ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2005
815
Dronsch Strecker VogelHerausgeber Stefan Alkier Axel von Dobbeler Jürgen Zangenbcrg in Verbindung mit Peter Busch Ute E. Eisen Kurt Erlemann Gabriele Faßbeck Dirk Frickenschmidt Marlis Gielcn Roman Hciligcnthal Matthias Klinghardt Volker Lehnen Günter Röhser Manne! Vogel Fran~ois Vouga Bernd Wander Am,chrift der Redaktion Prof. Dr. Stefan Alkier Johann Wolfgang Goethe-Universität Fachbereich Evangelische Theologie Neues Testament - Geschichte der Alten Kirche z.H.: Kristina Dronsch Grüncburgplatz 1 D-60629 Frankfurt Manusl<rip1e Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. Anzeigen Narr Francke Attempto Verlag Telefon: (07071) 9797-0 Bezugsbedingungen Die ZNT erscheint halbjährlich (April bis Oktober) Einzelheft: € 15,-/ sFr 26,90 zuzügl. Versandkosten Bezugspreis jährlich: € 28,-/ sFr 49,00 Vorzugspreis für Studenten jährlich: € 22,-/ sFr 38,60 (Immatrikulationsbescheinigung beifügen) © 2005 · Narr Francke Attempto Verlag Alle Rechte vorbehalten lSSN 1435-2249 Umschlagentwurf: Werner Rüb, Bietigheirn-Bissingen. Satz: Fotosatz Hack, Dußlingen. Druck: Gulde, Tübingen. Bindung: Nädelc, Nehren. Editorial Editorial ...... ,......... ., ...... ,. ., .................. ,.... ,...... 1 Neues Testament Thomas Sehmeiler aktuell Mission im Urchristentum. Zum Thema Kontroverse Hermeneutik und Vermittlung Buchreport Definition - Motivation - Konkretion.......... 2 Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum ................... .,....................... 12 Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt - Vorschläge, Probleme, Perspektiven.................................. 22 Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive ., .......... ,.... ,......... ,....... ., ....... ., ...... ,. 35 Einführung zur Kontroverse (Axel von Dobbeler) ........................................ 44 Hubert Frankemölle Die Sendung der Jünger Jesu »zu allen Völkern« (Mt 28,19) ........................ 45 Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams ............ 52 RobertJewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus ...................... 60 James A. Kelhoffer Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark (WUNT Reihe 2, 112)............................ ,........ 69 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+ Co. KG Tübingen Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Telefon (0 70 71) 97 97-0 · Telefax (0 70 71) 7 52 88 Internet: http: / / www.francke.de · E-Mail: info@francke.de ZNT im Internet: http: / / www.znt-online.de Liebe Leserinnen und Leser! Mit dem vorliegenden Heft greifen wir ein Thema auf, das nicht zuletzt aufgrund der Problematik unserer pluralistischen Gesellschaft seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts mit einem vertieften Problembewusstsein kontrovers diskutiert wird. Mission als das Weitertragen des Evangeliums wird in den Schriften des Neuen Testaments als göttlicher Auftrag verstanden, der der Rettung dient. Zu oft aber wurde in der Geschichte der Christenheit Mission als gewaltsamer Zwangsakt praktiziert, so dass der Begriff der Mission eben auch die Konnotationen an das »christlich« verursachte Leid mit sich trägt. Der Versuch der theologischen Bearbeitung des Holocaust hat zu Recht die antijüdischen und antisemitischen Implikationen christlicher Judenmission bewusst gemacht. Viele westliche Christinnen und Christen, die einen interkulturellen Dialog entschieden bejahen, wollen mit Mission nichts mehr zu tun haben, da sie ganze Kulturen ausgelöscht habe und stets aggressiv und ideologisch sei, auch wenn sie sich gerne als Wolf im Schafspelz vor sich selbst verstecke. Sind Mission und pluralistische Gesellschaft zu vereinbaren? Gibt es überhaupt lebendigen christlichen Glauben, der das Evangelium für sich behalten kann, oder ist christlicher Glaube, der auf dem Hören der Guten Nachricht beruht, nicht per se zum Weitersagen des Evangeliums, zur Mission, motiviert, vielleicht sogar verpflichtet? Was meint der Begriff »Mission« eigentlich und wie wurde Mission im antiken Judentum und Christentum verstanden und praktiziert? Thomas Schmeller bearbeitet diese Problematik bezüglich des frühen Christentums. Dabei stellt er heraus, dass der Begriff auch in der neutestamentlichen Wissenschaft keineswegs einheitlich benutzt wird und auch verschiedene ideologische Implikationen aufweist. Jürgen Zangenberg thematisiert insbesondere die Mission im antiken Judentum, während er in den nicht-christlichen und nicht-jüdischen antiken Religionen keine Missionsaktivitäten feststellen kann. Winrich Löhr informiert über ZNT 15 (8. Jg. 2005) die historiographischen und theologischen Konzepte der Erforschung der Ausbreitung des antiken Christentums und skizziert Grundlinien eines Neuansatzes der Missionsforschung. Werner Kahl hingegen plädiert bei der Behandlung der Frage nach Wunder und Mission für eine differenzierte Wahrnehmung fremder Kulturen, wie sie im Rahmen eines ethnologischen bzw. kulturanthropologischen Ansatzes gewährleistet ist und den er auch der neutestamentlichen Forschung anempfiehlt. Der schwierigen Frage der Reichweite des Missionsauftrages in Mt 28,19 stellen sich in der Kontroverse Hubert Frankemölle, der die Juden in den Missionsauftrag einbegriffen sieht, und Florian Wilk, der eine exklusive Deutung von Mt 28,19 vertritt. In der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung befasst sich Robert Jewett mit den biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus und trägt damit zur Gegenwartsanalyse des nordamerikanischen Christentums erheblich bei. Kristina Dronsch rundet das Heft ab mit ihrer Rezension des Buches Miracle and Mission von James A. Kelhoffer. Wir danken der Autorin und den Autoren dieses Heftes für ihre informativen und gedankenreichen Beiträge, die dazu helfen, differenziert, informiert und gegenwartsorientiert Mission im Spannungsfeld von Tradition und pluralistischer Gesellschaft zu reflektieren. Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gute Erkenntnisse durch die Lektüre dieses Heftes. Abschließend gilt es noch einen besonderen Dank an Herrn Dr. Stephan Dietrich auszusprechen. Herr Dietrich stand auf Seiten des Francke Verlags immer mit seinem kompetenten Rat und seiner Hilfe in allen Belangen, die die ZNT betrafen, zur Seite. Die Herausgeberinnen und Herausgeber der ZNT möchten Herrn Dietrich auf diesem Wege nochmals ganz herzlich für sein herausragendes Engagement für die ZNT danken und ihm in seinem neuen beruflichen Wirkungsfeld alles Gute wünschen! Stefan Alkier Axel von Dobbeler Jürgen Zangenberg Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion In der Einleitung zu seinem Buch über »Das Verständnis der Mission im Neuen Testament« schrieb FERDINAND HAHN 1963: »Für die Urkirche war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Heilsbotschaft verkündigt, also Mission getrieben werden musste. Die Kirche war in der Anfangszeit im besten Sinne Missionskirche, sie lebte durch die Mission und für die Mission«. 1 Zugleich hob er aber hervor, dass wir im NT kein einheitliches Verständnis, sondern vielfältige Vorstellungen und Ansätze von Mission finden. Seither ist eine Fülle von einschlägigen Forschungsbeiträgen erschienen, gerade in den letzten J ahren. 2 Dass das Thema so aktuell ist, dürfte viele Ursachen haben, darunter jedenfalls eine große Verunsicherung in den christlichen Kirchen. Die geistige Auseinandersetzung mit einer aggressiv auftretenden Richtung des Islam hat dazu vermutlich beigetragen. Der Ertrag der wissenschaftlichen Bemühung um die neutestamentliche Mission ist wie nicht anders Mission beschäftigen, also mit konkreten Missionsstrategien und -mitteln. 1. Definition: Was ist Mission? In vielen exegetischen und kirchengeschichtlichen Veröffentlichungen älteren Datums wird die Frage nach einer Definition von »Mission«, die den antiken Verhältnissen gerecht wird, entweder nicht gestellt oder nur sehr vage beantwortet. Noch 1981 begnügte sich E.G. HINSON mit dem Hinweis, in der frühen Kirche bedeute Mission »chiefly winning and enlisting converts«, 3 womit die meisten Fragen offen bleiben. Wenig hilfreich sind auch sehr enge Definitionen, die den Terminus »Mission« nur für das Christentum gelten lassen wollen. So nannte Hahn die jüdische Bemühung um Gottesfürchtige in der Diaspora »Propaganda«, die Bemühung um vollen Übertritt in Palästina »Proselytenzu erwarten eine noch stärkere Wahrnehmung ihrer theologischen und historischen Vielfalt. Als Folge davon stellt sich die von Hahn »Seit den 90er Jahren ist bezüglich des Verständnisses von Mission ein Problemwerbung«. Mission sei beides nicht, weil der göttliche Sendungsauftrag fehle und auch die Proselytenwerbung nicht auf die Annahme des wahren bewusstsein erwacht ... « betonte Zentralität der Mission für das Wesen und Leben der Urkirche heute etwas anders dar. Diese Differenzierung, die im folgenden Beitrag belegt werden soll, muss die gegenwärtige Verunsicherung nicht verstärken sie kann die Diskussion auch befruchten und vielleicht entspannen. Aus den vielen Aspekten, die in den genannten Veröffentlichungen eine Rolle spielen, wähle ich drei aus, die mir besonders relevant erscheinen. Es soll im Folgenden zunächst darum gehen, was unter »Mission« eigentlich zu verstehen ist. Dazu gibt es neuere Überlegungen mit weitreichenden Konsequenzen. Der zweite Punkt betrifft die Motive der urchristlichen Mission: Warum wurde eigentlich missioniert? Näherhin: Gab es Vorbilder im frühen Judentum? Und schließlich werden wir uns mit den Modalitäten der urchristlichen 2 Glaubens ziele, sondern auf »Naturalisierung«, d.h. auf die Gewinnung eines neuen Juden. 4 Seit den 90er Jahren ist bezüglich des Verständnisses von Mission ein Problembewusstsein erwacht, das zum einen mit der neuen (bzw. erneuerten) Diskussion um eine vorchristliche jüdische Mission zu tun hat: Ob man dem Frühjudentum eine Mission im eigentlichen Sinne zuschreibt oder nicht, hat Konsequenzen für die Frage, ob die urchristliche Mission Vorbilder hatte oder singulär war (vgl. dazu u. 2.). Zum anderen ist es aber auch die antike Überlieferung selbst, die Überlegungen zum Begriff der Mission nahe legt. In jüdischen wie christlichen Quellen finden sich wie wir gleich sehen werden - Haltungen und Aktivitäten, die sich deutlich von einander unterscheiden, obwohl sie alle irgendwie missionarisch ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion Thomas Sehmeiler Prof. Dr. Thomas Schmeller, Jahrgang 1956, studierte in München und Freiburg i.Br. Frühere Tätigkeiten: Professuren an der Emory University, Atlanta (USA), und an der Technischen Universität Dresden. Derzeitige Tätigkeit: Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Fachbereich Katholische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a.M. Hauptforschungsgebiete: Paulus, sozialgeschichtliche Exegese. sind. Die Frage einer Klassifizierung drängt sich auf. Eine solche Klassifizierung wird heute unter drei Aspekten vorgenommen: 1. Ziele bzw. Wirkungen der Mission, 2. ihre Adressaten und 3. missionarische Aktivitäten. Zum ersten Aspekt, den Zielen/ Wirkungen der Mission, hat sich schon A.D. NocK in seinem Klassiker »Conversion« (1933) geäußert. Er unterschied zwischen adhesion und conversion, d.h. zwischen dem Entschluss, sich einem (zusätzlichen) Kult zuzuwenden, ohne mit den früher gewählten Kulten zu brechen (adhesion), und der Bekehrung (conversion) zu einer neuen religiösen Richtung oder Überzeugung, die an die Stelle aller bisherigen tritt. 5 In Nocks Sicht waren z.B. die Mysterienkulte oder der Kaiserkult nur auf adhesion aus, eine additive Zugehörigkeit, während das Judentum und das Christentum Bekehrungsreligionen waren, die jede weitere religiöse Bindung ablehnten. Auf eine Bekehrung zielten sonst nur noch die philosophischen Schulen: Sie wollten einerseits die Unvernunft und Lasterhaftigkeit der bisherigen Lebensweise vor Augen führen, andererseits Einsicht in wahre Werte vermitteln und so eine Verwandlung der Person bewirken. Sie zielten nicht zunächst auf eine intellektuelle, sondern auf eine moralische Wirkung.' ZNT 15 (8. Jg. 2005) Diese Unterscheidung wurde weithin akzeptiert. Neuerdings mehren sich allerdings Stimmen, die eine weitergehende Differenzierung fordern. So unterscheidet M. GüüDMAN zwischen informativer, erzieherischer, apologetischer und proselytisierender Mission. Bei informativer Mission gehe es allein um die Weitergabe einer Botschaft, die als wichtig angesehen wird, ohne dass der Informant bestimmte Reaktionen der Hörer erwarte und den Wunsch habe, diese zu verändern. Erzieherische Mission ziele auf eine moralische Verbesserung der Adressaten, allerdings nicht auf ihren Anschluss an die Glaubens- oder Verehrungsgemeinschaft des Missionars. Auch die apologetische Mission werbe nicht für einen solchen Anschluss, sondern nur dafür, dass die Kraft des vom Missionar verehrten Gottes von den Adressaten anerkannt wird; der Missionar erwarte davon einen Schutz seines Kults und Glaubens gegen Anfeindungen. Allein die proselytisierende Mission bemühe sich darum, Außenstehende in die klar definierte Gruppe des Missionars zu integrieren. Nur diese vierte Art ist für Goodman Mission im eigentlichen Sinne, und allein Christen haben in seiner Sicht in der Antike eine solche Mission betrieben. Juden hätten lediglich versucht, Respekt für die jüdische Religion oder den jüdischen Gott zu erreichen (apologetische Mission) oder die Ethik der Heiden zu verbessern (erzieherische Mission). Das gelte z.B. für die jüdische Literatur in griechischer Sprache soweit sie überhaupt mit einer Rezeption durch Heiden rechnete-, speziell für Aristobulos, für den Verfasser von Weish und für Philo. Auch die Philosophen hätten, so Goodman gegen Nock, keine proselytisierende Mission betrieben. Wenn Epikureer oder Kyniker Schüler warben, dann sei es nie darum gegangen, sie zu einem Anschluss an eine epikureische Gemeinschaft oder zur Übernahme des kynischen Lebensstils zu bewegen, sondern lediglich um die Erziehung zu einem besseren Leben, dessen Signatur als »epikureisch« oder »kynisch« ganz unwichtig gewesen sei. Ob Goodmans These von der Sonderstellung der urchristlichen Mission stimmt, wird unten zu fragen sein (2.). Problematisch an seiner Klassifizierung scheint mir jedenfalls zweierlei. Zum einen macht sie einen etwas realitätsfernen Eindruck. Soll man wirklich annehmen, dass ein Jude oder ein Anhänger einer philosophischen Schule 3 seine religiöse bzw. philosophische Botschaft, von der er selbst überzeugt war, als Information weitergab ohne jeden Wunsch, den Hörer dadurch zu verändern? Oder dass er den Hörer erziehen wollte ohne jeden Wunsch nach einer daraus resultierenden besonderen Verbundenheit mit der eigenen Überzeugung? Es ist kaum Zufall, dass Goodrnan den verschiedenen von ihm postulierten Intentionen der Mission keine konkreten Texte zuweisen kann. Zum anderen zeigt sich bei näherem Zusehen, dass die »apologetische Mission« in der Definition Goodrnans doch eine Sonderstellung hat. Hier liegt die angestrebte Wirkung ja eigentlich nicht beim Adressaten, sondern beim »Missionar«: Er will Schutz für sich und seinen Kult. Insofern ist kaum einzusehen, warum hier überhaupt von Mission die Rede sein soll. In direkter Auseinandersetzung mit Goodrnan hat J.P. DICKSON ein verbessertes Modell vorgestellt.7 Er vermeidet die etwas künstliche Trennung verschiedener Missionsziele und -arten bei Goodrnan. Information, Erziehung, Apologetik usw. sind nach Dickson »points along a continuurn of rnission, the ultirnate goal of which is the ,conversion, of the outsider, conversion being understood principally as a new socio-religious allegiance«. 8 Ein Vorteil dieser Konzeption ist, dass »Mission« sehr differenziert verstanden werden kann, ohne dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen Zielen und Aktivitäten verloren geht. Auch Apologetik ist hier ein Aspekt der Mission, sofern sie zwar nicht direkt, aber doch indirekt auf die Bekehrung Außenstehender zielt. Das ist z.B. der Fall, wenn Christen sich ethisch vorbildlich verhalten, um negative Einstellungen von Nicht-Christen in positive zu verwandeln (vgl. Mt 5,14-16; 1Petr 3,lf.). Einen weiteren Vorteil sehe ich in der Möglichkeit, die verschiedensten Missionsaktivitäten zu integrieren. Nicht nur die Wortverkündigung, sondern z.B. auch finanzielle Unterstützung von Missionaren oder fürbittendes Gebet lassen sich hier als missionarische Akte qualifizieren. Eine ganz andere Art der Klassifizierung hat A. FELDTKELLER vorgeschlagen. Er geht von zwei Grundfragen aus, die sich auf die Auswirkung der Bindung an eine neue Religion beziehen: 4 » 1. Gehören die neu in die persönliche Religiosität aufgenommenen bzw. neu gewichteten Überzeugungen zu einem Religionssystem, an das bereits eine Bindung besteht (systeminterne Veränderung), oder zu einem fremden Religionssystem (systemüberschreitende Veränderung)? 2. Werden die vor der Veränderung bestehenden religiösen Überzeugungen weitgehend in ~as Neue integriert oder wird ihnen gegenüber eme vor- ' • 9 wiegend ablehnende Haltung emgenommen? « Wenn man die beiden Fragen auf einander bezieht, ergeben sich die folgenden vier Kornbinationsmöglichkeiten.'0 Verbleib der alten Überzeugungen: 1 weitgehende Integration 1 weitgehende Verwerfung Herkunft der neuen Überzeugungen: systemintem I systemüberschre1tend 1 Intensivieruno- 1 Inversion 1 Extensiv1erung Conversion 11 »Intensivierung« bezeichnet die Verstärkung der bereits bestehenden Bindung an ein Religionssystem. Ein schönes Beispiel ist die bekannte Erzählung bei Josephus vorn Übertritt des Izates, des Königs von Adiabene, zum Judentum (Ant. 20,34-48): Nachdem Izates in einem ersten Akt Sympathisant des Judentums geworden war, ohne die Beschneidung zu übernehmen, wurde er durch einen gewissen Eleazar davon überzeugt, dass ein echtes Bekenntnis zum Judentum auch die Beschneidung nötig mache. Dieser zweite Akt ist in Feldtkellers Terminologie eine Intensivierung. Dasselbe gilt wohl auch von den Taufen des Kämmerers der Kandake (Apg 8,26-39) und des Hauptmanns Cornelius (Apg 10), die beide, ausgehend von einem jüdischen Syrnpathisanten- Status, »eine volle Religionszugehörigkeit (erlangen, Th.Sch.), die mit der christlichen Taufe begründet ist«" und die von Lk als konsequente Vollendung des begonnenen Wegs dargestellt wird. Im Unterschied zur Intensivierung der bisherigen religiösen Haltung ist die Extensivi~rung eine additive Hinzufügung neuer religiöser Uberzeugungen, also das, was bei Nock adhesion hieß. Dazu gehören z.B. diejenigen, die sich nicht nur in einen einzigen Mysterienkult einweihen ließen, sondern, um sicher zu gehen, in mehrere. Feldtkeller macht die interessante Beobachtung, dass bei Mt eine Reihe von Heiden Beziehungen zu Jesus aufnehmen, die man als Extensivierung deuten könnte. Am deutlichsten gilt das wohl von den Magiern (Mt 2,1-12), die Heiden sind und bleiben. Sie verehren zwar das Jesuskind, aber doch wie eine fremde Gottheit; sie kehren dann in ihr ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion Land und doch wohl auch in ihre alten religiösen Bindungen zurück. Die Deutung dieses überraschenden Befunds durch Feldtkeller halte ich allerdings für nicht überzeugend: »Sein (sc. Matthäus', Th.Sch.) Interesse daran, daß es vor dem Missionsbefehl Mt 28,18-20 keine Conversionen von Heiden geben konnte, war sogar größer als die Berührungsängste gegenüber dem Modell Im Gegensatz dazu war die paulinische Heidenmission auf Conversion ausgerichtet, darauf, dass Heiden sich »zu Gott (bekehren),( ... ) um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen«, und zwar zugleich »weg von den Götzenbildern«, wie es 1Thess 1, 9 heißt. Heftig umstritten und von hoher Relevanz für die Frage nach jüdischer Mission ist, ob in Mt 23,15 von Inversion oder Conversion einer Extensivierung im gemein-hellenistischen Sinne. An keiner Stelle widerruft Matthäus den Eindruck oder vielleicht auch nur das mögliche Mißverständnis, daß eine Extensivierung der geeignete Zugang von Heiden zu Jesus »Heftig umstritten und von hoher Relevanz für die Frage nach jüdischer Mission ist, ob in Mt 23,15 von Inversion oder Conversion die Rede ist ... « die Rede ist: Wenn Schriftgelehrte und Pharisäer »einen Proselyten machen« wollen ist damit die Bekehrung eines Heiden zum Judentum und damit eine »Conversion« gemeint oder aber der Versuch, sein könnte«. 