ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2002
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Dronsch Strecker Vogel, cn . "' stN NN „111 l&.M 111„ ,~ NZ ~111 QII ! ! ! Heft 9 • 5. Jahrgang (2002) ZEITSCHRIFT J ,~ NEUES TESTAMENT Das Neue Testament in Universität, Kirche, Schule und Gesellschaft Herausgegeben von Stefan Alkier, Kurt Erlemann, Roman Heiligenthal Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? - Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema Volker A. Lehnert Wenn der Liebe Gott »böse « wird - Überlegungen zum Zorn Gottes im Neuen Testament Günter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? Karl-Heinrich Ostmeyer Passa und Satan in 1. Korinther 5 Ingrid Schoberth Nicht bloß ein »lieber Gott «. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie Das »letzte Gericht « ein abständiges Mythologumenon? Kurt Erlemann vs. Lukas Barmann Buchreport Stefan Alkier Kurt Erlemann Roman Heiligenthal Klaus Berger Peter Busch Axel von Dobbeler Dirk Frickenschmidt Gabriele Faßbeck Marlis Gielen Matthias Klinghardt Günter Röhser Markus Sasse Holger Tiedemann Manuel Vogel Bernd Wander Jürgen Zangenberg Prof. Dr. Stefan Alkier Johann Wolfgang Goethe-Universität Fachbereich Evangelische Theologie Biblische Theologie - Neues Testament z.H.: Kristina Dronsch Grüneburgplatz 1 D-60629 Frankfurt Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. A. Francke Verlag, Tel.: 0 70 71/ 9797-10 Die ZNT erscheint halbjährlich (April und Oktober) Einzelheft: € 12,- / sFr 24,zuzügl. Versandkosten Bezugspreis jährlich: € 24,- / sFr 46,- Vorzugspreis für Studenten (Immatrikulationsbescheinigung beifügen) jährlich: € 19,- / sFr 38,- © 2002 · A. Francke Verlag Tübingen· Basel Alle Rechte vorbehalten ISSN 1435-2249 ISBN 3-7720-9908-4 Umschlagentwurf: Werner Rüb, Bietigheim-Bissingen. Satz: Martin Fischer, Tübingen. Druck: Gulde, Tübingen. Bindung: Nädele, Nehren. Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema . . . . . . . . . . . . . 2 Volker A. Lehnert Wenn der liebe Gott >böse< wird. Überlegungen zum Zorn Gottes im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Günter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? Gericht, Vorherbestimmung und Weltende im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Karl-Heinrich Ostmeyer Satan und Passa in 1. Korinther 5 . . . . . . . . 38 Stefan Alkier Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? Eine Einführung zur Kontroverse Kurt Erlemann versus Lukas Bormann. . . 46 Kurt Erlemann Das »letzte Gericht« ein erledigtes Mythologumenon? .................... 47 Lukas Barmann Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Ingrid Schoberth Kein bloß >lieber Gott<. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie . . . 60 Kurt Erlemann Walter Dietrich/ Christian Link, Die dunklen Seiten Gottes, Bd. 1: Willkür und Gewalt 67 Kurt Erlemann Ralf Miggelbrink, Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition .............................. . 70 Einern Teil der Auflage liegen Prospekte der Firmen: Katholisches Bibelwerke.V. Stuttgart und A. Francke Verlag Tübingen/ Basel bei. A. Francke Verlag Tübingen und Basel · Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Telefon: 0 70 71/ 9797-0 · Fax: 0 70 71 / 7 52 88 Internet: http: / / www.francke.de · E-mail: info@francke.de ZNT im Internet: http: / / www.znt-online.de Liebe Leserin, lieber Leser, mit Heft 9 halten Sie wieder ein Themenheft der ZNT in der Hand. In dieser Ausgabe finden Sie aktuelle Beiträge zum Thema »Gericht und Zorn Gottes im Neuen Testament« einem Thema, das gerade in der Zeit nach dem 11. September 2001 wieder vermehrt Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist unsere Hoffnung, Ihnen mit den Beiträgen Anregungen für Ihr theologisches Nachdenken und für Ihre Arbeit mit diesen »dunklen Seiten« des christlichen Gottesbildes liefern zu können. Den Einstieg in die Thematik hat Christian Riniker mit der Frage »Jesus als Gerichtsprediger? - Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema« übernommen. Neben einer fundierten Darstellung der Diskussionslage zeigt Riniker mögliche Interpretationslinien der Gerichtsbotschaft J esu auf. Volker A. Lehnert fragt, was passiert, »wenn der liebe Gott böse wird«. Er geht der Rede vom zornigen Gott religionsgeschichtlich nach, klärt ihren metaphorischen Gehalt im Alten und Neuen Testament und zeigt dabei auf, was sie mit der Fähigkeit zur Selbstkritik zu tun hat. Günter Röhser stellt die provokative Frage: »Hat Jesus die Hölle gepredigt? « und beleuchtet in diesem Zusammenhang die vielfältigen Vorstellungen über die Unterwelt im frühen Juden- und Christentum. Dezidiert spricht er sich gegen fundamentalistische Willkür im Umgang mit der Höllenvorstellung aus. Karl-Heinrich Ostmeyer macht auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Passatradition und Satansvorstellung in 1 Kor 5 aufmerksam. Er ist aufschlussreich für das Weltbild des Paulus und bietet einen Ansatzpunkt, um die umstrittene Rede von der »Übergabe des Sünders an den Satan« (1 Kor 5,5) zu interpretieren. Die Kontroverse fragt nach der hermeneutischen Relevanz der Rede vom Endgericht. Kurt Erlemann und Lukas Bormann kommen bei der Frage: »Das >letzte Gericht< ein abständiges Mythologumenon? « zu einem gegensätzlichen ZNT 9 (5. Jg. 2002) Ergebnis, was mit einer unterschiedlichen Auffassung über die Funktion der Endgerichts-Vorstellung zusammen hängt. Die Kontroverse lädt dazu ein, am Thema weiter zu denken. Im Blick auf kirchliche Verkündigung und Religionsunterricht zeigt Ingrid Schoberth Perspektiven auf, die das Benennen der »dunklen Seiten« Gottes theologisch und hermeneutisch notwendig und homiletisch-didaktisch geboten erscheinen lassen. Der von Kurt Erlemann gestaltete Buchreport stellt zwei aktuelle Bücher vor, die unterschiedliche Zugangsweisen zum Thema »Zorn und Gericht« eröffnen: Zum einen »Die dunklen Seiten Gottes« von Walter Dietrich und Christian Link (Band 1, erschienen in 3. Auflage 2000), zum anderen »Der zornige Gott« von Ralf Miggelbrink (erschienen 2002). Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre des Heftes und können Ihnen schon jetzt ankündigen, dass das nächste Themenheft (ZNT 11, erscheint April 2003) das Thema »Ethik im Neuen Testament« behandeln wird. Sollten Sie dazu Anregungen oder gar einen Beitrag beisteuern wollen, wenden Sie sich bitte an die Redaktion. Überhaupt ist es für uns eine große Hilfe, wenn Sie uns gelegentlich Rückmeldung zur Konzeption oder zur Präsentation der Inhalte geben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Neuerung hinweisen: Die Internet-Präsenz der ZNT wird seit Anfang des Jahres vom Fachbereich Ev. Theologie in Frankfurt/ Main betreut. Gleichzeitig hat sich die Homepage-Adresse geändert. Unter http: / / www.znt-online.de finden Sie Informationen rund um die ZNT. Außerdem begrüßen wir Frau Dr. Marlis Gielen, Professorin für Neutestamentliche Bibelwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, im Herausgeberkreis. Auf die Zusammenarbeit mit ihr freuen wir uns sehr. Stefan Alkier Kurt Erlemann Roman Heiligenthal 1 Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema Vorbemerkung Die wissenschaftliche Auslegung des Neuen Testaments hat zu einer eigentlichen Wiederentdeckung und Rehabilitierung des Gerichtsgedankens bei Jesus geführt, wie die Darstellung der Forschungslage, die im Zentrum dieses Aufsatzes steht, zeigen wird. Ob sie damit ein breiteres Publikum oder auch nur das Bewusstsein der predigenden Pfarrerinnen und Pfarrer erreicht hat, bleibt allerdings fraglich. Das dürfte nicht zuletzt mit den sachlich-theologischen Fragen zusammenhängen, die der Gerichtsgedanke nach wie vor aufwirft. Ist der Gott, der auch hinter Jesu Gerichtsaussagen steht, ein Überwachungs- Gott und »Big-Brother«? Ist er ein grausam strafender Gott? Wie verhalten sich >Rechtfertigung< und Gericht nach den Werken zueinander bzw. Christus der ,Heiland< und Christus der Weltrichter, Gott als Liebe und Gott als richtende Instanz? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Verhältnis bezüglich Heilsgewissheit und menschlicher Verantwortung (Lohngedanke, Werkgerechtigkeit ... ) ? Ist die Allversöhnungslehre für heutige Menschen, die zunehmend um die Vernetztheit allen Lebens und auch von Schuld wissen, nicht letztlich die theologisch allein verantwortbare? Kann da >Gericht< noch eine Hoffnung sein? Auch die Gerichtsvorstellungen selbst sind so ins Strudeln geraten und wohl für die meisten Christinnen und Christen problematisch und diffus: Was etwa bedeuten und wie verhalten sich zueinander, das forensische Gericht über den Einzelnen und Gottes Sieg über das Böse, das individuelle und das kollektive Gericht, das Jenseits und die Befreiungshoffnung im Diesseits? Wie verhält sich das präsentisch (in Geschichte, Biografie, Tod) wirksame und erfahrbare ,Gericht< zu einem zukünftigen? Was ist ,bloß< Weltbild und was Glaube, den Theologie zu klären und zu verantworten hat? Arbeit am Thema Gericht ist damit eine gesamt-theologisch notwendige Aufgabe, gerade auch dann, wenn exegetische Erkenntnisse und Impulse künftig breiter rezi- 2 piert und die Abdrängung des Themas in die religiöse ,Subkultur< und sein Missbrauch vermindert werden sollen. Ein Beitrag historischer Exegese könnte es hier sein, ihren ,Gegenstand, zwar möglichst unverkürzt zu Wort kommen zu lassen, ihn aber auch nicht unterschwellig zur Norm aller Dinge zu machen, die alle unsere Fragen beantwortet, selbst wenn es sich dabei um Jesus und einen Teil seiner Verkündigung handelt. 1. Einblicke in die aktuelle Diskussionslage In der wissenschaftlichen Jesusliteratur der letzten Jahre treten zwei verschiedene J esusbilder besonders markant hervor, die die Deutung seiner Gerichtsbotschaft jeweils stark beeinflussen: vereinfacht gesagt steht ein sozialrevolutionärer Jesus einem eschatologisch-apokalyptischen gegenüber. 1.1. Der sozialrevolutionä re J esus 1 R.A. HoRSLEY 2 hat Jesus im Umfeld, ja in engem inneren Zusammenhang mit den jüdischen Protest- und Widerstandsbewegungen gegen Rom gezeichnet, um die politische Dimension seiner Basileia- Botschaft im damaligen Kontext zu erfassen. Ihre Gegenwartsaspekte werden deshalb stark in den Vordergrund gerückt und als alternatives gesellschaftliches Programm für die galiläischen Dorfgemeinschaften entfaltet, was auch mit Bußrufen und die Gemeinschaft betreffenden Gerichtsdrohungen verbunden sein konnte. 3 In erster Linie betrifft J esu Gerichtsbotschaft aber sehr konkret das im Tempel verkörperte Herrschaftssystem, das Jesus bis hin zu der in Mk 12,13-17 implizierten Aufforderung zur Steuerverweigerung gegenüber Rom bekämpft hat. Sein Untergang ist im stattfindenden Prozess der Aufrichtung der Basileia sicher. Entscheidend ist in dem allem die gegenwartsbezogene und primär innerweltliche Auffassung des Verfassers ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Riniker Dr. Christian Riniker, Jahrgang 1958, studierte Evangelische Theologie in Lausanne, Bern, Tübingen und Berlin, anschließend wiss. Assistent für Neues Testament in Lausanne (diplome de specialisation en sciences bibliques 1988) und Bern (Promotion 1992; Dissertation publiziert 1999). 1992 Ordination und Aufnahme in den Kirchendienst der Evang.-Reformierten Kirche des Kantons Bern. Seit 1997 Pfarrer in Köniz bei Bern. von der Gottesherrschaft, in Übereinstimmung mit der primären Gegenwartsrelevanz apokalyptischer Sprache überhaupt,4 auch wenn die Wende, die Jesus im Auge hat, über die Veränderung der gegenwärtigen Unterdrückungsverhältnisse hinausgeht.Jesus dürfte auf die unmittelbar bevorstehende Vollerfüllung der Gottesherrschaft vertraut haben. Das bedeutet nach Horsley: Die Praxis der Jesusbewegung war »a revolt that would surely and imminently result in a transformed historical situation«. 5 Anders als Horsley, der mehr sporadisch auf die Gerichtsworte Jesu zu sprechen kommt, widmet ihnen M.J. BORG 6 eine ausführliche systematische Behandlung. Zunächst seine Grundthese: das sozialrevolutionäre Anliegen Jesu ist weniger im Rahmen der antirömischen Widerstandspolitik als in demjenigen der innerjüdischen Auseinandersetzungen um >Heiligkeit, zu verstehen. Diese war wenn auch in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich rigid interpretiert der zentrale ideologische Faktor, der das um den Tempel zentrierte Herrschaftssystem stützte. Jesu Revolution besteht im Kern darin, dass er die Heiligkeit nicht mehr ausschließend und ausgrenzend >von oben" sondern integrierend ,von unten< verstand. 7 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus ais Gerichtsprediger? Auseinandersetzung, Konflikt und in diesem Zusammenhang - Gerichtsworte sind deshalb im Jesusbild von Borg zentral. Bei der Behandlung des relevanten Materials stellt er fest: a) die Umorientierung der Gerichtsbotschaft bei Mt (Verjenseitigung, Moralisierung); b) die fast durchgängige Begründung der Gerichtsaussagen bei Jesus, die deshalb ,kontingent< zu verstehen sind: Das Gericht kommt, weil und wenn Israel auf seinem destruktiven Weg perfektionierter ,Heiligkeit, bleibt. Sie sind prinzipiell als Drohungen bzw. als Umkehrrufe zu interpretieren; c) die folgende Kategorisierung des Materials: Eine relativ grosse Gruppe (22 Gerichtstexte) spricht unspezifisch oder bildhaft vom Gerichtsereignis selbst. Eine weitere wichtige Gruppe (11 Texte) spricht vom innergeschichtlich konkreten Gericht, das vollzogen durch römische Hand - Tempel und Land bedroht. Ihr lassen sich die nach dem Schema >wegnehmen und anderen geben< formulierten Texte zuordnen (9 Texte), die ebenfalls »a continuing historical order« 8 voraussetzen. Auch sie sind mit der Auseinandersetzung um >Heiligkeit< zentral verbunden. Nur eine letzte Gruppe spricht ausdrücklich vom Endgericht (12 Texte); sie zerfällt noch einmal in eine Untergruppe, die zwar im Hintergrund Endgerichtsvorstellungen (wie die Totenauferstehung) voraussetzt, aber auf die gegenwärtige Entscheidungssituation zielt und das Gericht selbst ohne Dringlichkeit in unspezifischer Ferne belässt. Es geht um die endgültige Sanktion gewählter (oder jetzt zu wählender) Lebensorientierung. Bleiben noch 6 Menschensohnworte die einzigen, in denen das Endgericht (und damit das Ende menschlicher Geschichte) zur bedrohlich-drängenden Nähe wird. Wird das endgültige Ende also im Gefolge des innergeschichtlichen Gerichts über Israel erwartet? Aber wie ist es möglich, so bedrängend vom kosmischen, die Geschichte transzendierenden Endgericht zu sprechen wie in diesen Menschensohnworten, wenn das Israel primär bedrohende Gericht nur und gerade »the historical consequence of continuing to pursue the quest for holiness as seperation«, 9 mithin noch gar nicht gewiss ist? Borg schlägt deshalb eine andere Interpretation des Befundes vor: Diese Aussagen, die sich in ihrem bedrängenden Ton (wenn auch nicht in der Vorstellungsform) den 3 übrigen Gruppen so gut einfügen, sind als reine Sprachform zu verstehen, mit denen die drohende innergeschichtliche Krise symbolisiert und ihre theologische Bedeutung ausgedrückt wird. Hinter diesem (möglichen) Ausgang der gegenwärtigen Krise steht der Gott Israels selbst. 10 Somit bleiben nur die allgemein-übergeschichtlichen Aussagen zum Endgericht als unverrechenbarer, den Hauptskopus der GerichtsverkündigungJesu aber auch nicht tangierender Rest übrig - und die eschatologische Dimension im strengen Sinne ist aus der Jesusbotschaft verschwunden. In seinem schönen Jesusbuch hat Borg Jesus dann besonders als spirituellen Menschen mit einer religiösen >Vision< entdeckt, die in einer gänzlich gegenwartsbezogenen Interpretation der Gottesreichsbotschaft besteht, bei der die Gerichtsdimension der Worte Jesu (als Gesellschafts- und Kulturkritik) überhaupt aus dem Blickfeld schwindet.11 Weiter hat auch J.D. CROSSAN in zwei Büchern Jesu ,revolutionäres Leben< dargestellt.12 Sie sind nicht nur glänzend geschrieben, sondern helfen auch dabei, Jesus und seine Botschaft in ihrem geschichtlichen Umfeld wahrzunehmen ein wesentliches Korrektiv gegenüber manchem ,korrekten, apokalyptisch-eschatologischemJesusbild, das allzusehr in kontextlosen dogmatischen Abstraktionen steckenbleibt. Bezeichnend für Jesu revolutionäres Programm sind für Crossan insbesondere Jesu ,offene Kommensalität, und seine ,Heilungen" deren umstürzend-provozierenden Charakter er herausarbeitet.13 Für unser Thema fällt dabei insofern relativ wenig ab, als Crossan die Basileia im angedeuteten Sinn rein präsentisch interpretiert und Jesus als eine Art jüdischen ,Sozialkyniker< darstellt. Konkret soll Jesus dabei Vertreter einer ,weisheitlichen, im Gegensatz zu einer >apokalyptischen< - Eschatologie gewesen sein, was aber weder vom Begriff ,Eschatologie" den Crossan mit »basic, fundamental, radical, utopian, countercultural« gleichsetzt, 14 noch religionsgeschichtlich vom Basileia-Begriff her (weisheitlich? ) ausgewiesen erscheint. Jesu Gerichtsbotschaft wird mithin zum innerweltlichen Kritik- und Sozialprogramm. Die methodischen (nicht unbedingt die ideologischen! ) Voraussetzungen von Crossan und das daraus resultierende, als echt angesehene Datenmaterial sind dabei weitgehend diejenigen des JESUS-SEMINARS, dessen Ergebnisse in zwei Bänden zugänglich gemacht worden sind. 15 4 1.2. Der apokalyptisch-eschatologische Jesus Demgegenüber verbindet die Mehrheit der unterschiedlichsten - Jesus- Interpreten die Überzeugung, dass Jesus irgendwie im Umkreis apokalyptisch-eschatologischer Erwartung anzusiedeln ist, wobei >eschatologisch, hier inhaltlich den Bezug auf den entscheidenden, abschliessenden Akt Gottes in der Geschichte bezeichnet, und >apokalyptisch, den konkreten geistesgeschichtlichen Hintergrund solchen Glaubens in Jesu Umfeld. 16 In diesem Sinn sind hier unter den Neueren zumindest zu nennen B.F. Meyer, 17 G. Vermes, 18 J.H. Charlesworth, 19 J.P. Meier 20 und B.D. Chilton. 21 Hierher gehören auch fast sämtliche wissenschaftlichen Publikationen über Jesus aus dem deutschen Sprachraum, wo ein uneschatologischer oder kynischer Jesus nie viele Anhänger fand. Ich nenne von den populäreren Darstellungen nur die m.E. interessantesten von K. Berger, 22 J. Roloff 23 und D. Sölle/ L. Schottroff. 24 Sechs neuere J esusbücher, in denen der Gerichtsaspekt eine wichtige Rolle spielt, sind jedoch besonders hervorzuheben: E.P. SANDERS 25 gehört gerade auch mit seinen Arbeiten zum palästinischen Judentum zu den ,Gründungsvätern, des ,Third Quest< nach dem historischen Jesus, 26 und damit auch zu den Wiederentdeckern des Gerichtsgedankens: Ist es richtig, dass Jesus grundsätzlich als Prophet der >restoration of Israel, zu verstehen ist, 27 dann muss auch das Gericht bei ihm eine Rolle gespielt haben. 28 Und in der Tat: Tempelaktion und Tempelwort, die in der Erarbeitung dieses Jesusbildes bei Sanders eine zentrale Stellung einnehmen, sind als Gerichtsgeschehen zu verstehen. »Both point towards the destruction of the present order and the appearance of the new.« Jesus »predicted the imminent appearance of the judgment and the new age«. 29 Und auch die zweite Säule, auf der das Konzept der >restoration of Israel, aufruht, nämlich der Zwölferkreis, ist zentral mit einem Gerichtswort (Mt 19,28) verbunden. Bekanntlich ist Sanders gegenüber der Wortüberlieferung gemessen an diesen ,harten Fakten< relativ zurückhaltend, und diese Skepsis betrifft auch die Gerichtslogien. Doch dieser negative Befund, der demjenigen zum Bußruf entspricht, wird von Sanders nicht als grundsätzliche Reserve Jesu gegenüber der Gerichtsthematik gedeutet, sondern eher ZNT 9 (5. Jg. 2002) als ein vorausgesetzter Zug seiner >restoration eschatology" den schon Johannes der Täufer betont hatte, und dessen Werk Jesus voraussetzte und akzeptierte. Mit den Pharisäern hatte Jesus keine substantiellen Konflikte. Anlass zu seiner Kreuzigung war vielmehr die Tempelaktion, die ebenso wenig grundsätzliche Gesetzeskritik impliziert. Wie alle übrigen jüdischen Gruppierungen stand Jesus im Rahmen des ,Bundesnomismus,: »Jesus saw himself as God's last messenger before the establishment of the kingdom. He looked for a new order, created by a mighty act of God. In the new order the twelve tribes would be reassembled, there would be a new temple, ... outcasts even the wicked would have a place, and Jesus and his disciples the poor, meek and lowly would have the leading role«. 30 N.T. WRIGHT fasst die Ergebnisse seines großen Jesusbuches 31 folgendermaßen zusammen: Jesus war »a first-century Jewish prophet (1) announcing and inaugurating the kingdom of God (2), summoning others to join him (3), warning of the consequences if they did not (4), doing all this in symbolic actions (5), and indicating in symbolic actions, and in cryptic and coded sayings, that he believed he was Israels's messiah, the one through whom the true God would accomplish his decisive purpose« (6). 32 Das ,Gottesreich< ist dabei zu verstehen als endgültiger Herrschaftsantritt Gottes, einschließlich Sammlung der Zerstreuten, Sieg über das Böse und Rückkehr Jahwes zum Zion. 33 Dabei sah Jesus seine eigene, von anderen etwa nationalistisch-revolutionären oder exklusivistischen - Auffassungen durchaus abweichende Ankündigung und Praxis des Gottesreichs als dessen realen Beginn an, 34 was ihn einerseits zu einer Sammelbewegung des erneuerten Bundesvolkes und andererseits zur Auseinandersetzung mit denen, die sich seinem Ruf verweigerten, führte. 35 Die Gerichtsbotschaft spielt von daher in seiner J esusdarstellung eine zentrale Rolle: » In classic prophetic style ... Jesus announced that God's judgment would fall first and foremost on Israel itself, because it had failed to respond to the summons to be the light of the world, living instead by oppression and injustice within its own society and by violence, actual or intended, toward those outside«. 36 Aber dieses Gericht versteht er ähnlich wie M.J. Borg als Israel innergeschicht- ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Jtinil<er Jesus als Gerichtsprediger? lieh drohende Katastrophe: »if they persisted in their determination to fight a desperate holy war against Rome, then Rome would destroy them, city, temple, and all«. 37 In der Bedrohung des Tempels in Wort und Tat kommt es zum (symbolischen) Zusammenprall mit dem herrschenden System, 38 während im Abendmahlssaal ebenso symbolisch Jesu Alternative angedeutet wird: »God's kingdom was precisely about replacing the temple system ... Jesus was claiming to offer all that the temple stood for«, 39 und zwar so, dass er selber als Messias die >messianischen Wehen, auf sich nehmen und in seinem Sterben das Böse, Gott Widerstehende überwinden werde: »He would go ahead of the nation to take upon himself the judgment of which he had warned, the wrath of Rome against rebel subjects. This was how he would fight the final battle against the real enemy. This was how he would build the true temple«. 40 Jesus in seinem ganzen Lebensweg und Geschick ist damit die Verkörperung und Verwirklichung seiner eigenen Eschatologie, der Gottesreichsbot- Das Weltgericht, Schedelsche Weltchronik 5 schaft, was die Ereignisse um 70 n.Chr. nachträglich noch bestätigen: Alles ist nun so sehr >erfüllt<, dass seltsam offen bleibt, warum (und was eigentlich) weiterhin erst zu hoffen ist. Haben wir es hier mit einer orthodox-apologetischen >Scheinlösung< zu tun? 41 Möglicherweise ein Stück weit, doch wird man dafür durch die bibeltheologischen und zeitgeschichtlichen Kenntnisse des Verfassers zumindest reichlich entschädigt. Hinzu kommt sein reflektiertes Vorgehen, das methodisch (Prämisse des eigenen Jesusbildes! ) die scheinbare Objektivität etwa des Jesus-Seminars in den Schatten stellt, sowie die integrierende Gesamtschau, die das Quellenmaterial in eindrücklicher Weise neu zum Sprechen bringt. Der Nachteil dabei: durch die Ablehnung etablierter Prozeduren und Forschungsergebnisse lebt dieses Jesusbild auf Kosten methodischer Überprüfbarkeit 42 sehr stark von der subjektiven Gesamtsicht und den exegetischen Qualitäten seines Verfassers, was sich spätestens dann bemerkbar macht, wenn andere in seiner Spur ähnlich vorgehen und bald in fast unverhohlenen Fundamentalismus kippen. 43 D.C. ALLISON hingegen hat Jesus als millenaristischen Propheten dargestellt, nach einem identifizierbaren religionsgeschichtlichen Modell. Es ist zum Verständnis unerlässlich, zunächst einige Charakteristika solcher millenaristischen Gruppen aufzuzählen. 44 6 (1) Sie sprechen in Zeiten sozialen Wandels, der traditionelle Lebensweisen bedroht, >Verlierergruppen, an; (2) Gegenwart und nahe Zukunft sind Leidens- und Katastrophenzeiten; (3) Hoffnung auf umfassende Zurechtbringung des Unrechts durch Gott; (4) die Umkehrung kommt bald; (5) >Erneuerung, bestehender Religion, Enthusiasmus; (6) egalitäre Züge; (7) Teilung der Menschheit in Gerettete und Verlorene; (8) Tabubrüche; (9) Betonung von Werten des eigenen kulturellen Erbes (gegenüber dem Neuen); (10) traditionelle familiäre und soziale Bindungen werden durch Gruppenbeziehungen ersetzt; (11) das Heilige fließt durch neue Kanäle; (12) verlangen große Einsatzbereitschaft und Loyalität; (13) entstehen häufig um eine charismatische Führergestalt; (14) Glaubensgut gilt als neue Offenbarung, die durch Wunder bestätigt wird; (15) militaristisch-revolutionär, manchmal auch politisch passiv in Erwartung göttlicher Befreiung; (16) Wiederherstellung eines Paradieses, das auch die Vorfahren einschließt; (17) die wunderbare Zukunft kann teilweise schon als gegenwärtige Realität erfahren werden; (18) entwickeln sich aus Vorgänger-Bewegungen; (19) bei längerem Bestehen ist mit dem Problem enttäuschter Erwartungen umzugehen (nachträgliche Rationalisierungen). Diese Beschreibung ist wohlverstanden nicht aus einer Analyse der synoptischen Tradition gewonnen, sondern gibt die Grundzüge der weltweit verbreiteten messianischen und millenaristischen Bewegungen wieder, auch außerhalb des jüdischchristlichen Einflussbereiches. 45 Allison nimmt diesen Millenarismus als heuristisches Modell (oder reflektiertes Vorverständnis), um dann die Daten der Jesusüberlieferung daran zu messen und vom Gesamtbild her neu zu beleuchten, 46 was m.E. überraschende Erkenntnisse zu Tage bringt. Besonders ungewohnt und unpopulär dürfte etwa die von Allison festgestellte asketische Tendenz von Teilen der Jesusüberlieferung sein, 47 die man unter dem Diktat von Mt 11,19par bisher kaum wahrgenommen hat. Klar ist hingegen, dass Naherwartung und Gerichtsverkündigung in dieses Gesamtbild ebenso hineingehören, ja darin eine zentrale Stellung einnehmen, 48 wie in der engeren Perspektive der jüdischen Eschatologie bei Sanders oder Wright. Gerade die vorstellungsmässig spröden >Umkehrungsworte< (Lk 14,llpar; Lk 17,33par; Mk 10,3lpar), die im Kontext der Jesusverkündigung auf nichts anderes als das Endgericht bezogen werden können, zeigen dabei etwas von der Funktion seiner Gerichtsverkündigung in einer millenaristischen Perspektive: »One assumes that his millenarian message resonated especially with people whose perceived material welfare, cultural values, or social status had ... become problematic. In other words, we may suppose that for him and those around him belief in the final judgment was part of an attempt to come to terms with the experience of anomie and evil in a world believed to have been created and sustained by a good and powerful God«. 49 Das schließt die speziellen jüdischen Themen seiner Gerichtsverkündigung wie Totenauferstehung, Rückkehr der verschollenen Stämme, Lohn, gegenwärtige eschatologische Drangsal und Notzeit, zeitlich unmittelbar bevorstehendes Ende natürlich nicht aus, sondern notwendig ein, und zeigt zugleich, wie >realis- ZNT 9 (5. Jg. 2002) tisch, Jesu eschatologische Erwartung gewesen sein dürfte. Es gilt deshalb: »what Jesus foretold can be identified neither with his earthly mission nor with post-Easter history«. 50 Jesus war ein millenaristischer Prophet. »He is Wovoka. He is Mambu. He is Birsa. What we think of the least of these, his brethren, we think, to large extent, also of him«. 51 Damit ist die äußerste Gegenposition zu den uneschatologischenJesus-Darstellungen erreicht, und der Schlag scheint methodisch so gut geführt zu sein, dass man versucht ist, Lk 3,9par zu zitieren. Hat die angelsächsische Forschung insbesondere das religionsgeschichtliche Verständnis Jesu und seiner Gerichtsbotschaft gefördert, so die deutsche ihre systematische Einordnung in ein Gesamtbild von seiner Botschaft. J. BECKER 52 unterteilt seine Darstellung der Verkündigung Jesu in zwei Hauptabschnitte: Täufer und Gottesreich. Auf der >Täuferseite< bringt er was Jesus angeht auch eine differenzierte Darstellung seiner Gerichtsbotschaft. Jesus war, in den Spuren seines Meisters, auch ein eschatologischer Gerichtsprophet. Die Eventualmöglichkeit neuen Lebens und die Verbindung des Gerichts mit der Ablehnung seiner (Jesu) Botschaft heben ihn vom Täufer zwar ein Stück weit ab, die Überzeugung allgemeiner Gerichtsverfallenheit und Verlorenheit Israels verbindet ihn aber umso mehr mit diesem. Im Hauptteil seines Buches stellt Becker nun die dem Täufer noch unbekannte Heils- oder Basileia- Botschaft J esu dar, die ein neues Zeit-, Lebens- und Gottesverständnis impliziert und erschließt. 53 Entscheidend für Jesus ist: Die Basileia kommt dem Gericht gerade zuvor, sie kommt in die Gegenwart hinein, dezentriert das Gericht als Evangelium, sodass Jesus im Kern seines Anliegens eschatologischer Heilsprophet gewesen ist. Die Systematik dieser J esusdarstellung folgt mit anderen Worten derjenigen von Gesetz und Evangelium und ordnet das Gericht bei Jesus dem Gesetz, dem >Alten, zu, und die Basileia dem Evangelium, dem >Neuen" wobei der Becker'sche Jesus aber gerade beides, Gesetz und Evangelium verkündigt hat. In die Krise und ans Kreuz gebracht hat Jesus seine für viele anstößige Heilsbotschaft, da sie Kritik an Erwählung und Tora einschloss. Tempelaktion und Tempelwort(e) kann Becker hingegen in seinJesusbild nicht integrieren; sie sind unecht. 54 Selbstverständlich weiß ZNT 9 (5.Jg. 2002) Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? J. Becker auch, dass echte Gerichtsworte bei Jesus gerade mit der Ablehnung seiner Basileia- Botschaft begründet werden, aber in seiner Darstellung kommt das durch ihre dem >Evangelium< vorgängige Rubrizierung unter Täufer und ,Gesetz, nicht wirklich zum Tragen. Die Gerichtsdimension droht unwillkürlich zum ,Alten< geschlagen und weniger wichtig zu werden in diesem schönen und lehrreichen Jesus buch. J. GNILKA 55 trägt dem exegetischen Befund systematisch insofern besser Rechnung, als er die Gerichtsbotschaft J esu zunächst in direktem Anschluss an seine Basileia-Verkündigung erörtert: Gericht ist bei Jesus Konsequenz des abgelehnten Heils, und soll zur Einschärfung menschlicher Verantwortlichkeit auch so verkündigt werden. Das hat bei Gnilka zur Folge, dass die Gerichtsbotschaft, da von bleibender Aktualität für Jesu Hörer, an verschiedenen Punkten seines Jesusbuches auftaucht. So nach der Darstellung der Basileia- Botschaft (inklusive Gericht) erneut bei der Analyse von Konfliktsituationen und der Erörterung des Verhältnisses Jesu zu Israel. Gnilka konstatiert hier, dass Jesu Sammelbewegung in Galiläa bzw. Israel offenbar weitgehend gescheitert ist und seine Gerichtsworte deshalb einen schärferen Ton annehmen. 56 Daher ist es nach den Symbolhandlungen Jesu in Jerusalem zu urteilen nicht mehr so verwunderlich, dass die Gerichtsdimension für Jesus auch im ,Abendmahlssaal, noch einmal präsent werden musste, wo er im Angesicht seines Todes offenbar eine neue Bundesstiftung auf neuer Basis ins Auge gefasst hat.57 Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das alles so gewesen sein kann wie in dieser ausgewogenen Darstellung vorgetragen! Das Jesus buch von G. TttEISSEN und A. MERZ 58 schließlich, das seinen Leserinnen und Lesern wohl zur Zeit den bequemsten Weg zu umfassender Information und eigener Urteilsbildung bietet, versucht die beiden genannten Ansätze also Täufer- und Basileiabezug der Gerichtsbotschaft Jesu zu verbinden und zu einer integrierenden, hermeneutisch reflektierten Gesamtsicht vorzustoßen: »Der Täufer verkündigt das Gericht, öffnet aber einen Weg zum Heil durch die Taufe. Jesus verkündigt das Heil, droht aber im Hintergrund mit dem Gericht. Je größer das in der Gegenwart angebotene Heil, um so unerbittlicher das Gericht gegen alle, die sich vom Heil aus- 7 schließen. Je größer das drohende Gericht, um so überwältigender aber auch das Heil, das allen zugesagt wird«. 59 Damit ist-wie durch D.C. Allison gegenüber dem uneschatologischen Jesus im Umkreis des Jesus-Seminars -auch in unseren Breiten die Gegenposition zum >gerichtslosen< Jesus etwa bei H. Weder umfassend formuliert und begründet. 60 1.3. Spezialuntersuchungen zur Gerichtsverkündigung J esu Auch drei Spezialuntersuchungen sind erschienen, die das wieder erwachte Interesse anJesu Gerichtsverkündigung im Gefolge des >Third Quest< besonders deutlich belegen. Ich möchte die Arbeiten von M. REISER, 61 W. ZAGER 62 und C. RrNI- KER 63 in einem Quervergleich vorstellen. So unterschiedlich diese Untersuchungen hinsichtlich Materialauswahl und -gliederung angesichts der Fülle synoptischen Stoffes vorgehen, 64 so konvergent sind doch ihre Ergebnisse, die sich in acht Punkten zusammenfassen lassen: 1) Eschatologisches Denken gibt es im Judentum nirgends ohne Gerichtserwartung. Eschatologisches Heil kann ohne Gericht gar nicht gedacht werden, denn der Geschichtsbezug eschatologischer Hoffnung wird nirgends zugunsten einer reinen J enseitseschatologie preisgegeben (M. Reiser). Das gilt gerade auch für die Rede von der Gottesherrschaft (W. Zager). 2) »Dass Jesus mit einem letzten Ernst (auch) vom Gericht sprach, kann nach dieser Untersuchung nicht mehr bezweifelt werden.« 65 3) Die Kontinuität zwischen Täufer und Jesus ist ganz eng (Ankündigung des kommenden Gerichts gerade für Israel, Naherwartung, Notwendigkeit der Umkehr, Heilsangebot in der Gegenwart, doppelter Ausgang des Gerichts). Der Täufer fordert dazu auf, dem Zorngericht zu entgehen, um so Anteil am Heil zu haben. Jesus fordert dazu auf, sich dem anbrechenden Heil nicht zu verweigern und so dem Gericht zu verfallen. Mit einem Vergleich von M. Reiser 66 formuliert: das ist wie das Hervorkehren der jeweils anderen Seite derselben Medaille. 4) »Die Endgerichtsverkündigung des historischen Jesus möchte zur Umkehr aufrufen«.67 Die Grundintention ist paränetisch, auf Vermeidung des Gerichts ausgerichtet. Der Realitätsgehalt des 8 angekündigten Gerichts wird dadurch im Sinn des Sprechers natürlich nicht beeinträchtigt. Es geht nicht um bloße Bilder! Manche Gerichtsworte weisen gegenüber dieser primären Funktion eine größere Definitivität des Urteils und eine Perspektive des Rückblicks auf einen bereits als hoffnungslos erscheinenden Konflikt auf. M. Reiser und C. Riniker rechnen mit einer Art >zweiten Phase< in der Gerichtsverkündigung Jesu. 68 5) »Gegenstand des Gerichts sind nicht Sünden und Übertretungen der Tora im allgemeinen; Gegenstand des Gerichts ist ... allein die verweigerte Umkehr auf seine Botschaft hin«. 69 Damit erhält die Stellungnahme zu dieser Botschaft eine ganz außerordentliche Bedeutung: Gericht oder Errettung hängen an der Entscheidung ihr gegenüber. Jesus mahnt dazu, »die einmal getroffene Entscheidung für die Gottesherrschaft durchzuhalten und allen Verführungen zum Ungehorsam gegenüber dem von ihm verkündeten Willen Gottes entschlossen zu widerstehen«. 70 Letztlich bedeutet das aber: es geht im Gericht um die Stellungnahme zu Jesu Person, zu seiner Sendung überhaupt. Auch Jesu Gerichtsverkündigung bezeugt den >mehr-als-prophetischen< Anspruch, den Jesus für sich selbst als Träger der Basileia-Botschaft erhoben hat (so M. Reiser und C. Riniker). 6) Zumindest in Satanssturz und Dämonenaustreibungen zeigt sich, dass wie die Gottesherrschaft auch das Gericht schon eme Gegenwartsdimension umfasst. Auch das Gerichtshandeln Gottes hat in der Sendung Jesu schon angefangen. 7) In diesem Gerichtshandeln Gottes kommt die Umwertung der Werte, die Jesus in seiner Lebenspraxis begonnen hat, zu ihrem Durchbruch und Abschluss. 8)Jesus war Apokalyptiker in dem Sinn, dass er die aus der prophetischen Zukunftserwartung hervorgegangene apokalyptische Eschatologie des Frühjudentums übernommen, geteilt und in seiner prophetischen Botschaft aktuell reformuliert hat. Ernst, Originalität und Ziel dieser Gerichtsbotschaft sind so deutlich, dass sie »von Anfang an ein fester und für Jesus wichtiger Bestandteil seiner Verkündigung« gewesen sein muss. 71 Unterschiedliche Akzente und offene Fragen sind ebenfalls zu verzeichnen. Auf drei besonders wichtige sei hingewiesen: ZNT 9 (5. Jg. 2002) 1) Umstritten ist, ob sich aus der authentischen Jesusverkündigung ein zusammenhängendes und konsistentes Bild der Endgerichtsvorstellungen Jesu erheben lässt. Nach W. Zager ist das der Fall; nach M. Reiser hingegen werden in den Jesuslogien eher verschiedene, je traditionell vorgeprägte Gerichtsvorstellungen aufgenommen, ohne dass ein in sich >logisches< Gesamtbild entstehen würde. 2) Umstritten bleibt weiterhin die Menschensohnfrage. Hat Jesus gar nicht (W. Zager) oder von einer anderen Richtergestalt (M. Reiser) oder von sich selbst als dem Menschensohn gesprochen (C. Riniker)? 3) Offen ist schließlich die Frage nach Jesu Todesverständnis bzw. die Frage, ob seine Gerichtsverkündigung damit in einem Zusammenhang stehen könnte. Bei W. Zager kommt sie nicht in den Blick, während M. Reiser eine entsprechende Andeutung macht: Jesu »Weigerung, sich mit dieser naheliegenden Lösung zufriedenzugeben,72 führte ihn schließlich dazu, seinem Tod nicht nur bewusst entgegenzugehen, sondern ihn als >Lösegeld für viele< zu verstehen«. Jesu hätte seinen Tod also als Heilsgeschehen im Horizont des endzeitlichen Gerichts Gottes verstanden, ähnlich wie dann die vormarkinische Passionserzählung.73 Als Gesamtertrag dieses Literaturüberblicks ergibt sich mir, dass sich die Situation bezüglich der Gerichtsverkündigung J esu in der neueren Forschung gegenüber den Verdrängungs- und Eskamotierungsversuchen der exegetischen Tradition umfassend verändert hat. Jesus ist offensichtlichärgerlicherweise und unbrauchbarerweise 74 auch ein jüdischer Unheils- und Gerichtsprophet gewesen, fest verwurzelt im apokalyptisch-eschatologischen >Denkraum< seiner Zeit und sehr direkt bezogen auf die Probleme und Widersprüche der damaligen Gesellschaft, wenn sich nicht sehr viele Exegetinnen und Exegeten sehr getäuscht haben. 2. Jesu Gerichtsverkündigung Die folgenden Bemerkungen erheben nicht den Anspruch, über den gegenwärtigen Forschungsstand hinauszuführen. Es geht mir lediglich darum, gewisse Konvergenzen noch etwas herauszuheben und einige Akzente zu setzen. Zu- ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus als Gerichtspr-ediger? nächst mag es jedoch nützlich sein, das relevante Material, das in diesem Forschungsüberblick zur Diskussion stand, noch einmal kurz vorzuführen. 2.1. Gerichtsstoffe in der Verkündigung ]esu 75 Wichtig - und nach meiner Einschätzung jesuanisch sind: 1. Gerichtsworte: Q (Lk) 6,37; 10,13-15; 76 11,31f; 11,39-42.44.46.47f.(52); 12,4-7; 13,23f.; 13,25-27; 13,28f.; 13,34f; 17,34f.; 17,37; Mk 9,43.45.47par; 12,38-40(? ); 14,58par (vgl. 13,lf.); Mt 5,21f.; 19,28par; (Lk 6,24f. ? ); Lk 13,1-5. 