Seiten, kartoniert DM 28,- / öS 204,- / SFr 27,20 ISBN 3-525-53646-1 Der erste Aufsatz dieser Sammlung war eine der Ola>,HaM-sen Gott alles in allem ~>- .. ln~N<M>T~t ""! <-~"°" c--frühesten Arbeiten über die Bergpredigt, die sie als theologische Leistung des Evangelisten Matthäus zu erfassen suchte, und gehört damit zu den Pioniertaten moderner Evangelienauslegung. Diese, wie auch die folgenden exegetisch-homiletischen Auslegungen zu Predigttexten sind aber auch Muster geistlicher Schriftdeutung, die sich weder vor den intellektuellen und moralischen Zumutungen der Modeme in wissenschaftslosen Biblizismus rettet, noch die Bibel so religionslos interpretiert, daß sie dasselbe sagt wie der Zeitgeist. Es geht hier um das Grundthema der Gottesfrage. Weil diese das theoretische und praktische Lebensproblem der Menschheit ist, aber allein Gott sie in der Begegnung mit dem Menschen lösen kann, liest und deutet Olav Haussen die Bibel mit der hermeneutischen Vorgabe, daß sie die Offenbarung Gottes bezeugt. Deren konkrete Züge arbeitet er besonders aus dem Neuen Testament heraus. Für ihn ist dabei philologisch-historische und weil historisch, auch kritische Exegese eine theologische Notwendigkeit, der er nüchtern nachkommt, um dann zum Gegenstand von Predigt und Seelsorge das zu erheben, was dazu hilft, der Gottesfrage zu begegnen (Weihnachten, Ostern, Sendung, Gottes gute Gaben, Gemeinde in der Welt und Gebet). Weitere Informationen: Vandenhoeck Et Ruprecht, Theologie, 37070 Göttingen V&R Vandenhoeck &Ruprecht 52 Uwe Böhm/ Gerd Buschmann Ein Gleichnis in der Rockmusik - Bruce Springsteen »My Father's House« und Lk 15,11-32. Ein rezeptionsästhetischer Versuch* » We learned more from a three minute record than we ever learned in school.« (Bruce Springsteen, »No surrender«) Im ersten Heft der ZNT hat Michael Meyer- Blanck »Jesus Christus in der Bibeldidaktik« erfreulich unorthodox und hoffentlich programmatisch für diesen »Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Textauslegung und kirchlicher-schulischer Praxis« (Editorial) »zwischen Exegese und Videoclip« verortet und eine »lebensgeschichtliche, erfahrungs bezogene Christologie im Unterricht« 1 plädiert. Die anzustrebende »doppelseitige Erschließung von Erfahrung und Historie« und »Suche nach Sinn und Bedeutung vollzieht sich über das Spiel mit Sinn und Bedeutung.« 2 Entdekkung geschieht allenthalben durch Verfremdung, die Distanzierung vom Traditionellen ermöglicht und miteinplant. Demnach lohnt es sich, das Thema Jesus Christus nicht nur in der Reihenfolge >Von der Exegese zur Lebenswelt< zu behandeln, sondern auch in umgekehrter Reihenfolge, wie M. Meyer- Blanck empfiehlt. Rockmusik 3 ist zum einen Inbegriff von Lebenswelten4 Jugendlicher, zum anderen spiegelt sie latent oder offen existentielle und religiöse Fragen und Botschaften 5, wie Michael Meyer- Blanck an Madonna »Like a Prayer« (unter Verweis auf Andreas Mertin) und an Marla Glen »Like a Believer« (unter Verweis auf Gotthard Fermor) gezeigt hat. Insofern bietet sich die Rockmusik in besonderer Weise zu einer Umkehrung der Reihenfolge und Exegese und Lebenswelt an. Michael Meyer- Blanck hat den schulischen Religionsunterricht und den kirchlichen Konfirmandenunterricht didaktisch-methodisch im Blick. 6 Ein gegenseitiges Wahrnehmen und Zusammenwirken von Gemeinde und Schule sei verbesserungsfähig. In dieser Zusammenarbeit religionspädagogischer Handlungsfelder fehlt die kirchliche Jugendarbeit, denn gerade dort finden sich authentische Lebensweltäußerungen der Jugendlichen und Vorerfahrungen sowohl konzeptionell in der Kooperation von Jugendarbeit und Schule 7 als auch methodisch in der Behandlung von Popmusik. Denn im Bereich der kirchlichen Jugend- 53 arbeit werden religiöse Elemente der Rock- und Popmusik seit langem vielfältig rezipiert und aufbereitet. Auch der künstlerische Umgang mit Rock- und Popmusik findet sich seit Beginn der SOer Jahre in der kirchlichen Jugendarbeit wieder. Einschränkend gilt allerdings auch, daß Rockmusik und Rockkultur nicht einfach verzweckt für pädagogische Ziele in den Unterricht hinein genommen werden dürfen, sondern nur im Dialog mit den Jugendlichen dort thematisiert werden können. Wenn wir den Ausgang von der Rockmusik wählen darf deren Ausdruck nicht durch pädagogisch definiertes Hören beschränkt werden im Sinne einer einseitigen Instrumentalisierung als »passendes Lied zum Thema«. Im Mittelpunkt muß zunächst der Titel an sich und die Verständigung über die Funktion dieser Musik für das Leben der Rezipienten stehen. Im ersten Schritt haben das Musikhören, das freie Gespräch über Musik, Interpret, Inhalt und Assoziationen und die darauf aufbauende Verständigung absolute Priorität; einseitiger und (ästhetisch-moralisch) wertender Lehrervortrag sind zu vermeiden8; denn es geht um eine Aneignungs-, nicht um eine Vermittlungs-Hermeneutik: »Eine Hermeneutik der Aneignung fragt nach der Bedeutung, die Theologie und Religion für die Ausformung eines lebensweltlichen Alltagsglaubens (... ) gewinnen.« 9 Die erst im zweiten Schritt einsetzende Korrelation 10 von Lebenswelt und Bibeltext, der Vergleich von »My Father's House« mit Lk 15,11-32, geschieht nicht einseitig im Sinne von Problem und Lösung, sondern reziprok im Sinne gegenseitiger Verschränkung und Brechung als »Spiel mit Sinn und Bedeutung.« Es kann also Korrelation nicht mißverstanden werden im Sinne flacher Übertragungen und analoger Parallelismen, sondern im Sinne der dialogischen und reziproken Begegnung in der Zwiesprache, auch und gerade in der Frage, der Anfrage, der Kritik, selbst der Anklage und Herausforderung. Schon lange wird die Musik des großen Rock- »Messias« Bruce Springsteen 11 (in den USA) aus theologischer Perspektive und in ihren religiösen und biblischen Dimensionen wahrgenommen. Aus den oben genannten Gründen ist es auch ZNT3 (2.Jg. 1999) Gerd Buschmann Gerd Buschmann, Jahrgang 1958, 1987-1996 Berufsschulpfarrer der Ev. Kirche von Westfalen, Ausbildungslehrer in der Sek. II, 1994 Promotion im Fach Neues Testament an der Universität Hamburg bei Professor Dr. Henning Paulsen (t), seit 1996 Akad. Rat für Ev. Theologie / Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. durchaus plausibel, einen älteren Titel zu bearbeiten, der nicht so unmittelbar die aktuelle Rock- Lebenswelt von Jugendlichen trifft, und doch grundsätzlich ihre Lebenswelt zu spiegeln vermag. Der sich als nicht-religiös bezeichnende 12 Bruce Springsteen, der in den 70er und 80er J ahren als Singer / Songwriter schnell als neuer Bob Dylan gefeiert wurde und nicht erst mit seinem Album »Born in den U. S. A.« 1984 zu einem »Megastar« wurde, ist in jüngerer Zeit popmusikalisch uninteressierten, aber an theologisch-ethischen Fragestellungen interessierter Zeitgenossen durch seine Filmmusik zu dem die Todesstrafe problematisierenden Film »Dead Man Walking« aufgefallen. Der aus armen, katholischen, italo-irischen Einwandererfamilie stammende, 1949 im Arbeiterstaat New Jersey geborene Springsteen verkörpert die Ängste und Hoffnungen des Jedermann aus der Arbeiterklasse, protestierte gegen den Vietnamkrieg und engagiert sich für Außenseiter und Unterpriviligierte. Mit präzisen Beobachtungen und in oft religiösen Vokabeln und Bildern, die seine katholische Klosterschul-Erziehung spiegeln, zeichnet er authentisch und real in Skizzen von Outcasts der Gesellschaft ein düste- ZNT3 (2.Jg.1999) Uwe Böhm Uwe Böhm, geb. 1963 in Ludwigsburg; Studium des Lehramts für Realschulen; Diplomaufbaustudiengang Erziehungswissenschaft; bis 1996 Realschullehrer und Lehrbeauftragter für Ev. Religionslehre am Staatlichen Seminar für schulpraktische Ausbildung; seit 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Ludwigsburg in der Abteilung Ev. Theologie / Religionspädagogik (Schwerpunkte: Popmusik- und Symboldidaktik; Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule; Religionspädagogik in Europa; Ökumenisches Lernen; Interkonfessionelle Kooperation). res Gesellschaftsbild und Ende des »American Dream«, jedoch nicht ohne jede Hoffnung und stets im Spannungsfeld von Lebenswillen und Resignation, so kann Bruce Springsteen formulieren: »Rock'n'Roll handelt niemals davon aufzugeben.«13 »Taken as a whole, the music of Bruce Springsteen is nothing less than a modern-day theological epic, ... , in which Springsteen assimilates and reinterpretes, in terms suitable for his listeners, many of the essential ideas of the Hebrew-Christian tradition.« 14 Im September 1982 veröffentlichte Bruce Springsteen das auf einem Kassettenrecorder in seiner Wohnung aufgenommene Album Nebraska. Es erinnerte in seiner rohen Tonqualität, der primitiven Gitarre- und Mundharmonika-Begleitung sowie den archetypischen Sujets an die Folk- Balladen Woody Guthries und des frühen Bob Dylan. Den rauhen, tiefen Gesang des näher zu betrachtenden Songs »My Father's House«, im 6/ 8-Takt komponiert, begleitet Springsteen mit einem einfachen Akkordwechsel und einem 16tel- Westerngitarren-Pattern. Folgende Akkordfolge liegt allen Versen zugrunde: Tonika-Subdominante-Tonika-Dominate-Tonika. Durch den Ein- 54 satz des Sehellenkranzes in Strophe 3 bis 5 und zwei Mundharmonika-Soli nach dem 3. und 4. Vers verändert Springsteen das Strophen-Arrangement sparsam. Die Musik darf offensichtlich vom wichtigen Text(inhalt) nicht ablenken. »Religiöse Sehnsucht nach Versöhnung bestimmt die Ballade My Fathers's Hause ... Zunächst träumt er, daß er als Kind auf dem Weg nach Hause vor dem Teufel davonlaufen muß, der ihm dicht auf den Fersen ist. Im Traum läuft er, bis er das Haus seines Vaters sieht, das >hart und hell, in der Nacht leuchtet, und er sich schließlich in den Armen des Vaters wiederfindet. Erwacht, wünscht er sich, daß niemals wieder etwas zwischen den Vater und ihn kommen möge, und er fährt zum Haus des Vaters. Eine unbekannte Frau sagt ihm jedoch durch die angekettete Tür, daß sein Vater nicht mehr dort wohne, sie ihn sogar gar nicht kennt. Es kann keine Versöhnung geben. Das Lied endet mit den Zeilen, daß das Haus seines Vaters hart und hell leuchtet. Es steht wie ein Leuchtturm, der ihn in der Nacht ruft. Kalt und einsam ruft es ihn immer wieder und scheint über den dunklen Highway, wo die Sünden ungesühnt liegen.