12 Gerade der Missionsbefehl des Auferstandenen am Ende des Evangeliums ist doch ein solcher Widerruf: Er macht deutlich, dass von nun an andere Bedingungen für den Zugang zu Jesus gelten. Die Annäherung durch die Magier war für Mt nur zu Lebzeiten Jesu möglich. Sie ist ja auch nicht auf menschliche, sondern über den Stern auf göttliche Mission zurückzuführen. Durch Mt 28,19f. wird nun Menschen, den Jüngern, eine Mission aufgetragen, die zu einer sicher exklusiv verstandenen Jüngerschaft führen soll und damit das Modell der Extensivierung ausschließt. Schließlich zu den beiden verbleibenden Modellen: Während Inversion »eine weitreichende Veränderung bei der Auswahl aus den innerhalb einer Religion zur Verfügung stehenden Überzeugungsgehalten« meint, ist Conversion der» Wechsel der religiösen Bindung zu einem fremden Religionssystem, wobei die Bindung an das bisherige Religionssystem aufgegeben und durch eine ablehnende Haltung ersetzt wird«. 13 Inversion setzt voraus, dass es verschiedene Richtungen innerhalb des Religionssystems gibt, zwischen denen man wählen kann und muss. In der Darstellung der Apg ist das Damaskuserlebnis des Paulus ein Musterbeispiel einer solchen Inversion, bei der Paulus den bisher bekämpften Jesus als den Messias Israels erkennt auch hier wieder in Folge einer direkt göttlichen »Mission«. Inversion war aber auch der Normalfall bei Juden, die als Reaktion auf judenchristliche Mission zu Christen wurden und damit das Judentum natürlich nicht verließen, sondern sich in ihm neu positionierten. ZNT 15 (8. Jg. 2005) einen Juden für die pharisäische Richtung des Judentums zu gewinnen (Inversion)? Ich komme im nächsten Punkt darauf zurück. Zuvor noch ein paar kurze Bemerkungen zum zweiten und dritten der oben genannten Definitionsaspekte von »Mission«. Was die Adressaten betrifft, wird häufig von Mission nur bei einer universalen Ausrichtung gesprochen, also dann, wenn die Beeinflussung bzw. Gewinnung aller bisher außenstehenden Menschen oder doch eines großen Teils der Menschheit angezielt ist. 14 Bei einer solchen Einschränkung könnte man auch das Urchristentum erst ab der Entscheidung für die Heidenmission missionarisch nennen, die ja nicht gleich am Anfang gefallen ist. Es ist mir aber völlig uneinsichtig, warum nicht auch die Bemühung um eine bestimmte Gruppe von Menschen mit vollem Recht Mission heißen soll. 1' Bei den Aktivitäten besteht weithin Einigkeit, dass Mission sehr unterschiedlich aussehen kann, z.B. organisiert oder individuell, räumlich ausgreifend (zentrifugal) oder ortsfest (zentripetal). Die Aussendung von Missionaren gehört also nicht zum Begriff. Es scheint mir am sinnvollsten, mit Dickson auch hier ein Kontinuum anzusetzen: Vom Fürbittgebet einer Gemeinde bis hin zur organisierten Tätigkeit einer Missionarsgruppe können sehr verschiedene Tätigkeiten Ausdruck missionarischer Intention sein, auch solche, die nicht direkt, sondern nur indirekt auf Bekehrung zielen. 16 Die faktische Anziehungskraft einer Gemeinde oder Gruppe allerdings, die nicht mit der Intention einer Wirkung nach außen verbunden ist, fällt nicht unter den Begriff. 5 2. Motivation: Mission im Frühjudentum? Die urchristliche Mission wird sehr viel leichter verständlich, wenn sie an Vorbilder in der Umwelt, bes. im Judentum, anschließen konnte, auch wenn darüber hinaus weitere Gründe möglich sind. Nur diese Frage einer jüdischen Mission kann und soll hier behandelt werden. Seit Anfang des 20. Jh.s war sich die Forschung weitgehend einig in der Annahme, dass die Zeit des entstehenden Christentums durch eine intensive jüdische Missionstätigkeit geprägt gewesen sei. 17 J. JEREMIAS eröffnete seine Studie »Jesu Verheissung für die Völker« mit dem Satz: »Als Jesus auftrat, war in Israel ein Missionszeitalter wie nie zuvor und wie nie wieder seither,/ ' eine Formulierung, die den Konsens bis in die 80er Jahre wiedergibt. Es gab zwar Gegner dieser Auffassung, aber manche disqualifizierten sich durch ihr offenkundig apologetisches oder polemisches, nicht historisches Anliegen selbst, so etwa D. BOSCH, der für das Judentum nur Propaganda, nicht Mission annehmen wollte und das so begründete: »Zwar ist der Gedanke der Universalität des Reiches Gottes und das Bewusstsein von einer Missionsverpflichtung Israels nie auch nicht in der synagogalen Theologie gänzlich verlorengegangen. Beide stehen aber irgendwie fast immer im Dienste des eigenen Volkes. Die Triebfeder dieser Propaganda ist sozusagen immer der Eifer für den Herrn und nicht der Gehorsam gegen ihn (vg. Röm. 2,17-20)wobei man übrigens auch nicht mehr unterscheiden kann zwischen Eifer für Jahwe und Eifer für Israel, zwischen Frömmigkeit und Patriotismus. Man fühlt sich nicht mehr als Werkzeug, sondern als Subjekt der Glaubensverbreitung«. 19 Erst in den 80er und verstärkt Anfang der 90er Jahre wurde eine ganz andere Sicht des Judentums entwickelt, insbesondere in Büchern von M. GOODMAN 20 und S. McKNIGHT. 21 Alle Belege, die bis dahin selbstverständlich für missionarische Aktivität von Juden angeführt worden waren, wurden nun neu in den Blick genommen und anders gedeutet. Das Ergebnis: Das Judentum des 1.Jh.s war keine missionarische Religion. Es gab zwar Proselyten, aber deren Existenz ist mit der (passiven) Attraktivität der Synagoge und der Eigeninitiative von Heiden, nicht mit Missionsaktivitäten von Juden zu erklären. 6 Auch wenn man nicht von einem neuen Konsens sprechen kann, der den alten abgelöst hat, 22 so ist diese Kehrtwendung innerhalb weniger Jahre doch erstaunlich. Wie kommt es, dass sich selbstverständliche Gewissheiten plötzlich in Nichts aufzulösen scheinen? Es sind keine neuen Quellen entdeckt, sondern es sind die alten neu interpretiert worden. Im Wesentlichen scheinen mir dabei drei Faktoren eine Rolle zu spielen. Der erste ist die oben vorgestellte Diskussion um den Begriff Mission. Goodman und (mit Einschränkungen) McKnight verwenden einen sehr engen Begriff: Mission im eigentlichen Sinne ist proselytisierend und universal, alles andere zählt nicht. Damit scheidet natürlich manches aus, das den alten Konsens gestützt hatte. Jeremias führt als Besonderheit jüdischer Mission im Unterschied zu heutiger christlicher an: »Von einer offiziellen Aussendung von Missionaren durch die jüdischen Behörden wissen wir schlechterdings nichts; vielmehr beruhte die Mission durchaus auf persönlicher Initiative (... ) und auf der Anziehungskraft des synagogalen Gottesdienstes«. 23 Mindestens die Anziehungskraft des Gottesdienstes würden Goodman und McKnight nicht zur Mission rechnen. Diese enge Definition halte ich, wie gesagt, für wenig sinnvoll. Am Beispiel des Zitats von Jeremias: Sofern die Anziehungskraft der Synagoge intendiert war, also eine Ausstrahlung nach außen angestrebt wurde, liegt hier Mission vor. Was Goodman als informative, erzieherische und apologetische Maßnahmen von Mission unterscheidet, ist in eine sinnvolle Missionskonzeption zu integrieren. Ein zweiter Faktor ist der Adressatenkreis der jüdischen Literatur auf Griechisch. Insbesondere gibt es viele apologetische Werke, die heidnische Vorurteile gegenüber dem Judentum zu entkräften und es als die wahre Philosophie darzustellen versuchen. Vertreter des alten Konsenses sahen hierin Missionsliteratur. In gewisser Hinsicht gehört dazu auch die Septuaginta, die griechische Bibelübersetzung, die eine breitere Kenntnis der heiligen Schrift des Judentums gefördert haben könnte. Die Kritiker sind hiervon nicht überzeugt: Abgesehen davon, dass die Wirksamkeit solcher Schriften angesichts teurer Handschriften und beschränkter Verbreitung der Literalität von vorneherein gering gewesen sei, sehen sie die Adressaten unter Juden, nicht unter Heiden. Es ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation l{onkretion gibt zwar in der Tat kaum Hinweise darauf, dass Heiden jüdisch-apologetische Schriften oder die Septuaginta gelesen hätten. Mit einem solchen Argument e silentio scheint mir die Frage nach dem intendierten Lesepublikum aber noch nicht beantwortet. Sowohl die Verfechter einer heidnischen wie die einer jüdischen Leserschaft bleiben dazu die Nachweise bisher schuldig. Als letzten Faktor verweise ich auf eine Reihe unterschiedlich interpretierbarer Nachrichten zur Verbreitung des antiken Judentums, die deshalb besonders wichtig sind, weil direkte und eindeutige Belege jüdischer Mission fehlen. Ein paar Beispiele: Niemand bestreitet, dass der jüdische Bevölkerungsanteil im (östlichen) Mittelmeerraum in der Zeit zwischen dem Exil im 6.Jh. v.Chr. und dem 1.Jh. n.Chr. stark angestiegen ist. Die Erklärung ist strittig: Genügt es, auf die jüdische Ablehnung von Empfängnisverhütung, Abtreibung und Kindesaussetzung hinzuweisen? Oder muss man mit größeren Proselytenzahlen rechnen? Und wenn letzteres: Ist dieser Proselytenzuwachs auf Mission zurückzuführen? Oder zur Frage der Judenvertreibungen: Warum wurden z.B. 139 v.Chr. und 19 n.Chr. Juden aus Rom vertrieben? Hatte das mit missionarischer Aktivität zu tun, die das Misstrauen der staatlichen Autoritäten erregte, oder hatte es andere Gründe (Einführung eines neuen Kults, Betrug, Beteiligung an Unruhen etc.)? Die Quellenlage ist schwierig. Ein letztes, vielleicht besonders deutliches Beispiel: Die harte Kritik in Mt 23,15 an Pharisäern und Schriftgelehrten, die »Meer und Festland bereisen, um einen einzigen Proselyten zu machen«, galt lange als der deutlichste Beleg für eine intensive jüdische Mission unter Heiden, auch wenn der Ausdruck »Meer und Festland bereisen« vielleicht formelhaft für »sich äußerste Mühe geben« gebraucht ist und nicht unbedingt auf Missionsreisen hinweisen muss. Nach Goodman ist dieser Vers ganz anders zu lesen: Die Pharisäer wenden sich nicht an Heiden, sondern an Juden, die zu einer anderen innerjüdischen Gruppierung gehören, und versuchen, einen neuen Anhänger der eigenen pharisäischen Richtung zu gewinnen. Diese Neudeutung ist nicht unmöglich. Vielleicht ging die Vielfalt des damaligen Judentums tatsächlich so weit, dass der Anschluss ZNT 15 (8. Jg. 2005) an eine andere Richtung als ein Übertritt (in Feldtkellers Diktion: eine Inversion) gesehen wurde. Gegen Goodmans Deutung spricht aber, dass der Terminus »Proselyt« sich zwar auch auf Juden beziehen konnte (vgl. Ex 22,20 LXX), aber nirgends auf einen früheren Anhänger einer anderen jüdischen Gruppierung bezogen wird. In der Mehrzahl der Fälle ist ein heidnischer Konvertit gemeint. Es liegt deshalb näher, Mt 23,15 weiterhin als Zeugnis für eine jüdische Heidenmission zu deuten. Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, sie scheint mir aber darauf hinauszulaufen, dass weder die Maximalposition des alten Konsenses (etwa Feldmans) noch die Minimalposition seiner Kritiker (besonders Goodmans) Bestand haben wird. Die Vielfalt des Judentums zeigte sich auch im Umgang mit der Mission. Wahrscheinlich wird man aufhören müssen, »das« Judentum des l.Jh.s missionarisch zu nennen: »[A]mong the J ews there were different ideas, attitudes, and activities at work in receiving or bringing non- J ews into the Jewish religion«. 24 Wenn das so ist, dann ist aber sehr wahrscheinlich, dass jüdische Missionsbestrebungen, wo es sie denn gab, ein wichtiges Vorbild für die urchristlichen waren. Damit sind, wie gesagt, weitere Gründe und Motive im Christentum nicht ausgeschlossen. Die Debatte um eine Rückführung der urchristlichen Mission auf den historischen Jesus ist aber deutlich entlastet. Es ist nicht nötig wie es besonders evangelikale Autoren tun mit der vermeintlichen Analogielosigkeit und sonstigen Unerklärbarkeit dieser Mission für einen Missionsbefehl und ein messianisches Selbstbewusstsein Jesu zu argumentieren. 25 3. Konkretion: Modalitäten der urchristlichen Mission Wie die urchristliche Mission konkret aussah, wissen wir fast nur von Paulus und auch hier bleibt vieles unklar und umstritten. Nur zwei Fragen können im Folgenden behandelt werden: 1. Wie und wo begann Paulus seine Missionstätigkeit in einer neuen Stadt? Damit verbindet sich auch die Frage nach den Adressaten. 2. Welche Strukturen benutzte bzw. entwickelte er bei der Gründung einer Gemeinde? 7 3.1. Erste Missionskontakte In der älteren Forschung war es üblich, Paulus auf Grund des Stils mancher Briefteile mit den vielen Wanderpredigern seiner Zeit zu verbinden, die populärphilosophische, insbesondere kynische und stoische Inhalte verbreiteten. Es ist in der Tat so, dass zwischen Paulus und Philosophen wie Bion von Borysthenes, Dion von Prusa, Seneca oder Epiktet viele stilistische Gemeinsamkeiten bestehen. Kennzeichen dieses sogenannten Diatribenstils sind vor allem: der mehr oder weniger ausgeprägte Dialog mit einem anonymen Gesprächspartner, der zu Apostrophen, Frage- und Antwortstil, Personifikationen u.ä. führt; der lebhafte, oft polemische Ton; die Einbeziehung von Anekdoten, Beispielen, Sprichwörtern u.ä.; die starke rhetorische Prägung. Bei Paulus sind solche Mittel vor allem in Röm (bes. 1, 18-2, 11; 11, 1-24) und 1/ 2Kor (bes. lKor 15,29-49) anzutreffen. Da die sogen. Diatribe seit ULRICH VON WILAM0- WITZ-M0ELLEND0RFF als Kennzeichen öffentlicher Reden, oder besser: Predigten, galt, schloss man für Paulus auf dasselbe setting. Die betreffenden Briefteile sollen auf mündliche Missionspredigten zurückgehen, die Paulus, wie die übrigen Wanderprediger auch, auf dem Marktplatz gehalten habe, um Aufmerksamkeit zu erregen und erste Kontakte zu schaffen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass dieses Analogieverfahren auf einer falschen Grundlage beruht. Der sogenannte Diatribenstil kam nicht ausschließlich oder auch nur bevorzugt in öffentlicher philosophischer Massenpropaganda zum Einsatz. Er war vielmehr ein vielseitig verwendbares Mittel, mit dem sich intellektuelle (besonders philosophische) Gehalte popularisieren ließen, sei es in literarischen Werken, im Schulunterricht oder durch Wanderprediger. 26 Damit ist der Marktplatz als Ort der paulinischen Erstverkündigung zwar in den Hintergrund getreten, aber nicht ausgeschlossen. Überhaupt rechnet man heute mit sehr vielfältigen Möglichkeiten für missionarische Erstkontakte. W. REIN- B0LD hat einige zusammengestellt. 27 Manchmal trifft Paulus in einer Stadt, in die er kommt, bereits Christen an, so etwa Priska und Aquila in Korinth (Apg 18,1-3; lKor 16,19); ein wichtiger Ort war die Werkstatt, in der Paulus wie auch manche Philosophen unter Kunden und Kolle- 8 gen Beziehungen anknüpfen konnte; erstaunlich ist, dass Paulus sogar missliche Umstände wie Gefängnisaufenthalte (Phil 1,12-14) und Krankheiten (Gal 4,13f.) für die Mission nutzt. Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob Paulus auch in der Synagoge missioniert hat. Die Apg stellt es ja so dar: An jedem neuen Ort geht Paulus zunächst in die Synagoge, und erst seine Ablehnung dort führt zur Mission unter Heiden (z.B. Apg 13,14-52). Das Problem entsteht vor allem daraus, dass Paulus nicht erst für die Nachwelt der Heidenapostel schlechthin war (vgl. z.B. 1Tim 2,7), sondern sich bereits selbst so verstanden hat. Er sah sich als »Diener Christi J esu für die Heidenvölker« (Röm 15,16); den Titel »Apostel der Heidenvölker« hat er selbst für sich verwendet (Röm 11,13). Zudem kann man auf die allerdings schwer zu interpretierende - Vereinbarung auf dem Apostelkonzil verweisen, auf dem die Zuständigkeit von Paulus und Barnabas »für die Heiden« von den J erusalemer Aposteln anerkannt wird (Gal 2,9). Ist es dann denkbar, dass Paulus immer wieder Mission unter Juden betrieben hat? Die Darstellung der Apg wird manchmal insgesamt bezweifelt. 28 Meistens wird allerdings nur die schematische Abfolge mit lukanischem Interesse erklärt, an einem Wirken des Paulus auch in der Synagoge aber festgehalten. Dafür spricht vor allem lKor 9,19-23: Unter den Gruppen, aus denen Paulus immerhin »einige« retten will, sind auch die Juden. M.E. gehört die Verkündigung unter Juden zu den Aspekten der Mission, denen Paulus zwar große Bedeutung zuschreibt, die er aber nicht als Teil seines eigenen Auftrags sieht und die er dementsprechend nur bei Gelegenheit praktiziert." 3.2. Strukturen: Das Haus Von den vielen relevanten Fragen (z.B. nach Funktionen und Ämtern, nach der sozialen Schichtung, nach den Gruppengrenzen) kann ich hier nur eine behandeln, die in letzter Zeit zunehmend Interesse gefunden hat: Was bedeutete es für die Struktur der jungen Gemeinden, dass sie sich als Hausgemeinden konstitutierten? Die Forschung hat erstaunlich lange gebraucht, sich eingehend mit dieser Frage zu beschäftigen. In seiner umfassenden Studie »Hausgemeinde und Mission« aus dem Jahr 2000 stellt R.W. GEHRING fest: ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion »Fast dreihundert Jahre lang bis in das 4. Jh. hinein, als Konstantin anfing, die ersten christlichen Basiliken zu errichten sind die Christen in Privathäusern zusammengekommen und nicht in irgendwelchen anderen Gebäuden, die ursprünglich und allein für den Gottesdienst gebaut wurden. So einfach uns diese Tatsache erscheinen mag, um so überraschender ist die Beobachtung, dass dem Thema der neutestamentlichen Hausgemeinde(...) lange Zeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten hat man in der neutestamentlichen Forschung angefangen, intensiv über die architektonischen Bedingungen der frühchristlichen Zusammenkünfte und über die damit verbundenen sozialen und theologischen Implikationen nachzudenken«. 30 Hausgemeinden entstanden dadurch, dass Hausbesitzer Christen wurden und ihre Privathäuser für Gemeindeversammlungen öffneten. Mit einer solchen Bekehrung des Hausvaters konnte, musste aber nicht die Bekehrung aller anderen Mitglieder des Hauses verbunden sein. Zum »Haus« gehörten ja neben Eltern und Kindern noch weitere Verwandte, u.U. auch Sklaven und Klienten. Manchmal schloss die Bekehrung des Hausvaters alle übrigen ein (lKor 1,16; 16,15f.; Apg 18,8), manchmal blieben Sklaven Heiden (Phlm lf.10), manchmal gab es selbst in der Kernfamilie Religionsverschiedenheit (lKor 7,12-16). Umgekehrt sind auch christliche Sklaven im Haus eines heidnischen Herrn bezeugt (Röm 16, 11 ). Die Versammlung in Privathäusern brachte eine Beschränkung der Mitgliederzahl mit sich. Die Schätzungen schwanken, aber in einem durchschnittlichen Stadthaus fanden höchstens bis zu 40 oder 50 Personen Platz, und das nur, denen sich alle Hausgemeinden emer Stadt versammelten. Besonders im römischen, aber auch im griechischen Bereich hatte der Hausherr und Hausvater eine herausragende Stellung mit großer Autorität. Wenn ein solcher Hausbesitzer eine Gemeinde beherbergte, liegt es nahe, dass er in dieser Gemeinde auch eine gewisse Leitungsfunktion innehatte, insbesondere bei den Versammlungen. In lKor 16,16 fordert Paulus die Gemeinde auf, sich allen unterzuordnen, die »mitarbeiten und sich abmühen«. Dazu gehörten sicher diejenigen, die ihr Haus, ihr Geld oder ihren Einfluss für die Gemeinde einsetzten. Paulus gestand ihnen eine Führungsrolle zu, die allerdings noch nicht fixiert und noch nicht auf diesen Personenkreis beschränkt war. Erst in nachpaulinischer Zeit, als die Bedeutung der Hausgemeinden bereits zurückging, wurde in den Pastoralbriefen das Konzept des Hausherrn und Hausvaters auf den Gemeindeleiter übertragen (1Tim 3,1-7; Tit 1,7). Schon die Beobachtung, dass die Korinther aufgefordert werden, sich den Wohltätern der Gemeinde, darunter den Hausbesitzern, unterzuordnen, weist auf eine gewisse Ambivalenz hin. Zum einen werden die Autoritätsstrukturen des »Hauses« nicht angetastet, sondern bestätigt. Der Hausvater behält seine dominierende Stellung auch in der Gemeinde, die sich in seinem Haus versammelt. Bis zu einem gewissen Grad ist der Haushalt tatsächlich »die Gießform (die Matrix) der neuen Gemeinde«. 