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ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2003
611 Dronsch Strecker Vogel
ZNT 11 (6. Jg. 2003) 1 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, mit Heft 11 halten Sie ein Themenheft der ZNT in der Hand, in dem Sie aktuelle Beiträge zur »Ethik« finden. Ethik in Zeiten der Krise: Soeben hat sich der Nationale Ethikrat mehrheitlich dafür ausgesprochen, im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik genetische Tests an Embryonen in Deutschland zuzulassen. Parallel zum Weltwirtschaftsforum in Davos fordern Globalisierungsgegner auf dem dritten Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre ethische Mindeststandards für Weltpolitik und Weltwirtschaft. Der Truppenaufmarsch der Amerikaner und Briten am Persischen Golf wird bald abgeschlossen sein. Ein Krieg gegen den Irak - auch ohne Billigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - wird immer wahrscheinlicher. Der Orientierungsbedarf ist groß. In Zeiten der Krise hat Ethik Hochkonjunktur. Dass für eine christliche Ethik die Rückbesinnung auf das Neue Testament unerlässlich ist, wird niemand bestreiten. Ebenso unstrittig ist freilich auch, dass das Neue Testament nicht einfach ein Lehrbuch der Ethik ist, aus dem sich aktueller Orientierungsbedarf rasch befriedigen ließe. Es bedarf schon der exegetischen Sorgfalt und der hermeneutischen Mühe, um aus den Schriften des Neuen Testaments auf redliche Weise Ethik zu erheben. Dabei ist dann zunächst zu fragen, ob es überhaupt angemessen ist, von der neutestamentlichen Ethik zu sprechen, oder ob wir es nicht vielmehr mit unterschiedlichen Ethiken im Neuen Testament zu tun haben? Wie ist dann mit dieser Pluriformität ethischer Äußerungen hermeneutisch umzugehen? Die Beiträge dieses Themenhefts geben Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Möglichkeit, sich über verschiedene Aspekte des Verhältnisses von Bibel und Ethik zu informieren. Der zunehmende gesellschaftliche Bedarf an ethischer Orientierung äußert sich nicht zuletzt in einem gewachsenen Interesse an der im Neuen Testament zur Sprache kommenden Ethik. In »Neues Testament aktuell« betrachtet Werner Zager »Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung«; seinen Überblick über die relevanten Gesamtdarstellungen der letzten dreißig Jahre bündelt er in einer Thesenreihe zu Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Ethik. Dem in diesen Tagen wachsender Kriegsgefahr besonders beachtenswerten Bereich der Friedensethik wenden sich Klaus Wengst und Daniel Krochmalnik zu. Ihre Beiträge gehen zurück auf eine interreligiöse Tagung zum Thema »Frieden stiften«, die im Frühjahr 2003 in Bonn stattfand. Klaus Wengst zeigt, dass der zentrale Inhalt der christlichen Verkündigung - das Zeugnis von Tod und Auferstehung Jesu - mit völlig gegensätzlichen Friedensvorstellungen (Pax Romana / Friede Jesu Christi) verbunden ist, und Daniel Krochmalnik skizziert, wie aus jüdischer Sicht das Phänomen des »Gotteskrieges« in der hebräischen Bibel zu verstehen und zu beurteilen ist. Der Grundfrage jeder biblischen Hermeneutik, wie Beziehungen zwischen den alten Texten und der aktuellen Situation herzustellen sind, geht Renate Kirchhoff im Blick auf die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext nach. Sie plädiert gegenüber einer Hermeneutik des Einverständnisses, die biblische Texte als gegebene Autorität versteht, für ein Verständnis der Texte als Problemlösungsmodelle, das auch abgrenzende Bezugnahmen erlaubt. Der Kontroverse haben sich diesmal Reinhard Feldmeier und Ulrich Luz gestellt. Sie behandeln die in der politisch-ethischen Debatte häufig und kontrovers diskutierte Frage, ob die Bergpredigt als politisches Programm tauge oder aber eine lebensferne Utopie darstelle. So einmütig beide »Kontrahenten« diese Alternative als nicht sachgerecht ablehnen, so unterschiedlich sind die Schwerpunkte, die sie in ihrem Blick auf die Bergpredigt setzen: Während Reinhard Feldmeier den Gedanken der Allmacht Gottes ins Zentrum rückt, sieht Ulrich Luz den wichtigsten Schlüssel zur Deutung der Bergpredigt in der Christologie. Ebenfalls mit der Bergpredigt beschäftigt sich der 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 1 2 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Editorial Buchreport. Angesichts der Fülle der Literatur zur Bergpredigt muss man schon besondere Wege einschlagen, um wahrgenommen zu werden. Mit ihrem Versuch eines interdisziplinären Zugangs beschreiten Martin Stiewe und François Vouga einen neuen Weg. Kristina Dronsch stellt ihren Versuch, neutestamentliche Theologie am Schnittpunkt von Exegese und Kirchengeschichte wahrzunehmen, vor. Ethik spielt nicht nur in den biblischen Texten und den aktuellen Fragestellungen eine Rolle, sondern auch in jedem Versuch, diese beiden Bereiche in Beziehung zueinander zu setzen. Stefan Alkier geht in seinem Beitrag von der These aus, dass die Auslegung biblischer Texte nicht nur ein hermeneutisches, sondern auch ein ethisches Problem darstellt, da die zugrunde liegende Frage, wie wir mit Fremdem umgehen eine eminent ethische ist. Sein Plädoyer für die Textsemiotik, die es erlaubt Wahrheit im Plural zu denken, versteht er zugleich als Anregung an die Zunft der Exegeten, von der Höflichkeit der Sioux-Indianer zu lernen. Das Themenheft »Ethik« erscheint in einer weltpolitischen Lage, die überdeutlich macht, dass dieses Thema nicht nur theoretisch abgehandelt werden kann, sondern immer auch pragmatische Dimensionen hat. Die beste Friedensethik taugt nichts, wenn aus ihr kein Friedenshandeln erwächst. Insofern hoffen wir, dass von diesem Heft Impulse ausgehen für das Denken und das Handeln. Stefan Alkier Axel von Dobbeler Jürgen Zangenberg In wichtigen Situationen und an entscheidenden Wendepunkten seines Lebens hat Dostojewskij sich grundsätzlich zum Wesen und Werk und zur Bedeutung Jesu Christi geäußert, und in jedem seiner fünf großen Romane ist dessen Gestalt in zentralen Szenen und in jeweils wechselnder Problematik gegenwärtig. Der emeritierte Tübinger Slawist und Theologe Ludolf Müller stellt in diesem Buch alle wichtigen Äußerungen Dostojewskijs über Christus zusammen, gibt die entscheidenden Stellen in eigener Übersetzung wieder und interpretiert sie nach ihrer philosophischen und theologischen Aussage. In einem abschließenden Kapitel über die Religion Dostojewskijs stellt er dessen Auffassung von der Gestalt Christi in den Gesamtzusammenhang seiner religiösen Weltanschauung. Dabei wird deutlich, daß Dostojewskij einer der leidenschaftlichsten religiösen Sucher und aktuellsten religiösen Denker der Moderne war. Aus dem Inhalt: Der junge Dostojewskij; »An Maschas Bahre«; Die Auferweckung des Lazarus (»Schuld und Sühne«); Der tote Christus im Grabe (»Der Idiot«); »Die bösen Geister«; Christus und der Tod Gottes (»Der Jüngling«); Der Kampf Christi mit dem Geist der Wüste (»Der Großinquisitor«); »Die Brüder Karamasow«; Die Religion Dostojewsjijs. Ludolf Müller Die Gestalt Jesu Christi im Leben und Werk Dostojewskijs 2002, ca. 160 Seiten, ca. 19,-/ SFr 32,30 ISBN 3-89308-351-0 Attempto Verlag · Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 2 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 3 Neues Testament aktuell Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung Vorbemerkung In einer Zeit der Orientierungskrise und der Verhaltensunsicherheit wie der unsrigen - man denke nur an folgende Problemfelder: Friedenssicherung, Ökologie, Weltbevölkerungswachstum, Gentechnologie und -medizin - ist eine Rückbesinnung auf die im Neuen Testament zur Sprache kommende Ethik geboten. Und zwar nicht deshalb, weil für uns als Christen und Christinnen im Neuen Testament Patentlösungen bereitlägen. Vielmehr ist die Beschäftigung mit neutestamentlicher Ethik da unverzichtbar, wo wir nach Ermöglichung, Begründung und Kriterien christlicher Ethik fragen. Welches Gewicht die frühe Christenheit auf das rechte ethische Verhalten legte, sei an einigen Beispielen kurz angedeutet: In Jak 2,14-17 heißt es: »Was nutzt es, meine Brüder, wenn jemand behauptet, Glauben zu haben, ohne dass er Werke hat? Kann der Glaube ihn retten? Wenn da ein Bruder oder eine Schwester keine Kleider haben und des tägli chen Unterhalts entbehren und einer von euch sagt ihnen: ›Geht hin in Frieden, wärmt euch und esst euch satt‹ - ihr gebt ihnen aber nicht, was dem Leibe Not tut -, was nutzt das? So ist es auch mit dem Glauben, wenn er keine Werke hat; für sich allein ist er tot.« Und selbst nach dem Urteil des Apostels Paulus - dem Verfechter der Rechtfertigung sola fide - ist der Glaube, der aus dem Zorngericht Gottes rettet, keine in sich ruhende religiöse Innerlichkeit, sondern laut Gal 5,6 die »pistis di’ agapes energoumene« (der Glaube, der in der Liebe wirksam ist). Schließlich wird gemäß Mt 25,31-46 der wiederkommende Menschensohn uns nicht danach fragen, was wir geglaubt, sondern was wir getan oder unterlassen haben. Das von den Christen erwartete Endgericht erfolgt kata erga (nach den Werken) und nicht kata pistin (nach dem Glauben). Glaube ist für das Neue Testament eben nicht primär Spekulation oder Bejahung von Ideen und Theorien, nicht kultische Übung oder mystische Versenkung, sondern Hören auf das Wort, in dem Gottes Wille sich kundtut. Glaube und Tun gehören darum auf das Engste zusammen. 1. Neuere Gesamtdarstellungen neutestamentlicher Ethik Mit meinem Überblick 1 setze ich ein mit der »Ethik des Neuen Testaments« 2 von H EINZ - D IETRICH W ENDLAND , die im Jahre 1970 erschien. Mit dieser Publikation ist nämlich innerhalb der protestantischen Theologie die Diskussion neutestamentlicher Ethik in eine neue Phase eingetreten. Die ethischen Fragen wurden nun nicht nur im Rahmen der neutestamentlichen Theologie behandelt, sondern bildeten auch ein eigenständiges Thema im Rahmen eines Gesamtentwurfs neutestamentlicher Ethik. Neutestamentliche Ethik sollte nicht mehr länger - wie noch in R UDOLF B ULT - MANN s »Theologie des Neuen Testaments« 3 - am Rande der neutestamentlichen Theologie stehen. 1.1. »Ethik des Neuen Testaments« von Heinz-Dietrich Wendland Mit seiner »Ethik des Neuen Testaments« beabsichtigte H EINZ -D IETRICH W ENDLAND nicht, eine umfassende Darstellung »der« Ethik des Neuen Testaments vorzulegen. Vielmehr ging es ihm lediglich um eine Einführung in zentrale Themen und historisch bedeutsame Haupttypen neutestamentlicher Ethik. Zugleich stellte er damit in Frage, dass es »die« Ethik des Neuen Testaments gibt, also ein allen neutestamentlichen Schriften gemeinsames ethisches System. »In einer Zeit der Orientierungskrise und der Verhaltensunsicherheit wie der unsrigen[...] ist eine Rückbesinnung auf die im Neuen Testament zur Sprache kommende Ethik geboten« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 3 4 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Neues Testament aktuell In chronologischer Reihenfolge untersucht Wendland die ethische Verkündigung der Hauptzeugen des Neuen Testaments, d.h. er stellt neutestamentliche Ethik entsprechend ihrer geschichtlichen Genese unter traditionsgeschichtlichem Aspekt dar. Dabei beschreibt er die verschiedenen Ethiken der neutestamentlichen Traditionsschichten von der Verkündigung Jesu, über die Urgemeinde mit Berücksichtigung der ersten hellenistischen Gemeinde, Paulus, die Deuteropaulinen (einschließlich 1Petr), Jakobusbrief, johanneische Schriften bis hin zu den Sendschreiben der Johannesapokalypse. Für die Entwicklung der Ethik wird dem Ostergeschehen eine entscheidende Rolle zuerkannt. Nach Wendland »beginnt mit Ostern jene Epoche der Entwicklung der christlichen, der Gemeinde-Ethik, die bis heute anhält: einer Ethik, die a) von der Heilsbotschaft und der Christologie herkommt, und die sich b) in ständiger Auseinandersetzung mit der Welt, mit der Ethik von Heiden und Juden, mit neuen, geschichtlichen Fragen und Situationen befindet«. 4 Wendland unterscheidet neutestamentliche Ethik von einer philosophischen Ethik, »die sich als Normen- oder Tugendlehre begreift und von einem Begriff der moralischen Vernunft, des sittlichen Geistes, des kategorischen Imperativs oder dergleichen leiten ließe«. 5 Demnach ist Ethik des Neuen Testaments im Grunde nur als theologische Ethik zu begreifen. Der griechischem Denken entstammende Begriff »Ethik« kann nur bedingt auf das Neue Testament angewendet werden; denn im Neuen Testament handelt es sich nicht um eine autonome, sondern um eine »theonome« oder »christonome« Ethik. 6 Den christlichen Charakter der neutestamentlichen Ethik fasst Wendland in ihren vier Voraussetzungen zusammen: 1. Grundvoraussetzung ist »der Glaube an eine Offenbarung des Willens Gottes, an welche alle Glaubenden gebunden sind«. 2. Diese Offenbarung ist »durch die Sendung Christi erfüllt und abgeschlossen«, weil christliche Ethik nur vom Heilsgeschehen des Kreuzes und der Auferstehung Christi her begründet werden kann. 3. Solche Ethik ist »durchweg kirchliche Ethik«, weshalb die ethischen Mahnungen an Gemeinden und an Christen ergehen bzw. - in der Predigt Jesu - an solche, denen das Kommen der Gottesherrschaft angekündigt wird. 4. »Die Christus-Verkündigung ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze der Ethik«, zum einen weil sie nie autonom und absolut im philosophischen Sinne sein kann und zum anderen eschatologisch bestimmt ist. »Ethik gibt es nur in dieser Weltzeit, bis hin zur Vollendung des Reiches Gottes. ... die christliche Ethik gilt allein für die Zeit der Kirche.« 7 Die von Wendland angeführten vier Voraussetzungen urchristlicher Ethik dürfen jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, als sei neutestamentliche Ethik sozusagen »vom Himmel gefallen«. Dabei weist Wendland auf folgende Tatbestände hin: Die ersten christlichen Gemeinden »sind, wie alles in der Welt, geschichtlichen Einflüssen unterworfen, jüdischen wie hellenistischen und Einflüssen aus den Mischungen zwischen Judentum und Hellenismus in den Synagogen der weltweiten Diaspora. ... Die Ethik des Neuen Testaments ist in dieser Hinsicht offen und nicht in sich abgeschlossen.« 8 Nach Wendlands Urteil hängt dies mit einer wichtigen Vorentscheidung zusammen, wie sie etwa in Phil 4,8 ausdrücklich benannt wird: »das, was damals allgemein als Tugend galt, als lobenswertes Benehmen, als gerecht oder als gütig, das wird von der Ethik der christlichen Gemeinden an- und aufgenommen«. 9 Die bürgerliche Ethik wird folglich nicht einfach verneint; vielmehr bekommt sie ein neues Vorzeichen im Sinne der christlichen Ethik. Insofern erhält nun auch der profane Begriff der Ethik sein Recht für die sittlichen Weisungen im Neuen Testament. Bei den übernommenen Traditionen handelt es sich allerdings nicht um »philosophisch reflektierte Ethik«, sondern um »volkstümliche Moral des Alltags«, um »die gesellschaftliche Durchschnittsethik der Zeit«. 10 Wendland untersucht in seinem Buch die Vielfalt der neutestamentlichen Ethik mit ihrem Spannungsbogen von Matthäus zu Paulus, von Paulus zu Jakobus und von den Pastoralbriefen bis zu Johannes. Am Ende seiner Studie wendet sich Wendland der Frage nach der Einheit neutestamentlicher Ethik zu. In folgenden vier Punkten stellt Wendland eine solche Einheit fest: 1. Das Liebesgebot bildet bei den Synoptikern und Paulus, bei Jakobus und Johannes die Mitte und höchste Norm der Ethik. 2. Gegenüber der Welt wird ein kritisches, distanziertes Verhältnis eingenommen, ob nun theologisch und eschatologisch 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 4 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 5 Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung motiviert oder moralisch gefärbt. 3. Bei der Ethik in den neutestamentlichen Schriften handelt es sich um »Ethik der Gemeinde für die Gemeinde«. 4. Eschatologie und Ethik sind miteinander verbunden, freilich in sehr verschiedenen Formen. 11 Damit will Wendland nicht die theologische Pluralität der neutestamentlichen Texte nivellieren. Einprägsam formuliert er: »Viele Theologien - aber ein Herr! Viele Ethiken - aber ein Gebot der Liebe! « 12 Alle ethischen Formeln und Traditionen im Neuen Testament sind nach Wendland an der Bergpredigt »als der ersten und letzten, kritischen Instanz« 13 zu messen, welche die neutestamentliche Ethik offen hält und alle Einzelaussagen auf das Eschaton des Reiches Gottes richtet. 1.2. »Ethik des Neuen Testaments« von Wolfgang Schrage Im Jahre 1982 ersetzte W OLFGANG S CHRAGE s »Ethik des Neuen Testaments« 14 das frühere Werk von Wendland im Rahmen der »Grundrisse zum Neuen Testament«. Seine Darstellung ist verglichen mit dem Buch seines Vorgängers erheblich umfangreicher. Es werden nicht nur die Grundfragen »nach Ermöglichung und Begründung, Kriterien und Inhalten urchristlichen Handelns und urchristlicher Lebenspraxis« 15 erörtert, sondern auch viele neutestamentliche Einzeltexte ausgelegt. Ferner wird die Sekundärliteratur umfassend berücksichtigt und kritisch ausgewertet. Somit darf Schrages Darstellung der neutestamentlichen Ethik mit Recht als ein Standardwerk bezeichnet werden, auf dem die weitere Forschung aufbauen kann. Nach Schrage sind in einer neutestamentlichen Ethik nicht nur Motive und Gründe, sondern gerade auch Kriterien und Inhalte urchristlicher Lebensgestaltung darzustellen. Wegen der Problematik des statisch gedachten Normenbegriffs vermeidet Schrage diesen Terminus und spricht stattdessen von Kriterien, »die eher dynamisch-geschichtliche Freiheit und Verbindlichkeit neutestamentlicher Ethik zusammenhalten können«. 16 Insbesondere kommt es Schrage auf die konkreten Inhalte an: »Gleichwohl dringt das Neue Testament nicht bloß auf ein neues Fundament oder eine Veränderung der Grundhaltung und Sinngebung, sondern auch auf christliche Lebensgestaltung und konkretes Weltverhalten im einzelnen. Für eine inhalt- und konturenlose, bloß formale Situationsethik, die alle Inhalte der Entscheidung dem einzelnen überläßt und dabei nur allzu leicht bei einer materialen Beliebigkeit oder Weltförmigkeit landet, ist das Neue Testament nicht in Anspruch zu nehmen.« 17 Während Schrage seine Darstellung - ähnlich wie Wendland - chronologisch anlegt, sind die einzelnen Abschnitte systematisch nach dem Schema: Motivation - Kriterien - konkrete Inhalte aufgebaut. Dabei fällt auf, dass Schrage die synoptischen Evangelien vor Paulus bespricht, obwohl sie und die Deuteropaulinen zwei auch in ihren ethischen Konzeptionen nebeneinander laufende Stränge bilden. »Daß die Hauptvertreter neutestamentlicher Ethik nacheinander behandelt werden, impliziert« für Schrage »nicht von vornherein ein negatives Urteil über die Spätschriften, als ob die Entwicklung von Jesus bis hin zu den Pastoralbriefen und den Katholischen Briefen als bloßer Abfallprozeß zu verstehen sei«. 18 Damit ist Sachkritik gegenüber patriarchalischen und androzentrischen Aussagen sowie Vergesetzlichungstendenzen nicht ausgeschlossen. »Nur kann das Sachkriterium nicht einfach das Älteste und Ursprüngliche oder gar ein formaler Radikalismus sein, sondern nur Werner Zager Prof. Dr. Werner Zager, Jahrgang 1959, Studium der Evangelischen Theologie in Frankfurt am Main, Mainz und Tübingen. Promotion in Mainz 1987, Habilitation in Bochum 1996, nach Pfarrtätigkeit seit 1997 Hochschuldozent und seit 2002 apl. Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte: Eschatologie und Apokalyptik, historischer Jesus, Christologie im frühen Christentum, Religionsgeschichtliche Schule, liberale Theologie. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 5 6 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Neues Testament aktuell das das Christusereignis verkündigende Evangelium und die dem entsprechende Liebe im Wandel der Zeiten.« 19 Als gemeinsamen Grundzug neutestamentlicher Ethik stellt Schrage ihre »theologische bzw. christologische Verwurzelung und Orientierung« 20 heraus. Neutestamentliche Ethik basiert auf Gottes Herrschaft und seinem Heilshandeln in Kreuz und Auferstehung. Durchgehend im neutestamentlichen Schrifttum ist Ethik in die Theologie eingebunden und integriert: »Zwar werden die Fundamente und Motive nicht überall expressis verbis aufgedeckt und expliziert, aber zur neutestamentlichen Ethik gehört unabdingbar der theologische Kontext und der Rückgriff auf die neutestamentliche ›Dogmatik‹ hinzu.« 21 Im Anschluss an die Darstellung der verschiedenen ethischen Konzepte in ihrer spannungsreichen Pluralität widmet sich Schrage in der zweiten Auflage seines Buchs der Frage nach einer Mitte und einem Sachkriterium. Dabei stellt er fest, dass auf dem Felde der Ethik der neutestamentliche Konsens breiter als sonst üblich zu sein scheint: Hinsichtlich der Ethik macht Schrage als inhaltliche Einheit und zugleich als ein innerkanonisches Sachkriterium aus, dass in den Hauptschriften des Neuen Testaments das Liebesgebot als oberstes Gebot christlicher Ethik fungiert. 22 Nach Schrage ist die Liebe »Zentrum, Einheitsband und Leitfaden aller Einzelgebote«; sie ist gleichsam »der Gesamttenor« in der Polyphonie neutestamentlicher Ethik. 23 Sämtliche Einzelgebote müssen sich an der Liebe messen lassen, ohne dass freilich alle Konkretion der Entscheidung dem Einzelnen überlassen bleibt. 24 Für den von Schrage vorgelegten Entwurf ist charakteristisch, dass die hier dargestellte neutestamentliche Ethik zugleich eine Orientierungshilfe für die Gegenwart sein will. Zwar werde das christliche Handeln durch das Neue Testament »gewiß nicht ein für allemal auf bestimmte politische, gesellschaftliche oder soziale Einstellungen und Praktiken festgelegt, aber die materialen Weisungen des Neuen Testaments lassen« - wie Schrage urteilt - »paradigmatisch Typen und Perspektiven, Prioritäten und Präferenzen bei der Entscheidungsfindung erkennen, die auch für neue Denkhorizonte und Gestaltungen richtungsweisend sein und zu weitergehenden Schritten ermutigen können«. 25 1.3. »Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments« von Rudolf Schnackenburg Eine erste Gesamtdarstellung neutestamentlicher Ethik legte auf katholischer Seite R UDOLF S CHNACKENBURG bereits 1954 im Rahmen des »Handbuchs der Moraltheologie« mit seiner Abhandlung »Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments« vor, der nach einer zweiten, erweiterten Auflage von 1962 in den Jahren 1986 und 1988 eine völlig neubearbeitete Fassung in zwei Bänden folgte. 26 Wegen zahlreicher Gemeinsamkeiten mit den Ethiken von Wendland und Schrage beschränke ich mich hier auf einige wesentliche Punkte: Schnackenburg unterteilt sein Werk in zwei Hauptteile: zum einen »Die sittlichen Forderungen Jesu« und zum anderen »Die Sittenlehre der Urkirche«. Die gesonderte, an erster Stelle erfolgende Behandlung der Ethik Jesu begründet er mit folgendem Argument: Ein geschichtliches Verstehen des Urchristentums ist kaum möglich, wenn man nicht voraussetzt, daß die frühen Gemeinden den ›Ruf Jesu‹ aufgenommen und mit einer ›Antwort‹ darauf reagiert haben. ... Das ›Kerygma‹ vom gekreuzigten und auferstandenen Christus allein begründet noch nicht das volle Selbstverständnis der Urchristenheit, schon deshalb nicht, weil der Osterglaube den irdischen ›Jesus‹ mit dem auferweckten ›Christus‹ verbindet. 27 Auch im Rahmen einer neutestamentlichen Ethik hält Schnackenburg die historische Rückfrage nach Jesus für »eine legitime, unentbehrliche und nach dem jetzt erreichten Forschungsstand auch - in den Grenzen historischer Erkenntnis - zu bewältigende Aufgabe«. 28 Entsprechend diesen grundsätzlichen theologischen Erwägungen gliedert sich der mit »Von Jesus zur Urkirche« überschriebene erste Band in die beiden Abschnitte »Die sittlichen Forderungen Jesu« und »Die Urkirche vor den sittlichen Forderungen Jesu«. Dabei dient der zweite Abschnitt dem Vergleich der ethischen Botschaft Jesu mit der ethischen Praxis der frühen Christenheit, die durch den Wandel der Verhältnisse zu neuen Entscheidungen veranlasst wurde. Als wirksame Faktoren stellt Schnackenburg die Geisterfahrungen, das Gemeinschaftsleben und die Parusieerwartung heraus. 29 Der zweite Band - betitelt mit »Die urchristlichen Verkündiger« - 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 6 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 7 Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung behandelt die spezifischen Konzeptionen der einzelnen neutestamentlichen Schriftengruppen. Schnackenburg arbeitet nicht nur Grundzüge neutestamentlicher Ethik heraus, sondern auch ihre Bedeutung für die Gegenwart. Die stets gestellte Grundfrage ist, ob neutestamentliches Ethos auch der heutigen christlichen Existenz eine ethische Orientierung anbieten kann. Nach Schnackenburgs Meinung lässt sich neutestamentliches Ethos als Orientierungshilfe zur konkreten Normfindung für die gegenwärtige Zeit anwenden. Das Besondere christlicher Ethik kommt im neutestamentlichen Menschenbild und Weltverständnis sowie in der Glaubensgemeinschaft als dem vorzüglichen Ort christlichen Lebensvollzugs zum Vorschein. 30 Für den Christen resultiert das ethische Engagement »aus seinem Glauben, aus der Grundforderung der Liebe als Antwort auf die von Gott in Christus erfahrene Liebe«. 31 1.4. »Neutestamentliche Ethik« von Siegfried Schulz In dem 1987 erschienenen Werk bestimmt es S IEGFRIED S CHULZ als Sache einer neutestamentlichen Ethik, »die Ermöglichung und Begründung urchristlichen Handelns zu erfragen wie darzulegen, um dieses Potential für die Übersetzung in unseren Gegenwartshorizont bereitzustellen«. 32 Zwar stimmt diese hermeneutische Zielsetzung mit der von Schrage und Schnackenburg überein, im Unterschied zu beiden aber konzentriert sich Schulz darauf, die Eigenart des neutestamentlichen Textes herauszuarbeiten, ohne die Übertragbarkeit ethischer Aussagen des Neuen Testaments in unsere Zeit eigens zu diskutieren. Dies hängt wohl mit seiner Absicht zusammen, die Eigenständigkeit der neutestamentlichen Texte zur Geltung zu bringen. 33 Gleichwohl hält Schulz fest: Weil das Neue Testament eine Vielfalt von Inhalten, Kriterien und Motivationen christlichen Handelns wie christlicher Lebenspraxis enthält, sind diese für die Kirche aller Zeiten unaufgebbar. Ohne das Neue Testament gibt es deshalb keine überzeugende Begründung ethischer Normen für den jeweiligen Gegenwartshorizont. 34 Wie Wendland, Schrage und Schnackenburg stellt auch Schulz die neutestamentliche Ethik chronologisch gegliedert dar. Den historischen Entwicklungslinien des frühen Christentums folgend, disponiert Schulz seinen Stoff wie folgt: Jesus von Nazareth, die nachösterlichen Jesusgemeinden, die hellenistische Kirche, der Kampf gegen gnostischen Libertinismus und gnostische Askese, Paulus, die Synoptiker, die johanneischen Schriften, die Deuteropaulinen und die katholischen Briefe. Für Schulz’ Vorgehensweise ist es kennzeichnend, dass er die in den neutestamentlichen Schriften erhobenen Traditionsschichten soziologisch auf eine Vielzahl von Gemeinden zurückführt. So nimmt er mehrere nachösterliche Jesusgemeinden an, die er durch Rückschlüsse aus der Q-Überlieferung, der vormarkinischen Tradition sowie dem matthäischen und lukanischen Sondergut postuliert. 35 Außerdem erschließt er aus der sog. »gnostischen Grundschrift« des Johannesevangeliums eine weitere Gemeinde. 36 Hinzu kommen die aramäisch sprechende Gemeinde in Jerusalem und die ebenfalls dort ansässige griechisch sprechende Gemeinde unter der Führung des Stephanus sowie die von den sog. Hellenisten ausgehenden Gemeindegründungen, von Schulz behandelt in dem mit »Die hellenistische Kirche« überschriebenen Kapitel. Bei der Darstellung der paulinischen Ethik wird zwischen einer Früh- und einer Spätphase unterschieden. Durch diese Differenzierung in der Darstellungsgliederung versucht Schulz, die historische Entwicklung der jeweiligen neutestamentlichen Ethik sachgemäß nachzuzeichnen. Von der Methodik her stellt sich allerdings die Frage, ob es berechtigt ist, von den Traditionsschichten der neutestamentlichen Schriften auf verschiedene Gemeinden und entsprechende verschiedene Ethiken zu schließen. Der Ansatz von Schulz, die Entwicklung frühchristlicher Ethik in Verbindung mit der Theologiegeschichte zu untersuchen, ist sowohl unter historischen als auch theologischen Gesichtspunkten plausibel. Als problematisch muss aber beurteilt werden, wenn Schulz die Rechtfertigungslehre des Paulus und dessen Zuordnung von Indikativ und Imperativ als Maßstab nimmt, an Hand dessen er die späteren ethischen Konzeptionen des Neuen Testaments beurteilt, ohne diese zunächst einmal aus ihren eigenen Voraussetzungen zu verstehen. Wenn Schulz in einseitiger Weise die geschichtliche Entwicklung christlicher Ethik nach Paulus als Moralisierungs- und damit als 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 7 8 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Neues Testament aktuell Abfallprozess erfasst, kommt die innere Einheit neutestamentlicher Ethik nicht mehr in den Blick. 1.5. »Theologische Ethik des Neuen Testaments« von Eduard Lohse 1988 erschien E DUARD L OHSE s »Theologische Ethik des Neuen Testaments«. 37 Dieses Buch steht selbständig neben Lohses »Grundriß der neutestamentlichen Theologie«, in dem die Ethik nur als ein Aspekt verhandelt wird. 38 Lohse will einen »Grundriß« neutestamentlicher Ethik bieten, der übersichtlich gehalten ist und sich auf die wesentlichen Zusammenhänge konzentriert, »ohne den Anspruch zu erheben, die Fragenkreise vollständig abzuschreiten«. 39 Im Unterschied zu seinem »Grundriß der neutestamentlichen Theologie« und zum weithin üblichen Aufriss einer neutestamentlichen Ethik vermeidet Lohse einerseits eine streng historisch orientierte Darstellungsweise, bei der »der weithin gemeinchristliche Charakter urchristlicher Unterweisung und die systematischen Motive, die die vom Evangelium geleitete Entfaltung der ethischen Inhalte bestimmen«, 40 nicht recht zur Geltung kommen können. Andererseits ordnet er die ethischen Gehalte des Neuen Testaments auch nicht lediglich nach rein thematischen Gesichtspunkten, ohne Berücksichtigung der historischen Bedingtheiten und Besonderheiten der einzelnen neutestamentlichen Schriften. Vielmehr wählt Lohse einen »mittleren Weg«, indem er nach dem Aufweis der religionsgeschichtlichen Voraussetzungen die ethischen Aussagen des Neuen Testaments nach den leitenden systematischen Motiven gliedert, in der Darstellung der einzelnen ethischen Gedankenzusammenhänge zugleich aber der Vielfalt der jeweiligen Zeugen Rechnung trägt. 41 Aufgabe einer theologischen Ethik des Neuen Testaments ist es nach Lohse »darzustellen, welche Konsequenzen aus dem Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Christus in den Schriften des NT gezogen werden, um Leben und Handeln der Glaubenden zu bestimmen«. 42 Im einleitenden Kapitel »Ethische Überlieferungen in der Umwelt des Neuen Testaments« geht Lohse von zwei religionsgeschichtlichen Voraussetzungen neutestamentlicher Ethik aus: zum einen dem Alten Testament und dem Judentum, zum anderen der griechisch-hellenistischen Welt. In einem weiteren einleitenden Kapitel behandelt Lohse »Die christologische Begründung urchristlicher Ethik«: Dabei setzt er mit den »Worte[n] des Herrn« ein - seien es nun ursprüngliche Jesusworte oder von urchristlichen Propheten gesprochene Worte -, welchen bindende Kraft zugemessen wird. Sodann kommt Lohse in einem zweiten Abschnitt auf den »Wandel im Herrn« zu sprechen: »Aus dem Bekenntnis zu Christus als dem Herrn folgt die Verpflichtung, daß Christen ihrer Berufung entsprechend zu leben haben.« 43 Im Anschluss daran schreitet Lohse folgende Themenkreise ab: »Die Herrschaft Gottes«, »Die neue Gerechtigkeit«, »Weisungen für den Alltag der Christen«, »Die neue Schöpfung im Leben der Glaubenden«, »Weltlichkeit des Glaubens«, »Gebot und Gesetz«, »Bewährung im Leiden«, »Urchristliche Ethik in der spätantiken Welt«. Lohse zufolge liegt das Proprium frühchristlicher Ethik »weder in einem ethischen Programm noch in einem Plan christlicher Weltgestaltung, sondern in der beispielhaften Veranschaulichung der Nachfolge Christi«. 44 Dabei hat das Liebesgebot zentrale Bedeutung für die ethische Orientierung der Gemeinde. Neben dem Liebesgebot ist auch der Dekalog in seiner verbindlichen Gültigkeit unbestritten. Beide haben aber nicht den Charakter eines Heilsweges, sondern sind »ein Ausdruck dessen, was Gottes Wille fordert, um im dankbaren Lobpreis seine Ehre zu bekennen«. 