2. Menschensohnworte: Q 7,31-34; 11,29f; 12,Bf; 12,40; (17,23f.); 17,26-30; Mt 10,23. 3. Umkehrungsworte: Mk 10,31par; Lk 14,llpar; vgl. Lk 17,33par. 4. Gerichtstexte mit Gegenwartsaspekt: alle Weherufe; Q 9,37; 10,10-12; Mk 11,15-17par; Lk (10,18); 12,49/ 5. Texte vom Gottesreich: Q 13,28f.; Mk 9,43.45.47par; 10,25; Mt 7,21 (Q anders); Mt 23,13f. (Q? ) (= Worte vom Hineingehen). 6. Gleichnisse: Q 6,43-45; 6,47-49; 7,31-34; (11,24-26); 12,35-38 (Q? ); 12,39f.; 12,42-46; 12,58f.; 14,16-24 (Q? ); 17,26-30; Mk 12,1-9; 13,28f.; 13,34-36; Mt 13,47f.; 18,23-34; 20,1-15; 21,28-31; 25,1-12; 25,14-30 (Q? ); Lk 12,16-20; 13,6-9; 16,1-8; 16,19-31. 7. Bildworte: Q 11,34f.; 14,34f. (Q? ); vgl. 17,23f. 8. Sprichwortartige Texte: Q 6,386; 12,2f.; 17,37; Mk 4,25par. 9. Apokalyptische Belehrung: die Gerichtsschilderung Mt 25,326-46 (Herkunft fraglich); vgl. Q 13,25-27. Diese Übersicht strebt weder Vollständigkeit noch definitive Urteile an. Sie kann aber begreiflich machen, warum die Forschung zu dem genannten Ergebnis gelangt ist; sie zeigt Schwerpunkte und besondere Akzente an und hilft Kurzschlüsse vermeiden. 2.2. Bemerkungen zur Interpretation Wenige Punkte, die mir besonders wichtig sind, möchte ich ausdrücklich hervorheben: 1. Jesu Gerichtsverkündigung ist ganz eng auf die >positiven< Inhalte seiner Botschaft bezogen. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür sind 9 die Wehesprüche gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Lk 11,39ff.par), ein äußerst polemischer, überspitzter, ja ungerechter Text, der totzdem auf Jesus zurückgehen dürfte und seine tiefsten Anliegen wie in einem Hohlspiegel reflektiert: Stichworte wie Ganzheitlichkeit, >Herz" Nächstenliebe, Zuwendung zu Marginalisierten und Sündern, dienen statt herrschen etc. fallen einem sofort ein. Ich kann mir von diesen Wehesprüchen her nur schwer vorstellen, dass es mit Pharisäern und anderen Gruppen keine Konflikte gegeben haben soll. Sie sind gerade Teil einer intensiven Auseinandersetzung, in der auch das Gesetzesverständnis (angesichts der Gottesherrschaft) auf dem Spiel stand. 2. Die Zentralstellung der Gleichnisse auch bei der Gerichtsthematik hat inhaltliche Bedeutung. Bilder, Geschichten setzen Selbstverantwortung und Fantasie frei. Die >Gerichtsvorstellungen< Jesu hingegen sind verzweifelt disparat. Jesu Gerichtsankündigungen (Logienstoff! ) sind ihm gleichzeitig prophetische Gewissheit und kontingent auf menschliche Antworten bezogen. 3. Verurteilungen sind deshalb selten, aber sie kommen doch vor (vgl. Q 11,47f.; 10,13-15; 13,34f.). Die Annahme sich zuspitzender Konflikte und sich abzeichnenden Scheiterns liegt hier in der Tat nahe. Offenbar war Jesus ein wenig kompromissbereiter Unruhestifter, der dogmatisch nicht immer abgewogen und korrekt >funktionierte<. 4. Ereignisse werden verschieden aufgefasst, schon wenn sie geschehen. Das gilt auch für die >schwierige, Tempelaktion J esu, ist aber kein ausreichender Grund, sie für unhistorisch zu halten. Sie kann für manche Zuschauer mit Unzufriedenheit über die Verwaltung des heiligen Ortes, für andere mit Gericht und angedrohter Zerstörung (vgl. Mk 14,58par), wieder für andere mit gefährlicher Anmaßung dieses >Propheten< zu tun gehabt haben. Sie wirkt auf mich wie ein Blitzeinschlag: Wir können zwar vermuten, dass sie mit Jesu eschatologischer Vision (und der Auffassung von seiner Rolle) etwas zu tun hatte, aber nicht mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, was genau. 5. Dessen ungeachtet bedeutet es, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, wenn man die Gerichtsankündigungen J esu vergeschichtlicht und seine Naherwartung wegerklärt. Hat er sich aber darin geirrt, hat das weit reichende Konsequenzen für das apokalyptische Weltbild überhaupt, das er geteilt hat. 10 6.Der Anspruch, den Jesus für seine eigene Person bzw. Sendung in zahlreichen Gerichtstexten und Symbolhandlungen erhebt, ist über die Maßen erstaunlichwenn auch dem konform, was man in anderen Überlieferungskomplexen feststellt (Heilsverkündigung, Wunder, Nachfolge, Weisung, Tora-Auslegung). Wenn Jesus annahm, selbst zum Menschensohn-Richter erhöht oder >vollendet< (Lk 13,32) zu werden, fügt das all dem sachlich eigentlich nichts mehr hinzu, sondern klärt und verbindet nur manches. Trotz vorhandener Analogien (Henoch! ) bleibt ein solches Selbstverständnis für uns im Grunde nicht nachvollziehbar und wirkt >überspannt< oder sogar gefährlich. 7. Jesus hat vom göttlichen Gericht in seiner Verkündigung nicht nur in verschiedenen Zusammenhängen Gebrauch gemacht, er hat sich auch intensiv damit auseinander gesetzt. Das zeigt etwa sein Umgang mit der Gerichtsmetapher von der Ernte: manchmal zeichnet er das Gottesreich als so überwältigend große, starke und heilvolle Realität, dass es für das Gericht einfach keinen Platz mehr lässt und es gänzlich aus dem Blickfeld drängt (Mk 4,3-8; vgl. 4,26-29; 4,30-32). Bei der sonst meist negativ besetzten - Sauerteig- Metapher lässt sich Ähnliches beobachten (Lk 13,20f.). Immer geht es hier darum, Zutrauen zu den bescheidenen oder zweideutigen Anfängen zu wecken durch den Blick auf das große Ganze, das die Gerichtsperspektive überholt und in den Schatten stellt. Den Lohngedanken hat Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15) sozusagen von innen her zersetzt, um ihn den >Frommen" die ihn als Vorwand missbrauchten gegenüber der Ankunft der Basileia (wie er sie verstand), aus der Hand zu nehmen. Menschliches Richten über andere hat er vom göttlichen Gericht her gerade nicht legitimiert, wie das nicht selten der Fall ist bei Gerichtspredigern und dann zu exklusiven Gruppenbildungen führt, sondern ihm den Riegel vorgeschoben (Mt 7,lf.par). Jesus hatte um eine schöne Formulierung von J. Becker zu verwenden eine >offene Familie Gottes< im Sinn. Und schließlich: Was bedeutet Lk 12,49f. - Geichtsfeuer versus Todestaufe in diesem Zusammenhang? 8. Es wäre lehrreich, die aufgezählten Punkte noch einmal durchzuschauen im Blick auf ihre inner-neutestamentliche N achgeschichte. Ver- ZNT 9 (5. Jg. 2002) schiedene Autoren (oder Gemeinden) haben an verschiedenen Stellen dieses Bildes anknüpfen können und J esu Gerichtsverkündigung in unterschiedlicher Intensität und Richtung weiter ausgebaut. Es ist hier nicht der Ort, dem weiter nachzugehen, aber eine Bemerkung soll doch gemacht werden: Das theologische Potential auch hinsichtlich der Gerichtsverkündigung, das in diesen zusammenhängenden, reflektierten Texten liegt, ist mindestens ebenso groß wie dasjenige der zerstreuten, kontextlosen Worte Jesu, die jede/ r zusammenfügen muss, wie es eben geht. 9. Der hier dargestellte Jesus ist ein sehr relativer, mit Grenzen, Nicht-Wissen, mangelhafter Systematik und problematischen Seiten behafteter. Neutestamentliche Theologie funktioniert für mich nicht nach dem Prinzip: das Ältere ist das Bessere, das Echte ,besser< als das Unechte in der synoptischen Tradition, und Jesus per se maßge blicher als Paulus, der Kolosserbrief oder Origenes. Es ist durchaus möglich, dass wir die am Anfang gestellten Fragen an die Gerichtsverkündigung, die ja die unseren sind, nicht mit Hilfe Jesu beantworten können und vielleicht angestoßen durch andere Stränge der Tradition eigene Antworten suchen und theologisch verantworten müssen. Sie können so wertvoll sein, wie wenn er selbst sie gegeben hätte, auch wenn sie neu sind. Das alles stellt aber doch die Frage nach dem bleibenden Ertrag, dem festzuhaltenden Minimum, dem Kriterium der unterschiedlichen und gegensätzlichen Rezeptionen, der Wahrheit. 3. Nachbemerkungen Wahrheit ist, wovon wir leben können. Die Gerichtsverkündigung Jesu gehört meiner Meinung nach dazu. Ich möchte das in diesem etwas aphoristischen Schlussabschnitt mit vier Zitaten andeuten. Zunächst zum Grundsätzlichen: Gericht, Ende, Umkehrung der Verhältnisse, Erlösung. »And yet, despite everything, for those who have ears to hear, Jesus, the millenarian herald of judgment and salvation, says the only things worth saying, for his dream ist the only one worth dreaming. If our wounds never heal, if the outrageous spectacle of a history filled with cataclysmic sadness is never undone, if there is nothing more for those who were ZNT 9 (5. Jg. 2002) slaughtered in the death camps or for six-year olds devoured by cancer, then Jet us eat and drink, for tomorrow we die. If in the end there is no good God to calm this sea of troubles, to raise the dead, and to give good news to the poor, then this is indeed a tale told by an idiot, signifying nothing.« 77 Jesu Gerichtsverkündigung könnte, in Verbindung mit seiner Gewissheit der Nähe des Heils (Mk 14,25), ein wesentlicher Hintergrund sein, um sein Todesverständnis zu erschließen. Hat er trotz Ablehnung und Gerichtsverfallenheit an dem festgehalten, an dem er immer festhielt, dem Heil der Königsherrschaft Gottes? Und was bedeutete das in dieser Situation? »If, however, Jesus' death did accomplish the real defeat of the evil that had infected Israel along with the rest of the world ... then this was good news not only for Israel but for the whole world.« »the death of Jesus still draws children, women, and men to the love of the one true God and, holding them in that love, sustains them not only in their personal living but also in their own wrestling with the powers of evil, giving them courage, like Janani Luwum, to stand up to the Caiaphases and Pilates of this world and to take the consequences.« 78 Kommt man dem, was Jesus gerade mit seiner negativen, bedrohlichen, verstörenden Gerichtsverkündigung ausdrücken und bewirken wollte, möglicherweise näher, wenn man danach Ausschau hält, wo und von wem zu seiner Zeit das genaue Gegenteil davon gesagt, gefeiert und propagiert wurde? Nämlich lauter Friede, Glück und Sicherheit in eine paradiesische Zukunft hinein ... »Da die Vorsehung, die unser Leben in göttlicher Weise durchwaltet, mit Eifer und Grossmut unserem Leben den schönsten Schmuck verliehen hat, indem sie Augustus hervorbrachte, den sie zum Wohl der Menschen mit Tugend erfüllte, als Retter für uns und unsere Nachkommen, der den Krieg beendet und den Frieden schafft, und weil der Kaiser nun durch sein Erscheinen die Hoffnungen aller früheren Zeiten überbot, weil er nicht nur die vor ihm lebenden Wohltäter überragte, sondern auch den künftigen jede Hoffnung nahm, es ihm zuvor zu tun, da schliesslich für die Welt der Geburtstag des Gottes der Anfang der durch ihn verursachten Freudenbotschaften war ... « (deshalb wird gemäss Vorschlag des Prokonsuls der Jahresanfang auf den kaiserlichen Geburtstag gelegt). 11 »Der aber hier ist der Held, der oft und oft dir verheissen, Augustus Caesar, der Spross des Göttlichen. Goldene Weltzeit bringt er wieder für Latiums Fluren.« 79 Ist J esu Gericht oder der Friede Caesars vorzuziehen? Wem dient was? »Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! « 80 Anmerkungen 1 Sozialrevolutionär ist hier im Gegensatz zu politischrevolutionär (im Sinn der heute nicht mehr vertretenen Jesusdeutung etwa von S.G.F. Brandon) zu verstehen. 2 R.A. Horsley,Jesus and the Spiral ofViolence. Popular Jewish Resistance in Roman Palestine, San Francisco 1987. 3 Sie zeigen gerade »Jesus' concern for the renewal of the whole society« (Horsley, Jesus, 199). 4 »Thc liberating action or kingdom of God should ... not be thought of as God's ,intervention in history (and human expcricnce)«< (Horsley, Jesus, 169; gegen N. Perrin, Rediscovering the Teachings of Jesus, New York 1967). 5 Horsley, Jesus, 320. 6 M.J. Borg, Conflict, Holiness & Politics in the teachings of Jesus (Studies in the Bible and Early Christianity 5), New York/ Toronto 1984. 7 Vgl. den von K. Berger geprägten Begriff einer offensiven, ansteckenden (gegenüber einer ängstlich-defensiven) Heiligkeit, z.B. ders., Wer war Jesus wirklich? , Stuttgart 1995, 38. 8 Borg, Conflict, 209. 9 Borg, Conflict, 219. 10 Vgl. Borg, Conflict, 216-218 (im Anschluss an G.B Caird und A. Wilder). 11 M.J. Borg, Jesus. Der neue Mensch, Freiburg/ Basel/ Wien 1993. Neuerdings scheint sich mit der Betonung der mystischen Gotteserfahrung J esu auch die f uturische Dimension des Gottesreiches bei ihm wieder stärker bemerkbar zu machen; vgl. M.J. Borg/ N. T. Wright, The Meaning of Jesus. Two Visions, London 2000, 75. 12 J.D. Crossan, Der historische Jesus, München 1994; ders., Jesus. Ein revolutionäres Leben, München 1996. 13 Vgl. auch die Zusammenfassung von J.D. Crossan, Jesus and the Kingdom: Itinerants and Householders in Earliest Christianity, in: M.J. Borg (Hrsg.), Jesus at 2000, Oxford 1997, 21-53. 14 Crossan, Jesus and the Kingdom, 34. 15 R.W. Funk, R.W. Hoover and the Jesus Seminar, The Five Gospels. The Search for the Authentie Words of Jesus, New York 1993; sowie R.W. Funk and the Jesus 12 Seminar, The Acts of Jesus. The Search for the Authentie Deeds of Jesus, San Francisco 1998. 16 Einreihung in diesem Abschnitt bedeutet noch keine Zuordnung Jesu zu einem bestimmten religionsgeschichtlichen ,Typ<: in solcher Weise apokalyptisch-eschatologisch ausgerichtet oder mitgeprägt kann neben einem apokalyptischen Schriftsteller auch ein Prophet, ein Weisheitslehrer, ein Pharisäer, ein essenischer Frommer, ein Wundercharismatiker, ein Widerstandskämpfer oder Messiasprätendent gewesen sein - und er war das im Judentum vor 70 n.Chr. in der Regel wohl auch. Meine Einteilung sagt deshalb auch nichts darüber aus, wie nah die in dieser zweiten Gruppe zu nennenden Forscher und Forscherinnen Jesus zu gesellschaftsverändernden Impulsen oder Bewegungen sehen oder wie >politisch< ihr Jesusbild ist. 17 B.F. Meyer, The Aims of Jesus, London 1979, der grundlegende Anregungen für den ,Third Quest< gab. Nur erwähnt sind in der folgenden Liste wichtige Jesusbücher dieser Ausrichtung, die den Gerichtsaspekt entweder nicht ausführlich behandeln oder nicht in den Vordergrund stellen. 18 Vgl. zuletzt G. Vermes, The Religion of Jesus the Jew, London 1993 (Jesus war ein galiläischer Wundercharismatiker ein wichtiger Aspekt! - und ein eschatologischer Enthusiast). 19 J.H. Charlesworth, Jesus within Judaism. New Light from Exciting Archaeological Discoveries (ABRL), New York 1988. 20 J .P. Meier, A. Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus., Bd. I: The Roots of the Problem and the Person; Bd. l[: Mentor, Message, and Miracles (ABRL), New York 1991/ 1994. Im Gegensatz zu verbreiteten Globalurteilen im ,Third Quest< istJ.P. Meier zu Recht bei der mühevollen Arbeit mit Echtheitskriterien geblieben (vgl. Bd. I S. 167-195); die Bedeutung des ThEv wird wieder skeptischer eingeschätzt (Bd. I S. 124-139). Umsicht, Methodik und Genauigkeit stechen in dieser Jesusdarstellung wohltuend hervor. 21 B.D. Chilton, God in Strength. Jesus' Announcement of the Kingdom, Sheffield 2 1987. ,Gottesreich, beinhaltet im damaligen Kontext zunächst immer das machtvolle Kommen des Gottes Israels in Person. 22 Berger, Jesus, nutzt die Gerichtsbotschaft als Ausgangspunkt zur Distanzierung J esu von modernen Lesebrillen. 23 J. Roloff,J esus, München 2000 (ebenso kurz wie informativ; zum Gericht vgl. S. 78f.). 24 D. Sölle/ L. Schottroff, Jesus von Nazaret, München 2000 (hauptsächlich die Trostfunktion der Eschatologie wird betont). 25 E.P. Sanders, Jesus and Judaism, Philadelphia 5 1989; vgl. ders., The Historical Figure of Jesus, London 1995. 26 Grundlegend: E.P Sanders, Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion, Philadelphia 1977. (Phase I der Jesusforschung wäre die Periode von H.S. Reimarus bis A. Schweitzer, Phase II nach ZNT 9 (5. Jg. 2002) meinem Urteil von E. Käsemann bis zum ,Jesus-Seminar<; dazwischen das >Loch< der dialektischen Theologie). 27 Damit ist die Hoffnung auf Befreiung und Wiedergeburt Israels (aufgrund des Bundes) durch Gottes wunderbares Eingreifen in die Geschichte gemeint. Die Sammlung der zwölf Stämme, ein neuer Tempel und der Einbezug von Heiden können dazugehören. »In general terms it may be said that ,Jewish eschatology< and >the restoration of Israel< are almost synonomous« (Sanders, Jesus, 97). 28 »The belief in judgment and punishment, which was intimately tied to the view that God is just, remained undiminished. Belief in the punishment or destruction of the wicked, and just retribution against even the righteous for their transgressions, is so common that it is almost unnecessary to give examples« (Sanders, Jesus, 113). 29 Sanders, Jesus, 73. 30 Sanders,Jesus,319. 31 N.T. Wright, Jesus and the Victory of God (Christian Origins and the Question of God, vol. 2), Minneapolis 1996; vgl. auch Borg/ Wright, Meaning. 32 Borg/ Wright, Meaning, 50 (ab and indicating im Original gesperrt). Die Zahlen sind von mir eingefügt. 33 D.h. als ,restoration of Israel< nach der Terminologie von Sanders. 34 Darin weicht Wright von Sanders, der die Gegenwartsaussagen vom Gottesreich herunterspielt, stark ab. 35 »His critique of, and warning to, his contemporaries, and his challenge to a different way of being Israel, were based on his firm belief that he was charged by Israel's God with inaugurating the kingdom« (Borg/ Wright, Meaning, 39). 36 Borg/ Wright, Meaning, 40; vgl. ausführlich Wright., Jesus, 320-368. 37 Borg/ Wright, Meaning, 41. Nach Mk 13, einem für Wright jesuanischen Text (vgl. ders., Jesus, 339-367), ist die Israel geschichtlich drohende Katastrophe genauso eschatologisches Ereignis (und Bewahrheitung des Anspruchs Jesu), wie in der Errettung seiner Nachfolger aus Jerusalem und der Verbreitung des Evangeliums Gottes König-Sein im vollen Sinn eingetretener eschatologischer Erfüllung hervortritt. Sternenfall und ,Kommen des Menschensohnes (zu Gott! )< hingegen (Mk 13,24-27) seien als symbolische Hinweise auf den endzeitlichen Charakter der zuvor angekündigten Geschehnisse zu verstehen (Wright, Jesus, 361-363). Das Problem der Naherwartung Jesu ist somit >gelöst< (Wright, Jesus, 365). 38 »Jesus temple action was an acted parable of judgment« (Borg/ Wright, Meaning, 45). 39 Borg/ Wright, Meaning, 47. 40 Borg/ Wright, Meaning, 98; vgl. Borg, Jesus, 540-611. 41 Vgl. auch Borg/ Wright, Meaning, 124f. zu Auferstehung und leerem Grab! Jesus setzt seine apokalyptische Weltsicht bei N.T. Wright in einer von Gott geschichtlich legitmierten Weise um, sodass es anders ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus als Gerichtsprediger? als bei A. Schweitzerschwierig wird, sich davon noch irgendwie zu distanzieren! 42 Ist ,Echtheitsargument< hauptsächlich die Vorstellbarkeit im zeitgenössischen Judentum, lässt sich in der Tat alles zusammenkombinieren. 43 Nach S. McKnight, A New Vision for Israel. The Teachings of Jesus in National Context (Studying the Historical Jesus), Michigan/ Cambridge, U.K. 1999, hat Jesus die Ereignisse des Jahres 70 n.Chr. ziemlich genau vorhergesehen, die dahinter liegende Zukunft immerhin noch umrisshaft in grossen Zügen. 44 D.C. Allison, Jesus of Nazareth. Millenarian Prophet, Minneapolis 1998. Die Stichworte folgen der Beschreibung a.a.O., 81-94. 45 Vgl. Allison, Jesus, 61: »Pacific cargo cults, Jewish messianic groups, Amerindian prophetic movements, and Christian sects looking for the end of the world«. 46 Im ersten Schritt (Faktum eines vorgängigen Gesamtbildes) stimmt er mit Wright überein, im zweiten geht er hingegen weit methodischer zu Werk (vgl. das ganze erste Kapitel seines Buches, bes. S. 51-58). 47 Allison, Jesus, 172-216. Sie betrifft insbesondere Sexualität und Ehe. 48 Vgl. Allison, Jesus, 46f. (Material); 131-136. 49 Allison, Jesus, 134. 50 Allison, Jesus, 153 (gegen C.H. Dodd, T.F. Glasson, G.B. Caird, N.T. Wright). 51 Allison, Jesus, 217. 52 J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/ New York 1996. 53 Die religionsgeschichtliche Aufarbeitung des Basileia- Begriffs von der Zionstheologie her sowie deren Eschatologisierung, Dynamisierung und Liturgisierung im Frühjudentum zeigt sehr gut, dass Jesus durchaus in unterschiedlicher Weise von der Basileia gesprochen haben kann (vgl. Becker, Jesus, 100-121). 54 Becker, Jesus, 400-413. Mit dieser Position, die wie die Darstellung gezeigt hat einen zentralen Punkt in der Neubewertung des Gerichtsaspekts bei Jesus betrifft, steht J. Becker im ,Third Quest< ziemlich alleine da. Die Gerichtsdimension tritt spürbar zurück. Zumindest seinem Wesen nach ist Jesus ,endzeitlicher Heilsprophet< (S. 272), ohne dass die andere Seite noch erwähnt zu werden braucht. 55 J. Gnilka, Jesus von N azaret. Botschaft und Geschichte (HThK Supplementband III), Freiburg/ Basel/ Wien 1990. 56 »Die Gerichtsworte geben die Einsicht frei, dass Jesu Wirken, das ein ausschließlich auf Israel ausgerichtetes gewesen ist, erfolglos war. Die Masse des Volkes lehnte ihn ab, verstand ihn nicht« (Gnilka, Jesus, 201). 57 Der Gedanke des Neuen Bundes »berücksichtigt (... ) in angemessener Weise die Ablehnung der Botschaft durch die Mehrheit des jüdischen Volkes .... Jesus hat somit seinem Tod eine heilseffiziente Wirkung zugesprochen« (Gnilka, Jesus, 288). 58 G. Theissen/ A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996. 13 59 Theissen/ Merz, Jesus, 250f. Zur Interpretation der Gerichtspredigt Jesu: Sie ist grundsätzlich Umkehrpredigt; die Gegenwart ist Entscheidungszeit (die eschatologische Scheidung beginnt schon); Unheil ist selbstgewählt und selbstverschuldet (a.a.O., S. 242f.; vgl. S. 244f.). Nützlich ist auch die Zusammenstellung der Bildbereiche, denen Jesus seine Gerichtsmetaphern entnimmt (a.a.O., S. 243f.): königliche Richtertätigkeit; Gerichtsverhandlung, Prozess; Rechenschaftsablage vor Höhergestelltem; Ernte; Ausschluss vom (eschatologischen) Mahl; diverse Katastrophenbilder. Die Adressierung der Gerichtsbotschaft schwankt zwischen pauschalem Angriff auf ,dieses Geschlecht< und individualisierender Konfrontierung des einzelnen, was gut zusammenpasst: alle sind zur Umkehr aufgerufen (a.a.O., S. 245f.). 60 Diese Gegenposition ist bei Theissen/ Merz, Jesus, 254f., bewusst bezogen. 61 M. Reiser, Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA 23), Münster 1990. 62 W. Zager, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung Jesu (BZNW 82), Berlin/ New York 1996. 63 C. Riniker, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS 23/ 653), Bern u.a. 1999. 64 W. Zager behandelt nach Gattungen geordnet die Gerichtstexte des Markusevangeliums. M. Reiser unterscheidet das Gericht über Israel (Lk ll,31f. Q; 10,13-15 Q; 13,28f. Q; 14,16-24 Q? ; angefügt: Lk 13,1-5; ,Ernte-Texte<; Mt 19,28 Q? ) von Gerichtsworten, die an einzelne gerichtet sind (Mt 18,23-35; Lk 12,57-59 Q; Lk 16,1-8), ohne dass eine inhaltliche Differenz zwischen beiden Gruppen besteht. C. Riniker versucht, nach Gerichtskriterien zu ordnen: nicht-spezifizierte Gerichtsankündigungen/ konkretisierbare Verhaltensweisen bzw. Adressaten: Pharisäer und Schriftgelehrte; Reiche und Mächtige; generelle Umkehrforderungen sowie gerichtsbezogene Mahnworte/ die ,Parusiegleichnisse< (mit inhaltlich ähnlichem Skopus)/ schließlich >Verhalten gegenüber Jesus bzw. seiner Botschaft< als spezifisch jesuanischer Kernbereich. Die Menschensohnfrage wird aus diesem Grund immer wichtiger im Verlauf der Untersuchung. Michael Fischer/ Diana Rothaug (Hrsg.) Das Motiv des Guten Hirten in Theologie, Literatur und Musik Mainzer Hymnologische Studien 5, 2002, 323 Seiten, div. Abb., € 48,-/ SFr 79,30 ISBN 3- 7720-2915-9 65 Reiser, Gerichtspredigt, 293. 66 Vgl. Reiser, Gerichtspredigt, 307. 67 Zager, Gottesherrschaft, 315. 68 Sie fehlt bei W. Zager vermutlich deshalb, weil er die entsprechenden Texte (aus Q) nicht behandelt hat. 69 Reiser, Gerichtspredigt, 302. 70 Zager, Gottesherrschaft, 315f. (Hervorhebung C. R.). 71 Reiser, Gerichtspredigt, 313. Vgl. Zager, Gottesherschaft, 316. 72 Gemeint ist der Verzicht auf ,ganz Israel< und die Sammlung eines Heiligen Rests. Zitat: Reiser, Gerichtspredigt, 304. 73 Reiser, Gerichtspredigt, 295, betont auch die Kontinuität zwischen Jesus und Q: »Der Stellenwert, den die Gerichtspredigt in der Logienquelle einnimmt, entspricht genau dem, den sie in der Verkündigung Jesu hatte.« AndersJ.S. Kloppenborg, The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections (Studies in Antiquity and Christianity), Philadelphia 1987. 74 Das ist nicht als rhetorische Floskel gemeint, sondern zugespitzt meine Erfahrung nach sechs Jahren Pfarramt: ,Gericht, haben die Leute, mit denen ich es in der Regel zu tun habe, meist selbst schon genug. Dazu brauchen sie mich nicht. 75 Vgl. die guten Zusammenstellungen des Materials bei Borg, Conflict, 266-276 und Allison, Jesus, 46f. 76 Gesperrt gedruckt sind Texte, die das Gericht direkt mit Jesus (oder einem Aspekt seines Wirkens) in Beziehung bringen. 77 Allison,Jesus, 219. 78 Borg/ Wright, Meaning, 51.107. Erzbischof Janani Luwum wurde 1977 in Uganda von den Soldaten des Idi Amin mehrfach entführt, gefoltert und dann ermordet (a.a.O., S. 95). 79 Priene-Inschrift mit einem Kalendererlass von 9 v.Chr., zitiert nach H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (Kohlhammer-Studienbücher Theologie 9/ 2), Stuttgart/ Berlin/ Köln 1996, 51. Zweites Zitat: Vergil, Aeneis 6,791-793 (a.a.O., S. 43). Tiberius konsolidierte und förderte den Kaiserkult. 80 Jesus zugeschrieben Mt 25,40. Daß es nicht nur gute, sondern auch schlechte Hirten gibt darin sind sich die Bibel, Dante und Pink Floyd einig. Der Band nähert sich diesem doppelten Aspekt mit Blick auf theologische, literarische und musikalische Aktualisierungen des Motivs. Die 14 Autoren, junge Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen, beleuchten die reiche Motivgeschichte von der Spätantike bis zur Gegenwart. Dabei erstreckt sich das Spektrum von Vergil bis Trakl, von Bach bis Bernstein. A. Francke Verlag · Tübingen und Basel · Postf. 2560 · D- 72015 Tübingen · Fax (07071/ 75288) 14 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Volker A. Lehnert Wenn der liebe Gott >böse< wird - Überlegungen zum Zorn Gottes im Neuen Testament Der Zorn Gottes gehört nicht unbedingt zu den brandaktuellen Themen neutestamentlicher Exegese. Gleichwohl beschäftigt die Theodizeefrage seit jeher nicht nur die christlichen Gemüter. 1 Sowohl das eschatologische Problem im Spannungsfeld zwischen Allversöhnung und doppeltem Gerichtsausgang, 2 als auch die Frage nach den sogenannten >dunklen Seiten Gottes< 3 regen immer wieder neu zur theologischen Reflexion an. Exegetisch steht dabei insbesondere der Begriff des Zornes Gottes zur Disposition. Die folgenden Ausführungen bieten sowohl einen Überblick über die wesentlichen Eckpunkte der theologischen Diskussion 4 als auch einen Versuch, Aspekte zum psychologischen und didaktischen Ertrag der Rede vom Zorn Gottes zu formulieren. 1. Die irrationalen Launen der altorientalischen Götter Die neutestamentlichen Autoren reden nicht voraussetzungslos von Gottes Zorn. Bereits der alte Orient kannte zürnende Götter. Auslöser für deren Zorn konnten u.a. menschliche Sünden sein, auch unbewusst begangene. 5 In einer akkadischen Gebetsbeschwörung an einen ungenannten Gott ist zu lesen: »Lass ab von dem (so) hoch gestiegenen Zorn Deines Herzens ... Sind meiner Übertretungen auch viele löse meine Schuld! « 6 Erkannt hat der Beter den göttlichen Zorn an seiner gegenwärtigen Erkrankung. Viele andere Manifestationen sind denkbar. Der Zorn des westsemitischen Gottes Hadad beispielsweise wirkte sich in Hunger und Schlaflosigkeit7 aus. Meist aber beschreibt der alte Orient göttlichen Zorn als irrationale Götterlaune, die zu Naturkatastrophen und zu Vernichtungen führt. In Ägypten etwa brach immer wieder der Zorn der Göttin Hathor aus. Da dieser durch Musik und Weintrinken besänftigt werden konnte, gehörte zum Kult dieser Göttin ein Fest der Trunken- ZNT 9 (5. Jg. 2002) heit. 8 Nach einer babylonischen Überlieferung hatten die Götter einst ihre eigene Arbeit an die Menschen delegiert und erzürnten nun, weil diese bei deren Verrichtung zu viel Lärm produzierten. Wurde ein Götzenbild gestohlen, galt dies als Zeichen dafür, dass die entsprechende Gottheit die Stadt verlassen und ihren Schutz zurückgezogen hatte. Als Folge erwartete man das freie Spiel der Dämonen. 9 Der hethitische Mythos vom Wettergott Telipinu stellt die Gottheit sogar als mit infantilen Regungen ausgestattet dar. Telipinu zieht sich zornig aus dem aktiven Götterleben zurück, um zu schlafen. Infolgedessen kommt es auf der Erde zu Naturkatastrophen. Die übrigen Götter senden eine Biene aus, ihn zu suchen. Als diese ihn sticht, steigert sich sein Zorn. Durch eine göttliche Beschwörung wird er besänftigt, durch eine menschliche werden er und mit ihm die ganze Natur von seinem Groll befreit.10 Den Menschen kam also ein gewisser Einfluss auf Götter zu. Zur Beschwichtigung ihres Zornes dienten Gebete, Rituale, Opfer, Orakel u.ä. In Babylonien kannte man die Möglichkeit, dass sich göttlicher Zorn auf ein Tier stellvertretend als Ersatz für den Menschen ergießen konnte. Der Mensch wurde auf diese Weise auch ohne Reue bewahrt. 11 In dieser doppelten Auffassung des Zornes Gottes als Strafe für Sünden bzw. als irrationaler Götterlaune, spiegelt sich die Ambivalenz menschlicher Unheilserfahrungen wieder. Einerseits gibt es immanent erkennbare und nachvollziehbare Kausalitäten zwischen Fehlverhalten (Schuld) und negativer Konsequenz (etwa Krankheit), anderseits aber geht diese Logik nie ganz auf. Ihre oft fehlende oder doch zumindest nicht immer erkennbare Systematik führt zur Integration von Absurditätserfahrungen in den Weltenwurf, die sich wiederspiegelt in den schillernden Persönlichkeiten unterschiedlichster Göttergestalten, die in dem einen Fall begründet, im anderen Falle aber völlig willkürlich zürnen können. 15 2. Die Eiferheiligkeit des Gottes Israels Auch die Bibel Israels weicht dieser Ambivalenz der Wirklichkeit nicht aus. Texte wie etwa Ps 37, Ps 73 oder Hiob bewegen genau diese Frage. Und doch spricht Israel anders von Gott als seine Nachbarn. Selbstverständlich ist auch Jahwe frei zu tun, was er will. Er vermag ,aufzubauen und niederzureißen< (vgl. Jer 45,4), er vermag zu >töten und lebendig zu machen< (vgl. 1Sam 2,6), allein, sein Handeln unterliegt einer inneren Prämisse, der Gerechtigkeit (hebr.: sedaqa).12 Jahwe ist frei, aber nicht willkürlich. Schon gar nicht ist er manipulierbar: »Die Abhängigkeit der Götter von menschlichen oder gar tierischen Helfern, ihre Beeinflussbarkeit durch Magie, ihre Endlichkeit, mangelnde Allwissenheit, ihr Mithineingerissensein in irdische Katastrophen, ihre Machtlosigkeit gegenüber den eigenen zügellosen Eigenschaften haben in der alttestamentlichen Gotteserkenntnis keine Parallelen.« 13 E. Otto hat versucht, den Zorn Gottes in der hebräischen Bibel als einen integralen Bestandteil spezifisch israelitischer Überwindung der neuassyrischen Staatsideologie zu verstehen. Galt im Alten Orient Krieg als konstitutive Aufgabe des Staatsmonarchen, um das in Gestalt der Völker repräsentierte Chaos zu überwinden, so tritt in Israel an die Stelle des Chaoskämpfers »der sich selbst überwindende Gott, der in der Dialektik von Zorn und Liebe seinen Zorn überwindet«. 14 Letztlich würde damit der göttliche Zorn als eine Art antidualistische Integration des Chaos in Gott hinein im Zuge einer spezifisch israelitischen Entwicklung zum Monotheismus 15 aufgefasst. Aber was heißt das für die Frage nach dem Zorn Gottes? Zürnen konnten die alten Götter ja auch bereits. Besteht der Unterschied zu Jahwe lediglich in ihrem missglückten bzw. fehlenden Selbstüberwindungsversuch? Wie spricht nun Israel vom Zorn Gottes? Zunächst: Zorn ist keine negative Eigenschaft Gottes, keine Schwäche, die immer mal wieder durchbricht. Gottes Zorn ist immer ein ,aktuelles Geschehen" ein spezifisches Handeln Gottes. 16 Eine klassische Zorngeschichte liegt vor in der Erzählung vom ,goldenen Kalb, (Ex 32-34). Der Götzendienst wird hier interpretiert als völlig unangemessene Reaktion des Volkes auf Jahwes Wohltat der Herausführung aus Ägypten. Die soeben im ExuJus erfahrem: Präsenz Gottes wird 16 substituiert durch die Produktion eines eigenen Gottesbildes. Der Mensch erschafft sich seinen Gott wider besseren Wissens selbst. Die Freiheit dazu hat er eben erst durch das ihm immer schon vorgeordnete Handeln Gottes empfangen. Wird Gott als ,Gott< abgesetzt, wird die Folge für den Menschen negativ sein, denn wer sein Woher leugnet, der verleugnet sich letztlich im negativen Sinne selber. Genau dies bringt die Rede vom zornigen Jahwe zum Ausdruck: »Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge ... « (Ex 32,10). Erst als Mose in die priesterliche Bresche springt, Fürbitte tut und an Jahwes Barmherzigkeit appelliert, lässt dieser sich umstimmen. Man könnte diese Erzählung gleichsam als Illustration der späteren Gerichtsprophetie ansehen, mittels derer Israel seine Geschichte rückblickend deutet.17 Eine gewisse Dynamik im Verhalten Gottes ist zwar auch hier erkennbar, aber der Auslöser für seinen Zorn lag eindeutig im Fehlverhalten des Volkes, nicht in göttlicher Willkür. Auch die Gerichtsprophetie selbst spricht durchaus in orientalischer Manier vom Zorn Gottes: Gott verteilt Schläge (Jes 9,7-10,4), wenn sein Zorn ungestüm und mit elementarer Gewalt ausbricht 18 (Jer 23,19; 30,23; 4,4; 7,20). InJer 50,25 erscheint Gott sogar als eine Art ,Waffenlagerbesitzer,. Sein Zorn gilt den Völkern (Am 1,1-2,3), kann sich aber genauso gegen das eigene Volk wenden (Am 2,3-16). Deuterojesaja interpretiert das Exil als Vollzug des Zornes (42,25; 47,6), sein Ende entsprechend als Vergebung (40,1-11). Das Grundmotiv für die Erregung des Zornes Jahwes lässt sich als Verletzung seiner Eiferheiligkeit beschreiben.19 Gerhard von Rad hat die gesamte Kultgeschichte Israels als »Kampf um die Gültigkeit des ersten Gebotes« auf dem Hintergrund des orientalischen Polytheismus (vgl. Jes 43,10; 45,5f.) interpretiert, in dem Jahwe exklusive Anerkennung durch sein Volk fordert. 20 Gerät sein bisweilen metaphorisch als Liebesbeziehung dargestelltes Verhältnis zu Israel (vgl. Hos) in eine ,Krise" zeigt er sich in gewissem Sinne bei aller Problematik dieses anthropomorphen Attributs als ,eifernd,: »Als Eifernder ist Jahwe personenhaft bis zur höchsten Intention«. 21 Von der Wüstenzeit, in der das Lager ständig als von der Macht des göttlichen Zornes bedroht galt (vgl. Lev 10,6; Num 1,53; 17,11; Jos 9,20 u.ö.), 22 bis zur Esragemeinde, die »unter der Glut des Zornes ZNT 9 (5. Jg. 2002) Volker A. Lehnert Dr. Volker A. Lehnert, Jahrgang 1960, verheiratet, drei Kinder. Studium der Ev. Theologie in Wuppertal und Bonn, Promotion 1999 in Wuppertal mit einer Studie zur neutestamentlichen Textpragmatik am Beispiel vonJes 6,9f. bei Markus und Lukas. Von 1988 bis 2001 Pfarrer in Neuss. Vortragstätigkeit im Bereich der theologischen Erwachsenenbildung. Diverse Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Themenbereichen (www.lehnert-neuss.de). Seit 2001 Ausbildungsdezernent der EKiR. Jahwes« 23 (Esr 10,14) stand, weiß Israel um diesen Eifer Gottes. Insofern könnte man Gottes Zorn als Kehrseite seiner Liebe beschreiben, die zutage tritt, wenn Israel diese Liebe zurückweist, sei es durch Verfehlungen einzelner (Ex 4,14; Num 12,9; Dtn 29,18ff.; 2Sam 6,7 u.ö.), sei es durch Verletzung des Bundesrechtes durch das Volk (Num 25,3; 32,10; Dtn 29,25ff.). 24 Israels Rede vom Zorn Gottes meint daher etwas wesenhaft anderes als die altorientalischen Mythen. Die Sprachbilder und die anthropomorphen Metaphern sind zwar verwandt, das Wesen des Zornes aber trägt einen anderen Akzent: Die mehr oder weniger willkürliche irrationale Götterlaune wird in gewissem Sinne zu einem mehr oder weniger rationalem Eifer, »Ausdruck seiner [Jahwes sie.] Heiligkeit und Gerechtigkeit«. 25 3. Der Zorn Gottes im Neuen Testament Die neutestamentliche Rede vom Zorn Gottes knüpft prinzipiell an die skizzierte alttestamentliche Linie an, nimmt aber zugleich apokalyptisch gefärbte eschatologische Traditionen aus der sogenannten zwischentestamentlichen Literatur auf. 26 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Vollcer A. Lehnert Wenn der liebe Gott >böse< wird 3.1. Zorn als negative menschliche Eigenschaft Im Neuen Testament erscheinen zwei griechische Begriffe für Zorn: thymos und arge. 27 Beide Vokabeln bezeichnen im Profangriechischen eine affektive Gemütsbewegung, sowohl von Menschen, als auch von Göttern. Orge kann darüber hinaus aber auch für die gerechte strafende Haltung eines Richters stehen (Demosth Or 24,118), ein semantischer Akzent, der vordergründig eine gewisse Affinität zum alttestamentlichen Verständnis des Zornes Gottes zu besitzen scheint, die aber hinsichtlich der engen Korrelation der Gerechtigkeit Jahwes mit seiner Liebe sogleich zu relativieren ist, denn die israelitische Sedaqa Jahwes, Erwählungsgerechtigkeit Gottes inklusive seiner letztlich liebenden Eiferheiligkeit, und abendländische Justitia, Rechtsprechung inklusive >neutraler< Bestrafung, sind nicht dasselbe. 28 In der Stoa gilt der Zorn als verwerflichste Eigenschaft des Menschen. Götter galten als affektlos. 29 Seneca wertet den Zorn in seiner Schrift »De Ira« 30 als die negativste aller menschlichen Leidenschaften, »am meisten von allen widerwärtig und tollwütig« (I.1) und Herr über die anderen (XXXVI.6). Zorn dient allein der Vernichtung (V.2) und hat in sich »nichts Nützliches« (IX.1). Richterliche Strafgewalt hat mit Zorn nichts zu tun. Gestraft werden soll »nicht ohne Züchtigung, sondern ohne Zorn« (XV.1) und »mit klarer Überlegung« (XV.3). Interessant ist Senecas Verweis auf eine Argumentationslinie Platons, die das richterliche Urteil dezidiert vom Zorn abkoppeln will: Der Weise, wenn er zürnt, verzichtet auf seine Strafgewalt und delegiert sie auf einen Besonnenen (XII.4-6). Zorn ist etwas irrational ,Hervorbrechendes" »was die Vernunft überrennt« (III.4). Man muss sich seiner »enthalten« (XXXIV.1) und ihn mit Hilfe der Vernunft zu »überwinden« (XII.1) suchen. Nicht allein zu mäßigen ist er, sondern »völlig [zu] entfernen« (XLII.l). Die aus der aristotelischen Affektenlehre stammende Überzeugung, dass Zorn, gezielt eingesetzt, von Nutzen sein könnte (Metriopathie), verwirft Seneca gänzlich. In der Bewertung des menschlichen Zornes finden sich sowohl Konvergenzen als auch Differenzen zwischen israelitischen, stoischen und neutestamentlichen Traditionen. Konvergent ist die prinzipiell negative Wertung von Zorn (Lev 19,18; De Ira I.1; Gal 5,20; vgl. lQS 5,25), different ist 17 der Grad dieser Negativität. In Gen 4,7 zieht der Grimm Kains die Sünde gleichsam an, ist aber selbst noch nicht Sünde. Diese »lauert vor der Tür« und soll beherrscht werden. Eine vergleichbare Aussage findet sich in Eph 4,26a: »Zürnt ihr, so sündigt nicht«. Hatte Aristoteles dem Zorn als einer Art vitalem Kraftreservoir auch positive Seiten abgewinnen können, so wertet Seneca ihn ausschließlich negativ und empfiehlt: »Wirksamstes Gegenmittel bei Zorn ist Aufschub ... heftig ist sein erster Ungestüm; er lässt nach, wenn er verhält« (XXIX.1; vgl. Xl.4). Der Autor des Eph dagegen rät im Anschluss an Ps 4,5 eine rasche Bearbeitung: »Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen« (4,26b). 3.2. Zorn als eschatologisches Handeln Gottes Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Synchronisation der anthropomorphen Rede vom Zorn Gottes (Ex, Propheten) mit der ethischen Bewertung des Zornes aus anthropologischer Perspektive (Weisheit, Stoa) eine nicht unerhebliche Herausforderung für das junge Christentum darstellte. Cicero richtet sich philosophisch gegen ein affektives Verständnis des göttlichen Zornes (Off. III 28,102 und 29,104). In Ovid, Metam. VIII 279, dagegen spiegelt sich ein Stück Volksglauben wieder, der den Göttern recht unbefangen Zorn zuschreiben konnte. In der rabbinischen Literatur erscheint der Zorn Gottes gelegentlich in Gestalt eines Engels. 