« 15 Bruce Springsteen, »My Father's House«, CD »Nebrasca« 1982 CBS 7464-38358-2 Last night I dreamed that I was a child out where the pines grow wild and tall I was trying to make it home through the forest before the darkness falls 5 I heard the wind rustling through the trees and ghostly voices rose from the fields I ran with my heart pounding down that broken path with the devil snappin' at my heels I broke through the trees and there in the night 16 10 my father' s house stood shining hard and bright the branches and brambles tore my clothes and scratched myarms but I ran till I feil shaking in his arms I awoke and I imagined the hard things that pulled us apart will never again sir tear us from each other's hearts 15 I got dressed and to that house I did ride from out on the road 17 I could see its windows shining in light I walked up the steps and stood on the porch a woman I didn't recognize came and spoke to me through a chained door 20 I told her my story and who I'd come for she said »I'm sorry son but no one by that name lives here any more« My father's house shines hard and bright it stands like a beacon calling me in the night calling and calling so cold and alone 25 shining cross this dark highway where our sins lie unatoned 55 Uwe Böhm/ Gerd Buschmann Ein Gleichnis in der Rockmusik Übersetzung: Letzte Nacht träumte ich, ich sei ein Kind draußen, wo die Tannen wild und in die Höhe wachsen versuchte ich, durch den Wald hindurch nach Hause zu gelangen bevor die Dunkelheit hereinbricht 5 Ich hörte den Wind durch die Bäume rauschen und Geisterstimmen aus den Feldern kommen Ich rannte mit klopfendem Herzen den kaputten Pfad hinunter wobei der Teufel mir in die Versen schnappte Ich brach durch die Bäume und da in der Nacht 10 stand das Haus meines Vaters schwer und hell erleuchtet die Zweige und das Gestrüpp zerrissen meine Kleider und schürften meine Arme aber ich rannte, bis ich mich in seinen Armen gewiegt fühlte Ich erwachte und stellte mir die schweren Dinge vor, die uns trennten werde nie wieder, Sir, uns aus unseren Herzen reißen 15 Ich zog mich an und fuhr zu diesem Haus von der Straße aus konnte ich sehen, daß seine Fenster hell erleuchtet waren Ich stieg die Stufen empor und stand auf der Veranda eine Frau kam, die ich nicht kannte, und sprach zu mir durch eine mit einer Kette verschlossene Tür 20 Ich erzählte ihr meine Geschichte und wessentwegen ich gekommen sei. Sie sagte »tut mir leid, mein Sohn, aber niemand mit solch einem Namen wohnt hier mehr« Das Haus meines Vaters leuchtet schwer und hell Es steht wie ein Leuchtturm, der mich ruft in der Nacht der ruft und ruft, so kalt und einsam 25 der herüberscheint auf diese dunkle Straße auf der unsere Sünden ungesühnt liegengeblieben sind Die beschriebene Situation dürfte der Biographie jedes Jugendlichen vertraut sein: zunächst der Traum zurück in die Kindheit, die Angst auf dem Heimweg zu Einbruch der Dunkelheit, das Pochen des Herzens beim Rennen, die Sehnsucht nach der Geborgenheit (vielleicht auch der Strafe: »shaking«) in den sicheren Armen des Vaters (Z. 12), dann aber auch die (post)pubertären Konflikte, Spannungen und Trennungen hinsichtlich des Elternhauses, das harte Erwachen aus dem Kindertraum, der Wunsch nach Aussöhnung und das tragische Erkennen, daß es ein »zu spät« für die Versöhnung gibt (Z. 13; 26): »our sins lie unatoned.« »In the music of Bruce Springsteen, there ist ... a version of the fall of man and his loss of Eden. However, Springsteen tells the story not in the traditional terms found in the Bible, but in terms of what happens between parents and children (and especially fathers and sons) in all generations.«18 Das spiegelt typische, lebensweltliche Erfahrungen Jugendlicher und junger Erwachsener, über die es gilt, vermittelt über den Song, selbständig und ohne Bezug zum biblischen Text ZNT3 (2.Jg.1999) Thomas Bickelhaupt, Verlorener Sohn, 1992 Eiltempera auf Papier, 30 cm x 42 cm ins Gespräch zu kommen. Dazu eignet sich diese zu Hause aufgenommene Unplugged-Version, da sie authentisch, echt und ehrlich ist. Sie verzichtet auf synthetische Klänge, bleibt durchsichtig und bricht ohne Nachspiel mit »unatoned« ab. Erst dann geschieht die Korrelation mit dem Bibeltext: Die Anlehnung an das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) ist unübersehbar, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, daß im Text Springsteens der barmherzige Vater fehlt. Jetzt wären Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Song und Gleichnis herauszuarbeiten und die Tragfähigkeit eines Glaubens an den barmherzigen Vater lebensweltlich kritisch zu überprüfen. Bruce Springsteen formuliert die Lebensangst als menschliche Lebensbedingung, protestierend schreit er »die Angst und Frustration . . . vieler junger Menschen laut heraus. Es sind Menschen, die kriminell geworden sind, die ihre Arbeit verloren haben, die in verfallenen Häusern leben müssen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden« 19 : ein Leben ohne Verheißung ZNT 3 (2.Jg. 1999) und Hoffnung. Zugleich begegnet das Licht als ein Symbol für das Göttliche. Es symbolisiert die in vielen seiner Titel angesprochene Sehnsucht nach Versöhnung und Erlösung, den Glauben an die letztgültige Versöhnung des verlorenen Sohnes mit dem barmherzigen Vater: My father's house shines hard and bright / it standslike a beacon calling me in the night / calling and calling so cold and alone / shining cross this dark highway / where our sins lie unatoned.« In rezeptionsästhetischer Perspektive erhellt die Korrelation mit der Springsteen-Ballade die Parabel in Lk 15,11-32 20 nicht nur didaktisch, sondern auch exegetisch. Zunächst fällt auf, daß Springsteen ganz aus dem Blickwinkel des jüngeren Sohnes erzählt (Lk 15,11-24); der ältere Sohn und der zweite Teil der Parabel begegnen nicht (Lk 15,25-32); die »Zweigipfeligkeit« 21 entfällt. Lautet der Titel also traditionell zu Recht »Parabel vom verlorenen Sohn« (Harnisch), während Bultmann empfiehlt »Parabel von den verlorenen Söhnen« 22 und Rau »Von einem Mann, der zwei Söhne hatte«? Exegetisch begründen läßt sich das einerseits mit der seit Julius Wellhausen 23 gelegentlich geäußerten, aber unwahrscheinlichen Vermutung eines sekundären Zusatzes von Lk 15, 25-32; dagegen spricht nicht nur die Erwähnung des älteren Sohnes schon in Lk 15, 11 (der Hörer weiß, daß der Ältere noch eine Rolle spielen wird), die stilistische und sprachliche Einheitlichkeit beider Teile, die Parabel-typische Darstellung zweier gegensätzlicher Typen 2 4, sondern auch die historisch-situative Verortung der (lukanischen) 25 Parabel in J esu Auseinandersetzung mit den Pharisäern von der zweiten Hälfte der Parabel her. 26 Rau nimmt entgegen dem Trend der Gleichnisforschung die von Jülicher und Jeremias gestellte Frage nach der historischen Situation, in der die Gleichnisse Jesu ihre Wirkung erzielten, wieder auf und sieht die Pointe und historische Verortung des Gleichnisses von dem »Mann, der zwei Söhne hatte« im zweiten Teil des Textes in J esu Versuch, pharisäische Kritiker zur Freude an der Umkehr der Sünder und zur Mahlgemeinschaft einzuladen. Andererseits erscheint die Perspektive vom jüngeren Sohn aus entgegen einer exegetischen Betonung der Zweigipfeligkeit und der historisch-situativen Verortung der Parabel vom zweiten Textteil her (vgl. jüngst wieder: Rau) gleichermaßen aus didaktisch-alltagsweltlicher wie Gleichnis-theoretischer Sicht (vgl. u. a.: Harnisch) sinnvoll. Die Bewegungsrichtung der Gleichnisse, ins- 56 besondere der Parabeln, hat einen grundsätzlich alltagsweltlichen Bezug: »sie setzt bei der Lebenswelt der Hörer und gewohnten Erfahrungen ein. Sie holt die Adressaten bei ihrem Alltag ab uns stiftet so zunächst einmal Zustimmung. Im Zuge des Erzählvorgangs kommt es aber dann zu überraschenden Wendungen, die das Gewohnte in neuem Licht erscheinen lassen und den Blick öffnen für neue Möglichkeiten.« 27 Das (therapeutische28) Identifikationsangebot mit dem Verlorenen scheint schon immer ein wesentlicher Rezeptionsfaktor der Parabel gewesen zu sein; hier läßt sich auch didaktisch und alltagsweltlich am ehesten anknüpfen, zumal viele Jugendliche den Konflikt mit und das »Abhauen« aus dem Elternhaus inkl. der Probleme eines selbständig-organisierten Lebens, der Schuldgefühle und des bleibenden Bedürfnisses nach Akzeptanz durch das Elternhaus im Alltag existentiell durchleben. Beide Teile der Parabel »handeln von einer problematischen Vater-Sohn-Beziehung.