31 Auf der anderen Seite werden die Strukturen des »Hauses« nicht unverändert in die Gemeinde übernommen. Die genannte Aufforderung zur Unterordnung (1Kor wenn die Liegen, auf denen man normalerweise speiste, entfernt wurden. Man muss annehmen, dass eine Überschreitung dieser Zahl zur Gründung einer neuen Hausgemeinde führte. Auch wenn das in der Forschung umstritten ist, dürfte die paulinische Formel »die Gemeinde in »Jedenfalls ist für die Paulusgemeinden unbestreitbar, dass nicht nur wohlhabende, freie, 16,16) könnte gerade auf die tatsächliche Relativierung der traditionellen Autoritätsverhältnisse schließen lassen. Jedenfalls ist für die Paulusgemeinden unbestreitbar, dass nicht nur wohlhabende, freie, männliche Hausbesitzer Leitungsfunktionen ausüben männliche Hausbesitzer Leitungs[unktionen ausüben konnten, sondern auch Arme, Sklaven und Frauen.« ihrem/ deinem Haus« (Röm 16,5; 1 Kor 16, 19; Phlm lf.) wohl nicht identisch mit dem Ausdruck »die ganze Gemeinde« (Röm 16,23; 1 Kor 14,23) sein. Es muss also Gelegenheiten und entsprechend große Häuser gegeben haben, bei bzw. in ZNT 15 (8. Jg. 2005) konnten, sondern auch Arme, Sklaven und Frauen. Eine ähnliche Verbindung von Hierarchie und Egalität gab es auch in anderen zeitgenössischen Gruppierungen, besonders in den griechischrömischen Vereinen. Eine vor kurzem erschienene 9 Untersuchung vergleicht die Attraktivität der korinthischen Paulusgemeinde mit derjenigen solcher Vereine." Sie kommt zu interessanten Ergebnissen: Die soziale Schichtung der Gemeinde war deutlich größer als die der meisten Vereine. Dies machte sie attraktiv für bestimmte Gruppen: Zum einen für Männer, die ihre Frauen und Familien mit einbeziehen wollten, was in Vereinen kaum möglich war; dann natürlich für Frauen, aber auch für Arme, die nur hier in sozialen Kontakt mit weit Höhergestellten kommen konnten. Für Wohlhabende dagegen war die Beteiligung an der Gemeinde nur unter bestimmten Bedingungen dem Verein vorzuziehen, denn in der Gemeinde musste sich der Patron persönlich engagieren und mit geringerer Ehrerbietung vorlieb nehmen. In der Anfangszeit waren deshalb führende Gemeindepositionen oft nicht mit wirklich Reichen besetzt. Haben wir hier den Bereich der Mission nicht schon verlassen? Nicht ganz. Zwar hat sich natürlich die soziale Seite der Gemeinde nicht unter missionarischen Gesichtspunkten entwickelt. Die relativ weit gehende soziale Heterogenität und Egalität resultieren nicht etwa aus dem Bemühen, mehr Menschen anzusprechen, als Vereine es taten. Dennoch konnte diese Seite der Gemeindewirklichkeit dadurch missionarisch wirken, dass manche Gemeindeversammlungen und Gottesdienste auch für Nicht-Christen zugänglich waren (1Kor 14,23-25). Diese Zulassung von Außenstehenden zielte doch wohl auf Werbung. Es geht also auch hier nicht nur um die faktische Anziehungskraft einer Gemeinde, sondern um missionarische Intention und damit um » Mission« in dem Sinne, wie oben unter 1. definiert worden ist. Anmerkungen 1 F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), Neukirchen 1963, 10. 2 Aus den letzten Jahren (seit 2000) sind zu nennen: J. Adna/ H. Kvalbein (Hgg.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles (WUNT 127), Tübingen 2000; P. Bolt/ M. Thompson (Hgg.), The Gospel to the Nations: Perspectives on Paul's Mission. FS P.T. O'Brien, Downers Grove/ IL 2000; J.P. Dickson, Mission- Commitment in Ancient Judaism and in the Pauline Communities: The Shape, Extent and Background of Early Christian Mission (WUNT 2/ 159), Tübingen 2003; R.W. Gehring, Hausgemeinde und Mission: Die 10 Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaften von Jesus bis Paulus (Bibelwissenschaftliche Monographien 9), Gießen 2000; L.J. Lietaert Perbolte, Paul the Missionary (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 34), Leuven 2003; W. Reinbold, Propaganda und Mission im ältesten Christentum: Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000; E.J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002. Wichtige ältere Veröffentlichungen aus den letzten 40 Jahren sind (neben dem Buch von Hahn, s. Anm.1): B. Borgen/ V.K. Robbins/ D.B. Gowler (Hgg.), Recruitment, Conquest, and Conflict: Strategies in Judaism, Early Christianity, and the Greco-Roman World (Emory Studies in Early Christianity 6), Atlanta 1998; L. Bormann/ K.D. Tredici/ A. Standhartinger (Hgg.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World. FS D. Georgi (NT.S 74), Leiden 1994; A. Feldtkeller, Identitätssuche des syrischen Urchristentums: Mission, Inkulturation und Pluralität im ältesten Heidenchristentum (NTOA 25), Freiburg/ Schweiz 1993; D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief: Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike (WMANT 11), Neukirchen 1964 (leicht überarbeitet auch erschienen als: The Opponents of Paul in Second Corinthians, Philadelphia 1986 ); M. Goodman, Mission and Conversion: Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994; M. Hengel, Die Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 (1971/ 1972), 15-38; E.G. Hinson, The Evangelization of the Roman Empire: Identity and Adaptability, Macon/ GA 1981; H. Kasting, Die Anfänge der urchristlichen Mission: Eine historische Untersuchung (BEvTh 55), München 1969; K. Kertelge (Hg.), Mission im Neuen Testament (QD 93), Freiburg i.Br. 1982; W.J. Larkin jr. / J.F. Williams (Hgg.), Mission in the New Testament: An Evangelical Approach, Maryknoll / NY 1998; J. Nissen, New Testament and Mission: Historical and Hermeneutical Perspectives, Frankfurt a.M. 1999; D. Senior/ C. Stuhlmueller, The Biblical Foundations for Mission, London 1983; P. Stuhlmacher, Weg, Stil und Konsequenzen urchristlicher Mission, ThBeitr 12 (1981), 107-135. ' Hinson, Evangelization, 2. ' So Hahn, Verständnis, 18. 5 A.D. Nock, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1933 (Nachdruck 1969), 12-16. ' Näheres dazu bei Th. Sehmeiler, Schulen im Neuen Testament? Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit. Mit einem Beitrag von Christian Cebulj zur johanneischen Schule (Herders Biblische Studien 30), Freiburg i.Br. 2001, 46-92. 7 Dickson, Mission-Commitment, bes. 8-10. 8 Dickson, Mission-Commitment, Sf. (Hervorhebungen im Original). 9 Feldtkeller, Identitätssuche, 38. 1 ° Feldtkeller, Identitätssuche, 39. 11 Feldtkeller, Identitätssuche, 43. 12 Feldtkeller, Identitätssuche, 55. 13 Beide Zitate: Feldtkeller, Identitätssuche, 39. 14 So etwa Goodman, Mission, 5-7; S. McKnight, A Light among the Gentiles: Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991, 4f.; Schnabel, Mission, 11. ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schrneller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation l{onluetion 15 Mit R. Riesner, A Pre-Christian Jewish Mission? , in: Adna/ Kvalbein, Mission (s. Anm. 2), 211-250: 222f. Auch Reinbold, Propaganda, 10, lässt den Umfang der Adressatengruppe offen. 16 So Dickson, Mission-Commitment, 10. 17 Forschungsgeschichtliche Rückblicke bieten Riesner, Mission, 211-220; McKnight, Light, 1-4; J. Carleton Paget, Jewish Proselytism at the Time of Christian Origins: Chimera or Reality? , JSNT 62 (1996), 65-103: 65-68. 18 J. Jeremias, Jesu Verheissung für die Völker. Franz Delitzsch-Vorlesungen 1953, Stuttgart 2 1959, 9 (im Original kursiv). Ganz ähnlich K.G. Kuhn, Das Problem der Mission in der Urchristenheit, EMZ 11 (1954), 161- 168: 161. 19 D. Bosch, Die Heidcnmission in der Zukunftsschau Jesu: Eine Untersuchung zur Eschatologie der synoptischen Evangelien, Diss. Basel 1959, 33f. (Hervorhebungen im Original). 20 Mission (s. Anm. 2). Unterstützt wird Goodman z.B. durch Lietaert Peerbolte, Paul, 19-53. 21 Light (s. Anm. 14). 22 In Auseinandersetzung speziell mit Goodman hat z.B. L.H. Feldman den alten Konsens ausführlich verteidigt (Jew and Gentile in the Ancient World: Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993, 288-341); ähnlich D. Rokeah, Ancient Jewish Proselytism in Theory and Practice, TZ 52 (1996), 206-224. 23 Jeremias, Verheissung, 14 (Hervorhebung im Original). Ausführlich schildert auch Georgi, Gegner, 87-91, die Attraktivität des Synagogengottesdienstes als missionarisches Mittel. 24 P. Borgen, Proselytes, Conquest, and Mission, in: ders. / Robbins / Gowler, Recruitment (s. Anm. 2), 57-77: 58. Einen ähnlichen Mittelweg vertritt Carleton Paget, Jewish Proselytisrn, 102. Für eine Differenzierung votiert auch P.W. Barnett, J ewish Mission in the Era of the New Testament and the Apostle Paul, in: Bolt / Thompson, Gospel (s. Anm. 2), 263-283: 275f., der allerdings die Adressaten der gelegentlich zu beobachtenden jüdischen Mission auf Gottesfürchtige beschränken will. 25 So Riesner, Mission, 243-246; ähnlich Schnabel, Mission, 3.175.376-378. 26 Der Nachweis, dass der sogen. Diatribenstil nicht auf die Situation eines öffentlichen Wanderpredigers schließen lässt, ist das Verdienst von S.K. Stowers (The Diatribe and Paul's Letter to the Romans [SBL.DS 57], Chico / CA 1981 ). Allerdings wollte Stowers seinerseits den Diatriben-Kontext auf philosophischen Schulunterricht festlegen, was aus Paulus eine Art Lehrer gemacht hätte. Gegen diese unberechtigte Eingrenzung vgl. Th. Sehmeiler, Paulus und die »Diatribe«: Eine vergleichende Stilanalyse (NTA NF 19), Münster 1987, 47-51. 27 Reinbold, Propaganda, 183-195. 28 Ein rein fiktives Schema sehen in der Apg Reinbold, Propaganda, 164-181 (mit ausführlicher Diskussion der relevanten Stellen); F. Vouga, Geschichte des frühen Christentums (UTB 1733), Tübingen 1993, 96f. - Von anderer Seite wird nicht das missionarische Wirken des Paulus unter Juden, sondern unter Heiden bestritten, die nicht zuvor schon Sympathisanten des Judentums, also Gottesfürchtige, waren (so M. Reiser, Hat Paulus Heiden bekehrt? , BZ 39 [1995], 76-91). Diese These ist m.E. noch schwerer zu begründen; gegen sie spricht vieles, z.B. lKor 14,23-25. 29 Weitere solche Aspekte sind: die Weitergabe von Jesusüberlieferung, die Taufe und das Wunderwirken. Näheres dazu bei Th. Sehmeiler, Kollege Paulus: Die Jesusüberlieferung und das Selbstverständnis des Völkerapostels, ZNW 88 (1997), 260-283. ' 0 Gehring, Hausgemeinde, 13. 31 Gehring, Hausgemeinde, 334. 32 E. Ebel, Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden: Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechischrömischer Vereine (WUNT 2/ 178), Tübingen 2004. Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Stefan Alkier / Richard B. Ha ys (Hrsg.) Die Bibel im Dialog der Schriften Konzepte intertextueller Bibellektüre Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 10, 2005, ca. 300 Seiten, ca. € 48,--/ SFr 82,50 ISBN 3-7720-8098-7 Seit Julia Kristeva vor über 30 Jahren den Terminus „Intertextualität" in den literaturtheoretischen Diskurs einbrachte, hat er in einer ganzen Reihe von Wissenschaftsfeldern enorme Auswirkungen auf Theoriebildung und praktische Analyse ausgeübt. Auch innerhalb theologischer Exegese wird das Paradigma intensiv diskutiert. Der Band bringt europäische ZNT 15 (8. Jg. 2005) und amerikanische Forschungen aus Theologie, Altphilologie, Philosophie und Literaturwissenschaften miteinander ins Gespräch. Gerade die interdisziplinäre Ausrichtung der Beiträge lässt erkennen, dass sich eine Untersuchung der Bibel „im Dialog der Schriften" auf die kanonischen Texte genauso wenig wie auf ältere und zeitgenössische Literatur beschränken kann. Die Bibel als Buch der Bücher ist in ihrer kanonischen Disposition immer schon dialogisch angelegt und kann so im Dialog der Schriften einen entscheidenden Beitrag zur Sinnstiftung der Kulturen leisten. - A. Francke Verlag Tübingen 11 Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum Das frühe Christentum war nicht die einzige antike Religionsgemeinschaft, die für ihre Glaubensinhalte warb. Dennoch war das frühe Christentum letztlich erfolgreich. Warum? Zu Recht betont Jörg Rüpke, dass die Attraktivität des frühen Christentums und dessen hohe Zuwachsraten eigentlich »zu den erstaunlichsten Phänomenen der kaiserzeitlichen Religionsgeschichte« gehören. 1 Ein wesentlicher Grund für die Ausbreitung war, dass es zum Selbstverständnis früher Christen gehörte, ihren Glauben offensiv gegenüber denen, die ihm nicht angehören, zu vertreten (wenn dies auch nicht immer in gleicher Intensität umgesetzt wurde). Wie aber verhält sich frühchristliche Mission zur religiösen Propaganda anderer Gruppen? Die folgenden Beobachtungen greifen eine Fragestellung auf, die in der Forschung bis heute kontrovers beurteilt wird. 1. Frühchristliche »Mission« - Versuch einer Begriffsbestimmung Jede Überlegung, wie sich frühchristliche Missionstätigkeit in die Welt antiker Religiosität einfügt, ob sie etwa Impulse aus Judentum oder paganer Religiosität weiterführt, hängt entscheidend davon ab, was man unter »Mission« versteht.' Statt einer abschließenden Definition nenne ich drei Merkmale, die mir zum wesentlichen Kern frühchristlicher Mission zu gehören scheinen: a.) Globalität: christlicher Mission geht es um zu ihnen kommen, sondern gehen hinaus in die Welt (Mt 28,16-20). Im Hintergrund der Dringlichkeit steht das Wissen um das nahe Ende dieser Welt (Mk 13,10). c.) Exklusivität: Das christliche Bekenntnis schließt alle anderen konkurrierenden Bekenntnisse aus. Christliche Mission zielt auf einen Akt willentlicher Umkehr und aktiver Neugestaltung des ganzen Lebens. 2. »Mission« und religiöse Propaganda in der paganen Welt der Antike Pagane Religiosität' botim Unterschied zum Judentum kein klar umgrenztes oder einheitlich artikuliertes System an Inhalten und Handlungsanweisungen. Die Subsumierung der höchst dynamischen und vielfältigen Phänomene antiker Religiosität unter einen einheitlichen Oberbegriff »Heidentum« ist nicht unproblematisch.' Oft verhindern Vorurteile die sachgemäße Wahrnehmung antiker Religiosität. Weder wohnte der vielfältigen Welt pagener Religion wie insgesamt auch den »religiösen, sittlichen und kulturellen Gesamtzuständen der Kaiserzeit« bereits der Keim des Zerfalls inne, 5 noch taugt das Bild erhabener Beschaulichkeit klassisch-olympischer Götter oder die Unterstellung, antike Religiosität sei formalistisch und ohne emotional bindende Kraft und daher dem Christentum von vorn herein unterlegen gewesen. Antike Religiosität hat über Jahrhunderte hinweg das Lenichts weniger als die Propagierung des Evangeliums des auferstandenen Christus an alle Welt. Christliche Mission setzt daher ein Verständnis von der Welt als Einheit vor- »Oft verhindern Vorurteile die sachgemäße Wahrnehmung antiker Religiosität.« ben der Menschen im privaten und öffentlichen Bereich geprägt und zeichnete sich durch ungeheure Integratiaus und ist von ihrer Erlösungsbedürftigkeit überzeugt. Auf der individuellen Ebene bedeutet dies, dass die christliche Botschaft das ganze Leben des Menschen umgestalten will. b.) Dringlichkeit: Mission ist aktives »Gehen zu«. Christliche Missionare warten nicht, bis andere 12 onskraft, Wandlungsfähigkeit und Beharrungsvermögen aus. 1. Jedes Individuum in der Antike war eingebunden in eine Vielzahl von sozialen und politischen Bezügen des täglichen Lebens, die selbstverständlich auch religiös geprägt waren. Religion war überall. Die religiöse Prägung der allermei- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Jürgen Zangenberg PD Dr. Jürgen Zangenberg arbeitet als Researcher New Testament Exege~is an der Universiteit van Tilburg/ Niederlande und lehrt Neues Testament an der Universität Frankfurt. Prom: o~ tion 1996 in Heidelberg über »Frühes Christentum in Samarien«, Habilitation 2003 in Wuppertal über »Jüdische und frühchristliche Bestattungskultur in Palästina«. 2000 / 2001 Humboldt-Stipendiat an der. Yale University. Autor und (Mit- )Herausgeber zahlreicher Publikationen zum Thema Neues Testament, antikes Judentum, Qumran und Archäologie. sten Menschen war vor allem von der regionalen Herkunft, der sozialen Zugehörigkeit oder familiären Traditionen und Präferenzen bestimmt. So vielfältig die Inhalte und Formen paganer Kulte waren, so unterschiedlich war auch die Art und Weise ihrer Ausbreitung. Die Religion des Staates war in jeder größeren Stadt, auf Münzen, bei bestimmten Festtagen präsent. Im Zuge der Expansion römischer Macht breitete sich auch der Kult des Staates und seiner Herrscher aus, der vielleicht als einziger Kult wirklich reichsumspannend war. 6 Das Wechselspiel aus imperialer Gunst und städtischer Loyalität sorgte für rasche Übernahme dieser Kultform durch lokale Eliten, organisierte Mission durch ihre Amtsträger wurde aber nicht betrieben und die allermeisten Menschen hatten nur bei bestimmten Anlässen direkten Kontakt zum staatlichen Kult. Nachdem die ehemals starke Bindung an die Polis oder bestimmte Regionen immer mehr ihre Bedeutung verloren hatte, entfalteten viele alte und traditionsreiche Kulte während der späten römischen Republik und der frühen Kaiserzeiteine zunehmend überregionale Anziehungskraft. Besonders wichtig sind dabei solch traditionsrei- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum ehe Orakel- oder Heilorte wie Delphi oder Pergamon. Kaiserliche Förderung und die allgemeine Mobilität innerhalb des Reiches trugen zur »Internationalisiserung« traditioneller Religion bei. Reisende, eine wachsende Anzahl von »Touristen«, Händler, Soldaten sowie Sklaven und Freigelassene mit wenn auch nicht immer freiwilliger hoher Mobilität waren die vorrangigsten Multiplikatoren. Die allermeisten Kulte waren freilich schon länger aktiv auf Außenwirkung bedacht, wobei die Formen solcher Propaganda höchst unterschiedlich ausfallen konnten. Städte suchten das Ansehen der in ihren Mauern etablierten Kulte zu verbreiten und erhöhten so auch ihr eigenes Prestige. Eine große Bandbreite von »Medien« wurde im Wettstreit um Ruhm und Ansehen eingesetzt. Private Stiftungen als Akte religiös motivierter Wohltätigkeit, allgegenwärtige Votiv-, Dank- und Lobinschriften, Bauten und Bildwerke bis hin zu Münzen und Kleinkunst (Statuetten, Lampen) verherrlichten nicht nur die Gottheit zu Hause, sondern auch fern ihres heimatlichen Bezugspunktes und unterstützten so das legitime Interesse, die Zahl ihrer Anhänger zu vergrößern (z.B. Artemis von Ephesus oder Serapis aus Alexandria, Asklepios ). Einheimische nahmen den fremden Kult zu ihrem eigenen hinzu, oft zogen auch auswärtige Pilger in die jeweilige Ursprungsstadt des Kultes, mit dem sie in Berührung gekommen waren. 7 Heilungen, Wunder und Dienste des oft hochspezialisierten Kultpersonals (Zukunftsdeutung durch Traum, Los oder Orakel, Heilungen) galten als besonders werbewirksam. 8 2. Als besonderes Zeichen frühkaiserzeitlicher Religiosität gelten seit jeher die sich weitgehend parallel zum frühen Christentum rasch ausbreitenden »orientalischen Erlösungsreligionen«, etwa des ursprünglich persischen Mithras, der ägyptischen Isis und Osiris bzw. Serapis oder der kleinasiatischen Magna Mater bzw. Kybele, des Attis oder Sabazios. 