45 Insofern begreift Lohse neutestamentliche Ethik als Ethik der Dankbarkeit. Lohse schreibt: Nicht durch seine Werke, sondern durch die Zusage des Evangeliums, das ihm um Christi willen die Freiheit schenkt, gewinnt er [sc. der Christ] den tragenden Grund seines Lebens. Daraus folgt, daß der spezifisch christliche Charakter ethischer Unterweisung nicht in einer Vermehrung oder Steigerung von Geboten und Verboten besteht, sondern in der Konzentration auf das eine Grundgebot der Liebe, die aus der Erfahrung der empfangenen Liebe Gottes ihre Kraft gewinnt. Die Liebe, die nicht das ihre, sondern das des anderen sucht, orientiert sich mit kritischen Sinnen an den mannigfaltigen Überlieferungen ethischer Sätze. 46 Diese Charakterisierung neutestamentlicher Ethik trifft in »Reinkultur« m.E. nur für Paulus, 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 8 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 9 Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung das Johannesevangelium und den 1. Johannesbrief zu, dagegen wohl nicht für den Jakobusbrief. 1.6. »›Christliche‹ und christliche Ethik im Neuen Testament« von Willi Marxsen Im Vergleich zu den bisher vorgestellten Gesamtdarstellungen zur neutestamentlichen Ethik weist die im Jahre 1989 publizierte von W ILLI M ARX - SEN 47 etliche eigenwillige Besonderheiten auf. Wie bereits der Titel dieses Werkes andeutet, legt Marxsen nicht eine »Ethik des Neuen Testaments« vor, sondern eine »Ethik im Neuen Testament«. Dabei lässt er sich von seiner Beobachtung leiten, »daß die Verfasser der neutestamentlichen Schriften nicht nur unterschiedliche, sondern zum Teil auch nur schwer miteinander zu vereinbarende Ethiken vortragen«. 48 Darum fragt Marxsen, inwiefern man sich auf das Neue Testament als »Orientierungspunkt« für die christliche Ethik beziehen kann. Zur Beantwortung dieser Frage unterscheidet er zwischen »christlicher« und christlicher Ethik: Das in Anführungszeichen gesetzte Adjektiv meint das authentisch Christliche, hingegen das ohne Anführungszeichen verwendete Adjektiv das nur für christlich Erachtete. Mit Hilfe dieser den üblichen Sprachgebrauch auf den Kopf stellenden Regelung versucht Marxsen, ein Kriterium für die Unterscheidung zwischen (genuin) »christlicher« Ethik und (nur so genannter) christlicher Ethik zu finden und damit die Christlichkeit der verschiedenen Ethiken der neutestamentlichen Schriften zu prüfen. Marxsen bezeichnet eine Ethik nur dann als »christlich«, wenn sie »ein Aspekt christlicher Theologie« ist . 49 Nach den Prolegomena zur Ethik als einem Aspekt von Theologie gliedert Marxsen sein Buch in zwei Hauptteile, wobei der erste mit »Die Ansätze«, der zweite mit »Entwicklungen und Fehlentwicklungen« überschrieben ist. Im ersten Hauptteil zeigt Marxsen, dass bis heute kein Konsens darüber erzielt werden konnte, ob der Anfang des »Christlichen« im Leben und Wirken des irdischen Jesus oder erst im Ostergeschehen liegt. 50 In der Durchführung seines Werkes geht Marxsen daher von einem doppelten Anfang aus: vom Leben und Wirken Jesu und vom Ostergeschehen. Er untergliedert den ersten Hauptteil in die beiden Abschnitte: »Die an Jesus orientierte Ethik« und »Die Ethik des Paulus«. Dabei muss nach Marxsen die Frage nach dem historischen Jesus »ersetzt werden durch die historische Frage nach Jesus, und das heißt durch die Frage nach den Zeugen, die, von Jesus beeindruckt, Ethik als einen Aspekt ihrer Christologie formulieren«. 51 Paulus wiederum reiht Marxsen vor allem deshalb in den Hauptteil »Die Ansätze« ein, weil jener einen prägenden Anfang verkörpert. 52 Das Damaskus-Erlebnis begreift Marxsen als die Mitte zum Verständnis der paulinischen Ethik. 53 Die übrigen Schriften des Neuen Testaments werden nach den Abschnitten zu Jesus und Paulus im zweiten Hauptteil unter der Überschrift »Entwicklungen und Fehlentwicklungen« behandelt, wobei sich Marxsen zufolge ein Abfallprozess der frühen Christenheit im Verlauf der Zeit erkennen lässt. Kriterium der Beurteilung ist die Frage, ob die Ethik auch in der zweiten und dritten Generation des Christentums wie am Anfang ein Aspekt der Christologie bleibt oder nicht. 54 Diesem Kriterium genügen Kolosser-, 1. Petrus- und Hebräerbrief, während 2. Thessalonicher- und Jakobusbrief sowie die Pastoralbriefe negativ beurteilt werden. Ohne auf die Problematik der von Marxsen vorgenommenen Bewertungen näher einzugehen, sei nur dies angemerkt, dass der von Marxsen so geschätzte Apostel Paulus schwerlich dessen These zugestimmt hätte: »Die Sendung der Kirche in die Welt hat nur einen einzigen Inhalt: den Menschen immer wieder den Indikativ zu vermitteln.« 55 Oder ging es Paulus in den paränetischen Passagen seiner Briefe lediglich um so genannte christliche Ethik? 1.7. »The Moral Vision of the New Testament« von Richard B. Hays Eine neue Gesamtdarstellung neutestamentlicher Ethik hat R ICHARD B. H AYS 1997 mit seinem Buch »The Moral Vision of the New Testament« 56 vorgelegt. Das Besondere dieses Werks besteht darin, dass es nicht nur - wie vielfach üblich - die verschiedenen ethischen Konzeptionen der neutestamentlichen Schriften nachzeichnet, sondern darüber hinaus danach fragt, wie in unserer Zeit die »moralische Vision« des Neuen Testaments gelebt werden kann. Eine zeitgenössische Einführung in die neutestamentliche Ethik hat sich daher vier Aufgaben zu stellen, die Hays nacheinander abhandelt: 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 9 10 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Neues Testament aktuell An erster Stelle steht die deskriptive Aufgabe, die »moralischen Visionen« der Hauptschriften des Neuen Testaments zu skizzieren (Paulusbriefe, Deuteropaulinen, Markus- und Matthäusevangelium, lukanisches Doppelwerk, Johannesevangelium und -briefe, Johannesapokalypse). Da es Hays nicht um den geschichtlichen Hintergrund und die Entwicklung christlicher Ethik zu tun ist, beginnt er den exegetischen Teil nicht mit einer Rekonstruktion der Ethik Jesu. Würde doch auch eine solche Rekonstruktion - wie er in einem Exkurs darlegt - materialiter nichts Neues der Ethik des Neuen Testaments hinzufügen. Es folgt die synthetische Aufgabe, inmitten der theologischen Vielfalt des neutestamentlichen Kanons eine einheitliche ethische Perspektive zu beschreiben. Dabei bedient sich Hays der Begriffe »Gemeinschaft«, »Kreuz« und »neue Schöpfung« als Leitvorstellungen. Die hermeneutische Aufgabe besteht dann darin, in puncto christliche Ethik das Neue Testament über eine große zeitliche und kulturelle Distanz zu uns sprechen zu lassen. Nachdem Hays einige repräsentative hermeneutische Strategien (Reinhold Niebuhr, Karl Barth, John Howard Yoder, Stanley Hauerwas, Elisabeth Schüssler Fiorenza) besprochen hat, entwickelt er selbst zehn hermeneutische Leitlinien für neutestamentliche Ethik als einer normativen theologischen Disziplin. Die pragmatische Aufgabe schließlich hat zum Ziel, ethische Weisungen des Neuen Testaments auf unsere heutige Situation anzuwenden und zu konkretisieren. Diese seine sich in vier Schritten vollziehende methodische Vorgehensweise - Exegese, Synthese im kanonischen Kontext, Hermeneutik und praktische Applikation (»living the text«) - exemplifiziert Hays an Hand von folgenden fünf »Testfällen« aus der aktuellen christlichen Debatte: Gewalt in der Verteidigung der Gerechtigkeit, Scheidung und Wiederverheiratung, Homosexualität, Antijudaismus und ethischer Konflikt, Abtreibung. Hays gelingt es dabei, den ethischen Anspruch des Neuen Testaments für unsere Gegenwart zur Geltung zu bringen - und dies auf eine methodisch reflektierte und zugleich ansprechende Art und Weise. 2. Ethik im Neuen Testament und deren religionsgeschichtlicher Kontext Was den religionsgeschichtlichen Kontext frühchristlicher Ethik betrifft, so sind hier noch zwei Beiträge aus dem im Jahre 2001 erschienenen Tagungsband über »Hellenistische Anthropologie und Ethik im Neuen Testament« 57 von Interesse. D IETER Z ELLER stellt heraus, dass die neutestamentlichen Briefautoren sich in den paränetischen Abschnitten nicht unmittelbar an antiken Moralphilosophen ausrichten, sondern Anklänge daran durch das hellenistische Judentum vermittelt worden sind. 58 Betrachtet man doch die eigene Moral im Vergleich zur heidnischen als höher stehend. Stärkere Berührungen der Ethik in den neutestamentlichen Briefen erkennt Zeller mit hellenistischer »Vulgärethik« als mit kynisch-stoischer Popularphilosophie. 59 Paulus etwa greift Wendungen volkstümlicher Ethik auf: »nicht mehr sich selber leben« (Röm 14,7; 2Kor 5,15), »nicht sich selbst gefallen« (Röm 15,1). Außerdem machen die paulinischen Briefe hellenistische Freundschaftsethik fruchtbar sowohl für das Verhältnis von Apostel und christlicher Gemeinde als auch für die Beziehungen der Gemeindeglieder untereinander. 60 L ORENZ O BERLINNER entnimmt den Pastoralbriefen, dass angesichts des Zurücktretens der Parusieerwartung um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert Christen ihre Lebensweise nicht im Gegensatz zu ihrer Umwelt, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit den Wertvorstellungen der griechisch-römischen Tradition zu gestalten suchen. 61 Dies zeigt sich an der Hochschätzung der Tugend der Besonnenheit (1Tim 2,9.15; 3,2; 2Tim 1,7; Tit 1,8; 2,2.4-6.12) und der Propagierung des Ideals der Unterordnung der Frau unter den Mann (1Tim 2,9-15; Tit 2,3-5). 62 Wer sich über den religionsgeschichtlichen und kulturellen Kontext frühchristlicher Ethik Rechenschaft geben möchte, sei auf G ERD T HEISSEN s Buch »Die Religion der ersten Christen« 63 verwiesen. Im zweiten Teil behandelt Theißen »Das Ethos des Urchristentums«, wobei er in der Verbindung der beiden Werte (Nächsten-)Liebe und Demut bzw. Statusverzicht die Grundstruktur und das Neue des urchristlichen Ethos erkennt. Dieses Ethos sucht ethische Ansätze im Judentum durch Radikalisierung zu überbieten. Gegenüber heidnischen Werten und Normen findet sich 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 10 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 11 Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung sowohl Anpassung als auch Widerspruch. Mythos und Ethos im Urchristentum gehören für Theißen auf das Engste zusammen, bestimmen doch die beiden ethischen Grundwerte den urchristlichen Mythos: So korrespondiert dem Grundwert der Liebe die Sendung und Inkarnation des Gottessohnes und der Grundwert des Statusverzichts entspricht der Selbsterniedrigung des Präexistenten bis zum Tod am Kreuz. Inwiefern die beiden Grundwerte andere ethische Werte und Normen prägen, zeigt Theißen daran, wie man im Urchristentum einerseits mit Macht und Besitz und andererseits mit Weisheit und Heiligkeit umgegangen ist. Das Nebeneinander eines radikalen und eines moderaten Ethos wird sozialgeschichtlich erklärt. 3. Neutestamentliche Ethik und christliche Dogmatik Die unter der Betreuung von Hans Weder in Zürich verfasste und 2001 publizierte Dissertation von M ATTHIAS P FEIFFER »Einweisung in das neue Sein« 64 setzt sich kritisch mit dem »Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen« auseinander. Dieses wird wie folgt bestimmt: Der Mensch begreift sich als der souveräne Herr seiner selbst; er tritt der Welt als »autonomes Subjekt« gegenüber. Und so soll er »in Freiheit denkend und handelnd die Verantwortung für die Zukunft des Lebens auf der Erde übernehmen«, 65 wie es Hans Jonas in seinem Buch »Das Prinzip Weltverantwortung« 66 fordert. Solches Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen und die damit korrespondierende Ethik konfrontiert Pfeiffer mit dem im Neuen Testament zur Sprache »gebrachte[n] eschatologischen Handeln Gottes in Jesus Christus zugunsten der unter der Herrschaft der Sünde und des Todes befindlichen Welt«. 67 Eine Grundlegung der Ethik aus neutestamentlicher Perspektive müsse »deshalb ›zuerst und zuletzt‹« - wie es unter Berufung auf Eberhard Jüngel heißt - »von Gott und seinem Handeln reden, der den Menschen aus dem Nichts ins Sein, aus dem Tod ins Leben, aus der Finsternis ins Licht zurückruft«. 68 Im Widerspruch zum Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen, dem eine »verhängnisvolle ›Seins- und Gottesvergessenheit‹« attestiert wird, hält Pfeiffer es für entscheidend, »dass der auf sich selbst und sein eigenes Handeln zurückgeworfene Mensch sich von der bewegenden Macht des Evangeliums in das neue Sein einweisen lässt« 69 (vgl. den Titel des Buchs). Und weiter lesen wir: Denn wo der Mensch sich auf das Handeln Gottes existentiell verlässt und ihm die Sorge um das Sein anvertraut, da wird er aus der Herrschaft der Sünde befreit und eingestimmt in das neue Sein, das Gott als subiectum, als tragenden Grund der Wirklichkeit anerkennt. In diesem Augenblick wird die für das Sein der Welt und des Menschen verhängnisvolle Herrschaft des Subjektivismus durchbrochen und der Mensch zurückgeleitet in die Wahrheit seines geschöpflichen Seins. Da ereignet sich neue Schöpfung, die Auferweckung aus dem Tode im Jetzt, und bricht sich das eigentliche Wunder Bahn: die Menschwerdung des Menschen. 70 Im Rahmen der beiden Kapitel »Der Mensch ausserhalb der Wirklichkeit Gottes« und »Der Mensch in der Wirklichkeit Gottes« bietet Pfeiffer Auslegungen einzelner neutestamentlicher Texte, gefolgt von einer Zusammenfassung unter der Überschrift »Einweisung in das neue Sein«. Insgesamt handelt es sich um eine dezidiert dogmatische Grundlegung einer christlichen Ethik, welche zwar mit neutestamentlichen Theologumena argumentiert, dabei aber nicht der spannungsreichen Vielfalt ethischer und theologischer Konzeptionen des frühen Christentums Rechnung trägt. Pfeiffers Polemik gegen das Selbstverständnis des modernen Menschen, dem er »die anthropologische Diagnose des Neuen Testaments« 71 gegenüberstellt, halte ich für hermeneutisch kurzschlüssig gedacht. Zum einen gibt es nämlich nicht die eine Diagnose, weshalb auch in den neutestamentlichen Schriften verschiedene ethische Ansätze begegnen. Zum anderen kann es nicht überzeugen, wenn theologische Aussagen des Neuen Testaments gegen das Selbstverständnis des modernen Menschen und damit gegen die angebliche »Herrschaft des Subjektivismus« 72 ausgespielt werden, ohne deren Eingebundensein in ein mythologisches Weltbild zu berücksichtigen. Erinnert sei hier an die trefflichen Gedanken D IETRICH B ONHEOFFER s, die er in einem Brief vom 8. Juni 1944 aus der Gefängniszelle an seinen Freund Eberhard Bethge schrieb: Die Attacke der christlichen Apologetik auf die Mündigkeit der Welt halte ich erstens für 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 11 12 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Neues Testament aktuell sinnlos, zweitens für unvornehm, drittens für unchristlich. Sinnlos - weil sie mir wie der Versuch erscheint, einen zum Mann gewordenen Menschen in seine Pubertätszeit zurückzuversetzen, d.h. ihn von lauter Dingen abhängig zu machen, von denen er faktisch nicht mehr abhängig ist, ihn in Probleme hineinzustoßen, die für ihn faktisch nicht mehr Probleme sind. Unvornehm, weil hier ein Ausnutzen der Schwäche eines Menschen zu ihm fremden, von ihm nicht frei bejahten Zwecken versucht wird. Unchristlich - weil Christus mit einer bestimmten Stufe der Religiosität des Menschen, d.h. mit einem menschlichen Gesetz verwechselt wird. 73 4. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Ethik Im Folgenden beschränke ich mich auf eine Zusammenstellung von Beobachtungen in thetischer Form, die Gedanken W OLFGANG S CHRA - GE s 74 aufgreifen: 1. Zwar lassen sich frühchristliche Theologie und frühchristliche Ethik nicht einfach voneinander trennen, aber man kann erkennen: Selbst da, wo zwischen neutestamentlichen Schriften erhebliche theologische Differenzen bestehen, kommen diese Differenzen auf der ethischen Ebene viel weniger zum Tragen. 2. Es gibt durchaus eine m.E. notwendige ethische Pluralität im neutestamentlichen Schrifttum, da nur so den jeweiligen religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Kontexten Rechnung getragen werden kann. Dabei ist durchaus nicht alles möglich und christlich legitimiert. 3. Die Einheit neutestamentlicher Ethik wird gerade auf der Motivations- und Begründungsebene erkennbar. Neutestamentliche Ethik ist durchgängig religiös verwurzelt. 4. Trotz aller Übereinstimmung mit antiker Ethik gibt sich neutestamentliche Ethik nicht mit dem zufrieden, was auch die Welt als gut anerkennt. 5. Dass das Tun nicht vom Glauben zu trennen ist, ist trotz einzelner Tendenzen zu einer weltlosen Introvertiertheit (etwa im johanneischen Schrifttum) weder in der Frühnoch in der Spätphase des Neuen Testaments ernsthaft bestritten worden. 6. Während bei Jesus, Paulus und Johannes - also bei den »Hauptzeugen des Neuen Testaments«, um eine Wendung von W ER - NER G EORG K ÜMMEL aufzugreifen - der Heilsindikativ und der ethische Imperativ fest miteinander verklammert sind, kommt es in manchen Schriften des Neuen Testaments zu einer Verselbständigung der Ethik. So wird hier der ethische Imperativ weniger mit dem Heilsindikativ begründet als vielmehr mit Gesetz, Tradition und Amt. 7. Wo im Neuen Testament eine unkritische Anpassung an die herrschende Gesellschaftsmoral droht oder gar wahrzunehmen ist (z.B. das Gebot des Schweigens der Frau im Gottesdienst in 1Kor 14,34f. und 1Tim 2,11-15 oder die in den Haustafeln des Kolosser- und Epheserbriefs hervortretenden patriarchalischen Leitbilder), ist theologische Sachkritik angezeigt. Neben dem Liebesgebot ist hier Gal 3,27f. zur Geltung zu bringen: »... ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Da gibt es nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau. Denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.« Oder es sei die Mahnung des Paulus in 1Thess 5,21 in Erinnerung gerufen: »Prüfet alles, das Gute behaltet! « 8. Bei aller unterschiedlicher Prägung der einzel- »Es gibt durchaus eine m.E. notwendige ethische Pluralität im neutestamentlichen Schrifttum, da nur so den jeweiligen religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Kontexten Rechnung getragen werden kann« »Bei aller unterschiedlicher Prägung der einzelnen neutestamentlichen Texte besteht zumindest in den Hauptschriften des Neuen Testaments eine inhaltliche Einheit der Paränese darin, dass sie das Liebesgebot als oberstes Gebot christlicher Ethik ansehen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 12 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 13 Werner Zager Neutestamentliche Ethik im Spiegel der Forschung nen neutestamentlichen Texte besteht zumindest in den Hauptschriften des Neuen Testaments eine inhaltliche Einheit der Paränese darin, dass sie das Liebesgebot als oberstes Gebot christlicher Ethik ansehen. Der Grund für die ausschlaggebende Bedeutung der Liebe liegt vor allem darin, dass sie dem Heilshandeln Gottes in Jesus Christus und damit Gottes Wesen entspricht (vgl. 1Joh 4,7-19). l Anmerkungen 1 Zu den folgenden Ausführungen vgl. H.-K. Chang, Neuere Entwürfe zur Ethik des Neuen Testaments im deutschsprachigen Raum. Ihre Sichtung und kritische Würdigung, Diss. theol. Erlangen-Nürnberg 1995. 2 H.-D. Wendland, Ethik des Neuen Testaments (GNT 4), Göttingen 1970. 3 Vgl. R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, durchges. u. erg. von O. Merk, Tübingen 9 1984 ( 1 1953), 552-584 (»Das Problem der christlichen Lebensführung«). 4 H.-D. Wendland, Ethik, 36. 5 A.a.O., 2. 6 A.a.O., 3. 7 A.a.O., 2f. 8 A.a.O., 3. 9 Ebd. 10 A.a.O., 4. 11 A.a.O., 122f. 12 A.a.O., 124. 13 Ebd. 14 W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments (GNT 4), Göttingen 2 1989. 15 A.a.O., 9. 16 A.a.O., 19. 17 Ebd. 18 A.a.O., 21. 19 A.a.O., 22. 20 A.a.O., 18. 21 Ebd. 22 A.a.O., 348. 23 A.a.O., 354. 24 Vgl. a.a.O., 85. 25 A.a.O., 21. 26 R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments, Bd. I: Von Jesus zur Urkirche; Bd. II: Die urchristlichen Verkündiger (HThK.S I/ II), Freiburg i.Br. / Basel / Wien 1986 / 1988. 27 R. Schnackenburg, Botschaft I, 6. 28 Ebd. 29 Vgl. a.a.O., 160. 30 Vgl. R. Schnackenburg, Botschaft II, 271-281. 31 A.a.O., 274. 32 S. Schulz, Neutestamentliche Ethik (ZGB), Zürich 1987, 5. 33 Vgl. ebd. 34 Ebd. 35 Vgl. a.a.O., 86f. 36 Vgl. a.a.O., 204f. 37 E. Lohse, Theologische Ethik des Neuen Testaments (ThW 5 / 2), Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1988. 38 Vgl. E. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie (ThW 5 / 1), Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 4 1989 ( 1 1974), 30-35.96-101.155-158. 39 E. Lohse, Theologische Ethik, 7. 40 A.a.O., 11. 41 Vgl. a.a.O., 11f. 42 A.a.O., 9. 43 A.a.O., 28. 44 A.a.O., 134. 45 Ebd. 46 A.a.O., 135. 47 W. Marxsen, »Christliche« und christliche Ethik im Neuen Testament, Gütersloh 1989. 48 A.a.O., 12. 49 Vgl. a.a.O., 32. 50 Vgl. a.a.O., 36. 51 A.a.O., 46. 52 Vgl. a.a.O., 132f. 53 Vgl. a.a.O., 135-152. 54 Vgl. a.a.O., 202. 55 A.a.O., 265. 56 R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament: Community, Cross, New Creation. A Contemporary Introduction to New Testament Ethics, Edinburgh 1997. 57 J. Beutler (Hg.), Der neue Mensch in Christus. Hellenistische Anthropologie und Ethik im Neuen Testament (QD 190), Freiburg i.Br. / Basel / Wien 2001. 58 Vgl. D. Zeller, Konkrete Ethik im hellenistischen Kontext, in: a.a.O., (82-98) 83. 59 Vgl. a.a.O., 98. 60 Vgl. a.a.O., 87.93. 61 Vgl. L. Oberlinner, Öffnung zur Welt oder Verrat am Glauben? Hellenismus in den Pastoralbriefen, in: a.a.O., (135-163) 154-156.163. 62 Vgl. a.a.O., 158-162. 63 G. Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000. 64 M. Pfeiffer, Einweisung in das neue Sein. Neutestamentliche Erwägungen zur Grundlegung der Ethik (BEvTh 119), Gütersloh 2001. 65 A.a.O., 315. 66 H. Jonas, Das Prinzip Weltverantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation (st 1085), Frankfurt a.M. 1979. 67 M. Pfeiffer, Einweisung, 318. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 A.a.O., 318f. 71 A.a.O., 316. 72 Ebd. 73 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg.v. Ch. Gremmels, E. Bethge u. R. Bethge (DBW 8), Gütersloh 1998, 478f. 74 W. Schrage, Zur Frage nach der Einheit und Mitte neutestamentlicher Ethik, in: Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie (FS E. Schweizer), hg.v. U. Luz u. H. Weder, Göttingen 1983, 238-253. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 13 14 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Die im Neuen Testament vorliegenden Schriften sind nicht schon je einzeln als kanonische Texte geschrieben oder je für sich kanonisch geworden. Sie sind das vielmehr geworden als zum »Neuen Testament« gesammelte Texte, als Bestandteil einer mit ihnen als zweitem Teil entstehenden christlichen Bibel zusammen mit der beibehaltenen jüdischen Bibel als erstem Teil. Als kanonische Texte sind sie normativ. Die Normativität kanonischer Texte besteht nicht darin, dass sie einfach zitiert werden könnten. Sie bedürfen der Auslegung. Dafür sind sie eine normative Vorgabe. Es verhält sich hier nicht anders als sonst: Die Realität entspricht nur allzu oft nicht der Norm. Das aber macht die Norm nicht überflüssig, sondern die Erinnerung an sie umso notwendiger. Erinnerung heißt hier, dass die Norm nicht einfach abrufbar ist, sondern im Auslegungsprozess auch immer wieder erst neu gewonnen werden muss. Die Texte des Neuen Testaments stammen in ihrer großen Mehrzahl aus einer Zeit, als es »das Christentum«, wie wir es als eine vom Judentum abgegrenzte eigene Größe kennen, noch gar nicht gab. Diese Texte haben bei ihrer Entstehung und ersten Überlieferung als ihre Träger kleine Gruppen, die zunächst wesentlich aus jüdischen Personen bestanden, in den Städten der Mittelmeerwelt mehr und mehr dann auch aus nichtjüdischen. Diese hatten jedoch zuvor meist schon Kontakt zum Judentum: »Gottesverehrer«, die als nichtjüdische Sympathisanten am synagogalen Leben - sozusagen »in der zweiten Reihe« - teilnahmen. Das Bewusstsein einer vom Judentum unterschiedenen eigenen Identität hat sich nur langsam herausgebildet und tritt m.E. in klarer Weise erst im Anfang des 2. Jh.s hervor. Die Frage, seit wann es Christentum gibt, ist eine spannende und gar nicht leicht zu beantwortende. Die Texte des Neuen Testaments sind von Haus aus jüdische bzw. in engster Weise mit dem Judentum in Verbindung stehende Texte. Diese kleinen Gruppen nun - als erste Träger und Überlieferer der dann zum Neuen Testament gesammelten Texte - setzten sich in sozialer Hinsicht in ihrer großen Mehrheit aus kleinen Leuten zusammen, die keine politische Verantwortung trugen und auch gar nicht wahrnehmen konnten. Mit »Friedenspolitik«, überhaupt mit politischer Gestaltung hatten sie nichts zu tun. Dennoch finden sich im Neuen Testament Aussagen zum Frieden, die mit dem politischen Bereich in Zusammenhang stehen und in ihn ausgezogen werden können. 1. Gott als Friedensstifter - und die (möglichen) Folgen Von Friedensstiftung ist im Neuen Testament nur dreimal, aber gewichtig die Rede. In Kol 1,20 steht das Verb »Frieden stiften« bzw. »Frieden machen« am Ende eines hymnischen Zusammenhangs, in dem Jesus Christus als Sohn Gottes überschwänglich gepriesen wird. Es gefiel Gott - so heißt es am Schluss -, »durch ihn alles auf sich hin zu versöhnen - Frieden stiftend durch das Blut seines Kreuzes -, durch ihn: das im Himmel und das auf der Erde«. Gott selbst schafft hier durch das als Einheit verstandene Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu Christi, durch diese endzeitliche Neuschöpfung, mit der die Gabe des heiligen Geistes verbunden ist, universale Versöhnung und stiftet Frieden zwischen Himmel und Erde. Ohne dass Paulus in 2Kor 5,19 das Wort »Frieden« gebraucht, macht er dort sachlich dieselbe Aussage: »Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufrichtete.« Diese Proklamation umfassender Versöhnung und kosmischen Friedens realisiert sich und gewinnt Gestalt bei denen, die sich auf sie einlassen. So hatte Paulus unmittelbar vorher in 2Kor 5,17f. geschrieben: »Daher, wenn jemand in Christus ist, so gilt: neue Schöpfung! Zum Thema Klaus Wengst Frieden stiften. Impulse des Neuen Testaments 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 14 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 15 Klaus Wengst Frieden stiften. Impulse des Neuen Testaments Das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden. Alles aber von Gott her, der uns mit sich durch Christus versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat.« Gottes neuschöpferische Tat am gekreuzigten Jesus schafft auch diejenigen neu, die sich darauf einlassen. Worin sich die »in Christus« gegebene »neue Schöpfung« realisiert und konkretisiert, führt Paulus an anderer Stelle aus, wenn er in Gal 3,28 schreibt: »Hier gibt es nicht Jude oder Grieche, hier gibt es nicht Sklave oder Freier, hier gibt es nicht männlich und weiblich; denn alle seid ihr einer in Jesus Christus.« Auf der Ebene der Gemeinden, auf der Ebene der Kirche hieße das also Frieden zwischen den Geschlechtern, Frieden zwischen den sozialen Klassen, Frieden zwischen den Völkern - und zwar Frieden als gleichberechtigte Teilhabe. Ähnlich heißt es Kol 3,11: »Da gibt es nicht Grieche und Jude, Beschneidung und Unbeschnittenheit, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allem Christus.« Demnach könnte man - aufgrund der Erwähnung von Barbar und Skythe - auch noch formulieren: Frieden zwischen den Kulturen. Darin steckt ein starkes politisches Potential. Das hätte aktiviert werden können, als sich Kirche und Christen die Möglichkeit politischer Gestaltung bot. In der Regel ist das nicht geschehen. Als es bei der Emanzipation von Frauen um gleiche gesellschaftliche und politische Teilhabe von Frauen und Männern ging, wurde das von den Kirchen alles andere als gefördert. Schon im eigenen Bereich waren die Impulse der frühen Zeit, wie bereits Spätschriften des Neuen Testaments zeigen, bald versandet. Das Potential des Anfangs hätte ein Impuls für die Überwindung von Klassen- und Standesschranken sein können. Aber als die Arbeiterbewegung soziale und politische Rechte für alle erstritt, standen die Kirchen im Wesentlichen auf der anderen Seite. Das Potential des Anfangs hätte ein Impuls sein können für Frieden unter den Völkern. Aber z.B. beim Beginn des 1. Weltkriegs verfiel der Großteil der Kirchen und Christen genauso dem Nationalismus wie der Großteil der Arbeiterbewegung. Aber immerhin - das sei doch auch angeführt - gehörten nach dem 2. Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland einzelne Christen und kirchliche Gruppen zu den ersten, die Kontakt zu Menschen und Gruppen im neu gegründeten Staat Israel suchten und konkrete Versöhnungsarbeit aufnahmen (z.B. die »Aktion Sühnezeichen und Friedensdienste«). Es waren ebenfalls einzelne Christen und kirchliche Gruppen, die Versöhnung und Frieden mit den Völkern Osteuropas suchten. Die Ostdenkschrift der EKD von 1965 gab nicht nur einem beginnenden Bewusstseinswandel in Westdeutschland gegenüber den Völkern Osteuropas Ausdruck, sondern sie hat ihn auch entscheidend vorangetrieben und kräftige Anstöße für eine veränderte Politik gegeben. In dem zentralen Punkt christlichen Glaubens, dass Gott ein schreckliches Geschehen, Klaus Wengst Prof. Dr. Klaus Wengst studierte Evangelische Theologie von 1961-1967 in Bethel, Tübingen, Heidelberg und Bonn. Promotion 1967, Habilitation 1970 in Bonn. 1967 Wissenschaftlicher Assistent, 1973 Dozent, 1979 apl. Professor in Bonn. Seit 1981 Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität in Bochum. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Sozialgeschichte, das jüdische Profil der neutestamentlichen Schriften sowie das Johannesevangelium. »In dem zentralen Punkt christlichen Glaubens, dass Gott ein schreckliches Geschehen, die Hinrichtung Jesu am Kreuz, heilvoll für die Welt gewendet hat, steckt also ein enormes Potential für Friedenshandeln« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 15 16 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema die Hinrichtung Jesu am Kreuz, heilvoll für die Welt gewendet hat, steckt also ein enormes Potential für Friedenshandeln. Von daher sind die Gemeinde, die Kirche und auch die Kirchen untereinander als ein eigener Erfahrungsraum von Frieden und Versöhnung zu entdecken und zu erschließen. Wird dieser Raum wirklich wahrgenommen und gelebt, hat das auch Folgen in einem entsprechenden Handeln nach außen. Ich will beides an zwei neutestamentlichen Beispielen erläutern. Im Matthäusevangelium spielt Bereitschaft zur Vergebung und im Raum der Gemeinde praktizierte Versöhnung eine außerordentlich große Rolle. Dabei steht der Evangelist ganz und gar in seiner jüdischen Tradition. In der Ausweitung des Tötungsverbotes auf Zorn und Beschimpfung und also auf den Hass (Mt 5,21f.) stimmt er mit seinem Zeitgenossen Rabbi Elieser genau überein, der seinerseits formuliert: »Wer seinen Mitmenschen hasst, siehe, der gehört zu den Blutvergießern« (DER 11 [57d]). Matthäus fährt erläuternd fort: Wer sich, wenn er ein Opfer darbringen will und schon am Altar steht, daran erinnert, dass er mit seinem Mitmenschen in Unfrieden lebt, soll das Opfer vor dem Altar liegen lassen und sich erst mit seinem Mitmenschen versöhnen (5,23f.). Das ist hyperbolische Redeweise, die nicht wörtlich befolgt werden kann. Wer sich etwa als galiläischer Pilger so verhalten hätte, wäre bei seinem Wiederkommen erst nach Ende des Wallfahrtsfestes eingetroffen. Nachdem Matthäus das Vaterunser zitiert hat, nimmt er nur den Nachsatz der Bitte um Vergebung noch einmal auf: » ... wie auch wir denen vergeben haben (! ), die uns etwas schulden« und macht Gottes Vergebung von der eigenen Vergebungspraxis abhängig (6,14f.; vgl. auch 18,21-35). Die Erfahrung praktizierter Versöhnung im Raum der Gemeinde, die Erfahrung gelebten Friedens, dürfte die Basis dafür bilden, dass Paulus ein entsprechendes Verhalten nach außen anmahnen kann. Er tut das am eindrücklichsten in Röm 12,17-21: »Soweit es von euch abhängt, haltet Frieden mit allen Menschen! « (V.18). Die Einschränkung am Beginn macht deutlich, dass nicht der gute Wille einer Seite allein in jedem Fall Frieden schaffen kann. Aber zum Erreichen von Frieden setzt Paulus doch andererseits keineswegs voraus, dass auf der anderen Seite ein genau gleich großer Wille zum Frieden von vornherein vorhanden sein muss. Das zeigt sich daran, wie er die Einschränkung »soweit es von euch abhängt« hier näher beschreibt. Diese Wendung ist für ihn nämlich nicht eine bloße Floskel, mit der resignierend unfriedliche Zustände hingenommen werden. Die Einschränkung wird präzise ausgeführt. Er verbietet es den Gemeindegliedern, sich zu rächen; die Vergeltung ist Gottes Sache (V.19f.). Statt dessen ermuntert er dazu, die Kette von Untat und Vergeltung zu durchbrechen: »Vergeltet nicht Böses mit Bösem! « (V.17). Dem Verzicht, für den »fälligen« Ausgleich selbst zu sorgen, stellt er sofort die positive Mahnung zur Seite: »Seid im Vorhinein auf Gutes gegenüber allen Menschen bedacht! « (V.17). Den anderen ist Vertrauensvorschuss zu gewähren und das eigene Handeln ihnen gegenüber so zu gestalten, dass es positive Folgen auch für sie zeitigt. Ich sehe eigentlich nicht, wieso dieser Aspekt nicht auch ein Element politischen Friedenshandelns sein könnte. Ich hatte vorher als einen zu entdeckenden und zu erschließenden Raum von Versöhnung und Frieden auch das Verhältnis der Kirchen zueinander genannt. Das Modell, das Einheit als „versöhnte Verschiedenheit“ versteht und zu praktizieren versucht, könnte vielleicht auch ein entwicklungsfähiges Modell für politisches Friedenshandeln im Blick auf die Einheit der Menschheit auf dieser Erde sein. 2. Christen als Friedensstifter - und woran sie dabei zu erinnern haben Ausdrücklich von Friedensstiftung spricht »Das Modell, das Einheit als ›versöhnte Verschiedenheit‹ versteht und zu praktizieren versucht, könnte vielleicht auch ein entwicklungsfähiges Modell für politisches Friedenshandeln im Blick auf die Einheit der Menschheit auf dieser Erde sein« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 16 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 17 Klaus Wengst Frieden stiften. Impulse des Neuen Testaments sodann die Seligpreisung der Friedensstifter in der Bergpredigt: »Glücklich die Friedensstifter! Denn sie werden Kinder Gottes heißen« (Mt 5,9). Luthers Übersetzung hat das in seiner Zeit durchaus angemessen wiedergegeben: »Selig sind die Friedfertigen.