« 29 Rockmusik kann dabei gleichermaßen Movens, Ausdruck und Spiegel solcher Erfahrungen sein. Kurz: Selbst wenn das Gleichnis (auf lukanischer Redaktionsstufe) zu Menschen gesagt ist, die dem älteren Bruder gleichen 30 , so wird es offenbar vielfältig rezipiert von Menschen, die sich im jüngeren Bruder wiedererkennen (und also die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen zentral ist) der in der ursprünglichen Parabel auch im Mittelpunkt gestanden haben dürfte (Harnisch). Die Lage des jüngeren Sohnes ist in der ursprünglichen Parabel trotz klimaktischer Darstellung ganz realistisch und alltagsweltlich gezeichnet; schließlich treibt ihn nicht das schlechte Gewissen, sondern der Hunger als Überlebensmaxime nach Hause. Die Parabel erscheint bis zum Eingreifen des Vaters (Lk 15,206-24) realistisch-alltagsweltlich und nicht außergewöhnlich; die erzählte Welt orientiert sich an den wirklichen Lebensverhältnissen. 31 Erst der Schlußakt »zerbricht das Erwartungsmuster der direkt und indirekt Beteiligten. Denn auf das Entgegenkommen des Vaters ist der Sohn so wenig gefaßt wie der Rezipient des Erzählten. Was dem Ankömmling widerfährt, markiert den Drehpunkt einer Kehre, die ... über den Horizont des wirklich Vorstellbaren hinausschwingt.«32 Als »die neue Unübersichtlichkeit« als derzeitiges Resümee der Forschungsgeschichte der Gleichnis-Auslegung »schließlich führt die mit Recht postulierte Offenheit, Unersetzlichkeit und 57 Thomas Bickelhaupt, Zwischen Schweinen, 1992 Eiltempera auf Papier, 30 cm x 42 cm Vielschichtigkeit der Gleichnisse dazu, daß jede einzelne Auslegung bestenfalls eine Näherung an den Sinn des Textes darstellt, ihn aber nicht ein für allemal >festlegen< kann.« 33 Die hermeneutisch-mataphorische Gleichnisauslegung (Ernst Fuchs, Paul Ricoeur, Dan Otto Via, Eberhard Jüngel, Hans Weder, Wolfgang Harnisch u. a.) hat entgegen der historisch-kontextualisierenden, ursprungsgeschichtlich-situativen Auslegung (Adolf Jülicher, Charles Harold Dodd, Joachim Jeremias, Eta Linnemann, Eckhard Rau u. a.) gezeigt, daß die Gleichnisse unabhängig von Komplexität (im Sinne von klarer Sach- und Bildhälfte und eindeutigem tertium comparationis) das Ziel von Gleichnisauslegung sein kann, sondern die Betonen der Komplexität des Narrativen. »Vorausgesetzt wird dabei, daß Gleichnisse dramatische Erzählungen sind, die zunächst einmal unabhängig von ihrer Entstehungssituation und sogar der Person des Erzählers verstanden werden können.« 34 Konkret auf Lk 15 bezogen beantwortet die metaphorische Gleichnisdeutung entgegen der hi- ZNT3 (2.Jg.1999) storisch-situativen die Frage, welchem der beiden Söhne der Rang der dramatischen Hauptfigur zukommt eindeutig zugunsten des jüngeren: »Wie D.O. Via geltend gemacht hat, ist letztere (= Geschichte des jüngeren) >kräftiger entwickelt als die Geschichte des älteren<, und auch >die Behandlung des Themas ... legt den Nachdruck ... auf die Erlösung des verlorenen Sohnes.< Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß dem älteren trotz der Schlußstellung seines Auftritts nur eine dramatische Nebenrolle zugewiesen wird. Er fungiert als Kontrastfigur ... « 35 Hat schon das Fehlen des älteren Sohnes als einer der drei Hauptakteure in Lk 15,11-32 in der Adaptation (sie! ) Springsteen dazu geführt, daß sich die spezifisch theologische Zielsetzung der Parabel (Auseinandersetzung mit den Pharisäern) (sie! ) zugunsten einer allgemein anthropologischen Fragestellung (Identifikation mit dem verlorenen Sohn) 36 verlagert hat, so wird das noch dadurch verstärkt, daß auch der zweite Hauptakteur der Parabel, der Vater, nicht begegnet. Das fällt auf gegenüber der exegetischen Position, »daß weder der jüngere noch der ältere Bruder die eigentlich beherrschende Figur des Gleichnisses ist, wenn auch zu sagen ist, daß das ganze Gleichnis aus der Perspektive des jüngeren Bruders erzählt ist und daß sich im älteren Bruder der Adressat des Gleichnisses verbirgt bzw. verrät. Beherrschend ist die Figur des Vaters, dessen Handeln die Mitte des Geschehens ausmacht.« 37 Hier scheint sich die eigentliche Pointe in Springsteens Ballade zu finden: der gütig-vergebende Vater, dessen Kennzeichen sein »Entgegenkommen« ist, fehlt; der verlorene Mensch ist auf sich allein zurückgeworfen, das verlassene Vaterhaus kann den Wunsch nach Geborgenheit, Akzeptanz und Vergebung der Sünden nicht befriedigen: »where our sins lie unatoned.« Die Pointe der biblischen Erzählung, die erst durch das erstaunliche Verhalten des Vater zur außergewöhnlichen Familiengeschichte wird, fehlt bei Springsteen; hier gilt also nicht: »M. E. verteilt sich der Höhepunkt des Gleichnisses nicht auf zwei >Gipfel" sondern liegt im Zentrum der Geschichte, nämlich beim Vater und dem von ihm veranstalteten Fest.« »Gegenstand dieser Gleichnisrede ist die ganz und gar ungewöhnliche, unverdiente Zuwendung eines Vaters zu seinem deklassierten Sohn.« 38 Hier fehlt der liebevolle, entgegeneilende, immer da-seiende, schranken- und vorbehaltlos vergebende, barmherzige Vater, der das Scheitern seines Sohnes nicht verdammt. »Der ZNT 3 (2.Jg. 1999) Thomas Bickelhaupt, Heimkehr, 1992 Eiltempera auf Papier, 30 cm x 42 cm Kuß kommt vor dem Bekenntnis der Schuld! Der Vater erkennt in der Rückkehr die Umkehr. Das ist das überwältigende Entgegenkommen, das unerwartete Zuvorkommen des Vaters. Das bedeutet, daß der entscheidende Schritt, ... , sich in der Initiative des Vaters vollzieht.« 39 Mit dem Fehlen des Vaters reiht sich Springsteen ein in die für das 20. Jhdt. typische Rezeption der Parabel: das Interesse gilt besonders dem verlorengegangenen Sohn. »Und in der Literatur des 20. Jahrhunderts, die sich des Themas annahm, erscheint der Vater außer bei A. Gide überhaupt nicht mehr. Da ist kein Vater, der aus der Verlorenheit erlöst.« 40 (vgl. F. Kafka, Heimkehr/ R. M. Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge). In der nicht-theologischen Rezeptionsgeschichte zeigt sich einmal mehr: entgegen dem für die historisch-situative Gleichnis- Exegese und Theologie so zentralen Bezug auf den älteren Bruder, findet die Identifikation wesentlich mit dem Verlorenen statt; auch die Darstellungen der Kunst geben fast ausschließlich die 58 Heimkehr des Verlorenen bzw. seinen Empfang beim Vater wieder und symbolisieren damit die grenzenlose Sehnsucht nach einem Vaterhaus (vgl. Dürer, Rembrandt, Rodin, Chagall, Gitterle). Der wesentliche Verstehenshorizont von SchülerInnen ist die Identifikationsgestalt des verlorenen Sohnes, im Gegensatz zur historisch-situativ erhobenen Konfliktsituation der Verkündigung der Parabel durch Jesus. Didaktisch gilt es (mit Springsteen) bei der menschlichen Situationsbeschreibung anzusetzen. Es gibt insofern »nicht bloß exegetische, sondern auch unterrichtspraktische Gründe, von dem kontextualisierenden bzw. ursprungsgeschichtlichen Ansatz von Jeremias und Linnemann abzurücken . . . Sie haben überdies den großen Nachteil, das Gleichnis in der Vergangenheit festzuhalten ... Auf diesem Hintergrund gewinnt das Verständnis der Gleichnisse als >autonome Gebilde, die ihre Botschaft in sich selber tragen und immer wieder neu zur Sprache bringen« (Theissen) unmittelbar unterrichtspraktische Relevanz.« 41 Gleichnisse beziehen sich auf elementare Erfahrungen, eine Unterscheidung von »damals« und »heute« ist nur bedingt nötig, sie erlauben eine direkte Begegnung und Auseinandersetzung. Neben diesen gewichtigen Unterschieden finden sich aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Parabel und Ballade: Die Welt »draußen« (vgl. Lk 15,14-17) ist dunkel (Z. 4), teuflisch (Z. 8) und verletzend (Z. 11), der Sohn sehnt sich nach der Geborgenheit in den Armen des Vaters (Lk 15,20b) (z. 12), er erkennt seine Schuld und will sie dem Vater bekennen (Lk 15,18-20a.21) (Z. 13 ff); prinzipiell ist es im Hause des Vaters »hell« (Z. 16 / 22), jedoch es ist im Gegensatz zu Lk 15 verschlossen (Z. 19) und der Vater wohnt nicht mehr dort (Z. 21), sondern auf der »anderen Seite« (Z. 25): kein offenes Vaterhaus, kein Vater, der seinem Sohn entgegenkommt! Die Ballade verharrt in der Traurigkeit, im Gegensatz zu Lk 15: »Das Gleichnis hat seine Einheit zuletzt darin, daß es zur Einladung an den Tisch der Freude des Vaters wird: ,Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden< (Luk. 15, 32). So könnte das Gleichnis die Überschrift tragen: Die Freude des Vaters. Freude ist das Stichwort, das unser Gleichnis mit den beiden vorhergehenden Gleichnissen in Luk. 15 verbindet.« 42 Bei Springsteen fehlt das, was die Pointe der Parabel erst ausmacht und was die Ballade heuristisch wertvoll 59 Uwe Böhm/ Gerd Buschmann Ein Gleichnis in der Rockrnusil< macht: »das Fest der Heimkehr als eine Idylle, die der harten Realität hohnspricht. Aber auf diese Kontrastrelation von verwirktem und wunderbar ermöglichtem Dasein will die narrative Fiktion gerade hinaus ... Die erzählte Welt ist nicht eindimensional auf die Sphäre des Wirklichen bezogen.«43 Gerade im Vergleich zur realistisch-desillusionierenden Ballade Springsteens zeigt die biblische Parabel ihren Mehrwert: der Umschwung und Aufschwung durch den unerwarteten, überschwenglichen Empfang des Vaters durchbricht das Alltagsweltliche und Faktische und mutet surrealistisch das Irreale zu. Indem sie im Kontexteiner von Leistung und Recht, Tun und Ergehen bestimmten Ordnung des Wirklichen auf dem überraschenden Ende einer idyllischen Festgesellschaft beharrt, verwandelt sie »das, was aus der Sicht der alltäglichen Lebensverhältnisse als normalerweise unerschwingliche Ausnahme erscheinen muß, zur ,Regel<.