31 Mit Ausnahme von Offb spiegelt sich dieses Problem im Neuen Testament u.a. wieder in einer gewissen Zurückhaltung, thymos aufgrund seiner affektiven Konnotation mit Gott zu verbinden, 32 obwohl die Septuaginta thymos synonym zu arge gebraucht. 33 Betrachten wir die wesentlichen Belege. 3.2.1 Gegenwärtiger Zorn? »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen ... « (Röm 1,18ff.). Über diesen Paulustext ist eine heftige Diskussion entbrannt und zwar über zwei Fragen: erstens, ob die präsentische Verbform >wird offenbart< möglicherweise futurisch zu verstehen ist und zweitens, wie sich die beiden Offenbarungen in V.17 (Of- 18 fenbarung der Gerechtigkeit) und V.18 (Offenbarung des Zornes) zueinander verhalten. H.-J. Eckstein 34 hat die Forschungsgeschichte zu dieser Frage referiert und bilanziert: Die Identifikation der Zornesoffenbarung mit den immanenten, in der Heidenwelt real sich vollziehenden Konsequenzen des >Dahingegebenseins< (Bultmann, Käsemann, vgl. Röm 1,24ff.) wird mehrheitlich abgelehnt. Die Relation der beiden Offenbarungen (V.17 und 18) zueinander wird kontrovers beschrieben: Die Zornoffenbarung sei der Gerechtigkeitsoffenbarung heilsgeschichtlich vorgeordnet (Lietzmann), die Zornoffenbarung ereigne sich im Nachgang der eschatologischen Wende in Christus in der Verkündigung (Wilckens), die Zornoffenbarung sei die Kehrseite der Verkündigung (Schlier), so dass in Wahrheit lediglich von einer Offenbarung mit >zwei Aspekten< (Barth, Cranfield) zu sprechen ist. G. Bornkamm hat in seinem klassischen Aufsatz »Die Offenbarung des Zornes Gottes Röm 1-3« 35 unter Heranziehung stoischen und hellenistisch-jüdischen Vergleichsmaterial die Zornoffenbarung als Implikat der Gerechtigkeitsoffenbarung zu verstehen versucht, die im >eschatologischen Jetzt< zusammenfallen. Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes bringt die Ungerechtigkeit der Welt allererst an den Tag. Ganz anders H.-J. Eckstein. Er möchte das Präsens in V.18 eindeutig futurisch verstehen. Seine Argumente: 1. Orge wird von Paulus nur in Röm 13,4f. im immanenten Sinne gebraucht und dort in spezifisch profangriechischer Bedeutung von >Strafe< als Kompetenz der Staatsgewalt. 2. Paulus steht in apokalyptischer Tradition36 und denkt über den Zorn Gottes genau in diesem Sinne (Röm 2,5.8; 3,5; 9,22; 1Thess 5,9). 3. Der Ausdruck >vom Himmel her< hat in der Apokalyptik eschatologisch-futurische Bedeutung (vgl. äthHen 1,4.7; Testlsaak 5,13). 4. Das Präsens wird häufiger futurisch gebraucht (lKor 3,13; Lk 17,30 u.ö.). 5. Röm 1,18 gibt eine Überzeugung wieder, die Paulus mit seinen judenchristlichen Lesern teilt. 6. Die präsentisch formulierte Dahingabe an die Unmoral gehört in den jüdischen Topos der >adäquaten Vergeltung<. 37 7. Unmittelbarer Kontext ist Röm 2,5: » ... du häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes ... «. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Alternative »präsentisch-futurisch« antikem Denken gerecht ZNT 9 (5. Jg. 2002) zu werden vermag. Nach den alttestamentlichen Belegen und nach den Qumranschriften kann sich der Zorn Gottes nämlich durchaus auch in innergeschichtlichen Ereignissen vollziehen, wie etwa im babylonischen Exil (CD 1,5f; vgl. Klgl 1,12; 2,21f.; u.ö.). Aufschlussreich ist CD V,16f.: »Denn schon längst hat Gott ihre Werke heimgesucht, und sein Zorn entbrannte gegen ihre Taten; denn es ist ein uneinsichtiges Volk. Sie sind ein Volk, an dem guter Rat verloren ist, weil es keine Einsicht unter ihnen gibt«, eine Diagnose, die durchaus an Röm 1,21 erinnert: »... ihr unverständiges Herz ist verfinstert«. Sich innergeschichtlich vollziehender Zorn wird u.a. belegt in Num 11,1; Dtn 29,26; Jos 7,1; Ri 2,14 u.ö.; CD 3,8; 4Q301 3,4f.; 4Q334 l,I,5 u.ö., aber auch in der Anspielung auf die Zerstörung Jerusalems in Lk 21,23. 38 Ein zweiter Gesichtspunkt könnte das altorientalische Motiv des >Weggang Gottes< sein. In Babylonien kannte man den Rückzug des Schutzes Gottes, eine Art passives Gericht, 39 das auch in Ex 32,34 und 33,2f. belegt ist, als Gott sein persönliches Geleit Israels zurücknimmt und einen Engel gleichsam als Ersatz einsetzt: »Ich selbst will nicht mit dir hinaufziehen ... «. 40 Eine gewisse Affinität des Rückzuges Gottes mit seinem ,Dahingeben< in Röm 1,24ff. fällt auf. So sind die gegenwärtigen Implikationen der menschlichen Gottesverachtung zwar nicht mit dem eschatologisch-apokalyptischen Vollzug des Zornes Gottes zu identifizieren, aber eben sachlich auch nicht von diesem zu trennen. Eher ließe sich der immanente Zorn Gottes als >Vorwehe, des künftigen Zornes beschreiben (vgl. Röm 8,22; lThess 5,3: Mk 13,8; Mt 24,8): »So bedeutet schon Gottes >Nichteinmischung< ein Gericht über die sich selbst überlassene Menschheit«. 41 Vom gegenwärtigen Zorn (vgl. 3.2.3) spricht schließlich die heftig umstrittene Stelle lThess 2,16. Übersetzt werden kann hier entweder »es ist aber auf sie der Zorn endgültig gekommen« oder »der ganze Zorn ist schon über sie gekommen«. 42 Der griechische Aorist schließt die futurische, das >endültig< die zeitgeschichtliche 43 Deutung aus. Da hier der Adressat des Zornes die >Juden< bzw. die >Judäer< (2,14) sind, steht der Vers in Widerspruch zur paulinischen Hoffnung für Israel in Röm 9-11. Will man sich nicht Stuhlmachers These einer paulinischen Selbstkorrektur von lThess 2,16 in Röm 2,1-11 anschließen, 44 bietet sich Haackers Erklärung als die plausibelste an. Er ZNT 9 (5. Jg. 2002) Volker A. Lehnert Wenn der liebe Gott >böse« wird schlägt vor, den Satz bereits mit gr. pantote, dem nach Nestle-Aland-Druckbild letzten Wort des vorhergehenden Satzes, beginnen zu lassen. Dann lautet er: »Jedesmal hat sie aber schließlich [statt >endgültig, Vf.J der Zorn ereilt«. 45 Im Hintergrund stünde dann eine deuteronomistische Deutung der Geschichte Israels durch Paulus, während er sich in Röm 11,3-8 auf lKön 19,10.14 bezieht. 46 3.2.2 Der kommende Zorn Der Tag des Zorns ist ein geläufiger alttestamentlicher Topos (Ps 110,5; Ez 22,24; Zeph 2,3 u.ö.). Die Vorstellung vom künftigen Zorn begegnet innerhalb des Judentums und des Judenchristentums in unterschiedlichen Traditionskreisen. Für die Qumrangemeinde richtet sich der Zorn Gottes gegen den Götzendienst (lQS 2,11-17), gegen den Widerstand der Offenbarung gegenüber (5,12) und gegen die Missachtung der Gebote (CD 2,21). Die ,Rache seines Zornes< ereilt alle ,Söhne der Finsternis< (1QM 3,6). lQH 15,17 findet sich sogar der Gedanke einer Prädestination zum Zorn. Der Zorn führt zu »ewiger Vernichtung« (lQS 2,15), in »ewiger Schmach» und »Schande der Vernichtung in finsterem Feuer« (lQS 4,12-15). Ein vernichtendes Feuergericht als Modus des künftigen Zorns kündigt auch Johannes der Täufer an (Mt 3,1-12 par). Das Bild des Feuergerichtes stammt aus der prophetischen Tradition und umfasst drei Vorstellungskreise: Erntefeuer (Jes 5,24; Nah 1,10), Waldbrand (Jes 10,18f.; Jer 21,14) und Metallschmelze (Jes 1,24ff.). 47 Hier geht es um das Gericht der Gehenna (vgl. 23,33; Hiob 20,26; Jes 34,10 u.ö.). 48 Originär täuferisch dürfte die Verbindung von Feuer und Taufe zur Metapher der Feuertaufe (3,11) sein. Umstritten ist die Frage, inwieweit das apokalyptische Äonenschema für Johannes zu veranschlagen ist. Letztlich geht es ihm wohl nicht um die Ansage eines kosmischen Weltendes, sondern um die Umkehr 49 seiner Zuhörer. Unheilsankündigungen und Negativprognosen haben als Spielart paradoxer lntervention 50 stimulierenden Charakter. Ein schönes Beispiel für den provokativen Charakter von Gerichtsankündigungen bietet das Jonabuch. 51 Jona kündigt den Untergang Ninives an, 19 ohne explizites Umkehrangebot. Dennoch tun die Niniviten Buße und hoffen gegen alle Hoffnung. Sie wenden dadurch Gottes Zorn ab. Gott zieht sich dadurch Jonas Zorn zu. Die Wirkung der Jonapredigt entfaltet sich antithetisch zur Intention des Jona. Eine hellenistisch-jüdische Auslegung hat die Illokution des Gerichtswortes erspürt: » ... ich war mir bewusst, (dass) nicht um der Zerstörung willen die Katastrophe angedroht wurde, (sondern) zur Bewahrung« (PsPhilon 41,161). 52 Auch Cicero kennt die Pragmatik von Unheilsprognosen, die um ihrer eigenen Abwendung willen ergehen. 53 Deutlich wird dies in der lukanischen Version der Täuferpredigt. Nach der radikalen Gerichtsankündigung: »Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt ... « (Lk 3,9) fragt die Menge: »Was sollen wir denn tun? « (3,10). Auf den lokutionären Akt der indikativischen Gerichtsankündigung folgt der perlokutionäre Akt der Veränderungsbereitschaft der Rezipienten. Die Illokution des Wortes und damit der Rede vom Zorn Gottes besteht also nicht in der Ansage der Vernichtung, sondern in der Veränderung der Hörenden, ihrer Umkehr. 54 Da seine Hörer auf der Erzählebene aus Heiden (V.14) und Juden (V.8) bestehen, gilt die Zornankündigung beiden. Ein Vergleich mit einem Midrasch zum Hohenlied zeigt die spezifische Zuspitzung einer alten israelitischen Tradition durch Johannes: »Das Stroh, die Spreu und die Stoppeln stritten einmal miteinander, ein jedes behauptete: Meinetwegen ist das Feld besät worden. >Wartet bis zu der Zeit" sprach der Weizen, ,dass ihr auf die Tenne kommt, da wird sich's zeigen, wer von euch recht hat< ... Ebenso streiten sich auch die Völker der Welt, ein jedes behauptet: Wir sind Israel, und um unsertwillen ist die Welt erschaffen worden. Wartet, bis der von Gott (bestimmte) Tag kommt, sprechen die Israeliten zu ihnen, dann wird sich's entscheiden, um wessenwillen die Welt erschaffen worden ist« (Schir ha-Schirim r 7,3). 55 Aus dem hier vorausgesetzten Gegensatz Israel - Völkerwelt wird bei Johannes eine Scheidung, die jetzt quer durch lsrael 56 geht, darin liegt die besondere Provokation dieses Textes. Ausgerechnet die Frommen werden »aus aller selbstsicheren Sattheit aufgeschreckt«. 57 Ob Beckers Charakterisierung der Täuferbotschaft als »eindeutig anthropologisch« ihrem Gesamthorizont gerecht wird, bleibt fraglich. 20 Mindestens assoziativ hängt an der zeitgenössischen ,Zornerwartung< wohl doch etwas mehr, wie ein Blick in die Apokalyptik zeigt. In äthHen 91,7-9 und AssMos 10,3-7 bezieht sich der Zorn Gottes auf heidnischen Bilderdienst. Dan 7,26f.; 8,19; 12,2; Zeph 2,2f.; äthHen 62,12; 91,14-17; 4Esra 7,33ff.; syrBar 85,12-15 und andere Texte 58 belegen die Erwartung eines endzeitlichen Zorngerichtes (vgl. Röm 2,5), ein Gedanke, der in Offb breit entfalten wird, und der auch im Hintergrund von Röm 2,5 steht. Gottes Zorn erscheint hier gleichsam als eine Art ,Konto<, auf dem sich zorneswürdiges menschliches Verhalten ansammelt: »Das aber heißt, dass sich hinter der schützenden Barriere der Langmut Gottes die erklärte Feindschaft Gottes gegen das Böse ... [Zorn] gleichsam anstaut, um am ,Tag des Zorns< loszubrechen. Paulus verwendet hier die Metapher der Vermögensbildung, die sonst immer positiv für das Ansammeln von Verdiensten o.ä. gebraucht wird.« 59 Recht deutlich greift Paulus in 1Thess 1,9f apokalyptische Traditionen auf: » ... und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet«. Angeredet werden hier Heiden, »die traditionell über ihre Ablehnung des Gottes Israels definiert sind«, 60 die sich aber durch Umkehr von den Göttern dem Gott Israels zugewendet haben. Der Ausblick auf Gottes Gericht gehört zu den konstitutiven Elementen der paulinischen Missionsverkündigung 61 (vgl. Röm 2,5; lKor 3,13), ebenso wie die Interpretation des auferweckten Christus als ,Retter< vor eben diesem Gericht, eine Linie, die er in Phil 3,20 ausziehen wird. 62 Das erwartete apokalyptische Endgericht, in dem der strafende Zorn Gottes über die Welt ergehen wird, wird die Glaubenden nicht treffen, jedenfalls nicht vernichtend: »Wird aber jemandes Werkverbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so, wie durchs Feuer hindurch« (lKor 3,15). Um das baldige Kommen Jesu wurde gebetet (lKor 16,22), wie nicht nur paulinische Texte belegen (Offb 22,20). Bereits um 140 v. Chr. findet sich folgende Erwartung: »Aber wenn der Zorn des großen Gottes für euch kommen wird, dann werdet ihr erkennen das Antlitz des großen Gottes. Alle Seelen der Menschen werden sehr stöhnen und gegen den weiten Himmel ihre Hände erheben und beginnen, den ZNT 9 (5. Jg. 2002) großen König als Helfer zu rufen und zu suchen einen Retter vom großen Zorn, wer er sei« (Sib III,556-561). 63 Spezifisch paulinisch ist demgegenüber die Identifikation des in der Zukunft Erwarteten mit dem in der Vergangenheit Auferweckten (vgl. 1Kor 15,20H.). Hatten die eschatologischen Konzepte der späteren Schriften wie Eph und Kol durch ihre primär ekklesiologische Prägung zu einem gewissen eschatologischen Optimismus 64 geführt (vgl. Kol 3,1-4; Eph 1,1-14), so startet Offb einen erneuten Versuch, die brüchige Realität, u.a. durch die Tyrannei Roms (Offb 13), und die durch Ablehnungserfahrung neu aufgebrochene Frage nach der Zukunft der augenscheinlich Nichtversöhnten (Offb 20,15), für die es ja durchaus im Sinne von Allversöhnung interpretierbare Ansätze in der urchristlichen Überlieferung gab (1Kor 15,28; Apg 3,21), mit der Verheißung zu synchronisieren. Hierbei leistet neben einer überfülle von alttestamentlichen und apokalyptischen Metaphern und Topoi 65 die Kategorie des Zornes Gottes wichtige Dienste, besonders in Kap. 15,1-16,21. Gottes Zorn vollendet sich in der Ausgießung von sieben Schalen über alle Welt. 66 Vorbild sind die ägyptischen Plagen: Die ersten vier Plagen richten sich gegen die Anhänger des Herrscherkultes, gegen die, die das Blut von Christen vergossen haben und gegen die, die den Namen Gottes lästern. Die fünfte Schale ergeht über den Sitz des Kaisers, die sechste ermöglicht den Königen des Ostens freie Wege (Parthergefahr). Die letzte Schale eröffnet das Gericht über Rom. Die mehrfache explizite Feststellung, dass die Menschen sich dennoch >nicht bekehrten< (16,9.11; vgl. V.21), zeigt die provokative Funktion der Darstellung der Zornesschilderung, von der eine missionarische Wirkung ausgehen soll (vgl. Jes 5,25; 9,11.16.18.20; 10,4 mit Am 4,6.9.10.11). 67 Offensichtlich dient die drastische Ausmalung der Bedrohung einem pädagogischen Ziel: der Umkehr (vgl. Offb 22,17). 3.2.3 Die Präsenz des kommenden Zorns Ein genuin johanneisches Gepräge trägt die Rede vom Zorn Gottes in Joh 3,36: »Wer an den Sohn ZNT 9 (5. Jg. 2002) Volker A. lehnert Wenn der liebe Gott >böse< wird glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm«. Dieser Vers der johanneischen Täuferpredigt ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens: Wie in Joh 3,18 das Gericht, so wird hier der Vollzug des Zornes präsentisch formuliert (vgl. die präsentische Formulierung in Lk 3,9: »es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt«). Der Zorn ist nicht erst die Folge bzw. die Strafe des Unglaubens, sondern umgekehrt: Der Glaube rettet aus dem bereits jetzt für den Menschen wirksamen Zorn. Gericht und Rettung vollziehen sich in der gegenwärtigen Relation Christus gegenüber. Insofern sind sowohl das Kommen Jesu als auch die Entscheidung des Glaubens >eschatologisches Ereignis< (vgl. Joh 5,24), darin hatte Buhmann recht, 68 aber die eschatologische Verheißung geht nicht in diesem Ereignis auf (vgl. Joh 5,28f.), darin hatte er unrecht. 69 Futurische Eschatologie schimmert vor allem in der futurischen Formulierung »der wird das Leben nicht sehen« durch. Zweitens: Während in der Darstellung der Synoptiker Jesus auch als Repräsentant des gegenwärtigen Zornes Gottes agiert (Mk 3,5; 11,12-26; Mt 16,23; 21,12 u.ö.), 70 erscheint er hier als eine Art ,Schutzschild, vor dem Zorn Gottes (vgl. aber auch Joh 2,14ff.). Hat er nach Gal 3,13 den ,Fluch< gleichsam auf sich versammelt, damit der ,Segen Abrahams unter die Heiden komme< (3,14), 71 so eröffnet er hier den Glaubenden sozusagen einen ,Zorn-Gottes-freien< Raum, in den >einzutreten< (10,9) und in dem zu ,bleiben< (15,5) das ewige Leben verleiht und zur ,Seligkeit< führt. Drittens: Die Antithese zu ,glauben< bildet hier nicht etwa der ,Unglaube" sondern der ,Ungehorsam<. Ein Implikat des Glaubens besteht also auch hier in der Neuwerdung des Lebens (3,3) bis in die ethischen Vollzüge hinein (8,11), ein Indikator für die rhetorische Funktion der Rede vom Zorn als movens neuer Lebensgestaltung. 72 4. 300 Jahre später Etwa um 311 n.Chr. erschien Lactanz' Schrift »De ira Dei«, 73 eine Polemik gegen heidnische Philosophie. Sprachen die Epikureer der Gottheit Affekte ab, so billigte die Stoa Gott zwar Güte, nicht aber Zorn zu, letzteres eine Ursache für mangelnde 21 Gottesfurcht. Für Lactanz kommen Gott Gnade, Zorn und Mitleid zu, wobei er Zorn immer als gerechten Zorn versteht. Nicht affektive Rachlust ist sein Auslöser, sondern der Kampf gegen die Sünde. In gewisser Weise erscheint Gott hier in der Rolle eines römischen dominus, ein eindrucksvoller Beleg für die Transformation biblischer Kategorien in römische. Zorn ist keine Leidenschaft Gottes, sondern eine direkte Funktion seines Richterseins, eher >Akt< als >Sein<. Das erinnert in verblüffender Weise an die oben skizzierte Deutung prophetischer Zornesworte als ,Handeln, (Westermann), wenn auch der Aspekt des Eiferns (v. Rad) zurücktritt. Es wäre sicherlich lohnend, einmal zu analysieren, inwieweit unsere heutigen hermeneutischen Vorentscheidungen immer noch von dieser römischen Linie beeinflusst sind. 5. Die Rede vom Zorn Gottes in theologischer, psychologischer und didaktischer Hinsicht Unser Durchgang durch die wesentlichen Aussagen über den Zorn Gottes zeigt ein Ringen der biblischen Autoren mit der Frage, wie die Realität des Bedrohlichen mit dem Glauben an die Existenz eines guten Gottes synchronisiert werden könnte. Gegenüber altorientalischen Vorstellungen von Chaosmächten, Dualismus oder Willkürgöttern integriert Israel den >Zorn< monotheistisch in seinen Glauben. Aus willkürlichem Götterzorn (Eigenschaft) wird die gerechtigkeitsgesteuerte Eiferheiligkeit Gottes (kontingentes Handeln), der Zorn wird zur »Außenseite von Gottes Gerechtigkeit«.74 Das Neue Testament bringt die Dialektik von präsentischem und futurisch-eschatologischem Zorn christologisch zur Geltung. Einerseits ereignet sich das Gerichtshandeln Gottes innergeschichtlich (lThess 2,16; Luk 21,23; Röm 1,18ff.), anderseits wird die arge in Gänze erst in Zukunft ausbrechen (Röm 2,5). Einerseits vollzieht Jesus in seinem Wirken auch Dimensionen des göttlichen Gerichtes (Mk 11,12-26; Mt 23), anderseits bewahrt er, gleichsam als >Schutzschild<, vor dem bereits in diesem Äon gegenwärtigen kommenden Zorn (Joh 3,36; lThess 1,9f.). Gott rettet in Jesus den Menschen vor seinem, Gottes eigenen Zorn. 22 Die Drastizität der apokalyptischen Ausmalung des eschatologischen Zornes in der Offenbarung kann rhetorisch als hyperbolisches Movens hinsichtlich der existentiellen Dringlichkeit der individuellen Glaubensfrage aufgefasst werden. Theologisch geht es um die Überwindung dessen, was Bonhoeffer als ,billige Gnade< bezeichnet hat. Psychologisch geht es um das Ernstnehmen Gottes als des Herrn in Zuspruch und Anspruch und damit um die Relativierung des menschlichen Selbstverständnisses innerhalb der existentiellen Kategorie des grundsätzlichen >Gegebenseins< des Lebens. 75 Didaktisch geht es um die Wiederentdeckung verbindlicher Verkündigung. Das Evangelium ist eben kein beliebiges Angebot auf dem Markt der weltanschaulichen Möglichkeiten, das ist es nur in religionssoziologischer und nicht in geistlicher Hinsicht, sondern das Evangelium ist die ultimative Zuwendung des Gottes Israels in Christus zur Welt. Bleiben zwei theologische Probleme. Erstens: Die Integration der Unheilserfahrungen in den Gottesbegriff vermag zwar partielle, je nach ethischer Überzeugung mehr oder weniger plausible Erklärungsmodelle für die Theodizeefrage bereitzustellen. Nicht das Chaos oder destruktive Antimächte ergreifen dann den Menschen, sondern Gottes zurechtrückende Gerechtigkeit (deuteronomistisch verstandener innergeschichtlicher Zorn Gottes). Was aber ist mit den aus menschlicher Perspektive bleibenden quälenden Absurditätserfahrungen (Satre), die auch bei höchster eschatologischer und monotheistischer Sensibilisierung keine plausible Rückführung auf die arge Gottes zulassen? Auch solche Erfahrungen kennt die Bibel (Hiob, Ps 37; 73; Lk 13,1-5). Ist Gott dann schwach (praktischer Atheismus), ungerecht (orientalische Gottheit), zurückgezogen (Ex 33,3; Röm 1,24ff.) oder im Sinne der trinitarischen Geschichte erst noch auf dem Weg zur Schechina, seiner Einwohnung in die Welt (Moltmann)? Psychologisch bedeutet das: In der Reflexion dieser Frage wird erfahrbar, dass christliche Hoffnung immer nur ein Hoffen >gegen alles Hoffen< sein kann (Röm 8,24f.) und christlicher Glaube Satres Glaubensdestruktion immer schon als seinen ureigensten Bestandteil zu integrieren vermag (vgl. Mk 15,34). Didaktisch bedeutet das, dass unsere Verkündigung und unser Lehren niemals das letzte Wort für sich in Anspruch ZNT 9 (5. Jg. 2002) nehmen kann, will sie es nicht Gott aus dem Mund nehmen. Allenfalls wird ihr das Vorletzte geschenkt. Das wäre dann wohl pneumatologisch vermittelte demütige Vollmacht. Zweitens: Das Neue Testament lässt die endgültige eschatologische Antwort auf dem Grad zwischen Allversöhnung (lKor 15,28; Apg 3,21) und doppeltem Gerichtsausgang (Mk 16,16; Offb 20,15) offen. Auch wenn der rhetorische Charakter der Gerichtstexte als provocatio richtig erfasst ist, so ist deren semantischer Gehalt damit noch lange nicht erledigt. Die Opfer wird Gott einst ins Recht setzen. Ob er allerdings ihre Mörder seine arge spüren lässt (Offb 16,3-6) oder ihnen die Chance nimmt, länger Mörder bleiben zu können (Lk 22,34), können wir nicht sagen und sollten gerade darin Gott die Ehre geben, wenn wir's denn mit dem Kyrie-Ruf ernst meinen. Für Paulus suspendiert die Erwartung des kommenden Zornes geradezu von eigenen Vollstreckungsgelüsten (Röm 12,19-21). Der psychologische Ertrag liegt in der Möglichkeit einer Delegation des menschlichen Rachebedürfnisses als einer geistlichen Alternative zu ihrer Verdrängung ins Unbewusste, vor der P. Trummer zu Recht warnt. 76 Didaktisch ist es ausgerechnet die fundamentale Rede vom Zorn Gottes, aber eben vom Zorn Gottes, die Fundamentalisten aller Religionen entschärfen könnte. Mit dem Zorn Gottes zu rechnen heißt eben, der Fähigkeit zur Selbstkritik (Mt 7,5; lPetr 4,17; vgl. Am 3,2) die Präferenz vor der Verurteilung anderer zu geben. Seine Verwirklichung selbst zu inszenieren, sei es in Kreuzzügen, sei es in islamistischem Terror, heißt, ihn mit dem abgespaltenen ,Schatten< (C.G. Jung) in sich selbst zu verwechseln. Der ,liebe Gott< wird eben nicht ,böse<, und er macht auch nicht böse. Ganz im Gegenteil, er überwindet das Böse mit Liebe (vgl. lJoh 4,16-18). Das aber meint er ernst. Seine Liebe ruft daher gelegentlich recht deutlich zur Raison. Spotten lässt Gott sich nicht (Gal 6,7). Genau daran will uns die Rede von Gottes Zorn erinnern. Anmerkungen 1 Vgl. hierzu u.a. H.-G. Janssen, Gott - Freiheit - Leid. Das Theodizeeproblem in der Philosophie der Neuzeit, Darmstadt 2 1993; H. Häring, Das Problem des ZNT 9 (5. Jg. 2002) Bösen in der Theologie, Darmstadt 1985; Ch. Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt. Die christliche Lehre von der Sünde und ihrer Vergebung in gegenwärtiger Verantwortung, Tübingen 2 1995, bes. 160-193. 2 Vgl. hierzu vor allem J. Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995. 3 Vgl. W. Dietrich/ Ch. Link, Die dunklen Seiten Gottes. 1: Willkür und Gewalt, 2: Allmacht und Ohrnacht, Neukirchen-Vluyn 2000. 4 Wir streifen im Folgenden überblicksartig die einschlägigen Belege ohne Anspruch auf Vollständigkeit. So wichtige Textkomplexe wie etwa Gen 6-9 oder die Differenzierung der Gerichtsprophetie müssen als Raumgründen ausgespart bleiben. 5 H. Ringgren, Die Religionen des Alten Orients (NTD- Erg. Sonderband), Göttingen 1979, 179. Hier und bei W. Beyerlin (Anm. 6) auch Quellen und Textsammlungen. 6 W. Beyerlin, Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (ATD-Erg. 1), Göttingen 2 1985, 133; W.G. Lambert, JNES 33 (1974), 267ff. und 281ff. 7 Ringgren, Religionen, 245. 8 Ringgren, Religionen, 22.40; C.J. Bleeker, Hathor and Thoth, Leiden 1973. 9 Ringgren, Religionen, 136.139.151. 10 Beyerlin, Textbuch, 181ff.; Ringgren, Religionen, 188. 11 Ringgren, Religionen, 144; Beyerlin, Textbuch, 196ff. 12 Vgl. außer den einschlägigen Lexikonartikeln bes. K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6), Leipzig 1999, Exkurs 4 »Gerechtigkeit Gottes« bei Paulus, 39-42 und K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/ Basel 2 1995, 534-540. 13 C. Kühne, in: Beyerlin, Textbuch, 182. 14 E. Otto, Krieg und Frieden in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient. Aspekte für eine Friedensordnung in der Moderne, Stuttgart/ Berlin/ Köln, 1999, 153. 15 Zum Monotheismus vgl. H.W. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchen-Vluyn 4 1982, 75-83; und neuerdings M. Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient, Berlin 2000. 16 Vgl. hierzu besonders C. Westermann, Boten des Zorns. Der Begriff des Zornes Gottes in der Prophetie, in: ders., Erträge der Forschung am Alten Testament, Ges. Stud. III (ThB 73); München 1984, 96-106. 17 Westermann, Boten, 97ff. 18 Vgl. H.C. Hahn, Art. Zorn/ Zank, in: ThBLNT II, 2026. 19 Vgl. hierzu G. von Rad, Theologie des Alten Testaments I, München 7 1978, 216-222. 20 Rad, Theologie, 223; vgl. Anm.14. il Rad, Theologie, 220. 22 Rad, Theologie, 282. 23 Rad, Theologie, 344. 23 24 Vgl. Hahn, Zorn/ Zank, 2026. 25 Ebd. 26 Einen knappen Überblick bietet G. Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung, München 1977, 26-46. Grundlegend informieren K. Müller, Art. Apokalyptik, TRE III, 202-251; A. Strobel, Art. Apokalyptik IV, TRE III, 251-257und K. Erlemann, Endzeiterwartungen im frühen Christentum (UTB 1937), Tübingen/ Basel 1996. 27 Vgl. hierzu außer den einschlägigen Artikeln in ThWNT, K. Haacker/ C.H. Hahn/ H. Schönweiß/ E. Synofzik, Art. Zorn/ Zank, in: ThBLNT II, 2023-2030 und H.W. Hollander, Art. thymos, in: EWNT II, 396f; W. Pesch, Art. arge, in: EWNT II, 1293-1297. 28 Besonders im Gefolge der Satisfaktionstheologie Anselms von Canterbury (»Cur Deus Homo«) kam es zu einer Interpretation des biblischen Gerechtigkeitsbegriffes vom abendländischen Justitiabegriff her; vgl. auch Anm. 12. 29 Vgl. Hahn, Zorn/ Zank. 30 L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften, lat. und dt., Sonderausgabe, Bd.1, hg. v. M. Rosenbach, Darmstadt 1999, 95-311. Vgl. Ä. Baeumer, Die Bestie Mensch. Senecas Aggressionstheorie, ihre philosophischen Vorstufen und ihre literarischen Auswirkungen, in: Studien zur klassischen Philologie 4, Frankfurt/ Bern 1982. 31 Vgl. Billerbeck I, 115f. 32 Vgl. Hollander, thymos. 33 Schönweiß, aaO. 34 H.-J. Eckstein, ,Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbar werden< Exegetische Erwägungen zu Röm 1,18, ZNW 78 (1987), 74-89; vgl. Haacker, Römer, 45-56. 35 G. Bornkamm, Die Offenbarung des Zornes Gottes, in: ders., Studien zum Neuen Testament, München 1985, 136-160. 36 Der von der Bultmannschule vertretenen christologischen und existenzialen Reduktion apokalyptischer Traditionen durch Paulus (vgl. u.a. J. Baumgarten, Paulus und die Apokalyptik. Die Auslegung apokalyptischer Überlieferungen in den echten Paulusbriefen (WMANT 44), Neukirchen-Vluyn 1975) ist in neuerer Zeit heftig widersprochen worden etwa durch 0. Michel, Der Brief an die Römer (KEK 4), 5 1978, 95ff.; H.H. Schade, Apokalyptische Christologie bei Paulus, Göttingen 2 1997; vgl. die Arbeiten von P. Stuhlmacher, K. Berger, P. v. d. Osten-Sacken u.a. 37 Eckstein, Gottes Zorn, 87, dort auch Literatur, und 89. 38 W. Pesch, orge. 39 Vgl. Ringgren, Religionen, 151. 40 Vgl. Rad, Theologie, 298. 41 Haacker, Römer, 52. 42 E. Reinmuth, Der erste Brief an die Thessalonicher (NTD 8/ 2), Göttingen 1998, 130f. Zur neueren Diskussion vgl. G. Haufe, Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher (ThHK 12/ 1), Leipzig 1999, z.St. 24 43 Zu den diversen Versuchen vgl. Reinmuth, Thessalonicher, 130. 44 P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer (NTD 6), Göttingen 1989, 39 vgl. 148f.160ff. 45 Haacker, Art. Zorn/ Zank, ThBLNT II, 2030. 46 Berger, Theologiegeschichte, 485. 47 Vgl. hierzu J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth (BSt 63), Neukirchen-Vluyn 1972, 28f. 48 J. Gnilka, Das Matthäusevangelium 1,1-13,58 (HThKNT, Sonderausgabe), Freiburg/ Basel/ Wien 2000, 72. 49 Für Mt vgl. bes. Gnilka, Matthäus, 68f. 50 Zum Begriff der paradoxen Intervention vgl. V.A. Lehnert, Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion von Jes 6,9-10 bei Markus und Lukas. Ein textpragmatischer Versuch im Kontext gegenwärtiger Rezeptionsästhetik und Lesetheorie (NTDH 25), Neukirchen-Vluyn 1999, 89ff., l00ff., 152ff. 51 Vgl. Lehnert, Provokation, 92-101; vgl. K. Koenen, Biblisch-theologische Überlegungen zum Jonabauch, ZNT 6 (2000), 31-39. 52 In F. Siegert (Hg.), Drei hellenistisch-jüdische Predigten (WUNT 20), Tübingen 1980, 9-48. 53 Cicero, Über die Wahrsagung. De divinatione, lat.-dt., hg. v. C. Schäublin, München/ Zürich 1991. 54 Zur Terminologie vgl. meine pragmatische Texttheorie in Lehnert, Provokation, 81-84. 55 Text nach Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament, hg. von K. Berger und C. Colpe, NTD-Textreihe 1, Göttingen 1987, 96. 56 Vgl. Berger, Theologiegeschichte, 35. Vgl. auch H. Schürmann, Das Lukasevangelium 1,1-9,50 (HThKNT Sonderausgabe), Freiburg/ Basel/ Wien 2000, 164. 57 E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), Göttingen 1981, 25. 58 Frühjüdische Belege bei E. Sjöberg/ G. Stählin, ThWNT V, 416. 59 Haacker, Römer, 61. 60 Reinmuth, Thessalonicher, 122. 61 M. Karrer,Jesus Christus im Neuen Testament (NTD- Erg. 11), Göttingen 1998, 48. Zu lThess 1,9f. vgl. auch J. Becker, Die Auferstehung der Toten im Urchristentum (SBS 82), Stuttgart 1976, 32-41. 62 Karrer, aaO, 51. Hier auch religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial zum Retterbegriff; vgl. Berger, Theologiegeschichte, 72f., 404f. 63 Text nach: Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament, 289. 64 Berger, Theologiegeschichte, 599. 65 Alttestamentliche Stellen als Bildgeber für Offb u.a. bei Hollander, thymos; vgl. auch J. Frey, Die Bildersprache der Johannesapokalypse, ZThK 98 (2001), 161-185; sowie H. Raguse, Psychoanalyse und biblische Interpretation. Eine Auseinandersetzung mit Eugen Drewermanns Auslegung der Johannesapokalypse, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1993. 66 Vgl. i.E. die Kommentare von E. Lohse (NTD), U.B. Müller (ÖTK) und J. Roloff (ZBK) z.St. Immer noch ZNT 9 (5. Jg. 2002) aufschlussreich ist E. Lohmeyer (HNT) 2 1953). Forschungsbericht: 0. Böcher, Die Johannesapokalypse (EdF 41), 1980. Neuere Literatur in U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 2 1996. 67 Berger, Theologiegeschichte, 599. Vgl. zur rhetorischen Funktion von Unheilsprognosen Lehnen, Provokation, 156ft. 68 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen 20 1978, 121. 69 Die literarkritische Scheidung von präsentischer und futurischer Eschatologie wird zugunsten einer dialektischen Zusammenschau der johanneischen Eschatologie immer seltener vertreten. Vgl. bes. J. Frey, Die johanneische Eschatologie I (1097), II (1998), III (2000). Zum Problem auch R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium 1-4 (HThKNT Sonderausgabe), Freiburg/ Basel/ Wien 2000, 403f. und J. Gnilka, Theologie des Neuen Testaments, Freiburg/ Basel/ Wien 1999, 294-302. Zu den neueren Ansätzen in der Johannesforschung vgl. den aktuellen Forschungsbericht von K. Scholtissek, Eine Renaissance des Evangeliums nach Johannes, ThRv 97 (2001), 267-288. Oda Wischrneyer / Eve-Marie Becker (Hrsg.) Was ist ein Text? Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 1, 2001, 240 Seiten,€ 43,-/ SFr 77,- ISBN 3-7720-3151-X Neutestamentler sind Textwissenschaftler. Sie arbeiten daher mit allen zusammen, die mit Texten umgehen seien es Literaturwissenschaftler, Linguisten oder Vertreter anderer theologischer Disziplinen. Eine Frage verbindet alle Textwissenschaftler: Was ist überhaupt ein Text? Dieser Frage sind die Beiträge aus dem Ersten Erlanger Textkolloquium gewidmet: Neben profilierten Vertretern aus der Klassischen Philologie sowie der Sprach- und Literaturwissenschaften haben Professoren aus den theologischen Disziplinen Altes Testament (L. Schmidt), Neues Testament (0. Wischmeyer, F. Vouga), Kirchengeschichte (H. Chr. Brennecke, W. Wischmeyer) und Systematische Theologie (0. Bayer) einen "Text" aus ihrer Disziplin interpretiert und dazu eine "Text"-Definition aus ihrer Sicht vorgeschlagen. Dieser Band versteht sich als Appell zu einer Öffnung der Neutestamentlichen Textexegese für die transdisziplinäre Arbeit an Texten. 70 Hahn, Zorn/ Zank, 2028. Stellen auch in Pesch, orge. Die Gerichtsverkündigung J esu ist in neuerer Zeit wieder auf verstärktes Interesse gestoßen. Vgl. zu dieser umfangreichen Thematik bes. Ch. Riniker, Die GerichtsverkündigungJesu (EHS.T Bd 653), Bern u.a. 1999 als auch die übrigen Beiträge dieses Heftes. 71 Vgl. H. Conzelmann, Art. Zorn Gottes III, RGG 3. Aufl., Bd. 6, Sp. 1931f. 72 Zur johanneischen Ethik vgl. bes. W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments (NTD 4), Göttingen 1982, 280ff.; P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments Bd. II, Göttingen 1999, 249-264. 73 Das Folgende nach dem Artikel »De ira Dei« in: R. Nickel, Lexikon der antiken Literatur, Darmstadt 1999, 223. 74 Berger, Theologiegeschichte, 537. 75 Vgl. hierzu T. Rendtorff, Ethik, Grundelemente, Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie, Bd. 1, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz 1980, 32ff. 76 P. Trummer, ,Sanfter< Jesus - ,Zorniger< Gott? Wie wir uns selber in die Tasche lügen, Publik-Forum 22 (1987), 34.43f. Martin Stiewe/ Franc; : ois Vouga Die Bergpredigt und ihre Rezeption als kurze Darstellung des Christentums Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 2, 2001, XII, 294 Seiten, € 29,-/ SFr 55,- ISBN 3-7720-3152-8 Welche Relevanz hat das Evangelium für die heutigen Zuhörerinnen und Zuhörer? Und in welcher Gestalt kann es eine aktuelle Bedeutung haben? Diese Fragen werden anhand des zentralen Textes der Bergpredigt (Mt 5- 7) aufgenommen: Inwiefern kann die Bergpredigt als die programmatische Zusammenfassung einer befreienden und sinnvollen Nachricht gelesen werden? Wie ist die Bergpredigt in der Theologiegeschichte gelesen worden, um als der wesentliche Kern des Evangeliums verstanden zu werden? Die Antwort der Autoren folgt aus einem kontinuierlichen Dialog zwischen der exegetisch-theologischen Auslegung der Rede des matthäischen Jesus und einer Untersuchung der klassischen Texte, die sich mit der Bedeutung der Bergpredigt auseinandergesetzt haben. Damit die wichtigsten Quellen für Studium, Gemeinde und Schule zur Verfügung stehen, sind sie in Auszügen wiedergegeben. - A. Francke Verlag · Tübingen und Basel · PF 2560 · D-72015 Tübingen ZNT 9 (5. Jg. 2002) 25 Günter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? Gericht, Vorherbestimmung und Weltende im frühen Christentum Es sind ein Hauptstichwort und drei Fragenkreise, die der vorliegende Beitrag zur Gesamtthematik dieses Heftes beisteuert. Das Hauptstichwort ist »Zukunftserwartungen«: Wir fragen nach »Zukunftserwartungen« bei Jesus bzw. im frühen Christentum; und wir konzentrieren uns dabei auf die eher düsteren bzw. besonders problematischen Aspekte dieses Themas, nämlich die Fragenkreise »Gericht und Hölle«, »Freiheit und Vorherbestimmung« sowie »Zukunft und Weltende«. Ich deute zunächst die Aktualität und den inneren Zusammenhang der drei Fragenkreise an und entfalte sie dann nacheinander, jedoch in unterschiedlicher Ausführlichkeit. Den breitesten Raum werden dabei die Fragen rund um den Begriff »Hölle« sowie die eigentliche Themafrage »Hat Jesus die Hölle gepredigt? « einnehmen. 1. Die Aktualität des Themas Spätestens seit dem katholischen Weltkatechismus von 1993 und dem Buch des Papstes von 1994 (»Die Schwelle der Hoffnung überschreiten«) sind auch die Protestanten herausgefordert, sich wieder stärker mit den Fragen nach dem ewigen Leben, nach Gericht und Hölle, überhaupt nach der Zukunft der Welt und des Menschen in ihr auseinander zu setzen. Die damit verbundenen Vorstellungen die sich gerade auch in der Verkündigung J esu von N azareth finden, wie sie in den Evangelien des Neuen Testaments überliefert ist scheinen den Menschen vor eine selbstverantwortliche Entscheidung über Leben und Tod zu stellen. Es kommt darauf an, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun und so das Leben zu gewinnen. Auf der anderen Seite finden sich im Neuen Testament auch Gedanken über eine ewige Vorherbestimmung zum Heil (also eine vorgängige Festlegung des Menschen durch Gott), die dem zu widersprechen scheinen. Und schließlich ist eine befriedigende Antwort auf diese Fragen erheblich erschwert durch den nahezu vollständi- 26 gen Verlust einer Sprache für die Zukunft und das Ende der Welt, für die Zukunft und das Leben des Menschen nach dem Tode in der Theologie ebenso wie in der kirchlichen und religionsunterrichtlichen Praxis der Gegenwart. Ein religionsgeschichtlicher Zugang zur Thematik kann vielleicht helfen, sich über diese existenziellen Fragen klarer zu werden. Im »Katechismus der Katholischen Kirche« (dt. München u.a. 1993) wird die Hölle als »Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen« definiert (Nr. 1033) und dazu ausgeführt: »Die Lehre der Kirche sagt, daß es eine Hölle gibt und daß sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden, ,das ewige Feuer<. Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für die er erschaffen worden ist und nach denen er sich sehnt« (Nr. 1035; der letzte Satz wird als Kurztext Nr. 1057 in drei kurzen Sätzen wiederholt). Johannes Paul II. beklagt in seinem genannten Buch (dt. Hamburg 1994) mit Recht einen Verlust der individuellen Eschatologie, d.h. der Frage nach der persönlichen Zukunftserwartung eines jeden Menschen über den Tod hinaus, und meint in diesem Zusammenhang, die Prediger, Katecheten und Erzieher hätten »den Mut verloren, >mit der Hölle zu drohen<. Und vielleicht haben selbst die, die ihnen zuhören, keine Angst mehr davor« (S. 209). Diese Formulierungen sind sicher problematisch (auch wenn das Drohen mit der Hölle in Anführungsstriche gesetzt ist), ebenso wie die Rede des Katechismus von den ewigen Höllenqualen (auch wenn als die schlimmste Pein nicht das konkrete »Feuer«, sondern negativ die Trennung von Gott bezeichnet wird), und haben mit Recht Unruhe hervorgerufen. Aber sie erinnern die Protestanten doch nur an ihr eigenes problematisches Erbe. Ich erinnere daran, dass das Augsburger Bekenntnis von 1530 im Art. 2 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Günter Röhser Günter Röhser, Jahrgang 1956, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Neuendettelsau. Promotion (1986) und Habilitation (1993) in Heidelberg. Pfarrer der Evang.