« Aber das Wort »friedfertig« - wie auch das Wort »selig« - hat inzwischen einen Bedeutungswandel durchgemacht, insofern es in unseren Ohren einen passiven Klang bekommen hat. Es wurde aber - entsprechend dem im griechischen Text stehenden Wort - einmal aktiv gehört: Frieden fertigen. Mit dieser Seligpreisung der Friedensstifter - sie enthält ja implizit die Aufforderung, zu ihnen zu gehören und also selbst Frieden zu stiften - steht Matthäus wieder ganz in seiner jüdischen Tradition. So heißt es von Hillel dem Alten: »Gehöre zu den Schülern Aarons: Frieden liebend und dem Frieden nachjagend, die Menschen liebend und sie der Tora nahebringend! « (mAv 1,12). Aaron gilt als Musterbeispiel für einen Friedensstifter: »Aaron hält Frieden, jagt dem Frieden nach und stiftet Frieden zwischen dem Menschen und seinem Mitmenschen« (bSan 6b). Wie er das macht, wird ausführlich erzählt, dass er nämlich in geschickten Einzelgesprächen zwischen verfeindeten Menschen agiert und sie wieder zusammenbringt. Und zwar überzeugt er den jeweiligen Gesprächspartner vom guten Willen des je anderen und provoziert so überhaupt erst den guten Willen des jeweiligen Gesprächspartners (ARN [A] 12). Aaron vermochte das aufgrund seiner Demut: »Wenn ihn einer verflucht, sagt er zu ihm: Friede sei mit dir! Wenn ein Mensch mit ihm in Streit liegt und nicht mit ihm spricht und wenn zwei (andere miteinander) streiten, demütigt er sich (wörtlich: erniedrigt seinen Geist, d.h. er macht sich klein, um sozusagen dem anderen nicht von oben herab zu begegnen) und geht zu ihnen und versöhnt sie miteinander; denn das war das Handwerk Aarons, des Gerechten« (Kalla Rabbati 3,4). Den Friedensstiftern wird in Mt 5,9 verheißen, Kinder Gottes zu sein. Sie sind es, weil Gott selbst ein Friedensstifter ist. So heißt es an einer Stelle: »Groß ist der Friede. Denn unter den Engeln gibt es weder Feindschaft noch Eifersucht noch Hass noch Häresie noch Rivalitäten noch Streitigkeiten; und doch muss der Heilige, gesegnet er, zwischen ihnen Frieden stiften. (Denn in Hiob 25,2 steht, dass er ›Frieden schafft in seinen Höhen‹.) Um wieviel mehr muss er es tun zwischen den Menschen, die alle diese Eigenschaften haben« (DES 11 [59c]). Dass es Feindschaft, Eifersucht, Hass, Häresie, Rivalität und Streit bei den Menschen gibt, lässt Gott also nicht resignieren, sondern veranlasst ihn dazu, Frieden zu stiften. Entsprechend wird Gott im Neuen Testament geradezu formelhaft als »Gott des Friedens« bezeichnet (Röm 15,36; 16,20; 1Kor 14,33; 2Kor 13,11; Phil 4,9; 1Thess 5,23; Hebr 13,20). Die Seligpreisung der Friedensstifter steht bei Matthäus nicht für sich, sondern in einem deutlich ausgearbeiteten und zugespitzten Zusammenhang. Matthäus hat die überlieferten Seligpreisungen der Armen, Hungernden und Weinenden, wie sie Lk 6,20f. erhalten sind, in den Bereich ethischen Verhaltens übertragen und um entsprechende Seligpreisungen erweitert. Das lässt sich am besten verdeutlichen an der Seligpreisung der Hungernden. In Lk 6,21 sind im wörtlichen Sinn Hungernde angesprochen, die deshalb glücklich gepriesen werden, weil sich ihre schlimme Situation ändern wird: Sie werden satt werden. Bei Matthäus heißt es in 5,6: »Glücklich, die hungern und dürsten nach Marc Chagall, Die weiße Kreuzigung © ADAGP, Paris 2000 © Giraudon 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 17 18 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema Gerechtigkeit! « Hier geht es um ein Verhalten, das auf Gerechtigkeit aus ist. Für diese Übertragung in den ethischen Bereich ist Matthäus nicht zu tadeln, sondern zu loben. Er dürfte wahrgenommen haben, dass es sich bei den Menschen in seiner Gemeinde - anders als bei Jesus und seinen Schülern - nicht um Bettelarme handelte; und so fragte er sich, was Jesu Seligpreisung der Hungernden für Menschen bedeuten könnte, die zwar nicht gerade im Überfluss leben, aber doch so viel haben, dass sie nicht hungern müssen. So meinte er, dass Jesu Seligpreisung verpflichtet, nach Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten, also für diejenigen einzutreten, denen ihr Recht vorenthalten ist, indem sie z.B. immer noch hungern müssen. Hat Matthäus schon in dieser Seligpreisung das Stichwort »Gerechtigkeit« gebracht, so nimmt er es in V.10 noch einmal auf und fasst dort alle in den Versen 3 bis 9 gebrachten Verhaltensweisen mit diesem Begriff zusammen. Das aber heißt, dass Gerechtigkeit die Signatur des zu erringenden Friedens ist. Auch das hat biblische Tradition: »Das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Dienst der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit auf immer« (Jes 32,17). Nach Röm 14,17 besteht das Reich Gottes »in Gerechtigkeit, Frieden und Freude«; und Jak 3,18 - dies die dritte Stelle, an der im NT von Friedensstiftung die Rede ist - heißt es: »Die Frucht der Gerechtigkeit wird in Frieden denen gesät, die Frieden stiften.« Gerechtigkeit ist biblisch ein partizipatorischer Begriff. Da es um gleichberechtigte Teilhabe geht, meint er vor allem, dass die zu ihrem Recht kommen, die es noch nicht haben: »Wenn ein Bruder oder eine Schwester Mangel an Kleidung und täglicher Nahrung leiden und einer von euch ihnen sagt: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch! , ihr ihnen aber nicht gebt, was sie für ihren Leib brauchen, was ist der Nutzen? « (Jak 2,14f.) Dafür hätten daher Christinnen und Christen in der friedenspolitischen Diskussion vor allem zu sorgen, dass die Frage nach Gerechtigkeit in ihr nicht verstummt. Gerechtigkeit bildet den Maßstab, ob etwas, das als Frieden behauptet wird, auch wirklich Frieden ist. Von daher ist es zu verstehen, dass sich im NT im Munde Jesu auch die Aussage findet: »Meint nicht, dass ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert« (Mt 10,34; par Lk 12,51). Und dann zitiert er in bestimmter Weise Micha 7,6: »Ich bin nämlich gekommen, einen Menschen gegen seinen Vater zu entzweien, eine Tochter gegen ihre Mutter und eine Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter.« Die neue Sozialität der Schülerschaft Jesu, die neue Sozialität der Gemeinde, die durch geschwisterschaftliche Partizipation geprägt ist, steht gegen die traditionelle Gesellschaft, vor allem geprägt durch die hierarchisch bestimmte Familie; und da kommt es zu schmerzhaften Trennungen. Nach Joh 14,27 sagt der Abschied nehmende Jesus zu seinen Schülern: »Frieden lasse ich euch zurück, meinen Frieden gebe ich euch.« Solcher Frieden stellt sich ein, wo auf das Vermächtnis Jesu, einander zu lieben, vertraut und ihm gefolgt wird, wo die Bedrängten untereinander Solidarität üben und Solidarität erfahren. Das Gegenbild wird unmittelbar anschließend ausdrücklich genannt: »Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.« Dieses Gegenbild, wie die Welt Frieden gibt, stand der Leser- und Hörerschaft des Evangeliums in Gestalt der Pax Romana vor Augen; und es tritt auch im Johannesevangelium in Erscheinung. Die römische Macht gibt »Frieden« durch militärischen Einsatz (11, 48); und um der Friedenssicherung und Machterhaltung willen schreckt sie auch nicht, wie die Passionsgeschichte zeigen wird, vor der Hinrichtung eines Unschuldigen zurück. Der Frieden Jesu entsteht demgegenüber aus Erfahrungen von Solidarität. 3. Pax Romana und der Friede Jesu Christi Der zentrale Inhalt christlicher Verkündigung, das Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu »Dafür hätten daher Christinnen und Christen in der friedenspolitischen Diskussion vor allem zu sorgen, dass die Frage nach Gerechtigkeit in ihr nicht verstummt« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 18 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 19 Klaus Wengst Frieden stiften. Impulse des Neuen Testaments Christi, ist also mit gegensätzlichen Friedensvorstellungen verbunden. Jesus wurde durch eine Hinrichtung am Kreuz zu Tode gebracht, also durch die römische Besatzungsmacht. Er wurde nach einem - vermutlich kurzen - Prozess aufgrund der Verurteilung durch den Präfekten der römischen Provinz Judäa, Pontius Pilatus, von Soldaten Roms hingerichtet. Wie immer der Beitrag führender Kreise unter den Landsleuten Jesu dabei zu beschreiben sein mag, die entscheidende Instanz war jedenfalls Rom in der Person des Präfekten. Dass er Jesus am Kreuz hinrichten ließ, zeigt an, dass Jesu Tod unlösbar verknüpft ist mit dem politischen Frieden, den es damals gab, der Pax Romana, von der römischen Macht hergestellt und garantiert. Aus der Sicht des Präfekten war diese Hinrichtung, wie viele andere auch, geradezu ein Akt zur Sicherung und Erhaltung des Friedens. Erhaltene Berichte über den Vollzug der römischen Strafe der Kreuzigung im Land Israel der Zeit Jesu nennen als Delinquenten nur solche, die für Aufrührer gehalten wurden. Dafür genügte es, »Auflauf« erzeugt zu haben. Auf diesen politischen Kontext weisen einmal die Bezeichnung der Mitgekreuzigten Jesu als »Räuber«, wie Aufständische aus der Perspektive der Ordnungsmacht beurteilt wurden, und zum anderen die Aufschrift am Kreuz Jesu: »König der Juden«. In den Augen der römischen Provinzverwaltung war Jesus ein Aufrührer, der den bestehenden Frieden gefährdete. Ein Friedensstörer wurde auf legale Weise von der Friedensmacht aus dem Weg geräumt. Die sich auf Tod und Auferweckung Jesu beziehenden Aussagen des Neuen Testaments, die seine sachliche Mitte bezeichnen, sind also unlösbar mit einem historischen Ereignis verknüpft, der Kreuzigung Jesu, das in den Zusammenhang damaligen politischen Friedenshandelns gehört. Das ist allerdings eine höchst seltsame Mitte, eine Mitte am Rande eine Hinrichtung in einer relativ unbedeutenden kleinen Provinz im Osten des römischen Reiches. Wir haben im ersten Punkt gesehen, dass Aussagen des Neuen Testaments mit dieser Hinrichtung die Vorstellung von Gottes universaler Friedensstiftung verbinden. Damit prallen in der sachlichen Mitte des Neuen Testaments, dem Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu, zwei völlig entgegengesetzte Weisen von Frieden aufeinander. Auf der einen Seite steht unterbrechende, ja abbrechende Gewalt - »Unterbrechung der Gewalt« als Unterbrechung und Abbruch durch Gewalt -, steht die Pax Romana, ein vom damaligen Zentrum der Macht vor allem mit militärischen Mitteln hergestellter und gesicherter Frieden, eine von der Metropole ausgehende und auf sie ausgerichtete Ordnung. Auf der anderen Seite steht Unterbrechung der Gewalt als unterbrochene, ja abgebrochene Gewalt, steht Frieden als Versöhnung von Gegensätzen und Aufhebung von Feindschaft, als neue Schöpfung, die am Rande der Gesellschaft Gestalt gewinnt in kleinen Gruppen und Gemeinden. Von daher wäre es m.E. ein wesentlicher Aspekt christlichen Friedenshandelns, den Blick von den Rändern her einzuüben und die Marginalisierten ins Blickfeld zu rücken. Orte der Peripherie gibt es im Zeitalter der Globalisierung zunehmend auch in den Zentren. An dieser Peripherie müsste spezifisch christliches Friedenshandeln von seinem eigenen Zentrum her ansetzen. Dabei wäre von der biblisch-jüdischen Tradition her auch das spannungsvolle Aufeinanderbezogensein von Universalität und Partikularität in die Globalisierungsdebatte einzubringen. Gegen den einseitigen Drang zur Universalisierung und zur Universalisierbarkeit geht es konstitutiv um die Rettung des Partikularen als des Besonderen und Unterschiedenen. In mSan 4,5 ist eine Antwort auf die Frage, warum Adam, der erste Mensch, einzeln geschaffen wurde: »... wegen des Friedens unter den Menschen, sodass kein Mensch zu seinem Mitmenschen sagen kann: Mein Vater ist größer als dein Vater.« An den Schluss meines Beitrags stelle ich einen Hinweis auf die Feier des Abendmahls. Als ein Symbol von Frieden und Gerechtigkeit »Von daher wäre es m.E. ein wesentlicher Aspekt christlichen Friedenshandelns, den Blick von den Rändern her einzuüben und die Marginalisierten ins Blickfeld zu rücken« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 19 20 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema enthält sie m.E. ein starkes Orientierungspotential für christliches Friedenshandeln: Sie proklamiert Versöhnung und praktiziert sie untereinander; sie gewährt gleichberechtigte Teilhabe an dem, was elementar notwendig ist und also die Not wendet, wofür das Brot steht, aber zugleich gewährt sie auch Teilhabe an sozusagen elementarem Luxus: der Freude, die der Wein schenkt; im Teilen miteinander bekommen alle daran Anteil und jede und jeder genug; sie bekommen die Gaben dieser Feier als Wegzehrung für unterwegs, damit sie ihre Schritte auf den Weg des Friedens lenken. Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie A. Francke Verlag Tübingen und Basel Eve-Marie Becker Schreiben und Verstehen Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 4, 2002, XII, 319 Seiten, 48,-/ SFr 79,30 ISBN 3-7720-3154-4 Im 2. Korintherbrief äußert sich Paulus am umfassendsten zum Thema “Kommunikation des Apostels mit einer Gemeinde”. In Briefform entwirft er eine eigene briefhermeneutische Konzeption. Er wählt dabei eine metakommunikative Sprachebene. Dies führt zu Fragen, die schon die antiken Autoren kannten und die heute Exegeten und Sprachwie Literaturwissenschaftler bewegen: Überlegungen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zur Briefproduktion und -rezeption und zu einer Brieftypologie. Die Studie untersucht weiterhin mit Hilfe von Philologie, Papyrologie und Sprach- und Literaturwissenschaften die allgemein-antiken Produktions- und Rezeptionsbedingungen des 2. Korintherbriefes. Sie entwickelt ein eigenständiges literarhistorisches Modell, das den 2. Korintherbrief als eine nachträgliche Brief-Sammlung erklärt, die aus ursprünglich vier bis fünf Einzelbriefen bestand. Jörn-Michael Schröder Das eschatologische Israel im Johannesevangelium Eine Untersuchung der johanneischen Israel-Konzeption in Joh 2-4 und Joh 6 Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 3, 2002, XVI, 380 Seiten, 49,-/ SFr 81,- ISBN 3-7720-3153-6 Welche Funktion hat die jüdisch-alttestamentliche Ursprungstradition für die Selbstdefinition des Christentums? Eine Bestimmung der impliziten Lesergemeinde als “eschatologisches Israel” ist die Anwort, die Jörn-Michael Schröders Studie für das Johannesevangelium aufzeigt. Joh 2-4 und Joh 6 werden dabei als metaphorischer Entwurf der johanneischen Israel-Konzeption entfaltet. Daraus ergeben sich neue Perspektiven sowohl für die johanneische Selbstwahrnehmung des Christentums in Bezug auf die jüdisch-alttestamentliche Tradition als auch für die kontrovers diskutierte Rolle der “Juden” im Johannesevangelium. Die johanneische Leserlenkung und Strategie wird dabei durch Erwägungen zur historischen Kontextualisierung seiner Israel-Konzeption deutlich profiliert. In einem Ausblick wird der Ertrag der Untersuchung für das gegenwärtige jüdisch-christliche Gespräch festgehalten. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 20 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 21 Der sechste Abschnitt des fünften Buches Mose wird nach seinen ersten Wörtern : »Wenn Du gegen deine Feinde in den Krieg ziehst (...)« (Ki-Teze LaMilchama Al-Oiwecha, Dtn 21,10) benannt. Vom Krieg wird aber bereits am Schluß des vorigen Abschnitts gehandelt: »Wenn du gegen deine Feinde in den Krieg ziehst«, hatte es dort gleichfalls geheißen, »und Rosse und Wagen siehst, ein Volk, das zahlreicher ist als du, so fürchte dich nicht vor ihnen, denn mit dir ist der Ewige, dein Gott (...). Wenn ihr nun zur Schlacht heranrückt, dann trete der Priester vor und rede zum Volk. Und er spreche zu ihnen: Höre, Israel (Sch’ma Jsrael), ihr rückt heute gegen eure Feinde zur Schlacht heran, euer Herz sei nicht verzagt, fürchtet euch nicht , zittert nicht und erschreckt nicht vor ihnen, denn der Ewige, euer Gott, ist es der mit euch zieht, um für euch gegen eure Feinde zu streiten und euch zu helfen« (Dtn 20,1-5). Die Szene kommt uns bekannt vor. Wir erinnern uns an die christlichen Priester, die die Truppen mit »Gott-will-es« - und »Gott-mit-uns«-Aufrufen anfeuerten und die Waffen segneten oder an muslimische Prediger, die ihre Gemeinde zum »heiligen Krieg« aufrufen und Märtyrer himmlischen Lohn versprechen. Angesichts der Unmenschlichkeit, mit der Religionskriege geführt werden, verlieren wir schnell die Geduld mit solchen »heiligen Texten«. Aber lassen wir die Bibel ausreden und hören uns die biblische Mobilmachung einmal aufmerksam an: »Und die Aufseher«, die etwa unseren Militärpolizisten entsprechen,» sollen zum Volke sprechen: Wer hat ein neues Haus gebaut und nicht eingeweiht? Er mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer es einweihe. Wer hat einen Weinberg gepflanzt und ihn noch nicht ausgelöst? Er mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer ihn auslöse. Wer hat sich mit einer Frau verlobt und sie noch nicht heimgeführt? Der mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer sie heimführe. Dann soll der Aufseher weiter zum Volk sprechen und sagen: Wer ist furchtsam und im Herzen verzagt? Er mag gehen und heimkehren, damit nicht seinen Brüdern der Mut ebenso schwinde, wie ihm« (20,5-9). Hier wird nicht verlangt, daß die Kämpfer ihr privates Glück opfern und im Namen Gottes mitten aus dem Leben scheiden. Ganz zu schweigen davon, daß hier nicht Kinder und Jugendliche, deren Leben noch gar nicht richtig begonnen hat, in den sicheren Tod geschickt werden. Zwischen der Ansprache des Priesters und der des Aufsehers gibt es außerdem einen wichtigen Unterschied: Während der Priester das Volk aufruft, im Gottvertrauen, ohne Furcht und Zittern in die Schlacht zu ziehen, schicken die Aufseher alle, die sich dennoch fürchten, wieder nach Hause. Kriegsdienstverweigerung muß nicht umständlich begründet werden, und es stehen keine Militärpsychiater hinter der Front, um »Kriegszitterer« mit brutalen Therapiemethoden wieder einsatzbereit zu machen. Nicht alle verfügbaren Kräfte werden mobilisiert, das zivile Leben behält vielmehr auch im Kriegsfall seine volle Daseinsberechtigung. Eine solche Mobilmachung klingt in unserer Zeit geradezu idyllisch und ist jedenfalls nicht Ausdruck blutrünstiger Kriegslüsternheit. Auch die folgenden biblischen Bestimmungen zeigen, daß der Krieg kein Selbstzweck war und der Friede vorgezogen wurde: »Wenn nun die Aufseher ihre Ansprache an das Volk beendet haben, soll man Heerführer an die Spitze des Volkes stellen. Wenn du gegen eine Stadt heranrückst, um sie zu bekriegen, so sollst du ihr Frieden anbieten. Wenn sie dir friedlich antwortet und sich dir öffnet, so soll Zum Thema Daniel Krochmalnik Vom Gotteskrieg in der hebräischen Bibel »Angesichts der Unmenschlichkeit, mit der Religionskriege geführt werden, verlieren wir schnell die Geduld mit solchen ›heiligen Texten‹« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 21 22 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema alles Volk, das sich in ihr findet, dir steuerpflichtig und dienstbar sein. Wenn sie aber mit dir nicht in Frieden leben, sondern Krieg führen will, und du sie einschließt, und der Ewige, dein Gott, sie in deine Hand gibt, so sollst du die Männer in ihr mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Jedoch die Frauen, die Kinder und das Vieh und alles in ihr, all ihr Gut, erbeuten.« (Dtn 20, 10-14). Daß auch im Fall des unvermeidlichen Krieges kein »Vernichtungskrieg« gemeint ist, mit zerbombten Städten und verbrannter Erde, zeigt die letzte Bestimmung dieses altisraelitischen Kriegsgesetzes: »Wenn du eine Stadt lange Zeit einschließt und bekriegst, um sie einzunehmen, so sollst du die Bäume um sie herum nicht zerstören, indem du die Axt gegen sie schwingst, sondern sollst nur von ihnen essen, sie selbst aber nicht umhauen, denn sind etwa die Bäume des Feldes Menschen, daß sie von dir in die Belagerung hineingezogen werden sollten? « (Dtn 20,19). Die Tradition hat den biblischen Krieg weiter umhegt. So bedürfen Kriege überhaupt der Zustimmung des obersten Gerichtshofs (Sanhedrin), 1 und sie unterliegen ganz bestimmten Regeln. Eine belagerte Stadt darf z. B. nicht ganz umzingelt werden, damit die Flüchtlinge noch Auswege finden. 2 Wenn man solche Bestimmungen mit den Schrecken des heutigen Krieges vergleicht, dann hat man den Eindruck, daß die Menschheit seither zurückgeschritten ist. Es wäre aber unfair zu verschweigen, daß in unserem Abschnitt auch vom »Vernichtungskrieg« gegen die damaligen Bewohner des heiligen Landes die Rede ist (20,17-19). Dieser Krieg wird als Maßnahme gegen den Götzendienst gerechtfertigt: »damit sie euch nicht alle Greueltaten lehren, die sie ihren Göttern gegenüber geübt, und ihr sie ebenfalls übt« (Dtn 20,18) und zur religiösen Pflicht erhoben (Milchemet Mizwa). Welche Greueltaten die Bibel hier meint, deutet sie kurz zuvor an: »Alles was dem Ewigen ein Greuel ist, was er haßt, haben sie ihren Göttern gegenüber getan, ja sie verbrennen selbst ihre Söhne und Töchter ihren Göttern zu Ehren« (Dtn 12,31). Es gibt Feinde, die nicht geschont werden dürfen, weil sie eine gottes- und menschenverachtende Ideologie vertreten. Wer imstande ist, im Namen eines Götzen seine »Söhne und Töchter« zu verbrennen, ist zu allem fähig und verdient keine Nachsicht. Feindesliebe ist hier Fehl am Platz, weil das ein zusätzlicher Schlag gegen ihre Opfer wäre! Unsere Weisen sagen uns zwar, daß die Völker, gegen die diese Art von Krieg gerechtfertigt war, längst verschwunden seien (mJad 4,4), 3 wir kennen aber leider genügend Beispiele dafür, daß Menschen ihre »Söhne und Töchter« für ihre religiösen und nationalistischen Götzen durchs Feuer gehen lassen. Aber auch im Falle eines solchen Pflichtkrieges, der bis heute als ein Hauptargument gegen die Bibel ins Feld geführt wird, gilt nach der Tradition die Regel: »Wenn du dich einer feindlichen Stadt näherst, um sie zu bekämpfen, mußt du sie vorerst zum Frieden auffordern« (Dtn 20,10). Nimmt die Stadt daraufhin die sieben Gebote Noachs - eine Art Kurzfassung der zehn Gebote - an, so wird sie verschont. Es handelt sich bei diesen Kriegen also nicht um eine ethnische, sondern um eine ethische Säuberung. 4 Trotz alle dem ist uns heute die alttestamentarische Rede von den »Gotteskriegen« (Milchamot Ha- Schem) und von Gott als »Kriegsmann« (Isch Milchama), wie Mose ihn in seinem Triumphlied auf den Untergang der Ägypter am Meer nennt (Ex 15,3), peinlich geworden. Aber die Erfahrung, die wir soeben mit dem biblischen Kriegsgesetz gemacht haben, sollte uns vor schnellen negativen Vorurteilen warnen und uns veranlassen, einmal genauer das Phänomen der biblischen »Gotteskriege« zu prüfen. Es fängt schon damit an, daß der älteste hebräische Bardengesang (Ri 5), der in den Synagogen nach der Lesung des Triumphlieds am Meer vorgetragen wird, die Heldentaten zweier Frauen preist, der Prophetin und Richterin Debora (Ri 5,8) und Jael (Ri 5,24), während der Feldherr Barak, der Nachfolger Ehuds, eine ganz schlechte Figur macht (4,9). Aber auch die männlichen Anführer sind in diesen israelitischen Heldensagen keine Ritter »Wenn man solche Bestimmungen mit den Schrecken des heutigen Krieges vergleicht, dann hat man den Eindruck, daß die Menschheit seither zurückgeschritten ist« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 22 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 23 Daniel Krochmalnik Vom Gotteskrieg in der hebräischen Bibel ohne Furcht und Tadel, sondern ausgesprochen kampfunerfahrene »Richter«. Der Bauer Gideon, der die Midianiter besiegen soll, ist der Jüngste aus der kleinsten Sippe des Stammes Manasse (Ri 6,15). Der Bauer Saul, der die Philister besiegen soll, kommt aus der kleinsten Sippe des kleinsten Stammes Benjamin (1Sam 9, 21) und versteckt sich bei seiner Wahl schüchtern hinterm Gepäck (1Sam 10, 22). Der Hirte David ist der jüngste, der kleinste und der unscheinbarste der Kinder Jesses. Der Prophet, der den ältesten, hochgewachsenen Eliaw zuerst erblickt und sofort einsetzen will, bekommt von Gott den charakteristischen Bescheid: »Achte nicht auf sein Aussehen, auf seine Körpergröße, denn ihn verschmähe ich, denn nicht was der Mensch sieht, (zählt), denn der Mensch sieht nach den Augen, aber der Ewige sieht nach dem Herzen« (1Sam 16, 6f.) - es kommt also nicht auf die »langen Kerls« an, ja die langen Kerls à la Goliath ziehen in der Bibel immer den Kürzeren (1Sam 17). Auch die Heere Israels sollen nicht durch Größe und Stärke imponieren. Gideon, der zuerst ein Heer von 32 000 Männern gesammelt hatte, zieht schließlich mit 300 Mann in den Kampf: »Das Volk bei dir«, sagt ihm Gott, »ist zu zahlreich, als daß ich die Midianiter in deine Hand geben könnte. Israel möchte sich sonst wider mich rühmen und sprechen: Meine Hand hat mir geholfen.« (Ri 7,2) Ja, als David seine wehrfähigen Männer zählen ließ, wurden sie umgehend durch eine von Gott geschickte Pest dezimiert (2Sam 24; 1Chr 21). Die »Gotteskriege« verstoßen ganz offensichtlich gegen die militärische Logik von Truppenstärke und Feuerkraft - Gott ist mit den schwächeren Regimentern! Wie sollte man sonst auch »Gotteskriege« von gewöhnlichen Kriegen unterscheiden können? Der Beistandspakt Gottes mit Israel, wie die Bibel sagt, dem »kleinsten unter allen Völkern« (Dtn 7,8), tritt aber keineswegs automatisch in Kraft. Eine der Geschichten, die den Titel: »Die Bibel hat doch recht« verdienen würde, straft jede Gott-mituns-Ideologie Lügen. Einmal, so erzählt das erste Buch Samuel, wurden die Israeliten von den Philistern geschlagen. Sie wollten die Niederlage nicht hinnehmen, holten die Bundeslade, die auch der Sitz Gottes war, und rückten mit großem Kampfgeschrei noch einmal aus. Sie wurden nicht nur ein zweites Mal geschlagen, sondern ihre Feinde nahmen ihnen auch noch ihr Gottmit-uns-Fetisch ab und führten es im Triumph heim (1Sam 4-6). Die Gotteskriege sind eben Kriege Gottes zur Rettung Verfolgter und nicht religiös legitimierte imperialistische Kriege von Verfolgern. Gewiß, das »Alte Testament« hat den Krieg nicht verworfen und die »Gotteskriege« sogar verherrlicht. Es enthält aber auch das Motto aller späteren Friedens- Daniel Krochmalnik Prof. Dr. Daniel Krochmalnik, Jahrgang 1956, promovierte 1989 und habilitierte sich 1998 mit einer Arbeit zum Thema »Sokratisches Judentum. Moses Mendelssohns Religionsphilosophie im Zeitalter der Aufklärung«. Seit 1990 Dozent an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Seit 1999 Professor für moderne Jüdische Philosphie und Geistesgeschichte und Jüdische Religionspädagogik an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und Privat- Dozent für Jüdische Philosophie an der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg, Philosophisch-Historische Fakultät. 1997-2001: 1. Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg und Deligierter beim Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden. Seit 2002 Mitherausgeber der Jubiläumsausgabe der Schriften Moses Mendelssohns. Zahlreiche Publikationen zu religionsphilosphischen und religionspädagogischen Themen. »Gewiß, das ›Alte Testament‹ hat den Krieg nicht verworfen und die ›Gotteskriege‹ sogar verherrlicht. Es enthält aber auch das Motto aller späteren Friedensbewegungen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 23 24 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema bewegungen. So weissagen die Propheten Jesaja und Micha: »sie werden stumpf machen ihre Schwerter zu Sicheln, und ihre Lanzen zu Winzermessern. Kein Volk wird gegen ein anderes Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr Krieg lernen (...)« (Jes 2,4; Mi 4, 3). Auch das »Alte Testament« sehnt sich nach dem Ende aller Kriege. Nur hat es dieses Ende nicht vorgezogen und den Krieg nicht verdrängt. Im 20. Jahrhundert hat die Welt den Krieg nach dem Schwerter-zu-Pflugscharen- Motto des Propheten zwar geächtet, aber in keinem Jahrhundert sind grausamere Kriege geführt worden. Es wäre insbesondere unfair, unsere schlechten Erfahrungen mit den »heiligen Kriegern« im 21. Jahrhundert, eins zu eins auf das Alte Testament zurück zu übertragen. l Anmerkungen 1 bSan 20b, MT Hil. Melachim, 5, 5. 2 Maimonides, Hilchot Melachim, 5, 6. 3 Maimonides, Buch der Gebote, Gebot Nr. 187. 4 Maimonides, Hilchot Melachim 6, 1. MAINZER HYMNOLOGISCHE STUDIEN Heike Wennemuth Vom lateinischen Hymnus zum deutschen Kirchenlied Zur Übersetzungs- und Rezeptionsgeschichte von Christe qui lux es et dies Mainzer Hymnologische Studien 7, 2003, 352 Seiten, 48,-/ SFr 79,30 ISBN 3-7720-2917-5 Mit der Transformation lateinischer Hymnen in die Gattung des deutschen Kirchenliedes sind vielfältige Veränderungen des literarisch-poetischen, mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtlichen sowie des theologischen und liturgischen Kontextes verbunden. Dieser im 14. Jahrhundert einsetzende Transformationsprozeß hält bis in die Gegenwart an. Gerade die Transformation eines Hymnus in eine neue Gattung, einen neuen Kontext und eine neue Sprache bietet vielfältige Ansatzpunkte, individuelle oder zeittypische Deutungen und Verständnisprobleme offenzulegen, gleichzeitig aber über die Zeiten hinweg Beständiges festzuhalten. Den Übergang der altkirchlichen zur muttersprachlichen Lieddichtung und deren Entwicklung sowohl auf katholischer als auch auf evangelischer Seite paradigmatisch nachzuvollziehen, eignet sich der benediktinische Komplet-Hymnus “Christe, qui lux es et dies” in besonderem Maße. A. Francke Verlag Tübingen und Basel 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 24 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 25 Renate Kirchhoff Ethik in der Bibel - Bibel in der Ethik: Über die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext Billigen wir die Ehescheidung und eine zweite Ehe theologisch, weil Jesus das auch getan hat? Müssen wir das Lebenspartnerschaftsgesetz kritisieren, weil Paulus Homosexualität abgelehnt hat? Solche Fragen nach der Bedeutung biblischer Texte für die ethische Urteilsfindung und -begründung wirft der Titel dieses Heftes auf. Denn da es im Neuen Testament keine Ethik im Sinne einer systematischen Durchdringung von Themen der Lebensführung gibt, spricht der Titel das Interesse der Leserinnen und Leser an der Verbindung zwischen biblischem Text und aktuellen ethischen Themen an. So weckt der Titel »Ethik im Neuen Testament« die Erwartung, das eine Auge auf die Texte werfen zu können und das andere Auge bereits auf die Situationen, in denen sie appliziert werden sollen. Das ist attraktiv, weil diese Art Zusammenschau nur einen Augenblick dauert. Allerdings ist diese Haltung nicht nur für die Augen ungesund, sondern sie ermöglicht es der Betrachterin und dem Betrachter nicht, Konturen genau wahrzunehmen. Dieser Blick lässt leicht verschwimmen, was vor Augen steht, so dass möglicherweise weder der Text noch die aktuelle ethische Frage, die eine Rückfrage nach den biblischen Texten anstößt, genau betrachtet wird. Es sind mehrere Blicke in die eine und in die andere Richtung nötig, um biblische Texte und aktuelle ethische Fragen aufeinander zu beziehen. Dass solche Beziehungen hergestellt werden müssen ist klar; denn sonst verlören die Texte an Bedeutung und ethische Argumentationen einen wesentlichen christlichen Bezugspunkt. Wenn nun eine schnelle Zusammenschau von Text und Situation nicht empfehlenswert ist, wie sind Beziehungen zwischen Text und aktueller Situation stattdessen herzustellen? Am bekanntesten ist es, den Text als das allgemein Gültige auf die Situation als das Konkrete anzuwenden. Eine andere Möglichkeit mit zusätzlichem Innovationspotential besteht darin, die Fragen aufzusuchen, auf die der Text reagiert, um sich von seinen Antworten anstoßen zu lassen zu einer theologischen Beschreibung und Bewertung der aktuellen Situation. Diese letztgenannte Möglichkeit agiert nicht auf einer (scheinbar) vorausgesetzten Autorität der Texte, sondern versteht den Text als ein Problemlösungsmodell. Ganz entsprechend verstehe ich Ethik im Folgenden nicht autoritär als Lehre vom Handeln, 1 sondern als Sichverständigen darüber, wie Männer und Frauen zum guten Leben für viele beitragen können. 