« Die Parabel sagt Hoffnung zu: »Wie die Anweisung des Vaters in der Erzählung dem Entfremdeten Einlaß gewährt, teilt sich die Erzählung selbst als ein Wort mit, das Hoffnung einräumt .... « 44 ,: -Gewidmet den Söhnen: Niklas Buschmann, geb. 22.10.1998 / Simeon Böhm, geb. 30.11.1998. Anmerkungen 1 Michael Meyer-Blanck, Zwischen Exegese und Videoclip - Jesus Christus in der Bibeldidaktik, in: ZNT 1 (1998) 65-77: 65. 2 A.a.O., 68: >»to play with meaning, überlagert >the quest for meaning< unter Verweis auf James W Fowler. »Es ist diese spielerische, ästhetisch gebrochen auf religiöse Inhalte anspielende, bisweilen ironisierende Art und Weise, mit religiösen Inhalten umzugehen, die Jugendliche aus der Werbung und aus Videoclips kennen.« - Vgl. auch: Horst Albrecht, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart 1993, 145: »Religion in den Massenmedien läßt sich ... als Religion des Spiels begreifen« unter Verweis auf Johan Huizinga, Homo ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur, Frankfurt/ M. 1951. 3 Der Begriff wird z. T. gleichbedeutend mit Popmusik verwandt, z. T. davon unterschieden. Popmusik ist, anders als die populäre Musik von Volksliedern -, an industrielle Produktion, Warencharakter, leichte Aneignung und weitestgehende Verbreitung gekoppelt. Rockmusik legt innerhalb der Popmusik Wert auf authentische Ausdrucksformen in der Tradition des afro-amerikanischen Rhythm & Blues. »Rock existierte und existiert zuallererst immer als ZNT 3 (2.Jg. 1999) ,underground" als ungewohnte, provozierende Musik, die bei Erwachsenen Befremden und Ablehnung hervorruft ... Pop ist ... eine Musik der Erwachsenen für die Jugend, und nicht, ... , eine Musik der Jugend für sich selbst.« (Martin E. Musch-Hinnerich, »We Don't Need No Education«. Rockmusik, Jugend und Pädagogik, in: Bistum Limburg (hg.), Information für Religionslehrerinnen 1990, 23-27: 23 f.) Dieser idealistischen Unterscheidung zufolge wäre Pop mit Kommerz und Rock mit Authentizität und Ehrlichkeit verknüpft. Zur Definition vgl. ferner: Reinhard Flender & Hermann Rauhe, Popmusik. Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen, Wirkung und Ästhetik, Darmstadt 1989, 17; Peter Bubmann & Rolf Tischer, Spielarten populärer religiöser Musik, in: dies. (hgg.), Pop & Religion. Auf dem Weg zu einer neuen Volksfrömmigkeit? , 16-28: 20; Bernward Halbscheffel & Tibor Kneif, Sachlexikon Rockmusik. Instrumente, Stile, Techniken, Industrie und Geschichte, Reinbek 1992; Bernd Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik. Analysen und Interpretationen, Praktische Theologie heute 28, Stuttgart 1997, 17: »Der Begriff Rockmusik wird oft zur Benennung eher harter und ,authentischer< Musik in der Tradition des Rhythm & Blues verwendet. Von Popmusik sprechen manche oft in polemischer Absicht zur Betonung des Unterhaltungs- und Zerstreuungsaspekts einiger Richtungen . .. Meines Erachtens lassen sich die begrifflichen Unklarheiten beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht lösen.« 4 Zum Begriff »Lebenswelt« in dogmatischer Perspektive vgl.: Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin/ New York 1995, 168-192: »Die gegenwärtige Lebenswelt als Kontext des christlichen Glaubens.« - Zu einer Lebenswelt-orientierten Religionspädagogik vgl. u. a.: Gerd Buschmann, Unterwegs zu einer Lebenswelt-orientierten Religionspädagogik oder: was aus religiösen Elementen in Musik-Videos zu lernen wäre«, EvEsz 50 (1998), 188-203. - Zum Begriff der Lebenswelt in der Soziologie vgl.: Werner Bergmann, Lebenswelt, Lebenswelt des Alltags oder Alltagswelt? Ein grundbegriffliches Problem »alltagstheoretischer« Ansätze, KZS 33 (1981), 50-72. 5 Eine tiefergreifende theologische Auseinandersetzung mit Rockmusik findet sich im deutschsprachigen Raum verstärkt erst seit Beginn der 90er Jahre, wofür exemplarisch folgende Titel stehen mögen: Peter Bubmann & Rolf Tischer (hg.), Pop & Popreligion. Auf dem Weg zu einer neuen Volksfrömmigkeit? , Stuttgart 1992; Horst Albrecht, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart 1993; Andrew Greeley, Religion in der Popkultur. Musik, Film und Roman, Graz 1993 (Originaltitel: God in Popular Culture, Chicago 1998); Ilse Kögler, Die Sehnsucht nach mehr. Rockmusik, Jugend und Religion, Graz 1994; Rolf Siedler, Fee! it in Your Body. Sinnlichkeit, Lebensgefühl und Moral in der Rockmusik, Mainz 1995; Bernd Schwarze, Die Religion der Rock- und Popmusik. Analysen und Interpretationen, Prakti- ZNT 3 (2.Jg. 1999) sehe Theologie heute 28, Stuttgart 1997 (vgl. dazu die Rezensionen von: Peter Bubmann, ThLZ 123 (1998), 800f.; Gerd Buschmann, PTh 33 (1998), 313- 316) / Hubert Treml, Spiritualität und Rockmusik. Spurensuche nach einer Spiritualität der Subjekte. Anregungen für die Religionspädagogik aus dem Bereich der Rockmusik, Ostfildern 1997, Zeitzeichen 3. 6 Meyer-Blanck, Exegese, 69f. 7 Vgl. Uwe Böhm, Jugendarbeit und Schule, Religionspädagogische Perspektiven 27, Essen 1996; Uwe Böhm & Martin Weingardt (hg.), Lebensräume öffnen. Neue Schritte zum kreativen Miteinander von Jugendarbeit - Schule - Gemeinde, Stuttgart 5 1998; Uwe Böhm & Martin Weingardt, Kooperation von Lehrern und Jugendarbeitern in Württemberg. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: ru - Ökumenische Zeitschrift für den Religionsunterricht 27 (1997), 145-149: 148 f. 8 Vgl. Gerd Buschmann, Rock, Pop, and all that DJ- Culture - Thesen zu Popularmusik, Religon und Kirche aus religionspädagogischer Perspektive, PTh 33 (1998), 41-54: 53f.; Siedler, Body, 309f.; Vgl. auch Gerd Buschmann, Hurthige Kritik und Feiste Anmerkungen. Eine konstruktive Polemik zu jüngsten Darstellungen von Popmusik und Religion in medien praktisch, Medien praktisch 22 (1998), 45- 47. 9 Klaus Goßmann & Norbert Mette, Lebensweltliche Erfahrung und religiöse Deutung. Ein religionspädagogischhermeneutischer Zugang, in: Comenius-Institut; Gottfried Adam/ Klaus Goßmann (hg.), Religion in der Lebensgeschichte. Interpretative Zugänge am Beispiel der Margret E., Gütersloh 1993, 163- 175: 164, vgl. 167: »Was ergibt sich, wenn man von der Lebenssituation ausgeht und von hier aus den Zugriff zur herkömmlichen Theologie vollzieht? «; Ulrich Becker & Christoph Th. Scheilke (hg.), Aneignung und Vermittlung. Beiträge zur Theorie und Praxis einer religionspädagogischen Hermeneutik, FS Klaus Goßmann, Gütersloh 1995. 10 Das meint eine kritische Beibehaltung der in jüngster Zeit zunehmend in Frage gestellten Korrelationsdidaktik im Sinne unseres katholischen Kollegen Reinhold Boschki, Dialogisch-kreative Religionsdidaktik. Eine Weiterentwicklung der korrelativen Hermeneutik und Praxis, KatBI 123 (1998), 13-23 (dort weitere Lit.). 11 Zur biographischen und discographischen Erstinformation über den Interpreten vgl. Barry Graves & Siegfried Schmidt-Joos, Das neue Rock-Lexikon, Bd. 2, (überarbeitete und erweitere Neuausgabe) Reinbek 1990, 752-756; Frank Laufenberg & Ingrid Hake, Frank Laufenbergs Rock- und Poplexikon, Bd. 2, Düsseldorf/ Wien 1994, 14-26; Christian Graf, Rockmusik-Lexion Amerika, Australien, Karibik, Afrika, Bd. 2, Hamburg 1989, 922-926; Greeley, Popkultur, 146-150: Kurzbiographie Bruce Springsteen (von Ilse Kögler). - Zur theologischen Rezeption vgl.: George Y. Yamin, The Theology of 60 Bruce Springsteen,JRSt 16 (1988), 1-21: 3f.; Greely, Religion in der Popkultur, 47-58; 146-150. - Im deutschen Sprachraum u. a.: Ilse Kögler, Die Sehnsucht nach mehr. Graz 1994, 228 f.; Gerd Buschmann & Kathrin Küßner, Das Exodus-Motiv in zwei Beispielen der Pop-Musik. Fächerübergreifender Unterricht ev. Religion/ Englisch, rabs - Religionspädagogik an berufsbildenden Schulen 30 (1998), 78-82. 12 Vgl. Yamin, Theology, 19: »At this point, it should perhaps be noted that it is not part of the argument of this essay that the theological ,plot< of Springsteens music is in any way evident to Springsteen himself.« 13 Kögler, Sehnsucht, 229; vgl. Greely, Popkultur, 51: »Gewiß gibt es viel Verzweiflung in seinen Liedern, doch die dunklen Kräfte siegen nicht, sie werden zerstreut durch neue Hoffnungen.« 14 Yamin, Theology, 2. 15 Kögler, Sehnsucht, 229. 16 Nacht und Dunkelheit (vgl. Z. 1; 4; 9; 23; 25) spielen in der Musik Springsteens im Sinne Mircea Eliades häufig die Rolle von »geheilter Zeit«, in der sich das mysterium tremendum et fascinans ereignet, vgl. Yamin, Theology, 4 f. 17 Analog zu Nacht und Dunkelheit fungiert die Straße (Z. 3; 7; 15f.; 25) als »geheiligter Raum«: »there ist always a sense of self-empowerment and vitality for one who walks or rides the streets. As Springsteen sums up, When J'm out in the street / I walk the way I wanna walk / When J'm out in the street / I talk the way I wanna talk«, Yamin, Theology, 5. Dabei nimmt das häufig begegnende Automobil, z.B. der »pink Cadillac«, die Bedeutung eines religiösen Symbols ein. 18 Yamin, Theology, 7. »Banished thus from the fatherland by their own act of self-imposed exile, these >sons of the fathers< begin their journey away from home and away from >paradise<-destination unknown.« (a.a.O., 8). Yamin verweist insbesondere auf die »My Father's House« nahestehenden Titel »Adam Raised a Cain« und »Independence Day«. - Ein anderer Zugang zum Verhältnis »Vater und Sohn« bei Cat Stevens, »Father & Son«, LP »Tea for the Tillerman« 1970 und wieder auf »Greatest Hits« CD 842 309-2 Island Records 1975. - Spezifisch zur Parabel vom verlorenen Sohn sind musikalisch noch interessant: Reinhard Mey, »Zeugnistag« (Text und Melodie auf »Keine ruhige Minute ... «, Intercord 1979 INT 460.121) sowie der »Blues vom verlorenen Sohn« von Siegfried Macht, vgl. Siegfried Macht, Der Moral die Hintertür versperren. Gedicht und Blues vom verlorenen Sohn, in: Religion heute 1986 (Heft 4), 256-258. 