9 Die Konzentration dieser Kulte auf das ursprünglich mit dem Vegetationszyklus verbundene, bald aber sehr stark auf das persönliche Ergehen zugespitzte Motiv des Vergehens und Wiedererstehens des Lebens, die Möglichkeit individuellen und gemeinschaftlichen N acherlebens des modellhaften Geschicks der sterbenden und wiederauferstehenden Gottheit durch sehr handgreifliche Rituale (»Bluttaufe«, 13 Mähler, hierarchische Initiation) und die Organisation in oft überschaubaren, vereinsähnlich strukturierten Gemeinden trugen sehr zur Popularität dieser Kulte bei und ergänzten althergebrachte Formen paganer Religiosität. Dabei scheint es, als hätten diese Kulte trotz ihrer augenscheinlich strukturellen Ähnlichkeit ganz unterschiedliche Personengruppen angesprochen. Mithras erfreute sich besonders im lateinischen Westen großer Anhängerschaft unter Soldaten und Kaufleuten. Der Gedanke des Bruderbundes der Eingeweihten, der durch das Stieropfer des Mithras gestiftet und durch das gemeinsame Mahl der Mysten bekräftigt wurde, war offensichtlich besonders attraktiv. Auffällig oder kommen zuweilen auch ganz ohne spezifische Namensnennung vor (theo hypsisto, »dem höchsten Gott«). Vor allem der große Einfluss, den die Astrologie und Kosmologie auf die kaiserzeitlichen Kulte ausübte, trug wesentlich zum Aufstieg einzelner Gottheiten zu »Allgöttern« bei, die sowohl die kosmische Ordnung wie auch die Lenkung des individuellen Schicksals garantierten. Praktisch jeder antike Kult in der frühen Kaiserzeit war somit offen für neue Anhänger, wenn auch nicht alle Kulte jeden Menschen in gleicher Weise aktiv ansprachen und die Träger dieser Verbreitung für uns oft genug konturlos und anonym bleiben. Nirgends jedoch ist, dass Frauen offensichtlich keine oder nur eine sehr geringe Rolle im Mithraskult spielten. Der Kult der Isis hingegen stand allen Menschen offen. Isis war im 1. und 2. Jh. n.Chr. in allen Teilen des Reiches auf dem »Antike Kulte sahen sich zwar führte die selbst für antike Wahrnehmung oft recht bizarre Propaganda dieser exotischen Kulte und ihre rasche Verbreitung zur Verdrängung der auf öffentliche und familiäre Praktiken beruimmer wieder in Konkurrenz um individuellen Zuspruch und öff entliehe Präsenz, doch fehlt der Exklusivitätsanspruch. « besten Wege, zu einer Allgottheit mit totalem Anspruch auf die ganze Welt und das ganze Leben des Eingeweihten zu avancieren. Die Werke des Plutarch (De Iside et Osiride) und Apuleius (Metamorphoses, bes. Buch 11) legen davon ebenso beredtes Zeugnis ab wie unzählige Inschriften. Anhängern der Isis traut man in der Forschung am bereitwilligsten »Mission« zu, zumal hier der Allanspruch einer Gottheit mit aktiver Propaganda für ihre Göttin einherging. Isis war freilich nicht die einzige Protagonistin weltweiter Herrschaft und ganzheitlicher Erlösung. Die Tendenz, einzelnen Gottheiten Macht über die ganze Welt sowie über die gesamte Existenz des Menschen durch Leben und Tod hindurch zuzuschreiben und ihnen die Autorität zu gewähren, von ihren Anhängern besondere Lebensgestaltung angefangen bei Kleidung und Haartracht über Speisegebote oder sexuelle Enthaltsamkeit bis hin zu bestimmten, von den Anhängern notwendig zu vollziehenden kultischen Riten zu verlangen, ist in der Kaiserzeit weit verbreitet und betrifft keinesfalls nur die »orientalischen« Gottheiten. Epitheta wie hypsistos (»höchster«) oder megistos (»größter«) sowie Aussagen mit dem Wortteil pan- (»all-«) werden auch traditionellen Göttern wie Zeus beigelegt 14 henden traditionellen Religiosität. Nirgends schließt auch noch so wortreiche Panegyrik zugunsten einer einzelnen Gottheit die grundsätzliche Berechtigung und Wirksamkeit anderer Kulte rundweg aus, im Gegenteil. Die vielfältigen Strömungen ergänzten sich, beeinflussten sich gegenseitig und existierten neben- und miteinander. Hier liegt der eigentliche Unterschied zum Judentum und zum frühen Christentum. Antike Kulte sahen sich zwar immer wieder in Konkurrenz um individuellen Zuspruch und öffentliche Präsenz, doch fehlt der Exklusivitätsanspruch. Sicher führte pagane Propaganda zu einer oft sehr persönlichen Hinwendung vieler Menschen an eine als besonders wirksam erfahrene Gottheit, die man durchaus mit einem »Bekehrungserlebnis« vergleichen kann (ritueller Akt der Zuwendung an die Gottheit, überschwengliche Gegenübersetzung des jetzigen Lebens im Segen der Gottheit zum vergangenen Dasein in »Dunkelheit«). Immer wieder finden wir in Literatur und Epigraphik Zeugnisse von zum Teil sehr persönlich gefärbten Bekenntnissen und Treuebekundungen an die »eine Gottheit«, die alles hört, über alles herrscht und der man daher in allen Unwägbarkeiten des Lebens vertrauen kann. Besonders im Bereich der orientalischen Erlösungsreligionen scheint es zudem gewisse ZNT 15 (8. Jg. 2005) Tendenzen gegeben zu haben, die Zugehörigkeit als exklusive Bindung an den einen, persönlichen Gott und Erlöser zu interpretieren, doch stand einer Einweihung in mehreren Kulten grundsätzlich nichts entgegen. So konnte etwa ein Mithrasmyste ganz selbstverständlich auch seinen religiösen Pflichten im Heer nachgehen und die Götter Roms oder den genius des Kaisers in traditioneller Weise kultisch verehren. Man konnte ein derartiges Verhalten sicher auch theoretisch unterfüttern (etwa in dem Sinne, dass alle Götter ja letztlich Ausdruck der einen göttlichen Kraft sind), doch musste man es nicht. Die Pluralität des Göttlichen war kein Problem, sondern selbstverständlicher Ausdruck der Pluralität der Kulturen und Lebensformen innerhalb der ungeheuer komplexen antiken Mittelmeerwelt und damit der Garant ihres Bestandes. Die Autorität jahrhundertelang bewährter Praxis und das Bedürfnis, keine Gottheit durch Nichtachtung zu entehren, genügten völlig, um sich neuen Göttern zu nähern. Mission im Sinne einer aktiven, dringlichen, auf die Umkehr der ganzen Welt gerichteten und auf exklusive Zugehörigkeit zielende Propaganda für die eine und einzig wahre Gottheit gab es in der paganen Antike nicht. Keiner der antiken Kulte präsentierte sich als der einzige Weg, auf dem Heil und Rettung zu finden sind. 3. Neben den »Erlösungsreligionen« des hellenisierten Ostens hat vor allem auch die Philosophie zu einer spürbaren Verstärkung des Bewusstseins um die Einheit der Welt und die Allmacht der Gottheit jenseits aller augenscheinlichen Vielfalt beigetragen. Die Wendung vor allem platonisierender und stoischer Weltdeutung hin zu eher praktischen Fragen der Lebensbewältigung und »Seelsorge« in der Kaiserzeit öffnete die Philosophie nicht nur für den Alltag weiter Kreise der Bevölkerung, sondern machte sie auch empfänglich und fruchtbar für die Reflexion religiöser Praxis und Theorie. So wandelte sich unter ihrem Einfluss zwar weniger der Vollzug kultischen Lebens in Opfern und Gelübden (der weiterhin sehr stark traditionell geprägt blieb), es stieg aber die »Durchlässigkeit« gottheitlicher Konturen und Identitäten, sodass entweder einzelne Götter immer stärker als bloße Namen für die hinter aller Vielfalt stehende Einheit des Göttlichen gesehen wurden oder sich ursprüngliche Eigenschaften mehrerer Götter auf eine konzentrierten. Die Ver- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum Die Isisfamilie. Wandmalerei, Casa degli amorini dorati, Pompeji. Im Bild von rechts: Serapis, Isis und Horns, daneben der hundsköpfige Gott Anubis. Der Isiskult gelangte im späten 3 Jh. v.Chr. nach Rom und fand in der späten Republik weite Verbreitung. quickung von Philosophie und Religion gehörte zu den Grundfaktoren, die zur regionalen wie sozialen Mobilität antiker Religiosität beitrugen. Im Bereich der Popularphilosophie begegnen uns auch die ersten greifbaren Beispiele für Personen, die aktiv für die Verbreitung ihrer Gedanken gesorgt haben. Wanderprediger meist kynischstoischer Prägung bemühten sich oft in Konkurrenz mit Angehörigen anderer Schulen, die Menschen zum Nachdenken über rechte und falsche Lebensführung anzuregen. Belehrungen über rechte und falsche religiöse Praxis waren selbstverständlicher Teil ihres Repertoires (vgl. etwa die Orakelkritik des Oinomaos von Gadara im 2. Jh.). Durch provokantes Auftreten hielten sie den irrenden, im Materiellen und ihren Gewohnheiten verhafteten Menschen den Spiegel vor und erreichten nicht selten große Menschenmengen. Nur selten aber zielt die Botschaft dieser Wanderprediger darauf ab, dass die Zuhörer die eigene nonkonformistische Lebensweise übernahmen. 10 Das primäre Interesse der meisten Philosophen lag nicht in der Rettung der Menschen durch totale Umkehr zum einen, wahren Gott, sondern im zivilisationskritischen Appell an Vernunft und Ethos zum Erreichen eines erfüllten Lebens (eudaimonia ). Sie forderten zur Aufgabe bestimmter Verhaltensweisen auf, nicht zur Aufkündigung aller Loyalitäten zur traditionellen Religion. Trotz oft heftiger Polemik gegen als fehlgeleitet wahrgenommene Religiosität (superstitio )'1 lehnen 15 Der schlichte Altar, der dem Iuppiter Optimus Maximus und dem Genius Augusti geweiht ist, wird in die Jahre 83 n.Chr. datiert (Kaiser Domitian). Die bewusst parallele Stellung der Buchstaben »I(uppiter) O(ptimus) M(aximus )« und » IMP( eratoris )« verbindet Iuppiter und den Kaiser und verleiht dem Letzteren damit eine göttliche Aura. Römisch-Germanisches Museum, Köln. die allermeisten Popularphilosophen religiöse Praktiken nicht rundweg ab,1' sondern versuchen sie durch Einsicht gleichsam zu erneuern. Es verwundert daher nicht, dass mancher, der diese Geborgenheit gefunden hat, die Vorzüge der sie stiftenden Philosophie auch anderen gegenüber preist und danach strebt, dass mehr Menschen ihr folgen. So entstanden im Bereich der Popularphilosophie nicht zuletzt auch diejenigen Redeformen und Literaturgattungen, mit denen man um die Zustimmung der Menschen warb und die im NT eine so wichtige Rolle spielen (z.B. Diatribe, biographische Werke über den Schulgründer, echchristlichen Missionaren verglichen werden: Apollonius von Tyana (1. Jh. n.Chr., vor allem in seiner literarischen Ausgestaltung durch Philostratos im 3. Jh.) und Alexander von Abonuteichos (2. Jh. ). 13 Es ergibt sich: Trotz aller Anlehnungen vor allem an die Popularphilosophie stellt frühchristliche Mission keine direkte Fortsetzung paganer Praktiken dar. Weder der Anschluss an eine Philosophenschule noch die Initiation in eines der Mysterien oder die Teilnahme am traditionellen Kult in einer bestimmten Stadt verlangte den radikalen Bruch mit der Vergangenheit und die exklusive Zuwendung zum einen Gott und seiner exklusiv verstandenen Gemeinschaft, wie dies Paulus etwa in lThess 1,10 thematisiert. Nur selten führt die Umorientierung zum Anschluss an eine fest gefügte Gemeinschaft, signifikante Ausnahme sind die Mysterienreligionen. Vor allem erfolgt die Veränderung religiöser Präferenz im Zuge einer paganen »Konversion« stets innerhalb eines grundsätzlich akzeptierten Systems religiöser Pluralität, das nach der Umorientierung gewonnene »Neue« ist als Vertiefung, Ergänzung oder qualifizierte Weiterführung bestehender Religiosität zu verstehen. Schließlich fehlt paganer religiöser oder philosophischer Propaganda die hohe Dringlichkeit aufgrund des kommenden Gerichts, die frühchristliche Mission kennzeichnet. Beide Grundelemente, die Exklusivität wie auch die Dringlichkeit, sind genuin jüdisches Erbe. Setzt christliche Mission also jüdische Mission fort? 3. »Mission« im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit? 1. Im Unterschied zur Vielzahl paganer Religionen besaß das antike Judentum durch spezifische te und pseudepigraphische Briefe zu Fragen der Lebenspraxis, Chrie und Paränese). Im Schnittpunkt zwischen Popularphilosophie, Kultpropaganda, Wundertätertum und Scharlatanerie stehen » Trotz aller Anlehnungen vor allem an die Popularphilosophie stellt frühchristliche Mission keine direkte Fortsetzung paganer Praktiken dar.« Charakteristika (strikter Monotheismus, Bibel als Grundurkunde, Bundesnomismus und Erwählungsgedanke) und Lebenspraxis (Ethik, Zusammengehörigkeit, Sabbat, Beschneidung, Speise- und Heizwei Personen, die in der neutestamentlichen Forschung mit freilich nur eingeschränktem Recht immer wieder mit früh- 16 ratspraktiken) klar beschreibbare Konturen, die auch von der nichtjüdischen Umwelt wahrgenommen wurden. 14 Selbstver- ZNT 15 (8. Jg. 2005) ständlich teilte das antike Judentum auch zentrale Elemente antiker Religiosität (v.a. Tempel, Priestertum und Opferkult bis 70 n.Chr.). Dank des rechtlichen Schutzes haben die zum Teil sehr bedeutenden Diasporagemeinden Kleinasiens, Ägyptens oder Roms einen erstaunlich hohen Grad an Inkulturation erreicht. Der Kontakt mit hellenistischer Kultur trug nicht zuletzt wesentlich zur Ausformung einer eigenen jüdischen materiellen Kultur bei. Freilich hatten auch Juden wie andere »kulturelle Außenseiter« immer wieder unter Anfeindungen von Seiten der »Mehrheitskultur« zu leiden," übten sich jedoch ebenso in oft schroff ablehnender Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum gen gehen von bis zu 10% im Durchschnitt der Bevölkerung aus, wobei dieser Wert an einzelnen Orten beträchtlich überschritten werden konnte) ohne aktive und systematische Konversionsbemühungen jüdischer Missionare undenkbar. Der natürliche Bevölkerungszuwachs und vereinzelte Übertritte von Heiden aus eigener Motivation hielt man nicht für ausreichend. Zudem schien das Judentum aufgrund seines engen Zusammengehörigkeitsgefühls, des strengen Monotheismus, der konsequenten und nachvollziehbaren Ethik (vor allem im Dekalog) und der durch ihr Alter geadelten Lehre durchaus eine attraktive Option religiöser Orientierung für »construction of the other«. Trotz des vergleichsweise eigenständigen Profils war das antike Judentum keinesfalls ein monolithischer »Aus prophetischen Hoffnungen lässt sich keine jüdische Mission ableiten.« viele Heiden zu bieten. Viele Synagogengemeinden waren nichtjüdischen Sympathisanten gegenüber aufgeschlossen Block: gerade im 1. Jh. v./ n.Chr. zeichnete es sich durch eine sehr hohe regionale, theologische und kulturelle Vielschichtigkeit aus. So vielfältig die Lebensumstände jüdischer Gemeinden waren, so unterschiedlich gestalteten sich auch ihre theologischen Überzeugungen und praktischen Verhaltensweisen im Rahmen des »common Judaism« (E.P. Sanders). So darf keine Rekonstruktion antik-jüdischer Theologie und Glaubenspraxis die Unterschiede zwischen Palästina und der Diaspora oder die tiefgreifenden historischen Umbrüche des späten 1. Jh. n.Chr. übersehen. Dies gilt auch und gerade für das Thema »Mission«. 2. Die Exklusivität jüdischen Selbstverständnisses als erwähltes Volk des einzigen Gottes und Schöpfers der Welt brachte trotz aller Integration in die hellenistische Umwelt vor allem in der Diaspora in der Regel eine klare Distanzierung von paganem Kult und offen paganer Lebensweise mit sich. Andere Völker haben andere Götter (Ex 22,28LXX), doch dem Israeliten ist jede Art von »Fremdkult« strikt verboten. Wie aber kam es dann zu dem auffälligen Wachstum jüdischer Gemeinden? Die Forschung bis gegen Ende des 20. Jh. führte den Zuwachs fast durchweg auf aktive Mission jüdischer Gemeinden in ihrer paganen Umwelt zurück, die gezielt um Konvertiten warb. Eine Reihe von Beobachtungen konnte man dafür ins Feld führen. Zunächst schien allein schon die große Anzahl von Juden vor allem im östlichen Mittelmeerbereich (Schätzun- ZNT 15 (8. Jg. 2005) genug,16 dass sie diese am Gemeindeleben teilnehmen ließen, ohne sogleich die Beschneidung (eines der größten emotionalen Hindernisse für Heiden! )17 zu verlangen. Vor allem die in zahlreichen epigraphischen und literarischen Quellen erwähnte Gruppe der »Gottesfürchtigen« (seboumenoi, theosebeis)18 wurde als Frucht intensiver jüdischer Missionsarbeit angesehen, die darauf gezielt habe, aus den Sympathisanten Vollkonvertiten (proselytoi) zu machen. Schließlich sah man in Texten wie Mt 23,15 (»Pharisäer ziehen über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen«) oder Gal 5,11 (»Beschneidung verkündigen«) einen klaren Beleg für Kritik durch die frühchristliche »konkurrierende Gruppe« an jüdischer Missionspraxis. Als theologische Grundlage jüdischer Heidenmission galten Aussagen über die Universalität Gottes und die Erwartung der Wallfahrt der Völker zum Zion (Jes 2,2f.; 45,22; 49,6; 51,4; 56,6-8; 66,19; Mi 4,1; Sach 2, 11; 8,20-23; äHen 90,30-33 ). Auch interpretierte man Passagen aus manchen Texten der Diaspora, die die Umkehr von den »toten Götzen« und ihren Werken hin zum »lebendigen Gott« thematisieren (OrSib 3,8-45.545-572; SapSal 13,1-15,19; PsPhilo, De Jona; JosAs), als Spuren jüdischer Missionsverkündigung. Insgesamt galt das 1. Jh. v./ n.Chr. weithin als »klassische Zeit« jüdischer Heidenmission. 19 3. In letzter Zeit ist diese Position grundlegender Kritik unterzogen worden. 20 So stellten 17 em1ge Forscher nicht nur die Erklärung des Bevölkerungszuwachses durch Mission in Frage, sondern bezweifelten vor allem die textliche Basis und betonten, dass im antiken Judentum weder die theologischen Voraussetzungen noch der Impetus für missionarische Aktivität zur Gewinnung von Konvertiten existiert hätten. So besteht heute praktisch ein Konsens darüber, dass die breit in biblischer und nachbiblischer Literatur belegten Aussagen über Gottes weltumspannenden Anspruch, die Rolle Israels als » Licht der Völker« oder das eschatologische Geschick der Heiden keinerlei Informationen darüber liefern, wie sehr das praktische Leben jüdischer Gemeinden von diesen Zukunftsvisionen tatsächlich beeinflusst worden ist. Aus prophetischen Hoffnungen lässt sich noch kein Appell zur aktiven Mission ableiten. Hinzu kommt, dass die Erwartungen über das endzeitliche Geschick der Heiden (wenn es überhaupt themativon ihren falschen Göttern ab und erkennen als Heiden! den wahren Gott Israels an. Ein Appell zur Mission lässt sich daraus kaum ableiten, eher die wenig motivierende Ahnung davon, was überhaupt geschehen müsse, um die Heiden von ihrem Irrweg abzubringen, nämlich »nothing less than the definitive and final self-revelation of God«. 21 So spielten Texte wie Jes 2,2f.; 45,22; 49,6; 51,4; 56,6-8; 66,19; Mi 4,1 u.a. weder eine tragende Rolle im alltäglichen Umgang mit Heiden, noch wurden sie zur theoretischen Deutung für das Hinzukommen selbst derjenigen wenigen Heiden bemüht, die von selbst den Weg zum Judentum fanden. Vielen rabbinischen Texten zufolge mussten Heiden überhaupt nicht Juden werden, um als gerecht bestehen zu können, sondern umkehren und als Heiden ein rechtschaffenes Leben führen. Als Leitfaden galten die sog. »noachidischen Gebote« (mit Rückbezug auf Jub 7,20). 22 Texte, die ehedem als jüdische Missionssiert wurde! ) höchst unterschiedlich sind. So gibt es zahlreiche Texte, die schlicht von der Vernichtung der Heiden wegen ihrer Untaten ausgehen und keinerlei »positives Ergehen« für sie in Aussicht stellen (J es 54,3; Mi 5,10-15; Zef 2,l0f.; Sir 36,7; lQM 12,10; PsSal 17,25-27). »Der Unterschied zwischen integrierendem Judentum und missionierendem frühen Christentum liegt klar im Referenzrahmen, der spezifischen Werliteratur galten, liest man in der Forschung nun als Dokumente »jüdischer Selbstvergewisserung«. 4. Das antike Judentum war zwar insgesamt keine missionarische Religion, es wies aber diejenigen nicht ab, die ernsthaft von seinen Lehtung der Zeit, in der die Begegnung mit Außenstehenden stattfindet.