- Luth. Kirche in Bayern, nach Lehrtätigkeit in Bamberg und Siegen seit 1997 Professor für Bibelwissenschaft, Schwerpunkt Neues Testament, an der RWTH Aachen. Forschungsschwerpunkte: Religiöse Vorstellungen der (biblischen) Antike, paulinische Theologie. »Von der Erbsünde« lehrt, dass diese »alle die unter den ewigen Gotteszorn verdammt, die nicht durch die Taufe und den Heiligen Geist wieder neu geboren werden.« Und in Art. 17 heißt es, dass Christus bei seiner Wiederkunft zum Gericht »die gottlosen Menschen ... und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.« Dort werden sie »ewige Pein und Qual haben«. 1 Jedenfalls ist mit den zitierten katholischen Äußerungen die Feststellung von Georges Minois überholt, die er 1994 in seinem berühmten Buch über die Hölle gemacht hat: »Am frappantesten ist es, feststellen zu können, daß nach Jahrhunderten obsessionellen Beharrens auf die ewigen Strafen ein vollständiges Schweigen auf diesen irritierenden Punkt der Doktrin gefallen ist. Die letzte Intervention traditioneller Art von seiten eines Papstes ist die Pius' XII., der am 23. März 1949 bekräftigte: ,Die Predigt über die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens und die letzten Dinge hat in unseren Tagen nicht nur nicht an Berechtigung verloren, sondern ist sogar notwendiger und dringlicher geworden als je zuvor, sogar auch die Predigt über die Hölle ... <«. 2 ZNT 9 (5. Jg. 2002) 2. Begriff und Vorstellung der Hölle Nun soll aber in diesem Beitrag nach der Stellung Jesu (gemäß den Evangelien) zu diesem Problemkreis gefragt werden. Hat Jesus selbst die Hölle gepredigt bzw. gelehrt, so wie dies augenscheinlich die zitierten Texte tun? Wollten wir spitzfindig sein, so könnten wir antworten: Jesus konnte von der Hölle gar nichts wissen, denn diese ist ja eigentlich ein Bestandteil der germanischen Mythologie (von altnordisch hel) und stellt dort das unterirdische Totenreich jenseits des Todesflusses bzw. die Totengöttin selbst dar. Primär hat man dabei an ein »Reich der Schatten«, nicht der Leiden und Qualen zu denken, neben dem aber so etwas wie eine eigentliche Hölle steht: Niflhel = »das dunkle Verborgene« (hel dürfte mit dt. »verhehlen« im Sinne von »verbergen« sprachlich verwandt sein). 3 Ähnlich dem griechischen »Hades« ist »Hölle« erst im Laufe der geschichtlichen Entwicklung bzw. letztere erst unter christlichem Einfluss zur Bezeichnung für einen Ort wirklicher Strafen geworden. Selbstverständlich gibt es aber auch in der jüdisch-christlichen Religion, die uns hier zu beschäftigen hat, von Haus aus entsprechende Vorstellungen von einem Totenreich, einer Unterwelt und v.a. solche von einem jenseitigen Straf- und Peinort. Im Griechischen des Neuen Testaments finden sich drei Vokabeln für diesen Bereich, die sich wie folgt übersetzen lassen: a) abyssos, die »Unterwelt«, der »Abgrund«; in ihr befinden sich b)der hades, das »Totenreich« (als Begriff und als Name des Totengottes aus der griechischen Mythologie bekannt; hebr. scheol) sowie c) der Strafortgeenna (dies ist das Wort, das wir in heutigen deutschen Bibelübersetzungen normalerweise mit »Hölle« wiedergeben 4 ). Gehenna ist ursprünglich ein Landschaftsname (hebr. Ge-Hinnom, übersetzt: »Tal des Hinnom«) und bezeichnet eine Talschlucht südlich von Jerusalem, in der in alttestamentlicher Zeit Kinderopfer dargebracht wurden weswegen der Ort in Verruf geriet und zum »Tal der Verfluchten« werden konnte, d.h. zum künftigen Gerichtsort für die Frevler, und schließlich zur Bezeichnung für den jenseitigen Strafort der Verdammten selbst. Nach zeitgenössischer jüdischer - und damit auch neutestamentlicher - Anschau- 27 ung ist dieser Ort wesentlich durch Feuer, Wurmfraß und/ oder Finsternis gekennzeichnet (zum Feuer siehe z.B. Mt 5,22; lHen 90,26f.; 4Esr 7,36-38). 5 Auch solche Vorstellungen gehen letztlich auf das Alte Testament zurück; man vergleiche etwa Mk 9,48 (»wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt« als Schilderung des Höllenortes) mit Jes 66,24. 6 Die Befindlichkeit der Menschen an diesem Ort wird mit dem Begriffspaar »Heulen und Zähneknirschen« umschrieben (z.B. Mt 13,42.50; 22,13; vgl. lHen 108,3.5: »Schreien und Klagen«): Sie sind Ausdruck der Verzweiflung der Verdammten über ihre Situation, wie besonders Lk 13,28 zeigt: »Da wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten im Reich Gottes seht, euch aber als Vertriebene draußen! « 7 Zwei wichtige Beobachtungen sind an dieser Stelle festzuhalten: 1. Es ist deutlich, dass das Neue Testament auch an den weltbildhaften Voraussetzungen seiner Zeit partizipiert, d.h. konkret an dem dreistöckigen Weltbild von Himmel, Erde und Unterwelt. 8 Die Frage für uns ist, ob mit der räumlichen Beschreibung und der kosmologischen Ortsbestimmung (»Topographie«) der Hölle die gesamte damit verbundene Erwartung bzw. Erfahrung dahinfällt oder ob es auch weiterhin Sinn macht, von einer Hölle zu reden. Längst ist z.B. auch erkannt worden, dass schon im Alten Testament das Totenreich (die scheol) nicht auf eiµen bestimmten kosmologischen Ort zu beschränken ist, sondern Verderben bringend darüber hinaus, in die Welt der Lebenden hinein wirkt (etwa in Gestalt von Krankheit und Not). 9 So zeichnet sich exemplarisch die Möglichkeit eines Redens von der »Hölle« ab, ohne diese topographisch festzulegen. Nichts anderes tun wir, wenn wir alltagssprachlich von der »Hölle auf Erden« reden. 2. Man darf die innere Logik der mit dem Thema »Hölle« verbundenen Vorstellungen nicht überstrapazieren. In wichtigen Einzelheiten gehen die verschiedenen Zeugnisse und Belegstellen teilweise weit auseinander. Dies mag als gewichtiger Hinweis darauf verstanden sein, dass man die fraglichen Aussagen theologisch nicht für bare Münze nehmen darf, sondern ihren mythologischen Charakter beachten muss. D.h., sie beziehen sich auf eine Wirklichkeit »hinter« und »jenseits« von Raum und Zeit und dürfen nicht als 28 vordergründige »Informationen« oder buchstäbliche Tatsachenbehauptungen verstanden werden. Die Systematisierung der Höllenvorstellungen zu einer geschlossenen dogmatischen Anschauung beginnt vielmehr erst in der patristischen Theologie, genauer noch: bei Augustinus und Gregor dem Großen nach der sog. »konstantinischen Wende«. Nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden ist, gewinnt eine konsistente Lehre von den Höllenstrafen zunehmende Bedeutung als Disziplinierungsinstrument der Kirche gegenüber den christlichen Massen. 10 3. Jesus und die Hölle Nach diesen ersten Vorklärungen wollen wir nun möglichs't klar und präzise die Themafrage beantworten. »Hat Jesus die Hölle gepredigt? « Antwort: Er hat nicht die Hölle gepredigt, aber er hat sicherlich von ihr gesprochen. Nun mag man vielleicht diese Unterscheidung von »die Hölle predigen« und »von ihr sprechen« für spitzfindig halten. Das ist sie aber keineswegs sie ist vielmehr für meine gesamten Ausführungen sehr wesentlich. Deswegen zur Erläuterung zunächst so viel: Wenn ich »etwas predige«, »etwas verkündige«, dann mache ich dieses zu einem Hauptinhalt meines Redens. So kann ich z.B. »das Evangelium predigen«. Hingegen kann ich über viele, auch wichtige Dinge »sprechen«, ohne sie deshalb zum Zentrum meines Redens und Verkündigens zu machen. Es ist deshalb zu fragen, wie sich bei Jesus das Reden von der Hölle zum Zentrum seines Wirkens verhält. Jesus ist wahrscheinlich aus dem Kreis um Johannes den Täufer hervorgegangen. Mit ihm teilt er die grundlegende Erwartung eines kommenden göttlichen Gerichts über Israel (und die Völker). Dabei gilt, dass Israel sich nicht mehr auf seinen Status als auserwähltes Volk Gottes, als »Kinder Abrahams« berufen kann, sondern dass wie schon in den Gerichtsvorstellungen des voraufgehenden apokalyptischen Judentums jeder Einzelne, auch und gerade jeder Israelit, individuell von Gottes Zorn bedroht ist und dafür verantwortlich, sich vor ihm zu bewahren. Für beide - Johannes wie Jesus ist die Sündhaftigkeit, Umkehr- und Erneuerungsbedürftigkeit Israels so radikal, dass Gott nunmehr ein letztes Angebot ZNT 9 (5. Jg. 2002) macht und sodann mit dem richtenden Eingreifen Gottes jederzeit zu rechnen ist. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den beiden Lehrern, auf die aber hier nicht näher einzugehen ist. Für unsere Zwecke reicht es aus festzustellen: Während der Täufer sich auf den Bußruf beschränkt, vermittelt Jesus eine ganz einzigartige Gemeinschaft und Nähe Gottes durch seine eigene Person, und zwar auch und gerade für diejenigen, die bisher eher von solcher Gemeinschaft ausgeschlossen schienen: die sog. »Zöllner und Sünder«, die Armen und die Kranken. Ihnen wendet sich Jesus zu, weil er an ihnen zeichenhaft, exemplarisch das Wirken Gottes deutlich machen kann, weil es ihnen in besonderer Weise gilt. In solchervollmächtigen ZuwendungJesu und seiner Ankündigung des Reiches Gottes, dessen Heraufführung jene Zuwendung dient, sehe ich das Zentrum des Wirkens Jesu. Dies ändert aber nichts daran, dass es für die Anhängerschaft Jesu, für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auf die Scheidung von den Ungerechten, auf die Annahme seiner Botschaft und das Jünger-Sein jetzt (die Bejahung seiner Sendung und seines Anspruchs) ankommt. Die Entscheidung fällt in der Gegenwart, in jedem Augenblick. Deswegen ist es eigentlich auch nicht zutreffend, von einem »offenen Ende« im Hinblick auf den Gerichtsausgang zu sprechen. Denn das Ende ist nicht offen, sondern hat sich immer schon seit dem Beginn der Predigt Jesu je individuell entschieden und entscheidet sich immer wieder. Am Ende, im Gericht »wird nur offenbar, was immer schon geschah«; 11 Heil und Unheil werden aufgedeckt. Aber gegenüber dem Gedanken einer »Vorherbestimmung« hält der genannte Begriff zutreffend fest, dass es tatsächlich noch um Entscheidungen geht, die nicht von Gott vorgängig festgelegt sind.12 Man kann also im Zusammenhang mit der Verkündigung Jesu nicht von einer »Vorherbestimmung« sprechen, wohl aber von einer neuen und letzten Möglichkeit, das Leben zu gewinnen, die es ohne die Wirksamkeit und die Verkündigung Jesu nicht gäbe. Dass die Menschen grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, diese Möglichkeit des Heils zu ergreifen und den Willen Gottes zu tun, wird dabei von Jesus fraglos vorausgesetzt. Es wird ihnen allenfalls durch das vollmächtige Auftreten J esu besonders »leicht gemacht« (wenn man so sagen darf) insbesondere, ZNT 9 (5. Jg. 2002) Gi.inter Röhser Hat .Jesus die Hölle gepredigt? wenn sie sich mit ihm beschäftigen, wenn sie bei ihm bleiben, wenn sie sich zu ihm halten. Der Mobilisierung und Motivierung jener Fähigkeit dient auch das fallweise Reden Jesu von der Hölle. Es fügt sich insofern aufs Beste der »Hauptstoßrichtung« des Wirkens Jesu ein. Spätestens an dieser Stelle ist aber die Frage nach der tatsächlichen Authentizität der Rede Jesu von der Hölle unabweisbar. Angesichts der verhältnismäßig wenigen Texte, in denen die oben genannten Vokabeln im Munde Jesu vorkommen (hades: Mt 11,23 par Lk 10,15; Mt 16,18; Lk 16,23; geenna: Mt 10,28 par Lk 12,5; Mt 5,22; 23,15.33; Mk 9,43.45.47 par Mt 5,29.30 und 18,9; abyssos fehlt, vgl. aber Lk 8,31), kann man fragen, ob es sich nicht ebenso gut um nachösterliche Gemeinde- oder Evangelistenbildungen handeln kann. In vielen Fällen wird man diese Frage letztlich für unentscheidbar halten müssen, da eindeutige Kriterien fehlen. Ein einigermaßen deutliches Indiz für eine negative Entscheidung hat man nur bei Mt 16,18 (sog. kirchengründendes Wort Jesu) und 23,15.33 (Rede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer) zur Hand, da es sich in beiden Fällen um Sondergut mit sehr stark matthäischem Gepräge handelt. Aber im Ganzen ist ein solches Vorgehen mit zu großen Unsicherheiten belastet, als dass man die Beantwortung der Authentizitätsfrage ·allein von der Ermittlung vermeintlich »echter« Worte Jesu abhängig machen könnte. »Aussichtsreicher ist es, sich ein wesentliches (sie! ) bescheideneres Ziel zu stecken: Statt der ipsissima verba et / acta gilt als Ziel der Suche die ipsissima intentio Jesu.« 13 Ziel der gesamten historischenJesusforschung kann es von daher nur sein, »dass aus zahlreichen Einzelbeobachtungen ein facettenreiches Mosaik aus vielen Steinchen entsteht, das ohne Zweifel fragmentarisch bleibt, dessen Themen, Farben und Konturen aber erkennbar sind ... «. 14 Bezogen auf unser Thema heißt das: Das Motiv der Hölle ist eine kleine, aber nicht unwichtige Facette in dem Mosaik des Wirkens und Redens Jesu, das seine kräftigsten Farben in der Reich-Gottes-Botschaft und der vollmächtigen Zuwendung J esu (wie oben beschrieben) gewinnt. Die »Hölle« ist dabei dem Entscheidungsruf Jesu zu- und untergeordnet, der Notwendigkeit einer klaren und eindeutigen, positiven Stellungnahme zu seiner Person und Botschaft, die gelegentlich auch mit drastischen Mitteln eingeschärft wird. 29 Immerhin ist festzustellen, dass auch Einzeluntersuchungen der genannten Texte mit Hilfe der gängigen positiven und negativen Echtheitskriterien15 zu einer verhältnismäßig großen Übereinstimmung darüber geführt haben, dass zumindest Mt 5,29f. par Mk 9,43.(45.)47 und Lk 10,13-15 par Mt 11,21-23 als authentisches Jesusgut zu betrachten sind. 16 Als Echtheitskriterium wird dabei in beiden Fällen gerne u.a. die »hyperbolische Sprache« angeführt.17 In Lk 10,15 par Mt 11,23 dürfte sogar die Zuspitzung zu einer definitiven (d.h. unwiderruflichen) Verdammung in die Hölle vorliegen (vgl. auch das alttestamentliche »Vorbild« in Jes 14,11-15) die allerdings Kapernaum als Stadt und nicht bestimmten einzelnen Menschen gilt. Der Übergang von einer Warnung zu einer absoluten Unheilsankündigung ist hier wohl vollzogen. 18 Das Wort dürfte deshalb an den Abschluss der weithin erfolglosen galiläischen Wirksamkeit J esu gehören. 19 Um in den damit - und schon eingangs dieses Beitrages angesprochenen grundsätzlichen theologischen Fragen weiterzukommen, müssen wir die genannten Texte in einen größeren Zusammenhang stellen. 4. Eine Vielfalt von Vorstellungen Betrachten wir die Gerichts- und Höllenaussagen Jesu und des Neuen Testaments im Rahmen des zeitgenössischen Judentums, so finden wir eine große Vielfalt von Einzelzügen und -vorstellungen, die sich untereinander nicht harmonisieren lassen. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass es auch Stellen gibt, die auf die Hölle keinen Bezug nehmen. So betrifft nach einer älteren Anschauung, die aus dem Alten Testament stammt und sich z.B. in 2Thess (bes. 1,7-9) widerspiegelt, das Gericht Gottes nicht alle Menschen, sondern nur seine Feinde; und zwar werden diese beim Hervortreten Gottes bzw. des wiederkommenden Christus sofort und auf ewig vernichtet. Dahinter steht die alte Tradition vom Vernichtungsgericht Gottes über die Feinde Israels bzw. über die Heidenvölker (vgl. Jer 10,25; Jes 66,6.14-16). Die notwendige Scheidung wird nach Lk 17,34f. (wie im Falle Lots in Sodom: V.28f.) am frühen Morgen bei der Ankunft des Menschensohnes 30 (von Engeln) in den Häusern der Menschen vollzogen: Der eine von den männlichen Mitgliedern des Hauses, die noch auf dem Gemeinschaftsbett ruhen, wird zum Menschensohn mitgenommen, der andere wird zurückgelassen. Und von den Frauen, die bereits aufgestanden sind und mit dem Mahlen des Korns begonnen haben, wird die eine mitgenommen und die andere zurückgelassen. Über die Zurückbleibenden ergeht sogleich analog der Sintflut und dem Untergang Sodoms ein radikales Vernichtungsgericht. 20 Hingegen wird die große Scheidung nach dem bekannten Gleichnis vom Weltgericht in Mt 25,31-46 vor dem Thron des Weltenrichters = Menschensohnes von diesem selbst vollzogen, und die Verurteilten werden in ein bereits existierendes ewiges Feuer geschickt, welches primär für den Teufel und seine Engel bestimmt ist. Ganz entsprechend werden auch in Offb 19,20 und 20,10.14f. sowohl der Teufel und seine Helfershelfer (einschließlich des personifizierten Hades! ) als auch diejenigen Menschen, die nicht im Buch des Lebens stehen, in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt, und dort in alle Ewigkeit gequält (siehe auch 21,8). 21 Keine Einigkeit besteht auch über die genaue Lokalisierung des Strafortes (sowie über den Zeitpunkt des Gerichts): Hält lHen 27,2f. das bereits genannte Hinnom-Tal für jenen Ort, so sucht2Hen 10 ihn im dritten Himmel; und im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) kommt der Reiche nach seiner Beerdigung sofort für immer an den hier griech. hades = »Totenreich« genannten Ort, wo er sich nicht nur in der Flammenglut befindet, sondern auch in der Ferne jenseits einer unüberbrückbaren Kluft den seligen Lazarus in Abrahams Schoß sehen kann (hier ist wiederum für die Vorstellung von einem alle umfassenden Weltgericht am Ende der Geschichte [»in den letzten Tagen«] kein Raum 22 ). Hintergrund ist die pagan-griechische Vorstellung vom Hades, der »in verschiedene Abteilungen unterteilt ist« (Elysium und Tartarus). 23 Und auch nach 4Esr 7,85.93a befinden sich die Seelen der Gottlosen und der Frommen nach dem Tode miteinander im selben Bereich, so dass sie sich gegenseitig sehen können sie haben aber nach diesem Zwischenzustand ihr endgültiges (eschatologisches) Geschick noch vor sich (V.83f.87.93b.95ff.). 24 Nach Joel 4 findet das Gericht über die Völker im Tal Josaphat statt. ZNT 9 (5. Jg. 2002) In Mt 10,28 werden die Jünger ermahnt und ermuntert, sich nicht vor denen zu fürchten, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern vielmehr denjenigen zu fürchten, der Leib und Seele verderben kann in der Gehenna. Hier ist die Hölle nicht als Stätte ewiger Qualen gesehen, sondern als der Ort, in welchem Gott, der letzte Richter, die untreuen und ungerechten Menschen gewissermaßen »ganzheitlich« (mit Leib und Seele) vernichtet; die Seele selbst ist hier gerade nicht als unsterblich gesehen. Dazu passt eine weitere Vorstellung wenige Verse weiter: In V.32f. wird zum furchtlosen Bekenntnis aufgerufen unter Hinweis auf das letzte Gericht, in welchem Gott selbst, der himmlische Vater (Jesu), als der Herr des (himmlischen) Gerichts auftritt, »vor« dem Jesus sein über Leben und Tod entscheidendes Zeugnis über die Menschen bzw. die Jünger ablegen wird. 5. Theologische Auswertung Die Zahl der Beispiele ließe sich fast beliebig vermehren -wir müssen hier abbrechen und ein Fazit versuchen: Die Erwartung eines Gerichts ist für weiteste Bereiche des frühen Judentums und Christentums konstitutiv und unverzichtbar; die Vorstellung einer ewigen Qualenhölle ist dies nicht zumindest nicht im gleichen Ausmaß. Der gemeinsame Nenner, die Grundüberzeugung dieser allgemeinen Gerichtserwartung lautet: Spätestens am Ende ihres Lebens bzw. der Weltgeschichte werden alle Menschen dem heiligen Gott bzw. dem Menschensohn begegnen; und diese Begegnung kann und wird für viele schmerzlich sein. Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass die Menschen am Ende endgültig den Folgen ihres Tuns ausgeliefert werden; und angesichts des Zustandes der Welt ist die Prognose ungünstig. Aussagen über die Beschaffenheit einer Hölle oder über die Identität von deren möglichen Insassen (Lk 10,15! ) können hinzutreten, sind aber nicht unbedingt erforderlich. Ebenso kann aber auch der Gedanke einer endgültigen Vernichtung im Vordergrund stehen. Im Sinne meiner obigen Begriffsverwendungen kann man also legitimerweise von einer jüdisch-christlichen Gerichtsverkündigung und Gerichtspredigt spre- ZNT 9 (5. Jg. 2002) chen, nicht aber von einer »Höllenverkündigung« oder »Höllenpredigt« gerade auch bei Jesus nicht. 25 Allerdings zögere ich, in gleicher Weise auch von einer biblischen»Lehre vom Gericht« zu sprechen (allenfalls im Sinne der eben formulierten allgemeinen »Grundüberzeugung«) - und dann natürlich von einer »Lehre von der Hölle« schon gar nicht. Bei dem Wort »Lehre« denkt man nämlich an unverrückbar feststehende (»ontologische«), gewissermaßen berechenbare Sachverhalte. Im Falle des negativen Gerichtsausgangs stehen dem aber zwei wichtige und grundlegende Einsichten der biblischen Exegese entgegen: 1. Es gibt im Wesentlichen zwei Aussagezusammenhänge, in denen Gerichts- und Höllenvorstellungen eine Rolle spielen: Entweder die bedrängte Gemeinde wird ihrer Hoffnung versichert, dass ihre Bedrängnis durch das Böse und die Bösen bald ein Ende haben wird, dass also Gott nicht mehr lange zuschauen wird (so etwa in der Offb ); oder die Christen werden ermahnt, ganz ernst zu machen mit dem eingeschlagenen Weg des Glaubens an Jesus Christus. 26 In den meisten Fällen besitzen die Gerichtsaussagen kein Eigengewicht; sie werden nicht um ihrer selbst willen gemacht, um irgendetwas vorherzusagen, sondern besitzen eine bestimmte Funktion. Wir sprechen von paränetischer, d.h. ermahnender oder warnender, und von tröstender Funktion. Es geht also nicht darum, die Bösen auf ihre Bosheit festzulegen oder den Christen mit einer sicher bevorstehenden Hölle zu drohen, sondern das Ende ist »offen« in dem oben dargelegten Sinne, dass es auf die richtigen Entscheidungen und Veränderungen jetzt ankommt (vgl. Mt 5,29f.). Ein kurzer Blick auf den Kontext der bereits zitierten Jesusworte und -gleichnisse zeigt dies: Jetzt ist noch die Zeit, auf Mose und die Propheten zu hören und sich am Besitzverzicht zugunsten der Armen zu beteiligen, um der drohenden Bestrafung der Reichen zu entgehen (Lk 16). Matthäus weiß, dass auch die Gemeinde Jesu von Versagen bedroht ist und immer wieder hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Deshalb fordert er sie zu einem furchtlosen Bekenntnis zu Jesus mit ihrer ganzen Existenz auf, indem er dieses zugleich als den Weg darstellt, der endgültigen Vernichtung der gesamten Existenz in der Hölle zu entgehen (Mt 10). Im Gleichnis vom Weltge- 31 richt (Mt 25,31-46) wird die unbedingte Liebe zum notleidenden Nächsten als die entscheidende Möglichkeit eingeschärft, dem Weg ins ewige Feuer zu entgehen; denn: »Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! « Ziel aller dieser Texte und Aussagen ist es zweifellos, die Zuhörer- und Adressatenschaft vor der Hölle zu bewahren. Aber so ist zu fragen leben sie damit nicht von der prinzipiellen Möglichkeit, dass die Hölle »leer« bleibt? Man bräuchte dann genau genommen die Existenz der Hölle, biblisch gesehen, weder zu behaupten noch zu bestreiten, denn wenn sie »leer« bliebe, würde die Frage nach ihrer Existenz als solcher zu einer rein akademischen Angelegenheit. Freilich: Die Wahrscheinlichkeit, dass dem so sein wird, ist nach unseren Zeugnissen eher gering; denn »eng ist das Tor, das zum Leben führt, und wenige sind es, die dahin finden« (Mt 7,14) aber doch ist auch dieses wiederum nur gesagt, damit die Angeredeten nur um so entschlossener sich auf den Weg machen und um so sicherer zum Leben gelangen. »Wenige sind es ... « ist also mit Sicherheit keine lehrmäßige Feststellung, kein »Lehrsatz«, sondern eher eine »paradoxe Intervention«, die geradezu das Gegenteil von dem bezweckt, was sie aussagt es sollen nämlich möglichst viele werden, die ins Leben eingehen! 27 In ähnlicher Weise würde ich mit den eingangs zitierten Aussagen aus dem Weltkatechismus und der Confessio Augustana umgehen. Abzulehnen ist es, die Existenz einer ewigen (Qualen-)Hölle als Lehrbzw. Bekenntnisaussage verstehen zu sollen. Ebenso wenig kann man aber auch das Gegenteil die Nicht-Existenz der Hölle oder gar eine »Allversöhnung« lehrmäßig festschreiben. Doch kann man solches vielleicht erhoffen oder von Gott erbitten. Und was das Gericht angeht, so sollte der Grundsprechakt der Gerichtsverkündigung nicht das Drohen, sondern das Warnen sein. Denn dass es tödliche Gefahren für das Leben gibt, ist unbestreitbar. Anders ausgedrückt: Die »Hölle« existiert schon allerorten; man muss sie nicht erst theologisch erfinden. Und wenn Gott barmherzig und »gerecht« ist - und diese Kombination kann vielleicht als das Grundaxiom biblischer Theologie überhaupt gelten-, kann er dann die zahllosen Opfer einfach ignorieren, die die Geschichte bereits gefordert hat? Kann er über das 32 unvergebene, nicht wiedergutzumachende Versagen der Christen für immer hinwegsehen? 2. Die andere biblische Grundeinsicht ist die Überzeugung vom unbedingten, ja universalen Heilswillen Gottes. Bei Ezechiel heißt es wiederholt: Gott hat kein Gefallen am Tod des Sünders, sondern vielmehr daran, dass er umkehrt und am Leben bleibt. Joh 3,16f. formuliert: »Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er den einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn nicht sandte Gott den Sohn in die Welt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.« lTim 2,4 lesen wir: »Nach Gottes Willen sollen alle Menschen Rettung finden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.« Und 2Petr 3,9 sekundiert: »Der Herr will nicht, dass irgendjemand umkomme, sondern vielmehr, dass alle den Weg zur Umkehr finden.« Dieser Strang biblischer Hauptaussagen berechtigt und verpflichtet in Verbindung mit dem oben Gesagten m.E. theologisch, eine Lehre vom Heil Gottes zu entfalten, und in der Verkündigung, nicht Gericht oder gar Hölle, sondern die Verheißung unzerstörbaren Lebens in den Vordergrund zu stellen. Denn der biblische Gott ist Leben und will nichts anderes als Leben. Er schickt nicht in die Hölle, sondern will die Menschen aus der selbst gemachten und selbst verschuldeten Hölle befreien. Und diejenigen, die sich hartnäckig diesem Befreiungsversuch widersetzen, werden von ihm eindringlich gewarnt manchmal auch mit drastischen Mitteln (z.B. apokalyptischen Höllenschilderungen). Dass sich beides (Gerichts- und Heilsverkündigung) nicht ausschließt, zeigt auch eine Formulierung wie Lk 3,18: Johannes verkündete die Frohbotschaft mahnend (parakalon eueggelizeto). Das Partizip bezieht sich auf die allgemeine Umkehr- und Gerichtspredigt des Täufers, das Hauptverbum des Satzes auf deren Ziel: Sündenvergebung und Heil (vgl. V.3.6.17). So wird deutlich, dass das eine die notwendige Kehrseite des anderen ist. 6. Zur Hölle vorherbestimmt? Bei allem, was bisher gesagt wurde, ist deutlich, dass von einer Verantwortlichkeit des Menschen ZNT 9 (5. Jg. 2002) für das Ergreifen von Gottes Heil und für sein Darin-Verbleiben ausgegangen wird. Nun gibt es aber unstreitig in der jüdischchristlichen Tradition (wenn auch nicht bei Jesus) einen breiten Strang von Vorherbestimmungs- und Prädestinationsaussagen, die diesem eben genannten Grundsachverhalt zu widersprechen scheinen. Klären wir zunächst wieder die Begriffe: »Vorherbestimmung durch Gott« meint eine zeitlich vorgängige, endgültige Festlegung von Menschen durch Gott im Hinblick auf deren Verhalten oder Ergehen - oder auch von Ereignissen und Sachverhalten. »Prädestination« ist in diesem Rahmen zu verstehen als individuelle Zuspitzung des Vorherbestimmungsgedankens im Hinblick auf eschatologisches Heil und Unheil. Noch bevor Menschen sich selbst entschieden haben oder überhaupt nur entscheiden konnten, hat Gott schon ihr ewiges Schicksal festgesetzt. Röm 8,28 und 29 heißt es, dass »Gott denen, die ihn lieben (! ), alles zum Guten ausgehen lässt. Sind sie es doch, die er nach seinem Vorsatz berufen hat. Denn sie, die er zuvor erwählt hat, hat er im Voraus dazu bestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichgestaltet zu werden ... «. Eph 1,4 preist Gott als denjenigen, der in Christus die Gemeinde vor Anbeginn der Welt erwählt - und sie damit im Voraus (V.5) zum ewigen Heil bestimmt hat. Ich füge gleich hinzu, dass das Neue Testamentim Unterschied zum apokalyptischen Judentum und insbesondere zu einigen Qumran- Texten eine Prädestination von Menschen zum Unheil nicht kennt: 28 Die einzige Aussagenreihe, die in diese Richtung weist in Röm 9 im Hinblick auf den nicht-christlichen Teil Israels -, wird von Paulus in Röm 11 korrigiert; und bestimmte Passagen bei Johannes werden m.E. zu Unrecht in prädestinatianischem Sinne interpretiert. Dies ändert aber nichts am Grundproblem: Wie können die Verantwortlichkeit des Menschen auch den Christen steht ja, wie wir gesehen haben, das »Gericht« (als die Begegnung mit Gott) bevor - und der Vorherbestimmungsgedanke nebeneinander bestehen? Religionsgeschichtlich gesehen wäre es völlig verfehlt, hier einen Gegensatz oder auch nur eine Spannung zwischen beiden Aussagereihen zu finden. Denn zugrunde liegt im Alten Testament und frühen Judentum ein komplexes Modell religiöser Wirklichkeitsdeutung, welches mit der ZNT 9 (5. Jg. 2002) Giinter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? späteren Frage nach der Willensfreiheit des Menschen nichts zu tun hat. In diesem Modell und der darauf aufbauenden Theologie geht es vielmehr um die Frage nach Gottes Anwesenheit in der Geschichte und im Leben des Einzelnen und um die vom Ende her gestellte - Frage nach dem Sinn des Ganzen überhaupt. In meiner Studie »Prädestination und Verstockung«, die der gründlichen Untersuchung all dieser Fragen gewidmet ist, 29 habe ich dieses Modell versuchsweise als einen »Raum des In-Wirkens« beschrieben, in welchem der Mensch mitsamt seinem selbstverantwortlichen Handeln an das von Gott vorherbestimmte Ziel seines Daseins gebracht wird. Was ist der Ort eines solchen Denkens und Redens? Dazu verweise ich noch einmal auf jene beiden Aussagezusammenhänge, in denen wir die oben besprochenen Gerichts- und Höllenvorstellungen verankert fanden: Versicherung der Zukunftshoffnung und Ermahnung zu ernster Nachfolge. Prädestinationsvorstellungen stehen dazu nicht in Konkurrenz, sondern verschärfen vielmehr diese Intentionen. Sie sollen sozusagen die Zukunftsgewissheit »perfekt« machen und zur »Ermahnung« die »Gewissheit des Vollbringens« hinzufügen. In Röm 8 ist es so, dass Paulus der durch Leiden angefochtenen Gemeinde die Gewissheit ihres Heils zusprechen will. Alle Leiden und Bedrängnisse der Gegenwart (vgl. V.18.35) müssen und werden den Christen zum künftigen Heil ausschlagen. Dies schließt ein, dass der Apostel sie gleichzeitig zum Durchhalten ihrer Liebe gerade jetzt, in der gegenwärtigen, angespannten Situation anhalten und ermuntern will: Diejenigen, die nach Vorsatz Berufene sind, sind keine anderen als diejenigen, die selber Gott lieben und lieben sollen und so zu ihrem Heil wirken. In Phil 2,12f. heißt es: »Mit Furcht und Zittern wirkt euer Heil, denn Gott ist es, der unter euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt gemäß seinem erwählenden Wohlgefallen.« Mit diesen Worten will Paulus die Gemeinde in Philippi zu äußerstem Engagement (v.a. in der Wahrung ihrer Einmütigkeit: V.1-4) motivieren, indem er sie an die Verankerung ihres Wollens und Tuns im umfassenden Wirken Gottes erinnert. Dieses erstreckt sich von der Gegenwart (die durch die Erwählung und die Nähe Gottes gekennzeichnet ist) bis in die eschatologische Heilszukunft (die »Rettung«) und 33 verleiht dem Handeln der Gemeinde in der Gegenwart eine übergreifende Perspektive und Sinnhaftigkeit wie auch höchste Dringlichkeit. Nur in der Gemeinde Jesu ist Gott in dieser einzigartigen Weise durch seine Nähe zugleich ermächtigend wie fordernd präsent. Ganz und gar getragen und bestimmt vom macht- und heilvollen Wirken Gottes können, sollen und werden die Philipper »mit Furcht und Zittern« vollbringen, was Paulus von ihnen verlangt. In Gottes »Sphäre« sind sie dazu ermächtigt, ihre Heilsvollendung zu wirken. Daraus ergibt sich noch einmal klar: Prädestinationsaussagen stehen nicht in Konkurrenz zu Gerichtsaussagen, sondern thematisieren vielmehr den tragenden und bergenden Grund, auf dem die Christen getrost ihrer Begegnung mit dem heiligen Gott entgegengehen können. Hat Jesus auchnach allem, was wir erkennen können nicht die Vorherbestimmung gepredigt, so sind Prädestinationsaussagen doch eine legitime Entfaltung und Weiterentwicklung der von ihm verkündigten und mit ihm verbundenen Heilsbotschaft, welche wir »das Evangelium« nennen. Für eine »Vorherbestimmung zur Hölle« ist darin kein Platz. 30 Joachim Jeremias hat überzeugend gezeigt, dass auch das bekannte Diktum im Munde Jesu: »Viele sind berufen, wenige aber auserwählt« (Mt 22,14) nicht in prädestinatianischem Sinne zu verstehen ist. 31 Vielmehr paraphrasiert er wie folgt: »(Unübersehbar) groß ist die Zahl derer, die (zum Festmahl) eingeladen sind, aber nur wenige werden zur Heilsgemeinde gehören« (»viele« ist hier semitisch inkludierend im Sinne von »alle« zu verstehen), und führt dazu aus: »Nicht von Prädestination ist hier die Rede, sondern von Schuld. Der Ruf ist unbegrenzt, aber nur klein ist die Zahl derer, die ihm folgen und gerettet werden.« 32 Aber doch wird auch dieses Jesuswort als Abschluss des Gleichnisses vom königlichen Gastmahl (Mt 22,1-14) mit seiner Warnung vor dem Hinauswurf in die Hölle (V.11-13) nicht anders denn als »paradoxe Intervention« (wie Mt 7,14) gemeint sein, die das Gegenteil von dem intendiert, was sie sagt: Möglichst viele sollen der Einladung folgen und gerettet werden! 7. Zukunft und Weltende Wie steht es nun aber so ist nun abschließend zu fragen mit den Vorstellungen, die wir uns 34 von dieser Heilszukunft, von Weltende und Weltvollendung machen? Wie verhalten sie sich zu anderen Zukunftserwartungen in Bezug auf unsere Welt und Geschichte? Ich habe schon oben darauf hingewiesen, dass wir es hier mit mythischen Vorstellungen zu tun haben, die nicht gegenständlich-konkret zu verstehen sind. Schon die symbolreiche, ins Surrealistische übergehende Sprache und Bildwelt apokalyptischer Texte (wie z.B. Offb) hätte darauf aufmerksam machen müssen, dass man hier nichts wörtlich nehmen darf. Anders gesagt: Vom Ende der Welt, vom Weltgericht und der Vollendung des Reiches Gottes werden wir niemals aus den Fernsehnachrichten erfahren. Diese Ereignisse liegen nicht am Endpunkt unserer physikalisch-technischen Zeit genauso wenig wie die Schöpfung an deren Anfangspunkt -, sondern gleichsam quer dazu. Sie sind nicht identisch mit einer unserer hausgemachten militärischen oder ökologischen Katastrophen und auch nicht mit physikalisch-kosmischen Ereignissen (wie einem Meteoriteneinschlag oder dem Ende unseres Sonnensystems). Sie markieren vielmehr den Zusammenbruch unserer raum-zeitlichen Ordnung überhaupt und damit das Ende jeglicher Vorstellbarkeit: Die Sonne verliert ihren Schein, die Sterne stürzen vom Himmel, die Kräfte des Kosmos geraten ins Wanken (vgl. Offb 6,12-17; AssMos 10,4-6). D.h.: Jede uns bekannte Ordnung, unsere gesamte raum-zeitlich verfasste Wirklichkeit löst sich auf. Und genau dieses bedeutet das definitive Zusammenbrechen und Ende aller unserer Vorstellungen.33 Was »danach« kommt (der Ausdruck ist eigentlich schon falsch), ist ebenfalls nur noch in Bildern (von Auferstehung, von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, vom ewigen Leben und ewigen Tod bzw. von der Hölle) aussagbar. Eher schon besitzen die Endereignisse den Charakter einer »Mega-Vision«, 34 d.h. eines umfassenden Einblicks in die Tiefendimension der Wirklichkeit, einer Aufdeckung der wahren Machtverhältnisse. Und darüber kann nun in biblischer Sicht kein Zweifel sein: Sieger werden nicht die Täter, sondern die Opfer sein; nicht die Erfolgreichen und Tüchtigen als solche, sondern die Barmherzigen und Gerechten. Das Ziel wird die Wiederherstellung der Würde der Opfer und das Ende jeglicher Machtausübung von Menschen über Menschen sein. Aller wissenschaft- ZNT 9 (5. Jg. 2002) liehe Fortschritt, jegliches religiöse und politische Engagement, alles künstlerische Bemühen und jede Alltäglichkeit werden in strenger Ausschließlichkeit an dem einen und einzigen Kriterium gemessen werden, ob sie dem Miteinander in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gedient haben. Nur dann werden sie Bestand haben und Bausteine sein für Gottes neue Welt. Damit ist aber zugleich eine deutliche Grenze unseres Redens markiert. Denn unsere Erfahrung ist in der Regel davon bestimmt, dass wir eben Täter und Opfer zugleich sind, dass wir also diese klare Scheidung und Entscheidung gerade nicht vornehmen können und dürfen. Auch wenn uns parteiliches Engagement und das Bemühen um Eindeutigkeit immer aufgegeben sind die letzte Klarheit bleibt uns verwehrt und Gott allein vorbehalten. Wer diese Grenze (gerade hinsichtlich des Redens von der Hölle) nicht respektiert, verliert sich in Spekulation oder fundamentalistischer Willkür. Anmerkungen Zit. nach dem Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland u.a., Gütersloh u.a. 1996, 1365; 1371. 2 G. Minois, Hölle - Kleine Kulturgeschichte der Unterwelt, dt. Freiburg i.Br. 2000, 133. 3 Zur Etymologie vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. v. E. Seebold, Berlin/ New York 23 1995, 380f.; Hölle I: Religionsgeschichtlich (A. V. Ström), TRE XV, Berlin/ New York 1986/ 1993, 445-449: 445; 448. Ein Zusammenhang mit »Frau Holle« aus dem Märchen besteht hingegen nicht (gegen H. Bietenhard, Himmel/ Hölle, TBLNT NB 1, Wuppertal/ Neukirchen 1997, 953-972: 970). Diese ist eher mit Begriffen wie »hold« oder »Huld« zu verbinden. 4 Von den älteren Bibelübersetzern, besonders von Luther, wurden noch alle drei Begriffe mit »Hölle« wiedergegeben: vgl. Himmel/ Hölle (Bietenhard), 970. 5 Die Texte: »Wer aber sagt (sc. zu seinem Bruder): Du Dummkopf, soll verfallen sein hinein in die Hölle des Feuers« (Mt 5,22c). »Und ich (sc. Henoch) schaute in jener Zeit, wie sich eine gleiche Tiefe öffnete mitten auf der Erde (d.h. in Jerusalem! ), die voll von Feuer (war), und man brachte jene verblendeten Schafe (d.h. abtrünnige Israeliten), und sie wurden alle gerichtet und als Sünder (befunden), und sie wurden in jene Feuertiefe geworfen, und sie brannten; und diese Tiefe war zur Rechten jenes Hauses (d.h. südlich des Tempels). Und ich schaute jene Schafe, während sie brann- ZNT 9 (5. Jg. 2002) ten, und ihr Gebein brannte« (lHen 90,26f.; Übers. S. Uhlig, JSHRZ V 6, 702). »Dann (sc. beim Gericht) erscheint die Grube der Pein und gegenüber der Ort der Ruhe. Der Ofen der Hölle zeigt sich und gegenüber das Paradies der Wonne. Dann wird der Höchste zu den auferweckten Völkern sagen: Seht und erkennt den, den ihr geleugnet, dem ihr nicht gedient, dessen Gebot ihr verachtet habt. Schaut nun hinüber und herüber: Hier Wonne und Ruhe, dort Feuer und Pein. Das wird er zu ihnen am Tag des Gerichts sagen« (4Esr 7,36-38; Übers. J. Schreiner, JSHRZ V 4, 347). Es sei an dieser Stelle auch notiert, dass der Name der Hölle im Koran meistenteils annar (»das Feuer«), häufig aber auch gahannam (»Gehenna«) lautet: Hölle I (Ström), 446. 6 Siehe weiter: »Wehe den Völkern, die sich erheben gegen mein Volk. Der Herr, der Allherrscher, vollstreckt das Strafgericht an ihnen am Tag des Gerichts. Er gibt Feuer und Würmer in ihr Fleisch, sie werden klagen vor Schmerz in Ewigkeit« (Jdt 16,17; Übers. E. Zenger, JSHRZ I 6, 520f.). »Tief, tief beuge den Hochmut, denn das, was den Menschen erwartet, ist Gewürm«; LXX: »... denn die Strafe des Gottlosen ist Feuer und Wurm« (Sir 7,17; Übers. G. Sauer, JSHRZ III 5, 523). Aus der Erkenntnis der menschlichen Vergänglichkeit im hebräischen Text ist in der griechischen Version die Warnung vor dem eschatologischen Gericht geworden. Vgl. als innergeschichtliche Konkretion zu beiden Stellen das Strafgericht an Antiochus IV. Epiphanes nach 2Makk 9,5.9 (Würmer, Schmerz und Pein). 7 Vgl. auch LibAnt 18,12, wo Zähneknirschen Ausdruck der Reue über eine begangene Verfehlung ist. 8 Eine kurze zusammenfassende Beschreibung dieses »Weltbildes« z.B. bei A. Vögtle, Das Neue Testament und die Zukunft des Kosmos, Düsseldorf 1970, 38f.; vgl. 42. »Richtiger ist übrigens von kosmologischen Vorstellungen zu reden, da die Antike den Begriff ,Weltbild, im heutigen Sinne nicht kannte« (38). 