2 1. Der Bibelbezug in ethischen Texten Wer christlich-ethisch argumentiert, bezieht sich entweder anknüpfend oder abgrenzend auf biblische Texte. Dabei impliziert jede Bezugnahme eine Vorstellung von der Bedeutung biblischer Texte, und sie arbeitet mit dem weitgehenden Konsens zwischen den Diskurspartnerinnen und -partnern darüber, dass eine Bezugnahme auf diese Texte erforderlich und weiterführend sei. 1.) Für anknüpfende Bezugnahmen auf biblische Texte ist es typisch, dass sie weder begründen, warum sie sich auf die Texte beziehen, noch deren Autorität beschreiben. Das wirkt, als verstünde es sich von selbst, dass und welche Autorität den biblischen Texten zukommt. 3 Wer sich positiv auf biblische Texte bezieht, geht in der Regel aufgrund eines bestimmten Wortes oder einer passenden Wendung in der klassischen, d.h. der lutherischen Bibelübersetzung davon aus, dass der betreffende Text das gleiche Thema behandelt, das ethisch zur Zum Thema Renate Kirchhoff Ethik in der Bibel - Bibel in der Ethik: Über die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext »Ganz entsprechend verstehe ich Ethik im Folgenden nicht autoritär als Lehre vom Handeln, sondern als Sichverständigen darüber, wie Männer und Frauen zum guten Leben für viele beitragen können« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 25 26 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema Diskussion steht. So sind z.B. die Stichworte Ehe / Scheidung / Trennung in Mk 10,1-12 der Anlass, um diesen Text zum Problemkreis Ehe, Liebe, Sexualität, Homosexualität heranzuziehen. Z.B. begründet Eilert Herms seine Akzeptanz der Ehescheidung mit einem Verweis auf diesen Text: Für Jesus sei das Rechtsinstitut der Ehe und damit auch die Ehescheidung »der Wille Gottes für die gefallene, unter der Herrschaft des bösen Triebs lebende Menschheit«. 4 Die Art der Bezugnahme lässt Leserinnen und Leser annehmen, die Texte oder die Position Jesu seien gegebene Autoritäten, so dass mit der Interpretation des Textes seine Anwendung gegeben und die angesprochene Frage eigentlich entschieden sei. Sich auf diese Weise Autorität zu leihen, ist keinesfalls grundsätzlich abzulehnen. Denn argumentieren heißt, Argumente zusammenzustellen, um eine Zielgruppe vom eigenen Ziel zu überzeugen. Wer das eigene Ziel mit einer Größe positiv verknüpfen kann, die in der Zielgruppe Wertschätzung genießt, hat ein starkes Argument. Die Frage ist jedoch, ob der Bibel die Autorität zukommt, die die Argumentation an dieser Stelle suggeriert und ob die Textinterpretation und die Textanwendung angemessen sind. Nun ist nicht anzunehmen, dass die mit lutherischer Terminologie umschriebene Position wirklich die Position »Jesu und seine(r) Zeitgenossen war«, 5 denn für sie hatte die Nichterfüllung des Willens Gottes keine ontologische Qualität. Hier setzt die exegetische Kritik an. Wichtiger als die exegetische Kritik ist jedoch in diesem Zusammenhang die Kritik an der Hermeneutik und der Praxis des Diskurses: Die Argumentation wirft zwar eine vorausgesetzte Autorität der Bibel in die Waagschale, faktisch aber ist der biblische Text auch in dieser Argumentation nicht der einzige und nicht einmal der ausschlaggebende Grund für das ethische Urteil. Vielmehr ist das Urteil bereits getroffen, und die Schrift wird dann als ein kompatibles Argument herangezogen. Herms entfaltet zuerst sein eigenes Verständnis von »Liebe in ihren Beziehungen zu Sexualität, Elternschaft und Ehe« und führt dann anhand seiner Interpretation von Mk 10,2-12par. aus, dass es »dem biblischchristlichen Menschenbild« entspräche. 6 Problematisch ist nicht, dass die explizite Bezugnahme auf den biblischen Text lediglich den Rang eines kompatiblen Arguments hat. Problematisch ist jedoch die Vorstellung, man müsse für die Begründung ethischer Positionen Texte finden, die die eigene Position stützen. Denn gibt es solche Texte nicht, führt die Vorstellung zur Manipulation der Texte im Interesse der Plausibilität der eigenen Argumentation. So wird eine ethische Argumentation ideologisch, 7 und ihre autoritäre Struktur verhindert Beteiligung am Diskurs. 2.) Abgrenzende Bezugnahmen auf biblische Texte, also die explizite Auseinandersetzung mit biblischen Texten, die dem eigenen ethischen Urteil zuwiderlaufen, sind seltener, und sie sind im Unterschied zu den zustimmenden Bezugnahmen von Begründungen begleitet. Als Begründungen für einen Widerspruch gegen biblische Texte dienen z.B.: a) der Hinweis auf die Unterschiede im Welt- und Menschenbild zwischen einerseits dem Text bzw. der Kommunikationssituation, in die er hineingehört und heutigen (europäischen und nordamerikanischen) Menschen andererseits. 8 b) Die Legitimität eines Widerspruchs gegen die Schrift wird auch begründet mit dem Hinweis auf solche Texte, über deren Ablehnung es einen weitgehenden Konsens gibt, denn dieser ist Indiz dafür, dass biblische Texte grundsätzlich keine gegebene Autorität darstellen und Abgrenzung theologisch legitim sein kann. 9 c) Die Abgrenzung von einem biblischen Text kann auch begründet werden mit dem Verweis auf ein übergeordnetes Auslegungsprinzip, einen Kanon im Kanon. So fungieren z.B. Luthers »was Christum treibet« (WA DB 6,385f.), die Rechtfertigungslehre, das Liebesgebot als zentrale Botschaft des Alten und des Neuen Testaments oder die Parteilichkeit Gottes für die Unterdrückten und Marginalisierten als Auslegungsprinzipien. Keines dieser Prinzipien kann aus sich heraus überzeugend sein, weil sie alle mit den Texten gegen Texte argumentieren und also auf Entscheidungen basieren, die dem »Problematisch ist jedoch die Vorstellung, man müsse für die Begründung ethischer Positionen Texte finden, die die eigene Position stützen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 26 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 27 Renate Kirchhoff Ethik in der Bibel - Bibel in der Ethik: Über die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext Textbezug vorausgehen. Trotzdem sind sie nicht grundsätzlich und auch nicht alle abzulehnen. Denn es gibt keine Alternative zu einem Auslegungsprinzip, an dem sich Textauswahl und Applikation in konkreten Kommunikationssituationen orientieren. Diese Prinzipien müssen jedoch wiederum sowohl exegetisch als auch ethisch-theologisch beurteilt werden. Z.B. ist Rechtfertigung als Kanon im Kanon aus exegetischer Sicht zu kritisieren, weil er Paulus lutherisch und also unhistorisch liest, 10 und weil die Rechtfertigung nicht einmal innerhalb der paulinischen Schriften ein zentraler Terminus ist. Weiterhin ist Rechtfertigung als Kanon im Kanon ethisch problematisch, weil die Rede von der Rechtfertigung des Sünders heute faktisch die Tendenz zur spiritualisierenden Lektüre biblischer Texte und der Gestaltung christlichen Lebens fördert. 11 Es ist - verkürzt gesagt - nicht heilvoll, sondern unrealistisch und unbarmherzig, implizit die Relevanz des menschlichen Handelns für die Gottesbeziehung und ein heilvolles Leben zu unterschlagen. Das hatte Luther selbst natürlich auch nicht im Sinn. Die Parteilichkeit Gottes für die Unterdrückten und Marginalisierten 12 hat eine breitere textliche Basis, die nicht nur Macht kritisiert, sondern auch Vorgaben für den rechten Gebrauch von Macht enthält. Sie wertet die religiöse Relevanz der Lebenspraxis auf und leitet insbesondere die sicher und wohl lebenden Menschen an, die Wirklichkeit mit den Augen der Anderen zu sehen. Das wiederum ist eine Voraussetzung dafür, etwas beizutragen zu einem guten Leben für viele Menschen und eine wesentliche Möglichkeit, Sinn zu erfahren. Argumentationen, die sich kritisch auf biblische Texte beziehen, sind transparenter gestaltet. Sie stehen unter größerem Legitimationsdruck als die anknüpfenden Bezugnahmen. Zustimmung gilt demnach als normal, Ablehnung als unnormal. Den abgrenzenden Bezugnahmen kommt das zugute, denn sie eröffnen alle Felder, auf denen im Kontext einer Diskussion um ethische Themen gestritten werden muss: a) über die Art der Autorität der Bibel, b) über die Interpretation der Texte, c) über die Weise ihrer Applikation und d) natürlich über das ethische Problem und die Faktoren, die bei einer Urteilsfindung und -begründung außerdem noch leitend sind. Ein gutes Beispiel für eine transparente und beteiligende Argumentation ist die Orientierungshilfe der EKD »Mit Spannungen leben«: 13 sie trägt unter dem Thema »Biblische Aussagen zur Homosexualität« dem Rechnung, dass mit dem Thema »Homosexualität« unterschiedliche Phänomene angesprochen und Texte unterschiedlicher Intentionen aufgerufen sind. Sie stellt auswertend fest, dass die biblischen Zeugnisse homosexuelle Praxis ablehnen, das Liebesgebot jedoch zu einem Verbot im Widerspruch stehe. Hier ist sichtbar, dass die Verantwortlichen ein Interesse daran haben, die aktuelle Tradition der Stigmatisierung homosexueller Paare nicht ungebrochen fortzuführen und deshalb mit der Schrift nach Möglichkeiten suchen, die dem eigenen Interesse zuwiderlaufenden Texte zu entkräften. Diese Transparenz des Begründungsganges verwirklicht den demokratisierenden Duktus des lutherischen sola scriptura, und zielt auf Beteiligung der Zielgruppe. 2. Die Autorität biblischer Texte Seit der Aufklärung hat die Bibel ihre Autorität im Sinne einer Gültigkeit des Literalsinns und einer vorausgesetzten Normativität der in die Renate Kirchhoff Dr. Renate Kirchhoff, Jahrgang 1960, studierte Evangelische Theologie in Göttingen, Tübingen und Heidelberg und war anschließend Wiss. Mitarbeiterin in Heidelberg. Promotion 1992 in Heidelberg. Nach Vikariat und mehrjährigem Pfarramt in Frankfurt / M. seit 1998 Wiss. Assistentin am Lehrstuhl für Biblische Theologie in Augsburg. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 27 28 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema jeweilige Gegenwart zu transferierenden Sätze prinzipiell verloren. Denn die Bibel wird als eine von Menschen mit bestimmten Zielen produzierte und nicht den Menschen gegebene Größe wahrgenommen, und ihre Aussagen werden mittels der eigenen deduktiv und induktiv verfahrenden und historisch strukturierten Vernunft und Urteilskraft beurteilt. 14 Auch exegetisch nicht geschulte Menschen nehmen ihre »Irrtümer« wahr, die Unterschiede zwischen dem antiken und dem eigenen Weltbild und die Kontextualität ihrer Aussagen. Auch die wissenschaftliche Exegese versteht die Texte als Kommunikation zur Zeit ihrer (jeweiligen) Endredaktion oder versucht sogar frühere Kommunikationssituationen von älteren Texten zu ermitteln. Es gehören zwar auch solche Methoden zum Standard, die nicht den Werdegang eines Textes nachzeichnen. Doch auch diese fragen nach der Situation der Textentstehung und -verwendung und / oder werden zumindest im deutschsprachigen Raum von Exegetinnen und Exegeten zusammen mit historisch-kritischen Methoden gebraucht. 15 Das heißt, dass in den verschiedenen Bereichen, in denen biblische Texte gelesen werden, sie immer auch als historische und damit fremde Texte gelesen werden. 16 Das sieht methodisch unterschiedlich aus, die Fremdheit hat auch je nach Situation, in der der Text gelesen wird, andere Ursachen, Gestalten, Funktionen und ein je anderes Gewicht. 17 Dass die Texte mindestens auch distanzierend gelesen werden, hat seinen Grund jedoch nicht in einem Konsens über die prinzipielle Normativität der biblischen Texte. Der prinzipielle Grund liegt darin, dass der Prozess der Bildung von individueller und kollektiver Identität ein kommunikativer Akt ist, zu dem die Rekonstruktion der eigenen Geschichte notwendig dazugehört. Wenn ein Dokument wie die Bibel nicht nur Teil der Geschichte ist, sondern Geschichte gemacht hat und also durch viele Hände und Lebensgeschichten gegangen ist, gewinnt es zusätzlich an Bedeutung. Wer nun Geschichte rekonstruiert, trifft notwendigerweise eine Auswahl. Diese Auswahl erfolgt teilweise bewusst (ich will etwas nicht als eigene Geschichte bewerten), teilweise unbewusst (ich verdränge) und teilweise erzwungenermaßen (ich erfahre Teile meiner Geschichte nicht). 18 Wer Geschichte rekonstruiert, bewertet notwendigerweise. Denn nicht alles, was ich von meiner eigenen Geschichte weiß oder von der Geschichte eines Kollektivs, zu dem ich gehöre, erfährt meine Zustimmung. Vielmehr gibt es bei einem mündigen Menschen neben dem anknüpfenden auch das ablehnende Verhalten, das Voraussetzung für das Herausbilden und das Erleben von individueller und kollektiver Identität ist und der Antrieb für Veränderungen. 19 Daraus folgt für das Verstehen von Texten, dass es idealerweise nicht grundsätzlich zur Zustimmung führt. Vielmehr schließt eine Applikation ein Urteil darüber ein, ob ich an diesen Text anknüpfen will oder nicht. 3. Die Objektivität und das Interesse Der Grundsatz, dass der Gebrauch der biblischen Texte die Möglichkeit eines ablehnenden Urteils einschließt, ist Teil des Programms derjenigen feministischen Hermeneutik, die Elisabeth Schüssler Fiorenza 1983 entfaltete Emil Nolde, Streitgespräch © Nolde-Stiftung Seebüll 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 28 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 29 Renate Kirchhoff Ethik in der Bibel - Bibel in der Ethik: Über die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext und der die feministische Hermeneutik auch in Deutschland nach wie vor prägt. 20 Das ablehnende Urteil über einen Text bzw. eine Textintention in einer bestimmten Kommunikationssituation impliziert nun aber gerade nicht eine Verzeichnung der Texte, sondern sie ist vielmehr Bedingung der Möglichkeit, biblische Texte in ethische Diskurse einzubringen und trotzdem das herauszuarbeiten, was fremd ist und / oder was abzulehnen ist. Denn durch die Umsetzung der Entscheidung, dass die Texte keine gegebene Autorität darstellen, entfällt die Notwendigkeit, Unerwünschtes zu eliminieren oder Gewünschtes in den Text einzutragen (oder dieses Geschäft der Applikation überhaupt anderen zu überlassen). In der feministischen Hermeneutik hat es heuristische Funktion, mit solchen Ergebnissen zu rechnen, die das sowieso Gedachte nicht nur nicht bestätigen, sondern auch ein Negativurteil nach sich ziehen. Denn die Rekonstruktion auch von dem Teil der Vergangenheit, der von Restriktion und Entmachtung von Frauen bestimmt ist, ist Teil der Geschichte von Frauen. Dass biblische Texte zur Legitimation von ebensolchen Interessen funktionalisiert werden konnten, zwingt zur Hermeneutik des Verdachts beim Lesen der Texte und zu einem Urteil bei der Applikation. Eine feministische Exegese zeichnet sich oft durch ein erkennbares Interesse an der Situation von Frauen als direkte oder indirekte Adressatinnen des Textes aus. Dieses Interesse bestimmt die exegetischen Fragestellungen, aber eben gerade nicht das Ergebnis der Exegese. 21 Jedes Verstehen von Texten ist zwar in dem Sinne kontextuell, dass es ist nicht nur durch die Themen bestimmt ist, die der Text vorgibt. Verstehen ist vielmehr auch geprägt durch den sozio-kulturellen Kontext, in dem die verstehende Person lebt und ihre Rollen wahrnimmt und damit durch die eigene sich durchaus wandelnde Weise, die Wirklichkeit zu interpretieren und zu bewerten. Deshalb gibt es auch kein neutrales Verstehen und keine zeitlos und kontextübergreifend gültige Interpretation. Objektiv kann eine Exegese trotzdem sein, und zwar in unserem Kontext genau dann, wenn sie mit wissenschaftlichen Methoden operiert. Das Urteil über das exegetische Ergebnis im Kontext von heutigen Kommunikationssituationen ist prinzipiell getrennt von der Exegese, und es gibt deshalb keinen Grund, Textaussagen zu konstruieren, damit sie das eigene Interesse bestätigen oder ihm widersprechen. 22 Denn ein Text ist nicht dadurch relevant, dass er etwas Bestimmtes sagt oder verschweigt, etwas intendiert oder nicht intendiert, sondern dadurch, dass er ethisch verantwortlich und der jeweiligen Kommunikationssituation entsprechend appliziert wird. Wird im Zuge der Exegese oder der Applikation deutlich, dass der Text in der Kommunikationssituation nicht so appliziert werden kann, dass mit ihm die gewünschte Wirkung zu erzielen ist, dann muss ein anderer Text gewählt werden. Das impliziert übrigens gerade nicht, unbequeme Texte von vornherein von Applikationsprozessen auszuschließen. Diese haben grundsätzlich ein größeres Innovationspotential als die scheinbar Bequemen. Aber eine Applikation ist nicht dann gut, wenn sie die exegetischen Ergebnisse angemessen referiert und Fremdheit herausarbeitet; das ist eine notwendige Vorarbeit der Applikation. Entscheidend für die Qualität einer Applikation ist, ob das Ziel, dass die applizierende Person verfolgt, ethisch akzeptabel und die Applikation der Kommunikationssituation angemessen ist. Die Bibel ist eine Autorität, die des mündigen Umgangs mit ihr bedarf, wenn sie eine Autorität bleiben soll. Also muss es erklärtes Ziel sein, diesen mündigen Umgang mit biblischen Texten zu praktizieren und zu lehren. Dazu müssen Bezugnahmen auf biblische Texte in ethischen Argumentationen in oben beschriebener Weise transparent und beteiligend sein; dazu muss es erklärtes Ziel auch universitären Unterrichts werden, Exegese mit der Applikation zu verbinden. Das würde bedeuten, Interessen offenzulegen, Exegese selbstkritisch frei von Interessen hinsichtlich der Ergebnisse zu betreiben und sie dann zu verbinden mit einer Applikation, die ein urteilendes Verhalten über Zielaussagen und Interessen des Textes ein- »Die Bibel ist eine Autorität, die des mündigen Umgangs mit ihr bedarf, wenn sie eine Autorität bleiben soll« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 29 30 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema schließt. Der Geruch der Unwissenschaftlichkeit, der im universitären Kontext leicht mit der Applikation verbunden wird, kann sich nur dort breit machen, wo nicht klar genug zwischen Exegese und Applikation unterschieden wird. 4. Exegese, Applikation und theologische Ethik Das methodische Arbeiten an neutestamentlichen Texten verfolgt das Ziel, sich dem Textverständnis anzunähern, das Leserinnen und Leser im 1. / 2.Jh.n.Chr. haben konnten. Die Exegetin und der Exeget agiert also als Anwältin bzw. Anwalt des Textes gegenüber den Assoziationen, Lesegewohnheiten und Interessen, die sich bei der interpretierenden Person bereits durch die im Text gebrauchten Wörter einstellen. Methoden können zwar nicht gegenüber Eigeninteressen und Gewohnheiten immunisieren, sie können jedoch bewirken, dass sich die Fremdheit des Textes von dem Eigenen zunehmend abhebt. Ist die Exegese aufgrund eines mündigen Umgangs mit der Autorität der Bibel frei von dem bewussten oder unbewussten Interesse, bestätigende Ergebnisse zu ermitteln, präsentiert sie die Fremdheit der Texte und wirkt dadurch grundsätzlich dogmen- und normenkritisch. Jede Immunisierung der dogmatischen und ethischen Theologie gegen diese wesentliche Wirkung exegetischer Arbeit funktionalisiert die Texte und tendiert dazu, autoritär zu argumentieren. 23 Es ist deshalb nicht nur eine Frage der Redlichkeit, bei der Verwendung biblischer Texte im Kontext ethischer Argumentation, sperrige Textaussagen oder -intentionen zu berücksichtigen, sondern dies ist Voraussetzung für einen die Zielgruppe beteiligenden Diskurs. Denn einen geschönten Text zu verwenden, bedeutet, in strategischem Interesse mit scheinbaren Autoritäten zu argumentieren. Aufgabe der Exegese ist es des Weiteren, Alternativen zu dem reinen Stichwortverfahren und der primär normativen Verwendung der Texte anzubieten. Werden Texte als Modelle 24 einer Antwort auf bestimmte Problemstellungen gelesen, setzt die Interpretation nicht nur die Tatsache um, dass es sich bei den Texten wie aktuellen ethischen Argumentationen um kontingente, einmalige Beiträge zu spezifischen Kommunikationssituationen handelt. Die Texte können außerdem dazu anleiten, die in Rede stehenden Probleme aus anderer Perspektive zu beschreiben und Textintentionen nachzuahmen bzw. sich von ihnen abzugrenzen. So regt z.B. 1Kor 7,1-16 die Frage an, welche Konsequenzen es für ethisch-theologische Rede über Partnerschaft und Sexualität hat, dass Paulus (u.a) von einer spirituellen Relevanz praktizierter Sexualität ausgeht. Oder - um ein anderes Thema zu wählen - im Kontext der Diskussion um die Konsequenzen aus dem Rückgang an charismatischen Machterweisen (ein Problem, auf das der Text reagiert) bzw. der Attraktivität von Kirche (heutiges Problem) kann die Erzählung von der Heilung des Geraseners zum einen dazu dienen, den Rückgang an missionarischem Erfolg und die damit verbundenen Ängste zu reflektieren. Zum anderen bietet er als Weg, mit diesen Ängsten umzugehen, eine Lebenspraxis an, die das Selbstverständnis durch Kommunikation in Wort und Tat entwickelt. Ein Text kann gerade aufgrund seiner Fremdheit in bestimmter Hinsicht die Klärung der eigenen Position in einer Frage veranlassen. So kann der exegetische Hinweis darauf, dass Jesus in Mk 10,2-12 weder Ehescheidung noch Wiederheirat verbietet, sondern genau genommen den Sexualverkehr eines Mannes mit einer zweiten Frau und umgekehrt, dazu dienen, die eigenen Kriterien für die Bewertung von Sexualkontakten und Lebensformen zu klären. Mit diesem Text, der voraussetzt, dass Gott eine Ordnung für Sexualkontakte mitgeschaffen hat, lässt sich übrigens auch normativ argumentieren und eine Anerkennung homosexueller Partnerschaften begründen. Es ist nicht die Aufgabe der Exegetinnen und Exegeten, diesen Brückenschlag immer selbst zu leisten; ihre Ergebnisse vervielfältigen jedoch die Möglichkeiten, in orientierenden Beschreibungen heutiger »Methoden können zwar nicht gegenüber Eigeninteressen und Gewohnheiten immunisieren, sie können jedoch bewirken, dass sich die Fremdheit des Textes von dem Eigenen zunehmend abhebt« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 30 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 31 Renate Kirchhoff Ethik in der Bibel - Bibel in der Ethik: Über die Verwendung biblischer Texte im ethischen Kontext Problemstellungen an die Texte anzuknüpfen. Insoweit Exegese vielfältigere Bezugnahmen auf die Texte ermöglicht und sich autoritätskritisch versteht, führt sie heute den demokratisierenden Duktus des reformatorischen Schriftprinzips fort. Die so verstandene und praktizierte Exegese hat eine Affinität zu autoritäts- und damit auch selbstkritischen Auslegungsprinzipien. Das bedeutet nun nicht, dass alle christliche Welt wissenschaftliche Exegese lernen müsste, sondern dass jede Bezugnahme auf biblische Texte in ethischen Kontexten ihrer Fremdheit Rechnung tragen muss, damit die Bezugnahme bleibt, was sie ist: nicht Anleihe an einer gegebenen Autorität, sondern Auseinandersetzung mit einer zugeschriebenen Autorität. Solche Exegese hat eine gewisse Affinität zu kritischen Auslegungsprinzipien wie der o.g. Parteilichkeit Gottes. Denn soll der prinzipiell autoritäts- und selbstkritische Zug der Exegese in der Applikation fortgesetzt werden, dann erfolgt die Applikation im Blick auf und in Kommunikation mit den von der ethischen Entscheidung direkt oder indirekt betroffenen numerischen und sozialen Minderheiten. Die Frage ist dann, ob das ethische Ziel, in dessen Interesse auch die Applikation biblischer Texte steht, Impulse für ein gutes Leben für viele beiträgt. 25 Ethik verstanden als Nachdenken und Sichverständigen darüber, wie Männer und Frauen durch ihr Tun und ihr Lassen zum guten Leben beitragen können, erfordert in diesem Sinne einen transparenten, historisch redlichen und mündigen Umgang mit biblischen Texten. l Anmerkungen 1 Ethik in diesem Sinne als Lehre verstanden z.B. bei Eilert Herms, Art. Ethik V: Als theologische Disziplin, RGG 4 II, 1611-1624. 2 So in Anlehnung an Ina Praetorius, Skizzen zur feministischen Ethik, Mainz 1995. Eine kurze Erklärung der Definition von Ethik s. Ina Praetorius, Frauenforschung in der Ethik, in: Schlangenbrut 34 (1991), 6-12. 3 Klassische Vertreter einer Hermeneutik des Einverständnisses sind neutestamentlich Peter Stuhlmacher, Vom Verstehen des Neuen Testaments: Eine Hermeneutik, NTDE.6, Göttingen 1979; philosophisch Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 4 1975. 4 Eilert Herms, Liebe, Sexualität, Ehe, in: ZThK 96 (1999), 94-135, hier 124.128. 5 A.a.O., 124. 6 A.a.O., 122ff. 7 Ideologisch nenne ich eine Argumentation, die das eigene Interesse verschleiert, um bestehende Machtverhältnisse zu eigenen Gunsten zu stabilisieren. Zur Definition s. M. Barrett, The Politics of Truth. From Marx to Foucault, Stanfort 1997, 167. 8 Rat der EKD (Hg.), Mit Spannung leben. Eine Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema »Homosexualität und Kirche« 1996, Abschnitt 2. 9 Eine Zusammenstellung dieser Begründungen s. bei Markus Öhler, Homosexualität und neutestamentliche Ethik, in: Protokoll zur Bibel 6 (1997), 133-147 hier 143-147). 10 Zur »New Perspective« und ihren internen Unterschieden s. Christian Strecker, Paulus aus einer »neuen« Perspektive: Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung, in: Kirche und Israel 11 (1996), 3-18. 11 Als Beispiel verweise ich auf die knappe Darstellung der vermeintlich paulinischen Rechtfertigungslehre von Harald Schweizer mit dem Titel »Aber wie erzeugt man den Glauben«, in: Publik-Forum 20 (2002), 36f. 12 Die Rede »Unterdrückten und Marginalisierten« ist eine Abstraktion sowohl von den biblischen Einzeltexten und den Situationen, in denen sie wirkten. Jede Konkretion heute ist ebenfalls kontextuell bedingt und abhängig von dem Ausschnitt der Wirklichkeit, die die Betrachterin bzw. der Betrachter wahrnimmt und der folgenden Interpretation von Wirklichkeit. Zu den Befreiungstheologien und ihren Bibelbezügen s. Doris Strahm, Art. Befreiungstheologien, Wörterbuch der Feministischen Theologie, 56-60. 13 Ich beziehe mich auf Teil 2 der Orientierungshilfe. 14 Falk Wagner, Auch der Teufel zitiert die Bibel, in: Richard Ziegert (Hg.), Die Zukunft des Schriftprinzips, Bibel im Gespräch 2, Stuttgart 1994, 236-258, hier 238f. 15 Literaturwissenschaftliche Exegese, die mit autor-, text- oder rezeptionsorientierten Aspekten verbunden ist, stellt immer auch genuin historische Fragen. Auch die strukturalistische Exegese berücksichtigt den Kontext der Textentstehung und -verwendung. 16 Leider verzichten auch wissenschaftliche Argumentationen darauf, der historischen Lesart Rechnung zu tragen und messen z.B. geschichtlich-kontingenten Sachverhalten normatives Gewicht bei. So z.B. Wagner, a.a.O., 249, der die historische Tatsache, dass ein zeitlicher Abstand zwischen Jesu Tod und den neutestamentlichen Christologien besteht, zur Legitimation eines Vorrangs der Dogmatik vor der Exegese nutzt. 17 Auch wenn die Texte identifikatorisch gelesen werden, werden sie als historische Texte vergleichzeitigt; niemand vergisst, dass sie eigene und fremde Geschichte sind. 18 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1992, 70-73.125-129.; Aleida und Jan Assmann, Nach- »Insoweit Exegese vielfältigere Bezugnahmen auf die Texte ermöglicht und sich autoritätskritisch versteht, führt sie heute den demokratisierenden Duktus des reformatorischen Schriftprinzips fort« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 31 32 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema wort: Schrift und Gedächtnis, in: dies. (Hg.), Schrift und Gedächtnis, München 1983, 265-284, hier 277-279. Feministische Thematisierung s. Britta Jüngst, Art. »Erinnerung«, Wörterbuch der feministischen Theologie, 105-110. 19 Klassisch s. Jürgen Habermas, Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik (1970), in: ders., Kultur und Kritik, Frankfurt 1973, 264-301. 20 In Memory of Her: A Feminist Theological Reconstruction of Christian Origins, New York 1983; deutsch München 1988. In seinem hermeneutischen Entwurf betont auch Klaus Berger, Hermeneutik des Neuen Testaments, Tübingen 1999, dass Exegese das Handwerkszeug des Anwalts und der Anwältin der Texte ist, und dass Applikation sich nicht wie ein »Naturereignis« daraus ergibt, sondern ein eigenes verantwortliches Tun ist (138.140). 21 Zur klassischen Kritik am naiven Objektivismus s. philosophisch z.B. Gadamer, Kleine Schriften I, Tübingen 1967, 101ff; befreiungstheologisch s. Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, 29-33. 22 Es ist kein Geheimnis, dass Textaussagen trotzdem retouchiert werden. Doch das ist kein Privileg feministischer Exegesen. In der akademischen Theologie sind nur konservativ-erbauliche Textinterpretationen akzeptierter als politische. Die interessegebundene Verzeichnung von Texten ist nicht an eine bestimmte Wahrnehmung und Interpretation von Wirklichkeit gebunden, nicht einmal daran, dass der eigene politische oder theologische Standpunkt bewusst ist. Diese Einsicht hat Gerd Theißen entfaltet in: Methodenkonkurrenz und hermeneutischer Konflikt, in: J. Mehlhausen (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 127-140, hier 132. Christoph D. Müller, »Gleichursprünglichkeit«, in: G. Lämmermann (u.a.) (Hg.), Bibeldidaktik in der Postmoderne, 50-62 analysiert aus didaktischer Analyse Kritik an exegetischen Arbeiten, die ihr Interesse in den Text zurückverlegen. 23 Z.B. Falk Wagner, s.o. Anm. 10. 24 Zur Interpretation von Texten als Modelle s. z.B. Elisabeth Schüssler Fiorenza, Brot statt Steine, Freiburg 1988, 76-79 und Klaus Berger, Hermeneutik des Neuen Testaments, Tübingen 1999, 156f. Berger ist sich dieser Vor- und Parallelgeschichte seiner Rede vom Modellcharakter der Schrift nicht bewusst. 25 Zur Praxis einer »reflexiven Solidarität« s. Christine Firer Hinze, Identität in der feministisch-theologischen Diskussion, in: Concilium 36 (2000), 231-248, hier 234- 237. TANZ - Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter A. Francke Verlag Tübingen und Basel Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte TANZ 38, 2002, 220 Seiten, 44,-/ SFr 72,80 ISBN 3-7720-2830-6 In seiner Arbeit untersucht Kim das Wesen der Kollekte, die die paulinischen Heidenchristen in Galatien, Kleinasien, Makedonien und Achaja für die armen Judenchristen in Jerusalem durchgeführt haben. War diese eine Art kirchliche Steuer, ein Ausdruck christlicher Liebe, eine eschatologische Demonstration oder ein Almosen? Zur Beantwortung dieser Fragen unternimmt Kim sowohl eine exegetische Untersuchung von 2 Kor 8f. als auch eine historische Untersuchung der Kollektenvereinbarung auf dem sog. Apostelkonzil in Gal 2,1- 10. Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheologie TANZ 37, 2001, 350 Seiten, 64,-/ SFr 105,80 ISBN 3-7720-2829-2 Kraft und Schwachheit sind für den Apostel Paulus Grundbedingungen seines missionarischen Wirkens. Die Legitimationskrise seines Apostolats zwingt ihn allerdings, die beiden Dimensionen direkt aufeinander zu beziehen: “Die Kraft wird in Schwachheit vollendet” (2 Kor 12,9). Die Studie bietet erstmals eine religionsgeschichtliche Fundierung der Begriffskombination in Profangräzität, Judentum und frühem Christentum. In Auseinandersetzung mit der Kreuzestheologie Luthers leistet sie ferner einen Beitrag zu einer entkonfessionalisierten Exegese. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 32 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 33 Die folgende Kontroverse »Die Bergpredigt - politisches Programm oder lebensferne Utopie? « hat mit früheren Kontroversen gemeinsam, dass sie sensibilisiert für Fragestellungen, die den Blick für die Intention des neutestamentlichen Textes eher verstellen als erhellen. So entspringt die mit der Überschrift gestellte Frage nach der Erfüllbarkeit der Gebote der Bergpredigt modernem Denken und der modernen Auffassung vom Menschen als autonomem Subjekt. Das machen beide Autoren, der Göttinger Neutestamentler Reinhard Feldmeier und sein Berner Fachkollege Ulrich Luz, deutlich. Es erstaunt nicht, dass angesichts dieser Erkenntnis eine »Kontroverse« im Sinne einer medienträchtigen Auseinandersetzung nicht eigentlich zu Stande kommt. Der Reiz der trotzdem so zu nennenden Kontroverse liegt statt dessen in der unterschiedlichen Nuancierung der Frage, welcher theologische Kontext für das Verständnis der Bergpredigt namhaft zu machen ist. Soweit sei verraten, dass es weder die Anthropologie (»was vermag der Mensch zu leisten? «) noch die Ethik (»was hat der Mensch zu tun? «) ist. In bezeichnenden Details unterscheiden sich beide Sichtweisen und ergänzen bzw. korrigieren sich so einander. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht vorweg nehmen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen genug Appetit auf eine spannende Lektüre machen! Kurt Erlemann Kontroverse Die Bergpredigt - politisches Programm oder lebensferne Utopie? Eine Einführung zur Kontroverse Reinhard Feldmeier vs. Ulrich Luz L E S E R B R I E F Zu L.L.Welborn, Vom Unterrichten der Bibel im ›Ausnahmezustand‹, ZNT 10 (2002) 2-12 Als ein für theologische Ausbildung Verantwortlicher kann ich mich für Heft 10 der ZNT nur lobend bedanken. Äußerst nachdenklich stimmen die Ergebnisse von Wischmeyers Untersuchung zum Selbstverständnis der neutestamentlichen Wissenschaft. Wenn es wirklich stimmt, dass sich das Fach ›Neues Testament‹ als Universitätsdisziplin »nur selten als gegenwartsbezogene Wissenschaft« präsentiert (19), die ihre »Ergebnisse ... kaum nach außen hin mitteilt« und von daher zur ›provinziellen Fachgelehrsamkeit‹ (22) geworden ist, dann kann das Anliegen der ZNT, dem »etwas entgegenzusetzen« (ebd.) nur ausdrücklich begrüßt werden. Welborns Beitrag ist ein eindrückliches Beispiel für die anregende Wirkung eines Blickes über den eigenen kulturellen Tellerrand. Auch wer seinen Ausführungen nicht in allen Einzelheiten folgen kann, wird zugeben müssen, dass hier ein ganz wesentliches Moment hinsichtlich der künftigen Relevanz von Theologie gesehen worden ist: Historische Exegese darf sich nicht selbst genug sein, sondern muss gegenwartsbezogen reden auf die Gesamtgesellschaft hin (3f.), sie muss elementare christliche Dimensionen in anderen religiösen Kontexten dialogisch erklären (4) und innerhalb der Spannung von historischer Differenz und gegenwärtigem Kontext hermeneutisch zur Geltung bringen können (8f.). Gegenwartsbezug und Elementarisierung ohne unerlaubte Gleichzeitigkeit, genau auf diesem Weg müssen wir weitergehen, soll nicht einer ›gegenwartslosen Theologie‹ in Kürze eine ›theologielose Gegenwart‹ entsprechen, sowohl das öffentliche Konzert der Wissenschaften als auch die theologische Kompetenz der Gemeinden betreffend. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht mit ZNT. Auf Heft 11 jedenfalls freue ich mich schon. Dr. Volker A. Lehnert, Dezernent für theologische Ausbildung in der EKiR 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 33 34 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 1. Vorab: Die Thesen Die uns von den Herausgebern der ZNT vorgegebene Fragstellung lautete: Ist die Bergpredigt politisches Programm oder lebensferne Utopie? Auf den ersten Blick scheint dies auch die zentrale Frage im Blick auf das Verständnis der großen Rede zu sein. Kann denn der Mensch überhaupt so handeln? Kann er ganz auf Begierde und Vergeltung verzichten, kann er sich ohne Gegenwehr schlagen lassen, kann er selbst die Feinde lieben und ohne Vorsorge leben? Widerspricht dies nicht allem, was die Natur des auf Selbsterhaltung angelegten Lebewesens Mensch ausmacht? Videtur quod: Lebensferne Utopie. Sed contra: Müssen nicht im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen gerade solche nur auf Selbsterhaltung ausgerichteten Verhaltensweisen verändert werden, wenn die Menschheit überleben will? Und findet sich eine Anleitung dazu nicht gerade in der Bergpredigt? Also doch: Politisches Programm? Erfüllbar oder nicht erfüllbar - das scheint in der Tat bei der Auslegung des so umstrittenen Textes die Frage schlechthin zu sein: Tertium non datur. Die Unausweichlichkeit dieser Alternative soll hier bestritten werden. Denn diese Frage nach der Erfüllbarkeit bzw. Unerfüllbarkeit, welche heute so selbstverständlich die Auseinandersetzung mit der Bergpredigt bestimmt, stellt - das ist die erste These meines Beitrages - eine moralisierende Engführung dar, welche den Zugang zu dieser großen Rede mehr verstellt denn erschließt. Vielmehr geht es, das ist die zweite hier vertretene These, in der Bergpredigt darum, durch die Orientierung an Gottes Wesen (5,45.48) diese Welt als Gottes Welt erfahrbar zu machen und die Gegenwart so gleichnisfähig zu machen für die kommende Gottesherrschaft. Das ist die schon aufgrund des Kontextes und dann auch im Text selbst immer wieder zur Geltung zu bringende Voraussetzung aller Handlungsanweisungen. Das bedarf der Erläuterung. 2. Die Veränderung der Perspektive Es wurde in der Exegese immer wieder beobachtet, dass das Matthäusevangelium, dessen Christus mit der Bergpredigt gleichsam seine Antrittsvorlesung hält, auf die Frage der Erfüllbarkeit in keiner Weise eingeht. Man hat die Selbstverständlichkeit, mit der das Evangelium das Handeln nach seinen Forderungen voraussetzt, verschieden zu erklären versucht: Traditionsgeschichtlich etwa mit dem angeblich optimistischeren s c hrift g e l e hrt-jü di s c h e n Menschenbild, das Matthäus teile, oder religionssoziologisch als Ausdruck einer perfektionistischen Sektentheologie. 1 Ohne bestreiten zu wollen, dass solche Erklärungen einige particula veri enthalten können, so bleibt doch ihr Mangel, dass sie meinen erklären zu müssen, warum der Evangelist diese Frage nicht stellt, obgleich - das wird vorausgesetzt - sie hätte gestellt werden müssen. Das aber ist fraglich. Nicht nur für Matthäus, auch für die gesamte Alte Kirche hat unsere Frage der Erfüllbarkeit »faktisch nicht existiert«. 2 Und dies nicht etwa, weil man deren Forderungen nicht erst genommen hätte; trotz der klaren Einsicht in die Schwere des hier Reinhard Feldmeier Die Alternative des Allmächtigen - Gottes Herrschaft und menschliches Handeln in der Bergpredigt »Vielmehr geht es, (...) , in der Bergpredigt darum, durch die Orientierung an Gottes Wesen (5,45.48) diese Welt als Gottes Welt erfahrbar zu machen und die Gegenwart so gleichnisfähig zu machen für die kommende Gottesherrschaft« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 34 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 35 Reinhard Feldmeier Die Alternative des Allmächtigen - Gottes Herrschaft und menschliches Handeln in der Bergpredigt Gebotenen sah man in den Weisungen der Bergpredigt nicht in erster Linie ein auferlegtes Joch, das Übermenschliches abverlange, sondern - wer Ohren hat, zu hören, der höre! - eine Gabe! 3 Die Selbstverständlichkeit, mit der noch Martin Luther in seiner Obrigkeitsschrift alle Versuche, die Erfüllung der Weisungen Jesu durch die Unterscheidung von praecepta und consilia zu umgehen, ablehnt, 4 mag als weiterer Hinweis dafür gelten, dass die Problematisierung der Erfüllbarkeit so selbstverständlich nicht ist, wie sie uns erscheint. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Frage in der heute üblichen Form neuzeitlich ist und aus der einseitigen Konzentration auf das (mehr oder weniger autonom gedachte) Subjekt resultiert, das sich durch die Bergpredigt mit einer heteronomen Zumutung konfrontiert sieht, einer Zumutung, die schnell als gegen die ureigensten Interessen gerichtet und daher als Überforderung erscheint. So verschwindet der Kontext der Heilsansage; aus dem Evangelium wird Ethik. Damit ist die Frage nach der Erfüllbarkeit der Bergpredigt nicht erledigt. Aber die Einsicht in die Fragwürdigkeit unserer Fragestellungen warnt davor, die große Rede auf das Prokrustesbett unserer neuzeitlichen Subjektorientierung zu spannen. Das mag den Blick frei machen für den Versuch, diese Rede einmal nicht in erster Linie aus dem Blickwinkel des mit ihr konfrontierten Menschen und seiner Möglichkeiten zu sehen, sondern aus dem Gesamtzusammenhang des Evangeliums, und das heißt, aus dem Zusammenhang der von Jesus in machtvollen Taten vergegenwärtigten Herrschaft Gottes. 5 Zugespitzt: Aus der Perspektive der göttlichen Macht, der ›Allmacht‹. 3. Allmacht und Bergpredigt Ein solcher Blickwinkel mag befremden. Nicht nur, weil es in der Bergpredigt ja um das Tun des Menschen geht. Dazu später. Befremden mag ein solcher Zugang aber auch, weil er dem Wesen der Bergpredigt zu widersprechen scheint. Während diese im Namen der Liebe gerade den Verzicht auf Selbstsicherung, Selbstbehauptung und Vergeltung fordert und damit Machtausübung jeder Art ablehnt, steht die Rede von der göttlichen ›Allmacht‹ im Verdacht, religiöse Überhöhung von Übermacht und Gewalt auf Kosten der Liebe zu sein. Beispielhaft für diese Kritik ist ein Interview von Dorothee Sölle in einem jüngst erschienenen Buch für den Religionsunterricht. Die Allmacht Gottes sei, so die streitbare Theologin dort, »für eine Projektion ihrer Erfinder zu halten, sie waren alle Männer. Allmacht muss man nur ins Lateinische übersetzen, als ›Omnipotenz‹, dann hört man schon, wer sie erfunden haben muss und dass die Liebe und Allgüte Gottes ganz dahinter verschwindet«. 6 »... die Einsicht in die Fragwürdigkeit unserer Fragestellungen warnt davor, die große Rede auf das Prokrustesbett unserer neuzeitlichen Subjektorientierung zu spannen« Reinhard Feldmeier Prof. Dr. Reinhard Feldmeier, Jahrgang 1952, studierte Ev. Theologie in Neuendettelsau, München und Tübingen. Promotion 1986 in Tübingen und Habilitation 1991 ebenfalls in Tübingen. 1992-1995 Professor für Biblische Theologie an der Universität Koblenz und von 1995-2002 an der Universität Bayreuth. Seit Frühjahr 2002 ist Herr Feldmeier Professor für Neues Testament in Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Theologie des Neuen Testaments, Inkulturation des Frühchristentums in die hellenistische Welt, Katholische Briefe und Aposteltraditionen, Religionsgeschichte der späteren Antike (v.a. Plutarch). Diverse Veröffentlichungen (www.gwdg.de/ ~utvt/ ger/ reinhardfeldmeier.htm). 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 35 36 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse Nun handelt es sich bei dieser pauschalen Kritik am Allmachtsgedanken um ein Klischee, das durch Wiederholung nicht an Wahrheit gewinnt. ›Allmacht‹ muss nicht ins Lateinische zurückübersetzt werden, sondern stammt aus dem Griechischen, und da ist der Begriff Pantokrator nicht Ausdruck männlicher Potenzversessenheit, sondern wurde von den Frommen des Frühjudentums gebildet oder zumindest geprägt. 7 Seinen Sitz im Leben hat dieses Prädikat dort vor allem in der Gebetssprache; angesichts eigener Ohnmacht und Bedrängtheit, gegen die ungerechten und unbarmherzigen Mächte dieser Welt wird die überlegene Macht des gerechten und barmherzigen Gottes bekannt und angerufen. 8 Das bleibt auch im NT so: Mit den Worten »Abba, Vater, alles ist dir möglich« eröffnet der Gottessohn in seiner tiefsten Anfechtung in Gethsemani (Mk 14,36) die Bitte darum, dass Gott den ihn und sein Werk vernichtenden Mächten Einhalt gebiete. Auf den insgesamt neunmal als Pantokrator angerufenen Gott richtet sich in der Johannesapokalypse die Hoffnung der Bedrängten auf Erlösung. Wo ›der Mächtige Großes tut‹, wo er ›Gewalt übt mit seinem Arm‹ und ›die Mächtigen von Thron stürzt‹ (so das Magnifikat Marias in Lk 1,49ff.), ist dies im Judentum wie im Christentum Grund zur Freude und zum Lobpreis. Pointiert gesagt: Es sind die Ohnmächtigen, die Gewalt leiden, die zum Allmächtigen rufen, und es sind die Frevler, die Gewalt üben, die in ihrem Herzen sprechen: Es ist kein Gott. Von daher wäre noch einmal neu zu bedenken, warum gerade der machtfixierte 9 Mensch der Neuzeit so ein bemerkenswertes Interesse an Gottes Ohnmacht hat. Das kann jetzt hier nicht weiter verfolgt werden. 10 In jedem Fall legt eine unvoreingenommene Prüfung der biblischen Zeugnisse es nahe, die Frage der göttlichen (All-)Macht jenseits von Klischees und pauschalen Verdächtigungen zu bedenken. Mit diesen Überlegungen haben wir uns nur scheinbar von der Bergpredigt entfernt. Denn der Bergprediger setzt wie im ganzen Evangelium so auch in der Bergpredigt Gottes Macht voraus, wobei dieser Aspekt redaktionell verstärkt wird. 11 Der Gott, dessen Thron der Himmel und dessen Fußschemel die Erde ist (Mt 5,34f.), lässt seine Sonne aufgehen und Regen fallen (Mt 5,45); er versorgt und erhält seine Schöpfung bis hin zu den Lilien auf dem Feld und den Vögeln unter dem Himmel (Mt 6,26ff.). Ganze zehnmal wird Gott in der Bergpredigt als der ›himmlische Vater‹ bzw. als der ›Vater in den Himmeln‹ prädiziert - auch dies eine weitgehend redaktionelle Hervorhebung der göttlichen Überlegenheit. Zu diesem Himmelsherrn darf und soll man um das tägliche Brot bitten (Mt 6,11) und überhaupt um alles, wessen man bedarf (Mt 6,8; 7,7ff.), und dieses Vertrauen schließt dann auch die Durchsetzung seiner Macht in der gefallenen Welt ein: Dein Reich komme (Mt 6,10). An dieser umfassenden Macht partizipiert dann auch der Auferstandene, wenn er seinen Jüngern kund tut: »Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden« (Mt 28,18). Die sich »Es sind die Ohnmächtigen, die Gewalt leiden, die zum Allmächtigen rufen, und es sind die Frevler, die Gewalt üben, die in ihrem Herzen sprechen: Es ist kein Gott. Von daher wäre noch einmal neu zu bedenken, warum gerade der machtfixierte Mensch der Neuzeit so ein bemerkenswertes Interesse an Gottes Ohnmacht hat« Azaria Mbatha, Die Bergpredigt 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 36 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 37 Reinhard Feldmeier Die Alternative des Allmächtigen - Gottes Herrschaft und menschliches Handeln in der Bergpredigt daran anschließende Aufforderung zur Weltmission bezieht sich mit der Wendung »lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe« wieder auf Jesu Reden und hier - auf dem Berg! - wohl als erstes auf Jesu grundsätzliche Darstellung des Gotteswillens in der Bergpredigt zurück. Damit nicht genug: Auch den Glaubenden wird eine Teilhabe an der göttlichen Macht in Aussicht gestellt. In den Seligpreisungen, welche die Bergpredigt einleiten, wird den Armen im Geiste sowie den um der Gerechtigkeit willen Verfolgten das Himmelreich und den Sanftmütigen die Erde 12 verheißen (Mt 5,3.5.10), also die Partizipation an der göttlichen Macht über Himmel und Erde (vgl. auch Mt 19,28). Nun ist diese Zuweisung der Macht an den himmlischen Vater, den auferstandenen Gekreuzigten und die Sanftmütigen ja nicht ohne weiteres mit unserer Erfahrung der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, welche lehrt, dass hier doch ganz andere Mächte den Ton angeben. Bei der Frage, wie sich denn diese göttliche Allmacht zu den Mächten dieser Welt verhält, wird deshalb gerne der eschatologische Vorbehalt geltend gemacht: Gottes Wille wird sich auf Erden erst noch so durchsetzen, so wie das jetzt schon im Himmel der Fall ist (Mt 6,10). Gewiss: Es ist sicher richtig, dass die biblische Vorstellung von der Allmacht proleptischen Charakter hat. Der bloße Verweis auf die Zukunft ist jedoch unzureichend, schon deshalb, weil die Aussage des Auferstandenen, dass ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, diese Macht eben nicht nur als eine rein zukünftige versteht, ganz zu schweigen von der Macht des himmlischen Vaters als Schöpfer und Erhalter, die der Bergprediger überall am Werk sieht. Der Zuspruch des Evangeliums beruht ja darauf, dass trotz des Bösen in der Welt Gott die Welt in Händen hält. Seine Herrschaft ist gegenwärtig im schöpferischen Wirken des Erhalters, und sie bricht an im befreienden Wirken des Erlösers. Dies aber nötigt dazu, im Machtbegriff selbst zu differenzieren, da ein mit dem Evangelium konformer Begriff der (All)Macht - darin ist den Kritikern wie D. Sölle recht zu geben - nicht die in der Welt dominierende Gewalt religiös überhöhen kann. Die Herrschaft Gottes muss etwas qualitativ anderes sein als die Machtausübung eines Herodes, Pilatus oder Tiberius. 4. Differenzierungen im Machtbegriff Eine solche Differenzierung im Machtbegriff liegt in der Tat dem Evangelium zugrunde und wird dort - vorwiegend narrativ - expliziert: Die Macht über Himmel und Erde, die dem auferstandenen Gekreuzigten am Ende des Evangeliums von Gott »gegeben« ist (Mt 28,18), ist die Antithese zu jener Herrschaft über die »Königreiche des Kosmos«, welche am Anfang des Evangeliums dem Gottessohn vom Teufel angeboten wurde (4,8f. - ebenfalls auf dem Berg). Auf den Begriff gebracht wird der Gegensatz in der Auseinandersetzung Jesu mit den Machtphantasien seiner Jünger: ›Groß‹ sein und ›Erster‹ sein kommt im Machtbereich des Menschensohnes nur dem zu, der in dessen Nachfolge auch an dessen Dienst teilhat, an der Aufopferung für andere, die der sonst üblichen Gestalt der Macht in Form von Machtmissbrauch und Unterdrückung dezidiert entgegengesetzt wird (Mt 20,25-28). Das ›sanftmütige Königtum‹ Jesu (Mt 21,5) ist die Alternative zu einer Gewaltherrschaft, die bereits bei Jesu Geburt in Gestalt des Kindermörders Herodes ihr ›teuflisches‹ Gesicht gezeigt hatte (Mt 2,16-18) und die sein weiteres Leben bis hin zu seiner Hinrichtung durch die Machthaber überschattete, eine Gewaltherrschaft, welcher der Gottessohn bewusst nicht mit Gegengewalt begegnet (Mt 26,53). Diese Differenzierung im Blick auf den Machtgedanken spiegelt sich auch in der Bergpredigt. Der scheinbar selbstverständlichen menschlichen Selbstbehauptung auf Kosten der anderen, wie es etwa die Vordersätze der Antithesen zeigen, wird das Wirken des Gottes entgegengestellt, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte (5,45). So gründet die zentrale Forderung der Feindesliebe in der »Die Herrschaft Gottes muss etwas qualitativ anderes sein als die Machtausübung eines Herodes, Pilatus oder Tiberius« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 37 38 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse Entsprechung zur göttlichen Güte, die trotz alles Bösen in dieser Welt diese als einen Raum des Lebens erhält. 13 Nur von dieser Voraussetzung her sind die antithetischen Forderungen Jesu verständlich. Der menschlichen Selbstbezogenheit, die in Gestalt von Geltungsdrang (6,1ff.) und Habsucht (6,19ff.) Gott und die Welt als Mittel der Selbstpotenzierung missbraucht, steht die schöpferische Lebensmacht gegenüber, die selbst die Lilien auf dem Feld und die Vögel unter dem Himmel mit Kleidung und Nahrung versorgt, eine Lebensmacht, die dann noch einmal gesteigert denen zugute kommt, denen Gott nicht nur Schöpfer und Erhalter, sondern himmlischer Vater ist (6,25ff.; 7,7ff.). Dem entspricht es auch, dass die Bergpredigt ganz ungewöhnlich häufig von Gott als ›deinem / eurem‹ Vater spricht (15 Mal, hinzu kommt noch die Vateranrede im zentralen Herrengebet). Dies ist eine vom Evangelisten bewusst eingesetzte redaktionelle Klammer, welche die unterschiedlichen Texte durch den Bezug zu dem gnädig zugewandten Gott miteinander verbindet. Nota bene: Die Bergpredigt spricht nicht von Gottes Ohnmacht. Im Gegenteil: Sie setzt durchweg Gottes (All-) Macht voraus, freilich als eine Macht, die als elterliche 14 Macht wesentlich anders ist als die Verfügungsgewalt des Herrn über den Sklaven, des Besitzers über seinen Besitz. Als Güte und Vorsorge des himmlischen Vaters 15 unterdrückt sie nicht, beutet sie nicht aus, sondern kommt im Gegenteil dem Gegenüber zugute, der Schöpfung als ganzer und seinen Kindern im besonderen (Mt 6,26-32; 7,7-11). Das erklärt wohl auch, warum dem Machtgedanken innerhalb der Bergpredigt bislang so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Denn die sich durch Machtmissbrauch und Unterdrückung, also durch als Gewalt äußernde Macht (vgl. Mt 20,25) ist aufdringlich, sie springt ins Auge. Dagegen ist die Macht Gottes eben deshalb unauffällig, weil sie nicht als Gewalt über andere wirkt, sondern als tätige Fürsorge für die anderen, als dienende Herrschaft (20,26-28). Entsprechend ist diese Macht auch keine, die menschliche Freiheit aufhebt, sondern sie ermöglicht. Es ist kein Zufall, dass gerade in der Bergpredigt das christologische Hoheitsprädikat der Gottessohnschaft den Glaubenden in Aussicht gestellt wird (5,9.45). Von dem Vertrauen in diese uns zugute kommende göttliche Macht lebt die Bergpredigt. 5. Das Licht der Werke Der vertrauensvolle Blick auf den in dieser Wirklichkeit zu Gunsten seiner Geschöpfe wirkenden Gott ist allerdings keineswegs blind für die Widersprüche und Verkehrtheiten in dieser Welt. Im Gegenteil: Der erste Evangelist hat unbestechlich die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Bösen wahrgenommen, nicht zuletzt auch innerhalb der christlichen Gemeinden. Zentrales Thema des Herrengebetes von den ersten drei Bitten bis zur letzten ist denn auch das Flehen darum, dass Gott seine gute Herrschaft aufrichtet (Mt 6,10.33; vgl. 5,6) und die Welt und uns selbst vom Bösen erlöst (Mt 6,13). Wie die Lokalisierung im Gebet deutlich macht, ist dies zuerst und vor allem die Sache Gottes. In dieses Geschehen sind nun aber auch die Nachfolger einbezogen. Hier ist der Ort der Weisungen Jesu. Wie eingangs als These bereits vorgestellt: Die Weisungen des Bergpredigers an seine Jünger haben ihre Pointe nicht darin, unsere natürlichen Bedürfnisse wie Sorge und Selbsterhaltung zu diskreditieren und einen ethischen Übermenschen einzufordern; sie wollen vielmehr diese Welt als Ort der gegenwärtigen und anbrechenden Gottesherrschaft, d.h. als Gottes Welt und damit als einen Ort des Lebens erfahrbar machen. Das macht schon der die ethischen Weisungen der Bergpredigt einleitende Zuspruch und Anspruch an die Jünger deutlich, dass diese Salz der Erde und Licht der Welt sein sollten (5,13-16). Salz der Erde und Licht der Welt, das beschreibt das Sein der Jüngerschaft als von der Welt so unterschieden, dass der Unterschied dieser zugute kommt: Diese Erde soll durch das ›Salz‹ der Jünger Jesu wieder genießbar, die unter dem »Schatten des Todes« (Mt 4,16) liegende Welt wieder erhellt werden. In dieser Welt soll die Rede von Gott durch das tätige »Die Bergpredigt spricht nicht von Gottes Ohnmacht. Im Gegenteil ...« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 38 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 39 Reinhard Feldmeier Die Alternative des Allmächtigen - Gottes Herrschaft und menschliches Handeln in der Bergpredigt Zeugnis der Christen Evangelium werden, erfreuliches Wort (Mt 5,16). Solches ist nötig, denn der Blick der Menschen auf diese Welt als Ort der Fürsorge und Güte Gottes ist verzerrt und verdunkelt durch Hass, Gier und Vergeltung, durch Berechnung, Neid und Geltungssucht, durch Sorge, Richtgeist und Erbarmungslosigkeit. Und nicht nur der Blick ist verzerrt; der die Schöpfung und den Mitmenschen und selbst Gott zum Material seiner Selbstsicherung und Selbstpotenzierung pervertierende Mensch wirft seinen Schatten auf diese Welt und macht sie so ungenießbar und dunkel, so dass sie zunehmend als das erscheint, als was der Mensch sie sieht: Ein bloßer Ort des bellum omnium contra omnes. Nirgends wird dies abgründiger deutlich als dort, wo diese Sichtweise mit der Berufung auf Gottes eigenen Willen begründet wird, wie die Antithesen (5,21-48) entlarven: Wo mit dem die Frau schützenden Scheidebrief die Scheidung legitimiert wird und mit dem die Wahrheit im Kapitalfall sichernden Verbot des falschen Schwures die Lüge außerhalb des Eides hoffähig gemacht wird, 16 wo das die Maßlosigkeit der Rache durch das Prinzip kontrollierter Verhältnismäßigkeit ersetzende »Auge um Auge, Zahn um Zahn« zur göttlichen Rechtfertigung von Vergeltung pervertiert wird und aus dem Gebot der Nächstenliebe die Erlaubnis zum Hass gegen den Nicht-Nächsten abgeleitet wird, da verdichten sich über diese Welt wieder die ›Schatten des Todes‹. Aber die Erzählung vom Tod des Gottessohnes ist Evangelium, weil dieser Tod nicht das Ende war, sondern ein neuer Anfang. Wenn der erste Evangelist bei seinem Bericht vom Tode Jesu hinzufügt, dass sich Gräber öffnen und Verstorbene auferstehen (Mt 27,52), so drückt er durch diese redaktionelle Hinzufügung die Gewissheit aus, dass dort, wo scheinbar der Tod seinen endgültigen Triumph feiert, in Wahrheit die göttliche Lebensmacht gesiegt hat, so dass der Tod selbst die wieder herausgeben muss, die er schon sicher in seinem Besitz glaubte. Im Blick auf die Machtfrage heißt das: Die Macht der Gewalt, verkörpert im Teufel und manifest in Gestalten wie Herodes, beruht auf Unterwerfung und bewirkt so letztlich den Tod. Dagegen verwirklicht sich in Jesu Leben, das in der Selbsthingabe gipfelt (Mt 20,28; 26,26ff.), die Zuwendung und Fürsorge Gottes und damit seine schöpferische Macht, die nicht nur die Lilien auf dem Feld bekleidet und Vögel unter dem Himmel nährt, sondern die in der Sanftmut und Demut des Gottessohnes auf ihre eigene Weise in diese Welt kommt, um den Drang des Sünders in die Verhältnislosigkeit (E. Jüngel) und damit in den Tod zu unterbrechen und somit in letzter Konsequenz aus dem Tod Leben zu schaffen. Deshalb ist in Jesus Christus denen, die im Land und Schatten des Todes sitzen, ein Licht aufgegangen. 17 Darin verwirklicht sich Gottes Herrschaft, das ist die dynamis des Gottes, der ein Gott der Lebenden und nicht der Toten ist (Mt 22,29-32). So fällt von der Gotteslehre aus neues Licht auf die Worte des Bergpredigers. Gegen eine lange Auslegungstradition, welche in der Bergpredigt nur gebietende und verbietende Ansprüche wahrnahm, mit denen sich das fromme Subjekt konfrontiert sah, ist vor der ethischen zunächst die theologische Bedeutung dieser Rede zu würdigen: Als Einladung zum Einsatz zugunsten des Lebens auf Seiten des himmlischen Vaters. Wo das mobbing geächtet (Mt 5,21f.) und die Frau nicht nur verfügbares Objekt ist (Mt 5,27-32), wo die Lüge nicht mehr legitimiert ist (Mt 5,33-37) und man aus der Spirale von Revanche und Vergeltung, dem ›perpetuum mobile des Teufels‹ (Jean Paul) ausbricht (Mt 5,38-42), wo man den Feind nicht wieder hasst, sondern liebt (Mt 5,43-48), wo Frömmigkeit Ausdruck aufrichtiger Gottesliebe ist (Mt 6,1-18) und der fehlerhafte Mitmensch nicht abgeurteilt wird (7,1-5), wo ängstliche oder gierige Selbstfixierung durch vertrauensvolle Offenheit ersetzt wird (Mt »Gegen eine lange Auslegungstradition, welche in der Bergpredigt nur gebietende und verbietende Ansprüche wahrnahm, mit denen sich das fromme Subjekt konfrontiert sah, ist vor der ethischen zunächst die theologische Bedeutung dieser Rede zu würdigen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 39 40 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse 6,19-34; 7,7-11), überall da also, wo Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit Menschen bewegen (Mt 6,33 vgl. 5,6), da leuchtet in dieser von der Lüge verdeckten Welt wieder ihre Wahrheit als die durch Gottes Macht erhaltene und bewahrte Schöpfung auf. Da wird sie wieder zum Ort des Zusammenlebens mit Gott und den Menschen, und so wird diese Schöpfung, werden Sonne und Regen (5,45) und Lilien und Vögel (6,26ff.) gleichnisfähig für den hier seine Herrschaft aufrichtenden Gott. Deswegen machen die ›guten Werke‹ der Nachfolger Jesu Christi die Welt hell und führen zum Lobpreis des himmlischen Vaters (5,16). So lassen sie das Vertrauen in Gottes Macht wachsen - angefangen bei den Dingen des alltäglichen Lebens (vgl. Mt 6,11-13a; 7,7-11) bis hin zur Gewissheit endzeitlicher Vollendung im kommenden Reich (Mt 6,9f.13b). 6. Wider die Säuerlichkeit Damit ist die Frage der Erfüllbarkeit der Bergpredigt nicht einfach vom Tisch. Es bleiben die radikalen Forderungen, die einen unbedingten Gegenentwurf zu unserer gewohnten Daseins- und Handlungsorientierung formulieren. Und es wird fraglos vorausgesetzt, dass diese Weisungen ernst zu nehmen sind. Der Evangelist kommt unserem Bedürfnis nach Abmilderung in keiner Weise entgegen - im Gegenteil: Am Beginn seiner Gebote unterstreicht er, dass hier die Einlassbedingungen für das Reich Gottes formuliert werden (Mt 5,20), am Ende hämmern die antithetischen Bildworte von der engen und der breiten Tür, vom bequemen und vom eingeengten Weg, vom guten und vom schlechten Baum und vom Haus auf dem Felsen und auf Sand (7,13-27) noch einmal unüberhörbar ein, dass sich am Tun entscheidet, wer zu Christus gehört und wer verworfen wird: »Nicht jeder, der zu mir ›Herr, Herr‹ sagt, wird ins Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut« (Mt 7,21). Dieser Anstoß darf auch nicht beseitigt werden; die Bergpredigt lebt von der Perspektive der Gottesherrschaft und bleibt deshalb für jedes dem Alten verhaftete Leben Provokation, die falsche Selbstzufriedenheit aufstört und den unbedingten göttlichen Liebeswillen gegen alle offenen und verdeckten Formen der lieblosen Selbstbezogenheit kompromisslos zur Geltung bringt. Deswegen kann sich niemand ihrer selbstgerecht bemächtigen, deswegen darf sich aber auch niemand ihrem Anspruch durch theologische oder exegetische Kunstgriffe entziehen. Gewiss muss man gegen zwanghaften Perfektionismus darauf hinweisen, dass die Bergpredigt keine Sündlosigkeit voraus setzt und keinen fehlerlosen Menschen verlangt, sondern sich an Menschen richtet, die täglich aus der Vergebung leben (s.u.). Aber dieser berechtigte Hinweis darf nicht zur reflexhaften Abwehr des Anspruches des Bergpredigers werden. Denn zu schnell wird hier die Frage in den Vordergrund gestellt, ob und inwieweit diese Forderungen denn ganz erfüllbar sind, und das heißt dann immer auch: wie weit sie eben nicht erfüllt werden können (und möglichst dann auch nicht erfüllt werden müssen). Die Weisungen werden isoliert auf das moralische Individuum bezogen und so im Grunde nur als überfordernde Zumutung verstanden: Ich darf mich nicht wehren, ich muss mich schlagen lassen, ich darf nicht sorgen und muss ohne Sicherung leben etc. Diese Fixierung auf die Frage der Erfüllbarkeit und die oft daraus resultierende zwanghafte Säuerlichkeit bringt einen grundfalschen Ton in die Auslegung; die Bergpredigt hat demgegenüber einen ganz anderen, einen stolzen, lebensbejahenden Klang, weil nicht zuerst zaghaft auf das menschliche Vermögen, sondern vertrauend auf Gottes anbrechende Herrschaft geblickt wird! 7. Das sanfte Joch Zurück zur Ausgangsfrage: Ist die Bergpredigt Handlungsanweisung oder Utopie? Prima facie ist man versucht, der Handlungsanweisung den »Diese Fixierung auf die Frage der Erfüllbarkeit und die oft daraus resultierende zwanghafte Säuerlichkeit bringt einen grundfalschen Ton in die Auslegung« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 40 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 41 Reinhard Feldmeier Die Alternative des Allmächtigen - Gottes Herrschaft und menschliches Handeln in der Bergpredigt l Anmerkungen 1 Letzteres vertritt etwa U. Luz: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK I / 1, 1985, 193. Ich verdanke dem ausgezeichneten Kommentar von Luz wertvolle Anregungen, doch hier soll deutlich werden, wo ich in der Auslegung der Bergpredigt einen anderen Akzent setze. 