19 Greeley, Popkultur, 52. 20 Zur Gesamtinterpretation vgl. die Lit.-Angaben bei: 61 Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1988, ThHK 3, 284 f.; Wolfgang Harnisch, Die Gleichniserzählungen J esu. Eine hermeneutische Einführung, Göttingen 2 1990, 200-230; Eckhard Uwe Böhn11 / Gerd Busch1nann Ein Gleichnis in di~.- Rockmusik Rau, Reden in Vollmacht. Hintergrund, Form und Anliegen der Gleichnisse J esu, Göttingen 1990, FRLANT 149, 182-215. 21 Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 10 1984, 130 f. Der Begriff stammt von Paul Fiebig, Die Gleichnisreden Jesu im Lichte der rabbinischen Gleichnisse des neutestamentlichen Zeitalters. Ein Beitrag zum Streit um die »Christusmythe« und eine Widerlegung der Gleichnistheorie Jülichers, Tübingen 1912, 27; 236. 22 Rudolf Buhmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 8 1970, FRLANT N. F. 12, 212. Vgl. auch den programmatischen Titel bei: F. Schnider, Die verlorenen Söhne. Strukturanalytische und historisch-kritische Untersuchungen zu Lukas 15, Fribourg/ Göttingen 1977, OBO 17. 23 Julius Wellhausen, Das Evangelium Lucae, 1904, 83 f.; Ernst Fuchs, Das Fest des Verlorenen, in: ders., Glaube und Erfahrung, Ges. Aufs. III, 1965, 402- 415: 407; J. T. Sanders, Tradition and Redaction in Luke XV.11-32, NTS 15 (1968f), 433-438. 24 Zugunsten der ursprünglichen Einheitlichkeit von Lk 15,11-32 vgl. u. a.: Bultmann, Geschichte, 212; Joachim Jeremias, Die Sprache des Lukasevangeliums. Redaktion und Tradition im Nicht-Markusstoff des dritten Evangeliums, Göttingen 1980, KEK.S, 248-255; Georg Eichholz, Gleichnisse der Evangelien. Form, Überlieferung, Auslegung, Neukirchen-Vluyn 3 1979, 216; Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen 5 1979, HUT 2, 160-164; Harnisch, Gleichniserzählungen, 214; Eckhard Rau, Reden in Vollmacht. Hintergrund, Form und Anliegen der Gleichnisse Jesu, Göttingen 1990, FRLANT 149, 182f. (in 182 Anm. 2 weitere Lit.). 25 Harnisch, Gleichniserzählungen, 224-230 schreibt die situative Verortung der Parabel in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern erst der lukanischen Redaktion zu: »Die Parabel wird funktionalisiert und dem Interesse einer persuasiven Strategie dienstbar gemacht« (228). Dazu begreift Harnisch Lk 15,24a.32b als redaktionell. (200 Anm. 70; 202; 209; 212; 214; 225; 228). 26 Vgl. Jeremias, Gleichnisse Jesu, 115f; Eta Linnemann, Gleichnisse Jesu. Einführung und Auslegung. Kurzausgabe. Göttingen 1978, 76: »Wie bei allen doppelgipfeligen Parabeln liegt das Schwergewicht auf der zweiten Hälfte.«; Rau, Reden, 182-215. 27 Frauke Ruetz, Hartmut Rupp, Winfried Wallenwein, Gleichnisse Jesu. Sieben Bausteine zur UE Gleichnisse Kl. 5/ 6, entwurf. Religionspädagogische Mitteilungen 1 (1991), 43-57: 43. 28 Vgl. Christoph Kähler, Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie. Versuch eines integrativen Zugangs zum kommunikativen Aspekt von Gleichnissen J esu Tübingen 1995 WUNT 78; Wilfried Depnering, Transaktionsanalyse als Interpretationshilfe für biblische Texte. Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn transaktionsanalytisch betrachtet, W zM 43 (1993 ), ZNT 3 (2.Jg. 1999) 335-346; H. Poensgen, Die Befreiung einer verlorenen Beziehung. Eine biblisch-homiletische Untersuchung zu Lk 15,11-32 unter besonderer Berücksichtigung familientherapeutischer Erkenntnisse, Frankfurt/ M. u. a. 1988, EHS 23. 330. 29 Harnisch, Gleichniserzählungen, 202. - Rau hingegen sieht den älteren Sohn eher unproblematisch als wirklichen Gerechten (Reden in Vollmacht, 197ff.), ohne zu sehen, »daß die Geschichte den älteren bewußt ,in ein schlechtes Licht, stellen will.« 30 Jeremias, Gleichnisse J esu, 130 f. und also die Rechtfertigung der Botschaft Jesu gegenüber Kritikern im Mittelpunkt steht. - Harnisch, Gleichniserzählungen, 215 kritisch: »Nun erscheint aber als zweifelhaft, ob sich einem Hörer, der von der überraschenden Peripetie der ersten Geschichte und ihrem festlichen Ausklang beeindruckt ist, die Gestalt des älteren Sohnes überhaupt noch als Identifikationsfigur anzubieten vermag.« 31 Vgl. Harnisch, Gleichniserzählungen, 202-205.217f. 32 Harnisch, Gleichniserzählungen, 219. 33 Christoph Kähler, Kennwort: Gleichnisse, GlL 13 (1998), 98-111: 110 f. - Die Dissertation von Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, Göttingen 3 1984, FRLANT 120, stellt ein forschungsgeschichtliches Resümee der Gleichnisforschung bis 1983 dar. - Eine knappe Forschungsgeschichte aus religionspädagogischer Perspektive bietet Hartmut Rupp, Gleichnisse im RU - Schön! Aber wie? , entwurf. Religionspädagogische Mitteilungen 1 (1991), 39-42. 34 Ruetz, Rupp, Wallenwein, Gleichnisse Jesu, 43. - Im Gegensatz dazu vgl. z.B. Rau, Reden in Vollmacht, 395: »Erst die konsequente Historisierung eröffnet den Zugang zu dem, was die Gleichnisse auch heute zu sagen haben.« 35 Harnisch, Gleichniserzählungen, 215 f. 36 Vgl. Siegfried Macht, Der Moral die Hintertür versperren. Gedicht und Blues vom verlorenen Sohn, in: Religion heute 1986 (Heft 4), 256-258. - Natürlich ist auch eine Identifikation mit dem älteren Sohn (oder dem Vater) möglich, was allerdings eher einen häuslich-fromm-(klein)bürgerlichen, und nicht einen rebellierenden Rezipienten voraussetzt, vgl. dazu Christa Spilling-Nöker, Möglichkeiten und Grenzen des biblischen Rollenspiels. Hier: Das ZNT 3 (2.Jg. 1999) Gleichnis vom verlorenen Sohn, Sekundarstufe II, in: Religion heute 1985 (Heft 1), 33-35). 37 Eichholz, Gleichnisse, 219. - Vgl. auch Rudolf Hoppe, Gleichnis und Situation. Zu den Gleichnissen vom guten Vater (Lk 15,11-32) und gütigen Hausherrn (Mt 20,1-15), BZ 28 (1984), 1-21. 38 Karl-Wilhelm Niebuhr, Kommunikationsebenen im Gleichnis vom verlorenen Sohn, ThLZ 116 (1991), 482-494: 487. - Den Sitz im Leben findet Niebuhr nicht in der Verkündigung an Außenstehende oder gar Gegner, sondern in der innerchrist! ichen Unterweisung zur Festigung der Gruppenidentität. 39 Eichholz, Gleichnisse, 208, Ähnlich Jüngel, Paulus und Jesus, 161 f.; Harnisch, Gleichniserzählungen, 205. - Rau, Reden in Vollmacht, 187 bezweifelt diese Deutung, daß das Gleichnis die Macht der zuvorkommenden Liebe verdeutlichen will; sie belaste eine erzähltechnisch begründete Einzelheit mit einem Gewicht, das sie nicht zu tragen vermag und stelle nicht in Rechnung, daß der Hörer, wenn er mit V. 20b-c konfrontiert wird, ja bereits weiß, was der Sohn sagen will: »Das Eingeständnis der Unwürdigkeit, Sohn genannt zu werden, ist die Voraussetzung dafür, daß die Barmherzigkeit des Vaters den Umkehrenden in seine alte Stellung wieder einsetzt.« (188) 40 Manfred Suermann, Das Gleichnis vom verlorenen Sohn in Kunstwerken der Vergangenheit und Gegenwart. Dargestellt an ausgewählten Beispielen mit didaktischen Anregungen zur U nterrichtsgestaltung, KatBl 106 (1981), 322-332: 322. 41 Hartmut Rupp, Erzählwege als Lernwege. Die Erzählstrategien der Gleichnisse Jesu als Hinweise für einen lebendigen Unterricht, GlL 13 (1998), 165- 180: 166. - Vgl. Ruetz, Rupp, Wallenwein, Gleichnisse Jesu, 43. 42 Eichholz, Gleichnisse, 213. - Die Einladung (der Pharisäer) zur Beteiligung an der Freude bildet auch nach Rau, Reden in Vollmacht, den situativen Kontext und die Pointe der Parabel: »Der zweite Teil zeigt, daß sich die Aufforderung zur Mitfreude vor allem an den älteren Sohn richtet.« (198; vgl. 207 u.ö.). 43 Harnisch, Gleichniserzählungen, 219. 44 Beide Zitate a.a.O., 223 f. 62 The Bible and Culture Collective The Postmodern Bible Yale University Press New Haven and London 1995 Eine der bemerkenswertesten bibelwissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre stellt das Buch The Postmodem Bible dar. In den USA fand es bisher eine enorme Verbreitung und wird es auch weiterhin finden, so daß es die aktuelle nordamerikanische Methodendiskussion maßgeblich mitbestimmt und mitbestimmen wird. Das Buchinnere verrät, wer zu dem hochkarätig besetzten Verfasserinnenkollektiv gehört: George Aichele, Fred W. Burnett, Elizabeth A. Castelli, Robert M. Fowler, David J obling, Stephen D. Moore, Gary A. Philipps, Tina Pippin, Regina M. Schwartz, Wilhelm Wuellner. Neun der Autorlnnen widmeten das Buch dem zehnten, nämlich Wilhelm Wuellner, anläßlich seiner Emeritierung. Unter dem Label The Postmodem Bible versammelt das Autorlnnenkollektiv solche Lektüremodelle, die ihnen zufolge bei allen Unter- ■ 63 schieden eines gememsam haben: sie legen den kontingenten und konstruktiven Charakter jeder einschließlich ihrer eigenen - Lektürestrategie offen, indem sie danach fragen wie der Lektüreprozeß verläuft und welchen Bedingungen er unterliegt. Das Buch enthält nach der allgemeinen Einführung sieben Kapitel, die verschiedene Lektürestrategien theoretisch und exemplarisch vorstellen und kritisch diskutieren: 1. Reader-Response Criticism. 2. Structuralist and N arratological Criticism. 3. Poststructuralist Criticism. 4. Rhetorical Criticism. 5. Psychoanalytic Criticism. 6. Feminist and Womanist Criticism. 