9 S. zuletzt G. Kittel, Das leere Grab als Zeichen für das überwundene Totenreich, ZThK 96 (1999), 458-479, bes. 463-466. Kittel plädiert für ein metaphorisches und real-symbolisches Verstehen biblischer Texte, welches die »Transparenz und Hintergründigkeit« etwa der Rede vom Totenreich oder der Erzählung vom leeren Grab Jesu »wahrzunehmen bereit ist« (461). Bei aller Berechtigung und Notwendigkeit stößt dieser Ansatz bei der Ostererzählung an seine Grenze: Es leidet m.E. keinen Zweifel, dass der Evangelist Markus vom leeren Grab nicht nur als »Zeichen für das überwundene Totenreich« (Kittel), sondern auch und vor allem als einer real in Raum und Zeit wahrgenommenen Größe berichten will. Die real-symbolische Auslegung darf hier (wie bei allen »Wundergeschichten«) die real-faktische nicht verdrängen oder ersetzen, sondern muss sie ergänzen. 10 Vgl. Hölle II: Kirchengeschichtlich (T. Rasrnussen), TRE XV, Berlin/ New York 1986/ 1993, 449-455: 450. 35 11 K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/ Basel 2 1995, 34. 12 Es kommt hier auf eine sorgfältige Begriffsbestimmung an. Da das Verhalten in der Gegenwart über das Ergehen in der Zukunft entscheidet, ist letzteres insofern natürlich in einem gewissen Sinne »vorherbestimmt«. Da ersteres jedoch (zumindest befristet) revidierbar ist, ist auch letzteres nicht »deterministisch« zu verstehen. 13 T. Söding, War Jesus wirklich Gottes Sohn? , ZNT 8 (2001), 2-13: 11 (im Anschluss an W. Thüsing). 14 Ebd. 15 Zur Diskussions. zuletzt Ch. Riniker, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS.T; Bd. 653), Bern u.a. 1999, 51-60. Vgl. auch die Kontroverse zwischen K. Berger und W. Sehmithals »Kriterien für echte Jesusworte«, ZNT 1 (1998), 52-64, und zuvor J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/ New York 1996, bes. 16-19. 16 Siehe z.B. das Jesus-Buch von J. Becker (s. die vorige Anm.) und die letzten großen Monographien zum Thema: M. Reiser, Die GerichtspredigtJesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA 23), Münster 1990; W. Zager, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung J esu. Eine Untersuchung zur markinischen J esusüberlieferung einschließlich der Q-Parallelen (BZNW 82), Berlin/ New York 1996; Ch. Riniker (s. die vorige Anm.). Zur Echtheit von Mk 9,43.47 par Mt 5,29f. äußern sich positiv: Becker, Jesus, 71-73; Zager, Gottesherrschaft, 210-223; Riniker, Gerichtsverkündigung, 178 (vgl. Reiser, Gerichtspredigt, 303, Anm. 43); zu Lk 10,13-15par: Becker, Jesus, 78-80; Reiser, Gerichtspredigt, 207-215; Riniker, Gerichtsverkündigung, 315-329 (bei Zager nicht behandelt). - Zu Lk 16,19H. äußern sich (ganz kurz) positiv nur Reiser, Gerichtspredigt, 310; Riniker, Gerichtsverkündigung, 134; zu Mt 5,22: Becker, Jesus, 359-361; Riniker, Gerichtsverkündigung, 188f.; zu Mt 10,28par: Riniker, Gerichtsverkündigung, 183-186. 17 Vgl. Becker, Jesus, 72; 79; Zager, Gottesherrschaft, 218; 222; Riniker, Gerichtsverkündigung, 181. 18 Vgl. zuletzt Riniker, Gerichtsverkündigung, 318f. Anders jetzt V. A. Lehnert, Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion vonJes 6,9-10 bei Markus und Lukas (NTDH 25), Neukirchen-Vluyn 1999, der ein Verständnis von Lk 10,13-15 als »ultimative Umkehrprovokation« vorschlägt (219f.; vgl. 258; 287). Wichtig ist seine grundsätzliche Feststellung: »Eine rhetorischen (sie! ) Provokation ist keine ontologische Verwerfung« (294; im Orig. kursiv). 19 Reiser, Gerichtspredigt, 214. 20 Zum Alltagshintergrund der Logien s. K. Berger, Manna, Mehl und Sauerteig. Korn und Brot im Alltag der frühen Christen, Stuttgart 1993, 45f. Der Gedanke einer radikalen Vernichtung findet sich z.B. auch in Hebr 10,27 (verzehrendes Feuer; vgl.Jes 26,11; auch Ez 22,31) oder lQH 4,20.26 (»ausrotten im Gericht«). 36 21 S. dazu A.E. Bernstein, The Formation of Hell. Death and Retribution in the Ancient and Early Christian Worlds, Ithaca/ London 1993, 258-260. 22 Anders Bernstein, Hell, 240f.; 246f., der in Lk 16,23ff. eine Beschreibung des Zwischenzustands sieht, in dem sich die Seelen der Verstorbenen bis zur Auferstehung und zum Endgericht gemäß Mt 25,31-46 befinden. 23 Zum erstenmal erkannt von H. Grotius, Annotationes in libros Evangeliorum, Amsterdam 1641; zit. nach W.G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg/ München 2 1970, 29. Ältester jüdischer Beleg ist lHen 22. Zur Gesamtauslegung der »Beispielerzählung« Lk 16,19-31 s. zuletzt K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (UTB 2093 ), Tübingen/ Basel 1999, 240-251. 24 Im Sinne eines »besonderen Gerichts« der einzelnen Seele nach dem Tode nimmt auch der »Katechismus der Katholischen Kirche« auf das Gleichnis vom armen Lazarus Bezug (Nr. 1021-1022). 25 Noch zurückhaltender formuliert N. Walter, Die Botschaft vom Jüngsten Gericht im Neuen Testament, in: ders., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. v. W. Kraus u. F. Wilk (WUNT 98), Tübingen 1997, 311-340: »Das Neue Testament verkündet das Evangelium, es spricht auch (als von einer Gegebenheit) vom Gericht .... gebotschaftet wird die Liebe Gottes, die Gnade seiner Zuwendung zu seinen Menschen ... « (340, übrigens im Widerspruch zur Formulierung des Aufsatztitels; Hervorhebungen im Orig.). 26 Ob auch direkte Appelle an Außenstehende (Juden oder Heiden, wie bei Jesus) vorkommen, hängt davon ab, inwieweit man neutestamentliche Texte (auch) an Nichtchristen gerichtet sein lässt. Vgl. die ähnliche Zusammenfassung der »Endgerichtsverkündigung des historischen Jesus« bei Zager, Gottesherrschaft, 315f. 27 In diesem Sinne wird Mt 7,13-14 auch im »Katechismus der Katholischen Kirche« Nr. 1036 zitiert. Rekonstruktion der Q-Fassung des Logions jetzt in: J.M. Robinson/ P. Hoffmann/ ]. S. Kloppenborg (Hg.), The Critical Edition of Q, Leuven 2000, 406f. Zum Phänomen der »paradoxen Intervention« s. grundlegend: Lehnert, Provokation, passim (bes. 85ff.; zu Lk 13,23f. par Mt 7,13f. im Kontext: ebd. 208; 258). 28 Deswegen ist es verwirrend, wenn T. Eskola den Prädestinationsbegriff jetzt auch für die »Vorherbestimmung« der Sünder durch Gott zur Strafe, zur endgültigen Verurteilung verwendet in: Theodicy and Predestination in Pauline Soteriology (WUNT II 100), Tübingen 1998, 6 u.ö. Von »Prädestination« sollte man in diesem Zusammenhang (einer nachgängigen Reaktion Gottes auf das Verhalten von Menschen) gerade nicht reden (s. dazu meine Rezension des genannten Buches in: ThLZ 124 [1999], 1019-1021, und oben Anm.12). 29 G. Röhser, Prädestination und Verstockung. Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und jo- ZNT 9 (5. Jg. 2002) hanneischen Theologie (TANZ 14), Tübingen/ Basel 1994. Diesem Buch sind die Ausführungen des vorliegenden Abschnitts teilweise wörtlich entnommen. 30 Vgl. auch den »Katechismus der Katholischen Kirche« Nr. 1037: »Niemand wird von Gott dazu vorherbestimmt, in die Hölle zu kommen ... «. Georg Lämmlin Stefan Scholpp (Hrsg.) Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen UTB 2213 S, 2001, XII, 432 Seiten, 20 Abb., € 19,90/ SFr 33,50 UTB-ISBN 3-8252-2213-6 Selbstportraits maßgeblicher Vertreterinnen und Vertreter gegenwärtiger Praktischer Theologie geben Studierenden, in der kirchlichen Praxis Tätigen und den Kolleginnen und Kollegen anderer theologischer Disziplinen Einblick in die Vielfalt der Ansätze und vermitteln einen Überblick über die Praktische Theologie am Beginn des 3. Jahrtausends. Der Paradigmenwechsel von der empirischen zu einer lebensweltlich, ästhetisch und semiotisch orientierten Reflexionsperspektive zeichnet sich im Rahmen der wissenschaftlichen Biographien eindrücklich ab. Im Blick auf das Gesamtverständnis wie auch auf die Unterdisziplinen des Faches kommt so ein instruktives Resümee zustande, in dem sich Zukunftsperspektiven für die religiöse Strukturierung kirchlicher Handlungsfelder und lebensweltlicher Vollzüge abzeichnen. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 31 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I: Die VerkündigungJesu, Gütersloh 1971, 131f. 32 Ebd. 132. 33 Vgl. dazu K. Berger, Wie kommt das Ende der Welt? , Stuttgart 1999, 54-57. 34 Berger, Ende der Welt, 121. Steve Mason Flavius Josephus und das Neue Testament Aus dem Amerikanischen von Manuel Vogel UTB 2130 S, 2000, 354 Seiten, € 18,90/ SFr 32,30 UTB-ISBN 3-8252-2130-X Die Werke des Flavius Josephus stellen die wichtigsten Quellentexte für die Geschichte des frühen Christentums und des antiken Judentums dar. Der kanadische Josephus- Spezialist Steve Mason zeigt jedoch, daß diese Texte in der Forschung vielfach als bloßer Steinbruch für historisches Datenmaterial benutzt werden und das schriftstellerische Eigeninteresse des jüdischen Historikers weithin gar nicht wahrgenommen wird. Vorrangig für Studierende des Neuen Testaments, aber auch für theologisch, judaistisch und althistorisch Interessierte legt Mason deshalb eine für diese Übersetzung überarbeitete Einführung in das Werk des Josephus vor, die nicht nur das nötige Grundwissen vermittelt, sondern auch zu einem eigenständigen, methodologisch reflektierten Umgang mit diesen Quellentexten hinführt, die für das Verständnis besonders des Neuen Testaments von unschätzbarem Wert sind. A. Francke 37 Karl-Heinrich Ostmeyer Satan und Passa in 1. Korinther 5 1 Der Satan, dem der Unzüchtige in lKor 5,5 zum Verderben seines Fleisches zwecks Rettung des Geistes übergeben werden soll, ist eine Figur, auf die zu verzichten heutzutage wohl nur wenigen schwer fiele. Die Inquisition berief sich vornehmlich auf diesen Vers zur Rechtfertigung ihres Vorgehens und betrachtete ihn als biblische Grundlegung für Folter und Exekutionen. 2 Ob Paulus den Tod des Unzüchtigen bei seiner Forderung nach Übergabe an den Satan vor Augen hatte, ist umstritten. lKor 5,5 wirkt wie ein Fremdkörper. Ein exorzistischer Akt im eigentlichen Sinne ist es nicht, denn der Satan wird nicht ausgetrieben, sondern der Übeltäter wird dem Satan übergeben. Das erinnert an die Austreibung vom Teufel mit Beelzebul. Der Satan wird instrumentalisiert. Für die Gemeinde scheint bei dem, was Paulus fordert, alles klar zu sein. Nicht einmal seine persönliche Anwesenheit ist nötig. Die Satansübergabe erfordert kein besonderes Wissen, nichts, wofür es einer Anleitung oder Ausbildung bedarf, nichts, was nur Paulus durchführen kann, kein Herrschaftswissen. Es wird kein besonders qualifiziertes Gemeindeglied ausersehen, den Akt zu vollziehen. Es wird keine genau nachzusprechende Formel mitgeteilt der Akt wirkt ex apere operato, unabhängig vom Akteur. Läßt sich dem Geschehen in lKor 5 das Mysteriöse nehmen? Ein echter oder vermeintlich magischer Akt fällt nur selten vom Himmel, er muß in die Umwelt integriert sein, er muß zu ihr passen, die Beteiligten müssen von der Wirkung überzeugt sein. Der Befehl zur Übergabe an den Satan in lKor 5,5 ist vorbereitet und steht in einem längeren Kontext: Das ganze Kapitel ist bestimmt durch anschauliche jüdische, alttestamentliche Traditionen: Satan, Passa, Sauerteig, ungesäuerter Teig, das Auskehren des Sauerteigs. Wie kommt Paulus ausgerechnet im Zuge eines Disziplinarverfahrens auf das Passa? Der Satan hat ja noch eine gewisse Plausibilität. Was verbindet Satan und Passa? 38 1. Das Verhältnis von Exoduspassa und Christuspassa Auf die Satanserwähnung in lKor 5,5 folgen in den Versen 6-8 Motive, die dem Themenkreis »Passamahl« zuzuordnen sind. Auf den ersten Blick besteht kein innerer Zusammenhang zwischen Satan und Passa. Im Gegensatz zu dem Bezug auf das in Ex 12 beschriebene Passamahl konnte der Satan traditionsgeschichtlich bisher nicht in gleicher Weise verortet werden. Paulus aber setzt voraus, daß die Korinther wissen, wovon er spricht. Ablauf und Funktion der Übergabe an den Satan werden ohne weitere Erklärungen angeordnet und scheinen selbstverständlich zu sein. Das 5. Kapitel des lKor ist als Einheit konzipiert.3 Mit Recht spricht Christian Wolff von einer durch die Verse 26 und 136 zusammengehaltenen »Ringkomposition«. 4 Es legt sich nahe, innerhalb dieses Rahmens nach Hinweisen auf Herkunft und Bedeutung des Satanmotivs zu suchen. Wenn es sich bei Kapitel 5 nicht nur um eine strukturelle, sondern auch um eine thematische Einheit handeln sollte, dann ist zu fragen, ob nicht von den eindeutigen Passagen auch ein Licht auf mit ihnen verwobene und bisher unklare Stellen fällt. Daß die Verse 6-8 an die Exodusüberlieferung anknüpfen, dürfte außer Frage stehen. Umstritten ist jedoch schon die Art und Weise, in der sie es tun. Erich Fascher kommt zu dem Ergebnis, daß man angesichts der Christuserkenntnis »die bisher so ehrwürdigen Passabräuche als >Kehricht< bewerten muß, die beizubehalten geradezu ein Schaden wäre! « 5 Von einer derartigen Polemik ist jedoch bei Paulus in Kapitel 5 nichts zu spüren. Im Gegenteil, sie wäre kontraproduktiv und würde durch die Eröffnung eines theologischen Nebenkriegsschauplatzes von seinem eigentlichen Anliegen ablenken. Der Bezug auf ein allseits bekanntes und allgemein mit positiven Assoziationen verknüpftes biblisch-jüdisches Motiv empfängt seine Überzeugungskraft nicht durch den Gegensatz, sondern ZNT 9 (5. Jg. 2002) Karl-Heinrich Ostmeyer Dr. Karl-Heinrich Ostmeyer, Jahrgang 1967, studierte ev. Theologie und Philosophie in Tübingen und Berlin, außerdem Judaistik, Ivrit und Archäologie in Jerusalem. Anschließend Promotionsstudium an der Humboldt Universität zu Berlin. Promotion 1999. Von 2000 bis 2001 wiss. Mitarbeiter des DFG-Projektes »Gebet« an der Georg-August- Universität zu Göttingen, seit 2000 regelmäßiges Angebot von Übungen zum Neuen Testament. Diverse Veröffentlichungen (www.Ostmeyer.com). Zurzeit arbeitet er an der Fertigstellung seiner Habilitation über die Gebetsterminologie des Neuen Testaments. durch die Parallelisierung. Das Passa in Ägypten wird nicht abgewertet, sondern die christliche Existenz wird von Paulus als ewige Passafeier beschrieben: Das Passa der christlichen Gemeinde wird mit dem als Passaschaf geopferten Christus (V.7b) ohne zeitliche Begrenzung gefeiert (V.8 steht im Präsens). Christen sind bereits hier und jetzt ungesäuerter Teig; Rückkehr zum Sauerteig hieße, zur alten Schlechtigkeit und Unlauterkeit zurückzukehren (V.Sb). Laut Paulus feiern Christen das Passa nicht einmal im Jahr, sondern permanent. 6 »Das ganze Christenleben wird folglich hier von Paulus als Festzeit angesehen.« 7 Auf diesem temporären Aspekt - und nicht auf der Betonung eines qualitativen Unterschiedes liegt in V.7f. der Akzent. Je höher die Wertschätzung des alljährlichen jüdischen Passas ist, desto mehr gewinnt in der Typologie das ewige Christuspassa an Bedeutung. Um zu erfassen, was der Vergleich mit dem jüdischen Passa für das Verständnis seiner christlichen Entsprechung austrägt, ist zu klären, was die hier relevanten Inhalte des Passamahles sind. ZNT 9 (5. Jg. 2002) In den meisten Kommentaren wirkt die Satansübergabe wie ein Monolith. Er scheint nicht zu Paulus und seiner Theologie zu passen. Es ist zu fragen: Wie konnte das Passa und das, was mit ihm verknüpft ist, in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts von Paulus und der Gemeinde in Korinth verstanden werden? Läßt sich der Akt der Übergabe an den Satan traditionsgeschichtlich wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Umwelt des Paulus konkret verorten? 2. Bewahrung oder Sühne? Wenn von Passa die Rede ist, sind sowohl das Urpassa vor dem Auszug aus Ägypten als auch die jedes Jahr wiederholte Feier im Blick. Beides läßt sich nicht trennen, denn die Funktion der Wiederholungsfeier ist die Vergegenwärtigung des Urpassas, oder genauer: die Hineinnahme der Feiernden in das erste Passa in Ägypten. Im Rahmen des alljährlichen Sederabends wird die Bewahrung durch das Blut des Passaschafes in der Nacht, in der die Erstgeborenen Ägyptens getötet wurden, nachempfunden. Und die Geschichte der sich anschließenden Befreiung ist so zu erzählen, als sei man selber dabei gewesen (Ex 13,3.8; mPes X.5). 8 Während es in Ex Gott selbst ist, der die Erstgeburt der Ägypter schlägt, wird in der die Erzählung rezipierenden Literatur die Verantwortung für die Tötung häufig delegiert. Von einem Engel sprechen z.B. MekhY Bo, Parascha 11 Ende und ShemR 17,5 zu 12,23. Melito von Sardes nennt ihn den Würgeengel. Aber das sind Belege aus nach-paulinischer Zeit. Wichtig ist die Frage nach Traditionen, die bereits zu Lebzeiten des Paulus in Umlauf waren und die der Apostel mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit gekannt hat. Schon im Jubiläenbuch, das in Qumran belegt 9 und im zweiten vorchristlichen Jahrhundert entstanden sein dürfte, wird berichtet, daß der Satan und seine Mächte als Beauftragte Gottes das Tötungswerk ausführten und nur die Häuser, in denen das Passa gehalten wurde, verschonten. In Jub 49,2 heißt es: »Denn in dieser Nacht saßet ihr, daß ihr das Passah in Ägypten aßet. Und alle Mächte Mastemas waren geschickt, daß sie jede Erstgeburt im Lande Ägypten töteten«. 10 Daß es sich bei Mastema um den Satan handelt, geht u. a. aus der Gleichsetzung beider in Jub 10,8 und 11 39 hervor. Mastema als Satansbezeichnung wird aus Hos 9,7f. abgeleitet. 11 Hier ist also der Satan im Passa-Kontext. Daß eine Anschauung zu Pauli Zeiten existierte, bedeutet noch nicht automatisch, daß Paulus sie gekannt und rezipiert hat. Im Falle des Jubiläenbuches sind wir allerdings in einer guten Position. Paulus ist der einzige neutestamentliche Autor, der das Jubiläenbuch zitiert oder darauf anspielt; und das gleich an drei verschiedenen Stellen. 12 Satan und Passa sind also durchaus kompatibel; das beantwortet aber noch nicht die Frage, was es mit der Satansübergabe konkret auf sich hat. Das durch seine Position im Zentrum des 5. Kapitels des lKor und seine prägnante Formulierung besonders hervorgehobene Wort von dem geopferten Christus (V.76) macht deutlich, worauf der Schwerpunkt des Passavergleichs liegt: auf der Parallelität von geschlachtetem Schaf und geopfertem Christus. Da es in lKor 5 nicht um eine Deutung des jüdischen Passatieres, sondern umgekehrt um eine inhaltliche Füllung des christlichen Passas durch Rückgriff auf das jüdische Vorbild geht, muß als Ausgangspunkt die Funktion des Urpassas in Ägypten genommen werden. Die Einheit von einmaligem Ereignis und Gegenwärtigkeit des Geschehens im jüdischen Ritus begegnet wieder in der Bezeichnung des einmalig geopferten Christus als Passaschaf (V. 76 steht im Aorist) und in der fortdauernden Feier dieses Passas durch die Christen (in V.Sa wird Präsens gebraucht). 13 Laut Ex 12,13-30 wurde von jeder Hausgemeinschaft das Blut eines Schafes an die Türrahmen gestrichen. Dieses Blut diente dem, der in der Nacht vor dem Auszug alle ägyptischen Erstgeborenen tötete, als Signal, an den so bezeichneten Häusern vorüberzugehen. Das Passaschaf hatte also primär die Funktion, die Hausgemeinschaft vor dem Zugriff des tötenden Herrn oder, wie es in einigen späteren jüdischen und christlichen Traditionen heißen kann, vor dem Engel des Todes, dem Würgeengel 14 oder dem Satan (Jub 49,2) zu schützen und zu bewahren. Weder mit dem Blut noch mit dem in der Todesnacht vollständig zu verzehrenden Fleisch des Schafes war ursprünglich der Gedanke der Sühne verknüpft. In christlichem Kontext trug erst die Gleichsetzung des Passaschafes mit Christus als dem sündentragenden Lamm bei zur Übertragung des Sühnegedankens auf das Passagesche- 40 hen. 15 Sowohl im hebräischen Text als auch in der Septuaginta ist im Kontext der Passanacht von Schafen, nicht aber von Lämmern die Rede. Melito von Sardes war ein Verständnis des Passas als eines primär bewahrenden Geschehens noch präsent. In seiner polemisch-antijüdischen Osterpredigt erklärt er, der Würgeengel habe im Blut des Schafes das Blut Christi gesehen, sei davor zurückgeschreckt und habe deshalb die bestrichenen Häuser nicht heimgesucht(§ 31-34). Im fünften Kapitel des lKor jedenfalls steht die Sühne nicht im Mittelpunkt. Der Sühnetod am Kreuz ist die Basis dafür, daß Christen überhaupt das Christus-Passa feiern und als ungesäuerter Teig bezeichnet werden können. Sühne ist der Hintergrund des Bildes, aber nicht sein Inhalt. 16 Die Gemeindeglieder werden aufgefordert, als neuer Teig zu leben, denn sie sind bereits ungesäuerter Teig (V.7a). Das heißt, sie sollen so handeln, wie es ihrem neuen, durch Christi Tod erwirkten und in der Taufe vermittelten Sein entspricht. In der Parallelisierung von Exodus-Passa und Christus-Passa in lKor 5 liegt der Akzent nicht auf Sühnung, sondern auf der Bewahrung des durch den Sühnetod ermöglichten neuen Seins, das durch die Vorgänge in der Gemeinde gefährdet wird. Wenn Christus das bewahrende Passaschaf ist, stellt sich die Frage, wovor die als ungesäuerter Teig charakterisierte christliche Gemeinde in Analogie zu den israelitischen Passagemeinschaften in Ägypten geschützt werden muß und welcher Zusammenhang mit dem Unzüchtigen besteht. 3. Die Motive »innen« und »außen« Das 5. Kapitel des lKor ist bestimmt durch den Gegensatz von Heils- und Unheilsbereich, von innen und außen: 17 Der Unzüchtige soll aus der Mitte der Gemeinde entfernt werden (V.26.136); der Sauerteig soll ausgekehrt werden (V.7a); innen, d.h. dort, wo gefeiert wird, ist nur Platz für neuen Teig (V.6-8); Aufgabe der Gemeinde ist es, ihren Bereich in Ordnung zu halten, über diejenigen draußen wird Gott richten (V.12f.). Der Unzüchtige hat sich durch sein Verhalten als der Außenwelt zugehörig erwiesen. Er ist Sauerteig (V.6b.7a) und hat als solcher in der Gemeinde aus ungesäuertem Teig nichts zu suchen. Er muß dorthin befördert werden, wo er hingehört: nach draußen ZNT 9 (5. Jg. 2002) (V.2b.13b). Seine »fleischlichen« Taten stehen im Widerspruch zu seiner neuen Existenz in Christus (vgl. Röm 8,13). Paulus versteht unter sarx (Fleisch) nicht den sterblichen Leib des Menschen im Gegensatz zu seiner Seele, sondern sarx ist der nicht durch Christus bestimmte alte Mensch samt den Taten, die dem alten Menschen entsprechen. Pneuma (Geist) dagegen steht für den neuen Menschen (aus Leib und Seele), der Christus angehört. 18 Ein neuer, »pneumatischer«Mensch 19 mit »fleischlichen« Taten wäre wie ungesäuerter Teig, der mit Sauerteig gemischt ist. Die einzige Möglichkeit, die vollständige Durchsäuerung zu verhindern, ist die Vernichtung der sarx. 20 Dazu wird der Unzüchtige dem Einflußbereich des Satans überstellt, worin »fleischliche« Taten ihren angestammten Platz haben. Mit seiner Terminologie (»eis 6lethron täs sark6s«; zur Vernichtung des Fleisches; V.Sa) bewegt sich Paulus innerhalb des durch die Passamotivik vorgegebenen Rahmens: Nach Septuaginta Ex 12,15 soll derjenige ausgerottet werden (»ex-olethr-euthäsetai«), der in der Passazeit Gesäuertes ißt. Wird die motivisch-sprachliche Parallele zu Septuaginta Ex 12,15 nicht erkannt, erscheint der Gebrauch des Wortes »6lethros« (Vernichtung) in lKor Sa unmotiviert. 21 Mit dem Motiv des auszukehrenden Sauerteiges, nach dem gemäß jüdischer Tradition am Tag vor der Sederfeier alle Räume mit Akribie durchsucht werden (Ex 12,15), und durch die Rede von »innen« und »außen« zeichnet Paulus das Bild eines Hauses, in dem sich die Gemeinde versammelt hat, um ihr christliches Passa zu feiern. Da die von Paulus beschriebene christliche Passafeier zeitlich unbegrenzt währt, lebt die christliche Gemeinde in einer fortdauernden Sedernacht. Christus als das bewahrende Passaschaf ist dauernd gegenwärtig, entsprechend kann die Zeit der ungesäuerten Brote kein Ende haben, denn Ungesäuertes und Passa bilden eine Einheit. 22 Wenn jedoch nur innen durch Christus das Heil vermittelt und die Gemeinde durch ihn bewahrt wird, dann beginnt außerhalb des geschützten Raumes der Bereich des Unheils. 23 Wie in der ägyptischen Nacht allein die Häuser, die durch das Blut des Schafes kenntlich gemacht waren, Sicherheit boten, während draußen der Würgeengel wütete, so beginnt außerhalb des durch Christus bewahrten Bereichs der Machtbereich des Satans. ZNT 9 (5. Jg. 2002) Karl-Heinrich Ostmeyer Satan und Passa in 1. Kor 5 Ebenso wie das Christuspassa unbegrenzt anhält, dauert auch die außen lauernde Bedrohung bis zur endgültigen Überwindung des Satans an. Ein gefahrloser Wandel zwischen den Welten ist nicht denkbar. Zwar darf ein Christ Kontakte nach außen haben, sie lassen sich, solange der alte Äon Bestand hat, nicht vermeiden (V.9f.). Doch ein Hereinholen des Außenbereiches ist ausgeschlossen, und sein Eindringen ist mit allen Mitteln zu verhindern. Wie Sauerteig alles durchsäuert, so würden geringste Mengen von dem, was der Welt draußen angehört, die gesamte Innenwelt nach und nach durchsäuern und in Außenwelt verwandeln (V.6b). Die Lösung kann nur in der radikalen Entfernung alles dessen aus der Gemeinde bestehen, was in seinem Wesen dem, was außen ist, gleicht. Dem Satan ist das zu übergeben, was des Satans ist, damit das, was Gottes ist, nicht gefährdet wird. 24 4. Das Heil des Unzüchtigen Der Schutz der Gemeinde vor Kontamination von außen ist die eine Sorge des Paulus. Eine andere gilt dem Betroffenen selbst. 25 Paulus spricht nicht von Bestrafung. Idealziel der Übergabe an den Satan ist die Rettung des Geistes des Unzüchtigen am Tag des Herrn. Auf sein pneuma hat der Satan keinen unmittelbaren Zugriff, denn durch die Taufe, die bei einem Gemeindeglied vorausgesetzt werden kann, ist der Betroffene Christus übereignet worden. Er ist dabei zu ungesäuertem Teig geworden (V.7a), und das behält Gültigkeit, auch wenn er nicht entsprechend seinem neuen Wesen handelt. 26 Jedoch muß das pneuma des Unzüchtigen akut durch den Sauerteig seiner Taten gefährdet sein, sonst wäre es nicht erforderlich gewesen, zu der drakonischen Maßnahme der Satansübergabe als letztem Mittel der Rettung zu greifen. Sowohl die Taten als auch das Wesen der Gläubigen bezeichnet Paulus in V.7a als neuen bzw. als ungesäuerten Teig. Wenn er davon spricht, daß nur wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert (V.6), so bedeutet das, daß der durch den Unzüchtigen eingeschleuste Sauerteig nicht nur ansteckend auf das allgemeine Verhalten der Gemeindeglieder wirkt, sondern daß ihm auch zerstörerische Auswirkungen auf ihre pneumata zugeschrieben werden. 41 Wäre die Ausstoßung nicht erfolgt, hätte der Satan über den Sauerteig der Taten einen Angriffspunkt erhalten, um sich des Pneumas des Unzüchtigen zu bemächtigen, und damit wären auf Dauer auch die pneumata der anderen Gemeindeglieder gefährdet worden. Anscheinend vermochte nur die Exkommunikation den Mann zur Besinnung zu bringen, so daß Paulus erklären konnte, die Auslieferung des Fleisches an den Satan diene der Rettung des Geistes am Tage des Gerichts.27 Für Paulus gilt zweierlei: Das schlechte Handeln gefährdet einerseits das neue Sein des sündigen Gemeindegliedes, andererseits ist der Mensch noch nicht unrettbar verloren, sonst könnte die Übergabe an den Satan zum Verderben der sarx kaum als Instrument der pneuma-Bewahrung am Tag des Herrn deklariert werden. Daß Paulus sich die Konsequenzen verfehlten Verhaltens bei Christen ganz handgreiflich und irdisch vorstellt, zeigt 1Kor 11,29f., wo er vermehrte Krankheits- und Todesfälle in der Gemeinde auf Abendmahlsmißbrauch zurückführt. 28 Es wurde vielfach vermutet, daß Paulus bei der Satansübergabe den physischen Tod als Mittel zur Rettung des Unzüchtigen vor Augen hat. 29 Jedoch ist der Tod eines Menschen zur Sühne seiner Sünden nicht mit der Theologie des Paulus in Einklang zu bringen. 30 Einziges Sühnemittel für Paulus ist der Heilstod Christi. 31 Wenn dem Unzüchtigen aufgrund seiner Taten das Gericht zum Tode droht, dann wird ihn nicht sein physischer Tod, sondern nur ein Akt der Umkehr und Buße retten. Christian Wolff erklärt: »Einern unbußfertig gestorbenen schweren Sünder wird Paulus aber kaum die Bewahrung vor dem Verderben zubilligen«. 32 Nur Leben eröffnet die Chance zur Umkehr und damit zur Rettung des Geistes am Tage des Herrn. 33 5. Exkommunikation und Satansübergabe Wie aber hat man sich die Übergabe an den Satan vorzustellen? Als unwahrscheinlich wird nicht selten bezeichnet, daß es sich bei der Übergabe an den Satan um eine »bloße« Exkommunikation handeln könne. 34 Dabei ist Folgendes zu bedenken: Wenn die Gemeinde der Christen der Bereich ist, in dem Christus heilsam und bewahrend 42 präsent ist, und die Gemeinde der Außenwelt gegenübergestellt wird, dann ist Christus in dem äußeren Bereich nicht oder zumindest nicht in derselben Weise gegenwärtig wie im inneren. Wenn darüber hinaus gilt, daß es einen Unheilsbereich gibt, in dem der Satan herrschen darf, dann zählt dazu die gesamte nicht Christus zugehörige Welt. Diesen Dualismus beschreibt Paulus mit seinem Bild von der Passanacht in 1Kor 5. Übergabe an den Satan ist deshalb gleichzusetzen mit Entfernung aus der Passagemeinde, 35 denn sobald ein Mensch die schützende Sphäre Christi verläßt, befindet er sich im Machtbereich des Satans, 36 dem als potentiellen Zerstörer der Gemeinden 37 ein besonderes Interesse an gefallenen Christen unterstellt werden darf. Ist ein Akt der Exkommunikation angesichts der Schwere des Falles und des Ernstes, mit dem Paulus sich seiner annimmt, tatsächlich zu harmlos? Bei der Behandlung dieser Frage ist zu berücksichtigen, daß für einen gläubig gewordenen Christen der ersten Generation die Entscheidung, sich taufen zu lassen, einen bewußten Bruch mit seiner Umwelt und häufig wohl auch eine Beendigung alter Beziehungen bedeutete. 38 Ein Heide wurde um die Mitte des ersten Jahrhunderts deshalb Christ, weil er der Überzeugung war, daß allein in Christus Heil ist, und daß ihn außerhalb der Christusgemeinde nicht nur kein Heil, sondern nichts als Verderben erwartet und daß es letztlich neben der Zugehörigkeit zu Christus und dem Ausgeliefertsein an Satan keinen dritten Weg gibt. 39 Wer sich im Gegenüber zum Rest der Welt sieht und wer Welt und Gemeinde hauptsächlich in den Kategorien von innen und außen begreift, für den stehen die Größe des Heils und das Ausmaß des Verderbens in einem Entsprechungsverhältnis: Je deutlicher die Dimensionen des Heils zu Bewußtsein dringen, desto klarer wird zugleich der Umfang der Bedrohung, vor der man sich bewahrt weiß. Nur weil Paulus voraussetzt, daß auch die Heidenchristen in Korinth mit dem göttlichen Wirken in der Geschichte und folglich auch mit den konstitutiven Heilsereignissen des Pentateuchs vertraut gemacht wurden, ist es ihm möglich, mit dem Passa in 1Kor 5 oder dem Schilfmeerdurchzug in 1Kor 10 zu argumentieren. Er geht davon aus, daß das bestimmende Lebensgefühl des kleinen Kreises der Gläubigen in Korinth um ZNT 9 (5.Jg. 2002) die Mitte des ersten Jahrhunderts das der Sedernacht ist: Die Gegenwart Christi vermittelt, wie das an die Türpfosten gestrichene Blut des Passaschafes, ein Gefühl der Geborgenheit. Solange man selbst Teil der Gemeinschaft ist, kann einem keine Bedrohung von außen etwas anhaben. Während draußen der Würgeengel nach Opfern sucht, ist man innen in Sicherheit. Die Gewißheit, der Sphäre des Heils anzugehören, konnte leicht umschlagen in eine sektiererische Abschottung von der Welt auf der einen (vgl. V.9f.) oder in eine überhebliche Heilssicherheit auf der anderen Seite. Der letztgenannten Gefahr, der Aufgeblasenheit, wie Paulus es nennt (V.2; vgl. 4,8.18f.), scheinen der Unzüchtige und die Korinther, die sein Verhalten bagatellisiert haben, erlegen zu sein. Sie vertreten die Auffassung, daß ihnen, solange sie mit Christus verbunden sind, nichts geschehen kann. Der Hinauswurf aus der Gemeinde bedeutet Trennung von Christus als dem vor der Heillosigkeit bewahrenden Passa. Der Exkommunizierte verliert alles, worauf sich seine Heilsgewißheit gestützt hat. Aus der Geborgenheit der vor dem Zugriff des Satans gesicherten und sichernden Gemeinde wird er ausgestoßen. Draußen findet der Ausgestoßene keine Heimat mehr. Durch die Taufe hat er sich von seinem heidnischen Umfeld losgesagt, ein Zurück dorthin dürfte ihm schwerlich möglich sein. 40 Der Ausgestoßene kann nicht einfach, als sei nichts geschehen, an sein altes Leben in der heidnischen Welt anknüpfen, denn er hat zwar gesündigt, jedoch sich weder willentlich von Christus getrennt, noch die Notwendigkeit der Rettung und Bewahrung durch ihn geleugnet. Christi Schutz ist ihm nun entzogen. Der, der auf den Namen des Herrn getauft worden ist (vgl. lKor 1,13), wird im Namen desselben Herrn dem Satan übergeben. 41 Der Ausgestoßene weiß im Gegensatz zu den anderen Menschen der Außenwelt um deren Verlorenheit, steht aber mit diesem Wissen allein da. 42 Um im Bilde zu bleiben: Er kennt die Gefahr auf den nächtlichen Straßen Ägyptens und weiß gleichzeitig, daß er ihr nicht entrinnen kann. 6. Das Ziel der Exkommunikation Eine schlimmere Sanktion als die der Exkommunikation ist nicht denkbar. 43 Paulus dürfte mit ZNT 9 (5. Jg. 2002) Recht davon ausgehen, daß ein Mensch, bei dem nicht ohnehin schon alles verloren ist, die Situation des Abgetrenntseins von der Gemeinde, schutzlos im Machtbereich des Satans, nicht lange ertragen kann. 44 Selbst wenn der Unzüchtige meinen sollte, daß der Satan keine Macht über sein pneuma hat, solange er sich nicht bewußt von Christus lossagt, dem er in der Taufe übereignet wurde, 45 wird er außerhalb der Gemeinde keinen Frieden finden. Sollte aber, womit Paulus wohl nicht gerechnet hat, der Ausgestoßene wieder zu seinem heidnischen Leben zurückkehren und damit Christus offen abschwören, dürfte ihm schwerlich die Rettung seines Geistes am Tag des Herrn zugestanden worden sein (vgl. lKor 6.9f.). Josephus berichtet von exkommunizierten Essenern, die außerhalb der Gemeinde nicht überleben konnten; 46 sie starben, ohne daß es dazu einer über die Ausstoßung hinausgehenden Handlung der Gemeinde bedurfte; sie gingen ein wie Pflanzen, denen der Wurzelgrund entzogen wurde. Die Anordnung des Paulus in 1Kor 5,4f. zielte darauf, den Unzüchtigen zur Abkehr von seinem bisherigen Wandel zu veranlassen und ihn als Reumütigen wieder in die Gemeinde aufzunehmen. 47 Was hat ein aufrichtig bußfertiger Christ im Machtbereich des Satans zu suchen? Mehr als echte Umkehr kann zur Rettung des Geistes am Tag des Herrn nicht geleistet werden. Die Aufgabe des Satans ist erfüllt, der Würgeengel hat keinen Anspruch mehr auf den Menschen, wenn keine Taten des Fleisches (vgl. Röm 8,12f.) und des alten Teiges mehr vollbracht werden. Der Büßer kann wieder eingelassen werden in das Innere des durch das Blut Christi (V.7b) geschützten Raumes. Seine Taten stehen nicht mehr im Widerspruch zu seinem Sein, dem ungesäuerten Teig (V.7a); der Sauerteig des sündigen Handelns bleibt draußen. 48 Bei dem Satan handelt es sich nicht um eine unabhängige oder gleichstarke Gegenmacht (vgl. Hiob; 2Kor 12,7). Er verfügt allein über den Spielraum, der ihm von Gott oder Christus eingeräumt wird. 49 Wie in einigen jüdischen Traditionen der Würgeengel Strafinstrument Gottes war, dessen Wirkungsbereich an den mit dem Blut des Passaschafes bestrichenen Türen der Feiernden endete, so ist der Zugriff des Satans in lKor 5 begrenzt auf die, die nicht zur Christusgemeinde gehören oder die aufgrund ihres Verhaltens für die Gemeinde untragbar geworden sind. 43 7. Resümee 1Kor 5 bietet einen geschlossenen motivischen Gesamtentwurf. Alle Einzelelemente sind der Passathematik zuzuordnen. Nicht nur die Verse 6-8 zählen zum Passamotivkreis, sondern auch der Satan in Vers 5 und die durchgängige Betonung von innen und außen. Die dauerhafte Grundsituation der christlichen Gemeinde ist die der Passanacht in Ägypten, in der nur die mit dem Blut des Passaschafes markierten Häuser der Israeliten verschont blieben. Während die innen feiernden Christen durch den geopferten Christus als Passaschaf geschützt sind, treibt draußen der Satan sein Wesen. Wer zu Christus gehört, ist ungesäuerter Teig. Die Taten der Welt stehen im Widerspruch zum neuen Teig, sie sind wie Sauerteig. Ein Christ, der sie vollbringt, vermischt den ungesäuerten Teig seines neuen Wesens mit dem Sauerteig seiner Taten. Es besteht die Gefahr, daß nicht nur er, sondern auch die gesamte Gemeinde durchsäuert wird und daß das Innere der Gemeinde in das Äußere der Welt verwandelt wird. Zur Rettung der Gemeinde muß der Unzüchtige aus der Passagemeinde entfernt und »in die ägyptische Nacht«, d.h. in den Zugriffsbereich des Satans, hinausgeworfen werden. Wie der Verderber der Passaerzählung, der schon im Jubiläenbuch mit dem Satan gleichgesetzt wird (Jub 49,2), steht auch der Satan in lKor 5,5 im Dienste des Herrn. Das pneuma des Christen bleibt ihm vorenthalten. Ihm ist es ausschließlich erlaubt, sich an dessen Fleisch zu vergreifen. Vernichtung der sarx bedeutet, daß alles, was der alten fleischlichen Existenz, nicht aber dem neuen Sein in Christus gemäß ist, eliminiert wird (vgl. Röm 8,13). Das Ausgeliefertsein an den Satan dürfte für einen Christen der ersten Generation, der sich kurz zuvor noch durch die Gemeinschaft mit Christus vor aller Gefahr bewahrt wußte, unerträglich gewesen sein. Reumütige Umkehr, um wieder in die Passagemeinde drinnen aufgenommen zu werden und dem Satansbereich draußen zu entkommen, ist das der Passamotivik entsprechende Ziel der Exkommunikation. Anmerkungen 1 Für hilfreiche Hinweise danke ich Herrn Prof. Dr. Christian Wolff. 44 2 G. Deluz, A Companion to I Corinthians, edited and translated by G.E. Watt, London 1963, 53: »On the authority of such a text, the Inquisition burned thousands of heretics«; vgl. W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. lKor 1,1-6,11 (EKK VII/ 1), Zürich/ Braunschweig/ Neukirchen-Vluyn 1991, 396. 3 Vgl. Schrage, Korinther, 366. 4 C. Wolff, Der erste Brief an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 1996, 99. 5 E. Fascher, Der erste Brief des Paulus an die Korinther. Erster Teil: Einführung und Auslegung der Kapitel 1-7 (ThHK 7/ 1), Berlin (Ost) 4 1988, 163. 6 Die Mahnung, das Passa andauernd und ohne jeden Rest von Sauerteig zu halten, erinnert an die Aufforderung in lPetr 2,2, ununterbrochen begierig zu sein nach der unverfälschten Milch des Evangeliums. 7 Schrage, Korinther, 384; vgl. A. Robertson/ A. Plummer, A Critical and Exegetical Commentary on the first Epistle of St Paul to the Corinthians (ICC), second Edition; Edinburgh, latest Reprint 1963, 103. 8 G. Stemberger, Pesachhaggada und Abendmahlsberichte des Neuen Testaments, in: ders., Studien zum rabbinischen Judentum (SBAB 10), Stuttgart 1990, 369, zeigt, daß sich die Passahaggada in ihrer tradierten Form nicht in vormischnische Zeit zurückführen läßt; für das ihr zugrundeliegende Geschichtsverständnis jedoch gilt: »Die Vorstellung einer die Zeiten übergreifenden Aneignung der Heilsgeschichte durch jeden einzelnen geht sicher in biblische Zeit zurück«, ebd. Vgl. die grundsätzlichen Bemerkungen zur Gegenwärtigsetzung von Heilsgeschichte im Festritus bei 0. Casel, Art und Sinn der ältesten Osterfeier,JLW 14 (1938), 1-78, hier: 47. • Vgl. 1Q17f. Jubilees; CD 16,3. 10 Zitiert nach K. Berger, Das Buch der Jubiläen (JSHRZ II/ 3), Gütersloh 1981, 379f. 11 Vgl. a.a.O., Anm. 8. 12 Röm 2,29/ Jub 1,23; Röm 4,13/ Jub 19,2lff.; Röm 9,24/ Jub 2,19; zu erwägen ist, ob nicht auch Gai 3,19 mit der Vorstellung, daß das Gesetz von Engeln verordnet wurde, auf Jub zurückgeht. 13 Vgl. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 4 1967, 54: »Das Thema dieser urchristlichen Passaandacht [in lKor 5.76-8] lautet: am Karfreitag hat das große Passafest begonnen. Darum heißt Christsein: im Passa leben«. 14 So Melito von Sardes in seiner Osterpredigt (§ 22); zitiert nach B. Lohse (Hg.), Die Passa-Homilie des Bischofs Meliton von Sardes (TMUA XXIV), Leiden 1958. 