2 K. Beyschlag: Zur Geschichte der Bergpredigt in der alten Kirche; in: ders.: Evangelium als Schicksal. Fünf Studien zur Geschichte der Alten Kirche, München 1979,77-92, Zitat auf S.80. Dort weitere Ausführungen zu dieser Fragestellung. Der einzige, der die Erfüllbarkeit der radikalen Forderungen Jesu (die Sammelbezeichnung ›Bergpredigt‹ für Mt 5-7 kommt erst mit Augustin auf) bestreitet, ist der Jude Trypho im Dialog mit Justin (Dial 10,2), aber diese Position hat sich die Christenheit nicht zu eigen gemacht, sie nicht einmal als ernsthafte Möglichkeit erwogen. 3 K. Holl: Die Missionsmethode der alten und die der mittelalterlichen Kirche in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Band I Die Alte Kirche (Hg. H. Frohnes / U. Knorr), München 1974, 3-17, v.a. S. 9. 4 WA XI, 248-249. 5 Vgl. das nahezu gleichlautende Summarium in Mt 4,23 und 9,35, das den Block der Bergpredigt und der Wunder Jesu umschließt. 6 Religion - entdecken - verstehen - gestalten 9/ 10, Göttingen 2002, 14. 7 Von ca. 1400 Belegstellen in der antiken Literatur für den Begriff pantokrator sind weniger als 1% paganen Ursprungs. 8 Vgl. etwa Jdt 4,13; 8,13; 15,10; 16,5.17; 2Makk 1,25; 3,22.30; 8,24; 15,8; 3Makk 2,2f.; 5,7; 6,18.28; 3Bar 1,3; 4Bar 1,5; 9,5 u.ö., wo gerade im Erleiden von Gewalt Gott als Herr und König und Allmächtiger angerufen und / oder bekannt wird. 9 Zum ›Allmachtkomplex‹ der Neuzeit vgl. H.E. Richter, Der Gotteskomplex. Die Geburt und Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen, Hamburg 1986. 10 Zur weiteren Diskussion s. R. Feldmeier, Nicht Übermacht noch Impotenz. Zum biblischen Ursprung des Allmachtsbekenntnisses, in: W. Ritter / R. Feldmeier: Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat, Göttingen 2 1997, 13-42. 11 Vgl. Mt 5,45 diff Lk 6,35; Mt 6,8 diff Lk 11,2. Mt 5,34f. ist hinzugefügt, Mt 5,5.10 ebenso wie Mt 28,18 Redaktion; siehe auch die folgende Anmerkung. 12 Es ist umstritten, ob ge hier die Erde oder das Land (Israel) meint. Da Himmel und Erde bei Mt häufig einander zugeordnet werden (vgl. 5,16; 6,10; 11,25; 16,19; 18,18; 23,9; 24,35; 28,18) und andererseits beim ›Land Israel‹ der Name hinzugefügt wird (vgl. 2, 20f.), dürfte auch hier die Erde gemeint sein. 13 Der Zusammenhang, wird noch dadurch verstärkt, dass Jesus in Mt 5,48 am Ende der 6. Antithese die Überwindung des Hasses durch Liebe als Entsprechung zu Gottes Vollkommenheit deutet. Sixtinische Kapelle Vorzug geben, denn der Evangelist lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass es hier um eine Anweisungen zum Tun geht. Aber: Die Reduzierung der Bergpredigt auf eine Handlungsanweisung und damit auf Moral blendet aus, wovon die Gebote und Verbote jener ›erschütternden‹ Rede (Mt 7,28) allererst ihre Lebendigkeit und Plausibilität erhalten, ihren mitreißenden Schwung, der jene Rede durchzieht: Von der Wahrnehmung dieser Welt als dem Ort, an dem die schöpferische Allmacht schon immer in Gestalt der Fürsorge und Güte des himmlischen Vaters tätig ist, und die als solche Gleichnis ist für das, was verborgen in der Auferstehung Jesu Christi schon begonnen hat: Der Sieg der Macht der Liebe über die Schatten des Todes. Das soll schon im Verhalten der Nachfolgenden aufblitzen. Es ist letztlich das Osterlicht als Vollendung des Lichtes, das seit der Schöpfung diese Welt erhellt, das die (selbst immer wieder fehlenden Nachfolger Jesu Christi) widerspiegeln sollen. Dies ist die Würde des Gott entsprechenden Menschen, die in dem dafür in Aussicht gestellten christologische Hoheitstitel ›Gottessohn‹ zum Ausdruck kommt (Mt 5,9.45). Wo unser Vermögen je und je dahinter zurückbleibt, ist dies kein Grund, in moralischer Selbstzerfleischung zu erstarren. Die vollkommene Erfüllung der Bergpredigt ist ja erst im Reich Gottes möglich - andernfalls bedürfte es weder der Vergebungsbitte im Herrengebet (das in der Mitte der Bergpredigt steht! ) noch des Sterbens Jesu, bei dessen Deutung beim Abendmahl der Evangelist die Vergebung der Sünden explizit einfügt. 18 Vielmehr mutet die Bergpredigt mit ihren Verheißungen und Zusagen zu, sich immer wieder neu vom Vertrauen in den himmlischen Vater mitreißen und inspirieren zu lassen. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 41 42 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse 14 Im patriarchalischen Kontext wird dafür das Bild des Vaters verwendet, welches allerdings, darauf hat schon J. Jeremias hingewiesen, auch »etwas von dem« umschließt, »was bei uns Mutter bedeutet« (Abba, Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 15). 15 So wird von der Allmacht dann auch im Credo gesprochen, insofern dem Allmachtsprädikat das Bekenntnis zum Vater vor- und das zum Schöpfer nachgeordnet ist. 16 Oder gar innerhalb desselben, sofern dieser in Stufen verschiedener Verbindlichkeit aufgeteilt wird (vgl. Mt 5). 17 Mt 4,16. Das Futur von Jes 9,1 LXX (lampsei) wird von Mt durch den (ingressiven) Aorist (aneteilen) ersetzt. Damit wird die Erfüllung des Verheißenen unterstrichen. 18 Mt 26,28; vgl. auch die Deutung Jesu am Anfang in Mt 1,21. Neues Testament aktuell: Hans Hübner, Neues zur Kanondebatte Zum Thema: Hermut Löhr, Entstehung und Neubegründung des Kanons Ruben Zimmermann, Die Wahrheit falscher Verfasserangaben. Das Phänomen urchristlicher Pseudepigrafie am Beispiel des Kolosserbriefs. Martina Janssen, Der Umgang (ausgewählter) gnostischer Gruppen mit dem Kanon Kontroverse: Kanon: ein dogmatisches Relikt? Matthias Klinghardt versus Manfred Oeming Hermeneutik und Vermittlung: Markus Sasse, Vorstellung neuerer Bibelübersetzungen Buchreport: Günter Röhser Vorschau auf Heft 12 (Themenheft »Kanon«) Die ZNT im Internet www.znt-online.de - ZNTonline - Neues auf der Homepage Seit einigen Wochen stehen in unserer Rubrik »interaktiv / Leseprobe« einige Artikel aus älteren ZNT- Heften zum Download bereit. Im Moment können der Artikel »Neue Trends in der Jesusforschung« von Peter Müller und die Kontroverse - zwei Artikel von Michael Wohlers und Rainer Riesner - aus dem Themenheft »Wunder und Magie« (ZNT 7) gelesen und für den persönlichen Gebrauch gespeichert werden. Die Probeartikel sollen in regelmäßigen Abständen durch andere ersetzt werden. Wenn Sie über aktuelle Neuerungen auf ZNTonline informiert werden wollen, nutzen Sie doch unseren Newsletter-Service. Sie erhalten ca. einmal monatlich Mitteilungen über neue Downloads, Buchrezensionen oder Probeartikel. Weitere Informationen sowie die Anmeldemöglichkeit für unseren Newsletter finden Sie unter der Rubrik »interaktiv / Newsletter«. ZNTonline - im Blickpunkt Wussten Sie, dass Sie über ZNTonline Bücher bestellen können? Wir stellen auf der Homepage Bestellmöglichkeiten für alle bisher in der ZNT rezensierten Bücher zur Verfügung (»interaktiv / Buchbestellung«). Sie können aber auch die auf der Homepage besprochenen Bücher (»interaktiv / Buchtipps«) sowie jedes beliebige Buch (z.B. über die Suchmaschine auf der Startseite) bei unserem Internet-Partner Amazon bestellen. ZNTonline - zum Thema Um mit der Homepage das Angebot der ZNT noch besser zu unterstützen, planen wir in Zukunft - möglichst zu jedem Themenheft - zusätzliche Materialien zum Download bzw. Internet-Verweise zur Verfügung zu stellen. Zum Beitrag von Gerd Buschmann und Uwe Böhm (ZNT 10) finden Sie bereits ein entsprechendes Angebot (»interaktiv / Download«). Wir hoffen bei der Erweiterung dieser Seite auch auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser und freuen uns über Ihre Vorschläge (Unterrichtsentwürfe, Bilder, Internet-Links). Senden Sie Ihre Vorschläge entweder per Email an info@znt-online.de oder nutzen Sie für weitere Fragen unser Kontaktformular (»Service / Anfragen«). Michael Schneider Webmaster www.znt-online.de 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 42 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 43 Eine Kontroverse wäre hübsch, wenn es einen wirklichen Streitpunkt gäbe! Aber zwischen Reinhard Feldmeier und mir gibt es eigentlich keinen. Ich konnte seinen Aufsatz drehen und wenden, wie ich wollte: Ich möchte einiges etwas anders akzentuieren als Reinhard Feldmeier und einige Aspekte hinzufügen - aber eine Kontroverse wird es nicht geben! 1 Dabei streite ich eigentlich gern, und in unserer gewiss nicht mehr von der »rabies theologorum«, sondern weit eher von ihrer Unfähigkeit zu streiten geprägten Situation tut mir unsere weitgehende Einigkeit fast leid. Oder bin ich ein zu irenischer Mensch? Eine falsch gestellte Grundfrage: »Ist die Bergpredigt ein politisches Programm oder lebensferne Utopie? « Die Grundfrage, die uns von der Redaktion gestellt wurde, geht an der Sache vorbei. Dies nicht darum, weil die Insel »Utopia« noch gar nicht erfunden war, als Matthäus seine Bergpredigt schrieb. 2 Die Sache gab es schon: Die Antike ist voll von »Utopien«, wenn man an alle Wunschwelten von den Schilderungen des Goldenen Zeitalters über Platons Staat bis zu den fernen exotischen Ländern hellenistischer Romane denkt, und zusätzlich noch an Autoren wie Euhemeros, Iambulos und Theopomp erinnert. 3 Aber der Abstand zwischen diesen nun wirklich »ort-losen« (= »u-topischen«) Träumereien und der auf Schritt und Tritt sehr konkret auf das Leben bezogenen Bergpredigt springt in die Augen. Das Gottesreich ist ja nicht ein utopischer Kontinent, sondern eine Realität, die Gott heraufführen wird (Mt 6,10). Ein »politisches Programm« - ein nicht »lebensfernes«, d.h. realistisches Programm - ist die Bergpredigt aber auch nicht. Wer war Jesus und wer die ihn verkündende matthäische Gemeinde, als dass sie ein solches hätten aufstellen können? Wer so total von politischer Macht und politischer Verantwortung ausgeschlossen ist, wie die Jesusjünger, hat weder die Möglichkeit noch die Lust, politische Programme zu machen, die ohnehin niemanden interessiert hätten. Politische Programme waren eine Angelegenheit der Kaiser und der an der Macht partizipierenden Oberschichten des Reichs und der Städte. Politische Denkansätze der von der Macht Ausgeschlossenen können höchstens den Charakter von »Gegenprogrammen« fern jeder Durchsetzungschance haben. Solche Gegenprogramme sind selten »realistisch«; aber sie sind deshalb nicht »lebensfern«, sondern im Gegenteil: Sie sind mitten aus dem Leben und dem Leiden heraus geschrieben, ganz anders als die vorher kurz erinnerten antiken Utopien. Kurz: Keine der beiden Möglichkeiten trifft irgendwie zu; die Alternative taugt nur für einen attraktiven Titel in einer Zeitschrift. Die Unerfüllbarkeit der Bergpredigt: etsi gratia non daretur Näher an die Sache kommt die alte Frage, ob denn die Forderungen der Bergpredigt erfüllbar seien. Nach Reinhard Feldmeiers erster These handelt es sich hier um eine »moralisierende Engführung« (siehe Feldmeier unter Punkt 1). Ulrich Luz Die Bergpredigt - politisches Programm oder lebensferne Utopie? Replik zu Reinhard Feldmeier »Wer so total von politischer Macht und politischer Verantwortung ausgeschlossen ist, wie die Jesusjünger, hat weder die Möglichkeit noch die Lust, politische Programme zu machen, die ohnehin niemanden interessiert hätten« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 43 44 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse Ihr liegt eine neuzeitliche Wahrnehmung der Bergpredigt zugrunde, die aus einer »einseitigen Konzentration auf das (mehr oder weniger autonom gedachte) Subjekt resultiert, das sich durch die Bergpredigt mit einer heteronomen Zumutung konfrontiert sieht« (siehe Feldmeier unter Punkt 2). Ich kann dem zustimmen, auch wenn ich es selber lieber anders formuliere: Die These von der Nichterfüllbarkeit der Bergpredigt taucht m.E. dort auf, wo das Fundament der Gnade, auf dem die Praxis der Bergpredigt ruht, brüchig geworden ist. Erstmals hat ja ein Nichtchrist - der Jude Trypho - die Unerfüllbarkeit der Bergpredigt betont (Justin, Dial 10,2). Bei den Kirchenvätern taucht eine solche Einschätzung kaum auf. 4 Wie sollte sie auch! Natürlich gehen alle Kirchenväter davon aus, dass die Forderungen der Bergpredigt ernst gemeint sind und keineswegs ein bloß utopisches Ideal. Über die Weisen ihrer Erfüllung wurde in den christlichen Gemeinden intensiv reflektiert, auch wenn die Grundsatzfrage nach ihrer Erfüllbarkeit selten gestellt wurde. In der Auslegungsgeschichte werden zwei Tendenzen sichtbar, die sich ergänzen: Die eine besteht darin, dass man vom Grundprinzip ausgeht, dass der himmlische Vater seinen Kindern keine unerfüllbaren Forderungen zumutet 5 - deswegen werden sie so ausgelegt, dass sie erfüllbar sind, bzw. gemildert. Die andere besteht darin, dass man sich des eigenen Versagens sehr wohl bewusst ist und eben deshalb auf Gottes Vergebung weist. Beide Male ist Gottes Gnade die Voraussetzung für die Praxis der Bergpredigt. Daneben gab es sehr viele Stimmen, die selbstverständlich voraussetzen, dass die Christen die Gebote der Bergpredigt wirklich erfüllen. Die Situation ist derjenigen des Judentums gegenüber der Torah durchaus vergleichbar. Für alle Juden galt die Überzeugung, dass die Torah als Geschenk Gottes für sein Bundesvolk eine gute Gabe und nicht eine unerfüllbare Forderung war. Von jüdischen Gruppen, welche religionssoziologisch als »perfektionistische Sekte« 6 einzustufen sind, wie etwa die Qumranessener, wurde sie als harte Forderung Gottes ausgelegt - aber ihre Erfüllbarkeit war selbstverständlich vorausgesetzt. Von den Pharisäern, welche danach strebten, die Torah als Weisung für ganz Israel auszulegen, wurde sie dem Leben angepasst und milde ausgelegt, denn sie war ja von Gott zum Leben gegeben. Ihre Erfüllbarkeit war wiederum selbstverständlich vorausgesetzt. Dass die Torah nicht erfüllbar bzw. eine Last sei, dachten diejenigen, für welche die Israel geschenkte Erwählungsgnade kein tragfähiges Fundament ihres Lebens mehr war, nämlich Paulus (Röm 3,19f.) und der Petrus der Apostelgeschichte (Apg 15,10f., vgl. Mt 23,4). Jüdische Stimmen, welche die Torah als drückende und kaum erfüllbare Last empfanden, gibt es nur ganz wenige. 7 In der Neuzeit wurzelt die These, dass die Bergpredigt nicht erfüllbar sei, in Erfahrungen der Reformatoren, taucht aber bei ihnen in dieser grundsätzlichen Form noch nicht auf. Die reformatorischen Theologen haben die paulinische Erkenntnis deutlich formuliert, dass niemand »in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben sei, bleiben« könne (Gal 3,10), und dies in besonderer Weise auf den Dekalog bezogen. 8 Die Bergpredigt wurde allerdings selten unter das »Gesetz« subsumiert. 9 Vielmehr wurde meist deutlich festgehalten, dass sie das Gebot des Herrn für die Gläubigen sei, deren Sünden vergeben sind. Für sie galt das »simul iustus et peccator«: Kein Mensch kann alle Gebote erfüllen, aber dies ist um das Heils zu erlangen auch nicht notwendig. Darum, so sagt Johannes Brenz sehr prägnant, erschrecken die Volksmengen, nachdem sie die Bergpredigt gehört haben (Mt 7,28), nicht aber die Jünger, denn für sie war die Bergpredigt eine Verkündigung »iuxta sententiam Spiritus sancti«, nicht nach der Weise der Pharisäer. 10 Die Erkenntnis, dass die Gebote der Bergpredigt per se, ohne Gnade, unerfüllbar seien, wurde durch die Rückkehr zur wörtlichen Auslegung unterstützt; allegorische Umdeutungen einzelner Gebote wurden jetzt abgelehnt. Wichtig war auch, dass die Reformatoren die Unterscheidung zwischen praecepta und consilia Evangelica ablehnten und daran fest- »Die These von der Nichterfüllbarkeit der Bergpredigt taucht m.E. dort auf, wo das Fundament der Gnade, auf dem die Praxis der Bergpredigt ruht, brüchig geworden ist« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 44 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 45 Ulrich Luz Die Bergpredigt - politisches Programm oder lebensferne Utopie? hielten, dass alle Christen zur Befolgung aller Gebote der Bergpredigt aufgerufen sind. Aber dennoch wurde m.W. die These von der Unerfüllbarkeit der Bergpredigt in der Reformationszeit nie grundsätzlich formuliert. Sie war nicht entscheidend: Wer allein aus Gnade gerettet war und sich unter allen Umständen und in jeder Situation auf diese Gnade verlassen konnte, hatte die Möglichkeit, »Sünde« ernster und tiefer zu fassen als bisher. Zugleich aber musste man (im Sinne der Heilsnotwendigkeit! ) die Gebote der Bergpredigt nicht erfüllen, weil das Gesetz kein Anrecht auf diejenigen hat, die an Christus glauben, der für sie gestorben ist. 11 Zur Grundfrage wird die Frage nach der Erfüllbarkeit der Bergpredigt erst dort, wo diese von der Gnade gelöst, bzw. überwiegend unter dem Aspekt des usus elenchticus legis betrachtet wird. Die Alternativfrage »Ist die Bergpredigt politisches Programm oder lebensferne Utopie? « setzt für die meisten, die sie in dieser Weise stellen, die These von der Unerfüllbarkeit der Bergpredigt voraus. Beide Alternativmöglichkeiten sind Varianten dieser These. Bei beiden Alternativmöglichkeiten fällt die Bergpredigt als echte Möglichkeit aus dem Spiel: Dass sie nicht in einem direkten Sinn ein (»lebensnahes! «) politisches Programm sein kann, ist für jedermann unmittelbar einleuchtend, der politische Verantwortung trägt. Nur in einem mittelbaren Sinn, z.B. in Gestalt der das Gebot der Feindesliebe zugleich verallgemeinernden, mildernden und rational einsichtig machenden Goldenen Regel, kann sie Leitlinie für politisches Handeln sein. Eine Utopie mag die Bergpredigt in gewisser Weise sein - aber durch das Attribut »lebensfremd« wird sie von vornherein abgewertet. In beiden Alternativmöglichkeiten kommt die Erfahrung der Gnade nicht mehr vor, welche der Utopie ihre Lebenskraft gab und welche die Programme, die Politiker aufstellen mögen, in von Gott zum Leben geschenkte Richtungsanweisungen verwandeln. Die entscheidende Frage lautet also, wo in der Bergpredigt die Kraft zu finden ist, welche ihre Utopien mit Leben erfüllen und welche ihre programmatischen Visionen zu Wegen zum Leben werden lassen. Die Gnade in der Bergpredigt Reinhard Feldmeier formuliert als zweite These: »Die Bergpredigt will durch die Orientierung an Gottes Wesen (5,45.48) diese Welt als Gottes Welt erfahrbar ... machen und die Gegenwart so gleichnisfähig ... machen für die kommende Gottesherrschaft« (siehe Feldmeier unter Punkt 1). Ich bin mit ihm im Grundsatz einig, dass die Bergpredigt unter dem Vorzeichen der Gnade und so in einer theologischen und nicht allein in einer ethischen Perspektive gelesen werden muss. Nicht einig bin ich mit ihm darüber, wie bei Matthäus die Gnade zur Sprache kommt. Ulrich Luz Prof. Dr. Ulrich Luz, Jahrgang 1938, studierte Ev. Theologie in Zürich, Göttingen und Basel. Promotion 1967, Habilitation 1968 in Zürich. 1972-1980 Professor für Neues Testament an der Universität Göttingen, seit 1980 Professor für Neues Testament an der Universität Bern. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Matthäusevangelium und neutestamentliche Hermeneutik. »Die entscheidende Frage lautet also, wo in der Bergpredigt die Kraft zu finden ist, welche ihre Utopien mit Leben erfüllen und welche ihre programmatischen Visionen zu Wegen zum Leben werden lassen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 45 46 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Kontroverse Feldmeier hat in seinem Aufsatz die Grundsatzfrage nach der Erfüllbarkeit der Bergpredigt primär mit der Autonomie des neuzeitlichen Subjekts verbunden; er verbindet deshalb als Kontrapunkt folgerichtig die Gnadenperspektive der Bergpredigt primär mit der theonomen Horizont der Allmacht Gottes. Ich denke, dass diese neuzeitliche Grundfrage und die matthäische Perspektive nicht direkt konvergieren und dass sich der Evangelist nicht primär an »Gottes Wesen« orientiert. Natürlich will ich nicht bestreiten, dass an Stellen wie Mt 5,34f.45; 6,8.10 oder außerhalb der Bergpredigt etwa Mt 4,8f.; 20,25-28; 26,39.42 der biblische Gedanke der Allmacht Gottes selbstverständlich vorausgesetzt ist. Aber Feldmeier hat selbst Hinweise darauf gegeben, was mit diesem Gedanken im Ganzen des Matthäusevangeliums geschieht. Er wird mit der Geschichte des Gottessohns Jesus verbunden. Matthäus erzählt vom Gehorsam des Gottessohns angesichts satanischer Machtangebote (Mt 4,1-11), von seinem Dienst (Mt 20,28), von seiner gewaltlosen Herrschaft (Mt 21,5) und von seinem Weg ins Leiden (wo er sogar auf göttliche Machtdemonstrationen verzichtet [vgl. Mt 26,53]) und zur Auferstehung. Am Schluss des Evangeliums wird ihm, dem Machtlosen, Gehorsamen und Leidenden die Weltherrschaft übertragen (Mt 28,18). Vor allem und fast nur in dieser christologischen Zuspitzung, ja: in dieser christologischen »Umwertung« wird der Gedanke der Allmacht Gottes im Matthäusevangelium zum Ausdruck der Gnade. Es ist nicht zufällig, dass der Evangelist im Mittelteil der Bergpredigt besonders häufig nicht von der Macht Gottes, sondern von Gott als Vater spricht, 12 der gegenüber den Gläubigen als Vater handelt und sie zu seinen Söhnen machen wird (5,9). Auch daran wird die christologische »Anbindung« Gottes an denjenigen sichtbar, den Gott bereits in 3,17 als seinen Sohn proklamiert hat und den die Gemeinde als Gottessohn bekennen wird (14,33; 16,17). »Die Herrschaft Gottes« ist in der Tat »etwas qualitativ anderes (...) als die Machtausübung eines Herodes, Pilatus oder Tiberius« (siehe Feldmeier unter Punkt 3). Darauf kommt es beim matthäischen Allmachtsgedanken an. Der Schlüssel zu diesem »Anderen« ist die Geschichte des Gottessohns Jesus. Das heißt dann aber doch wohl, dass der wichtigste Schlüssel zur Deutung der matthäischen Bergpredigt die Christologie ist. Oder richtiger: Der Schlüssel zum Verständnis der Bergpredigt ist ihre Einbettung ins Ganze der matthäischen Geschichte des Gottessohns Jesus. Sie macht deutlich, dass die Bergpredigt unter dem Vorzeichen der Gnade zu lesen ist. Entscheidend ist, wer ihre Gebote vom Berg her dem ganzen Volk verkündet: • Es ist der Immanuel Jesus (1,23), der alle Tage bei seiner Gemeinde sein wird bis ans Ende der Welt (28,20). Wie diese heilvolle Gegenwart des Auferstandenen geschieht, können die Leser/ innen des Matthäusevangeliums sogleich in den auf die Bergpredigt folgenden Kapiteln 8-9 erfahren. Die dort erzählten Wundergeschichten sind transparent für die Erfahrungen der wunderbaren und tragenden Gegenwart Jesu in ihrem eigenen Leben. 13 • Es ist der gehorsame Gottessohn Jesus, der selbst »alle Gerechtigkeit« erfüllt (3,15; vgl. 5,17). Er bleibt dem Wort Gottes gegenüber gehorsam und verzichtet auf eigene Macht (4,1- »Der Schlüssel zum Verständnis der Bergpredigt ist ihre Einbettung ins Ganze der matthäischen Geschichte des Gottessohns Jesus« Wilhelm Steinhausen, Und er lehrte sie (Christus predigt auf dem Berge), 1902, Wandgemälde der Aula des Kaiser-Friedrich- Gymnasiums Frankfurt am Main, Bonn, Bildarchiv Kunsthistorisches Institut. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 46 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 47 Ulrich Luz Die Bergpredigt - politisches Programm oder lebensferne Utopie? 11; vgl. 27,43.54). Er wird so zum Modell und Vorbild für den Weg der Gerechtigkeit. Für Matthäus schenken Vorbilder denen, die nachfolgen, Kraft und sind grundlegend wichtig. 14 • Es ist Jesus, der von Gott auferweckt und zum Weltenherrn eingesetzt wird. Er verbürgt die Wahrheit der Verheißungen, die er in den Nachsätzen seiner Seligpreisungen denen, die seine Worte hören und tun, verspricht. • Es ist also Jesus, durch den die »harten« Gebote der Bergpredigt zum »milden Joch« und zur »leichten Last« (11,30) werden. Das »Heilandswort« 11,28-30 beginnt mit einer Einladung zu dem, der selbst »sanft« und zugänglich ist und dessen Joch eben darum nicht eine untragbare, sondern eine »leichte Last« ist. So möchte ich einen Kernsatz von Reinhard Feldmeier 15 in seiner Grundintention aufnehmen, aber in seiner inhaltlichen Füllung modifizieren: »Gegen eine ... Auslegungstradition, welche in der Bergpredigt nur gebietende und verbietende Ansprüche wahrnahm ... ist vor der ethischen ... Bedeutung dieser Rede« zunächst ihre Einbettung ins Ganze des Evangeliums zu würdigen: Sie ist Teil der neuen Grundgeschichte Gottes mit Jesus, ähnlich wie die Torah Teil der alten Grundgeschichte Gottes mit Israel war. Sie wird dadurch ein den Menschen forderndes und ihm Hoffnung spendendes An-Gebot zum Leben in allen Lebensbereichen. Ein die Menschen, die zum himmlischen Vater beten, überforderndes Gebot ist sie nicht. Sie ist nicht ein politisches Programm, wohl aber ein inspirierender Denkanstoß und eine Richtungsangabe für solche. Sie ist auch nicht eine Utopie von bedrückender Lebensfremde, sondern sie ist ein Aufruf zu einem neuen Eintritt ins Leben, in dem die Gnade lebendig ist. l Anmerkungen 1 Nur den Hinweis auf Dorothee Sölle möchte ich nicht ohne weiteres gelten lassen: Die »streitbare Theologin« denkt ja nicht an den biblischen und jüdischen Ursprüngen des Allmachtsgedankens, sondern an einen dominanten Strang der Wirkungsgeschichte in der vom lateinischen Omnipotenzgedanken geprägten westlichen theologischen Tradition. 2 Der Begriff geht auf Thomas Morus zurück. 3 R. Günther / R. Müller, Sozialutopien der Antike, Leipzig 1987, bes. 75-88. 4 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK I / 1, Neukirchen / Düsseldorf 52002, 263 Anm. 40. 5 Theodor v. Heraklea fr. 40 = J. Reuss, Matthäus-Kommentare aus der griechischen Kirche, TU 61, Berlin 1967, 68. 6 Ähnlich wie die mt Gemeinde! 7 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 18-25), EKK I / 3, Neukirchen / Düsseldorf 1997, 303 Anm. 52. 8 Vgl. z.B. J. Calvin, Inst 2,7,5; M. Luther, Von Conciliis und Kirchen, WA 18, 656f; besonders deutlich H. Zwingli, Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, Hauptschriften 7, Zürich 1942, 53-64 (angesichts der göttlichen Gerechtigkeit »ist keiner ... fromm« und »alle Menschen prästhafft« (ebd. 59.63). 9 Dies ist z.B. bei H. Bullinger der Fall: In sacrosanctum Iesu Christi Domini nostri Evangelium secundum Matthaeum Commentariorum libri XII, Zürich 1546, 56A (zu Mt 5,20). Das »Gesetz« wurde vom Herrn um der Sündenerkenntnis willen gegeben. 10 J. Brenz, In scriptum ... Matthaei de rebus gestis Iuesu Christi commentarius, Tübingen 1566, 372. 11 Brenz, a.a.O., 372 nach Röm 8,37-39. 12 9x in Mt 6,1-18, also in jenem Mittelteil der Bergpredigt, der deutlich macht, dass das Gebet die Innenseite ihrer Forderungen ist; 16x in der ganzen Bergpredigt. Dem stehen im ganzen übrigen Mt-Ev »nur« noch 28 Belege gegenüber. 13 U. Luz. Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17), EKK I / 2, Neukirchen / Düsseldorf 31999, 64-68. 14 Im Unterschied zu heutiger Pädagogik, wo sie im Ganzen eher eine marginale Rolle spielen. 15 Siehe Feldmeier unter Punkt 5. »Sie ist nicht ein politisches Programm, wohl aber ein inspirierender Denkanstoß und eine Richtungsangabe für solche. Sie ist auch nicht eine Utopie von bedrückender Lebensfremde, sondern sie ist ein Aufruf zu einem neuen Eintritt ins Leben, in dem die Gnade lebendig ist« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 47 48 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Für Horst Heinemann zum 60. Geburtstag Ein Missionar wollte eine Gruppe von Indianern über die Wahrheit seiner Religion belehren. Er erzählte ihnen von der Erschaffung der Erde in sechs Tagen und dem Sündenfall unserer Ureltern, weil sie einen Apfel gegessen hatten. Die höflichen Wilden lauschten aufmerksam, und nachdem sie ihm gedankt hatten, erzählte einer von ihnen eine sehr alte Geschichte vom Ursprung des Mais. Aber der Missionar zeigte nur Unglauben und Widerwillen und sagte unwirsch: »Ich habe euch die heilige Wahrheit gesagt, und ihr erzählt mir Märchen und verlogenes Zeug! « »Mein Bruder«, erwiderte ernst der in dieser Weise beleidigte Indianer, »mir scheint, du bist in den Regeln der Höflichkeit nicht sehr erfahren. Wir haben diese Regeln befolgt und deine Geschichte geglaubt. Warum willst du die unsrige nicht glauben? « 2 Wenn sich Fremde begegnen, treffen Welten aufeinander. Es begegnen sich dabei nicht nur Individuen mit ihren je eigenen - und mitunter recht eigentümlichen - Überzeugungen, Geschichten, Wünschen und Gewohnheiten, wie es ein naiver Subjektivismus gerne sehen möchte. Es treffen vielmehr auch kulturell codierte Wirklichkeitsannahmen, Werte und Verhaltensmuster - patterns of culture - aufeinander, die sich nicht nur in die Köpfe und Herzen, sondern sogar bis in die Körper der Kulturteilnehmer und -nehmerinnen einschreiben. Letzteres wird deutlich an der kulturell verschiedenen Körpersprache und besonders an der kulturell je unterschiedlichen Weise, den eigenen Körper zu bewegen: Auch die Art und Weise zu gehen ist nicht einfach »natürlich«, sondern eben auch kulturabhängig. Menschen verschiedener Kultur gehen aber nicht nur anders, sehen nicht nur anders aus, sondern denken und fühlen auch auf ihre jeweilige kulturell bedingte Art und Weise. Das, was Menschen als Glieder einer Gruppe wieder erkennbar macht, nenne ich die Kultur dieser Gruppe. Diese Kultur ist arbiträr, also keine ontologische Notwendigkeit, aber sie ist auch nicht beliebig austauschbar. Wir fühlen, denken und verhalten uns als Europäer, auch wenn wir uns für andere Kulturen interessieren: Was »typisch deutsch« ist, wird besonders im Ausland deutlich, wenn unsere scheinbar natürlichen und selbstverständlichen Gewohnheiten und Überzeugungen Aufmerksamkeit hervorrufen, weil sie den dort Ansässigen eben gerade nicht natürlich und selbstverständlich, sondern fremd erscheinen. Wie gehen wir mit dem Fremden um? Fremdes kann faszinieren, es kann auch erschrecken, es kann als Bereicherung erlebt, aber auch als Minderwertiges belächelt oder gar verachtet werden. Wie auch immer, wir können uns nicht nicht verhalten, wir beziehen immer Stellung zu dem Anderen durch unser Verhalten. Auch das Ignorieren des Fremden, sei es ein feindliches Nicht-Wahrnehmen-Wollen oder ein freundlich gemeintes Ausblenden der Andersheit des Fremden, ein »Gleichmachen«, sind Verhaltensweisen, die zum Ethos einer Kultur beitragen. Zum Ethos der Indianer, wie sie in der eingangs zitierten Episode konstruiert werden, die von dem Sioux Arzt Charles Eastman 1911 in seinem Buch The Soul of the Indian erzählt wird, gehört es, den religiösen Erzählungen anderer Kulturen mit Höflichkeit zu begegnen, während der Missionar in dieser Geschichte einen aggressiven, eurozentrisch-christlichen Alleinanspruch auf die »heilige Wahrheit« erhebt, die die Erzählungen der anderen nur als »Märchen und verlogenes Zeug« wahrzunehmen vermag. Ich möchte damit nicht einer romantischen Verherrlichung indianischer Kultur und einer undifferenzierten Verurteilung christlicher Mission Vorschub leisten, sondern diese Erzählung als Erzählung nutzen, um die Ausgangsthese einer Ethik der Interpretation zu verdeutlichen: Die Rezeption der Äußerung eines Anderen ist nicht nur ein hermeneutisches, sondern immer auch ein ethisches Problem. Eastmans Erzählung macht augenfällig, dass Hermeneutik und Vermittlung Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn 1 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 48 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 49 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn wir uns in der Rezeption von Äußerungen Anderer diesen Anderen gegenüber verhalten. Biblische Exegese hat es mit der Rezeption der schriftlichen Äußerungen anderer zu tun, die uns fremd sind. Sie teilen nicht unsere Lebens-, Fühl- und Denkgewohnheiten. Sie gehören zu einer Welt, die nicht die unsere ist. Aber wie verhalten wir uns zu diesen Äußerungen? Das Verhalten des beleidigten Missionars kann uns kein Vorbild sein. Aber wie steht es mit der Höflichkeit der Indianer? So mancher Lehrer und so manche Pastorin wäre wohl froh, wenn die Schülerinnen bzw. die Konfirmanden den biblischen Texten zumindest mit der aufmerksamen Höflichkeit der Indianer begegnen würden, von denen Eastman erzählt. Die Sympathielenkung dieser Erzählung will uns auf ihre Haltung einstimmen, aber führt sie nicht in ein gleich-gültiges anything goes, das erst gar nicht bereit ist, sich mit dem Anderen ernsthaft und leidenschaftlich auseinander zu setzen, seine Fremdheit überhaupt erst einmal als solche wahrzunehmen und gelten zu lassen? Die Frage nach dem Umgang mit dem Fremden ist eine der wichtigsten Fragen für unsere plurale Gesellschaft, eine Frage, deren Dringlichkeit durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA und deren politische und gesellschaftliche Folgen nochmals gestiegen ist. Laurence L. Welborn hat sich mit der Veränderung der hermeneutischen Situation der Bibelwissenschaften in den USA durch die Ereignisse vom 11.9.2001 im letzten Heft der ZNT eindringlich auseinander gesetzt und wichtige Anstöße für die Bibelwissenschaften gegeben. Ich unterstütze seine Forderung einer ethischen Reflexion der exegetischen Arbeit in der Überzeugung, dass verschiedene Bibelinterpretationen nicht nur auf verschiedenen Hermeneutiken und Interpretationsmethoden beruhen, sondern ebenso auf verschiedenen Lektürehaltungen, die einen jeweils anderen Umgang mit dem Fremden implizieren und einüben. Ich teile mit ihm das Anliegen, die Bibelwissenschaftler und Bibelwissenschaftlerinnen zu konkreterer Wahrnehmung ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung aufzurufen. Seine Kanonkritik und seine Ersetzung christlicher Theologie durch eine historische Religionswissenschaft weise ich bei aller Sympathie für das irenische Ziel eines ökumenischen Dialogs der Religionen zurück. Ich schlage im Folgenden auch andere Kriterien für eine ethisch verantwortete Exegese als Welborn vor, die der semiotischen Theorie Charles Sanders Peirces wesentliche Impulse verdankt, denn ich glaube nicht, dass die Suche nach dem Gemeinsamen aller Religionen die Probleme ihrer koexistenten Wahrheitsansprüche zu lösen vermag, zumal sich die anderen »Religionen» nicht als »Religionen« verstehen, sondern bereits »der Religionsbegriff ein Konstrukt mitteleuropäischer Geistesgeschichte ist, der sich so in anderen ›Religionen‹ nicht »Die Rezeption der Äußerung eines Anderen ist nicht nur ein hermeneutisches, sondern immer auch ein ethisches Problem« Stefan Alkier Prof. Dr. Stefan Alkier, Jahrgang 1961, Studium der Evangelischen Theologie in Münster, Bonn und Hamburg. Promotion 1993 in Bonn, Habilitation 1999 in Hamburg. 