7. Ideological Criticism. Die Ersetzung der Eigennamen durch die Kollektivbezeichnung The Bible and Culture Collective gehört zum Programm, den der Titel des Buches anzeigt. Das Experiment kollektiven Schreibens soll den konstruktiven Charakter von Autorschaft als Werkherrschaft eines autonomen Subjekts 1 aufzeigen, kritisieren und transformieren, das sich als machtvoll kontrollierende Instanz außerhalb des Lektüreprozesses und seiner strukturellen sowie kulturellen Bedingungen als objektiver Beobachter inszeniert (vgl. 16f.). Die kurz geschilderten Schreiberfahrungen der Gruppe verdienten es schon allein, gelesen zu werden, denn die Schilderung ihrer Erfahrungen (vgl. 15-1 9) regen dazu an, das Experiment zu wiederholen und die Freude am gegenseitigen Austauschen, Besprechen, Kritisieren, Überarbeiten und gemeinsamen Veröffentlichen selbst zu erleben mit Sicherheit eine in vielerlei Hinsicht förderliche Schreiberfahrung, die nicht nur im universitären Rahmen praktizierbar ist, sondern auch Modell stehen könnte für Religionslehrerinnen und Pfarrerlnnen, die in einer Gruppe ihre eigenen Bibellektüren gemeinsam entwickeln und zu Papier bringen, vielleicht auch mit dem Ziel, sie zu publizieren, z.B. in der ZNT. Das Produkt des Bible and Culture Collective ist gerade auch stilistisch als gelungen zu bezeichnen. Die vielfachen gruppeninternen Überarbeitungsprozesse haben sicher dazu beigetragen, daß trotz des Pionierbewußtseins, etwas Neues, herkömmliche Exegese Herausforderndes der Öffentlichkeit vorzulegen, ein angenehm moderater und sachlicher Stil gewählt wurde, der gerade auch Andersdenkenden eine Auseinandersetzung mit den vorgestellten methodischen Konzepten ermöglichen sollte und bei aller Entschiedenheit für die eigenen Positionen sich den Blick für die eigenen Anknüpfungspunkte, Setzungen und Konstruktionen bewahrt. Die Stimme des Bible and Culture Collective ist eine sachkompetente, kritische und informierende, vor allem aber eine fragende Stimme, die das Pathos des allwissenden Erzählers und des besserwissenden Gelehrten konsequent vermeidet. Die Ethik dieses Stils, Position zu beziehen, ohne in die Geste der andere ausgrenzenden »großen Erzählungen« Q.-F. Lyotard, Das postmoderne Wissen, 54) zu verfallen, ist ein integrativer Bestandteil des Plädoyers für eine postmoderne Bibelwissenschaft, die >Postmoderne> nicht mit einer lähmenden und daher den status qua festschreibenden Gleich-Gültigkeit verwechselt. Das Verständnis von Postmoderne des Bible and Culture Collective knüpft hingegen explizit an einen ,Klassiker, der Postmoderne an, nämlich an Francois Lyotards Büchlein La Condition Postmoderne2, ein Schlüsseltext der Postmoderne-Diskussion. In diesem Verständnis wird Postmoderne ZNT 3 (2.Jg. 1999) nicht als Epochenbegriff einer linearen entwicklungsgeschichtlichen Zeiteinteilung verwendet, derzufolge die Postmoderne die Moderne ablöste. Vielmehr handelt es sich um eine Kulturanalyse, die die gegenwärtigen Bedingungen der Generierung von Wissen untersucht (vgl.9f.). Vor allem diese Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Wissensproduktion in die Bibelwissenschaft verstärkt einzubringen ist das generelle Anliegen des Bible and Culture Collective, das ihm wohl auch seinen Namen verdankt, der auf die Verpflichtung der Gruppe auf das in ZNT 2 von David Brakke vorgestellte aktuelle Paradigma us-amerikanischer Exegese, der cultural studies3, verweist. Der postmodernen Ausrichtung der Fragestellung ist es zu verdanken, daß die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Wissensproduktion sich nicht mehr nur auf die gesellschaftlichen Bedingungen der Enstehungszeit der biblischen Schriften richtet, sondern ebenso auf die ihrer gegenwärtigen Lektüren. Damit rücken die Leserinnen und Leser, ihr Begehren, ihre Politik, ihre Ideologien, Wünsche und Sehnsüchte in den aufmerksamen Blick der exegetischen Wissenschaft. Diese werden aber nun nicht mehr nur als zwar unvermeidliches aber objektiv zu kontrollierendes und kontrollierbares Vor-Verständnis behandelt, sondern als konstitutives Element jeder Sinnerzeugung beim Lektüreakt bedacht. Damit fällt das Begehren der modernen Exegese im Zeichen der Aufklärung, einen objektiv festzustellenden Textsinn zu ermitteln, der unberührt von den subjektiven Einstellungen des Lesers überzeitliche Gültigkeit beanspruchen könnte, einer im Wortsinn radikalen Kritik zum Opfer. Diese Kritik ist radikal, weil sie bei der rezeptionsästhetischen Frage ansetzt, wie Sinn entsteht. Indem sie die kreative Energie der Lesenden als sinnkonstituierendes Element begreift, verabschiedet sie die hermeneutische Vorstellung eines dem Leseakt vorausgehenden Textsinnes, den die ZNT 3 (2.Jg. 1999) Lesenden lediglich wiederfinden, bestenfalls rekonstruieren müßten. Damit wird zugleich die Inszenierung moderner Exegetlnnen als objektive Leser offengelegt und kritisiert, die den Text von einer unparteiischen, geschlechtslosen, ideologiefreien Beobachterposition aus zu betrachten meinen, unbeinflußt von kulturspezifischen, gesellschaftspolitischen und konfessionellen Positionen. Indem in der modernen Wissenskonzeption der Text in dieser Weise als Gegenüber des Lesers und sein Sinn als unabhängig vom Lektüreakt ,gewußt< wird, wird er zugleich dem Bible and Culture Collective zufolge in ein historisches Relikt, »an antiquarian artifact« (2) verwandelt. Wenn hingegen die Erkenntnis der Rezeptionsästhetik ernst genommen wird, daß die Lesenden den Sinn des Textes konstruieren müssen, weil er dem Leseakt nicht vorgegeben ist, sondern er in jedem Leseakt von den Lesenden erzeugt werden muß, dann ist der Sinn auch der biblischen Texte nicht mehr ein in der Geschichte der Textentstehung aufzusuchender, sondern der Sinn biblischer Texte gehört in die Zeit ihrer Lektüren. Deshalb faßt der Titel des Buches The Postmodern Bible prägnant das darin vertretene Konzept zusammen, d. h.: die Bibel unter den gegenwärtigen Bedingungen gesellschaftlicher Wissensproduktion gelesen ist (! ) ein postmoderner Text und die kritische Reflexion seiner gegenwärtigen ästhetischen, epistemologischen und politischen Lektürebedingungen (vgl. 2.9f.) gehört zur unverzichtbaren Aufgabe exegetischer Arbeit. Ferner bringt dieses Sinnkonzept die ebenfalls zum Programm der Postmoderne gehörende und vom Bible and Culture Collective befürwortete Dezentralisierung der Bedeutung des Textes mit sich. Wenn nämlich der Sinn im jeweiligen Leseakt konstruiert werden muß, es also keinen Singular des einen Textsinnes, sondern nur eine Pluralität der Textsinne gibt, dann hat der Text kein Zentrum, keine in sich ruhende Vollständigkeit und die wissenschaftliche Exegese verliert ihren Machtanspruch, in einzig wirklich kompetenter und letztlich allen anderen überlegener Weise, den Sinn des Textes zumindest approximativ finden und im doppelten Sinn des Wortes bestimmen zu können (vgl. 2f.). Das Unbehagen traditioneller Exegese gegenüber dieser postmodernen Sinnkonzeption mit ihren weitreichenden Folgen für die exegetischen Fächer, aber letztlich auch für die gesamte Theologie, wirft eine Reihe von Gegenfragen auf, von denen die sicherlich nicht unwichtigsten Fragen die folgenden drei wären: 1. Katapultiert die postmoderne Kritik des Projekts der Aufklärung die Bibelwissenschaften nicht in eine prämoderne, voraufgeklärte Lektürehaltung, die unter der Fahne des progressiven Neuen einen ungewollten verheerenden regressiven Effekt mit sich bringt? 2. Propagiert das Konzept der Postmodern Bible nicht die absolute Beliebigkeit der Interpretation, die als Effekt davon nicht nur die Arbeit wissenschaftlicher Exegese überflüssig, weil letztlich belanglos macht, sondern auch einen hemmungslosen, die Grundlagen westlicher Demokratien gefährdenden epistemologischen und ethischen Relativismus fördert? 3. Reißt dieses postmoderne Sinnkonzept die biblischen Texte nicht aus ihren ursprünglichen historisch-kulturellen Entstehungsbedingungen, und erweist es sich damit nicht als ahistorische, respektlose und daher gewaltsame Vereinnahmung, die zwar dem Konsumverhalten kapitalistischer Gesellschaften, nicht aber den biblischen Texten gerecht wird? Die erste Frage wäre zu bejahen, wenn das Postmoderne-Konzept des Bible and Culture Collective ein entwicklungsgeschichtlicher Epochenbegriff wäre, der die Moderne als überholt ad acta zu legen können glaubte. Dem ist aber nicht so. Vielmehr bleibt die Moderne in der Postmoderne präsent. Das Bible and Culture Collective weiß die Leistungen der »traditional interpretations« (3), der modernen Bibelwissenschaft im Zeichen der 64 Aufklärung zu würdigen. Es handelt sich der Selbsteinschätzung des Bible and Culture Collective nicht um die neoromantische Propagierung eines präaufgeklärten oder gegenaufklärerischen N eokonservativismus'. Ihre Antwort auf meine erste Frage gibt die Gruppe mit einem Zitat wiederum von Lyotard: >»postmodern< signifies not the end of modernism, but another relation to modernism« (12). Diese andere Beziehung zur Modeme, wie sie sich das Bible and Culture Collective vorstellt, folgt aber einem Grundanliegen der Aufklärung, nämlich der kritischen Reflexion auf die Bedingungen der Erkenntnis. Das Anliegen des Bible and Culture Collective kann damit als Aufklärung der Aufklärung beschrieben werden, die aber nicht den machtvollen und Machtansprüche stellenden Optimismus der Aufklärung teilt, ein Zentrum allen Wissens bestimmen zu können, der den Universalanspruch ihres Vernunftbegriffes mit sich brachte und Andere und Anderes ausgrenzte. Mit einem Zitat von Zygmunt Baumann liest sich das in der Postmodern Bible so: »Postmodernity is modernity coming to terms with its own impossibility; a self-monitoring modernity, one that consciously discards what it was once unconsciously doing.