15 Joh 1,29.36; vgl. Jes 53,7; lPetr 1,19. 16 Vgl. H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), 2. überarb. u. erg. Aufl. dieser Auslegung, Göttingen 12 1981, 126: »Die Heiligkeit ist nicht Ziel, sondern Voraussetzung des Verhaltens.« 17 NachJ. Behm, ThWNT II (Nachdruck von 1935; 1960), 696, bezeichnet ,die drinnen, in lKor 5,12 »die Christen [Kursiv im Original] im Gegensatz zu ihrer heidnischen Umgebung[... ]ein aus dem Gegensatz heraus ZNT 9 (5. Jg. 2002) geprägter Ausdruck, der das Bewußtsein des Paulus von der[ ... Ekklesia] als einer in sich geschlossenen, von den übrigen Menschen abgesonderten neuen Gemeinschaft (vgl 1K 10,32) widerspiegelt.« 18 J.T. South, A Critique of the »Curse/ Death« Interpretation of 1 Corinthians 5.1-8, NTS 39 (1993), 539-561, hier: 552: »In such passages as Rom 8.5-17 and Gai 5.16-24, [... sarx] and [... pneuma] denote not two coexistingparts [kurs. im Orig.] of the individual, but a contrast of tendencies and loyalties which compete for dominance as powers within each person«; vgl. J. Cambier, La chair et l'esprit en I Cor. V. 5, NTS 15 (1968/ 69), 221-232, hier: 228; Schrage, Korinther, 377. 19 Cambier, La chair, 228: »Etre spirituel est la situation chretienne, fruit de la foi au Christ«. 20 South, Critique, 545: »The ,f! esh, tobe destroyed is thus not his physical body but his fleshly lusts. By putting the f! esh to death (Rom 8.13; Gai 5.24; Col 3.5), the offender's spiritwould be saved ,in the day of the Lord«<; vgl. Robertson/ Plummer, Commentary, 99; Gordon D. Fee, The First Episde to the Corinthians (NIC), Grand Rapids (Mich.) 1987, 212. 21 Vgl. Fee, Epistle, 211. 22 Vgl. Wolff, Brief, 107: »Paulus will[ ...] zur grundsätzlichen Verwirklichung des christlichen Lebens aufrufen: ,Seit dem Tode Christi leben wir stets im Passafest als das befreite Gottesvolk, das seine Erlösung feiert; daher darf es keinen ,Sauerteig, mehr bei uns geben! «< 23 Vgl. G. Harris, The Beginnings of Church Discipline: 1 Corinthians 5, NTS 37 (1991), 1-21, hier: 16: »Paul [...] may be referring to two realms that of Christ and that of Satan, the spheres of life and of death«. 24 Robertson/ Plummer, Commentary, 99: »[The] offender is sent back to his domain«. 25 Vgl. a.a.O., 100, Anm. 1. 26 Vgl. E. Käsemann, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testament, NTS 1 (1954/ 55), 248-260; wiederabgedruckt in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. II, Göttingen 2 1965, 69-82, hier: 74: »Die Gemeinde [...] kann das Geschehen der Taufe nicht annullieren und das Recht des Herrn auf den in der Taufe von ihm Beschlagnahmten [...] nicht einschränken.« 27 Vgl. Robertson/ Plummer, Commentary, 100. 28 Vgl. L. Morris, The first Epistle of Paul to the Corinthians (TNTC), London 1956, reprinted 1964, 88. 29 Conzelmann, Brief, 125: »Das Verderben des Fleisches kann kaum etwas anderes meinen als den Tod«; vgl. South, Critique, 544: »The general consensus is that [... 6lethros] is simply too strong a word to denote anything less than physical death«, South widerspricht zu Recht dem von ihm diagnostizierten Konsens. 30 Vgl. die überzeugende Erörterung der Problematik bei Wolff, Brief, 104f. 31 Vgl. South, Critique, 56-58; Fee, Epistle, 210. 32 Wolff, Brief, 105. 33 Vgl. Deluz, Companion, 58; M.E. Thrall, The first and second Letters of Paul to the Corinthians (CNEB), Cambridge 1965, 40; gegen Pascher, Paulus, 166-168. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 34 Conzelmann, Brief, 125; vgl. Wolff, Brief, 104. 35 Deluz, Companion, 57: »Delivery into the hands of Satan is the logical result of being excluded from the Church. Calvin puts this verywell. ,Just as Christ reigns in the Church, so Satan reigns outside it. Whoever is driven out of the Church is necessarily put into Satan's power in that he becomes alien to the rule of God.«< 36 Schrage, Korinther, 375: »Wer aus der Gemeinde ausgeschlossen wird, gerät wieder unter die Gewalt der verderbenbringenden Mächte«; vgl. Morris, Epist! e, 88; Thrall, Letters, 40; C.K. Barrett, A Commentary on the First Epistle to the Corinthians (BNTC), London 1968, 126; Fee, Episde 209f. 37 Vgl. Wolff, Brief, 103. 38 Harris, Beginnings, 16: »The Corinthian Christians had only recendy taken the risk of joining a movement on the fringes of society. In most cases this would have meant alienation from their former social world.« 39 Die Differenzierung zwischen Exkommunikation und Preisgabe an den Satan erweist sich als unnötig: Gemeindeausschluß ist notwendig Überstellung an den Satan, und Übergabe an den Teufel kann nur als Entfernung aus der Gemeinde gedacht werden; vgl. F. Lang, Die Briefe an die Korinther (NTD 7), Göttingen, Zürich 16 1986, 72; dagegen Wolff, Brief, 103f. 40 Harris, Beginnings, 17: »A person expelled from the new community would find himself in a nether world, for it would be difficult if not impossible to return to one's pre-Christian life.« 41 Vgl. Wolff, Brief, 102: »Die Wendung ,im Namen des Herrn Jesus< gehört wohl zu [... paradoünai] (V.Sa) und wurde von ihrem Beziehungswort durch den eingefügten ausführlichen Genitivus absolutus getrennt«; vgl. Lang, Briefe, 71. 42 South, Critique, 561: »The sense of loss would of necessity be overwhelming.« 43 Harris, Beginnings, 16: »Expulsion is an extremely severe penalty in a voluntary group«. 44 South, Critique, 545: Übergabe an den Satan »meant putting him outside the sphere of God's protection within the church and leaving him exposed to the Satanic forces of evil in hopes that the experience would cause him to repent and return to the fellowship of the church«; Fee, Episde, 213: »Paul does not intend that he must wait until the final Day to be saved«. 45 Vgl. Schrage, Korinther, 378. 46 Josephus Bell II§ 143f.; vgl.: IQS VII,1-25; VIII,21-IX.1; CDXX,1-13. 47 South, Critique, 559: »The aim of such complete avoidance was to bring the offender to repentance and restoration to the body of the community«; vgl. Cambier, La chair, 232. 48 Mit Recht erklärt Cambier, La chair, 230: »L'excommunication vise le salut de toute la personne du pecheur«, d.h. des »pneumatischen« Christen, dessen »sarkische« Taten vernichtet wurden (vgl. Röm 8,13). 49 South, Critique, 560: »Satan is never portrayed as working independenrly of God's general supervision«. 45 Stefan Alkier Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? - Eine Einführung zur Kontroverse Kurt Erlemann versus Lukas Bormann Als die Welt nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 allmählich aus dem ersten Schock erwachte, wurden nicht nur Fragen nach mangelnden Sicherheitsvorkehrungen oder möglichen Strafmaßnahmen laut, sondern auch theologische Fragen wie: »Wie konnte Gott das zulassen? «, »waren das Zeichen des Gerichts? « oder: »Gibt es überhaupt einen Gott? « Diese Fragen, wir kennen sie aus vielen Katastrophen und Leidsituationen, sind so alt wie der Glaube an einen guten Gott. Die Theodizeefrage, die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Geschichtsmächtigkeit angesichts erfahrenen Unrechts und menschlicher Ohnmacht, steht in Spannung zur vertrauten Rede vom »lieben Gott«, der uns beschützt, der alles gut werden lässt, dem wir uns anvertrauen können. Der kuschelige Vatergott oder Jesus, der einfühlsame Mann und Bruder, werden uns in unzähligen Predigten tröstend vor Augen gestellt. Es ist ja auch wichtig, ein Urvertrauen in den Gott zu haben, der das Gute für uns Menschen will und es am Ende auch durchsetzen wird. Und doch gibt es auch Facetten des Gottesbildes, die eher Angst, ja sogar krank machen können, wie Hanna Wolff oder Tilmann Moser eindrücklich schildern. 1 Gemeint ist die Rede vom zornigen, rächenden und gar nicht »lieben Gott«, der alle Menschen am Ende vor Gericht ziehen und, wenn nicht verurteilen, so doch beurteilen wirddem Gott, dessen Zorn wir, so der Römerbrief, eigentlich gar nicht Byung-Mo Kirn Die paulinische Kollekte Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 38, 2002, 220 Seiten, € 44,-/ SFr 72,80 ISBN 3- 7720-2830-6 In seiner Arbeit untersucht Kirn das Wesen der Kollekte, die die paulinischen Heidenchristen in Galatien, Kleinasien, Makedoentkommen können. »Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« der Satz aus Hebr 10 fasst diese dunkle, nicht greifbare und Angst einflößende Seite Gottes zusammen. Und das alles im Neuen Testament, nicht etwa im Alten. 2 Spätestens bei der Predigt- oder Unterrichtsvorbereitung zum Thema liegt die Frage auf dem Tisch, ob vom zornigen Richtergott eher zu sprechen oder eben zu schweigen ist. Haben wir es hier mit archaischen, vorchristlichen, eigentlich überholten Vorstellungen zu tun? Oder gehören diese Züge zum christlichen Bild vom liebenden, barmherzigen Vater- oder Muttergott dazu? Kurt Erlemann und Lukas Bormann gehen in der folgenden Kontroverse diesen Fragen exegetisch und hermeneutisch mit unterschiedlichen Standpunkten nach. Anmerkungen 1 H. Wolff, Neuer Wein, alte Schläuche, Stuttgart 1981; T. Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt/ Main 1976; weiter W. Simonis, Jesus von Nazareth. Seine Botschaft vom Reich Gottes und der Glaube der Urgemeinde, Löwen 1989; K. Herbst, Der wirkliche Jesus. Das total andere Gottesbild, Olten 1988. 2 In Offb 6,9-11 wird mit einem Gott der Rache gerechnet, Johannes der Täufer warnt seine Landsleute vor dem vernichtenden Urteil des Gottes Israels (Mt 3,7-10). nien und Achaja für die armen Judenchristen in Jerusalem durchgeführt haben. War diese eine Art kirchliche Steuer, ein Ausdruck christlicher Liebe, eine eschatologische Demonstration oder ein Almosen? Zur Beantwortung dieser Fragen unternimmt Kirn sowohl eine exegetische Untersuchung von 2 Kor 8f. als auch eine historische Untersuchung der Kollektenvereinbarung auf dem sog. Apostelkonzil in Gal 2,1-10. A. Francke Verlag· Tübingen und Basel· Postf. 2560 · D-72015 Tübingen· Fax (07071/ 75288) 46 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Kurt Erlemann Das »letzte Gericht« ein erledigtes Mythologumenon? Gericht und Zorn Gottes gehören nicht zu den Lieblingsthemen der Exegese gerade die protestantische Exegese kann diesem biblischen Komplex der Rede vom Gericht oder vom Zorn Gottes nicht viel abgewinnen. So verwundert es auch nicht, dass in der Forschungsgeschichte der Gerichtsaspekt der Verkündigung zumeist verdrängt und als nicht auf Jesus zurückzuführen eingestuft wurde. 1 1. Die Rede vom Endgericht im Neuen Testament 1.1 Texte, Bildfeld, Endzeitszenario Die Rede vom zornigen und richtenden Gott findet sich expressis verbis oder zumindest in Andeutungen im ganzen Neuen Testament. Im allgemeinen wird mit ihrer Hilfe der Zusammenhang zwischen menschlichem Fehlverhalten und dessen Folgen aufgezeigt. 2 Detailliertere Auskünfte über das Gerichtsszenario geben Mt 25,31-46 und Offb 4. An diesen Texten eines Richterkollegiums, dem der erhöhte Christus oder Gott selbst vorstehen. Kein Text bietet die ganze Bandbreite der Vorstellungen, einzelne Elemente können in Spannung zueinander stehen. Eine Systematisierung findet nicht statt. Ein richtiggehendes Gerichtsverfahren ist nicht erkennbar, vorausgesetzt ist vielmehr, dass das Urteil schon vorher feststeht. 5 Der forensische Gerichtsakt dient lediglich dem Schuldaufweis und der nachfolgenden Urteilsvollstreckung.6 Auch was den Zeitpunkt der eschatologischen krisis anbelangt, gibt es im Neuen Testament eine große Bandbreite von der Vorstellung eines rein zukünftigen Aktes bis hin zu präsentischen Aussagen, wonach bereits mit dem Auftreten J esu von N azareth oder anderen Ereignissen das Endgericht begonnen hat. 1.2 Das zugrundeliegende Geschichtsverständnis In einer lange andauernden Krise seiner Geschichte hat Israel, politisch am Boden und in seinem Glauben an den Gott und einigen weiteren lässt sich ein Bildfeld, das um Gottes Thron- oder Gerichtssaal gruppiert ist, erkennen. So sieht man Gott : , TROV E der Erwählung erschüttert, die Apokalyptik hervorgebracht, mit ihrer negativen Sicht auf die vorfindliche bzw. den erhöhten Christus auf dem Richterstuhl in der Mitte des Saales sitzen, um ihn herum anbetende Gestalten (Offb 4) sowie Zeugen, Ankläger und Verteidiger. Nach Lk 12,8f.par ist der Menschensohn Zeuge für bzw. gegen den Menschen. Auch das Gewissen des Einzelnen kann Zeugenfunktion übernehmen (so bei Paulus und im Hebr). 3 Zu den Anklägern gehören nach neutestamentlicher Auffassung Engel, Mächte und Gewalten (Röm 8,38f.). Verteidiger des Menschen ist der erhöhte Christus zur Rechten Gottes,4 zu nennen ist aber auch der Heilige Geist als Sprachrohr und Fürsprecher des Menschen auf Erden (Röm 8,26; Joh 13-17). Nach Mt 19,28par sind die Jünger, in Offb 20,4 die Märtyrer Mitglieder ZNT 9 (5. Jg. 2002) Gegenwart und ihren Visionen vom kosmischen Endkampf, vom Kommen des Menschensohn-Messias, vom Weltuntergang und Endgericht. Letzteres steht am Schnittpunkt zweier Äonen des jetzigen, bald endenden und des kommenden, ewigen Weltzeitalters. Das Gericht ist Voraussetzung des ersehnten, umfassenden Heils, in welchem es kein Nebeneinander von Erwählten und Feinden, Guten und Bösen mehr geben wird. 7 Die Apokalyptik hat im Neuen Testament und im weiteren frühen Christentum ihre Spuren hinterlassen. 8 Vor rund 40 Jahren war es eine exegetische Kontroversfrage ersten Ranges, ob die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie sei oder nicht. 9 Die Suche nach dem Spezifikum des christlichen Gottesbildes hat viele 47 Energien freigesetzt, die apokalyptischen Züge in der Predigt Jesu literarkritisch oder, bei Paulus, durch Annahme einer theologischen Entwicklung zu eliminieren als eigentlich überwundene Entwicklungsstufe. Apokalyptische Szenarien und die Rede vom rechtfertigenden, liebenden Gott erschienen und erscheinen als verschiedene Stufen theologischer Reflexion. Ohne die Debatte groß aufzugreifen, ist kurz zu skizzieren, worin m.E. das apokalyptische Erbe besteht und wo die Differenz zum Frühen Judentum zu sehen ist. Jesus ist Apokalyptiker, sofern er die Gegenwart unter dem Vorzeichen des nahen Endes mitsamt Gericht und der aufziehenden Herrschaft Gottes sieht. Er ist es nicht, insofern er das eschatologische Geschehen als bereits jetzt, mit seinem Wirken, einsetzen sieht. 10 In der christologischen Reflexion erfährt das apokalyptische Geschichtsbild eine spezifische Brechung: Die eigentliche geschichtliche Wende ist Szene aus dem »Ägyptischen Totenbuch«. mit dem Christusgeschehen vollzogen; die Gegenwart ist Zeit des Übergangs zwischen den Äonen, zwischen »Nacht und Tag« (Röm 13,12), »Finsternis und Licht« (1Joh 2,8). Der »eschatologische Vorbehalt« betrifft die Erfüllung noch ausstehender Verheißungen bzw. das Offenbarwerden der für den kosmos noch unsichtbaren Wirklichkeit (vgl. Röm 8,24). Dementsprechend stehen auch präsentische und futurische Gerichtsaussagen nebeneinander; je nach Aussageabsicht wird der eine oder der andere Akzent hervorgehoben. Das Gericht wird in Ereignissen der Zeitgeschichte11 bzw. im AuftretenJesu erkannt 12 oder umfassend und endgültig für die nahe Zukunft erwartet. Im Anschluss betrachte ich einzelne Texte genauer, um die Eigenart und den Stellenwert der Rede vom Gericht und Zorn Gottes in ihrem jeweiligen Kontext zu erfassen. Der Verstorbene Hunefer wird von Anubis in den Gerichtssaal zur Großen Waage geführt. Sein Herz muss gegen die Feder der Wahrheit der Göttin Maat gewogen werden. Unter der Waage wartet Amet, der Seelenverschlinger, ein Ungeheuer, das die Herzen der Ungerechten verschlingt. Der ibisköpfige Thot schreibt das Urteil auf. Nachdem Hunefer das Urteil bestanden hat, wird er von Horus zu Osiris, dem Herrn der Unterwelt, geführt. 48 ZNT 9 (5.Jg. 2002) Kurt Erlemann Das »letzte Gericht« ein erledigtes Mythologumenon? Kurt Erlemann Professor Dr. Kurt Erlemann, Jahrgang 1958, Studium der Evangelischen Theologie in München, Zürich und Heidelberg. Promotion 1986, Habilitation 1994, seit 1996 Universitätsprofessor für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte an der Universität Wuppertal. 2. Verschiedene neutestamentliche Modelle, Zorn und Gericht Gottes zu denken 2.1 Mt und Q: Die »bessere« Gerechtigkeit Gottes Mt ist stark apokalyptisch eingefärbt, wie die Gleichnisse, die Ölbergrede und vor allem das Bild vom Endgericht Mt 25,31-46 zeigen. Primäre Zielgruppe des Evangelisten ist »seine« Gemeinde, ein corpus permixtum aus »Berufenen« und »Auserwählten« (Mt 22,14), aus Guten und Bösen (Mt 13,24-30). Die matthäischen Gerichtsdrohungen ergehen auf der narrativen Ebene besonders gegen die Pharisäer (Mt 3,7; Mt 23). Hauptvorwurf ist die Heuchelei, das heißt der Gegensatz zwischen Reden und Handeln. Gefordert wird, im gerechten Tun besser als die Pharisäer zu sein, das heißt, dem Reden auch ein entsprechendes Handeln folgen zu lassen. Oder, mit Mt 5,48: so vollkommen wie Gott selbst zu sein. Die Bergpredigt konkretisiert, was mit »besserer Gerechtigkeit« gemeint ist. Wer sie nicht leistet, verfällt dem Urteilsspruch Gottes. Im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35) ist Barmherzigkeit das Urteilskriterium. Vor dem Zorn des Königs steht sein übergroßes, notwendendes Erbarmen. Die Verweigerung dieser Haltung dem Mitknecht gegenüber ist Anlass, das ursprüngliche Erbarmen zurückzunehmen. Auf ZNT 9 (5. Jg. 2002) der Ausgangsebene gesprochen: Gott solidarisiert sich mit dem abhängigen zweiten Knecht, und diese Solidarität lässt ihn genauso emotional wie am Anfang reagieren nur mit negativem Vorzeichen. Vergebungsbereitschaft ist nach dem Vaterunser Voraussetzung für eine erfolgreiche Bitte um Gottes Vergebung. Bessere Gerechtigkeit hängt schließlich mit Güte bzw. Großzügigkeit zusammen. So im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16). Gottes »bessere Gerechtigkeit« arbeitet nicht nach dem Gesetz des Proporzes, sondern lässt großzügig jedem zukommen, was er braucht, ohne dadurch ungerecht zu werden. Damit sind die für das Endgericht ausschlaggebenden Urteilskriterien genannt: Solidarität mit den Abhängigen und Entrechteten. Die Forderung des Liebesgebots ohne Wenn und Aber wird in Mt in ihrer sozialen Schärfe durchbuchstabiert. Gott ist dabei kein willkürlicher Despot, sondern Anwalt jener Gruppen, die uns anvertraut und von unserer liebenden Solidarität abhängig sind. Die Funktion der Rede vom Endgericht ist es, an diesen Grundzug Gottes und an die Konsequenzen, die sich daraus für das ethische Verhalten ergeben, zu erinnern. Neben diesen mehr futurisch gehaltenen Aussagen kennt das Evangelium auch den Gedanken des sich schon jetzt vollziehenden Gerichtes. Dabei ist die Haltung Jesus gegenüber das entscheidende Urteilskriterium. »Selig ist, wer mich nicht als skandalon empfindet« (Mt 11,6 par Lk 7,23). Der aus Q übernommene Spruch verknüpft das Gericht ebenso mit dem AuftretenJesu wie das Wort von der mit den Exorzismen anbrechenden Gottesherrschaft Mt 12,28par oder wie das Gleichnis vom königlichen Festmahl Mt 22,1-14. Jesus lädt zum himmlischen Fest ein, Gute wie Böse. Wer das Angebot annimmt und es mit seinem Verhalten zu würdigen weiß, gehört zu den Erwählten; wer nicht, wird ausgeschlossen. 2.2 ]oh: Die Liebe Gottes zum Kosmos und dessen Selbstverurteilung Im Gespräch mit Nikodemus thematisiert Jesus das Verhältnis von Gericht und Liebe Gottes (Joh 3,16-21). Grundsätzlich heißt es (V.16): Gott hat den kosmos geliebt, deshalb hat er seinen Gesandten zu ihm geschickt, um den Glaubenden das ewige Leben zu bringen. Die Mission J esu hat für 49 die Welt ein positives Vorzeichen, es ist eigentlich kein Gerichtsszenario, auch wenn Jesus mit dem endzeitlichen Menschensohn-Richter identifiziert wird (Joh 6,53f.). Wenn sich die Sendung Jesu trotzdem als Gericht herausstellt, dann liegt das allein an der Haltung der Menschen, die Jesus als inkarnierten Gottessohn ablehnen. Sie verurteilen sich damit selbst, das Gericht ist negativer Nebeneffekt des rettenden Eingreifens Gottes. Deutlicher als Mt verortet Joh das Gerichtsgeschehen in die Gegenwart der Zeit Jesu bzw. der Gemeinde. Das eigentliche Gerichtsverfahren läuft bereits jetzt, in der persönlichen Konfrontation mit dem Evangelium. Wer es ablehnt, verurteilt sich selbst, wer es annimmt, hat bereits jetzt das ewige Leben. In der konkreten Bekehrungssituation vollzieht sich demnach das, was nach apokalyptischer Vorstellung ein mythisches Ereignis der Zukunft ist. Die Rede vom Endgericht ist dadurch nicht ausgeblendet (vgl. Joh 5,28f.), doch in seiner Bedeutung zurückgenommen. Dort wird sozusagen in zweiter Instanz das Urteil der ersten Instanz bestätigt und dauerhaft vollzogen. Deutlicher als vom Endgericht ist bei Joh von den Zugangskriterien zum ewigen Leben die Rede. Nach den johanneischen Abschiedsreden liegt das Heil der Menschen im Festhalten am Liebesgebot und der dadurch ermöglichten, bleibenden Gemeinschaft mit dem Erhöhten. Wer sie nicht hält, vollzieht an sich selbst das Gericht - oder johanneisch gesprochen: bleibt in der Finsternis bzw. fällt in sie zurück, ist von der Sphäre Gottes und des Lichts getrennt. Das vollzieht sich bereits zu Lebzeiten und setzt sich postmortal fort. 2.3 l]oh: Globale Sündenvergebung und Todsünde Zu Beginn des Briefes wird Christus als bleibender Paraklet/ Fürsprecher der Menschen vor Gottes Thron eingeführt. Seine Funktion besteht darin, Versöhnungsdienst zwischen Gott und Menschen zu leisten bzw. Sünden zu vergeben (1Joh 1,9-2,2). Wichtig ist die Formulierung in 2,2: nicht allein unsere Sünden, sondern die der ganzen Welt (gr. peri holou tau kosmou). Das scheint eine echte Alternative zum matthäischen Gerichtsgedanken zu sein: Statt Endgericht Versöhnung für die Sünden der Welt, statt Vernichtung der Bösen deren Integration ins Heils- 50 geschehen, statt Exekutierung eines menschlich gedachten Gerechtigkeitsbegriffs dessen Aufhebung in die Kategorie der Versöhnung. Die mythisch-archaische Gerichtsvorstellung scheint überwunden, der Gedanke der Unverfügbarkeit Gottes und seiner Maßstäbe mutig weiter gedacht. Da wirkt es ernüchternd, wenn am Ende doch noch von unvergebbarer Todsünde die Rede ist (lJoh 5,16; vgl. 4,15). Wie aus dem Gesamtduktus des Schreibens klar wird, besteht sie in der Verleugnung der Identität Jesu als des inkarnierten Christus und damit in der Aufkündigung der Solidarität mit der Gemeinde. Diese Auskunft relativiert die zitierte Aussage vom Briefanfang, sie zeigt gewissermaßen die Schmerzgrenze auf, jenseits derer Vergebung unmöglich ist. Von der Sündenvergebung soll und kann zwar grundsätzlich jeder profitieren. Wer aber bestreitet, dass Jesus derjenige ist, der dies als erhöhter, himmlischer Anwalt auch leisten kann, für den gilt die Zusage nicht, denn er erfüllt das entscheidende Heilskriterium nicht. Sündenvergebung, Bewahrung vor Gottes Zorn und Gericht sind damit wie bei Joh eng an das Credo gebunden. Das adäquate ethische Verhalten wird nicht als Konsequenz formuliert, sondern als Indiz für den Glauben. Gericht bzw. Ausschluss vom ewigen Leben ist demnach, wie bei Joh, als Selbstausschluss der Betroffenen verstanden, ein besonderer Gerichtsakt in der Zukunft wird nicht erwähnt. 2.4 Röm: Die Liebe als Gegeninstanz zu Gottes Zorn In Röm 2f. führt Paulus aus, dass grundsätzlich alle Menschen dem Zorn Gottes verfallen sind, da sie dessen Gerechtigkeitsmaßstab nicht genügen. Die sarkische Natur des Menschen und der pneumatische Charakter der Tora sind inkompatibel, mit dem Ergebnis, dass die eigentlich gute Tora nichts Gutes bewirken kann, im Gegenteil. Paulus steht mit seiner Gerichtsvorstellung in prophetisch-apokalyptischer Tradition, aber er geht an zwei Stellen entscheidend über sie hinaus: Nach Röm 3,21-31 wird der Mensch aus Gnade und Glauben gerecht vor Gott - Gott selbst sorgt also für die Erfüllung seines Anspruchs, den er als Anwalt der Gerechtigkeit an den Menschen hat. Und Röm 5,5 macht deutlich, worin die gerecht machende Gnade besteht: Die Tora wird zwar ZNT 9 (5. Jg. 2002) Kurt Erlemann Das »letzte Gericht« ein erledigtes IVlythologumenon? nicht suspendiert, aber der Mensch befähigt, sie im eigentlichen Sinn zu erfüllen, aus dem Herzen heraus, mithilfe des Geistes als Manifestation der Liebe Gottes. Gott schenkt den Geist und damit zugleich eine schützende Gegeninstanz gegen seinen Zorn. Der nunmehr pneumabegabte Mensch ist befähigt, die pneumatische Tora zu erfüllen im Sinne des Liebesgebotes, dessen Forderung nach Röm 13,8 niemals endet. Paulus fasst damit das Verhältnis zwischen Gott und Menschen, ähnlich wie Mt, als Rechts- und Geschäftsverhältnis auf. Paradox ist, dass Gott den Menschen dazu verhilft, ihre Bringschuld zu leisten. Was in Mt 18 das vorgängige Erbarmen des Königs ist, ist in Röm die Gabe des Geistes. Dazu kommt, wie in lJoh 2, die Rede von Christus als himmlischem Anwalt der Menschen (Röm 8,34) und zusätzlich vom Geist als Sprachrohr der Menschen vor Gott (Röm 8,26). Wie bei Mt ist die Gerechtigkeit der Grundzug im Gottesbild. Die Rede vom drohenden Zorn bzw. Gericht ist zum einen ein Appell, die geschenkte pneumatische Existenz ernst zu nehmen, und zum anderen, die Grenze zwischen ehemaligen Juden und ehemaligen Heiden aufzulösen beide stünden vor Gottes Zorn gleich da, beide sind dank Gottes Gnade gerettet. Wer demnach seine pneumatische Existenz handelnd realisiert, bekommt Anteil am Heil; wer nicht, schließt sich selbst aus und verfehlt das Leben. Eine Folgerung, die Paulus m Röm 8 (Leben kata sarka) andeutet. 2.5 Eph! Kol: Die Versöhnung des Alls und die Gefährdung des Heilsstandes Die Rede von der Versöhnung der Welt findet sich neben lJoh 2,2 auch in Kol 1,19f. Sinn und Zweck der Sendung J esu ist, dass in ihm alle Fülle (gr. pleroma) wohne, und er das All (gr. ta panta) mit sich versöhne durch sein Blut am Kreuz. 13 Die Aussage des Kol steht im Kontext eines Christushymnus, der wiederum Teil der Beschreibung des Heilsstandes der Gemeinde ist. Thema ist nicht Gottes Gerechtigkeit, sondern die Erhaltung des kosmos. Aber auch im Kol ist vom Zorn Gottes die Rede: zum einen als Phänomen der Vergangenheit der Angesprochenen (vor ihrer Bekehrung aus dem Heidentum waren sie »tot«, wurden durch den Schöpfergott lebendig gemacht, 14 aus dem Reich der Finsternis in sein bzw. Christi Reich versetzt 15 ), ZNT 9 (5. Jg. 2002) zum anderen als Ankündigung für die, die weiterhin lasterhaft leben (Kol 3,5) oder Irrlehre verbreiten. Nicht alle werden ein Erbteil im Reich Gottes erhalten (Eph 5,~f.). Die Aussicht auf Gericht und Zorn soll die Adressaten dazu anleiten, am erreichten Heilsstand festzuhalten und sich von denen, die der Zorn treffen wird, abzugrenzen. 16 Auch für Eph und Kol gilt demnach, dass sich der Mensch letztlich selbst verurteilt, wenn er der angebotenen Versöhnung nicht durch sein Handeln entspricht. 2.6 Fazit: Funktion und Stellenwert der Aussagen Regelmäßig ist in den neutestamentlichen Gerichtstexten der Zusammenhang zwischen menschlichem Fehlverhalten und seinen Folgen das Thema. Damit wird auch explizit oder implizit etwas über die Möglichkeiten gesagt, wie man Zorn und Gericht entgehen kann. Im Grunde werden drei Möglichkeiten genannt: 1) Theologisch: Gott selbst schützt die Menschen mittels Barmherzigkeit, Liebe und Gabe des Geistes. Diese Rede begegnet besonders im Kontext der Beschreibung des Heilsstandes und ist mit dem Aufruf zu adäquatem Handeln verbunden. 2) Christologisch: In vergleichbaren Kontexten wird das Christusgeschehen als Versöhnungsbzw. Rettungsgeschehen gedeutet. 3) Ethisch: Die Glaubenden können sich selbst schützen durch Abgrenzung vom Bösen, Festhalten am Erreichten, Leben nach dem Geist, durch das Üben geschwisterlicher Liebe, die Praktizierung der besseren Gerechtigkeit und das Bekenntnis zu Jesus Christus.17 Unterschiede gibt es in der Vorstellung, wann und wie sich das Gericht vollzieht: a) nach Q, Mt, Paulus und Offb am Jüngsten Tag, und zwar forensisch (tendenziell futurische Eschatologie; das Gericht als Scheidung von Gut und Böse); b) nach J oh entscheidend in der Begegnung mit Jesus und den Jüngern (tendenziell präsentische Eschatologie; Gericht als Selbstausschluss); c) nach lJoh im Auftreten von Irrlehrern und ihrer Verweigerung der Solidarität mit der Gemeinde (ebenfalls Gericht als Selbstausschluss) . 18 Hermeneutisch bedeutsam ist, dass die neutestamentlichen Schriften die Aussicht auf Gottes Zorn und Gericht selbst dann vor Augen halten, wenn sie die grundsätzlich erreichte Versöhnung zwischen Gott und Welt betonen. 19 Die Realität 51 der Gemeinden ist nirgends so ideal, dass die Autoren die Möglichkeit der Gefährdung oder gar Verfehlung des Heils verschweigen könnten. 20 Die Gefahr geht entweder von außen, von Irrlehrern oder von Disharmonien innerhalb der Gemeinden aus. Ziel der jeweiligen Argumentation ist es, zur unverzüglichen metanoia aufzurufen oder den gegenwärtigen Zustand als durchaus heilvollen, aber mehr oder minder stark gefährdeten Zustand wahrnehmen zu lassen. Nicht anfängliches Dabeisein, sondern dauerhaftes Dabeibleiben ist entscheidend, das ist die Botschaft aller Autoren. Das Heilsangebot gilt für alle Menschen, das Gericht ist dem zugeordnet als negative Kehrseite für diejenigen, die es ausschlagen oder nicht dauerhaft daran festhalten. Letztlich spricht sich jeder selbst das Urteil, im Endgericht wird das lediglich aufgedeckt und das Urteil vollstreckt. 21 3. Hermeneutische Überlegungen Von der Erwartung eines nahen Weltendes sind wir nach zweitausend Jahren zumeist weit entfernt. Apokalyptische Gedanken wie der des Jüngsten Gerichts prägen unseren Alltag kaum. Die Frage ist, was wir diesen Vorstellungen heute noch abgewinnen können, ob sie für uns überhaupt noch Relevanz haben. Eine Brücke zu ihnen sind Szenarien wie das am 11. September 2001, und was die Welt seither erlebt. Auch können uns ausweglos scheinende Lebenskrisen an apokalyptische Bilder erinnern. Oftmals, wenn wir uns ohnmächtig und verzweifelt erleben, drückt uns lähmende Angst vor dem schrecklichen Ende, welches die Entwicklung nehmen könnte, drängt sich der Eindruck auf, dass von der Gegenwart nichts Gutes mehr zu erwarten sei, geraten wir in jene niedergeschlagene Stimmung, in der sich Phasen banger Hoffnung und der Resignation abwechseln, und sind wir den sprichwörtlich apokalyptischen Gedanken nahe. Eine zweite Brücke könnte die Erinnerung daran sein, dass die Rede von Zorn und Gericht metaphorische Redeweise ist, eine Redeweise, die mit der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis zusammenhängt. Wie Gott wirklich handelt bzw. letztlich handeln wird, entzieht sich unserer Wahrnehmungsfähigkeit. Ob am Ende ein Gerichtsszenario vergleichbar weltlichen Szenarien 52 stattfinden oder das Verhalten des Menschen auf eine ganz andere Weise beurteilt wird, wissen wir nicht. Die Frage ist, was hinter der juridischen Metaphorik steht, ob es theologische Erfahrungen sind, die wir teilen können und die gegebenenfalls auch ohne jene beängstigende Metaphorik ausgedrückt werden könnten. M.E. sind die Metaphern von Zorn und Gericht eine Funktion der Frage nach der Theodizee, nach Gottes Gerechtigkeit und Geschichtsmächtigkeit. Und als solche sind sie hermeneutisch unverzichtbar, und zwar aus mehreren Gründen: 1. Sie drücken die Gewissheit aus, dass Gott seinen Anspruch auf umfassende Gerechtigkeit und Barmherzigkeit stellt und diesen am Ende auch durchsetzen wird. Gott, so die Voraussetzung der Rede von Zorn und Gericht, fordert engagiert Gerechtigkeit ein, und zwar im Sinne von notwendender Barmherzigkeit und großzügiger Güte. Die futurische Rede vom Gerechtigkeit schaffenden Gott ist somit Ausdruck der Hoffnung und des Trostes für diejenigen, die unter Unrecht leiden. 2. Umgekehrt ist sie Mahnung an die, die sich schwer tun, dem Maßstab der göttlichen Gerechtigkeit nachzuleben (um es vorsichtig zu formulieren). Die Metaphorik erinnert überhaupt daran, dass unser gesamtes Tun und Handeln unter dem Maßstab der Gerechtigkeit Gottes steht, dass es kein »wertneutrales« ethisches Verhalten gibt, dass das Liebesgebot ohne Wenn und Aber, als ständige Forderung an uns, gilt. 3. Die Rede vom Endgericht hält fest, dass kein geschehenes Unrecht in den Wind geschrieben ist, und dass es vor allem nicht in der Zuständigkeit von uns Menschen liegt, Unrecht zu sühnen und vollkommene Gerechtigkeit zu schaffen. 4. Die Metaphorik bringt die ganze Emotionalität und Parteilichkeit Gottes zum Ausdruck. Sie ist damit das notwendige Pendant zur Rede von Gottes Liebe zu den Menschen, einer Liebe ohne Ansehen der Person. In der Rede von Gottes Liebe, seinem Erbarmen, von seinem alle Welt angehenden Versöhnungshandeln im Christusgeschehen bzw. in der Taufe findet die Rede vom Gericht und Zorn Gottes ihre Orientierung und Begrenzung. Sie erinnert uns daran, Gott als den Anwalt der Gerechtigkeit ernst zu nehmen, die geschenkten Lebensgrundlagen wahrzunehmen und von da aus auf die Mitmenschen zuzugehen. Eine Pre- ZNT 9 (5. Jg. 2002) Kurt Erlemann Das »letzte Gericht« ein erledigtes Mythologumenon? digt reiner Gnade ohne Hinweis auf die »dunklen« Seiten Gottes stünde letztlich in der Gefahr, die U nverfügbarkeit und Nicht-Manipulierbarkeit dieses Gottes preiszugeben. 22 Anmerkungen Vgl. dazu die Ausführungen in der Monografie von Chr. Riniker, Die Gerichtsverkündigung J esu (EHS 653), Bern u.a. 1999, 13ff. Riniker weist zudem auf die ideologischen Vorbehalte gerade seitens der protestantischen Exegese am Thema hin (ebd. 48). 2 Beispieltexte: Mt 3,7-10; 7,13f.par; Lk 11,39-52par; 13,1-5; Hebr 10,26-31; dazu Gleichnisse wie Mt 18,23-35; Mt 25,1-13; 25,14-30par; Lk 12,35-38; 42-46par. lKor 8,7-11; 2Kor 1,12; Hehr 9,14; 10,22. 4 Röm 8,34; vgl. lJoh 2,1; Apg 7,56. 5 Mit M. Reiser, Die Gerichtsverkündigung Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA NF 23), Münster 1990, 144ff. 6 Vereinzelt findet sich statt der forensischen Vorstellung die einer eschatologischen Strafaktion, so in 2Petr 3 oder in Offb. 7 Ausführlich werden die frühjüdischen Gerichtsvorstellungen bei Reiser, Gerichtspredigt, besprochen. 8 Neben den genannten Texten weise ich besonders auf Mk 13par; lPetr 4,17f. und 2Petr 3 hin. 9 E. Käsemann, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, in: ZThK 59 (1962), 257-284; R. Buhmann, Ist die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie? Eine Auseinandersetzung mit Ernst Käsemann (1964), in: K. Koch/ J.M. Schmidt (Hgg.), Apokalyptik (WdF CCCLXV), Darmstadt 1982, 370-376. 10 So in Mt 12,28; Lk 17,20. Dazu Reiser, Gerichtspredigt, 305. 11 Etwa: Zerstörung Jerusalems im Jahre 70: Mt 22,7 u.a.; Leiden der Christen: lPetr 4,17f. 12 Mk 3,27 (Exorzismen); Lk 10,18 (Fall Satans). 13 Der Unterschied zu lJoh liegt in der Zuordnung des Versöhnungsgeschehens zum Tod Jesu (so Kol) bzw. zum erhöhten Christus (so lJoh). 14 Taufe als einmaliges Rettungsgeschehen: Kol 1,13; 2,13f.; vgl. Eph 2,4. 15 Kol 2,13f.; Heiden als »Kinder des Zorns« in Eph 2,3; 5,8. 16 Kol 3,5; vgl. 4,5; Eph 5,6. 17 Die Funktion etwa der Täuferdrohung in Mt 3 ist deutlich appellativ: Die Angesprochenen sollen sich angesichts des drohenden Unheils unverzüglich bekehren und sich taufen lassen. Die prophetische Gerichtsansage lässt noch Raum zum präventiven Handeln, sie fungiert als »paradoxe Intervention«, um einen Begriff von Volker Lehnert (Die Provokation Israels. Die pa- ZNT 9 (5. Jg. 2002) radoxe Funktion vonJes 6,9-10 bei Markus und Lukas. Ein textpragmatischer Versuch im Kontext gegenwärtiger Rezeptionsästhetik und Lesetheorie, Neukirchen 1999) aufzugreifen. Das geforderte Handeln besteht in »rechtschaffener Frucht der Buße«. 18 Nur vereinzelt wird einer Sehnsucht nach dem Gericht Ausdruck verliehen, und zwar da, wo sich Gemeinde in einer unerträglich scheinenden Situation befindet (Mt 13,24-30; Offb 6,9-11). In beiden Fällen wird eingeschärft, dass Gott zu seiner Zeit das Gericht vollziehen wird und Ausharren das Gebot der Stunde ist. 19 Reiser, Gerichtspredigt, 307ff. (dort statistischer Befund und Quellenangaben). 20 Mit Riniker, Gerichtsverkündigung, 459. 21 Mit Reiser, Gerichtspredigt, 308. Unbeschadet davon gibt es die Vorstellung, dass die Menschen bereits in ihrer Existenz die fällige Strafe erleiden, z.B. in der Interpretation der Zerstörung Jerusalems nach Mt 22,7 oder lPetr 4,17f., wo die Leiden der Gemeinde sogar als Privileg verstanden werden, da sie in der möglichst erträglichen Form die jenseitigen Leiden vorweg nehmen. 22 Mit Riniker, Gerichtsverkündigung, 459. Vorschau auf das nächste Heft Neues Testament aktuell Laurence L. Welborn Die Veränderung der hermeneutischen Situation der Bibelwissenschaften in den USA durch die Anschläge vom 11.9.2001 Zum Thema Oda Wischmeyer u.a. Neutestamentliche Wissenschaft heute ein Bericht (Doppelaufsatz) Dieter Georgi Abraham und Aeneas Ruben Zimmermann Lüge und Wahrheit falscher Verfasserangaben im Neuen Testament Kontroverse War das frühe Christentum eine Religion? Hermeneutik und Vermittlung Gerd Buschmann/ Uwe Böhm The »Matrix« und Röm 6 - Christliche Taufvorstellungen im popkulturellem Science-Fiction- Ambiente Buchreport Lothar Triebe! , Vergleichende Darstellung neuerer Methodenbücher Heft 10 erscheint im Oktober 2002 53 Lukas Barmann Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? 1. Terminologisches Versucht man den Gerichtsgedanken im Neuen Testament terminologisch zu verifizieren, macht man die angesichts der Bedeutung der Thematik erstaunliche Erfahrung, dass eine ausführliche und zusammenhängende Schilderung des göttlichen Gerichts durchaus selten ist. 1 Der Begriff krisis (Gericht) für das göttliche Gericht ist noch relativ häufig, 2 aber bereits krites (Richter) für Gott oder Christus ist relativ selten 3 und Angeklagter, Anwalt, Klage, Verteidigung, Urteil usw. fehlen weitgehend, werden nicht auf das göttliche Gericht bezogen oder werden nicht in ihrer forensischen Bedeutung gebraucht. Nur im Mt und in der Offb werden Gerichtsszenarien relativ vollständig geschildert. 4 Das heißt aber noch nicht, dass der Sachverhalt und die aus ihm freigesetzten sprachlichen Bedeutungen ein Randthema neutestamentlicher Texte sind. Um das angemessen einzuordnen, muss man sich das Verhältnis von Sache, Sprache und Vorstellungswelt verdeutlichen. Hier sind zwei Begriffe kann durch einige wenige Schlüsselbegriffe in die Vorstellungswelt gerufen werden. So impliziert etwa die Rede vom »Richter« einen Sachzusammenhang, der knapp umschrieben werden kann mit: Konzentration auf eine Einzelperson, Verhandlungsführung, Urteilsbildung, Gerichtsentscheid. Der Sachzusammenhang muss nicht im Detail erläutert werden, weil man hier auf die Kraft metonymischen Sprechens vertrauen kann, die ein pars pro toto ermöglichen. Die Zurückhaltung der neutestamentlichen Schriftsteller gegenüber forensischer Terminologie ist also nicht von vornherein als eine Zurückhaltung gegenüber dem Sachzusammenhang »Gericht« zu deuten. 2. Gerichtsvorstellungen Welches Bildfeld oder frame haben die neutestamentlichen Schriftsteller im Blick, wenn sie das Wortfeld »Gericht« aufrufen? Die religionsgeschichtliche Schule ging einfach von der Existenz einer relativ geschlossenen Vorstellung des Gerichts im Frühjudentum aus wichtig: Wortfeld und frame. »Wortfeld« definiert Becker als einen »Sprach- und Sachzusammenhang mit einer konsistenten Gesamtanschau- ~• TROV , und ordnete ihm die einzelnen Motive zu. 7 Bousset formuliert knapp: »Befolgung des Gesetzes und Erwartung ung (Bildfeld)«. 