« Andere Stimmen erwarten, dass Heiden zwar am Leben bleiben, sich aber Israel unterwerfen und ihm dienen werden (Jes 45,14.23; 49,23; Mi 7,17; äHen 90,30; 1 QM 12,13f.). Entscheidend ist aber, dass die »positiven« Texte, die oft als theoretische Grundlage für eine angebliche systematische jüdische Heidenmission angeführt werden, nicht von Konversion in der Gegenwart, sondern vom Einschluss der Heiden in das eschatologische Drama sprechen. Paula Fredriksen betont zu Recht: Ein rechtschaffener Heide, der seine Götzen ablegt und zum Gott Israels übertritt, tut es jetzt zur Zeit seines Lebens und bleibt Jude bis ins Eschaton; die »eschatologischen Heiden« aber haben bis ans Ende der Welt in ihrem Götzenkult verharrt und legen ihn nur dann ab, als sich Gott selbst ihnen in unwiderstehlicher Herrlichkeit offenbart. Doch auch dann konvertieren sie nicht, indem sie etwa den Bund Gottes durch Beschneidung auf sich nehmen, sondern lassen lediglich 18 ren angezogen waren und um Aufnahme in eine Synagogengemeinde baten. Vor allem persönliche Kontakte dürften immer wieder Menschen zu diesem Schritt bewogen haben (vgl. die Konversion des Königs Izates von Adiabene in Josephus, Antiquitates 20,34-48). Aufgrund des biblisch begründeten, exklusiven Selbstverständnisses des Judentums setzt jede Konversion zum Judentum die strikte Trennung von allem Bisherigen als Bedingung für die nachfolgende Eingliederung in die neue Gemeinschaft voraus. Die strukturelle Analogie zur christlichen Taufe ist evident. Trotz der problematischen Quellenlage lassen sich die wichtigsten Stationen der Konversion umreißen. 21 Grundlegend ist die Anerkenntnis der Tora, die durch die Beschneidung dokumentiert wird. Da »Gottesfürchtige« und andere Sympathisanten nicht beschnitten sind, gelten sie trotz eventueller Frömmigkeitspraxis nicht als Juden im Vollsinn. An die Beschneidung schloss sich offenbar ein Tauchbad an, sozusagen das erste im ZNT 15 (8. Jg. 2005) nunmehr stets wiederkehrenden Vollzug ritueller Waschungen (der Begriff »Proselytentaufe« ist daher irreführend, da diese Waschung eine andere Bedeutung besitzt als die christliche Taufe). Anzunehmen ist, dass der Proselyt nach Möglichkeit seine Konversion auch am Tempel durch die Darbringung eines Opfers zusätzlich zu befestigen suchte, doch ob dies als spezielle Verpflichtung außerhalb der normalen Anlässe bestand und was an die Stelle des Opfers nach 70 n.Chr. trat, bleibt unklar. Wie viele Menschen diesen Weg gingen, lässt sich nur vermuten. Antikes Judentum und frühes Christentum teilen also zwar den globalen Anspruch und die Exklusivität ihres Bekenntnisses, anders als das frühe Christentum kennt das antike Judentum aber keine generelle Verpflichtung zur Mission mit dem Ziel möglichst zahlreicher Konversion von Heiden. 5. Warum aber ist das so? Rainer Riesner macht zu Recht darauf aufmerksam, dass der Begriff proselytos denjenigen bezeichnet, der zum Judentum hinzukommt, während das NT im Kontext von Mission von Christen als »Hinausgehenden« (poreuthentes) spricht (Mt 28,19; Mk 16,15). 24 Es ist genau diese »Geh-Struktur«, die ein Charakteristikum frühchristlicher Mission darstellt, aber im zeitgenössischen Judentum fehlt. Das frühe Christentum trug dasjenige Programm zur Schaffung neuer Identität »offensiv« nach außen als Motivation zur Konversion,das das Judentum »defensiv« nach innen zur Aufrechterhaltung der eigenen Identität propagiert hatte: nämlich einziger Weg zum Schöpfer und Erlöser der Welt zu sein. Der Unterschied zwischen integrierendem Judentum und missionierendem frühen Christentum liegt klar im Referenzrahmen, nämlich der spezifischen Wertung der Zeit, in der die Begegnung mit Außenstehenden stattfindet. Nach frühchristlicher Auffassung liegt diese Zeit zwischen der Auferstehung und Erhöhung des Christus und der unmittelbar bevorstehenden Endzeit, ist also eschatologisch bestimmt. Insofern erhielt die Konversion von Nichtjuden nicht nur besondere Bedeutung als bestätigendes Zeichen der beginnenden Erfüllung endzeitlicher Hoffnungen auf das Hinzukommen der Heiden, sondern wurde zur Aufgabe der sich als eschatologisches Volk verstehenden Christen (Mt 28,18-20; Röm 15,16-21). Die Frage, auf welcher Basis die Einbeziehung der Heiden praktisch geschehen soll, ob sie etwa be- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum Relief, Pergamon Museum, Berlin. Die Heilstat des Mithras, die Stiertötung, wurde im Rahmen des Mithrasku! tes am häufigsten dargestellt. schnitten werden müssen wie jüdische Proselyten oder gerade nicht, entwickelte sich daher nicht überraschend zu einen der zentralen Kontroversen frühchristlicher Theologiegeschichte. Natürlich werteten auch Juden die Konversion von Heiden im Lichte der Bibel als heilvolles Geschehen, doch spielten in diesem Zusammenhang eschatologische Konnotationen keine entscheidende Rolle, 25 da die Gegenwart hier insgesamt nicht unter dem Vorzeichen der angebrochenen Endzeit stand. Signifikant ist schließlich, dass im frühen Christentum neben der eschatologischen Qualifikation der Zeit gerade die positiven Traditionen vom Ergehen der Heiden rezipiert wurden, man also nicht deren Vernichtung erwartete, sondern zu ihnen ging, um sie in das eine, eschatologische Gottesvolk zu integrieren. Besonders bei Paulus spielt dieser Gedanke eine Rolle, ist aber auch schon, wenn nicht bei Jesus selbst, dann in der J esustradition greifbar.'" 4. Ergebnis Der Vergleich mit dem zeitgenössischen Judentum und der paganen Mitwelt des frühen Chris- 19 tentums hat gezeigt: Inmitten des weiten Felds religiöser Propaganda antiker Religionen besaß das frühe Christentum ein durchaus eigenständiges Profil. Frühchristliche Mission hat sicher Elemente jüdischer Theologie und Praxis weitergeführt und Impulse paganer Propaganda aufgegriffen, es hat sie aber in ihr eigenes Verständnis von Gott, Welt und Geschichte eingefügt, das »Mission« im Sinne der systematischen Aktivität, Konvertiten zu gewinnen,27 zu einem Wesensmerkmal macht. Nicht nur das Verständnis und die Praxis von Mission, sondern auch die Motivation zur Mission sind untrennbar mit dem Kern christlichen Selbstverständnisses als endzeitlicher Gemeinschaft verbunden. Anmerkungen 1 J. Rüpke, Die Religion der Römer, München 2001, 228. 2 Noch immer grundlegend ist A.v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1924. Eine ähnlich umfassend angelegte Darstellung frühchristlicher Mission auf evangelikaler Grundlage bietet E.J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002. Mit den theologischen Grundlagen frühchristlicher Mission befasst sich die einflussreiche Studie F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), Neukirchen- Vluyn 2 1965; vgl. nun ders., Mission in neuteastamentlicher Sicht. Aufsätze, Vorträge, Predigten, Erlangen 1999; K. Kertelge (Hg.), Mission im Neuen Testament (QD 93), Freiburg u.a. 1982. Besonders hilfreich bei der Abfassung dieses Artikels war L.J.L. Peerbolte, Paul the Missionary (CBET 34), Löwen u.a. 2003, bes. 19-79. ' Aus der Flut an Literatur zur paganen Religiosität vgl. Rüpke, Religion; G. Sissa/ M. Detienne, The Daily Life of the Greek Gods, Stanford 2000; J. Ferguson, The Religions of the Roman Empire, Ithaca 2 1991; R. Lane Fox, Pagans and Christians in the Mediterranean World from the Second Century AD to the Conversion of Constantine, London 1986; R. MacMullen, Paganism in the Roman Empire, New Haven und London 1981; ders., Christianizing the Roman Empire A.D. 100 - 400, New Haven / London 1984; M.P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Band 2: Die hellenistische und römische Zeit (HdA V.2), München 4 1988; K. Latte, Römische Religionsgeschichte (HdA V.4 ), München 2 1992. 4 Zum Problem der Terminologie vgl. J. Zangenberg, Realizing Diversity. Reflections on Teaching Pagan Religion(s) in Late Hellenistic and Early Roman Palestine, in: M.C. Moreland (Hg.), Between Text and Artifact. Integrating Archaeology in Biblical Studies Teaching, Atlanta 2003, 181-194. 5 So klassisch Harnack, Mission, hier 28. ' Dazu vgl. I. Grade! , Emperor Worship and Roman Religion, Oxford 2002; H. Cancik/ K. Hitz! (Hgg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003. 20 7 Vgl. M. Dillon, Pilgrims and Pilgrimage in Ancient Greece, London 1997. • Als Beispiel können die Kulte des Asklepios und Hippokrates gelten, vgl. E.J. Edelstein/ L. Edelstein, Asclepius. A Collection and Interpretation of the Testimonies, ND Baltimore und London 1998; 0. Temkin, Hippocrates in a World of Pagans and Christians, Baltimore und London 1995. 9 Die klassische Studie von F. Cumont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum, Darmstadt 8 1981 ist noch immer wertvoll, vgl. auch W. Burkert, Antike Mysterien, München 1990; M. Giebel, Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten, Zürich und München 1990. Zu Mithras s. M. Clauss, Mithras. Kult und Mysterien, München 1990 (bes. 42-50); ders., Cultores Mithrae. Die Anhängerschaft des Mithras-Kultes (HAB ES 10), Stuttgart 1992. Zu Isis s. R.E. Witt, Isis in the Ancient World, Baltimore und London 1997; R. Merkelbach, Isis Regina - Zeus Sarapis. Die griechisch-ägyptische Religion nach den Quellen dargestellt, Stuttgart/ Leipzig 1995; V.F. Vanderlip, The Four Greek Hymns of Isidorus and the Cult of Isis (ASP 12), Toronto 1972. 10 V.a. Kyniker in der Nachfolge des Antisthenes und Diogenes von Sinope, dazu R.B. Branham/ M.-O. Goulet-Caze (Hgg.), The Cynics. The Cynic Movement in Antiquity and Its Legacy, Berkeley u.a 1996. 11 Zum Thema vgl. D.B. Martin, Inventing Superstition. From the Hippocratics to the Christians, Cambridge 2004. 12 Abgesehen von den Epikuräern aufgrund ihrer Indifferenz gegenüber traditioneller Religiosität, vgl. H. Jones, The Epicurean Tradition, London 1992. 13 Peerbolte, Missionary, 69-73; E. Koskenniemi, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese (WUNT II/ 61), Tübingen 1994; M. Dzielska, Apollonius of Tyana in Legend and History, Rom 1986; U. Victor, Lukian von Samosata: Alexandras der Lügenprophet (RGRW 132), Leiden u.a. 1997. 14 Einen interessanten Blickwinkel bietet S.J.D. Cohen, »Those Who Say They are Jews and Are Not«. How Do You Know aJew in Antiquity When You see One? , in: ders / E.S. Frerichs (Hgg.), Diasporas in Antiquity (BJS 288), Atlanta 1993. 15 Vgl. z.B. P. Schäfer, Judaeophobia. Attitudes toward the Jews in the Ancient World, Cambridge u.a. 1997. 16 Dazu L.H. Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World, Princeton 1993; 177-286; T. Rajak, The Synagogue within the Greco-Roman City, in: S. Fine (Hg.), Jews, Christians and Polytheists in the Ancient Synagogue. Cultural Interaction during the Greco-Roman Period, London/ New York 1999, 161-173; S. Fine, Non-Jews in the Synagogues of Late-Antique Palestine. Rabbinic and Archaeological Evidence, in: S. Fine (Hg.), Jews, Christians and Polytheists in the Ancient Synagogue. Cultural Interaction during the Greco- Roman Period, London/ New York 1999, 224-242. 17 Vgl. A. Blaschke, Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte (TANZ 28), Tübingen 1998, 323- 360. 18 J.M. Lieu, The Race of the God-fearers, in: dies., Neither Jew Nor Greek? Constructing Early Christianity, London/ New York 2002, 49-68; B. Wander, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidni- ZNT 15 (8. Jg. 2005) sehen Umfeld von Diasporasynagogen (WUNT 104), Tübingen 1998. 19 Nützliche Überblicke über die Forschung geben R. Riesner, A Pre-Christian Jewish Mission? , in: J. Adna/ H. Kvalbein (Hgg.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles (WUNT 127), Tübingen 2000, 211-250 (211-223); Peerbolte, Missionary, 1-17. 20 P. Fredriksen, What »Parting of Ways«? J ews, Gentiles, and the Ancient Mediterranean City, in: A.H. Becker/ A.Y. Reed (Hgg.), The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (TSAJ 95), Tübingen 2003, 35-63 (38-48); Peerbolte, Missionary, 19-53; M.Goodman, Mission and Conversion. Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994; Riesner, Mission, 211- 223; S. McKnight, A Light Among the Gentiles. Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991; R. Goldenberg, The Nations That Know Thee Not. AncientJewish Attitudes Toward Other Religions, New York 1998. Zustimmender in Bezug auf jüdische Mission äußern sich Feldman, Jew; J. Carleton Paget, Jewish Proselytism at the Time of Christian Origins. Chimera or Reality? , JSNT 62 (1996), 65-103. 21 Fredriksen, Ways, 54f. (Zitat 55). Jürgen Zangenberg Mission in der Antike und im antiken Judentum 22 A.F. Segal, Rebecca's Children. Judaism and Christianity in the Roman World, Cambridge und London 1986, 165-171. 23 Dazu vgl. etwa McKnight, Light, 78-89; L.H. Schiffman, Who Was a Jew? Rabbinic and Halakhic Perspectives on the Jewish Christian Schism, Hoboken 1985, bes. 19-39. 24 Riesner, Mission, 250. 25 Vgl. z.B. Jona 3,8-10 in B. Ego, »Denn die Heiden sind der Umkehr nahe«. Rabbinische Interpretationen zur Buße der Leute von Ninive, in: R. Feldmeier / U. Hecke! (Hgg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden (WUNT 70), Tübingen 1994, 158-176. 26 Zu Paulus vgl. Peerbolte, Missionary, passim; zur Jesustradition vgl. E.P. Sanders, Jesus and Judaism, London 1985, 211-221: »(T)he overwhelming impression is that Jesus started a movement which came to see the Gentile mission as a logical extension of itself« (221, Kursive von Sanders); vgl. auch S. Freyne, Jesus, A Jewish Galilean. A New Reading of the Jesus-Story, London/ New York 2004, bes. 92-121. 27 So Riesners plausible Definition in Mission, 223. UTB. Theologie Christian Möller Einführung in die Praktische Theologie UTB 2529 M, 2004, XII, 286 Seiten, div. Tab., € 21,90/ SFr 38,50 UTE-ISBN 3-8252-2529-1 Christian Möller entwirft eine „Landkarte" der Praktischen Theologie, die es den Lesern ermöglicht, sich einen Überblick über Herkunft und gegenwärtigen Diskussionsstand dieser Disziplin zu verschaffen. Das Buch steckt das gesamte Gebiet der Praktischen Theologie ab, indem es die einzelnen Unterdisziplinen wie z.B. Uturgik, Homiletik oder Poimenik in ihrer Geschichte, ihren Positionen und Debatten umfassend darstellt. Die Entwicklung der Praktischen Theologie wird dabei ebenso umsichtig nachgezeichnet, wie auch die Positionen markant herausgearbeitet werden. Schließlich fordert das Buch durch eine eigene Position zur eigenen Urteilsbildung heraus. Es eignet sich für Studienanfänger ebenso wie für Examenskandidaten, aber auch Vikare und Pfarrer. A. Francke ZNT 15 (8. Jg. 2005) 21 Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt - Vorschläge, Probleme, Perspektiven Theodor Ahrens gewidmet Teil 1 Wie kam es, dass sich das Christentum in der antiken Welt ausbreitete? Die Frage selbst ist nicht neu, und es hat mehrere Versuche gegeben, sie umfassend zu beantworten. 1 Jetzt scheint es nötig zu sein, sich über das historiographische Projekt einer Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums neu zu verständigen. Zu diesem Zweck werde ich im folgenden zunächst drei wichtige Darstellungen der Ausbreitung des antiken Christentums vorstellen. Im zweiten Teil sollen dann einige der weiterbestehenden Probleme angezeigt sowie Perspektiven für die weitere Forschung angedeutet werden. 1. Adolf von Harnack Adolf v. Harnacks klassische Darstellung in seinem Werk »Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei J ahrhunderten« 2 vermag den Leser noch immer zu faszinieren, da es die Stärken der großen Werke Harnacks in sich vereinigt: Es ist in den gedanklichen Grundlinien kühn und klar konzipiert, es ist umfassend und gründlich in der Dokumentation und der Durchdringung der Probleme, und es wird der Komplexität des Gegenstandes gerecht. Harnack beginnt seine Darstellung mit der Analyse der äußerlichen Bedingungen für die Ausbreitung des Christentums: Es war das Diasporajudentum, das der christlichen Expansion mit seinem die Ökumene des römischen Reiches überziehenden Netzwerk von Synagogen und mit seiner Mission den Boden bereitete. Die jüdische Mission verbreitete das Wissen von den Schriften des Alten Testamentes, von Katechese und regelmäßigem Synagogengottesdienst; sie propagierte einen ethisch akzentuierten Monotheismus, die Idee einer ,historischen Teleologie< und machte die Idee missionarischer Aktivität aller erst plausibel (S. 20). Harnack meint, dass das Judentum viel vom Christentum antizipiert habe; die Grenze des Judentums sei die nationale Beschränkung auf ein 22 Volk gewesen. Dennoch, zum Zeitpunkt des Auftretens des Christentums war laut Harnack das Judentum bereits in wichtigen Teilen auf dem Weg zu einer wahrhaft universalistischen Religion, und zwar sowohl durch die >Reduktion< auf wenige wichtige Prinzipien als auch durch Synkretismus, »durch Aufnahme einer Fülle neuer Elemente aus anderen Religionen.« (S. 20). Harnack zählt weitere, »äußere Bedingungen« für die Ausbreitung des spätantiken Christentums auf: Die wichtigste unter ihnen ist das, was man als >antike Globalisierung< bezeichnen könnte, d.h. die Tatsache, dass Rom um das Mittelmeer ein Imperium etablierte, das viele Nationen, Kulturen, Sprachen umfasste, das den internationalen Handel durch die Sicherheit von Straßen und Seewegen erleichterte und das auf diese Weise die Idee »von der wesentlichen Einheit des Menschengeschlechtes« (S. 25) beförderte. Weitere Bedingungen waren eine gewisse Einebnung der spätantiken Gesellschaft (»die Dekomposition und Demokratisierung der alten Gesellschaft« [S. 26]), der damit einhergehende »Verfall der exakten Wissenschaften« und die Ausbreitung mystischer, wundersüchtiger Religiosität sowie die religiöse Toleranz seitens des römischen Staates (S. 26f.). Nach den »äußeren Bedingungen« wendet sich Harnack den »inneren Bedingungen« für die Ausbreitung des antiken Christentums zu. Ein Kapitel ist dabei der generellen religiösen Situation gewidmet zweifellos eines der schwächeren Kapitel des Buches, wie Harnack selbst zu wissen scheint. 3 Harnack präsentiert hier seinen Lesern ein Konstrukt, das er ,Orientalismus< nennt, man könnte sagen, es handelt sich um eine Rekonstruktion des religiösen Geistes der Zeit, ihrer religiösen Mentalität. Wichtige Charakteristika dieses ,Orientalismus< sind »die scharfe Teilung zwischen Seele (Geist) und Leib«, eine korrespondierend scharfe Unterscheidung zwischen Gott und Welt, die Betonung der Transzendenz Gottes, die Abwertung der Welt und des Fleisches, eine »Sehnsucht nach Erlösung« als Auf- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt Winrich Löhr Prof. Dr. Winrich Löhr, seit 2000 Professor für Kirchengeschichte am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg; Mitherausgeber des >Jahrbuchs für Antike und Christentum>< sowie des ,Reallexikons für Antike und Christentum<. WS 2004/ 05 Visiting Fellow des St. Edmund,s College/ Cambridge/ UK. Forschungsschwerpunkte; Theologiegeschichte des antiken Christentums, Gnostizismus; Heidentum und Christentum in der Spätantike. hebung des Todes, die Überzeugung, dass die Erlöserfigur bzw. das Medium der Erlösung schon präsent sei und dass die Erlösung sowohl in Erkenntnis als auch im Empfangen einer erlösenden Kraft bestehe. Der Harnacksche ,Orientalismus, ist ein System, in dem »Welterkenntnis, Religion und strenge ethische Disziplinierung des individuellen Lebens« eine »geschlossene Einheit« bilden, die gleichsam unverbunden neben Staat und Gesellschaft existieren und ihnen gegenüber eine negative, asketische Haltung einnehmen (S. 35f.). Harnack begnügt sich freilich nicht mit dem Aufzählen äußerer und innerer Randbedingungen für den Erfolg des antiken Christentums. Ihm zufolge kann dieser letztlich nur erklärt werden, wenn man das Wesen des Christentums als einer historischen Religion recht erfasst. Die Kapitelüberschriften Harnacks vermitteln einen Eindruck: »Die Religion des Geistes und der Kraft, des sittlichen Ernstes und der Heiligkeit.«(S. 220-239); »Die Religion der Autorität und der Vernunft, der Mysterien und der transzendentalen Erkenntnisse.« (S. 239-258); »Die Religion des Buches und der erfüllten Geschichte.