1993-1999 Wiss. Assistent für Neues Testament in Hamburg. Von 2000-2001 Vertretungsprofessur für Bibelwissenschaften an der Universität Gesamthochschule Kassel. Seit 2001 Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Wunder, Paulus, Synoptiker, Hermeneutik und Methodologie, Forschungsgeschichte und Rezeption des Neuen Testaments in Videoclips und Film. Weitere Informationen unter: www.evtheol.uni-frankfurt.de. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 49 50 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Hermeneutik und Vermittlung findet.« 3 Ich behaupte, dass die politische Verantwortung der Bibelwissenschaften zunächst einmal darin besteht, ihr genuines Tun, das heißt, die Lektüre und Interpretation von vorgegebenen Texten auf ihre gesellschaftspolitischen Implikationen und Bedingungen hin zu befragen. Ich bin davon überzeugt, dass in diesem Tun unter den Bedingungen der pluralistischen Gegenwart ein wegweisendes Potential einer Lebenshaltung steckt, die Fremdes als Fremdes und Anderes wahrzunehmen in der Lage ist, ohne die eigene Identität zu verlieren. Wer den Anderen aber wahrnimmt, wird sich seiner Leiden nicht verschließen können. Wer den Fremden sieht, wird sich auch für ein gerechtes Miteinander einsetzen, ohne die eigenen Überzeugungen vorschnell preiszugeben bzw. ohne den Fremden zu zwingen, Gott und die Welt genauso zu sehen, wie man selbst. Ethisch verantwortetes Lesen ist eine Schule für ein Leben mit der Fremdheit der Anderen. Diese ethische Frage der Bibellektüre als Frage nach dem Verhalten zu der Äußerung eines Anderen möchte ich in dreierlei Hinsichten stellen, die miteinander zusammenhängen und jeweils auch auf die politische Dimension der Bibelwissenschaften verweisen. 1. Ich verhalte mich zum biblischen Text als der Äußerung eines Anderen. 2. Ich verhalte mich zur Interpretation anderer Bibelleserinnen und -leser - z.B. Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Studierende, Gemeindeglieder - als der Äußerung von Anderen. 3. Ich verhalte mich zur Gesellschaft, der ich meine Interpretation als für sie relevanten Beitrag anbiete im Wissen um die Andersheit der Äußerung Anderer über denselben Gegenstand. 1. Ich verhalte mich zum Text als der Äußerung eines Anderen - oder: ethische Probleme der Lektüre biblischer Texte Die Neutestamentlerin Silvia Pellegrini konstatiert in ihrer lehrreichen Dissertation, Elija - Wegbereiter des Gottessohnes. Eine Textsemiotische Untersuchung im Markusevangelium, die Entdeckung des Lesers als neues hermeneutisches Paradigma in mehreren methodischen Neuansätzen, die sie kenntnisreich zu differenzieren vermag. Ihre auf den semiotischen Arbeiten Umberto Ecos basierenden Einsichten kritisieren den Reader Response Criticism, da dieser einseitig die Subjektivität des Lesers berücksichtige, während die Textintention nicht wahrgenommen würde. Sie fordert mit Husserls Begriff der epoché die Einklammerung der Fragen und Interessen der Leser, um deren Wünsche nicht mit der Textintention zu vermischen. 4 Wiederum in Anlehnung an Eco unterscheidet sie Interpretation und Gebrauch von Texten und nimmt für ihren eigenen textsemiotischen Ansatz in Anspruch, ein die Textintentionalität angemessen berücksichtigender Interpretationsansatz zu sein, während Reader Response Criticism den Text nicht interpretiere, sondern gebrauche. Auch die historischkritische Exegese interpretiere den Text nicht, sondern gebrauche ihn als Datenquelle zur Rekonstruktion von etwas, was der Textintention nicht entspreche. Über den Reader Response Criticism weit hinausgehend fordert der New Yorker Neutestamentler Vincent Wimbush, nicht länger den Bibeltext als primären Gegenstand der neutestamentlichen Wissenschaft in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, sondern seine Lektüren. Wimbush forderte auf einer Tagung in Arnoldshain 5 im Oktober 2001: »Die übergeordnete auslegerische Aufgabe des Bibelwissenschaftlers sollte dann sein, die geschichtlichen gesellschaftlichen Bildungen, gesellschaftlichen Kräfte und ihre Entwicklungen zu erklären [...]. Es muß nicht nur eine Erklärung dafür geben, wie und warum ein Kollektiv mythische Geschichten erfindet oder umarmt und tradiert, die in für heilig gehaltene Texte verwandelt wurden. Es muß auch eine Erklärung für die weitgehend anerkannten, wenn nicht immer offiziell sanktionierten Zugänge zu oder Typen der Beschäftigung mit solchen mythischen Geschichten als Texte geben.« Wimbush ist ein Hauptvertreter des in den USA weit verbreiteten Ansatzes des Post Colonial Criticism, der sich als eine radikale Überbietung des befreiungstheologischen und feministischen Ansatzes inszeniert. Er übernimmt aus der Befreiungstheologie und der daran orientierten feministischen Exegese die Kritik an jedem Ansatz, der 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 50 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 51 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn die Unparteilichkeit des Wissenschaftlers proklamiert und fordert mit ihnen die Parteilichkeit der Exegese. Der befreiungstheologischfeministischen Exegese wirft er allerdings vor, in Folge ihrer Orientierung am biblischen Text letztlich ein elitäres Spiel zu unterstützen und damit mit den von ihnen kritisierten Ansätzen viel mehr gemein zu haben, als es ihnen bewusst sei. Wirklich gesellschaftsverändernde Kraft, die das Erbe des Kolonialismus überwinde, hätten diese elitär textfetischistischen Ansätze nicht. Auch sie seien wie die traditionelle historische Kritik »in Wirklichkeit [...] Dienstleistung und Unterstützung für die Tagesordnung der dominanten kirchlichen und akademischen Institutionen des Westens [...] mit ihrer gewichtigen Investition in die Interpretation biblischer Texte als Selbstbespiegelung und Selbstrechtfertigung, ja sogar als Vergöttlichung. Bibelwissenschaftler sind über weite Strecken weniger distanzierte objektive Kritiker, was viele von ihnen behaupten, als vielmehr eine bestimmte Unterkategorie von fundamentalistischen Stammestheologen.« Sieht man einmal von der verbalen Polemik Wimbushs ab, so stellt sein radikaler, wissenschaftlich kohärent und argumentativ vorgetragener Post Colonial Criticism eine Frage, deren Beantwortung die ethische Dimension jeder Bibellektüre aufscheinen lässt: Warum soll der Bibeltext um seiner selbst willen wahrgenommen werden? Wimbushs Interesse ist es, die Ressourcen der universitären Bibelwissenschaften nicht länger der Philologie, sondern dem Einsatz für eine gerechtere Welt zur Verfügung zu stellen, die den Kolonialismus nicht nur ideologisch, sondern praktisch und politisch hinter sich gelassen hat. Seine Anfrage stellt die exegetische Zunft vor die Notwendigkeit, ihr Tun ethisch zu reflektieren. Aber auch Pellegrinis Plädoyer für eine Textsemiotik im Gefolge der Semiotik Umberto Ecos arbeitet mit ethischen Überzeugungen, wenn sie feststellt: »Der ›Streit um die Interpretationen‹ besteht darin, ob man einverstanden ist, dass eine Interpretation nach der Intention des Textes streben soll oder nicht. Ich sehe keinen anderen Weg, als die Texte als Zeichen ernst zu nehmen«. 6 »Es ist die Entscheidung, sich auf den Text einzulassen«. 7 Die Entscheidung, sich auf den Text einzulassen, kann letztlich aber nicht methodisch, sondern nur ethisch begründet werden. Die Alternative zur regelgeleiteten Position der Textsemiotik kann mit einem Aphorismus von Novalis benannt werden: »Lesen ist eine freye Operation. Wie ich und was ich lesen soll, kann mir keiner vorschreiben.« 8 Und die ethische Forderung Wimbushs verlangt gerade, sich nicht länger auf den Text, sondern auf die Lebensbedürfnisse, genauer: auf die Überlebensbedürfnisse der unter den Folgen der Kolonialisierung leidenden Menschen einzulassen. Gibt es eine ethische Begründung dafür, sich im Sinne der Textsemiotik auf den Text einzulassen? Ich bejahe diese Frage in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen dem unmittelbaren und dem dynamischen Objekt des Zeichenbegriffs Charles Sanders Peirces. 9 Das Zeichen repräsentiert das Objekt in einer Hinsicht. Dieses in der Zeichentriade durch die Auswahl einer Hinsicht repräsentierte Objekt nennt Peirce das unmittelbare Objekt. Das unmittelbare Objekt hat seinen Ort innerhalb der Zeichentriade und zwar nur innerhalb dieser Triade. Das dynamische Objekt hingegen ist das Objekt, das die Erzeugung eines Zeichens motiviert und von dem das unmittelbare Objekt nur eine Hinsicht darstellt. Hin und wieder nennt Peirce es auch das reale Objekt. Dabei versteht er real im Sinne einer Wirkung. Er stellt aber folgendes klar: »[...] das Dynamische oder Echte Objekt. Es ist irreführend, es reales Objekt zu nennen, denn es kann irreal sein. Dies ist das Objekt, das das Zeichen wahrhaft bestimmt. Doch es wäre falsch anzunehmen, ein fiktives Objekt könne keine reale Wirkung hervorrufen.« Die Differenzierung zwischen dem dynamischen und dem unmittelbaren Objekt vermag zum einen die unbegrenzte Hervorbringung neuer Zeichen zu erklären, den Akt unbegrenzter Semiose, zum anderen führt sie aber auch »Die Entscheidung, sich auf den Text einzulassen, kann letztlich aber nicht methodisch, sondern nur ethisch begründet werden« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 51 52 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Hermeneutik und Vermittlung ein regulatives Prinzip in den Akt der Interpretation ein, da die Motivation aller Interpretation in diesem semiotischen Modell die Idee des dynamischen Objekts ist. Auf diesem Hintergrund formuliere ich ein erstes Kriterium einer Ethik der Interpretation, das ich Realitätskriterium nennen möchte: Eine Interpretation ist gut, wenn sie danach strebt, den Interpretationsgegenstand als real vorgegebenes Anderes, vom Ausleger Unterschiedenes in gewisser Hinsicht darzustellen, und diesem Anderen mit Respekt gegenübertritt. Die von einer textorientierten Bibelexegese angestrebte Lektürehaltung ist der Respekt vor dem anderen, vor der Vorgegebenheit des Anderen. Abgewiesen werden deshalb solche Lektürehaltungen, die dem Fremden mit einer gleichgültigen Beliebigkeit gegenübertreten und damit ihr Desinteresse am Fremden bekunden und ihm eine Absage am gemeinsamen Leben erteilen. Gleichermaßen abgewiesen wird eine Lektürehaltung, die das Fremde des Anderen ausblendet, entweder das Fremde sich so zurechtmacht, dass es zum eigenen wird, oder aber sich selbst so zurecht zu machen versucht, dass es dem Fremden blindlings folgt. Mit diesem Plädoyer für eine textorientierte Bibelexegese ist dem Anliegen des Post Colonial Criticism aber keine generelle Abfuhr zu erteilen. Vielmehr meine ich, dass Wimbush eine unnötige und irreführende Alternative aufbaut. Im Interesse an einer gerechteren Welt ist es förderlich, die Rezeptionsgeschichte heiliger Texte danach zu befragen, welche Interpretationen zu Unterdrückung und Gewalt und welche zur Befreiung davon beigetragen haben. Aber das zu Recht eingeforderte und stark vernachlässigte Wahrnehmen der Rezeptionsgeschichte der Heiligen Schriften verlangt es nicht, sie nicht mehr selbst als real vorgegebenes Anderes in den Blick zu nehmen. Schließlich ist sowohl für die Interpretation der biblischen Texte als auch für die Interpretation ihrer Interpretationen dieselbe Lektürehaltung einzunehmen, die den Respekt vor dem Anderen im Akt der Interpretation einübt und bereits dadurch einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leistet. Aber auch die von Eco eingebrachte Unterscheidung zwischen interpretieren und gebrauchen, mit der Pellegrini der historischen Kritik und dem Reader Response Criticism gleichermaßen abspricht, Interpretationen des Textes zu sein, führt in die Irre, denn es gibt keine tragfähigen Kriterien dafür, bis wohin etwas als Interpretation und ab wann es als Gebrauch gelten soll. Die Anfrage an jede Interpretation muss lauten, ob sie die Realität des Interpretationsgegenstandes als vorgegebene Realität angemessen und respektvoll in den Blick nimmt und ob der gewählte Aspekt, den die Interpretation herausarbeitet, tatsächlich ein Aspekt des realen Objekts darstellt. Historische Kritik wie auch Reader Response Criticism müssen die Texthaftigkeit der Biblischen Schriften beachten und ihr mit Respekt gegenübertreten, dann können sie im Rahmen ihrer methodischen Ansätze ihren Erkenntnisinteressen nachgehen und sich darum Bemühen, das dynamische Objekt in den von ihrem methodischen Ansatz anvisierten Hinsichten darzustellen. Das Realitätskriterium verlangt jedem methodischen Ansatz ab, sich mit der Realität des Untersuchungsgegenstandes zu befassen, sich respektvoll auf ihn einzulassen und danach zu streben, einen Aspekt des dynamischen Objekts durch die Interpretation darzustellen. Gelingt ihr das, so handelt es sich um eine wahre Interpretation, wohlgemerkt: um EINE wahre Interpretation. Die Unterscheidung zwischen dem dynamischen und dem unmittelbaren Objekt erlaubt es, Wahrheit im Plural zu denken, ohne eine gleich-gültige, subjektivistische Beliebigkeit der Interpretation zu propagieren. 2. Ich verhalte mich zur Interpretation anderer Bibelleserinnen und -leser - oder: ethische Aspekte des Konflikts der Interpretationen Mit der ethischen Entscheidung für eine Text- »Die von einer textorientierten Bibelexegese angestrebte Lektürehaltung ist der Respekt vor dem Anderen, vor der Vorgegebenheit des Anderen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 52 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 53 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn theorie, die den Text respektvoll als Äußerung eines Anderen wahrnehmen möchte, ist noch nicht darüber entschieden, wie mit der Vielfalt von Interpretationen umzugehen ist. Die zunehmende Bereitschaft unter den Bibelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern eine Methodenvielfalt zuzulassen, hat zur Konsequenz, die Adäquatheit einer Interpretation an der korrekten Durchführung der methodischen Vorgaben zu messen. Das Bekenntnis zum Pluralismus reicht aber nicht aus. Nicht jede Bibellektüre kann von einer ethisch reflektierten Bibelwissenschaft akzeptiert werden. Ich erinnere noch einmal daran, dass Sklaverei, Apartheid und die Unterdrückung von Frauen mit Hilfe von Bibellektüren ideologisch begründet wurden und werden. Aus textsemiotischer Sicht ist der Sinn eines Textes weder vorgegeben noch beliebig. Er ist ein Produkt der jeweiligen Lektüre, die wiederum eine Interaktion von vorgegebenen Textstrategien und ihrer Aktualisierungen durch konkrete Leser- oder Leserinnen in ihren jeweiligen Kontexten darstellt. Damit ist die Vielfalt möglicher Lektüren durch eine Theorie der Zeichen begründet aber auch eine Kritik an Lektüren möglich, die einen Alleinanspruch für sich erheben oder aber von den Textzeichen so weit abweichen, dass sie nicht mehr als Lektüren eines konkreten Textes sichtbar werden. Ein zweites Kriterium einer Ethik der Interpretation, das ich Sozietätskriterium nennen möchte, kann dabei als Leitfaden für den Umgang mit anderen Interpretationen desselben Gegenstandes dienen: Eine Interpretation ist gut, wenn sie sich als ein Beitrag zu einer gemeinschaftlichen Wahrheitssuche versteht, und andere Interpretationen, auch wenn sie inhaltlich nicht geteilt werden, als Beitrag zu dieser vom dynamischen Objekt motivierten Wahrheitssuche respektiert. Auch hier sei noch einmal betont: Der Plural möglicher, wahrer Interpretationen meint keine gleich-gültige Beliebigkeit. Angestrebt wird im Umgang mit anderen Interpretationen nicht die die gemeinsame Wahrheitssuche unterlaufende Haltung eines »Das ist meine Wahrheit und das eben Deine«. Diese Haltung fördert nicht die gemeinsame Erschließung von Welt, sondern führt konfliktscheu zum vorzeitigen Abbruch eines Dialogs. Sie missachtet nicht nur die reale Vorgegebenheit des Auslegungsgegenstandes, sondern ebenso die von ihm motivierte Wahrheitssuche der anderen Ausleger und Auslegerinnen. Erst der Respekt vor der realen Vorgegebenheit des Interpretationsgegenstandes und der Respekt vor der Wahrheitssuche der Anderen führt zu einem echten Interesse an der Interpretation der Anderen. Dieses Interesse besteht dann nicht mehr darin, die eigene Interpretation als die einzig angemessene, originellste, geistreichste oder politisch korrekteste vor allen anderen zu behaupten. Vielmehr geht es dann darum, die Interpretation des Anderen darauf hin zu befragen, ob hier ein Aspekt des dynamischen Objekts dargestellt werden konnte und dadurch die eigene Interpretation gefördert wird, sei es, dass sie vertieft, erweitert oder auch falsifiziert wird. Gemeinsam lernen. Zu dieser Haltung ruft das Sozietätskriterium auf; und ich meine, dass das ein schützenswerter gemeinsamer Grundgedanke der Institutionen Universität, Kirche und Schule darstellt, mit dem sie unsere Gesellschaft bereichern. Die ethische Frage der Bibelinterpretation stellt sich dabei nicht nur im Umgang mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Exegese, sondern auch im Umgang mit der Lektüre von Gemeindegliedern und im Umgang mit der Lektüre von Schülerinnen und Schülern. Diesen Punkt hebt Daniel Patte in seinem Buch Ethics of Biblical Interpretation hervor. 10 Patte macht darauf aufmerksam, dass die professionelle Bibelwissenschaft die Lektüre von Laien fördern und nicht im Keim ersticken soll. Nur wenn die professionelle Bibellektüre sich nicht hierarchisch über die »Der Plural möglicher, wahrer Interpretationen meint keine gleich-gültige Beliebigkeit. Angestrebt wird im Umgang mit anderen Interpretationen nicht die die gemeinsame Wahrheitssuche unterlaufende Haltung eines ›Das ist meine Wahrheit und das eben Deine‹« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 53 54 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Hermeneutik und Vermittlung der Laien erhebt, kann sie mit ihren Einsichten deren Lektüre fördern. Das kann aber keine Einbahnstraße sein, denn wenn der Leserpol des rezeptionsästhetischen Interaktionsmodells von Text und Leser angemessen berücksichtigt wird, so wird auch die Lektüre von Laien bei einem professionellen Bibelleser Interesse wecken, da sie aus ihrer je eigenen Perspektive ebenso mögliche Lesarten erzeugen können. Unter diesem Gesichtspunkt kommt dem Anliegen des Post Colonial Criticism, die Lektüren der Unterdrückten wissenschaftlich zu untersuchen, auch aus textsemiotischer Sicht Plausibilität zu, wenn es nicht verabsolutiert wird. 3. Ich verhalte mich zur Gesellschaft - oder: ethische Aspekte der gesellschaftspolitischen Relevanz der Bibelwissenschaften Ergebnisse der Bibelinterpretation dürfen nicht als kontextlose und wertfreie Wahrheit dargestellt und der Öffentlichkeit präsentiert werden, sondern als mögliche, unter hermeneutischen Prämissen und methodischen Vorgaben erarbeitete Beiträge einer gemeinsamen Erschließung von Welt, die als solche in ein Gespräch mit anderen Auslegungen einzutreten in der Lage und willens sind. Darauf zielt mein drittes Kriterium einer ethisch verantworteten Interpretation, das Kontextualitätskriterium: Eine Interpretation ist gut, wenn sie ihre kulturelle und das heißt auch ihre politische Verortung offen legt und sich als ein Beitrag zur kommunikativen Erschließung der Welt präsentiert. Elisabeth Schüssler Fiorenza forderte zu Recht die Bibelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in ihrer 1987 gehaltenen Präsidentschaftsrede der Society of Biblical Literature mit dem Titel The Ethics of Interpretation: De-Centering Biblical Scholarship 11 und dann in ihrer 1999 erschienenen Monographie, The Politics of Biblical Studies, dazu auf, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und zu praktizieren. Für eine Ethik der Bibelwissenschaften von besonderem Interesse ist ihre Forderung, nicht nur die gewählte Hermeneutik und die Methode der Untersuchung offen zu legen, sondern ebenso die Standortgebundenheit des Auslegers bzw. der Auslegerin, also Geschlecht, kulturelle Prägung und soziale Situierung kenntlich zu machen. Insbesondere fordert sie zu Recht, die Absicht der jeweiligen bibelwissenschaftlichen Untersuchung nicht nur im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand, sondern auch hinsichtlich der gewünschten gesellschaftlichen Wirkung offen zu legen: Was möchte ich bewirken? Den Vertretern und Vertreterinnen einer gewünschten Interesselosigkeit von Wissenschaft, einer für sich selbst reklamierten Unparteilichkeit ist daher entgegenzuhalten: Wer nichts bewirken möchte, will auch nichts ändern und will implizit, das alles bleibt wie es ist. Hinsichtlich der Positionierung des Bibelwissenschaftlers bzw. der Bibelwissenschaftlerin sind veränderbare von unveränderbaren Aspekten zu unterscheiden. Biologische Dispositionen sowie die soziale und kulturelle Herkunft sind nicht veränderbar, Hermeneutik und Methode sowie der Untersuchungsgegenstand und die jeweilige Fragestellung hingegen unterliegen einer Wahl. Während die unveränderbaren Aspekte der Position der Ausleger und Auslegerinnen unter Berücksichtigung der notwendigen Interaktion von Text und Leser die Unhintergehbarkeit einer Vielfalt von Lektüren unterstreicht, verweist die Wahlmöglichkeit auf den ideologischen Aspekt jeder Bibelinterpretation. Ich lese als westeuropäischer Mann, aufgewachsen in einer Zechensiedlung im Ruhrgebiet, aber ich habe als erwachsener, mündiger Mensch die Möglichkeit, andere Kulturen kennen zu lernen, von anderen zu lernen und ich habe die Wahl zwischen verschiedenen Untersuchungsgegenständen, Fragestellungen und Frageabsichten. Da unveränderbare und veränderbare Aspekte die Position des Auslegers gleicher- »Da unveränderbare und veränderbare Aspekte die Position des Auslegers gleichermaßen bedingen, ist hier weder einer Determination der Auslegung noch einer absoluten Autonomie der Forscherinnen und Forscher das Wort zu reden« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 54 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 55 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn maßen bedingen, ist hier weder einer Determination der Auslegung noch einer absoluten Autonomie der Forscherinnen und Forscher das Wort zu reden. Die unveränderbaren Aspekte machen es zur ethischen Pflicht, die eigene Perspektive als eine unter anderen wahrzunehmen und einzubringen. Die Möglichkeit der Wahl macht es zur Pflicht, die gewählte Hermeneutik, Methodik, Thematik und Fragestellung auf ihre gesellschaftliche Wirkung hin zu befragen. Dabei vermeidet die Rückbindung an das Realitätskriterium, die Bibelinterpretation in political correctness erstarren zu lassen. 4. Konsequenzen für die exegetische Praxis Die Beachtung der drei Kriterien - Realitätskriterium, Sozietätskriterium, Kontextualitätskriterium - führt zu einem ethisch verantworteten Umgang mit Texten. Sie zielen auf eine exegetische Praxis, die sich an der Beschaffenheit ihres Untersuchungsgegenstandes orientiert und die formalen und gesellschaftlichen unhintergehbaren Bedingungen seiner Wahrnehmung berücksichtigt. Welche konkreten Folgen hat das aber für die exegetische Praxis? Ich möchte zumindest drei Konsequenzen benennen, um das bisher Entwickelte zu konkretisieren: 1. Die exegetische Praxis kann nicht länger nach dem einen wahren Textsinn suchen, sondern muss von einer prinzipiellen Pluralität möglicher Textsinne ausgehen. 2. Die exegetische Praxis muss die gesellschaftspolitische Wirkung ihrer gewählten Fragestellung und der verwendeten Formulierungen verantworten. 3. Die exegetische Praxis muss die ideologische Kraft der Texte - die Gewalt der Zeichen - in Rechnung stellen: Es gibt keine unschuldigen Zeichen. Ad 1: Das Realitätskriterium hält dazu an, sich mit der tatsächlichen Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstandes zu befassen. Der Untersuchungsgegenstand der Exegese ist ein Text. Texte sind zusammengewobene Zeichenketten. 12 Die Lektüre produziert einen Textsinn, wenn sie den Aufbau der Zeichen als stimmig konstruieren kann (Syntagmatik), die Bedeutung der einzelnen Zeichen diesem Aufbau zuordnen kann (Semantik) und ein Bezug zwischen Text und Leser oder Leserin entsteht (Pragmatik). Die Lektüre produziert jeweils unterschiedliche Sinne, je nachdem, wie sie einen Text gliedert und die einzelnen Zeichen aufeinander bezieht (Syntagmatik), welche Bedeutungseigenschaften eines Zeichens aktualisiert bzw. narkotisiert werden (Semantik) und wie sich die Leser in den Text einschreiben bzw. einschreiben lassen (Pragmatik). Das sind die Grundbedingungen jeder gelingenden Lektüre. Aufgrund dieser formalen Bedingungen schriftlicher Zeichen, sind Texte mehrdeutig. Eine exegetische Praxis, die sich der unhintergehbaren Mehrdeutigkeit von Zeichen bewusst ist, kann nicht mehr in einer Lektürehaltung vollzogen werden, die nach der Eindeutigkeit eines Textes sucht und die Plausibilität der eigenen Interpretation mit dem einen wiedergefundenen wahren Sinn des Textes verwechselt. Die Lektürehaltung der ersehnten Eindeutigkeit führt zu den Unterrichts»gesprächen«, die die Schülerinnnen und Schüler bzw. die Studierenden nicht mehr in den Text schauen lässt und sie als eigene Leser ernst nimmt, sondern sie zum Erraten der Interpretation des Lehrers bzw. der Dozentin degradiert, wie es Hans Magnus Enzensberger so köstlich in seinem Essay »Bescheidener Vorschlag zum Schutze der Jugend vor den Erzeugnissen der Poesie« 13 karikiert hat. Diese Leserbzw. Lehrerhaltung widerspricht auch dem Sozietätskriterium. Entgegen Enzensberger heißt die Alternative »Die exegetische Praxis kann nicht länger nach dem einen wahren Textsinn suchen, sondern muss von einer prinzipiellen Pluralität möglicher Textsinne ausgehen« »Die exegetische Praxis muss die ideologische Kraft der Texte - die Gewalt der Zeichen - in Rechnung stellen: es gibt keine unschuldigen Zeichen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 55 56 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Hermeneutik und Vermittlung dazu aber nicht, die Beliebigkeit und völlige Willkür der Lesenden anzustreben, denn auch davor schützt das Realitätskriterium, das ja die Berücksichtigung der realen Vorgegebenheit des Textes und damit die Differenz zwischen dem Gelesenen und dem Leser anmahnt. Die Akzeptanz der Mehrdeutigkeit der Zeichen bei gleichzeitiger Ablehnung einer gleichgültigen Beliebigkeit fördert die Lektüre- und Lebenshaltung eines qualifizierten Pluralismus. Damit wird zugleich jeder Fundamentalismus begründet abgelehnt. Die Wahrheit auch der heiligen Texte besteht nicht in ihrer Eindeutigkeit. Die Texte sind reicher als nur eine ihrer Lesarten. Ein qualifizierter Pluralismus des Sinns eröffnet Lese- und Lebensräume, in der vieles, aber nicht alles Platz findet. Das hat auch didaktische Konsequenzen. In der Unterrichtssituation muss ich damit rechnen, dass die von mir eingebrachte Interpretation nicht die einzig mögliche ist. Andere Lesarten können eine andere Plausibilität entfalten, die ebenso - aber auf andere Weise - die reale Vorgegebenheit der Textzeichen zu berücksichtigen wissen. Aber nicht jeder Interpretation kommt gleichermaßen Plausibilität zu. Die Interpretation muss in sich stimmig sein und in der Interaktion mit dem auszulegenden Text ein kohärentes Gebilde ergeben. Je stärker die syntagmatischen, die semantischen und die pragmatischen Zeichenbeziehungen ineinander greifen, desto plausibler wird eine Interpretation. Ich kann also nicht mehr nur darauf achten, ob meine Interpretation von den Beiträgen der Schülerinnen oder Seminarteilnehmer getroffen wird, sondern ich muss darauf achten lernen, ob die Argumentation der Anderen schlüssig ist. Ich weiß auch nicht, wie viele mögliche Interpretationen es von einem Text gibt, aber es ist sicher mehr als eine und es sind sicher weniger als alle. Die Lesenden lernen in der Einübung einer Lektürehaltung des qualifizierten Pluralismus, entsprechend dem Realitätskriterium die reale Vorgegebenheit des Textes und seiner vielfältigen Möglichkeiten wahrzunehmen und gemäß dem Sozietätskriterium sich selbst und auch die Anderen als Leser wertzuschätzen, Differenzen, Widersprüche und Spannungen fragend und suchend auszuhalten und im Dialog die Tragfähigkeit des selbst Gedachten kritisch am Text und durch die Äußerungen der Anderen zu überprüfen. Diese Lektürehaltung übt die Akzeptanz und das Aushalten verschiedener Plausibilitätsstrukturen innerhalb einer Gesellschaft zur gleichen Zeit ein, ohne den eigenen Standpunkt vorschnell aufzugeben und erfüllt damit auch das dritte Kriterium, nämlich das Kontextualitätskriterium. Sie führt zudem zu einem echten Interesse am Anderen, denn seine Äußerungen könnten meine Sicht bereichern, unterstützen oder falsifizieren. Diese Lesehaltung als Lebenshaltung führt zu einem echten Dialog der verschiedenen Sichtweisen, in dem es wirklich um etwas geht, weil sein Ausgang wahrhaft offen ist. Ad 2: Die Wahl des Themas der exegetischen Untersuchung und ihre Formulierungen müssen im Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen Wirkungen erarbeitet werden. Dazu hält vor allem das Kontextualitätskriterium, aber auch das Sozietätskriterium an. Um Missverständnissen vorzubeugen schicke ich gleich vorweg, dass die Themenwahl der Exegese sich nicht allein aus der Tagespolitik, den kirchlichen oder schulischen Erfordernissen ergeben kann, wenn sie diese Bedürfnisse auch stärker als bisher berücksichtigen sollte. Grundlagenforschung ist selten direkt »verwendbar«, aber unumgänglich, wenn eine Wissenschaft nachhaltige Forschungsergebnisse anstrebt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Textkritik, eine Spezialwissenschaft, die in jahrhundertelanger Forschung eines der nachhaltigsten Ergebnisse erreicht hat, die in den letzten Jahrzehnten auch einen ökumenischen Erfolg von kaum zu überschätzender Bedeutung erzielt hat: Aus der Vielzahl der Textzeugen wurde für das Neue Testament ein griechischer Text konstruiert, den nun nahezu alle christlichen Kirchen ihren Übersetzungen gleichermaßen zugrundelegen, nämlich der Nestle-Aland bzw. das Greek New Testament. Für das Alte Testament wird mit weiter Übereinstimmung die von der Deutschen Bibelgesellschaft herausgegebene Biblia Hebraica Stuttgartensia zur Grundlage der Übersetzung empfohlen. 