« (3). Auch meiner zweiten Frage wird im Buch des Bible and Culture Collective begegnet. Die rezeptionsästhetische Erkenntnis, daß die Lesenden den Sinn im Lektüreakt konstruieren müssen, impliziert keine uferlose Beliebigkeit und propagiert schon gar nicht die machtvolle Unabhängigkeit des Subjekts beim Lektüreakt, wie es einst etwa Hans Magnus Enzensberger 4 aufgrund seines Mißverständnisses rezeptionsästhetischer Theoreme tat. Im Gegenteil: Die postmoderne Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Wissensproduktion ent-täuscht den modernen Subjektbegriff zugunsten seines Verständnisses innerhalb mittelalterlicher Grammatiktheorien: der Leser ist dem Text und den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Lektüre 65 unterworfen (sub-iectus) und es ist nicht möglich, dem eigenen Standort zu entfliehen. Ein heterosexueller Mann kann nur als heterosexueller Mann lesen, eine wohlsituierte Westeuropäerein kann nur als wohlsituierte Westeuropäerin lesen usw. Gerade deshalb ist die Reflexion der Bedingungen, denen die Lesenden jeweils unterworfen sind, von entscheidender Bedeutung für die Bibelwissenschaft. Wenn es nach dieser Standorthermeneutik der Postmoderne keine ÜBER- BLICKs-wissenschaft geben kann, so wird die wissenschaftliche Arbeit als Aufklärung der Lektürebedingungen aber keineswegs überflüssig, sondern sie vermag das Verständnis für die eigene Lektüre und für die der anderen zu öffnen. Ihr Ziel ist aber keine apathische Gleich-gültigkeit, sondern ein offener Streit der Interpretationen, die um ihre jeweilige Standortgebundenheit wissen und ihr Ziel ist es ferner, solchen Bibelinterpretationen Gehör zu verschaffen, die bislang von der modernen Bibelwissenschaft weitgehend ausgegrenzt wurden, z.B. solche von Frauen. Damit nimmt die postmoderne Bibelwissenschaft auch ihre von der modernen Bibelwissenschaft verleugneten politischen Implikationen als Aufgabe an: »Neither the aim nor the impact of this postmodern process of destabilization is political or moral relativism. Rather, postmodern readings function as political and ethical responses to other readings which claim that their own foundations exist outside of a field of power.« (3) Auch meine dritte Frage, ob hier ein ahistorisches Konzept vorliegt, muß vom Programm des Bible and Culture Collective her verneint werden, denn auch hier ist das Gegenteil der Fall. Man könnte das Konzept sogar als radikalen Historismus beschreiben, da nicht nur die Enstehungsbedingungen des zu betrachtenden Gegenstandes, sondern ebenso die eigenen Betrachtungsweisen als radikal historisch und kulturell bedingt verstanden werden. Vor allem das sich kritisch mit dem Anliegen des Strukturalismus auseinandersetzende Kapitel 2 zeigt, das das Bible and Culture Collective nicht im Stile einiger älterer strukturalistischer Ansätze ahistorische Strukturen propagiert und das psychoanalytischen Lektürestrategien gewidmete Kapitel 5 zeigt, das hier schon gar nicht ahistorische und akulturelle, ewig gültige Tiefenstrukturen des Menschseins beschworen werden. Wenn auch die kritischen Rückfragen vom postmodernen Konzept des Bible and Culture Collective aus zurückgewiesen werden können, so bedarf es einer differenzierten Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lektürestrategien, die das Buch vorstellt, denn diese vertreten durchaus unterschiedliche Positionen und selbst innerhalb dieser Lektürestrategien gibt es große Differenzen, wie etwa der Streit zwischen feministischer und womanistischer Exegese in Kapitel 6 augenfällig macht. Man wird jeden einzelnen der vom Bible and Culture Collective vorgestellten Ansätze danach befragen müssen, ob er denn die historischen und kulturellen Bedingungen der Zeichenproduktion der Gesellschaften, in denen die biblischen Texte entstanden sind auch tatsächlich mit derselben Intensität erforscht, wie die der gegenwärtigen Lektüren. Wenn nämlich die historischen kulturellen Zusammenhänge, denen sich die Produktion der biblischen Texte verdankt, vernachlässigt werden, dann würde eine Ausgrenzung durch eine andere Ausgrenzung ersetzt. Dann verlören die alten Texte ihre kritische Kraft, uns heutige Lesenden in Frage zu stellen. Dann lohnte sich ihre Lektüre nicht mehr, denn sie könnten uns nicht Neues mehr sagen und ihre gute Botschaft bliebe im Getöse der political correctness und des epistologischen upto-date-Seins ungehört. Anmerkungen 1 Vgl. dazu H. Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, ZNT3 (2.Jg.1999) Paderborn 1981. Vgl. auch W. Thierse, »Das Ganze aber ist das, was Anfang Mitte und Ende hat.« Problemgeschichtliche Beobachtungen zur Geschichte des Werkbegriffs, WB 36.1 (1990), 240-264: 251-258. 2 Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Edition Passagen 7, Graz/ Wien 1986. 3 David Brakke, Cultural Studies. Ein neues Paradigma us-amerikanischer Exegese, ZNT 2 (1998). 4 Vgl. H. M. Enzensberger, Bescheidener Vorschlag zum Schutze der Jugend vor den Erzeugnissen der Poesie, in: ders., Mittelmaß und Wahn, Frankfurt a. M. 1988, 23-41. Vorschau auf das nächste Heft Silke Petersen Natürlich- Eine neue Handschrift! Die gnostischen Schriften von Nag Hammadi und das Neue Testament Gerhard Sellin Christologie vor dem Christentum? Der Jude Philon von Alexandrien und das Neue Testament Arnulf von Scheliha Kyniker, Prophet, Revolutionär oder Sohn Gottes? Die ,dritte Runde, der Frage nach dem historischen Jesus und ihre christologische Bedeutung Roman Heiligenthal Vom Gemeindeleiter zum Märtyrer: Der historische Petrus, eine Spurensuche Begeht die feministische Theologie einen »Methodenmord«? Dirk Frickenschmidt / Klaus P. jörns Empfänger unbekannt verzogen? Die Empirie heutigen (Un-)glaubens als Herausforderung für die neutestamentliche Hermeneutik Erscheint im Oktober 1999 ZNT 3 (2.Jg. 1999) Neues Testament Werner Zager Jesus und die frühchristliche Verkündigung Paperback, ca. 160 Seiten ca. DM 34,-/ öS 248,-/ sFr 31,50 ISBN 3-7887-1738-6 Die Frage nach dem historischen Jesus, das Verständnis des Todes Jesu als Sühnegeschehen, Jesu Auferstehung und Geisterfahrungen im frühen Christentum stehen im Brennpunkt der theologischen Forschung. Werner Zager behandelt die zentralen Themen frühchristlicher Religions- und Theologiegeschichte in verständlicher Weise und verbindet dabei historisch-kritische Exegese mit der Aufgabe der Theologie, den Glauben vor den Herausforderungen der Modeme zu verantworten. Reinhard Nordsieck Johannes Zur Frage nach Ver/ asser und Entstehung des vierten Evangeliums Paperback, 150 Seiten DM 39,80/ öS 291,-/ sFr 37,- ISBN 3-7887-1670-3 Der Verfasser geht konsequent das Rätsel des Verfassers des Johannesevangeliums sowie das Problem der Entstehung der johanneischen Schriften an. Durch Konfrontation der Zeugnisse über den Autor mit dem Inhalt und der Gestaltung der johanneischen Schriften versucht er, die verschiedenen Positionen miteinander zu vermitteln. Wi! Jried Eckey Das Markusevangelium Orientierung am Weg Jesu Ein Kommentar Paperback, 456 Seiten DM68,-/ öS 496,-/ sFr 62,- ISBN 3-7887-1703-3 Eckey erläutert anschaulich wie Markus, der älteste Evangelist, den Weg, das Gottesverständnis und das Selbstverständnis Jesu beschreibt. Dabei verzichtet er auf theologische Fachsprache, um neben Theologen auch interessierte Bibelleser zu erreichen. David F! usser Entdeckungen im Neuen Testament Band 2: Jesus - Qumran Urchristentum Paperback, 260 Seiten DM 78,-/ öS 569,-/ sFr 71,- ISBN 3-7887-1435-2 Gestützt auf Hinweise biblischer und außerbiblischer jüdischer Texte zieht David Flusser Vergleiche, die Jesusworte erhellen und in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zahlreiche seiner Entdeckungen werden der J esusforschung neue Impulse verleihen und das Jesusverständnis um interessante Aspekte bereichern. Weiterhin lieferbar: David F! usser Entdeckungen im Neuen Testament Band 1: Jesusworte und ihre Überlieferung Paperback, 269 Seiten DM 58,-/ ö-S 424,-/ sFr52,50 ISBN 3-7887-0793-3 Das komplette Buch-Programm fordern Sie bitte an bei: Neukirchener Verlag 47506 Neukirchen-Vluyn Andreas-Bräm-Str. 18/ 20 Telefon 02845/ 392222 Telefax 02845/ 33689 66 TANZ - Texte und Arbeiten zum Neutestamentlichen Zeitalter Hartmut G. Lang Christologie und Ostern Untersuchungen im Grenzgebiet von Exegese und Systematik TANZ 29, 1999, X, 464 Seiten, DM 136,-/ ÖS 993,-/ SFr 122,- ISBN 3-7720-2821-7 Ostern ist Beginn und Ursprung des christlichen Glaubens diese These findet sich so nirgends im Neuen Testament und ist gleichwohl zentrale Aussage der modernen Theologie geworden. Wie es dazu kommen konnte, welche exegetischen und systematischen Prämissen hier vorausgesetzt werden und warum die Theologie auf diese These verzichten kann, davon handelt diese Untersuchung. Unter diesem Aspekt wird in einem forschungsgeschichtlichen Überblick zunächst eine Neueinschätzung von Teilen der bisherigen Entwicklung der modernen Theologie von Reimarus bis Pannenberg vorgenommen. Die hermeneutischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen werden dargestellt und die Konsequenzen einer Neubewertung der These eines radikalen Umbruchs an Ostern für Literarkritik und Formgeschichte erörtert. Andreas Blaschke Beschneidung Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte TANZ 28, 1998, X, 567 Seiten, zahlr. Abb. und Tab. DM 136,-/ ÖS 993,-/ SFr 122,- ISBN 3-7720-2820-9 Die Arbeit bietet eine Darstellung