« (S. 289-299). Das Christentum, so Harnack, verkündete nicht nur »das Evangelium vom Heiland und von der Heilung« (S.129-150) und das »Evangelium ZNT 15 (8. Jg. 2005) der Liebe und der Hilfeleistung« (S. 170-220), sondern es kämpft ebenso gegen »den Polytheismus und Götzendienst« (S. 300-324). In seiner entwickelten Form ist das Christentum eine >complexio oppositorum, (S. 111 ), eine lebendige Einheit von Gegensätzlichem, von elementarer religiöser Erfahrung einerseits und einer alle Bereiche des Denkens und des Fühlens durchdringenden Mannigfaltigkeit und Differenziertheit andererseits. Laut Harnack repräsentiert das Christentum dabei in einem synkretistischen Zeitalter eine neue Art von Synkretismus, den »Synkretismus der Universalreligion« (S. 325). Harnack fährt fort: »Aller Kräfte und aller Beziehungen hat sie sich bemächtigt und sie in ihren Dienst genommen wie arm, wie dürftig, wie beschränkt nehmen sich die anderen Religionen im Reiche daneben aus! « (S. 325). Und doch, so Harnack weiter, hat das Christentum alles, was es an religiös Wertvollem in seiner Umwelt gab, an sich gezogen und zu etwas Neuem geformt. Er schreibt: »Was umschließt diese Religion nicht alles, und doch lässt sie sich noch immer auf einen ganz einfachen Ausdruck bringen, und ein Name umfasst noch alles, der Name Jesu Christi! « (S. 325 ). Das letzte Zitat evoziert eine Eigenschaft des Christentums, auf die Harnack besonderen Wert legt: Obwohl ungeheuer reichhaltig und vielfältig, ja innerlich gegensätzlich, ist das Christentum doch zugleich wesentlich einfach, es kann ,elementarisiert< werden, in einfacher Form zusammengefasst werden: »Und jeder Punkt scheint die Hauptsache, ja das Ganze zu sein« (S. 324).4 Laut Harnack ist das Christentum neben Neoplatonismus und Manichäismus eine der drei Universalreligionen, die in der Antike entstanden sind: Alle drei zielen darauf, das Ganze des menschlichen Lebens zu beeinflussen und zu formen, alle drei haben »die Ideen der Offenbarung, der Erlösung, der asketischen Tugend und der Unsterblichkeit« propagiert. Aber das Christentum, das die anderen beiden antiken Universalreligionen überlebte, ist ihnen überlegen, weil es den alttestamentlichen Hintergrund mit »orientalisch-hellenistischer Spekulation« kombinierte und weil es nicht nur wie auch der Manichäismus, aber nicht der Neoplatonismus einen >Stifter< hatte, sondern - und hier unterscheidet es sich vom Manichäismus einen ,Stifter< der gleichzeitig Erlöser und Sohn Gottes ist. 5 23 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass laut Harnack das Christentum das römische Reich eroberte, weil es eine Art >Überreligion< der Antike war, oder, um Harnacks eigenen Ausdruck zu gebrauchen, weil es »die Religion selbst« ist. Als solche ist sie keine Religion neben anderen, sondern schließt das Beste der Anderen in sich ein und ist doch ihnen und ihren Gegensätzen und Polaritäten überlegen. 6 Das Christentum erschien auf der religiösen Bühne der antiken Welt, als seine Zeit gekommen war. Pointiert könnte man sagen, dass Harnacks Darstellung eine ungeheuer gelehrte, aktualisierte, neuprotestantische Version eben der Sicht des Christentums und seines Aufstiegs ist, welche die altkirchliche Apologetik pro- • 7 pag1erte. 2. Ramsay MacMullen Ramsay MacMullen knapper und eleganter Essay »Christianizing the Roman Empire« ist der zweite und wohl wichtigste Teil einer Trilogie, in der sich der amerikanische Historiker mit der Ausbreitung des antiken Christentums beschäftigt. 8 MacMullen, der anders als Harnack auch die Ausbreitung des Christentums in der Zeit nach Konstantin dem Großen behandelt, distanziert sich von einer theologiezentrierten Historiographie.9 Wenn MacMullen auch der christlichen Theologenelite und ihrem schriftstellerischen Oeuvre eine beschränkte missionarische Wirkung zuzubilligen bereit ist (S. 10), so können doch ihm zufolge deren Bemühungen nicht erklären, wie es dazu kam, dass die Zahl der Christen um das Jahr 300 n.Chr. auf etwa fünf Millionen angewachsen war (S. 34). Laut MacMullen war das vorkonstantinische Christentum im öffentlichen Raum kaum sichtbar, obwohl Christen am öffentlichen Leben teilnahmen, waren große Teile ihrer religiösen Aktivität unsichtbar und unauffällig, um nicht den Verdacht der Heiden zu erregen; das Christentum betrieb keine organisierte Mission (S. 40). Nach MacMullen zeigt eine Analyse der Inschriften aus dem Römischen Reich, dass in dieser Hinsicht die Gewährung der religiösen Toleranz durch Konstantin und Licinius (Mailänder Vereinbarung von 313 n.Chr.) die Wende darstellte: Nun begann das Christentum sich selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu zeigen - und es ist das Heidentum, das an Sichtbarkeit verliert, an den 24 Rand gedrängt wird, ohne jedoch völlig zu verschwinden (S. 102f.). Aber wie kam es laut MacMullen dazu, dass das Christentum so viele Anhänger gewinnen konnte? Laut MacMullen der hier in bewusstem Kontrast zu Harnack schreibt sollte sich der Historiker nicht so sehr auf die christliche Botschaft und deren spezifische Qualitäten konzentrieren, sondern vielmehr darauf, was die heidnischen Massen von ihrem religiösen Erwartungshorizont her von einer neuen Religion wie dem Christentum erhofften. Die Analyse muss sich also ebenso sehr (wenn nicht mehr) mit der Rezeption wie mit der Produktion der religiösen Botschaft befassen. Das Christentum, so MacMullen, war erfolgreich, weil es ziemlich passgenau die heidnischen Erwartungen an Religion erfüllte: Die meisten Heiden erwarteten Schutz und Hilfe von ihren Göttern. Das Christentum verhieß den Leuten Schutz vor dem Zorn Gottes und dessen negativen Wirkungen auf das irdische Wohlergehen; christliche Wundertäter befreiten durch Exorzismen von den Dämonen; und schließlich und vor allem: Das Christentum versprach Wunderheilungen für alle möglichen Krankheiten und Gebrechen. Es war eben diese Kombination von eindrucksvollen göttlichen Machtdemonstrationen vor einem abergläubischen Publikum und dem aggressiven Anspruch, dass der christliche Gott der einzige Gott sei, die den begrenzten aber nicht unbeträchtlichen Erfolg des Christentums in vorkonstantinischer Zeit garantierten. 10 Unter Konstantin und seinen Nachfolgern, so MacMullen, gab es natürlich weitere und weit stärkere Anreize für eine Konversion zum Christentum: Zunächst und vor allem Geld: Schon Konstantin hatte begonnen, den heidnischen Kulten langsam die finanzielle Basis zu entziehen, eine Praxis, die sich unter seinen Nachfolgern (natürlich mit Ausnahme Julians) fortsetzte (S. 52ff.). Einige der so frei gewordenen Finanzmittel wurden nun sei es vom Kaiser, sei es von der Elite der Superreichen den christlichen Kirchen zugewendet. Gelegentlich erhielten Konvertiten auch einfach Geldgeschenke. Weiterhin wurden die Kirchen auch die Befreiung des Klerus von öffentlichen Diensten und Lasten sowie durch eine günstige Erbgesetzgebung gefördert (S. 53). Im vierten und den folgenden Jahrhunderten vermochten es die christlichen Bischöfe, die städ- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt tischen Massen zu mobilisieren, was ihnen Einfluss bei Kaisern und lokalen Behörden verschaffte (S. 55). Für Karrieren in der Staatsverwaltung oder auch in der Armee war ein Bekenntnis zum christlichen Glauben gewiss auch kein Nachteil (S. 45f.56.114f.). Schließlich und endlich gab es - und besonders seit der Zeit Theodosius I auch liehen Version der Ausbreitung des Christentums in der antiken Welt distanzieren will. Er verweigert sich dem verführerischen, apologetisch gefärbten Diskurs der christlichen Quellen, der in Harnacks Darstellung verfeinert und aktualisiert wird. Für MacMullen ist es nicht so wichtig, wie die christliche Elite, die in diesen Quellen spricht, das Christentum und dessen die gewaltsame staatliche Unterdrückung des Heidentums: »Gewöhnliche Männer und Botschaft definierte; vielmehr will er die Analyse darauf konzentrieren, was die potentiellen Konvertiten zum Christentum hofften, fürchteten und glaubten. Im zweiten Der heidnische Kult wurde für illegal erklärt und unter Strafe gestellt, Tempel und Kultstätten wurden zerstört und geplündert. 11 Frauen bekehrten sich, so suggeriert MacMullen, aus Gründen, die heutige Christen nicht akzeptieren würden ... « MacMullen betont, dass spätantike Konversionen zum Christentum ob vor oder nach Konstantin dem Großen oft eine ziemlich oberflächliche Angelegenheit blieben. Was Augustin in seinen »Confessiones« beschrieb, also die Konversion eines hochbegabten, komplexen spätantiken Intellektuellen, ist kein Modell, das uns die Erfahrungen und Motive normaler Christinnen und Christen erschließen könnte. MacMullen führt den Erfolg des Christentums teilweise auch darauf zurück (und hier findet sich ein Echo der Ansichten Harnacks ), dass die spätantike Epoche Zeuge eines intellektuellen Niedergangs war; selbst hochintelligente christliche Zeitgenossen wie Ambrosius und Augustin propagierten teilweise Aberglauben. 12 Dieser intellektuelle Niedergang kann teilweise durch die Tatsache erklärt werden, dass in der Spätantike vermehrt auch traditionell eher bildungsferne Schichten Zugang zur Bildung und Bildung voraussetzenden Karrieren und Positionen erhielten. MacMullen fordert seine Leser auf, sich darauf einlassen, dass Konversionen in der Spätantike eine ganze Reihe von Gefühlen und Motiven einschlossen, die nicht unbedingt intellektueller Natur waren. 13 Mit seiner Ausbreitung im vierten und den folgenden Jahrhunderten, so MacMullen, konnte das Christentum auch die Bandbreite von Belohnungen (Leben nach dem Tod, Verehrung der Toten etc) erweitern, die es offerieren konnte. Das Christentum integrierte nun auch viele heidnische Elemente, die nur oberflächlich verchristlicht worden waren. 14 Zusammenfassend kann man sagen, dass MacMullen sich von einer idealisierten christ- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Kapitel seines Buches versucht MacMullen eine Zusammenfassung heidnischer Glaubensinhalte. 15 Es ist eben dieses in MacMullens Darstellung im Kern statische, ja fast zeitlose - Heidentum,1 6 das den Rahmen für die Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums bot. Gewöhnliche Männer und Frauen bekehrten sich, so suggeriert MacMullen, aus Gründen, die heutige Christen nicht akzeptieren würden, und sie bekehrten sich zu einem Typ von Christentum, den heutige Christen nicht wiedererkennen würden. MacMullen schreibt: » The triumph of the church was not one of obliteration, but of widening embrace and assimilation.« 17 3. Rodney Stark Der Untertitel seiner Monographie » The Rise of Christianity. A Sociologist considers History« 18 deutet es an - Rodney Stark untersucht den Aufstieg des antiken Christentums aus der Perspektive eines modernen Soziologen. Stark will die Geschichte der Alten Kirche um einen modernen soziologischen Theorieansatz bereichern; auf diese Weise sollen obsolete Theorieformationen (Stark zitiert und kritisiert z.B. Max Webers Begriff des ,Charisma< [S. 24]) durch eine Theorie mit größerer Erklärungskraft ersetzt werden (S. 26 ). Starks Buch ist also Teil seines größeren, über lange Zeit verfolgten Projektes, eine moderne, empirisch fundierte soziologische Theorie der Religion zu erarbeiten. 19 Diese Theorie beansprucht, Religion als menschliche Aktivität ernst zu nehmen und auf diese Weise frühere Theorieansätze, die Religion wahlweise als Aberglauben, einen psychopathologischen Zustand, 25 eine Illusion (Freud), >das Opium des Volkes< (Marx), die Selbstbestätigung der sozialen Ordnung (Durkheim) erklären bzw. entlarven wollten und die meinten, mit der Ausbreitung einer wissenschaftlich geprägten Moderne würde die Religion absterben, zu überbieten. 2 ° Für Stark sind Religion und religiöse Bekehrung fundamental rationale menschliche Verhaltensweisen." Er behauptet weiterhin, dass Atheismus und Ablehnung von Religion in der vormodernen Epoche genauso stark, wenn nicht stärker als in der Moderne waren, dass Religionen am besten in einer >deregulierten religiösen Ökonomie, (wo alle religiösen Gruppen gleichermaßen vom Staat toleriert werden und keine religiöse Gruppe besondere Vorzüge genießt; das Modell sind natürlich die USA) gedeihen und dass es keinerlei überzeugenden empirischen Belege für die Behauptung gibt, dass Religion und Glauben in den Schichten der Gesellschaft die meiste Anhängerschaft haben, die arm, unterprivilegiert und ungebildet sind. Starks soziologische Analyse des Aufstiegs des antiken Christentums nimmt ihren Ausgang bei einer simplen Frage: »How did a tiny and obscure messianic movement from the edge of the Roman Empire dislodge classical paganism and become the dominant faith of Western civilisation? « (S. 3) Im ersten Kapitel skizziert Stark ein quantitatives Modell für das Wachstum der christlichen Religion im Römischen Reich: Indem er verschiedene Beobachtungen der Forschung kombiniert und die üblichen quantitativen Überlegungen aufnimmt," gelangt er zu einer Wachstumskurve von ca. 1000 Christen im Jahr 40 n.Chr. bis zu ca. fünf bis sechs Millionen Christen im Jahre 300 n.Chr. D.h., dass die Zahl der Christen durchschnittlich um 40% alle zehn Jahre in der Periode von 40 n.Chr. bis 300 n.Chr. wuchs. 23 Stark kann dann erste wichtige Schlussfolgerungen aus diesem Modell ziehen: Erstens, in den ersten beiden Jahrhunderten war die absolute Zahl der Christen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ziemlich klein. Im Jahr 200 dürfte es z.B. nur ca. 200 000 Christen gegeben haben. Das Christentum blieb sozusagen unter der Wahrnehmungsschwelle. In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts dürfte die Zunahme in absoluten Zahlen hingegen schon recht beeindruckend gewesen sein - und Heiden und Christen müssen sich dessen bewusst geworden sein. 24 26 Zweitens: Eine Wachstumsrate von ca. 40% alle zehn Jahre in der Zeit vor Konstantin bedeutet, dass die Behauptung, die Bekehrung Konstantins habe für die Ausbreitung des antiken Christentums eine entscheidende Rolle gespielt, wahrscheinlich falsch ist (S. 10). Stark schlägt folgende spekulative Kalkulation vor: Wenn das Christentum nach Konstantin mit der gleichen Rate weitergewachsen wäre wie vor ihm, so wäre bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts die Mehrheit der Bevölkerung des römischen Reiches christlich gewesen. Ja, so rechnet Stark vor, um das Jahr 400 wäre bei anhaltender Wachstumsdynamik die Zahl der Christen auf ca. 180 Millionen angewachsen (S. 10.13) etwa das Dreifache der Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches. Das aber heißt, dass die Wachstumskurve sich nach der Bekehrung Konstantins erheblich abgeflacht haben muss. Starks Analyse der Gründe für die Ausbreitung des Christentums kann sich also guten theoretischen Gewissens auf die Zeit vor Konstantin, vor der staatlichen Privilegierung des Christentums, konzentrieren. 25 Eine dritte wichtige Schlussfolgerung ergibt sich aus dem von Stark vorgeschlagenen quantitativen Modell: Die frühen christlichen Gemeinden und Gruppen müssen zahlenmäßig eher klein gewesen sein. So hat auf der Grundlage des Stark'schen Modells Keith Hopkins angenommen, dass es um 100 n.Chr. möglicherweise nicht mehr als einhundert christliche Gemeinden mit einer durchschnittlichen Größe von siebzig Personen gab; für das Jahr 178 n.Chr. ergäbe sich eine Zahl von etwa 100 000 Personen, die sich auf mehr als zweihundert Gemeinden verteilen." Stark meint nun, dass die grundsätzlich korrekten Annahmen von Hopkins für diejenigen Forschungspositionen schwierig sind, die von einer exzessiven Fragmentierung der Christenheit der ersten beiden Jahrhunderte ausgehen. 27 Stark kann eine ganze Reihe weiterer aussagekräftiger Hypothesen vorschlagen; er bezieht dabei auch Beobachtungen und Schlussfolgerungen ein, die er aus seinen Feldforschungen über das Wachsen religiöser Bewegungen in den USA gewonnen hat. Mit MacMullen stimmt Stark darin überein, dass auch er die Wirkung direkter Evangeliumspredigt für die Ausbreitung des antiken Christentums eher gering veranschlägt; freilich wider- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt spricht er MacMullens Annahme, dass es Exorzismen und Wunderheilungen waren, welche eine entscheidende Rolle spielten. 28 Vielmehr, so meint Stark, sei die Erklärung in direkten persönlichen Bindungen zu suchen (»a structure of direct and intimate personal attachments« [S. 20]); seinen Beobachtungen zufolge wachsen religiöse Bewegungen wie die Mormonen oder die Moonies dadurch, dass sie soziale Netzwerke entweder selber etablieren oder sich existierende Netzwerke zunutze machen (S. 15ff.). Freilich ist es von entscheidender Bedeutung, dass es denjenigen religiösen Bewegungen, die eine kontinuierliche Wachstumsrate aufrechterhalten, gelingt ihre Netzwerke offen zu halten (S. 21). Das für das Wachstum des frühen Christentums wichtigste Netzwerk waren zweifellos die über das römische Reich verteilten Synagogen des Diasporajudentums. Konsequenterweise verwirft Stark die These, dass die frühen Christen es nicht vermocht hätten, viele Juden zu gewinnen (S. 49-71). Er schreibt: »... the mission to the Jews of the diaspora should have been a considerable long-run success.« (S. 70; kursiv i.O.). In einem weiteren Kapitel testet Stark seine Netzwerk-Hypothese, indem er vergleichende Betrachtungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit christlicher und heidnischer Netzwerke angesichts der wiederkehrenden lokalen und regionalen Seuchen des zweiten und dritten Jahrhunderts anstellt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Epidemie eher das christliche als das heidnische lokale Netzwerk gestärkt haben dürfte und dass nach überstandener Seuche das christliche Netzwerk seine Fähigkeit, Heiden zu gewinnen, ausgebaut haben dürfte. 29 Vor allem, so meint Stark, hatte das Christentum all denjenigen Menschen (d.h. der breiten Masse) etwas zu bieten, die in der brutalen und ungesunden Umwelt der überbevölkerten, multiethnischen und multikulturellen Großstädte der Spätantike (wie Rom und Antiochien) zu überleben versuchten. Stark evoziert die Fragilität des städtischen Lebens in der Spätantike in ihren verschiedenen Aspekten: Die Straßen waren nachts unsicher, Städte wurden belagert, erobert und geplündert, die Städte waren Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben und Seuchen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Wurden sie nicht von außen angegriffen, so waren sie in ZNT 15 (8. Jg. 2005) ständiger Gefahr durch inneren Streit und Aufruhr zu implodieren (S. 147-160). Vor diesem Hintergrund, so meint Stark, war das Christentums eine attraktive Option; mit seinen neuen Normen, seiner neuen Art von Sozialität vermochte es das städtische Leben der Spätantike zu revitalisieren (S. 161). Vor allem aber bot das Christentum in einer Gesellschaft, die von ethnischen Konflikten polarisiert wurde, die attraktive Alternative einer kosmopolitanen universalistischen Kultur, in der Volkstum und Ethnizität keine Rolle mehr spielten. 30 Stark betont, dass seine Theorie im Gegensatz zu den traditionellen soziologischen Religionstheorien auch die Rolle der Theologie ernst nehmen kann. Er behauptet, dass es eben die christlichen Theologie (er versteht hierunter vor allem die ethische Unterweisung in Katechese und Predigt) war, die das Christentum zu einer so erfolgreichen Reformbewegung machte (»the most sweeping and successful revitalization movement in history«). 31 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Stark'schen Analyse ist der Versuch, die ökonomische >rational choice<-Theorie für die Erklärung der Ausbreitung des Christentums fruchtbar zu machen. Nach Starks Theorie vermögen Religionen wie das Christentum >Kompensatoren< (engl. »compensators«) für diejenigen Belohnungen anzubieten, die kaum oder gar nicht zu erlangen sind. 12 Wenn eine bestimmte Belohnung (z.B. das ewige Leben) in diesem Leben nicht zu erlangen ist, so vermögen Religionen Methoden und Disziplinen (>compensators<) vorzuschlagen, die zu garantieren scheinen, dass wenn man sie in diesem Leben befolgt im kommenden Leben der erwartete Lohn empfangen wird (S. 168). Da aber die Versprechungen der Religion in diesem Leben nicht verifiziert werden können, gilt laut Stark: » ... religious compensators are (...) inherently risky«. 