14 Die überwiegende Menge an Einzeluntersuchungen, die zu diesem herausragenden praxisrele- 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 56 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 57 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn vanten Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit führte, ist für Laien nicht lesbar und selbst für Exegeten, die nicht selbst textkritisch forschen, oft schwere Kost. Das heißt, weder »Allgemeinverständlichkeit« noch »direkte Verwertbarkeit« kann ein ausschließliches Kriterium für die Themenwahl und die Darstellung wissenschaftlicher Exegese sein. Vielmehr muss die Frage lauten: Worauf zielt die Einzelforschung? Was soll gesellschaftlich erreicht werden? Wie soll sich die Welt verhalten, wenn die Forschungsergebnisse zustimmend rezipiert werden? Aber nicht nur das Thema und die Ergebnisse der Forschung, sondern auch ihre Darstellung ist ethisch relevant. Wenn vor noch gar nicht so langer Zeit die Forschung mit Blick auf die Untersuchung des Judentums zur Zeit Jesu vom »Spätjudentum« sprach, so war mit dieser Terminologie nicht nur ein Untersuchungsgegenstand markiert, sondern dem Judentum bzw. den Judentümern der Gegenwart wurde mit dieser Formulierung ihre Existenzberechtigung abgesprochen, ob das die einzelnen Forscher intendierten oder nicht! Worte und Redewendungen setzen Assoziationen frei und bewirken etwas. Im politischen Diskurs unserer Gegenwart können Formulierungen berechtigterweise zu Rücktrittsforderungen führen, wie es z.B. einst Bundestagspräsident Jenninger und jüngst die Justizministerin Däubler-Gmelin zu spüren bekamen. Es ist gleichermaßen gesellschaftlich nicht egal, wie die Wissenschaft ihre Ergebnisse formuliert. Wer einmal exegetische Arbeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus selbst heute noch unverzichtbarer Werke liest, und allein darauf achtet, wie der Terminus »Jude« bzw. »das Judentum« gebraucht wird, dem steigt zuweilen die Schamesröte über die eigene Zunft ins Gesicht. Seit dem 11.9.2001 stehen wir in der besonderen Pflicht darauf verstärkt zu achten, wie wir und wie in unseren Kirchen, Schulen, Vereinen, Stammtischen, Ladentheken etc. von »dem Islam« gesprochen wird! Aber nicht nur das Kontextualitätskriterium, sondern auch das Sozietätskriterium muss mit Blick auf die Darstellung in Forschung und Lehre beachtet werden. Eine Polemik in der Sache kann durch Zuspitzung Positionen klären. Sie darf aber nicht die Integrität des Anderen gefährden. Wissenschaftliche Diskussionen können so zum Vorbild für eine qualifizierte Streitkultur werden, die in der Sache klar und zuweilen auch scharf zu formulieren weiß, aber darum bemüht ist, nicht nur das eigene Gesicht, sondern auch das Antlitz des Anderen zu bewahren. Aber nicht nur die Terminologie und einzelne Redewendungen gilt es zu berücksichtigen. Vielmehr muss eine Schreibweise angestrebt werden, die der Differenziertheit und Mehrdeutigkeit des Untersuchungsgegenstandes angemessen ist. Auch in der Schreibweise gilt es, das Realitätskriterium zu beachten. Konkret: Weder in elementarisierenden Lehrbüchern dürfen Hypothesen als gesicherte Fakten verkauft werden noch in Feuilletons, Fernsehinterviews und Regenbogenpresse dürfen sich Bibelwissenschaftler dazu hergeben, den gesellschaftlich produzierten Bedürfnissen nach Simplifizierung und unsachgemäßer Ein- Deutigkeit nachzugeben. Und genauso wenig darf in der Schule und in der Gemeinde unter dem Stichwort »Elementarisierung« eine die Komplexität verfälschende Simplifizierung stattfinden. Kinder und Erwachsene müssen in unserer Gesellschaft lernen, mit Uneindeutigkeiten, Spannungen und Widersprüchen qualifiziert, kritisch und konstruktiv umzugehen, denn das Leben des Einzelnen wie das gesellschaftliche Leben im Ganzen sind davon durchzogen. Es ist niemandem damit geholfen, untragbare Eindeutigkeiten zu behaupten, die im Konfliktfall dann zu Ein- und Zusammenbrüchen führen. Das ist schwierig, aber möglich und vor allem realistisch und tragfähig! Gelingt es, die Komplexität der Forschung wie des Lebens auszuhalten, so führt das nicht nur zu einem realistischen Erkenntnisgewinn, sondern auch zur lustvollen und lebensqualitätssteigernden Bereicherung der eigenen Welt. Wir müssen in Forschung, Lehre und Alltagsleben mehr darauf achten, wie wir kommunizieren. Ad 3: Auch heilige Texte sind keine unschuldigen Zeichen. Sie bergen die Möglichkeit, mit ihrer Verwendung anderen Gewalt anzutun. Die katholische Kirche verwehrt bis auf den heutigen Tag unter Bezug auf biblische Texte Frauen den Zugang zum Priesteramt - ein 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 57 58 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Hermeneutik und Vermittlung skandalöser Beitrag zum theologischen Sexismus. Und auch in den protestantischen Landeskirchen fiel die letzte Bastion dieser gewaltvollen Bibelverwendung erst in jüngster Zeit. Mit Hilfe biblischer Texte werden Menschen, die einen anderen Menschen des gleichen Geschlechts lieben, bis auf den heutigen Tag diffamiert. Die blutige Geschichte der christlichen Judenverfolgung ist immer auch eine Geschichte der Rezeption biblischer Texte gewesen. Das Apartheidsregime Südafrikas legitimierte den Herrschaftsanspruch der »Weißen« über die »Schwarzen« unter Bezugnahme auf biblische Texte. Die Terroranschläge vom 11.9.2001 verdanken sich auch aus einer bestimmten Rezeption des Korans. Aber nicht nur diese offensichtliche Gewalt wird mit der Lektüre Heiliger Texte begründet. Vielfältige religiöse Psychosen werden durch die Lektüre Heiliger Texte erzeugt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Satz »Dein Glaube hat dir geholfen«, der im Zusammenhang neutestamentlicher Wundergeschichten begegnet, löst bei einem fundamentalistischen Frömmigkeitstyp nicht selten erhebliche psychische Konflikte aus, wenn schwere Krankheiten oder schwierige familiäre oder berufliche Probleme nicht gelöst werden. Zum Kummer der unheilbaren Krankheit kommt die selbstzerfleischende Angst hinzu, nicht »richtig« geglaubt zu haben und deswegen nicht gesund zu werden. Nicht selten wird in fundamentalistischen Gemeinschaften diese Angst sogar noch gefördert. Sicherlich wird man schnell dazu neigen, hier vom Missbrauch biblischer Texte zu reden. Aber die Möglichkeit solchen Missbrauchs verweist auf ein tieferliegendes semiotisches Problem: Jede Zeichenverwendung ist ideologisch, denn die Zeichen bewirken etwas, machen etwas mit dem Rezipienten. Der Zeichenverwender ist nicht einfach »Herr« über die Zeichen, er macht nicht nur etwas mit den Zeichen, sondern die Zeichen machen auch etwas mit ihm. Er ist auch subiectum im Sinne mittelalterlicher Grammatiktheorien, nämlichen den Zeichen unterworfen. Was für unsere Mediengesellschaft gilt, dass nämlich Meinungen, Stimmungen, Realitäten durch die Medien erzeugt werden, das gilt prinzipiell für alle Zeichen. Auch biblische Texte erzeugen Stimmungen, Meinungen und Realitäten. Gerade der Anspruch von Texten, »heilig« zu sein, ruft dazu auf, ihnen und ihrer Sicht von Gott und der Welt zuzustimmen und demgemäß zu leben und die Welt zu gestalten. Das ist der berechtigte Hintergrund von Welborns Kanonkritik, aber seine Kritik greift zu kurz, denn dieses ideologische Machtpotential kommt allen Texten zu. Der Kanon bietet gerade weil er selbst ein plurales Gebilde und voller Widersprüche ist, die Chance, mit Hilfe des kanonisierten Plurals, das ideologische Gewaltpotential einzelner Texte zu dekonstruieren. Der Kanon schützt die Christenheit vor gewaltvoller Eindeutigkeit, indem er den Plural der Texte und ihre Differenzen als unverzichtbare Grundlage des Glaubens bewahrt! Diese Pluralität des Kanons gilt es bei jeder Textauswahl zu berücksichtigen. Sie schützt vor ideologischer Ausschlachtung des Kanons, einer dogmatischen Belegstellenexegese, die einzelne Texte oder Textstellen zur Begründung der eigenen eindeutigen Position heranzieht. Die Pluralität des Kanons verpflichtet zur Sachkritik der einzelnen Texte und Textabschnitte! Sie erfordert die grundsätzliche Ablehnung ausschließlich identifikatorischer Lektürehaltungen. Ein Einverständnis mit dem Text kann es ethisch und kanontheologisch verantwortet nur nach einer kritischen, prüfenden Auslegung geben. Die Frage dabei muss lauten: Wie sieht Gott und die Welt aus, wenn ich ja zu diesem Text sage? Wie muss ich mich in der Welt und Anderen gegenüber verhalten, wenn ich ihm zustimme? Diese kritische Lektürehaltung kann sich ein paulinisches Motto zueigen machen: »Prüft Alles, behaltet das Gute! « l Anmerkungen 1 L.L. Welborn, Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand«. Reflexionen über die hermeneutische Aufgabe eines neutestamentlichen Historikers nach dem 11. September 2001, ZNT 10 (2002), 2-12. Meine Ausführungen gehen auf zwei Vorträge zurück. Den einen habe ich im Oktober 2001 an der Gesamthochschule Universität Kassel gehalten. Ich bedanke mich an dieser Stelle nochmals für die freundliche Einladung. Der andere Vortrag ist meine Antrittsvorlesung in Frankfurt 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 58 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 59 Stefan Alkier Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L.Welborn über das Thema »Ethik der Interpretation«, die ich am 18.4.2002 gehalten habe. Sie wird abgedruckt in dem Sammelband M.Witte (Hg.), Der eine Gott und die Welt der Religionen. Die semiotischen Termini, auf die ich weiter unten nicht verzichten konnte, ohne sie aber weiter zu thematisieren, habe ich in meiner oben genannten Antrittsvorlesung sowie in meiner Habilitationsschrift, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, WUNT 134, Tübingen 2001, erläutert. 2 Ch. Eastman, The Soul of the Indian, Houghton Mifflin 1911, 119f., zitiert nach V. Deloria Jr., Gott ist Rot. Eine indianische Provokation, München 1984, i.O., New York 1973. 3 Chr. Grundmann, Interreligiöser Dialog und Neues Testament - Eine Orientierung, ZNT 5 (Themenheft Interreligiöser Dialog) 2000, 5. 4 S. Pellegrini, Elija - Wegbereiter des Gottessohnes. Eine textsemiotische Untersuchung im Markusevangelium, Herders Biblische Studien 26, Freiburg u.a. 2000, 72f.: »Interpretieren bedeutet für den Ausleger, sich vom Text führen zu lassen [...]. Der Text hat seine ›Fragen‹ in sich (d.h. ungeklärte Punkte), aber der Leser auch seine ›Fragen‹, die sein ›Interesse‹ darstellen. In Anlehnung an Husserls Sprache könnte man sagen, dass der Leser eine ›Epoche‹ braucht, indem er seinen eigenen Fragen nicht nachgeht, sondern sie einklammert, und die Kooperationserwartung schrittweise erfüllt, die der MA (Modellautor, S.A.) mit seinem Text verband. Diese Intention ist zuerst eine orientierende Hypothese, ein pragmatisches Postulat, anhand dessen jemand akzeptiert, die Rolle des Lesers zu übernehmen. Es ist die Entscheidung, sich auf den Text einzulassen, aufgrund der ein Leser eine Hypothese über die Weltstrukturen (›congettura‹) wagt.« 5 »Schriftauslegung als gesellschaftsverändernde Kraft - Interpretation of Scriptures as Force of Social Change: Balance and Perspectives«. Internationales Symposion vom 19-21.10.2001 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain organisiert von Dieter Georgi, in Zusammenarbeit mit Lukas Bormann, Hermann Düringer, Angela Standhartinger. Die Zitate von Wimbush folgen einem Handout zu seinem Vortrag, das von Dieter Georgi übersetzt worden ist. Mittlerweile liegt von Lukas Bormann ein Aufsatz mit seinen Eindrücken zu dieser Konferenz vor: ders., Bibelauslegung als Kraft gesellschaftlicher Änderung, Informationes Theologiae Europae - Internationales ökumenisches Jahrbuch für Theologie 11 (2002), 159-169. 6 Pellegrini, a.a.O., 68. 7 Ebd., 73. 8 Novalis, Schriften 2. Das philosophische Werk I, hg. v. R. Samuel in Zusammenarbeit mit H.-J. Mähl und G. Schulz, 3., nach den Handschriften erg., erw. u. verb. Aufl., Darmstadt 1981, 609. 9 Seine dreistellige Zeichenrelation hat Peirce in verschiedener Hinsicht und unter Anwendung seiner Kategorienlehre ausdifferenziert. Vgl. dazu J.J. Liszka, A General Introduction to the Semeiotic of Charles Sanders Peirce, Bloomington 1996. 10 Vgl. dazu J.J. Liszka, a.a.O., 22 und die dazugehörige Anm. 8, 118f. 11 C.S. Peirce, Semiotische Schriften 3, hg. u. übers. v. C. Kloesel u. H. Pape, Frankfurt a.M. 1993, 218. Vgl. ebd., 359. 12 »Critical interpretation is a praxis that is intrinsically ethical, because from its starting point to its concluding point it is structured by concerns for others (and the Other). Consequently […] the otherness of ordinary readers and of their interpretations is not viewed as opposed to critical readings, and the relationship between critical and ordinary readers is no longer hierarchical.«, D. Patte, Ethics of Biblical Interpretation. A Reevaluation, Louisville, Kentucky 1995, 2. 13 JBL 107 (1988), 3-17. 14 Vgl. U. Eco, Lector in Fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, München / Wien 1987; S. Alkier, Hinrichtungen und Befreiungen: Wahn - Vision - Wirklichkeit in Apg 12. Skizzen eines semiotischen Lektüreverfahrens und seiner theoretischen Grundlagen, in: ders., Ralph Brucker (Hg.), Exegese und Methodendiskussion, TANZ 23, Tübingen / Basel 1998, 111- 133; S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, WUNT 134, Tübingen 2001. 15 In: ders., Mittelmaß und Wahn, Frankfurt a.M. 1988, 23-41. 16 Vgl. dazu S. Meurer (Hg.), Die Apokryphenfrage im ökumenischen Horizont, Bibel im Gespräch 3, 2.Aufl., Stuttgart 1993, 7f.. Darin abgedruckt: Richtlinien für die interkonfessionelle Zusammenarbeit bei der Bibelübersetzung, 149-159. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 59 60 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Buchreport Martin Stiewe / François Vouga Die Bergpredigt und ihre Rezeption als kurze Darstellung des Christentums (Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Bd. 2). Tübingen/ Basel: Francke-Verlag 2001, 294 S.; 29,- Euro, ISBN 3-7720-3152-8 Man nehme drei Kapitel aus dem vorderen Teil des Matthäusevangeliums, lasse sie vor knapp 16. Jahrhunderten Kirchengeschichte gut durchziehen, füge kirkegaardensisches Entweder- Oder, reformatorische Grundsatzdiskussionen, mittelalterliche Zweistufenethik, den christologischen Imperativ dialektischer Provenienz hinzu, aufbereitet vor jeder Menge zeitgeschichtlicher Quellen und reichere dies mit dem exegetischen Know- How aus der Betheler Hochschule an. Diese Mischung auf gut 290 Seiten gehen lassen, und am Ende kommt eine lesenswerte Neukonzeption zur Thematik der Bergpredigt heraus, geschrieben von dem Bielefelder Oberkirchenrat Martin Stiewe und dem Neutestamentler François Vouga von der Kirchlichen Hochschule Bethel. Der Titel, »Die Bergpredigt und ihre Rezeption als kurze Darstellung des Christentums«, ist dabei nur halbes Programm, denn der Ansatz des Buches ist weiter zu fassen. Es wird nicht nur der Frage nachgegangen, wie die Bergpredigt in der Theologiegeschichte gelesen worden ist, sondern - und hier liegt ebenso der Schwerpunkt des Buches - wie »die Bergpredigt als die programmatische Zusammenfassung einer befreienden und sinnvollen Nachricht« (Vorwort) für heutige Leser und Leserinnen gelesen werden kann. Mit dieser zweiten Fragehinsicht reihen sich die beiden Autoren in die Riege derer ein, die schon immer überzeugt waren und sind, dass die Bergpredigt ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Bibel ist, aber Vouga und Stiewe setzen einen eigenen Akzent bei der inhaltlichen Füllung dieser Überzeugung: Die Bergpredigt ist nicht im Sinne einer Ethik in nuce oder claritate zu verstehen, sondern »als klarer Indikativ der Verheißung und als Evangelium im paulinischen Sinne«(5). Dieser Indikativ wird von Vouga und Stiewe mittels des hermeneutischen Grundrefrains des »Geist[es] der Gabe und der Umsonstheit der Gnade Gottes« (107), der in verschiedenen Variationen (vgl. 17; 59; 64; 67; 84; 88, 90 u.ö.) immer wieder repetiert wird, ausgelotet. Unter Rekurs auf die Überlegungen Jacques T. Godbouts’ undAlain Caillés’ in ihrer Monographie »L’Esprit du don« ist die Rede des matthäischen Jesus zu verstehen als der Aufruf zu einem Wechsel der subjektiven Einstellungen des einzelnen. Das verobjektivierende System des Tausches soll zugunsten des Geistes der »Umsonstheit« Gottes aufgegeben werden. Ausgehend von dieser hermeneutischen Grundentscheidung wird in diesem Buch ein ständiger Dialog zwischen »der exegetisch-theologischen Auslegung der Rede des matthäischen Jesus und einer Untersuchung der klassischen Texte aus der Theologiegeschichte, die sich mit der Bedeutung der Bergpredigt auseinandergesetzt haben« inszeniert. Anhand dieser vielstimmigen Wirkungsgeschichte der Bergpredigt, die exemplarisch an Franz von Assisi, Thomas von Aquin, Huldrych Zwingli, Martin Luther, Jean Calvin, Leo N. Tolstoi, Fjodor M. Dostojewskij, Sören Kierkegaard, Leonard Ragaz, Karl Barth, Eduard Thurneysen sowie Dietrich Bonhoeffer entfaltet wird, wird ein thematischer Problemhorizont abgesteckt »der einen ebenso reflektierten wie sensiblen Zugang zum biblischen Text ermöglicht« (29). Kurz: hier wird der Versuch unternommen, die wirkungsgeschichtliche Mehrdeutigkeit der Bergpredigt mit der Eindeutigkeit des Evangeliums zusammenzudenken. Dieser Ansatz verdient Anerkennung nicht nur ob der m.E. bisher singulären Vorgehensweise, die Rezeptionsgeschichte der Bergpredigt durch die verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte hindurch mitzubedenken und in ihrer Bezogenheit einer theologisch-exegetischen Auslegung zu explizieren. Doch dieser so begrüßenswerte Ansatz wirft auch Fragen auf, die die Methodologie betreffen: Kann eine Geschichte der theologischen Rezeption der Bergpredigt ohne eine rezeptionstheoretische Methodologie auskommen? In welchem Verhältnis ist die Pluralität dieser wirkungsgeschichtlichen Sinnbildungen und die exegetisch-theologischen Ausführungen der Autoren zu sehen? Mit einer nur angehauchten methodologischen Konzeption, die festhält, dass der »Akt des Lesens ... der Vorgang einer doppelten Interpretation« ist, »in welchem sich Text und Leser gegenseitig entdecken und offenbar werden« (4, vgl. ebenso 284), ist noch nicht geklärt, wie die Demarkation des »Geistes der Gabe« von dem Ungeist exegetischer oder wie auch immer gearteter Willkür vonstatten gehen soll. Anders ausgedrückt: Um nicht aus den Gesprächspartnern aus der Theologiegeschichte eine Projektionswand für die eigenen (exegetisch-theologischen) Interessen werden zu lassen, aber zugleich der Aufgabe gerecht zu werden, diesen Text aus dem Matthäusevangelium je und je wieder so auszusprechen, dass er in der jeweiligen Zeit verstanden werden kann, bedarf es einer ausgearbeiteten Rezeptionstheorie. Vorbildlich hingegen das didaktische Konzept des Buches: Die wichtigsten Quellen, die die beiden Autoren behandeln, sind in Auszügen - im Buch grau hinterlegt - wiedergegeben, zahlreiche Graphiken ergänzen den Text. Dies ist nicht nur im Sinne einer Leserfreundlichkeit lobenswert, sondern schafft einen großen Anreiz dieses Buch als Arbeitsgrundlage in Seminaren, Schulunterricht sowie im 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 60 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 61 Buchreport gemeindlichen Umkreis zu nutzen. In vier Kapiteln, unterteilt in insgesamt 26 Abschnitte, entfalten die beiden Autoren die Langzeitwirkung der Bergpredigt, nach einer Einleitung, die einerseits den Aufbau der Predigt darstellt und andererseits der Einführung der Gewährsleute der systematisch-theologischen Rezeption dient, untersucht das erste Kapitel »Die Eröffnung der Rede Jesu« (31- 50) Mt 5,1-16, während das zweite Kapitel, das den Hauptteil dieses Buches darstellt, der Rede Jesu gewidmet ist (51-233). Im dritten Kapitel geht es um den Abschluss der Rede (235-272), abgerundet wird das Buch durch das letzte Kapitel, in dem der Ertrag der systematisch-theologischen Rezeptionsgeschichte dargestellt wird (273-294). Zu jedem Kapitel werden unterschiedliche Gewährsleute und ihre Schriften, die sich mit der Bergpredigt befassen, eingeführt. Diese Reisen durch die Stationen der Kirchengeschichte vor dem Hintergrund der exegetischen Spurensicherung sind kurzweilig. Verzichtet wird auf einen extensiven Fußnotenapparat sowie ausgiebige Diskussionen aus der Sekundärliteratur. Die thematischen Entfaltungen in den einzelnen Kapiteln werden am Ende immer wieder durch kurze, prägnante Fazits auf den Punkt gebracht. Ergebnissicherung ist garantiert. Die Monographie der beiden Autoren arbeitet heraus, dass sich bestimmte Fragen an die Bergpredigt geschichtlich durchhalten, diese betreffen »vor allem den Adressatenkreis der Bergpredigt, das Verhältnis von alttestamentlichem Gesetz und der Auslegung dieses Gesetzes durch Jesus Christus, das Verhältnis von Schöpfungstheologie und Kreuzestheologie, das Verhältnis von christlicher Ethik zu anderen ethischen Entwürfen sowie das Verhältnis von Heilsverkündigung und Gehorsamsforderung« (284). Die Frage nach dem Adressatenkreis der Bergpredigt wird beantwortet unter Ablehnung einer elitären Sichtweise eines Thomas von Aquins oder Dietrich Bonhoeffers sowie der ekklesiologischen Sichtweise der dialektischen Theologie, stattdessen wird in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Huldrych Zwingli und Jean Calvin festgehalten, dass die Bergpredigt eine universale Perspektive hat. Bei der Frage der ethischen Bedeutung bzw. der Frage nach der Erfüllbarkeit oder der Unerfüllbarkeit der Bergpredigt arbeiten die beiden Autoren exegetisch heraus, dass vom matthäischen Text her der Gefahr widerstanden werden muss, aus dem Evangelium kurzschlüssig eine Ethik machen zu wollen. Spannend sind die Ausführungen zu Mt 6,19-34 (157-208): unter den Überschriften »Mt 6,19-34 Der Grund der Gerechtigkeit: Die Schönheit als Offenbarung der Gnade Gottes« sowie »Die Schönheit der Schöpfung als Offenbarung der Überschwenglichkeit der Gnade Gottes« werden der Leser und die Leserin eingewiesen in eine matthäische Schöpfungstheologie: »Das radikale Novum und gleichsam die Modernität der Argumentation des matthäischen Jesus besteht [...] präzise darin, daß die Rede die Schönheit vom Unnützen sieht und daß sie gerade die überflüssige Sorge und Großzügigkeit des Schöpfers für das Gras, das er mit mehr Pracht als Salomo bekleidet, obwohl es heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, als die Offenbarung des Wesentlichen dessen, was die Vorsehung Gottes kennzeichnet, versteht.« (173). Im Gespräch mit Franziskus und Kierkegaard stimmen die exegetischen Ausführungen an zum Loblied der Schöpfung; »der Geist der Gabe und die Umsonstheit der Gnade Gottes« laufen hier zu Höchstform auf. Das von Stiewe und Vouga herausgearbeitete schöpferische Wirken Gottes stellt den Zuspruch des Evangeliums auf die Überholspur eines nur proleptischen Charakters der Heilszusage. Ein wenig zu kurz kommt dagegen in den Ausführungen die Auseinandersetzung mit dem matthäischen Gerichtsgedanken. Kein anderes Evangelium droht so oft! Im Sinne des klaren Indikativs der Verheißung brechen Stiewe und Vouga diesen Gerichtsaussagen ihre Spitze, wenn sie festhalten: »Wegen des gleichen Geistes der Umsonstheit, nach welchem Gott seine Sonne über die Guten und die Bösen aufgehen und es über die Gerechten und die Ungerechten regnen läßt, gilt weiterhin die Vollkommenheit der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes unbegrenzt für jeden, der bereit ist, sie zu empfangen« (261). Unter den Fittichen des »Geistes der Gabe und der Liebe Gottes« kann m.E. dennoch nicht einfach verdeckt werden, dass diese Gerichtsdrohung zum einen eine gewisse Heilsunsicherheit für die Betroffenen mit sich bringt, zum anderen nicht widerspruchsfrei zur ausgearbeiteten matthäischen Theologie zu denken ist. Dennoch: Das Buch von Martin Stiewe und François Vouga ist der lesenswerte Versuch, neutestamentliche Theologie am Schnittpunkt von Exegese und Kirchengeschichte wahrzunehmen. Für alle Ausführungen des Buches gilt es hervorzuheben, dass hier kein Verfallsschema zelebriert wird, bei der die Exegese als Platzanweiserin für die hinteren Plätze der Vertreter der Kirchengeschichte fungiert, sondern es wird der Versuch unternommen, interdisziplinär sich auf die Suche danach zu machen, was gilt, wenn solum evangelium der maßlose Maßstab ist. Die Lesart der Bergpredigt, die Stiewe und Vouga vorschlagen, verdankt sich einer geschichtstheoretischen Prämisse, die festhält, dass »von der Vergangenheit [...] nur das bestehen« bleibt, »was wir mit einem Sinn versehen«. 1 In einem exegetisch-theologischen Diskurs beteiligen sich die beiden Autoren an dieser Sinnsuche, die zugleich ein Ringen um die Wertigkeit dieses Sinns ist. Deutlich wird in ihren Ausführungen, dass die (neuzeitliche) Exegese bei dieser Sinnfindung mitzureden hat, aber sie ist keinesfalls eine Monopolistin - die Auslegung der Predigt des matthäischen Jesus geschah und geschieht niemals ex nihilo, sondern verdankt sich immer auch früheren Lesarten. Wofür die beiden Autoren überzeugend einstehen, ist die Wahrnehmung der Bergpredigt nicht im Schatten einer moralisierenden Engführung, sondern für eine Wahrnehmung dieser Rede im Lichte eines inspirierenden Geistes der Gabe, die von diesem Geist aus festhält, dass der matthäische Jesus gewiss keine ›billige Rede‹ hält. Kristina Dronsch l Anmerkung 1 B. Lepetit / J. Revel, Experiment gegen die Willkür, in : M. Middell / S. Stammler (Hrsg.), Alles Gewordene hat Geschichte. Die Geschichte der Annales in ihren Texten 1929-1992, Leipzig 1994, 348-355, hier: 350. 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 61 62 ZNT 11 (6. Jg. 2003) TANZ - Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter A. Francke Verlag Tübingen und Basel Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas TANZ 39, 2003, XIV, 410 Seiten, 64,-/ SFr 105,80 ISBN 3-7720-2831-4 Petracca untersucht die Aussagen des lukanischen Doppelwerkes über den Reichtum in ihrer ganzen Bandbreite und in ihrer hermeneutischen Relevanz für eine christliche Lebensführung heute. In der Forschung gibt es eine Diastase zwischen einer rein theologischen und einer rein historisch-sozioökonomischen Deutung der lukanischen Reichtumskritik. Diesen Graben versucht die Arbeit zu überwinden, indem sie die Reichtumsaussagen sowohl auf ihre sozialgeschichtliche Funktion als auch auf ihren theologischen Zusammenhalt hin untersucht. Methodisch wird ein kompositionskritisch-textpragmatischer Ansatz gewählt, um ein umfassendes Bild der lukanischen Besitzethik in ihrer Unterschiedlichkeit und gegenseitigen Zuordnung zu erhalten. Ein Vergleich der Besitzaussagen bei Lukas mit jenen in älteren apokryphen Apostelakten rundet die Untersuchung ab. Die exegetische Fragestellung steht im Dienst einer verantwortbaren Aktualisierung der lukanischen Besitzethik. Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus TANZ 40, 2003, XIV, 409 Seiten, 64,-/ SFr 105,80 ISBN 3-7720-2832-2 Die bisherige Forschung zu Paulus hat weder das Thema “Erneuerung des Menschen”, noch die Gründe, die zu dem Neologismus “Erneuerung” geführt haben könnten, untersucht. Buchegger schließt diese Lücke und untersucht dazu insbesondere die fünf Stellen, in denen der Begriff “Erneuerung” explizit vorkommt: 2 Kor 4,16; Röm 12,2; Eph 4,23; Kol 3,10 und Tit 3,5. Dabei zeigt sich, dass mit dem Ausdruck bei Paulus ein Konzentratwort geschaffen wurde, das gewichtige Elemente seiner Eschatologie, Soteriologie und Anthropologie in sich vereint. “Erneuerung” steht für den Prozess der Umgestaltung des Christen in das Bild Gottes, welcher durch seine Existenz im Einflussbereich der doxa Gottes ermöglicht wird. Erneuerung geschieht als Einwirkung des Heiligen Geistes und der Kräfte des “neuen Äons” angesichts des Leidens und der Vergänglichkeit des “alten Äons” (“in Adam”), ist also am “neuen Menschen” (“in Christus”) wirksam. ■ ■ 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 62 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 63 de Gruyter Theologie Udo Schnelle ■ Paulus Leben und Denken 2003. XII, 765 Seiten. Gebunden. S 64,- [D] / sFr 102,- • ISBN 3-11-015164-2 Broschur. S 39,95 [D] / sFr 64,- • ISBN 3-11-012856-X (de Gruyter Lehrbuch) Dieses Lehrbuch entfaltet das Denken des Paulus vor dem Hintergrund seines Lebens. Der erste Hauptteil behandelt das Leben und die Briefe, im zweiten Hauptteil folgt eine thematisch strukturierte Darstellung der zentralen Themen des paulinischen Denkens, das so gleichermaßen in seiner historischen Genese und in seiner Systemqualität erfasst wird. In Aufnahme der neueren wissenssoziologischen und geschichtstheoretischen Diskussion wird die paulinische Theologie als eine Sinnbildung verstanden, die sich durch hohe Anschlussfähigkeit auszeichnet. Trotz zahlreicher denkerischer Probleme und widriger historischer Umstände gelingt es Paulus, sein durch einen messianischen Universalismus gekennzeichnetes Denken in die bereits bestehenden Sinnwelten der hellenistischen Kultur zu installieren. Dabei zeigt sich, wie stark Paulus auch in den Kategorien dieser Kultur dachte und wie er in der Lage war, in seinen Gemeinden eine neue kognitive und emotionale Identität zu schaffen. Seit geraumer Zeit ist dies wieder eine neue, umfassende Gesamtdarstellung von Person und Theologie des Apostels Paulus. ■ Die Einheit der Schrift und die Vielfalt des Kanons / The Unity of Scripture and the Diversity of the Canon Herausgegeben von / Edited by John Barton und / and Michael Wolter 2003. 306 pages. Cloth. S 84,- [D] / sFr 134,- • ISBN 3-11-017638-6 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 118) Der Band präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Universitäten Bonn und Oxford, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und vom British Council gefördert wurde. www.deGruyter.de WALTER DE GRUYTER GMBH & CO. KG · Genthiner Straße 13 · 10785 Berlin Telefon +49-(0)30-2 60 05-0 · Fax +49-(0)30-2 60 05-251 · E-Mail wdg-info@deGruyter.de 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 03 Uhr Seite 63 64 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Fax: (07071) 7 52 88 · E-Mail: info@narr.de Jakobus-Studien Klaus Herbers / Dieter R. Bauer (Hrsg.) Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa Austausch - Einflüsse - Wirkungen Jakobus-Studien 12, 2003, X, 387 Seiten, 39, - / SFr 64,50 ISBN 3-8233-4012-3 Der vorliegende Band stellt eine wichtige Etappe in der europäischen Jakobusforschung dar: Erstmals wird der mittel- und osteuropäische Raum monographisch auf seine Bezüge zum mittelalterlichen Jakobuskult hin untersucht. Eine Reihe ausgewiesener Spezialisten aus vier europäischen Ländern erforschen “Wege und Räume” der Jakobusverehrung im allgemeinen sowie die verschiedenen Spuren in Polen, Ungarn und im östlichen Deutschland. Damit wird im Zeitalter eines zusammenwachsenden Europa ein wichtiger und spannender Beitrag zur Wiederentdeckung mitteleuropäischer Gemeinsamkeiten und kultureller Traditionen geleistet, die lange verkannt und vergessen waren. www. narr.de Neu bei Mohr Siebeck Martin Hengel / Anna Maria Schwemer Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie Vier Studien Studienausgabe 2003. xv, 267 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 138). ISBN 3-16-147980-7 Broschur € 49,- Hermut Löhr Studien zum frühchristlichen und frühjüdischen Gebet Eine Untersuchung von 1 Clem 59 bis 61 2003. Ca. 650 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament). ISBN 3-16-147933-5 Leinen ca. € 120,- (Juli) Peter Balla The Child-Parent Relationship in the New Testament and its Environment 2003. Ca. 280 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 155). ISBN 3-16-148006-6 Leinen ca. € 75,- (Mai) Andrew Brunson Psalm 118 in the Gospel of John 2003. Ca. 430 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/ 158). ISBN 3-16-147990-4 fadengeheftete Broschur ca. € 70,- (April) Philip Bosman Conscience in Philo and Paul A Conceptual History of the Synoida Word Group 2003. ix, 304 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II). ISBN 3-16- 148000-7 fadengeheftete Broschur ca. € 50,- (Juli) Index theologicus (IxTheo) Zeitschrifteninhaltsdienst ZiD. Herausgegeben von der Universitätsbibliothek Tübingen Das Abonnement auf CD-ROM: Netzwerk-Version mit 4 updates pro Jahr € 199,- (ISSN 1618-7148) Einzelplatz-Version mit 2 updates pro Jahr € 49,- (ISSN 1618-7156) Mohr Siebeck Postfach 2040 D-72010 Tübingen Fax 07071 / 51104 e-mail: info @ mohr.de www.mohr.de Aktuelle Informationen per e-mail - jetzt anmelden unter www.mohr.de/ form/ eKurier.htm 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 03 Uhr Seite 64