5 Dem Sprachzusammenhang korrespondiert ein Sachzusammenhang, der so dicht strukturiert ist (Konsistenz), dass schon der Verweis auf eines oder mehrere seiner Elemente den Gesamtzusammenhang hervorruft. Das setzt voraus, dass der Sachzusammenhang und seine Versprachlichungen mehr oder weniger bekannt und vertraut sind. Die neuere Linguistik spricht hier von frames und meint damit Erfahrungskontexte, die bestimmte Sachverhalte einander zuordnen. Durch die Zuordnung der Sachverhalte im Erfahrungskontext werden sprachliche (Metonymie) und sachliche (Kontiguität) Assoziationen ermöglicht. 6 Der Erfahrungskontext oder Sachzusammenhang 54 des Gerichtes ist, wenn man es kurz umschreiben will, die Summa der jüdischen Frömmigkeit.« 8 Neuere religionsgeschichtliche Arbeiten stellen allerdings fest, dass von einem geschlossenen Vorstellungshintergrund vom göttlichen Gericht nicht die Rede sein kann. Brandenburger rekonstruiert fünf Grundtypen der Gerichtsvorstellung,9 Müller reduziert in Auseinandersetzung mit Brandenburger wieder auf zwei Typen: das »Vernichtungsgericht« und das »Rechtsverfahren vor dem Thron«. 10 Dieses Ergebnis wird durch Reiser bestätigt, der das »Straf- und Vernichtungsgericht« und das »juridisch-forensische Gericht« unterscheidet.11 Diese beiden Gerichtstypen werden in konkreten Texten häufig rniLeinamler verbunden und einer übergeordneten ZNT 9 (5. Jg. 2002) Lukas Bormann Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? Lukas Barmann Prof. Dr. Lukas Bormann,Jahrgang 1962, studierte Evangelische Theologie in Frankfurt, Mainz, Marburg und Heidelberg und ist zurzeit Professor für Biblische Theologie an der TU Braunschweig. Forschungsschwerpunkte: Rechts- und Sozialgeschichte des frühen Christentums, Relevanz biblischen Denkens für Philosophie und Ethik. Aussageintention dienstbar gemacht. 12 Die frühjüdische Gerichtsvorstellung per se gibt es also nicht. Das gilt auch für das Neue Testament, dem eine in sich konsistente Gerichtskonzeption fehlt. Eine Zusammenschau so disparater Texte wie Mt 8,11; Lk 17,34f.; Offb 4 zu einem »Bildfeld« ist problematisch. In Mt 8,11 und Lk 17,34f. ist die endzeitliche Scheidung thematisiert, an ein Rechtsverfahren vor dem Thron Gottes wie in Mt 25,31-46 ist nicht gedacht. 13 Offb 4 schildert eine Thronvision in der Tradition von Ez 1-3 und Jes 6. 14 Ez 1-3 thematisiert den kabod JHWH (Herrlichkeit des Herrn) als die der Welt zugewandte Seite Gottes. 15 Jes 6 verbindet die Rede von dem kabod mit der Darstellung der himmlischen Heiligkeit Gottes. Offb 4 löst diese Spannung zwischen irdischer und himmlischer Präsenz zugunsten der Thematisierung himmlischer Heiligkeitsverhältnisse auf (Offb 4,8). Die auf die himmlische Welt reduzierte Thronvision enthält aber keinerlei Gerichtsterminologie und hat mit einer Gerichtsvorstellung nur insofern zu tun als im Hellenismus der Herrscher immer auch als Richter vorgestellt wird. 16 Die Gerichtsmotive dieser Texte sind einem größeren Vorstellungszusammenhang zugeordnet, etwa dem Thron(saal) Gottes oder der Theophanie, aber nicht miteinander verbunden. Über ZNT 9 (5. Jg. 2002) die Motive aus dem Vorstellungszusammenhang »Gericht« kommt man nicht zu einer konsistenten Gesamtanschauung, wie überhaupt die Diskussion der Gerichtsvorstellung nur sinnvoll ist, wenn man sie als Teil eines größeren religionsgeschichtlichen Konzepts interpretiert und auf ihre Funktionen in den konkreten textlichen und sachlichen Zusammenhängen befragt, in denen sie gebraucht werden. 3. Das religionsgeschichtliche Konzept »Gericht Gottes« im Frühjudentum Die verschiedenen Gerichtskonzeptionen des Frühjudentums sind miteinander durch das hinter ihnen stehende Rechtsverständnis verbunden. Recht meint im Frühjudentum die Einheit des positiven Rechts Israels (Tora als Lebensordnung) mit dem in der Schöpfung gesetzten Rechtswillen Gottes (Tora als Weltordnung). Das Verbindende der frühjüdischen Gerichtsvorstellungen ist der »Glaube[n] an die weltordnende Zusammengehörigkeit von Herrschaft Gottes und Gesetz«.17 Die Rede vom Gericht ist Bestandteil des größeren Zusammenhangs der Durchsetzung des Anspruchs Gottes an die Welt und bleibt der jeweiligen Explikation des göttlichen Rechtswillens und seiner Durchsetzung zugeordnet. Was in der neutestamentlichen Wissenschaft also unter »Gericht Gottes« verhandelt wird, ist die sehr weit gefasste Vorstellung vom Eingreifen Gottes in die weltlichen Geschicke, das dem Ziel dient, göttliche Gerechtigkeit herzustellen. Das Gerechtigkeitshandeln Gottes ist integraler Bestandteil des Handelns Gottes überhaupt, das sich nach der vollentwickelten Gottesvorstellung des Alten und Neuen Testaments als zuwendendes Zurechtbringen der Welt in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit vollzieht. Das Gerichtsmotiv im engeren Sinne ist Teil und Funktion der umfassenderen Problemstellung der Gerechtigkeit Gottes. Hier liegt die Bedeutung der neutestamentlichen Rede vom Gericht Gottes. 4. Gerechtigkeit Gottes und Gericht Welche Bedeutung hat das Motiv vom »letzten Gericht« für die Rede von der Gerechtigkeit 55 Gottes? Wir haben da eine religionsgeschichtlichhermeneutische Fragestellung, die sich um das Verstehen des Motivs in seinem historischen Kontext bemüht, und eine theologisch hermeneutische Fragestellung zu unterscheiden, die nach der Bedeutung des Motivs für die theologisch verantwortbare Rede von Gott fragt. Religionsgeschichtlich ist der Gerichtsgedanke die Form, in der göttliches Gerechtigkeitshandeln und sein Gerechtigkeitswillen im Frühjudentum, und zwar in (deuteronomistischer) Geschichtstheologie, Prophetie, Apokalyptik und Weisheit gleichermaßen, zum Ausdruck gebracht wird. Der Gerichtsgedanke ist insofern unverzichtbar als er die Artikulationsgestalt ist, 18 in der das Frühjudentum den Gerechtigkeitswillen Gottes zur Sprache bringt. Diese Konzeption lebt in den neutestamentlichen Texten weiter, gerät aber in Widersprüche, die das Neue Testament selbst nur teilweise lösen kann. 5. Gericht Gottes im Neuen Testament Das »jüngste« oder »letzte Gericht« wird im Neuen Testament mit eschate hemera (»jüngster Tag«) bezeichnet. 19 Es wird als Vernichtungsgericht und/ oder als Gericht nach Taten (forensisches Gericht) vorgestellt. Der Vorstellungszusammenhang begegnet weit häufiger als der Begriff. Im Frühjudentum steht als ordnende Mitte der Ausgestaltung der Gerichtsvorstellungen der israelzentrierte Wille Gottes (Tora als Lebens- und Weltordnung) im Mittelpunkt. Der Gerichtsvorstellung, die die ekklesia tou theou (Gemeinde Gottes) aus Heiden und Juden entwickelt, fehlt dieses ordnende Zentrum. An die Stelle der Tora tritt im Typ des Vernichtungsgerichts die Zugehörigkeit zur ekklesia (Gemeinde). Die Mitglieder der ekklesia (Gemeinde) werden durch das Rettungshandeln Christi aus der Vernichtung herausgenommen (1Thess 1,10). 20 Dem Vernichtungsgericht entgeht man durch die Zugehörigkeit zu einer Korporation. Die individuellen Taten derer, die innerhalb dieser Korporation stehen, werden im engeren Motivzusammenhang nicht reflektiert. Erst eine Verbindung mit dem Gericht nach Taten konfrontiert das der Korporation zugehörige Individuum mit der Gerechtigkeitsforderung 56 Gottes (lKor 3,12-15). Im Typ des Gerichts nach Taten tritt Christus als Richter auf (Mt 25, 31-46; Röm 2,6-11; 1Kor 3,12-15; 2Kor 5,10). Was wird nun eigentlich verhandelt? Paulus stellt sich ein Gericht nach Taten vor, in dem unspezifisch nach guten und bösen Taten gerichtet wird (Röm 2,6-11; 2Kor 5,10), denkt aber auch an eine Bewertung des Missionserfolgs (lKor 3,12-15). In Mt 25, 31-46 wird über das Tun der Liebe geurteilt, wie es der im Mt entfalteten Lehre Jesu entspricht. Dem urchristlichen Gerichtsgedanken fehlt die ordnende Mitte der Tora. Während die Tora im Frühjudentum als bekannt vorausgesetzt werden kann, muss sich die ekklesia des Kriteriums, nach dem geurteilt wird, erst versichern. Im Gericht nach Taten werden innere Krisen der Gemeinde verarbeitet. Die Aktivierung dieser Gerichtsvorstellung als Teil der Gemeindeparänese entspringt einer »negative [n] Lagebeurteilung kirchlicher Praxis«. 21 Das Gericht nach Taten hat paränetische Funktion für die Binnenorganisation der aus dem Vernichtungsgericht entnommenen Gemeinschaft. Es ist eine sprachliche Möglichkeit der Präzisierung der Gemeinschaftsregeln oder der ethischen Orientierung der Gemeinschaft überhaupt. Im scharfen Gegensatz zur Faktizität und zur Endgültigkeit, die durch das Gerichtsmotiv transportiert werden, steht die fundamentale Unsicherheit über die Ethik, die in der ekklesia zu gelten hat. Die Metapher vom Gericht nach Taten soll aus einer logischen Verlegenheit verhelfen: einerseits ist die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft entscheidend, andererseits soll sich die Zugehörigkeit aber auch in einer bestimmten Existenzgestaltung vollziehen, deren Missachtung nicht folgenlos bleiben darf. Wir haben eine Spannung zwischen dem korporativen Gedanken der Zugehörigkeit und der Forderung nach einer individuellen Realisierung der Folgen der Zugehörigkeit. Diese Spannung kennt das frühjüdische Konzept von Gericht nicht, weil die Tora sowohl über Zugehörigkeit als auch über Existenzgestaltung entscheidet. Bei Paulus und Matthäus verschärft sich das Problem, weil sie die Gerichtsvorstellung mit der universalen Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung verbinden. Alle (Röm 2,6; Mt 25,32) stehen vor Gericht und werden nach dem gleichen ZNT 9 (5. Jg. 2002) Lukas Bormann Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? Maßstab behandelt, bei Paulus nach gut und böse, bei Mt nach den Taten der Liebe. Wie verhält sich nun aber die Rechtfertigung des Sünders (Röm 4,5), die nicht an der Tora orientiert ist und die die universale Evangeliumsverkündigung ermöglicht, zur universalen Gerichtsverhandlung? Bei Paulus äußert sich das in der Spannung zwischen Glaubensgerechtigkeit und Gericht nach Taten. Stuhlmacher meint, dass die Glaubensgerechtigkeit zunächst zum Tun des Gerechten befähige und für das Endgericht einen Fürsprecher zusichere. Im letzten Gericht würden dann alle nach dem gleichen Maßstab in einem Gericht nach Taten gerichtet. 22 Diese Ordnung der konkurrierenden Gerichtsvorstellungen ist logisch überzeugend, relativiert aber die Bedeutung der iustificatio impii (Rechtfertigung des Gottlosen) und verdeckt den Sachverhalt, dass gerade die »Koexistenz logisch sich ausschließender eschatologischer Konzeptionen (ist) für die jüdische Altarbild, San Miguel, Suriguerola, Spanien, 13. jh. und weithin auch für die christliche Geistesgeschichte charakteristisch« ist. 23 Paulus kennt eine solche Konzeptualisierung nicht, ihm geht die Anschaulichkeit und Dringlichkeit seiner Argumente über die logische Konsistenz seiner Aussagen. Das Gericht nach Taten soll die bleibende Relevanz ethischer Bewährung unterstreichen. Es ist Ausdruck der Verunsicherung über die Gestaltung christlichen Lebens, die durch die Entwertung der Tora und die Integration der Heiden potenziert wird. Es vermag aber nicht wirklich aus dieser Verunsicherung herauszuhelfen. Die zentrale ethische Forderung nach dem Tun der Liebe im Horizont des Reiches Gottes bzw. der Parusie lässt per se keine Regelhaftigkeit zu. Sie ist prinzipielle Regellosigkeit und als Protest gegen die Blindheit jeglicher regelorientierten Lebensordnung formuliert (Lk 15,11-32; 16,1-7; 18,2-5). 24 Der hl. Michael vor dem Himmelstor, wie er mit dem Teufel um eine Seele ringt. Die guten Taten werden auf der Waage gegen die schlechten abgewogen, während der Teufel und seine Helfershelfer die Waage zu beeinflussen suchen. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 57 6. Geschichtsverständnis Ermöglicht nun ein sog. »zugrundeliegendes Geschichtsverständnis« des Neuen Testaments einen Verstehenszugang zur Vorstellung vom »letzten Gericht«? Die Betonung des Syntagmas wird nun auf das zeitliche Attribut eschatos »letztes« gelegt. Das neutestamentliche Verständnis von Zeit und menschlichem Handeln in der Zeit, also von Geschichte, ist nun tatsächlich durch den Begriff »eschatologisch« richtig gekennzeichnet. 25 Die Spannung zwischen der durch Jesus herbeigeführten Heilswende und der Erwartung seiner Wiederkunft prägt die Gegenwart der Gemeinde und macht ein Geschichtsverständnis unmöglich, das das geordnete und unaufgeregte Nacheinander menschlichen Handelns und seiner Folgen meint. Gemeindliche Existenz orientiert sich an der schon geschehenen Auferstehung und blickt auf die noch ausstehende Wiederkunft Christi. Beide Ereignisse sind wesentlich Heilsereignisse, das eine wird zur zentralen christlichen Gottesprädikation (Röm 4,24; 8,11; 2Kor 4,14; Gal 1,1) und das andere konzentriert sich im gottesdienstlichen Ruf maranatha (1Kor 16,22; Offb 22,20; Did 10,6) »Komm, Herr (Jesu)«. Die Gegenwart der Gemeinde ist die Zeit, in der die innere Motivation des in Auferstehung und Wiederkunft Christi konzentrierten göttlichen Geschehens inszeniert wird: die Liebe. Gerade die eschatologische Geschichtskonzeption, die den Akzent ganz auf die Möglichkeiten und Herausforderungen der Gegenwart setzt, macht die Rede vom letzten Gericht zu einem »abständigen Mythologumenon«, zu einem Motivkomplex, der nicht in der Lage ist, dem christlichen Existenzvollzug eine wesentliche Orientierung zu vermitteln. Die Behauptung irgendeines prozessualen Vorgangs am Ende oder jenseits unserer Zeit- und Welterfahrung ist nur innerhalb einer assertorischen Theologie mit all ihren Problemen möglich. 26 Nicht erst die hermeneutische Situation der Gegenwart, die es der Theologie nicht gestattet, Aussagen über raumzeitliche Vorstellungen eines »letzten Gerichts« zu machen, relativiert die Bedeutung dieses Motivs, sondern vor allem das Neue Testament selbst, das auf die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade vertraut. 27 Ihm geht es um die Gestaltung der gemeindlichen Existenz in einer Gegenwart, deren Verhärtun- 58 gen durch die Kreativität der Liebe aufgebrochen werden. 28 Zu dieser Kreativität, die auch angesichts der Ereignisse seit dem 11. September 2001 gefordert ist, trägt das Mythologumenon vom »Jüngsten Gericht« nichts bei. Anmerkungen 1 E. Brandenburger, Gerichtskonzeptionen im Urchristentum und ihre Voraussetzungen, in: ders., Studien zur Geschichte und Theologie des Urchristentums (SBA 15), Stuttgart 1993, 289-338, hier 289f. 2 Gericht Gottes als krisis (Gericht): bes. Q; Mt u. Joh; daneben in 2Thess 1,5; lTim 5,24; Hebr 9,27; 10,27; Jak 2,13; 5,12; lJoh 4,17; Offb 14,7; 16,7; 18,10 u.ö. 3 Christus oder Gott als krites (Richter): Apg 10,42; 2Tim 4,8; Hebr 12,23; Jak 4,12; 5,9. 4 K. Müller, Gott als Richter und die Erscheinungsweisen seiner Gerichte in den Schriften des Frühjudentums, in: H.-J. Klauck (Hg.), Weltgericht und Weltvollendung (QD 150), Freiburg 1994, 23-53, hier 28f. 5 J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 3 1998, 432. 6 R. Waltereit, Metonymie und Grammatik, Tübingen 1998, 16. 7 W. Bousset, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter (HNT 21), Göttingen 3 1926, 275-280. 8 Bousset, Religion, 202. 9 Brandenburger, Gerichtskonzeptionen, 306-314. 10 Müller, Gott, 40f. 11 M. Reiser, Die Gerichtspredigt Jesu (NTA.NF 23), Münster 1990, 134; 144f. 12 E. Brandenburger, Gericht Gottes III, TRE 12 (1984), 469-483; ders., Markus 13 und die Apokalyptik (FRLANT 134), Göttingen 1984, 54-65; 131-145; ders., Die Verborgenheit Gottes im Weltgeschehen. Das literarische und theologische Problem des 4. Esrabuches (AThANT 68), Zürich 1981, 179-189; ders., Das Recht des Weltenrichters. Untersuchung zu Matthäus 25,31-46 (SBS 99), Stuttgart 1980, 133-136; Reiser, Gerichtspredigt, 151f. 13 Brandenburger, Recht, 133: »paränetisch orientierte[r] Gerichtsgedanke (allgemeines Gericht nach Taten)«. 14 J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes (ZBK NT 18), Zürich 1984, 66. 15 W. Zimmerli, Ezechiel (BKAT XIII/ 1), Neukirchen 1969, 57-59. 16 L. Bormann, Recht, Gerechtigkeit und Religion im Lukasevangelium (StUNT 24), Göttingen 2001, 35-40. 17 Müller, Gott, 48. 18 M. Jung, Erfahrung und Religion: Grundzüge einer hermeneutisch-pragmatischen Religionsphilosophie, Freiburg 1999, 349. ZNT 9 (5. Jg. 2002) Lulcas Bormann Das »letzte Gericht« ein abständiges Mythologumenon? 19 Joh 6,39f.44.54; 11,24; 12,48; Apg 2,17; 2Tim 3,1; vgl. Hebr 1,2 u.ö. 20 Brandenburger, Gericht, 475. 21 Brandenburger, Gericht, 479. 22 P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer (NTD 6), Göttingen 1989, 44-46. 23 Reiser, Gerichtspredigt, 152. 24 Barmann, Recht, 304-309; 356f. 25 H. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft (BThSt 20), Neukirchen 1993, 68. 26 Z.B. W. Zager, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung Jesu. Eine Untersuchung zur markinischen Jesusüberlieferung einschließlich der Q-Parallelen (BZNW 82), Berlin/ New York 1996, 318; G. Etzelmüller, .. . zu richten die Lebendigen und die Toten. Zur Rede vom jüngsten Gericht im Anschluß an Karl Barth, Neukirchen 2001, 321-326. 27 Vgl. G. Theissen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Christentums, Gütersloh 2000, 379f. 28 H. Weder, Wirksame Wahrheit: Zur metaphorischen Qualität der GleichnisredeJesu, in: ders., Einblicke ins Evangelium, Göttingen 1992, 151-166. MAINZER HYMNOLOGISCHE STUDIEN Christian Möller (Hrsg.) Kirchenlied und Gesangbuch Quellen zu ihrer Geschichte Ein hymnologisches Arbeitsbuch Band 1, 2000, 400 Seiten, zahlr. Abb., geb. € 49,-/ SFr 88,- ISBN 3-7720-3001-7 kart. € 37,50/ SFr 71,- ISBN 3-7720-2911-6 Dieser Band behebt ein wesentliches Desiderat der Hymnologie: daß es nämlich bisher kein umfassendes Quellenbuch gab, mit dem die 2000jährige Geschichte von Kirchenlied und Gesangbuch gelehrt und studiert werden kann. Nun ist es einem Team von erfahrenen Hymnologen gelungen, die verzweigten und vielschichtigen Quellen zu sichten, die wichtigsten auszuwählen, kurze Lesehilfen zu verfassen und in die einzelnen Epochen der Hymnologiegeschichte einzuführen. Das Ergebnis: ein hymnologisches Arbeitsbuch, das zugleich eine "Kirchengeschichte des Singens" erzählt. Geschichte wird beim Studium dieses Quellenbuches lebendig, gewinnt in vielen Notenbeispielen Klang und wird in einzigartiger Weise anschaulich. Mit diesem Arbeitsbuch kann Hymnologie nun intensiver studiert und gelehrt werden. Inhaltsübersicht: Die Alte Kirche (Ansgar Franz) · Das Mittelalter (Franz-Karl Praß! ) · Das 16. Jahrhundert (Christian Möller) · Das 17. Jahrhundert (Martin Rößler) · Das 18. Jahrhundert (Martin Rößler) · Das 19. Jahrhundert (Ulrich Wüstenberg) · Das 20. Jahrhundert (Heinrich Riehm) · Aus Liedtraditionen der fremdsprachigen Ökumene (Jürgen Henkys) Irmgard Scheitler (Hrsg.) Geistliches Lied und Kirchenlied im 19. Jahrhundert Theologische, musikologische und literaturwissenschaftliche Aspekte Band 2, 2000, 254 Seiten, div. Abb., € 39,-/ SFr 74,- ISBN 3-7720-2912-4 Die Bedeutung des 19. Jahrhunderts für die Wiederentdeckung und Kodifizierung alten Liedguts ist zwar unbestritten dennoch wird die Epoche von der hymnologischen Forschung eher gemieden. Die Beiträge des vorliegenden Bandes versuchen, das 19. Jahrhundert von seinem Staub zu befreien und ihm seinen Platz in der Frömmigkeitsgeschichte zuzuweisen. Wesentlich ist dabei, die hymnologischen Bestrebungen im Zusammenhang mit den zeitgenössischen historischen, sozialen und epistemologischen Veränderungen zu sehen. Verbreitete Vorurteile wie das vom 'harten Bruch' mit der Aufklärungstradition müssen differenzierteren Betrachtungsweisen weichen. Manche Aspekte zeigen das Jahrhundert als Wegbereiter moderner Vorstellungen. Mit ihrem Ringen um die Mitte zwischen Bewahrung und Erneuerung erscheinen die Diskussionen des 19. Jahrhunderts erstaunlich aktuell. Mit Beiträgen von Franz Kohlschein - Bernhard Schneider - Gottfried Eberle - Walther Dürr - Ilsabe Seibt - Ulrich Wüstenberg - Konrad Kiek- Heike Wennemuth - Christoph Großpietsch - Heinz Rölleke - Irmgard Scheider. A. Francke Verlag Tübingen und Basel Ingrid Schoberth Kein bloß >lieber Gott<. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie Kaum ein anderes Bild kennzeichnet die gegenwärtig dominierende Rede von Gott wie das des >lieben Gottes<. Auch in der Praktischen Theologie ist mit gutem Grund die Perspektive auf Gottes Liebe vorherrschend: Darin manifestiert sich nicht nur die Abkehr von autoritären Gottesbildern, sondern vor allem die theologische Leitlinie, Gottes ganzes Handeln von seiner liebenden Zuwendung her zu verstehen. So versteht sich die Seelsorge als Kommunikation des Evangeliums in Verständnis und Stärkung, und nicht als Bußruf; die Religionspädagogik bemüht sich, Gott als Begleiter und verläßliches Gegenüber zu zeigen und nicht als moralische Instanz, vor der Schüler zu bestehen haben. Es besteht kein Anlaß, diese Konzentration auf Gottes Liebe aufzugeben. Allerdings wäre dabei genau zu bedenken, wie solche Liebe Gottes wahrgenommen wird. Ist diese Liebe Gottes mehr und anderes als Abbild und Überhöhung der Liebe, die wir uns von anderen Menschen wünschen? Wie aber kann sie dann tragfähig und befreiend sein, über das hinaus, was wir von anderen Menschen erwarten und ihnen zumuten können? Ist dann die >Liebe Gottes< nicht lediglich eine Verdopplung dessen, was wir als Liebe erfahren, und Projektion dessen, was wir vermissen? Dabei ist zu bedenken, daß der Spitzenaussage von lJoh, »Gott ist die Liebe« (lJoh 4,16), die Trivialisierung droht, wenn sie einerseits zur einzigen Gottesprädikation und andererseits zur Projektion menschlicher Liebe wird. Walter Dietrich und Christian Link weisen zu Recht darauf hin, daß diese »große neutestamentliche Gottesdefinition ... in der heutigen Alltagssprache zur kleinen Münze zu verkommen« scheint. 1 Zu ergänzen ist, daß diese Diagnose wohl auch weithin für die Sprache kirchlicher Verkündigung und für den Unterricht in christlicher Religion zutrifft. In dieser Vereinseitigung hört dann aber auch die Botschaft von Gottes Liebe auf, eine befreiende Botschaft zu sein: Sie wird zur Allerweltsaussage und »gerät so zum Spiegelbild eigener Lebenswünsche.«2 60 Auf die Abgründigkeit der biblischen Rede von Gott, auf die ,dunklen Seiten Gottes< machen Walter Dietrich und Christian Link mit allem Nachdruck aufmerksam. Sie tun das nicht, um auf einer Vollständigkeit des Redens von Gott zu beharren, sondern weil sie mit Recht in der Verdrängung dieser >dunklen Seiten, einen wesentlichen Grund für die Aporien erkennen, in die die Gottesrede geraten ist. Damit ist zugleich eine unerledigte und drängende Aufgabe der Theologie bezeichnet. Zu dieser umfassenden Aufgabe sollen hier einige Überlegungen aus praktisch-theologischer Perspektive beigesteuert werden. Bleibt der auf Nähe und Zuwendung beschränkte Gott nämlich nur noch zuständig für die guten Zeiten des Lebens, dann wird der bloß >liebe Gott< unglaubwürdig und der Bezug auf ihn trostlos, sobald die heile Welt sich als Illusion erweist: »Wo Unheil und Leiden sich melden, paßt er nicht mehr. Man ist dann enttäuscht und wendet sich ab von ihm.« 3 Nun kann es nicht darum gehen, quasi aus praktisch-theologischen Nützlichkeitserwägungen ein autoritäres, dunkles Gottesbild zu propagieren. Die genannte Verharmlosung ist ja gerade eine Reaktion auf ein solches Gottesbild. Die Vorstellung des zornigen und strafenden Gottes brachte Autoritäts- und Angststrukturen hervor, die man mit gutem Recht nicht mehr aufrechterhalten will. Insofern ist es geboten, die ,dunklen Seiten< Gottes eben als die des Gottes wahrnehmen zu lernen, der sich in der Geschichte Israels und in der Geschichte Jesu Christi als der Rettende und Erlösende bekannt gemacht hat: Von diesem eben wird gesagt, daß er die Liebe sei. Nur aus dieser Spannung hat darum die >große neutestamentliche Gottesdefinition< des 1Joh ihre Kraft. Die praktisch-theologische Aufgabe läßt sich demnach so umreißen: angesichts der Verharmlosung der Gottesrede wäre darum nach einem solchen Reden von Gott zu suchen, das weder auf den ,lieben Gott< reduziert bleibt, noch die Ausrichtung am Evangelium trübt. Wie können die >dunklen Seiten, Gottes hier zur Sprache kommen? ZNT 9 (5. Jg. 2002) Ingrid Schobert Prof. Dr. Ingrid Schoberth, Jahrgang 1958, 1992 Ordination zur Pfarrerin der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Pfarrerin im Schuldienst 1997-1999. 1990 Promotion im Fach Systematische Theologie und 1997 Habilitation im Fach Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät Erlangen. Seit August 1999 Professorin für Evangelische Theologie, Fachrichtung Religionspädagogik und Didaktik der Ev. Religionslehre, an der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal. 1. Wie harmlos ist der Kinderglaube? Die Scheu, anders als bloß vom >lieben Gott< zu reden, ist wohl nicht zuletzt begründet in einer Verdrängung der Verletzlichkeit des Lebens und der Realität des Leidens. So dürfte religionspädagogisch das Gefühl verbreitet sein, man könne Kindern die Realität der Schrecken und Leiden nicht zumuten. Von welchem Gott ist darum Kindern zu erzählen? Wird Kindern nur ein >lieber Gott< vor Augen geführt, dann bleiben sie mit ihren Erfahrungen des Abgründigen, von Unheil und Bedrohung, die sie in aller Intensität kennen, allein. Gerade Kinder leiden aber oft genug an der Tabuisierung ihrer Ängste und Schmerzen. Sie haben keine Sprache dafür und sind auf die Behutsamkeit der Erwachsenen angewiesen, auf ihr Verständnis, aber auch ihre Wahrhaftigkeit, die nicht in irriger Anpassung an eine fiktive heile Kinderwelt die Realität der Leiden verschweigt. 4 Die Reduktion der Gottesrede auf den allein >lieben Gott< läßt die dunklen Erfahrungen der Kinder ohne heilsamen Bezug auf Gott. Kennen die Kinder nur den bloß >lieben Gott<, dann wird dieser Gott angesichts ihrer Erfahrungen sehr schnell unglaubwürdig. In der Ausblendung des ZNT 9 (5. Jg. 2002) Leids und Unheils aus der Gottesrede manifestiert sich eine verständliche Verdrängung der Fragilität des Lebens, die wir unseren Kindern kaum zumuten wollen. Wird das Reden von Gott aber in der Weise verharmlost, daß er als Garant für eine heile Welt steht, dann erfahren ihn Kinder jedenfalls nicht als Gott des ganzen Lebens, sondern als Gott für die guten und moralischen Zeiten. In Klage und Traurigkeit bleiben die Kinder mit sich allein; sie finden keine Sprache, die sich auch in den dunklen Zeiten an Gott festmachen kann. 5 Zur religiösen Bildung und Erziehung wie auch in der Verkündigung gehört es darum unabdingbar, daß die Bedrohungen des Lebens nicht übergangen werden, sondern in ihnen Gott erkennbar und mitteilbar werden kann als der, der auch durch dunkle Zeiten hindurch mitgeht. 6 Gerade weil Kinder und Jugendliche solche Bedrohungen des Lebens oft stärker wahrnehmen als Erwachsene, ist diese religionspädagogische Aufgabe zentral: die Verheißung eines guten und gelingenden Leben »in einem Zeitalter der Lebensgefahr« 7 wachzuhalten. Insofern muß das Reden von Gott Kinder wie Erwachsene dazu befähigen, gerade angesichts der Tragik dieser Welt 8 zu einem nüchternen Welt- und Selbstverhältnis zu gelangen wie auch zu einem Wissen um eine Zukunft, für die Gottes Verheißungen einstehen. 2. Sprachfähig bleiben angesichts des Leides Die Sprache der Bibel leitet dazu an, solches Reden von Gott wieder zu lernen. Hier stehen Sprachformen und Bilder bereit, die das Dunkle nicht verdrängen und es gleichwohl nicht in der Ambivalenz belassen, weil auch das Unverständliche und Leidvolle bezogen bleibt auf den Gott, der sich bekannt gemacht hat als der, der an dieser Welt durch Gericht und Verheißung gehandelt hat, handelt und handeln wird. Die Sprache der Bibel zeigt ein solches unterscheidendes Reden von Gott, das die Vielfalt der Erfahrungen von Glück und Schmerz nicht einebnet, sondern bezogen sein läßt auf Gottes Gegenwart. So verleugnen auch die Bilder, die auf den ersten Blick als Inbegriff des Friedvollen und Heilen erscheinen, nicht die Abgründigkeit; noch die Me- 61 taphern der Bewahrung und der Geborgenheit enthalten in sich die Realität der Bedrohung. Der >Hüter Israels< wie der ,gute Hirte< sind nicht einfach Illustrationen des ,lieben Gottes" sondern halten fest, daß diese Liebe gerade darum verläßlich ist, weil sie das Wissen um die tödliche Bedrohung und auch den Kampf nicht aussparen. Gott ist Schutz, weil er alles dafür tut, daß Israel geborgen bleibt, nicht aber, weil die Welt als eine heile gedacht würde. Das Bild des Hüters (Ps 121,4) impliziert Bedrohung und Ansturm der Feinde, wie auch der Hirte (Ps 23) seine machtvolle Hilfe erweist im Angesicht der Feinde und im dunklen Tal. Die Metaphorik und Bildwelten der Bibel weisen über eine abstrakte Rede von Gott hinaus auf ein genaues und bestimmtes Reden von Gott, das auch die Abgründigkeiten einbezieht, denen sich Gott in seiner Gegenwart und Gerechtigkeit aussetzt. Diese Abgründigkeiten Gottes werden wahrgenommen in der Frage: »Warum läßt Gott das zu? « Diese Frage wird zum Ausdruck einer unstillbaren Frage nach Gottes Gerechtigkeit. Die Antwort darauf muß dann nicht zu einem Verlust Gottes führen, wenn es gelingt, auch das ,Ausstehen Gottes< 9 in der Gottesrede selbst unterzubringen. Dann können diese Zeiten der Gottesfinsternis geradezu neue Orientierung freisetzen. Diese beginnt mit der Erfahrung, daß Gott in der Klage von Menschen trotz seiner Ferne gegenwärtig ist. Im Klagen und in der Trauer bleibt Gott, auch wenn er noch so fern scheint und sein Antlitz verborgen, das Gegenüber des Menschen; hier kann Gott auf seine Verläßlichkeit angesprochen werden. Indem die Sprache des Glaubens das Ausstehen Gottes nicht ausspart, greift sie zugleich über dieses Ausstehen hinaus und macht sich fest an den Verheißungen Gottes. ,Klagen lernen< ist in dieser Perspektive eine praktisch-theologische Grundaufgabe, die nicht unterlaufen werden darf durch einen zu schnellen Verweis auf das ,Dennoch< des Glaubens, das in seiner Unvermitteltheit eher das stoische Subjekt als das Handeln Gottes evoziert. Glaube nimmt eben nicht die Brüchigkeit des Lebens, die Gegenwart des Leids und der Zerstörung gleichmütig hin, sondern appelliert gegen sie an Gott. Die Klagen für sich in Anspruch zu nehmen und dabei Gott als verläßliches Gegenüber wahrnehmen zu lernen, erweist 62 sich darum als grundlegend für das Einüben des Redens von Gott. Dafür steht biblisch die Rede vom Gericht ein. Als entscheidendes praktisch-theologische Kriterium läßt sich festhalten: Wenn Menschen befähigt werden, in ihren Erfahrungen dieser Welt und des je eigenen Lebens auf einen Gott hoffen zu lernen, der an dieser Welt in Liebe handelt, dann muß das zugleich auch heißen, daß hier ein rettender wie richtender Gott handeln und auch in Zukunft handeln wird. Hans-Martin Gutmann fordert darum mit Recht von der Verkündigung wie auch dem Unterricht in christlicher Religion, daß sie »aus dem Gericht und der Verheißung Gottes lebt«; 10 allein solches Reden von Gott kann dann auch Krisenzeiten und der Erfahrung des Leids und des Schmerzes standhalten. Die Pointe biblischer Rede vom richtenden Gott wird in den Vorstellungen von Vergeltung, Strafe oder Erziehung kaum erfaßt; sie verweisen vielmehr auf Gottes richtendes Handeln an dieser Welt, also den Richter, der »mit sehendem Auge da ist, der den Weltlauf nicht dem Gesetz seiner eigenen Entwicklung überläßt.« 11 Im Angesicht einer Welt voller Gewalt, Unrecht und Zerstörung würde ein bloß ,lieber Gott<, der Böses wie Gutes unterschiedslos geschehen läßt, gerade kein liebender Gott mehr sein. So ist es gerade die Liebe Gottes, die seinen Zorn, seine Gerechtigkeit und seine Macht einfordert. Insofern bedarf es der Wahrnehmung des ganzen biblischen Redens von Gott, auch in seiner Abgründigkeit und Rätselhaftigkeit, weil Gott nur so der umfassend an dieser Welt handelnde Gott bleibt. 3. Liebe und Gerechtigkeit Wie läßt sich nun Gott als der richtende und rettende so wahrnehmen, daß beide Prädikate nicht in schlichtem Widerspruch stehenbleiben und zu einer Ambivalenz der Gottesrede führen? In biblischer Perspektive läßt sich diese Ambivalenz nur dadurch überwinden, daß ein sachgemäßes und perspektivenreiches Reden von Gott erprobt wird. Das kann nur gelingen, indem die ganze story Gottes in den Blick genommen und sie nicht auf einzelne Momente reduziert wird. Die widersprüchlichen Erfahrungen des Lebens bleiben in der Ambivalenz, solange man sich nicht hinein- ZNT 9 (5. Jg. 2002) ziehen läßt in diese story Gottes. Aus der Distanz des Zuschauers bleiben die Fragen, die hier entstehen, aporetisch; im Teilen der story werden sie nicht ,gelöst<, wohl aber so in Bewegung gebracht, daß sich neue Perspektiven auftun. In ihrem »Drin-Stehen«, wobei aber nach Dietrich Ritschl »dieses bewußte Teilen der Story Israels und der Kirche nicht leichtfertig als Kriterium der Zugehörigkeit« 12 bezeichnet werden kann, nehmen sie gerade den richtenden Gott als den rettenden wahr; in ihrem Leben und Handeln bildet sich das ab in der Spannung von Liebe und Gerechtigkeit. In einem eindrucksvollem Essay zeigt Paul Ricoeur, daß beide Perspektiven zunächst unvereinbar erscheinen, weil die Sprache der Liebe und die Sprache der Gerechtigkeit zunächst gerade nicht durch ihren Zusammenhang erkennbar werden. Der Widerspruch verschärft sich, insofern die »Poetik der Liebe« und die »Prosa der Gerechtigkeit« 13 auf je ihre Weise Anspruch auf »die individuelle und gesellschaftliche Praxis« 14 erheben; beide sind auf Handeln ausgerichtet und fordern Handeln ein in je unterschiedlicher Weise. Wie kann nun aber beides gelten, gerade wenn das biblische Reden auf diesen Zusammenhang von Liebe und Gerechtigkeit verweist und dies die Lebensform der Nachfolge Jesu Christi geradezu charakterisiert? Im Gebot der Feindesliebe erkennt Ricoeur die unumgängliche Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit besonders deutlich benannt. Das Gebot der Feindesliebe ist so keine Ingrid Schoberth l{ein bloß >lieber Gott< segnet die, welche euch fluchen; bittet für die, welche euch beleidigen! « (Lk 6,27) ist unmittelbar von klarer Gerechtigkeit die Rede: »Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun, ebenso sollt auch ihr ihnen tun.« (Lk 6,31). Das Gebot der Feindesliebe wird ergänzt durch die Logik der Goldenen Regel. Hier stehen nun beispielhaft Liebe und Gerechtigkeit nebeneinander. Wie sind sie beide aufeinander bezogen? Die spezifische Dialektik erkennt Ricoeur darin, daß »das Liebesgebot nicht die Goldene reine Passivität, die das Böse Johannes Climacus, Katharinenkloster, Sinai, 7. Jh. geschehen läßt. Neben dem Auf einer Leiter, die zwischen der Erde und dem christlichen Himmel auf- Gebot: »Liebet eure Feinde; tut gerichtet ist, werden diejenigen, die böse Taten auf sich geladen haben, die Gutes denen die euch hassen; Beute des Teufels. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 63 Regel auf(hebt), sondern reinterpretiert im Sinne der Großzügigkeit.« 15 Ricoeur betont, daß so ein Weg eröffnet wird für ein Gebot, das »nur um den Preis paradoxer und extremer Verhaltensweisen in die ethische Sphäre vordringt: jene Verhaltensweisen nämlich, die im Zuge des neuen Gebotes empfohlen sind: ,Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen ... «<. 16 Das Gebot der Feindesliebe ist damit nicht nur konstitutiv für die Lebensformen des Glaubens, sondern auch für ein angemessenes Reden von dem Gott, der nicht bloß >der liebe, ist, sondern seine Liebe durchsetzt gegen die Ambivalenzen des Lebens und in diesen Ambivalenzen. Feindesliebe ist alles andere als harmlos; in dieser Zumutung ist vielmehr Gott als der zu erfahren, der seine Liebe und sein Recht in einer Weise durchsetzt, die unseren Kategorien widerspricht. 4. Der richtende und der leidende Gott Wie Menschen von Gott reden lernen, welche Bilder von ihm entstehen, wie diese Bilder das eigene Leben und Handeln prägen und wie das schließlich zu einer Praxis des Glaubens führt, an der sich dieser Zusammenhang zeigt, entscheidet sich an dieser Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit. Erst in dieser Dialektik liegt die Chance, so zu einem Reden von Gott anzuleiten, das weder in den Ambivalenzen verfangen bleibt noch die Widersprüchlichkeit des Lebens durch Simplifikationen verfehlt. Für die Praktische Theologie stellt sich dabei weniger die Aufgabe, solche Dialektik erst vorzuführen und zu vermitteln, als ihre Spuren im Glauben und seinen Äußerungen zu entdecken und sich entfalten zu lassen. So zeigt sich, daß die Schüler die Harmlosigkeit der Gottesrede oft selbst unterlaufen. Das kann zu Zumutungen führen, die Lehrer vielleicht verunsichern, aber eben auch zu einem gemeinsamen Lernen anleiten können. Die >Theologie der Schüler, führt manchmal zu einer >Zupackenderen, Gottesrede. Die theologisch irreduzible Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit wird auch von Grundschülern bereits sehr genau wahrgenommen. Eine Schülerin der dritten Klasse formulierte intuitiv in einem Gebet in einfachen Worten die Hoffnung, daß der liebende Gott gerade in seiner Gerechlig- 64 keit an dieser Welt handelt: »Ich hoffe auf Gott, daß er die Bösen gut macht.« Das Gebot der Feindesliebe übergeht nicht die Macht der >Bösen<; gleichzeitig gibt es eine Anleitung, nicht selbst Richter sein zu müssen über das Grauen dieser Welt, sondern Gott das heilsame und schöpferische Urteil zu überlassen. In der Bitte der Schülerin scheint etwas auf von der neuen Schöpfung Gottes, in der Gerechtigkeit und Liebe nicht mehr im Widerstreit stehen: daß die Bösen wieder gut werden ist die Hoffnung der Schülerin, die sie an Gott richtet. Was wäre überhaupt für ein Gebet möglich, wenn sie nur um den bloß >lieben Gott, wüßte? Indem die spezifisch theologische Logik des Redens vom rettenden und richtenden Gott ausgerichtet bleibt auf Gottes neue Schöpfung, ist sie genau zu unterscheiden von einer moralischen Funktionalisierung. Auch die Moralisierung ist eine Gestalt der Verharmlosung der Gottesrede, in der zwar der Perspektive des Gerichts entsprochen werden soll, das aber als Gericht Gottes kaum mehr kenntlich wird. Praktisch-theologisch läßt sich die moralisierende Verharmlosung des Gerichts Gottes kaum vermeiden, wenn es herausgelöst wird aus seiner Verortung in der Geschichte Gottes. Dabei entsteht freilich die Schwierigkeit, daß diese Verortung verbunden ist mit spezifischen Zumutungen für das Verstehen. Es ist darum verständlich, daß viele religionspädagogische Entwürfe sich auf die moralische Plausibilität biblischer Erzählungen beschränken, die jedoch deren Dramatik weit unterbietet. Die theologisch unerläßliche Zentrierung der Geschichte Gottes auf Jesus Christus hat selber Anteil an der Verharmlosung der Gottesrede, wenn sie die eschatologische Spannung abblendet zugunsten der einleuchtenden Mitmenschlichkeit und klaren ethischen Haltung Jesu. Jesus steht gerade nicht ein für den bloß >lieben Gott<, sondern verkündigt Gott in Vollmacht: Das heißt aber gerade, daß er die Welt nicht einfach hinnimmt und Wege zeigt, sich in ihr einzurichten, sondern das Ende dieser Welt ankündigt. Dieser Jesus ist allerdings eine Herausforderung nicht nur an die Praktische Theologie. Umgekehrt wird der Jesus, der keine Herausforderung mehr darstellt, entbehrlich und zum Zeichen der Irrelevanz christlicher Gottesrede. Nur in der ungeduldigen Sehnsucht nach der Ver- ZNT 9 (5.Jg. 2002) änderung der Welt kann diese Gottesrede aber auch ihre Attraktivität in aller Befremdlichkeit entfalten. Exemplarisch deutlich wird das etwa an der Perikope von der Tempelreinigung (Joh 2,13ff.), die nicht zufällig mit der eher freundlichen Erzählung von der Hochzeit in Kana den Beginn der Wirksamkeit Jesu im Joh markiert. Für Schüler kann es zunächst geradezu befreiend sein, Jesus einmal nicht als souverän und überlegen, als verständnisvoll und alles verzeihend zu sehen, sondern im Zorn. Daß Jesus nicht einer ist, >mit dem man alles machen kann<, macht ihn nahe und fremd zugleich. Es hängt nun alles daran, auch die Fremdartigkeit auszuhalten und nicht zu nivellieren, indem man sie auf den ohne weiteres plausiblen Protest gegen die Kommerzialisierung der Religion reduziert. Befremdlich erweist sich Jesus als der endzeitliche Gottesbote, der die eschatologische Zukunft ansagt (vgl. Sach 14,21), der den Gott verkündigt, der sich nicht nur den Menschen zuwendet und sie annimmt, sondern der sein Recht aufrichtet. Gerade diese Aufrichtung des Rechtes ist es aber, in der sich Gottes Zuwendung durchsetzt in einer Welt, die sich gegen Gottes heilsamen Willen verschließt. In der Reinigung des Tempels handelt Jesus als der vollmächtige Bote des liebenden Gottes, der diese Welt und die Menschen sich nicht selbst überläßt, sondern dieser Welt und den Menschen seine Zukunft zuspricht und sie durchsetzt. An dieser Erzählung zeigt sich die befremdliche Paradoxie, daß die Reduktion auf den liebenden und menschlichen Jesus allen Trost verliert. Erst indem Jesus das Bild des allezeit Gütigen und Verständnisvollen abstreift, kann er wieder als der Heiland Gottes wahrgenommen werden, der nicht alles verzeiht, weil er gar nicht anders könnte. In der Erwartung des Gerichts ist die Versöhnung, die Gott in Jesus Christus gibt, mehr und anderes als ein Bemänteln dessen, was ist. 5. Das heilsame Gericht Von dieser Dramatik her ist dann allerdings auch die theologisch fatale Dramatisierung des Gerichts abzuwehren, die in der Individualisierung der Gerichtsdrohung erneut zur autoritären Moralisierung verkäme. Die Verkündigung des Gerichts wäre nicht länger auf Gottes Gericht bezogen, ZNT 9 (5. Jg. 2002) wenn nicht festgehalten wäre, daß es ein heilsames Gericht ist und seine Erwartung auch jetzt schon befreiend ist. Mit dem Reden von Gottes neuer Schöpfung greift das Reden von Gott auf die Zukunft Gottes und seines Gerichts aus. Diese Zukunft ist in besonderer Weise qualifiziert, denn »... nichts von dem vergeht, was in Christus begründet ist.