33 Stark plausibilisiert seine rational-choice- Hypothese durch weitere Überlegungen: Zum einen legt er dar, dass gerade weil die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde in der vorkonstantinischen Gesellschaft ausgrenzte, gerade weil sie mit »sacrifice and stigma« verbunden war, die Kirche erfolgreich war und die aktive Teilnahme am Leben der Gemeinden zunahm. Das Christentum konnte auf diese Weise das ,free-rider- Problem, lösen, d.h. es schreckte erfolgreich 27 solche Konvertiten ab, welche nur die Vorteile einer Kirchenmitgliedschaft genießen wollten, ohne etwas dafür zu opfern. Im Sinne der rational-choice-Theorie wachsen aber bei >kollektiv produzierten Gütern< Kosten und Gewinn einer Partizipation im gleichen Maße (S. 177f.). Sogar im extremen Fall des Martyriums, argumentiert Stark, geht das Kalkül auf: Die zugegebenermaßen wenigen - Christen, die das Martyrium auf sich nahmen, konnten nicht nur auf den versprochenen Lohn im Himmel hoffen, sondern genossen ein gestiegenes Ansehen schon vor ihrem Tod in der Arena oder hatten die Gewissheit, dass sie nach ihrer Hinrichtung von ihren Mitchristen nicht vergessen werden würden (S. 179-188). Laut Stark war die Situation im römischen Reich vor Konstantin in vielerlei Hinsicht mit einer ,deregulierten religiösen Ökonomie< wie sie die heutigen USA ihm zufolge darstellen vergleichbar. Konsequenterweise ist Stark geneigt, die Wirkung der Christenverfolgungen eher gering einzuschätzen; auch meint er - und hier widerspricht er MacMullen dass das Christentum für Heiden durchaus sichtbar war, oder wenigstens sichtbar genug, um für eine beträchtliche Anzahl von ihnen attraktiv zu sein (S. 192f.). Das Konzept einer >religiösen Ökonomie< erlaubt Stark auch die Frage zu ohne eine verbindliche religiöse Gemeinschaft zu schaffen, verlangte und schuf der christliche Monotheismus eine exklusive Bindung. Stark bemerkt: »And herein lies a major aspect of the eventual triumph of Christianity: exclusive firms are far stronger organizations, far better to mobilize extensive resources and to provide highly credible religious compensators, as well as substantial worldly benefits« (S. 204 ). Zusammenfassend kann man sagen, dass für Rodney Stark die Ausbreitung des antiken Christentums ein Testfall für seine ambitionierte soziologische Theorie der Religion ist. Diese Theorie betont die Rationalität der Religion als menschlicher Aktivität und verwendet das Konzept einer >religiösen Ökonomie<. Obwohl Starks Theorie der Religion wie jede angemessen ehrgeizige Theorie universale Geltung beansprucht, ist ihr doch anzumerken, dass sie zunächst ausgearbeitet wurde, um den Erfolg oder Misserfolg religiöser Bewegungen und Kirchen in den USA in den letzten zwei Jahrhunderten zu erklären." Sein Versuch, diese Theorie nun auf eine ganz andere Epoche und ganz andere soziale und kulturelle Kontexte anzuwenden, ist also für den universalen Erklärungsanspruch der eigenen Theorie wichtig. Die großen Lücken des antiken Quellenmaterials werden bei Stark durch kühne Spekulation gefüllt; umgekehrt erlaubt ihm beantworten, wie das Christentum in einer heidnischen Umwelt erfolgreich operieren konnte: Religionen können ihm zufolge als >Firmen< beschrieben werden, die um einen Marktanteil in der >reli- »Das Konzept einer >religiösen Ökonomie< erlaubt Stark auch die Theorie auch die Formulierung verschiedener Postulate, die dann am spärlichen Quellenmaterial getestet werden. Auf diese Weise kann Stark mit Hilfe seiner Theorie die Beobachtungen und Hydie Frage zu beantworten, wie das Christentum in einer heidnischen. Umwelt erfolgreich operieren konnte ... « giösen Ökonomie< konkurrieren.34 Die Niederlage des Heidentums hat nach diesem Modell verschiedene Gründe: Zum Ersten war der religiöse Markt mit den religiösen Gütern, die die unzähligen heidnischen Kulte bereitstellen konnten, saturiert. Zum Zweiten waren heidnische Kulte zu abhängig von den Zuwendungen des Staates oder weniger reicher Mäzene; christliche Gemeinden und deren Klerus hingegen lebten von den vielen kleinen Beiträgen der normalen Gemeindeglieder (S. 198). Schließlich: Während die heidnischen Kulte nicht-exklusive >Kundenkulte< (dient cults) waren, die nur die individuellen Wünsche ihrer Kunden bedienten, 28 pothesen anderer Gelehrter (wie Harnack und MacMullen) kritisieren, bestätigen oder korrigieren je nachdem. Teil II Nachdem wir drei prominente Analysen der Ausbreitung des antiken Christentums (von einem Theologen, einem Historiker und einem Soziologen) vorgestellt haben, seien nun einige Problemperspektiven für die weitere Forschung aufgezeigt. 1. Im Hinblick auf die weitere Forschung sind zunächst drei Feststellungen möglich: ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt a) Jede angemessen differenzierte Darstellung der Entstehung und Ausbreitung des antiken Christentums muss die Art quantitativer Erwägungen einbeziehen, die Rodney Stark exemplarisch vorgeführt hat. Dies bedeutet c) Schließlich ist es vorteilhaft, für eine genügend differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums eine längere Periode in den Blick zu nehmen, also etwa die ersten drei Jahrhunderte. Folgt man dem nicht, dass Starks quantitatives Modell (seine Wachstumskurve) unkritisch als Faktum akzeptiert wird, und es bedeutet auch keine umstandslose Übernahme von Starks Religionstheorie. Aber Stark und Hopkins haben in überzeugender Weise die Nütz- »Jede angemessen differenzierte Darstellung der Entstehung und Ausbreitung des antiken Stark'schen Modell, so ist in der Periode vor Konstantin die über 250 Jahre durchgehaltene Wachstumsdynamik des Christentums bemerkenswert. Eine z.B. wesentlich auf das 1. Jh. beschränkte Sicht hätte gewisse Schwierigkei- Christentums muss die Art quantitativer Erwägungen einbeziehen, die Rodney Stark exemplarisch vorgeführt hat.« lichkeit der Stark'schen Theorie aufgezeigt. Theoriemodelle aus Soziologie und Ökonomie haben so scheint es ein noch nicht ausgeschöpftes Potential, intelligente Vorschläge für eine Erklärung der Ausbreitung des Christentums zu unterbreiten.36 Diese sind solange nützlich für Historiker und Theologen, als sie ihnen erlauben, interessante Fragen und Hypothesen zu formulieren und zu testen. 37 b) Jede angemessen differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss den christlichen Glauben und die christliche Botschaft ernst nehmen. Die Annahme, dass der Glaube an die Wahrheit der christlichen Botschaft für die Ausbreitung des Christentums irrelevant war, ist nicht nur arrogant gegenüber der Vergangenheit, sondern auch a priori unplausibel. Das heißt natürlich nicht, dass die vom antiken Christentum in verschiedenen Formen und Versionen formulierte christliche Botschaft identisch war mit der herrschenden theologischen Lehre unserer Gegenwart, oder dass der volle Reichtum dieser Botschaft erfasst werden kann, wenn wir nur fleißig die reiche literarische Produktion der theologischen Elite studieren. Es heißt auch nicht, dass wir unkritisch eine idealisierende, gar triumphalistische Erzählung der Ausbreitung des antiken Christentums übernehmen. Vielmehr müssen Theologen und Historiker, die das antike Christentum als Massenphänomen studieren wollen, herausfinden, welche Aspekte der christlichen Botschaft den breiten Massen wirklich kommuniziert wurden - und sie dürfen dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass Kommunikation des christlichen Glaubens nicht nur mit verbalen Mitteln geschieht. ZNT 15 (8. Jg. 2005) ten, dieses Phänomen und dessen Ursachen adäquat in den Blick zu nehmen. Gewiss: Wer die Geschichte des Christentums angemessen verstehen will, muss dessen Anfänge als kleine messianische Bewegung im Kontext des antiken Judentums studieren. Aber die Umkehrung dieses Satzes gilt eben auch: Das Potential dieser Anfänge kann der schwer ermessen, der nicht die folgende Geschichte kennt. Es ist die spezifische Stärke der Darstellung Harnacks, dass er beides, die Anfänge des Christentums und dessen lange, globale Geschichte immer gleichzeitig in den Blick zu nehmen und aufeinander zu beziehen versucht. Und weiterhin: Gerade wenn man mit Harnack und Stark der (m.E. berechtigten) Ansicht ist, dass die Religionspolitik Konstantins des Großen nicht der eine entscheidende Faktor der Christianisierung des Römischen Reiches war, gerade dann kommt es umso mehr darauf an, die Transformation des Christentums zur Staatsreligion und deren spezifische Bedeutung für die Ausbreitung und Etablierung des Christentums zu analysieren. 2. Weiter: Jede Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss die richtige Mischung aus Distanz und Empathie zum Forschungsobjekt finden. Da das Christentum auch heute noch eine sehr machtvolle lebendige Religion in unserer globalisierten Moderne ist, fällt dies in diesem Fall besonders schwer. Harnacks Darstellung gründet in seiner Theorie, dass das Christentum >die Religion selbst< sei; Stark sieht die Ausbreitungsgeschichte des antiken Christentums als Testfall für seine ehrgeizige Religionstheorie. Beide haben also erheblich theoretische Investitionen vorgenommen. Es ist dann auch kein Wunder, dass beide vor kühnen Verallgemeinerungen nicht 29 Zum Thema zurückschrecken und auch nicht zögern, moderne Begriffe von Religion und Religiosität in Anspruch zu nehmen, um die antike Wirklichkeit zu erklären (Stark tut dies ganz offensichtlich, Harnack in subtilerer und versteckterer Weise). MacMullen hingegen übt den Gestus der Distanz zu seinem Objekt, er zelebriert seine Skepsis gegenüber konkurrierenden Darstellungen, die unkritisch moderne Parallelen zitieren, von einer generellen Theorie der Religion her argumentieren oder fälschlicherweise glauben, dass gewöhnliche Menschen in der Antike mit unseren Begriffen davon übereinstimmen, was wichtig an einer Religion wie das Christentum ist und was nicht. 38 Das Problem von Distanz und Empathie wird auf amüsante und unterhaltsame Weise in Keith Hopkins' »A World full of Gods« 39 vorgeführt. Dieses Buch ist auf einer Ebene eine spielerisch-subversive Meditation zur prekären Lage des modernen Universitätsgelehrten, der die >christliche Revolution! 0 in der multireligiösen Welt des römischen Imperiums erzählen und erklären will und sich gleichzeitig immer der Tatsache der grundsätzlichen Perspektivität jeder Geschichtsschreibung bewusst bleibt sie ist ein Kind der Gegenwart und bleibt den Begriffen und Vorurteilen ihrer jeweiligen Gegenwart verhaftet. Hopkins meint, dass die Geschichte der Religionen notwendigerweise subjektiv bleiben muss, dass in ihr viele Sichtweisen möglich sind, dass eine >Meistererzählung, unerschwinglich bleibt. 41 In dieser Lage soll der Historiker, so lautet Hopkins' implizite Botschaft, komplex erzählen, verschiedene, einander widerstreitende Standpunkte und Stimmen zu Wort kommen lassen. Eben so gelingt es dem Historiker paradoxerweise, etwas von dem Chaos des gelebten, vergangenen Lebens einzufangen. Hopkins' Unternehmen bleibt dennoch zutiefst ambivalent: Gerade sein Versuch, Komplexität getreu abzubilden, antike Wahrnehmungen mit modernen Interpretationen zu kombinieren (»to combine ancient perceptions, however partial, with modern understandings, however misleading« 42 ), erfordert ganz besonders die überlegene und straffe Regie des modernen Historiographen; bei Hopkins, der das Pastiche dem Zitat vorzieht, wird der Historiker zum Bauchredner all der verschiedenen Stimmen, die Rederecht in der Debatte um die Ausbreitung des Christentums beanspruchen; gerade der Histori- 30 ker, der auf die Meistererzählung verzichtet, bleibt auf diese Weise mehr denn je der Meister. Hopkins versucht die angebliche Fiktivität jeglicher Geschichtsschreibung dadurch in den Griff zu bekommen, dass er selbst ganz offen auf Fiktionen rekurriert, er bemüht sich, jegliche Kritik zu entkräften, indem er sie vorwegnehmend selbst formuliert: Der spielerische Ton und die (Insider-) Witze verbergen kunstvoll einen konstruktiven Ehrgeiz, der demjenigen von Harnack, MacMullen und Stark in nichts nachsteht." 3. Jegliche ausreichend differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss sich besonders auch mit der religiösen Umwelt befassen. Dabei würde es nicht genügen, bloß die verschiedenen heidnischen Kulte und religiösen Philosophien zu klassifizieren und zu beschreiben; vielmehr muss der Historiker versuchen, in scharfen Bewegungsbildern die Entwicklungsdynamik der religiösen Landschaft der Spätantike zu erfassen. Alle drei vorgestellten Autoren haben in dieser Hinsicht Schwierigkeiten: Harnack gesteht seine Verlegenheit offen ein, um dann ein Konstrukt namens ,Orientalismus< als Kulisse für den Aufstieg des Christentums zu präsentieren; MacMullen, nachdem er als ersten Teil seiner Trilogie ein ganzes Buch zum Heidentum im römischen Reich verfasst hat, begnügt sich im zweiten Teil mit einer kunstlosen Zusammenfassung, die das Heidentum als eine amorphe, weiche Struktur von Glaubensinhalten charakterisiert, reif für die Ablösung durch ein sich scharf profilierendes Christentum. 44 Stark bearbeitet das Problem, indem er über die Prozesse innerhalb einer deregulierten religiösen Ökonomie Überlegungen anstellt; er erwähnt die Ausbreitung des Isiskultes, spekuliert über ein von innen her geschwächtes Heidentum und diskutiert die These, es habe einen generelleren Trend zum Monotheismus hin gegeben.4 5 Wir brauchen ein besseres Verständnis eben jener Transformationsprozesse, welche die religiöse Welt der Antike tiefgreifend veränderten. Zwei Beispiele seien erwähnt: John Scheid's Analysen zur Transformation der römischen Religion führen dabei zu einigen interessanten Schlussfolgerungen. Scheid hat einen Trend vom traditionellen Kult des römischen Stadtstaates, an dem alle wichtigen Bürger und gesellschaftlichen Gruppen persönlich teilnehmen konnten zu einer ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antil<0n Christentums als historiographisches Projekt anderen Art von Religiosität im wachsenden Imperium Romanum beobachtet: Die aktive Teilnahme am Staatskult wurde mehr und mehr eingeschränkt auf den Kaiser und eine kleine Anzahl von Funktionären und Priestern in seiner Umgebung. Für die meisten römischen Bürger wurde die Religion nun medial vermittelt, durch bildliche Darstellungen sowie durch Verschriftlichungen in antiquarischer Literatur wie Marcus Terentius Varros >Menschliche und göttliche Altertümer<. Auf diese Weise partizipierten sie am traditionellen Kult, aber nunmehr mental, in ihrer Imagination. Scheid schreibt: »Divenuta impossibile in pratica, e senza ehe la natura di quella religione fosse cambiata a Roma, la partecipazione religiosa del cittadino romano veniva a esprimersi sempre piu attraverso la lettura, in modo intelletualistico.« 46 Die Religion, so Scheid, wurde abstrakter, mentaler, mehr eine Sache des Glaubens als des praktizierten Kultes. Diese Entwicklung bahnte vermutlich dem Christentum den Weg: » ... il rapporto non piu fisico ma intelletuale dei cittadini romani con la loro religione (qualcosa die simile alle trasformazioni ehe conobbe l' ebraismo nella diaspora) facilito senza dubbio l' adesione dei Romani a una religione della fede come il cristianesimo.« 47 Seheids Beobachtung basiert auf der (plausiblen) Prämisse dass verglichen mit den heidnischen Kulten im römischen Reich das Besondere des Christentums in seiner Betonung von Glaube und Glaubenslehre (Dogma) besteht. Aber auch hier ist ein genaueres Hinsehen erforderlich: Gilt diese Besonderheit gegenüber allem >Heidentum< ? Oder umgekehrt: War nicht die Betonung des Glaubens und der Bedeutung orthodoxer Dogmatik nur für Ein zweites Beispiel: Das >Heidentum" darüber scheinen sich alle einig zu sein, ist nur ein christliches Konstrukt, das einfach alle die Kulte und religiösen Bewegungen der Antike, die weder Christentum noch Judentum sind, bequemerweise zusammenfasst. Dennoch gab es in der Spätantike Versuche, besonders von Seiten der intellektuellen Gegner des Christentums wie Celsus, Porphyrius oder Julian, eine Art umfassender heidnischer Religion zu definieren, welche die verschiedenen Kulte und Mysterien zu einen theologisch kohärenten Ganzen organisiert. Besonders die platonische Philosophie forderte das Christentum und die christliche Theologie auf diese Weise heraus. 49 Erst im 4. Jh., als das Christentum auf dem Wege zu einer dominierenden Stellung war, kann man dann von so etwas wie >Bekehrungen zum Heidentum< reden. 50 Aber sollte es wirklich wahr sein, dass das Heidentum auf die Herausforderung durch das Christentum warten musste, um sich dagegen selbst zu definieren? Oder gab es einen generellen, vom Aufstieg des Christentums unabhängigen Trend zu einer Art heidnischen Henotheismus/ Monotheismus als Universalreligion? Und wenn sich das als wahr erweisen sollte, wie verhielt sich dieser Trend zur Entwicklung des spätantiken Imperialismus und dessen Suche nach einer machtvollen ideologischen Basis ? 11 Wir brauchen eine präzise Analyse der Arten und Weisen, wie sowohl das Christentum als auch die heidnische Religionsphilosophie sowohl sich selbst als auch ihre jeweilige religiöse Umgebung auf den Begriff brachten. Ähnliche Fragen wie in Bezug auf das antike Heidentum stellen sich in Bezug auf das antike Judentum. Einige Gelehrte haben begonnen, das monolithische Bild des eine kleine Elite des christlichen Klerus wichtig? Sind wir nicht in Gefahr wieder einmal eine teilweise richtige Beobachtung unzulässig zu verallgemeinern ? 48 Aber wenn wir dieser Befürchtung Rechnung tragen, wie können wir »Aber sollte es wirklich wahr spätantiken Judentums, wie es von den Rabbis definiert wurde, in Frage zu stellen. Auch hier liegt nun der Akzent auf der Entwicklung und Transformation des Judentums. Dieses wird schon längst nicht mehr in der Perspektive sein, dass das Heidentum auf die Herausforderung durch das Christentum warten musste, um sich dagegen selbst zu definieren? « dann die Rolle der Theologie und des Konfliktes über die rechte Lehre, der Unterscheidung von Orthodoxie und Häresie, von Synoden und Konzilen für die Selbstdurchsetzung des antiken Christentums recht beschreiben? ZNT 15 (8. Jg. 2005) einer ,praeparatio evangelica< gesehen, sondern darin scheinen die neuesten Vorschläge von Seth Schwartz 12 und Daniel Boyarin 53 übereinzustimmen als eine religiöse Tradition, die zu einer Religion u.a. dadurch wurde, dass sie auf das Chris- 31 tentum und ein römisches Reich reagierte, das zunehmend vom Christentums dominiert wurde. Harnack, MacMullen und Stark betonen die Bedeutung der monotheistischen Exklusivität des Christentums. Wiederum ist eine genauere Analyse vonnöten: Was eigentlich bedeutete christlicher Monotheismus sowohl auf der symbolischen als auch auf der praktischen Ebene? Wie wurde dieser Monotheismus propagiert und kommuniziert? Und ganz abgesehen davon, was der christliche Klerus meinte und sagte beachteten die Laien (und auch der Klerus! ) wirklich durchgehend und konsequent den monotheistischen Imperativ? Weitere und ähnliche Fragen betreffen die Ethik und die Moral, Fragen von Ehe und Familien, oder auch der Einstellung zu Sklaverei, Armut und Reichtum: Veränderte die Ausbreitung des Christentums tatsächlich die gelebte, alltägliche Wirklichkeit normaler Männer und Frauen in der Spätantike? Gab es so etwas wie eine langsame, aber durchdringende Werterevolution? 54 Oder überwiegen die beeindruckenden Gemeinsamkeiten mit den ethischen Werten normaler antiker Nichtchristen? Begehen wir hier wieder den methodischen Fehler »prescription with performance« zu verwechseln? 