der Geschichte und Bedeutung der israelitisch-jüdischen Beschneidung von ihren Anfängen bis in die ersten Jahrzehnte des 2. Jhs. n.Chr. Die Untersuchung hat die Gestalt einer ausführlich kommentierten Quellensammlung. Darin einbezogen sind israelitisch-jüdische, pagane und christliche Texte. Abgesehen von den rabbinischen und targumischen Texten, von denen jeweils nur eine repräsentative Auswahl dargeboten wird, sollte Vollständigkeit erreicht sein. 12 Exkurse und zahlreiche Abbildungen komplettieren dieses Kompendium zum Thema Beschneidung. Hans-Christoph Meier Mystik bei Paulus Zur Phänomenologie religiöser Erfahrung im Neuen Testament TANZ 26, 1998, X, 352 Seiten, DM 86,-/ ÖS 628,-/ SFr 77,- ISBN 3-7720-1877-7 Nachdem 1930 Albert Schweitzers Werk "Die Mystik des Apostels Paulus" erschienen war, verlor das Thema schnell an Bedeutung. Erst seit einigen Jahren findet es wieder Beachtung, wobei vor allem Bezüge zwischen früher jüdischer Mystik und Paulus diskutiert werden. Die vorliegende Arbeit geht von einem Mystikbegriff aus, in dessen Zentrum die unmittelbare Erfahrung göttlicher Realität steht. Die außeralltägliche, religiöse Erfahrung ist eingebunden in einen bestimmten geschichtlichen und kulturellen Rahmen. Daher werden Struktur und Inhalt mystischer Erfahrungen bei Paulus stets im Kontext frühjüdischer und frühchristlicher Traditionen untersucht. Stefan Alkier / Ralph Brucker (Hrsg.) Exegese und Methodendiskussion TANZ 23, 1998, XX, 302 Seiten, DM 96,-/ ÖS 701,-/ SFr 86,- ISBN 3-7720-1874-2 Exegese und Methodendiskussion bietet einen handbuchartigen Überblick über neue exegetische Ansätze. Die 14 Beiträge deutscher, österreichischer, schweizer und US-amerikanischer Exegetlnnen teilen das interdisziplinäre Interesse, Exegese im Wissenschaftsdiskurs der Gegenwart zu betreiben. Die Aufsätze sind als Einführungen in das jeweilige Gebiet geschrieben und eignen sich vorzüglich für den akademischen Unterricht. A. Francke Verlag Tübingen · Basel Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie Ulrich Dickmann Subjektivität als Verantwortung Die Ambivalenz des Humanum bei Emmanuel Levinas und ihre Bedeutung für die theologische Anthropologie Band 16, 1999, 510 Seiten, DM 128,-/ ÖS 934,-/ SFr 115,- ISBN 3-7720-2584-6 Die Studie konfrontiert Kernaussagen christlich-theologischer Anthropologie mit der im jüdischen Denken verwurzelten Philosophie des Anderen von Emmanuel Levinas. Der Durchgang durch das Gesamtwerk des Philosophen setzt das frühe Denken Levinas' mit seinen Spätschriften in Beziehung. Den Ausgangspunkt bildet eine umrißhafte Bestandsaufnahme gegenwärtiger theologischanthropologischer Entwürfe sowie deren Grenzen, die sich ergeben aus dem bislang vollständigen Ausfall einer Auseinandersetzung mit der durch Levinas vollzogenen Kritik am ontologischen Begriff selbstgewisser menschlicher Subjektivität. Raul Gutierrez Wille und Subjekt bei Juan de la Cruz Band 15, 1999, 154 Seiten, DM 68,-/ ÖS 496,-/ SFr 65,- ISBN 3-7720-2583-8 Im Unterschied zu anderen Untersuchungen zu dem spanischen Mystiker Juan de la Cruz (1542- 1591) versucht die vorliegende Studie, die Konsistenz und Kohärenz seines Denkens im Zusammenhang mit der neuplatonisch inspirierten und das Subjekt thematisierenden Entwicklung von Meister Eckhart über Tauler zu Nikolaus von Kues zu zeigen. Leitfaden ist dabei die zentrale Rolle des Willens im dialektisch verstandenen Prozeß der Selbstwerdung der Seele. In dieser Hinsicht folgt der Aufbau der Untersuchung dem klassischen Drei-Phasen-Prozeß des Anfängers (via purgativa), des Fortgeschrittenen (via illuminativa) und des Vollkommenen (via unitiva), dem eine Skizze der grundsätzlichen Struktur des mystischen Weges vorausgeht. Die Wandlungen des Gott- und Weltverständnisses im Zusammenhang eines dynamisch begriffenen Selbsts werden ausführlich thematisiert. Eberhard Tiefensee Philosophie und Religion bei Franz Brentano (1838-1917) Band 14, 1998, 572 Seiten, DM 116,-/ ÖS 847,-/ SFr 104,- ISBN 3-7720-2582-X "Ausführlichkeit und Gründlichkeit beeindrukken: Tiefensee hat eine Studie vorgelegt, die quasi mikroskopisch die Entwicklung des religiösen Teils der Brentanoschen Ideenwelt untersucht. Die Phänomenologie, der Wiener Kreis, die analytische Philosophie, die empirische Sinnespsychologie und die "philosophy of mind", sie allesamt erkennen Brentano als einen ihrer Ahnen an, um dessen weitere Erforschung sich Tiefensee verdient gemacht hat." Frankfurter Allgemeine Zeitung Anton van Harskamp Theologie: Text im Kontext Auf der Suche nach der Methode ideologiekritischer Analyse der Theologie, illustriert an Werken von Drey, Möhler und Staudenmaier Aus dem Niederländischen von Hedwig Meyer-Wilmes Band 13, 1999, ca. 550 Seiten, ca. DM 140,-/ ÖS 1022,-/ SFr 126,- ISBN 3-7720-2581-1 Theologie kann ideologisch sein: Manchmal dient sie nur beschränkten Gruppeninteressen. Aber wie kann man den ideologischen Aspekten auf die Spur kommen? Mittels einer Analyse der Verhältnisse zwischen (Kirchen)Politik und Theologie bei einigen Theologen im Umfeld der sogenannten katholischen 'Tübinger Schule' beantwortet der Autor diese Frage. Damit ist diese Studie auch eine überraschende Neuinterpretation dieser Schule aus dem neunzehnten Jahrhundert. A. Francke Verlag Tübingen · Basel Georg GlonnerZur Bildersprache des Johannes von Patmos Untersuchung der Johannesapokalypse anhand einer um Elemente der Bildinterpretation erweiterten historisch-kritischen Methode Die Apokalypse des Johannes von Patmos beschreibt in einer bilderreichen Sprache das Endgericht und die Neuschöpfung der Welt am Ende aller Tage. Um das Eschaton in Szene zu setzen, verwendet sie mehr motivische Anleihen aus dem Alten Testament oder den jüdischapokalyptischen Schriften als alle anderen neutestamentlichen Autoren. Die vorliegende Untersuchung fragt zunächst nach der Eigenart der apokalyptischen Literatur und danach, was die christliche Johannesapokalypse von den Apokalypsen der jüdischen Literatur unterscheidet. Schließlich werden die verwendeten Bildmotive von vier ausgewählten Kapiteln untersucht. Die Reihenfolge der Texte Offb 18; 13; 4; 10 richtet sich nach deren motivischen Abhängigkeit von den Propheten Ezechiel und Daniel. Abschließend wird dem Einfluß der Apokalypse auf die christliche Kunstgeschichte und auf unser gegenwärtiges Denken nachgegangen. Durch bildanalytische Methoden konnte ein tieferes Verständnis in das Denken des Johannes gefunden werden. Das Bild ist nicht bloß Beiwerk eines abstrakten Inhalts, es ist eine Größe sui generis, die innerhalb der Apokalypse ihre eigene Dynamik entfaltet. Die Arbeit will einen Beitrag dazu leisten, die eigentümliche Bildersprache der Bibel wieder neu zu entdekken und zu erlernen. X und 300 Seiten, geb. 88,- DM, ISBN 3-402-04782-9. Neutestamentliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 34 ASCHENDORFF VERLAG~ llie Sonnenrückseite der Träume mdieW"ltderKacib,k Neue RADIUS Bücher Peter Bichsel Möchten Sie Mozart gewesen sein? Peter Bichsels Meditation zu Mozarts Credo-Messe kreist um die Themen Erfolg und Erfolglosigkeit, Fleiß und Unbrauchbarkeit, Karriere und Bescheidenheit. Die Christen glauben an einen, der in dieser Welt erfolglos war; ihr Gott hat keine Karriere gemacht, er ist nicht der oberste einer Hierarchie. - Angefügt ist dem schönen Band (Titelvignette: Horst Janssen) Bichsels »Rede für Fernsehprediger«. 64 Seiten,fest gebunden, 20 Mark. ISBN 3-87173-180-3 Helmut Braun Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie Die Biographie einer der bedeutendsten Lyrikerinnen unseres Jahrhunderts. Die Dichterin ermöglichte dem Autor Helmut Braun den Zugang zu ihren persönlichen Dokumenten und Briefen und bestimmte ihn zum Verwalter ihres literarischen Nachlasses. So ist es gelungen, erstmals eine Fülle von bislang Unveröffentlichtem - Fotos und Briefe inclusive den Freunden der Lyrik Rose Ausländers zu zeigen. Ein einzigartiges Buch zu ihrer wechselvollen, von Flucht, Exil, Unbehaustsein und Einsamkeit geprägten Biographie. 220 Seiten,fest gebunden mit Büttenbezug, 38 Mark. ISBN 3-87173-178-1 Traugott Giesen Carpe diem. Pflücke den Tag Ein unaufdringliches Angebot an Lebensmut, mit dem der Sylter Pastor für das »schmerzliche, schöne, wunderbar Lebendige« wirbt. Jeder seiner Texte will Liebesbrief sein, will das kleine Lämpchen Humanität am Brennen halten. 192 Seiten,fest gebunden, 32 Mark. ISBN 3-87173-181-1 Marietta Peitz Die Sonnenrückseite der Träume Ein sehr persönliches Buch über die karibische Identität: eine ernüchternde Bilanz. Die Autorin läßt Jahrhunderte der Gewalt, Verfremdung und Erniedrigung Revue passieren, spart die unselige Rolle der Kirche nicht aus, geht den Ursprüngen dieses Dilemmas nach und berichtet von Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen. 120 Seiten mit 20 Farbfotos von Jean Gesquiere, Broschur, 24 Mark. ISBN 3-87173-182-X Wolfgang Schweitzer Dunkle Schatten helles Licht Ein Zeitzeuge blickt zurück auf acht Jahrzehnte eines bewegten Lebens: ein notwendiger Beitrag zum Verständnis unserer Vergangenheit, zugleich ein wichtiges Dokument der Zeit- und Kirchengeschichte. Geprägt durch den Kirchenkampf will der Autor Verständnis wecken gerade auch für die, die 1932/ 33 in die Irre gingen. 312 Seiten,fest gebunden, 48 Mark. ISBN 3-87173-179-X Radius-Verlag Olgastraße 114 70180 Stuttgart Telefon 0711.607 66 66 Fax 0711.607 55 55 www.radius-verlag.de • e-mail: order@radius-verlag.de Rose Ausländer