« 17 Dabei steht die Gegenwart gegenüber dieser Zukunft bei Gott in einem neuen Licht und eröffnet eine Ahnung, die die biblische Sehnsucht im Warten »eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in der Gerechtigkeit wohnt« festhält. Wenn alles Unterrichten und Trösten, alles Helfen und Ermahnen sich auf diese Perspektive ausrichtet, dann kann es dazu beitragen, von Gott als Gott meiner Zukunft reden zu lernen. Weil schon Jugendliche den bloß >lieben Gott< und den bloß ,lieben Jesus, als ,Kinderkram, wahrnehmen, ist ein genaueres und umfassenderes Reden von Gott erforderlich. Solches Reden ist ungewohnt; es setzt die Bereitschaft voraus, Entdeckungen zu machen und neue Wege zu erproben. Der Religionsunterricht kann dabei auch gerade solchen Erfahrungen Raum geben, die Schüler nur schwer verarbeiten können und die doch manchmal ganz paradox eher Faszination bei ihnen erwecken als Erschrecken. Ihre eigenen Bilder und oft tastenden Sprachversuche können dabei nicht bloß destruktiv sein, sondern durchaus hilfreich und weiterführend. Ein Schüler der 10. Klasse fand zu Bonhoeffers Gedicht »Von guten Mächten« ein Bild, das in Widerspruch steht zu den Verharmlosungen, die gerade diesem Text widerfahren sind und in einfacher Gestalt die Komplexität der Rede von Gott zur Geltung bringt. Auf seiner Zeichnung ist Gottes blutende Hand zu sehen, die schützend über eine Weltkugel gehalten ist. Dieser Gott ist kein bloß >lieber< und gerade darin der Liebende, der um seiner Welt willen die Verletzungen und das Leid sich selbst zufügen läßt. Ein solcher Gott ist nicht in gütiger Entfernung von der Welt, sondern mitten in einem kosmischen Kampf, der auch ihn selbst verletzt. Zugleich wird die Welt, in der die Menschen leben, als Ort der Verwundungen Gottes erkennbar: Gerade in diesen Verwundungen Gottes ist aber auch die Hoffnung begründet. 65 Anmerkungen 1 W. Dietrich/ C. Link, Die dunklen Seiten Gottes. Willkür und Gewalt, Neukirchen-Vluyn 1995, 148. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl. dazu M. Plieth, Kind und Tod. Zum Umgang mit kindlichen Schreckensvorstellungen und Hoffungsbildern, Neukirchen-Vluyn 2001. 5 Vgl. auch I. Baldermann, Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996, 15: »Widerstandsfähig wird eine Hoffnung erst, wenn sie zugleich sensibel ist für die Bedrohung, wenn sie auch die Klage und Anklage und Verzweiflung in sich aufnimmt.« 6 Welche Komplexität die Arbeit mit Kinder in diesem Feld annehmen kann, zeigt beispielhaft R. Oberthür, Kinder fragen nach Leid und Gott. Lernen mit der Bibel im Religionsunterricht. Ein Praxisbuch, München 1998. 7 H.M. Gutmann, Der Herr der Heerscharen, die Prinzessin der Herzen und der König der Löwen. Religion lehren zwischen Kirche, Schule und populärer Kultur, Gütersloh 1998, 181. Christoph J oosten Das Christkönigsfest Liturgie im Spannungsfeld zwischen Frömmigkeit und Politik Pietas Liturgica, Studia 12, 2002, XXXVI, 445 Seiten, div. Abb., geb. € 74,-/ SFr 122,30 ISBN 3-7720-3271-0 Im Mittelpunkt der Studie steht die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Christkönigsfestes. Das Fest, das seine historischen Wurzeln in der Herz-Jesu-Verehrung des 19. Jh. hat, wurde 1925 von Pius XL eingeführt. Ein religiöser und zugleich gesellschaftspolitischer Akt: Mit dem neuen Ideenfest sollte nicht nur die Christkönigsverehrung gefördert, sondern auch der Anspruch der Kirche auf christliche Prägung der Gesellschaft geltend gemacht werden. Ein Fest aber, das den Herrschaftsanspruch Christi in der Welt verkündet, ist in seiner Feiergestalt abhängig von den sich stetig wandelnden geistigen und politischen Strömungen der Zeit. Am Beispiel Deutschlands wird dies verdeutlicht: Die Feier des Christkönigsfestes zur Zeit der Weimarer Republik bis heute ist ein Spiegel der katholischen Frömmigkeit, zugleich aber auch der Rolle der Kirche in der Gesellschaft. 8 Vgl. S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik, hg. und eingeleitet von R. Hütter, Neukirchen-Vluyn 1995, Evangelium und Ethik 4, 209ff. 9 Vgl. dazu F. Mildenberger, Biblische Dogmatik. Eine Biblische Theologie in dogmatischer Perspektive, Bd. 2: Ökonomie als Theologie; Stuttgart/ Berlin/ Köln 1992, 272-291. 10 Gutmann, Herr der Heerscharen, 177. 11 Dietrich/ Link, Die dunklen Seiten Gottes, 179. 12 D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken; München 2 1988, 74. 13 P. Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit - Amour et Justice; mit einer deutschen Parallelübersetzung von M. Raden, hg. von 0. Bayer, Tübingen 1990, 41. 14 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 41. 15 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 55. 16 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 55.57. 17 G. Sauter, Einführung in die Eschatologie, Darmstadt 1995, 201. Matthias Mayer Die Politische Theologie Girolamo Savonarolas Studien zur Rezeptionsgeschichte und zum aktuellen Verständnis 2001, 239 Seiten, € 48,-/ SFr 86,- ISBN 3-7720-2774-1 Nachdem im Jahre 1494 die Medici aus Florenz vertrieben worden waren, nahm der Dominikaner Girolamo Savonarola (1452-1498) zur Frage nach einer neuen Verfassung öffentlich Stellung. Dieses Wirken erfährt seitdem in der Historiographie unterschiedlichste Beurteilungen. Die moralhistorische Studie von Matthias Mayer verfolgt die Absicht, Savonarola als politischen Theologen zu verstehen, der, motiviert aus mystischen und prophetischen Quellen, die gesellschaftskritische Praxis des Christentums ausweist, ohne jedoch damit einen staatlichen Herrschaftsanspruch zu verbinden. Das aktuelle Verständnis entwickelt Mayer aus der gründlichen Quellenanalyse. Daß diese Arbeit im Kontext des 500. Todestages des Mönches entstand, der auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt wurde, verleiht ihr ein besonderes historisches und systematisches Erkenntnisgewicht. A. Francke Verlag Tübingen und Basel Walter Dietrich/ Christian Link Die dunklen Seiten Gottes Bd. 1: Willkür und Gewalt Neukirchen-Vluyn 3. Aufl. 2000, 233 S., ISBN 3-7887-1524-3 Die beiden Autoren ein systematischer Theologe (Christian Link, Bochum) und ein Alttestamentler (Walter Dietrich, Bern)versuchen, mit dem ersten von zwei Bänden (Band 2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen2000) Verständnismöglichkeiten für die »dunklen Seiten« des biblischen Gottesbildes zu eröffnen. Zu diesen »dunklen Seiten« zählen, und werden in dem Band nacheinander abgehandelt, der Anschein des »willkürlichen« Gottes (Rede von Erwählung, Verwerfung und Verstockung) und der Anschein des »gewalttätigen Gottes« (Rede von Eifersucht und Ausschließlichkeitsanspruch, vom rächenden, zürnenden und richtenden Gott, von Gott als Kriegsherr). Das Buch ist von der Anlage her im doppelten Sinne dialogisch aufgebaut: Alttes- ZNT 9 (5. Jg. 2002) tamentlich-exegetische und systematisch-theologische Reflexionen wechseln sich ab, historische und moderne Fragestellungen werden miteinander verschränkt. Ausgangspunkt ist die zeitgeschichtliche Situation, die aufgrund vieler Katastrophen nicht mehr auf Gott zu verweisen scheint und von einem öffentlichen Schweigen über Gott geprägt ist. Als maßgeblichen Grund für diesen Zustand machen die Autoren das abendländische Gottesbild geltend, das Gott als »summum bonum« definiert und sich weder mit den negativen zeitgeschichtlichen Erfahrungen noch mit den »dunklen Seiten« des biblischen Gottes in Einklang bringen lässt. Dazu kommt die Diskrepanz zwischen der klassischen Dogmatik, Gott tendenziell in seiner Differenz zum Menschen zu bestimmen (dazu gehören All-Aussagen wie allmächtig, allgegenwärtig und allwissend) und der dezidiert anthropomorphen Redeweise der Bibel. Diese zielt auf einen Gott, der für die Seinen Partei ergreift und dadurch sogar seine Gottheit riskiert. In Vorwegnahme des hermeneutischen Ergebnisses wird der theologische Sinn der »dunklen Seiten« Gottes gerade in dieser »Risikobereitschaft« gesehen: »Vielleicht ist nur ein Gott, der sich selbst das Äußerste an Entfremdung, Schmerz und Betroffenheit zumutet, imstande, einer Welt Hoffnung zu geben, die an solchen Zumutungen leidet« (16). Das Ziel des Buches ist es nicht, die »dunklen Seiten« plausibel zu machen oder historisch weg zu interpretieren, auch nicht, sie unkritisch zu übernehmen, sondern sie in ihrer Fremdheit aushaltbar zu machen (14). Über die so emgegrenzte hermeneutische Erschließung der »dunklen Seiten« des biblischen Gottes sollen das heute vorherrschende Gottesbild in Frage gestellt und die negativen geschichtlichen Erfahrungen unserer Zeit einer theologischen Interpretation zugänglich gemacht werden. »Kein Bereich unserer Wirklichkeit muß und darf von Gott abgetrennt werden« so die Grundthese des Buches (14). Der theologische Gewinn der biblischen Reflexion über Gott wird eingangs so formuliert: »Die Bibel aber will Glauben ermöglichen. Darum korrigiert sie unsere abstrakten, von der Lebenswirklichkeit abgezogenen Bilder. Sie legt Gott nicht fest auf die Summe der Erwartungen, die unserem Begriff eines allmächtigen und guten Wesens entsprechen. Im Gegenteil, sie konfrontiert diese Erwartungen mit schockierenden Gegenerfahrungen« (12). Methodisch gehen die Autoren dementsprechend den Weg, die biblischen Erfahrungen mit Gott nachzuzeichnen, die zu problematischen Aussagen geführt haben, anstatt die Aussagen vorschnell systematisch auszudeuten. Für den Themenkomplex Erwählung bzw. Verstockung/ Verwerfung (Teil A) lehnen die Autoren eine theoretische Betrachtungsweise im Sinne einer Prädestinationslehre ab (die der Rede vom aktiv und parteilich in die Geschichte eingreifenden Gott a priori widerspricht) und plädieren statt dessen dafür, die Aussagen aus der »Innensicht« der Erfahrung Israels zu interpretieren. Wichtige Beobachtungen in diesem Zusammenhang sind Israels Staunen über das eigene 67 Erwähltsein, ohne Triumphgefühl anderen Völkern gegenüber (26), die Selbstkritik an Fehlentwicklungen in den politischen und religiösen Institutionen (28ff.) sowie die universale Ausrichtung des göttlichen Erwählungshandelns, wie sie etwa in den messianischen Hoffnungen zur Sprache kommt (33ff.). Die Erwählungsvorstellung wird von da aus als die Perspektive verstanden, »unter der Israel die eigene Situation, seine weitere soziale und kulturelle Umgebung und schließlich die Welt im ganzen wahrzunehmen und zu interpretieren lernt« (39). Erwähltsein wird von Israel als religiös, politisch und sozial verpflichtendes Privileg erfahren. Die Rede von der Verwerfung Israels weist nicht auf einen willkürlichen Gott, sondern auf den Gott, der für sein Volk bis zum Äußersten Partei ergreift und von ihm tief enttäuscht wird (55). Verwerfung ist Folge menschlicher Schuld und hat nirgends endgültigen Charakter (vgl. Röm 11,2! ). Umgekehrt aber lässt sich kein Zusammenhang zwischen menschlicher Unschuld und göttlicher Erwählung fest machen (58), eher schon mit der paradox anmutenden Parteinahme Gottes gerade für die Kleinen und Wehrlosen. - Die ebenfalls anstößig scheinende Rede von der Verstockung der Menschen gilt den Autoren als »Versuch, das Verhältnis von Gottes Macht und menschlicher Macht zu bestimmen und dabei weder den Menschen aus seiner Verantwortung zu entlassen noch dem Glauben an Gottes Weltlenkung fahren zu lassen« (61). Die Verführung des Menschen zur Macht führt dazu, zuerst Kritik nicht hören zu wollen und später sie nicht mehr hören zu können als Maßnahme Gottes, mit der er schließlich die wahren Machtverhältnisse klarstellt. Die Innensicht der Erfahrung Israels lässt die Rede von Erwählung, Verwerfung und Verstockung 68 nicht als göttliche Willkürakte erscheinen (im Sinne der reformierten Lehre von der doppelten Prädestination), auch wird dem Menschen nicht der freie Entscheidungswille abgesprochen (gegen Luther). Vielmehr steht der gesamte Themenkomplex unter dem Vorzeichen des souverän erwählenden und ansonsten »emotional« und parteilich reagierenden Gottes Israels. Der Vorgang der Erwählung »ist kein Präludium im Himmel, sondern ein Drama auf Erden« (72). Dieses Drama bringt es mit sich, dass Menschen die »dunkle« Kehrseite der Erwählung zu spüren bekommen. Allerdings weist das Kreuzesgeschehen auf Gottes (letztlich positives) Verhältnis auch zu diesen Menschen hin: Gott nimmt in letzter Konsequenz die Leiden und das Unrecht aller Menschen auf sich, er ist nicht der Parteigänger einer exklusiv zu verstehenden Erwählung Israels (219). Ebenfalls aus der Innensicht der Erfahrung Israels werden die Aussagen über einen »gewalttätigen Gott« (Teil B) gedeutet. Grundsätzlich wird zwischen den biblischen Aussagen an sich und ihrer (zum Teil verheerenden) Wirkungsgeschichte unterschieden. Vor einer Kontrastierung von alt- und neutestamentlichem Gottesbild wird gewarnt. Mit C.G. Jung wenden sich die Autoren gegen die Ausscheidung der »dunklen Seiten« und mithin gegen die Bestimmung Gottes als »summum bonum«. Nacheinander werden die Teilaspekte »der eifersüchtige Gott«, der Ausschließlichkeitsanspruch Gottes, Gott als Rächer, Gottes Zorn und Gericht sowie Gott als Kriegsherr besprochen. Die anthropomorphe Rede vom »eifersüchtigen« Gott und der damit zusammen hängende Monotheismus stehen im Kontext der im Alten Testament unbestrittenen Existenz anderer Götter in Palästina, die die Identität des Gottesvolkes gefährden (l00f.). Die Rede ist Ergebnis einer langen Erfahrungsgeschichte Israels mit dem Gott, der sich an sein Volk gebunden hat und sich immer für es eingesetzt hat (119f.). Die Rede von der Eifersucht enthält positive wie negative Konnotationen, aber: »Gottes Eifer zielt [...] zuerst und zuletzt auf das Wohl Israels, auf ein ungetrübtes Verhältnis des Menschen zu Gott« (104). Daran bemisst sich im Alten Testament die Rede vom »Zorn Gottes« als nicht dauerhafte, vorüber gehende Kehrseite des Eiferns Gottes um sein Volk. Das systematisch-theologische Problem der Intoleranz, das sich aus dem Ausschließlichkeitsanspruch des eifersüchtigen Gottes ergibt, lösen die Autoren unter Hinweis auf die Beobachtung, dass im Alten Testament der Glaube anderer Völker nirgends zum Feindbild wird (115). Die daraus resultierende ethische Konsequenz für die heutige Zeit heißt ökumenische Konvivenz (nicht aber gleichgültige Koexistenz! ). Die Erinnerung an den im 1. Gebot formulierten Ausschließlichkeitsanspruch Gottes hat bis heute ein kirchenkritisches Potenzial, insofern sie der Tendenz einer gesellschaftlichen Anpassung eine Absage erteilt (127). Der vorchristlich, ja archaisch anmutende Schrei nach der Rache Gottes wird als Protestschrei der Ohnmächtigen gegen das Unrecht interpretiert (vgl. etwa Ps 137). Wichtig ist die Beobachtung, dass Israel die Rache in aller Regel Gott selbst überlässt, mit seiner Parteilichkeit rechnet, die sich gegebenenfalls auch gegen das eigene Volk richten kann (etwa Ez 33,6.8; Nah). Auch die Rede von Gottes Rache lässt die Folgerung eines willkürlich agierenden Gottes nicht zu (138), und schon gar nicht lässt sich an ihr ein Gegensatz zum neutestamentlichen Gottesbild konstruieren (vgl. Apk 6,10, aber auch Mt ZNT 9 (5. Jg. 2002) 6,11! ). Vielmehr steht die Rede von der Rache in äußerster Konsequenz der Vorstellung von Gott als demjenigen, der sich um seine Schöpfung sorgt und als Garant des Rechts angerufen wird. Gott stellt sich auf die Seite der Opfer, nötigenfalls mit Gewalt, ohne freilich Gefallen am Tod der Gottlosen zu finden. »Schwer erträglich ist dem modernen Bewußtsein das autoritäre, ungefiltert anthropomorphe Gottesbild, das hinter den Äußerungen des göttlichen Zorns zu stehen kommt« (168). Gottes Zorn und Gericht dienen der Wahrung des Rechts und der Durchsetzung der Wahrheit. »Der Zorn Gottes ist die Gestalt der Wahrheit, mit der Gott die schlägt, die sich angesichts ihrer erhellenden Kraft gegen sie zu behaupten vornehmen« (170). Demnach ist die Rede vom Zorn und vom Gericht nicht zu moralisieren. Auch ist Gott nicht Urheber von Gewalt und Unrecht, sondern der, der das Grauen mit seinem Zorn und mit seiner Güte »engagiert begleitet« (179) und der als der (nicht nur endzeitlich vorzustellende! ) Richter den Weltlauf nicht dem Gesetz seiner eigenen Entwicklung überlässt. Sinn und Zweck seines richterlichen Handelns ist nicht die Vernichtung der Übeltäter, sondern eine zweite Chance auf Zukunft für sie. Mit Willkür oder gar Determinismus hat all das nichts zu tun, sondern mit Gottes kritischer Einwirkung auf die Geschichte (181). Eine bedenkliche Wirkungsgeschichte hatte schließlich auch die Vorstellung von Gott als Kriegsherrn. Die zahlreichen militanten, ja zum Teil grausamen Anweisungen für den Umgang mit den besiegten Feinden (Kriegsbann, vgl. 1 Sam 15,3 ! ) stehen unter dem Vorzeichen der eigentlich aussichtslosen militärischen Situation Israels. Die Grunderfahrung ist das Schilfmeerwunder. »Israels Dank gilt - ZNT 9 (5. Jg. 2002) auch in Ps 136 der eigenen Rettung, auch wenn sie nicht gewaltlos vonstatten ging. Die Katastrophe der andern wird nicht bejubelt« (210). Gott ist der, der für sein Volk kämpft, und der einzig legitime Grund Krieg zu führen ist die Sicherung der Existenz seines Volkes. Am Ende soll Gott auf dem Zion herrschen, nicht etwa Israel über die Feindvölker (194). Die Verhängung des Kriegsbanns, der einem Genozid gleich kommen konnte (wenn er denn jemals durchgeführt wurde) ist ein extremes Mittel, das die gefährlichsten Feinde Israels als Feinde Gottes trifft sie werden ihm übereignet. Demgegenüber stellt die Wirkungsgeschichte dieser militanten Aussagen eine Pervertierung der dahinter stehenden Konzeption dar: »Was sich in Israel selbstkritisch nach innen richtet, wird in den Kreuzzügen imperial nach außen gekehrt« (205). Als Ergebnis nationaler Erfahrung und Reflexion sind die Texte, die von Gott als Kriegsherrn sprechen, nicht christlich zu vereinnahmen (und gar noch gegen Israel und die Juden selbst zu wenden! ). Das theologische Dilemma, welches sich aus den »dunklen Seiten« Gottes ergibt, ist schließlich die Frage nach denen, die von ihnen getroffen werden die Nichterwählten und von Gott bzw. Israel Geschlagenen und Vertriebenen. Aus christlicher Sicht ist das Dilemma nur unter der Voraussetzung theologisch zu lösen, dass J esu Tod am Kreuz als Akt der Stellvertretung auch für diese Menschen und Völker, als Weg Gottes in die Gewaltverhältnisse der Erde, zu verstehen ist (219). Würdigung: Das vorgestellte Buch stellt sich einem äußerst schwierigen, theologisch hoch brisanten Thema. Es muss in der Auseinandersetzung mit klassischer Dogmatik und aufgeklärtem Denken Rechenschaft über Aspekte des jüdisch-christlichen Gottesbildes ablegen, die sich mit der allgemein gängigen Auffassung von Gott als allmächtigem »summum bonum« nicht vereinbaren lassen. Der Ansatz zu einer Lösung, besser: zu einem besseren Verständnis der fremd erscheinenden »dunklen Seiten« Gottes bewegt sich zwischen prädestinatorischen Auffassungen auf der einen und dem Eindruck eines ohnmächtigen Gottes auf der anderen Seite. Der gewählte Weg über die »Innensicht« der Erfahrungen Israels weist auf ein Gottesbild mit anthropomorphen Zügen, das der Rede vom Menschen als »Ebenbild Gottes« entspricht. Dieser Gott ist nicht abstrakt-theoretisch bzw. systematisch-theologisch greifbar, sondern erscheint als derjenige, der sich aus freien Stücken das kleine Israel als sein Volk (vorläufig stellvertretend für die anderen Völker) erwählt, es auf eine soziale Ordnung, die beispiellos in der Antike da steht, verpflichtet und eifernd darüber wacht, dass es weder von außen noch von innen gefährdet wird. Die Erwählung Israels mündet in die Hoffnung, dass Gott seinen universalen Anspruch durchsetzen werde, durch alle menschlichen Irrwege hindurch, vielfach unerklärlich und abgründig, immer in der Gefahr, an irdischen Machtinteressen und menschlichem Desinteresse zu scheitern. In der Ausgewogenheit der Darstellung, in der Verschränkung exegetischer und systematischer Reflexionen liegt der Wert dieses sehr zu empfehlenden und recht gut lesbaren Buches, auch wenn es letztlich die »dunklen Seiten« Gottes »nur« in ihrer Fremdheit aushaltbar zu machen versucht. 69 Buchreport Ralf Miggelbrink Der zornige Gott Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 168 S., ISBN 3-534-15582-3 Das Buch wählt einen anderen Zugang als das zuerst besprochene Buch. Der Autor ist katholischer Professor für Systematische Theologie an der Universität Essen. Seine Fragestellung ist primär systematisch ausgerichtet, sein Thema ist der Widerspruch zwischen biblischen Aussagen über den gewalttätigen Gott und dem verkündigten Gott der Liebe (9). Zielpunkt des Buches ist es, die Rede vom zornigen Gott als integrativen Bestandteil christlicher Lehre einzubringen und kritisch gegen die gesellschaftlich überaffirmativ wirkende Rede vom »lieben Gott« zu wenden. Es behandelt im ersten Teil »Ursprung, Geschichte und Wandel des biblischen Motivs vom zornigen Gott« (13-102). Charakteristisch ist die konstante Verschränkung exegetischer, systematischer und sozialgeschichtlicher Betrachtung. Im zweiten Teil ist der »Zorn Gottes als Problem theologischer Herme- 70 Ralf Miggelbrink Der zornige Gott Die Bedeutuni; i einer anstößigen biblischen Tradition neutik« Thema (103-141), der letzte Teil, »Gottes Zorn und seine dramatische Geschichte mit der Welt«, fragt nach Relevanz und Möglichkeit verantwortbarer Rede vom zornigen Gott in der christlichen Verkündigung (142-161). Drei kurze Indices (Personen, Begriffe, Bibelstellen) beschließen das Buch. Die breite exegetische Betrachtung (Teil I) läuft auf die Feststellung einer Entwicklung der biblischen Gottesvorstellung im Sinne einer Entemotionalisierung der Rede vom zornigen Gott hinaus. War in den Anfängen israelitischer Theologiebildung JHWH als »zorneswilder« Wetter- oder Sturmgott vorgestellt (14), so ist die Rede vom Gotteszorn ab der Zeit der Schriftprophetie emotionslos und als metaphorischer Ausdruck für die Erfahrung der Folgen unsozialen Verhaltens zu verstehen. »Bricht das Gemeinwesen zusammen, so offenbart sich darin der Zorn Gottes« (17). Der Prophet macht auf Gottes Lebensordnung als Grundlage des sozialen Gefüges und die sachlogischen Konsequenzen eines Zerfalls der Lebensordnung aufmerksam. Prophetische Gerichtsworte haben keinen appellativen Charakter, sondern kündigen die zwangsläufig eintretende Katastrophe an (19). Gott ist kein willkürlicher Despot oder Bestrafer, sondern Sachwalter der von ihm selbst eingerichteten Lebensordnung mit dem Ziel, das Gute zu erhalten. »Gott rettet auch in seinem Zorn. Aber dieses Retten fällt anders aus, als Menschen es sich erwarten. Es kann eben nicht die Rettung dessen sein, was nicht rettbar ist innerhalb der Ordnung des Lebens, die Gott zum Gesetz der Welt gemacht hat« (24). - Die deuteronomistische Tradition macht den Alleinverehrungsanspruch JHWHs geltend und individualisiert die Ethik. Gottes Zorn wird bei VerleLzung des 1. Gebots und sozialer Verpflichtungen wirksam. Zu unterscheiden ist nach Miggelbrink hier wie anderswo zwischen der (politisch-kämpferischen) »äußeren Gestalt der Gotteswirklichkeit« und dem »Wesen Gottes« (33). Ziel des göttlichen Handelns ist es, notfalls mit Gewalt in ein Leben ohne Gewalt einzuführen. - Die Vorstellung vom zornigen Gott wird in den priesterschriftlichen Texten des Alten Testaments überwunden. Im Mittelpunkt des nachexilischen Sühnekults steht die Möglichkeit des Neuanfangs anstelle der Androhung des Zornes Gottes. Als Geber des Lebens und der Schöpfungsordnung zielt JHWHs Handeln auf die Förderung jeglichen Lebens ab. Die Vorstellung einer funktionierenden Schöpfungsordnung steht auch hinter dem weisheitlichen Konzept des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Da diese Ordnung durch den Menschen nicht ernsthaft in Gefahr zu bringen ist, erübrigt sich die Rede vom zornigen Gott. Die emotional aufgeladenen Aussagen des Hiobbuches bieten keine metaphysisch abstrakte Lehre über das Wesen Gottes, sondern sind poetisch-metaphorisches Mittel, um den Sinn menschlichen Leidens zu bestimmen (63). Die postmortale Verlagerung der göttlichen Vergeltung im Buch der Weisheit macht die Zornmetaphorik überflüssig. Auch hier gilt: »Gottes Strafen ist kein irrationales Wüten, sondern ein nach Axiomen erfolgendes, pädagogisch motiviertes, dosiertes Vorgehen« (66). Gott bestraft nicht direkt, sondern mittels innerweltlicher Zweitursachen. - In den Makkabäerbüchern und in der frühjüdischen Apokalyptik steht die Rede vom zornigen Gott im Dienst religiös-politischer Propaganda, Emotionen Gottes sind auch hier nicht zu erkennen. - In der Predigt des Täufers und ]esu steht die individuelle Rettung aus dem Zorngericht, d.h. die Integration der Sünder, 1m Vordergrund. Das ZNT 9 (5. Jg. 2002) Gericht ist negative Begleiterscheinung der anbrechenden Gottesherrschaft. Emotionale Aspekte des Zorns treten zurück. Das Gericht ist ein »Ereignis von unvermeidlicher Zwanghaftigkeit, das das Heilshandeln wie ein Schatten begleitet« (83). Der Deutung des Todes Jesu kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zu. Er ist nicht als göttliche Notwendigkeit, sondern als Konsequenz des sündigen Widerstands gegen das Leben Gottes zu verstehen. »Im Sterben Jesu wird Gottes rettende und Schuld tilgende Gnade offenbar und wirksam. Am Kreuz wird also nicht der Zorn eines über die Sünde der Menschen erregten Gottes besänftigt« (87). Nachfolgend stellt Vf. dogmengeschichtliche Deutungskonzepte des Todes J esu vor, in denen der Zorn Gottes unterschiedlich bewertet wird. Im Konzept der »Stellvertretung« sieht Miggelbrink die Überwindung der Aporien einer objektivistisch verstandenen Satisfaktionstheorie. - Bei Paulus ist die Rede von Gottes Zorn nicht als göttlicher Affekt misszuverstehen, sondern als schicksalhaftes Verhängnis der Menschen, die Gott nicht anerkennen (98). Im nahen Zorngericht verfährt Gott nicht emotional, sondern sachlich, als Richter. - Selbst in der Offenbarung des Johannes ist von einer Emotionalität Gottes nichts zu spüren. Die Vernichtung der Gottlosen am Ende, so Miggelbrink, geschieht als deren völlig leidenschaftslose Beseitigung. Selbst die Darstellung der Zornschalen, in der Gott mit leidenschaftlichem Wutzorn in Verbindung gebracht wird, sagt über das Wesen Gottes nichts aus. »Die Zorneswut Gottes erscheint also auch hier als die Wut derer, die gerade mit ihrer eigenen Wut von Gott bestraft werden.« »Der Begriff der orge bezeichnet in der Apokalypse eher das souveräne Gerichtshandeln Gottes« (102). ZNT 9 (5. Jg. 2002) Der zweite, hermeneutische Teil bietet klassische Lösungsversuche zum Verständnis der Rede vom zornigen Gott, die zwischen positiver Rezeption (etwa Laktanz) und Negierung (hellenistische Philosophie) schwankt. Für die biblischen Texte plädiert Miggelbrink für ein kontextuelles, existenzielles und relationales Verständnis (109). Energisch wendet er sich gegen das zur Irrelevanz tendierende, pluralistische Grundverständnis der Postmoderne (Lyotard) und gegen ein »mythisches« Verständnis. Der Rekurs auf die moderne Metapherntheorie lässt Miggelbrink die Zorn-Aussagen nicht metaphysisch verabsolutiert, sondern als Provokationen der Leserschaft verstehen; als solche haben sie eine gesellschaftskritische Funktion. »Das Theologumenon vom Zorne Gottes ist die Metapher der politischen Relevanz des JHWH-Glaubens« (119). Mit Rahner kann Miggelbrink so am Geheimnis-Charakter des Wesens Gottes festhalten. Eine hermeneutische Dispensierung der Rede vom Gotteszorn kommt auch deshalb nicht in Frage, weil die Rede von Gottes Liebe existenziell nicht ohne die Erfahrung seines Zorns zu verstehen wäre. Miggelbrink plädiert für eine nicht-selektive Hermeneutik, die die divergierenden Aspekte der Rede über Gott aufeinander bezieht. »Der biblische Text ist Wort Gottes, insofern er dem Menschen ermöglicht, an ihm als ein Mensch von Gott her in eine Entwicklungsgeschichte auf Gott hin einzutreten« (133). Teil III des Buches liest sich wie ein Fazit: Der Gott Israels offenbart sich unter anderem in seinem Zorn als der Anwalt der von ihm inaugurierten Freiheitsinspiration (142), die Propheten sind Repräsentanten der göttlichen Lebensordnung, deren Zerstörung Gott nicht zulässt. Die prophetische Aufgabe ist nach Miggelbrink nach wie vor aktuell und hat von ihrer gesellschaftskritischen Brisanz nichts eingebüßt. Gegen soziale und ethische Indifferenz (Abtreibung u.a.) und gegen die Verweigerung von Gerechtigkeit hat die Kirche die Aufgabe, auf den Zorn Gottes hinzuweisen, präzise Missstände zu benennen und zu nützlicher und effizienter Opposition aufzurufen. Kirche reiht sich in ihrem Widerstand gegen die Strukturen des Bösen in den Antagonismus zwischen Gott und Welt ein (157). Mit der Rede vom zornigen (und liebenden! ) Gott bringt Kirche ihn als fordernden Gott ins Spiel und weist auf die notwendige Solidarität aller Menschen in der Situation der Gottesferne hin. Christliche Predigt hat nichts mit eirenischem Indifferentismus, sondern mit engagiertem Protest zu tun (161). Dem biblischen Befund gemäß ist in der Verkündigung auf die Metaphorizität der Vorstellung eines emotionalwillkürlichen oder empathischen Gottes hinzuweisen. Würdigung: Das Buch schlägt einen weiten Bogen von den biblischen Aussagen über dogmen- und theologiegeschichtliche Reflexionen bis hin zu kultur- und sprachwissenschaftlichen Überlegungen. In der Kürze von 160 Seiten erscheint vieles sehr gedrängt und sprachlich relativ schwer zu verstehen. Inhaltlich wäre von exegetischer und dogmengeschichtlicher Seite manches Fragezeichen (etwa zur Funktion prophetischer Gerichtsrede, vgl. dazu Volker A. Lehnert, Die Provokation Israels. Die paradoxe Intervention von J es 6,9-10 bei Markus und Lukas, Neukirchen 1999) zu setzen. Das erkennbare Bemühen, die emotional-affektive Seite der Rede von Gott exegetisch und hermeneutisch zu negieren, erscheint künstlich und von dogmatischen Prämissen geleitet. Die Unterscheidung zwischen Metaphorizität und eigent- 71 lichem »Wesen« Gottes ist wenig hilfreich, die Betonung des ordo- Gedankens in Miggelbrinks Gottesbild wird der in den biblischen Texten erkennbaren Dynamik des Verhältnisses zwischen Gott und Menschen nicht gerecht. Kurt Erlemann Dietmar Mieth Hadewych Snijdewind (Hrsg.) Religion zwischen Gewalt und Beliebigkeit 2001, 122 Seiten,€ 23,-/ SFr 44,- ISBN 3-7720-2761-X Das Buch veröffentlicht Texte eines Symposiums der Stiftung Edward Schillebeeckx in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Das Thema des weltweit geschätzten Theologen Schillebeeckx, das im Mittelpunkt stand, war Religion und Gewalt. Die Frage, wie man mit Ansprüchen von Absolutheit und der Anforderung von Gewaltverzicht umgehen soll, steht in merkwürdigem Kontrast zu den "postmodernen" Phänomenen von Religiosität, welche die Beiträge von Hermann Häring, Jean-Pierre Wils, Anton van Harskamp und Dietmar Mieth behandeln. Nach Schillebeeckx mufs es etwas "Unantastbares" geben. Der unantastbare Wert des Menschseins wird in allen Religionen vorausgesetzt. Jede Religion, die diesen Ausgangspunkt nicht teilt, wird auf fatale Weise gewalttätig. A. Francke Verlag Postfach 2560 · D-72015 Tübingen Tel. (07071) 9797-0 · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / v.1ww.francke.de 72 Mit dieser CD wird erstmals das griechische Neue Testament in einer preiswerten Ausgabe für den deutschsprachigen Markt zugänglich. Besonders wichtig ist die Kombinierbarkeit mit den anderen Bibeln aus der elektronischen Textbibliothek "Bibel digital,: Sie ermöglicht den griechischen und deutschen Bibeltext in zwei Fenstern versweise parallel darzustellen. Text • Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece in 27. Auflage ohne Apparat Besonderheit • Griechischer TrueType Font • Übernahme von griechischem Bibeltext in die Textverarbeitung ist möglich • Deutsche und englische Benutzeroberfläche • Nur CD ohne Buch • Erst ab Windows® 95 CD-ROM (griechischer Bibeltext des Neuen Testaments mit Suchprogramm) in Jewel-Case und 16-seitigem Einführungsbuch ISBN 3-438-01939-6 €(D) 25,00/ €(A) 28,80/ sFr 46,90* * unverbindlich empfohlener Preis BB Deutsche Bibelgesellschaft Postfach 81 03 40 • 70520 Stuttgart www.bibe/ gesel/ schaft.de Analyse und Erarbeitung von Predigten: Theorie, Methoden, Praxis Wilfried Engemann Einführung in die Homiletik Theologische Grundlagen - Methodische Ansätze - Analytische Zugänge UTB 2128, 2001, XVI, 502 Seiten, € 19,90/ SFr 33,50 UTB-ISBN 3-8252-2128-8 Das Profil der vorliegenden Einführung in die Homiletik umfafst alle Themen der Predigtlehre. Eine Besonderheit stellt die einleitende Dokumentation der Probleme der Predigt auf der Basis der Auswertung von Predigten dar. Das Buch enthält aufserdem einen eigenen, der Theologie der Predigt gewidmeten Teil, in dem die Aufgabe, das Ziel und die Dimensionen der Predigt erörtert werden. Im Hauptteil des Werkes werden verschiedene Ansätze der Homiletik vorgestellt, und im Hinblick auf ihre Konsequenzen bedacht. Ein Kapitel über die Predigtanalyse stellt in gut verständlicher Weise die wichtigsten Verfahren vor und entwikkelt Fragestellungen, nach denen die Leser auch ihre eigenen Predigten kritisch untersuchen können. Im letzten Teil des Buches wird ein Modell zur Erarbeitung einer Predigt vorgestellt. Ein umfangreiches Register und eine thematisch gegliederte Bibliographie schließen das Buch ab. A. Francke ZNT 9 (5. Jg. 2002) 0, C ~ : c "" r ~ '" .c u u C j'i ! II : ,: : .c u ~ * ü [ ] Jetzt als sensationell preiswerte und ungekürzte Sonderausgabe! 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Band 6: Gnilka, Epheserbrief Band 7: Gnilka, Philipperbrief & Philemonbrief Band 8: und gesch ichte 1, 1 - 8,40 Ober/ inner, 2 Thimotheusbrief Ungeachtet der im Gesamtkommentar nicht vorliegenden, und deshalb auch in der hier angebotenen Kassette fehlenden Bände (Offenbarung; 1+2 Kor; 1+2 Thess; Hebräer) bietet diese absolut preiswerte Sonderausgabe eine außergewöhnliche Fundgrube exegetischen Wissens. Band 2: Schneider, Apostelgeschichte 9, 1 - 28,31 Band 3: Schlier, Römerbrief Band 4: Mussner, Galaterbrief Band 5: Gnilka, Kolosserbrief Erhältlich in jeder Buchhandlung! Band 9: Ober/ inner, Titusbrief / Mussner, Jakobusbrief Band 10: Schelkle, Petrusbriefe und Judasbrief Band 1: Schnackenburg, Johannesbriefe Unverzichtbar für alle lehrenden und Studierenden der Theologie, für alle Prediger und theologisch Interessierten. HERDER www.herder.de~-----------------------------------~ Neu bei Mohr Siebeck Karl-Heinrich Ostmeyer Taufe und Typos Elemente und Theologie der Tauftypologien in 1. Korinther 10 und 1. Petrus 3 2000. XVI, 283 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/ 118). ISBN 3-16-147308-6 fadengeheftete Broschur€ 49,- Stefan Alkier Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung 2001. XVI, 354 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 134). Leinen 3-16-147415-5 € 89,- Cornelis Bennema The Power of Saving Wisdom An Investigation of Spirit and Wisdom in Relation to the Soteriology of the Fourth Gospel 2002. xn, 318 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum neuen Testament II/ 148). ISBN 3-16-147746-4 fadengeheftete Broschur € 59,- Zerstörungen des Jerusalemer Tempels Geschehen - Wahrnehmung - Bewältigung Herausgegeben von Johannes Hahn 2002. Ca. 300 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament). ISBN 3-16-147719-7 Leinen ca. € 90,- (Mai) Maureen Yeung Faith in Jesus and Paul A Comparison with Special Reference to »Faith that Can Remove Mountains« and »Your Faith Has Healed/ Saved You « 2002. xv, 341 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/ 147). ISBN 3-16-147737-5 fadengeheftete Broschur € 59,- Martin Hengel Judaica, Hellenistica et Christiana Kleine Schriften II. Studienausgabe 2002 . Studienausgabe. x, 466 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 109). ISBN 3-16-147751-0 Broschur ca. € 70 ,- (April) Martin Hengel Paulus undJakobus Kleine Schriften III 2002. Ca. 600 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum neuen Testament 141). ISBN 3-16-147710-3 Leinen ca. € 150 ,- (April) Otfried Hofius Paulusstudien II 2002. vm, 294 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum neuen Testament 143). ISBN 3-16-147736-7 Broschur € 39,-; ISBN 3-16-147735-9 Leinen € 69, -; SeyoonKim Paul and the New Perspective Second Thoughts on the Origin of Paul's Gospel 2002. xv, 336 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testa ment 140). ISBN 3 -16-14 7692-1Leinen € 89,- Ansgar Wucherpfennig Heracleon Philologus Gnostische Johannesexegese im zweiten Jahrhundert 2002. XIV, 476 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen z um Neuen Testament 142). ISBN 3-1 6-147658-1 Leinen € 99 ,- James M. Scott Paul and the Nations The Old Testament and Jewish Background of Paul's Mission to the Nations with Special Reference to the Destination of Galatians Student Edition 2002. Studienausgabe. XVI, 276 Seiten + Ausschlagtafel (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 84). ISBN 3-16-146377 -3 Broschur € 49 ,- Internationales Jahrbuch für Hermeneutik Herausgegeben von Günter Figal 2002. Ca. 300 Seiten. 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