55 Die jüngere Forschung ist sich also mehr und mehr bewusst geworden, dass die religiöse Szene des Römischen Reiches keine statische Kulisse war, vor deren Hintergrund die Aufstiegsgeschichte des antiken Christentums erzählt werden kann, sondern eher ein dynamisches Kraftfeld, in dem die verschiedenen Kräfte ständig aufeinander einwirken und sich gegenseitig modifizieren. Aber dennoch änderte sich nicht alles. MacMullens Insistieren auf den sich durchhaltenden menschlichen Bedürfnissen wie z.B. der Befreiung von körperlichem oder psychischem Leiden (Krankheiten und Dämonen) wäre leicht aus den Quellen zu belegen. 56 Die Frage bleibt, wie viel das Christentum zur Veränderung der religiösen Landschaft der Antike wirklich beitrug. Ist das Christentum eine Religion neben anderen, eine Kraft neben anderen Kräften (wenn auch erfolgreicher als andere) oder gehört es wie der Theologe Harnack glaubte zu einer ganz anderen Kategorie? Veränderte das Christentum den Begriff von >Religion<? Da in historischer Perspektive das Christentum eine der wichtigsten und vitalsten Erbstücke 32 ist, das die antike Welt unserer Modeme hinterlassen hat, ist die Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums zugleich die Vorgeschichte der ebenso globalisierten wie fragmentierten Welt des 21. Jh.s. Es bedarf der differenzierten Zusammenarbeit verschiedener akademischer Disziplinen, um der sich daraus ergebenden historiographischen Herausforderung gerecht zu werden. Anmerkungen 1 Für einen Überblick, vgl. D. Praet, Explaining the Christianization of the Roman Empire, in: Sacris Erudiri 33 (1992/ 3), 7-119. 2 A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage mit elf Karten, Leipzig 1924 (ND Wiesbaden o.J.). 3 Harnack, Mission und Ausbreitung, 28: »Die entscheidende Vorbedingung aber für die Propaganda der Religion lag in den religiösen, sittlichen und kulturellen Gesamtzuständen der Kaiserzeit. Es ist unmöglich, hier den Versuch zu machen, Bilder von diesen Zuständen zu entwerfen oder gar in ihrer Totalität zur Darstellung zu bringen.« Harnack verweist dann auf Literatur und empfiehlt besonders P. Wendlands Werk »Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum«. 4 Für Harnack ist es diese charakteristische Kombination von Komplexität und Einfachheit, die auch den Rhythmus der Christentumsgeschichte bestimmt: In der Reformation wurde das Christentum auf das Wesentliche, das Evangelium >reduziert<: »Jede wirklich bedeutende Reformation in der Geschichte der Religionen ist in erster Linie kritische Reduktion ... « (A. v.Harnack, Das Wesen des Christentums. 2.Auflage, Gütersloh 1985, 158 [kursiv i. O.]. S. auch ders., Die Aufgabe der Theologischen Fakultäten und die Allgemeine Religionsgeschichte. Nebst einem Nachwort, in: ders., Reden und Aufsätze. Zweiter Band, Giessen 1904, 161-187: 169/ 70 wo Harnack die These aufstellt, dass das antike Christentum sowohl die Summe als auch die ,Reduktion< der vorangegangenen Religionsgeschichte sei. 5 Harnack, Mission und Ausbreitung, 326 (Anm.1; Selbstzitat aus dem ,Lehrbuch der Dogmengeschichte<). 6 Harnack, Das Wesen des Christentums, 47. Harnack rezipiert hier u.a. Schleiermachers Konzeption des Christentums als ,Religion der Religionen<. Vgl. dazu jetzt die schöne Analyse bei C.-D. Osthövener, Adolf von Harnack als Systematiker, in: ZThK 99 (2002), 296- 331, bes. 315f. 7 Vgl. die Bemerkung von L.M. White: »lt must be remembered, too, that Harnack's program is derived in ! arge measure from a persistent theme in Christian historiography: namely, the >praeparatio evangelica«<. (Adolf von Harnack and the ,Expansion, of Early Christianity: A Reappraisal of Social History, in: Second Century 5,2 [1985/ 6], 97-127: 107, Anm. 50). Die Bemerkung Whites ist natürlich cum grano salis zu nehmen, der konkrete historische Hintergrund sind bei ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt Harnack allzumal die starken Wertungen und Konzepte der deutschen evangelischen Theologie des 19.Jahrhunderts, s. vorige Anmerkung. 8 R. MacMullen, Christianizing the Roman Empire (A.D.100-400), New Haven/ London 1984. Der erste Teil ist dem Heidentum gewidmet, s. ders., Paganism in the Roman Empire, New Haven 1981, der dritte Teil Christentum und Heidentum nach der Bekehrung Konstantins, s. Christianity and Paganism in the Fourth to Eighth Centuries, New Haven/ London 1997. Alle drei Bücher zeichnet eine lakonische Eleganz aus, die Dokumentation im Hinblick auf Quellen und Sekundärliteratur ist reichlich und gründlich. Ich konzentriere mich hier auf den zweiten Band der Trilogie (Christianizing the Roman Empire); dort werden die Argumente des ersten Bandes zusammengefasst und die wichtigsten Überlegungen des dritten Bandes angedeutet. Vgl. auch ders., Two Types of Conversion to Early Christianity, in: ders., Changes in the Roman Empire. Essays in the Ordinary, Princeton 1990, 130-41; ders., »What Difference Did Christianity make? «, in: ders., Changes in the Roman Empire, 122-155. ' MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 6-7 meint, dass Harnack (wie auch A.D. Nock oder G. Bardy) ein ,idealisierendes< Geschichtsbild präsentieren, da sie sich nicht genügend von der Tendenz der antiken christlichen Quellen distanzieren. 10 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 28: » The manhandling of demons humiliating them, making them howl, beg for mercy, tel1 all their secrets, and depart in a hurry served a purpose quite essential to the Christian definition of monotheism: it made physically (or dramatically) visible the superiority of the Christian's patron power over all others. One and only one was God.« 11 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 86-101. Vgl. Ders., Christianity and Paganism, Kap. 2. 12 S. MacMullen, Distrust in the Mind in the Fourth Century, in: ders., Changes in the Roman Empire, 117-129. In diesem Artikel schaltet sich MacMullen auch in die einschlägige Debatte über die kulturgeschichtliche Berechtigung des Begriffs ,Spätantike, ein, die durch Beiträge von Gelehrten wie z.B. Henri-Irenee Marrou und Peter Brown geprägt wurde (vgl. dazu nur M. Vessey, The Demise of the Christian Writer and the Remaking of ,Late Antiquity<: From H.-1.Marrou's Saint Augustine (1938) to Peter Brown's Holy Man (1983), in: Journal of Early Christian Studies 6,3 [1998], 377-411). MacMullen zeigt sich bemerkenswert unbeeindruckt von Peter Brown's bekannter Kritik an einem ,Zwei- Stufen-Modell, (two-tier model) der Religion, das zwischen der Religion der Elite und dem Aberglauben der Massen zu unterscheiden sucht. Für den robusten Rationalismus, der MacMullens Geschichtsbild fundiert, ist folgende ad hominem Argumentation recht charakteristisch: »I agree (... ) with the >two-tier model" since it is not easy for me to imagine people who have received however little training in logic, abstract thought, analytic observation (... ) being argued out of their habit being reasoned out of their respect for rationality. Far easier to imagine them being ordered out of it (... ) by the voice of authority issuing from the mass of the people and announcing views naturally at home among the masses.« (art.cit., 127-8; Kursivierung im ZNT 15 (8. Jg. 2005) Original). Vgl. jetzt Antiquite Tardive 9 (2001), ein Band, der ganz dem Thema der ,Demokratisierung, der Spätantike in ihren verschiedenen Aspekten gewidmet ! St. 13 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 5: » ... an unmanageably broad range of psychological phenomena, of which the most historically significant need not have been at all intense or complicated intellectually.« 14 MacMullen, Christianity and Paganism, 103-150.154: Das Christentum wurde in dieser Zeit zu einer »full service religion.« 15 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 10-16. Vgl. auch ders., Christianity and Paganism, 32. 16 Freilich muss fairerweise bemerkt werden, dass die Darstellung im ersten Band der Trilogie (Paganism in the Roman Empire) differenzierter ist und explizit auch auf dynamische Elemente des Heidentums eingeht. MacMullen ist sich sehr bewusst, wie lückenhaft der Quellenbefund ist und wie schwer es ist, zu generalisierenden Schlussfolgerungen zu kommen. 17 MacMullen, Christianity and Paganism, 159. MacMullens Sicht ist in gewisser Hinsicht das Spiegelbild von derjenigen Harnacks: Nach MacMullen siegte das Christentum, weil es heidnisch wurde, wohingegen Harnack glaubte, dass das Christentum, indem es die konkurrierende heidnische Religiosität zusammenfassend überbot, Heidnisches in produktiver Weise >verchristlichte<. 18 R. Stark, The Rise of Christianity. A Sociologist Reconsiders History, Princeton/ NJ 1996. Der Untertitel wurde vom Verleger vorgeschlagen, s. Stark, E Contrario, in: Journal of Early Christian Studies 6,2 (1998), 259- 267: 262. 19 Hier kann die Religionstheorie, die Stark in nunmehr zahlreichen Artikeln und Büchern entwickelt hat, natürlich weder in extenso dargelegt noch kommentiert oder kritisiert werden. Einen guten Eindruck vermittelt z.B. R. Stark/ R. Finke, Acts of Faith. Explaining the Human Side of Religion, Berkeley/ Los Angeles/ London 2000. 20 Stark/ Finke, Acts of Faith, 27-31. 21 Man möge aber beachten, dass Stark sich dagegen wehrt, umstandslos als >rational-choice,-Theoretiker klassifiziert zu werden, vgl. Acts of Faith, 41. 22 S. z.B. die Erwägungen bei Harnack, Mission und Ausbreitung, 529-52. 946-58. 23 Stark, The Rise of Christianity, 4-13. Die theoretische Nützlichkeit von Starks Modell wurde von Keith Hopkins bestätigt, der im Hinblick auf die Demographie des Römischen Reiches einer der methodisch innovativsten Gelehrten gewesen ist, vgl. Hopkins, Christian Number and Its Implications, in: Journal of Early Christian Studies 6,2 (1998), 185-226: 192 ff. (man vergleiche den >speculative graph, auf S.193 mit der Tabelle von Stark, The Rise of Christianity, 7). Hopkins betont freilich zu Recht den spekulativen Charakter des quantitativen Modells: »Of course, in reality, Christian membership fluctuated.« (S. 194) »Let me stress once again, that these are not truth statements; they are crude probabilities attached to a very rough order or magnitude. They are numerical metaphors, good for thinking about Christians with.« 24 Stark, The Rise of Christianity, 7-8. Hopkins, Christian number, 195-98 versucht weiter zu differenzieren. 25 Stark, The Rise of Christianity, 12f. Dies passt zu Starks 33 Überzeugung, dass es Konstantins Privilegierung des Christentums gewesen sei, welche das Christentum daran gehindert habe, Europa wirklich durchgreifend zu christianisieren. 26 Hopkins, Christian Number, 202.213; Stark signalisiert seine Zustimmung, s. E Contrario, 260. 27 Stark, E contrario, 260; vgl. Hopkins, Christian Number, 207-213. 28 Stark, The Rise of Christianity, 14. Vgl. auch 208: »Christianity did not grow because of miracle working in the marketplaces (althought there may luve been much of that going on), or because Constantine said it should, or even because the martyrs gave it such credibility. lt grew because Christians constituted an intensive community ... «(kursiv i. 0.). 29 Stark, The Rise of Christianity, 73-94. Stark widmet auch ein Kapitel der Rolle der christlichen Frauen für das zahlenmäßige Wachstum des antiken Christentums (95-128); dabei meint er u.a., dass die christliche Geburtenrate signifikant höher als die heidnische war. Diese Überlegungen sind mit einiger Skepsis aufgenommen worden, vgl. MacMullen, Christianity and Paganism, 164 (Anm.13); Hopkins, Christian number, 204-207: 204-5, Anm. 40 u. 41. 30 Stark, The Rise of Christianity, 213-4. Stark betont wie Harnack, dass das Christentum das Judentum übertraf, weil es als universale Religion die Volksgrenzen überschritt, aber er konzediert wie Harnack dass es universalistische Tendenzen im antiken Judentum gab. 31 Stark, The Rise of Christianity, 209ff.210 (hier das Zitat). Wenn ich ihn recht verstehe, stimmt Stark hier mit Kautelen - Harnacks Sicht zu. 32 Stark, The Rise of Christianity, 167: »compensators for rewards that are scarce of unavailable.« 33 Stark, The Rise of Christianity, 169. Starks Argumente erinnern an Pascals Wette ein berühmtes Beispiel für eine religiöse Argumentation, die mit Hilfe von >rational choice< motivieren will. 34 Stark, The Rise of Christianity, 194f. betont, dass ,religiöse Firmen, sich nicht auf die passive Erfüllung der Wünsche ihrer ,Kunden, beschränken (dies kommt MacMullens Bild nahe), sondern selbst die religiöse Nachfrage beeinflussen. Vgl. MacMullens in Anm. 14 zitierte Bemerkung. 35 Dies leugnet nicht, dass Stark Anstrengungen unternimmt, seine Theorie auf europäische Verhältnisse anzuwenden. Aus seiner Überzeugung, dass es Amerika in religiöser Hinsicht allemal besser habe, macht er dabei durchaus keinen Hehl. 36 Von der Soziobiologie sind über kurz oder lang rivalisierende Theorieangebote zu erwarten, vgl. z.B. W. Burkert, Creation of the Sacred. Tracks of Biology in Early Religions, Cambridge/ Mass. - London 1996. 37 Hier stimme ich Hopkins, Christian Number, 185-6 zu. 38 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 6-9. 39 A World full of Gods. Pagan, Jews and Christians in the 34 Roman Empire, London 1999. Ich erinnere mich gerne an zahlreiche Diskussionen mit Keith, sein Buch bezeugt nicht nur seine so lebendige und so inspirierende Neugierde (die ich sehr vermisse), sondern es vermittelt auch mit seinen vielen Idiosynkrasien etwas von dem undogmatischen Postmodernismus, der in Cambridge am Ende des 20.Jahrhunderts in Teilen der Geisteswissenschaften herrschte. 40 Während Stark den Aufstieg des Christentums mit demjenigen einer Firma in einer deregulierten Ökonomie vergleicht, sieht Hopkins, A World full of Gods, 79f. Parallelen zur chinesischen Revolution. 41 Hopkins, A World full of Gods, 4. 42 Hopkins, A World full of Gods, 6. 43 Hopkins, A World full of Gods, 6 charakterisiert sein Buch folgendermaßen: »The structure of the book is like a triple helix of multi-coloured and interwoven strands.« Die verwendete Metapher spielt übertrumpfend auf die berühmte ,double helix< an, die DNA- Struktur, die 1953 in Cambridge von Watson und Crick entdeckt wurde. 44 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 16: » ... a very spongy, shapeless, easily penetrated structure of beliefs ... « »... the empire seemed positively to invite a sharply focused and intransigent creed ... « 45 Stark, The Rise of Christianity, 196-202. 46 J. Scheid, Religione e societa, in: A. Schiavone, Storia di Roma. Vol. 4: Caratteri e morfologia, Torino 1989, 631- 659: 659. Vgl. nun G. Stroumsa, Mutations religieuses de l'antiquite tardive, Paris (erscheint in Kürze). 47 J. Scheid, Religione e societa, 659. 48 In dieser Hinsicht finden sich z.B. bei Keith Hopkins einander leicht widersprechende Aussagen: a) A World full of Gods, 335: »For most, being a Christian may have mattered more than believing.« (kursiv i.O.) b) Christian Number, 218: »But the very idea that correct belief identified the true Christian(... ) became entrenched as a core defining characteristic of early Christianity. (... ) The centrality of correct dogma, as a defining characteristic of Christian praxis, was a religious innovation.« 49 Eine vergleichende Betrachtung der Rolle platonischer Philosophie in christlichen und heidnischen Theologien sowie besonders in christlicher und heidnischer Schrifthermeneutik ist ein Desiderat der Forschung. 50 So schon A.D. Nock, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1933, 15: »Genuine conversion to paganism will appear in our inquiry only when Christianity had become so powerful that its rival was, so to speak, made an entity by opposition and contrast.« 51 Vgl. Hopkins, A World full of Gods, 279-282, der anläßlich der Erörterung der berühmten Inschrift des zoroastrischen Hohepriesters Kartir auf einem Felsen in der Nähe von Persepolis bemerkt: »Rome and Iran, two competing world powers (... ) both embarked on similar policies of religious centralisation and exclusivism at roughly the same period.« 52 S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society 200 B.C. to 640 C.E., Princeton/ NJ 2001. 53 D. Boyarin, Borderlines: The Partition of Judaeo- Christianity, Philadelphia 2004. Die Gültigkeit der Vorschläge von Schwartz und Boyarin muss erst noch in einer gründlichen gelehrten Debatte getestet werden. 54 Vgl. Hopkins, A World full of Gods, 79, der abweichend meint: »The Christian revolution (... ) was a revolution principally in symbolism and ideology.« 55 Die zitierte Phrase bei Hopkins, Christian number, 204 (Anm.40). 56 Die weitere Frage der Abgrenzung von Magie und Religion (falls das überhaupt trennscharf möglich ist) sei hier nur erwähnt. ZNT 15 (8.Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive 1. Einführung: Ethnologie und Neues Testament Ethnologie ist die » Wissenschaft vom kulturell Fremden«. 1 In ihr werden Methoden entwickelt und erprobt, die ein angemessenes, d.h. ein der jeweiligen Innenperspektive gerecht werdendes Verstehen von Ethnien durch fremdkulturelle Beobachter zum Ziel haben. Die Geschichte der Ethnologie führt die besondere Problematik des Verstehens von fremden Kulturen vor Augen. Bedeutet das Verstehen kontemporärer fremder Kulturen d.h. ein Nachvollziehen der Funktionen beobachtbarer Phänomene innerhalb ihres jeweiligen Systems für den dazu fremdkulturellen Ethnologen eine beträchtliche Herausforderung, so verschärft sich die Problematik des transkulturellen Verstehens in Bezug auf Kulturen der Vergangenheit. Denn anders als im ersten Szenario lassen sich Verständnisversuche im letzteren Fall nicht durch Nachfrage auf ihre Angemessenheit hin überprüfen. Stellt die Eruierung der intentio operis in Bezug auf einen Text mitunter schon ein komplexes und umstrittenes Unterfangen dar vgl. die exegetische Literatur -, so potenzieren sich die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion vergangener Sinn- und Lebenswelten fremder Kulturen, wie sie uns in den Texten des Neuen Testaments begegnen. Insbesondere die Bruchstückhaftigkeit der auf uns gekommenen Zeugnisse der Antike im Allgemeinen und des Frühchristentums im Besonderen lädt zu ethnozentrischen und anachronistischen Eintragungen beim Verstehens- und Rekonstruktionsprozess geradezu ein. Neutestamentliche Forschung wird gut daran tun, sich die in der Ethnologie bzw. Kulturanthropologie als wesentlich erachtete methodologische Unterscheidung zwischen / emisch/ und / etisch/ zu eigen zu machen und konsequent durchzuhalten. 2 Sie dient einem angemessenen Verstehen fremder Kulturen unter möglichst effizienter Ausblendung fremdkultureller Kategorisierungen und Wertungen auf Seiten der Forscher. Eine emische Herangehensweise ist daran interessiert zu verstehen, wie ZNT 15 (8. Jg. 2005) ein Phänomen innerhalb seines Systems funktioniert sie fragt nach den Funktionen einer Handlung oder eines Motivs im gesetzten Kontext -, während sich eine etische Analyse auf die Inventarisierung beobachtbarer Merkmale aus der fremdkulturellen Perspektive beschränkt. 3 Die Missachtung der Funktionen eines Phänomens innerhalb seines Kontextes einhergehend mit der nicht-bewussten Reflexion und Bewertung des Phänomens innerhalb des Referenzsystems des betrachtenden Subjekts-, führt nicht nur zu einer verzerrten Rekonstruktion, sondern provoziert geradezu ein Unverständnis gegenüber dem betrachteten Sachverhalt bzw. den ihn zu verantwortenden Subjekten: »Menschen einer Nation ( oder Klasse oder Gesellschaft, usw.) können anderen manchmal als >unlogisch< oder ,dumm< oder >unverständlich< erscheinen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass der Beobachter (... ) einen fremdkulturellen Standpunkt einnimmt, aus welchem er ihre Handlungen wahrnimmt er also nicht die emischen Strukturen ihres offenen oder verdeckten Verhaltens zur Kenntnis nimmt.« 4 Dieser »alien standpoint« wird gegenüber den auf uns gekommenen schriftlichen Zeugnissen des Frühchristentums im ntl.-exegetischen Diskurs Wunder und Mission bis in die Gegenwart hinein unreflektiert eingenommen, wie ich im Folgenden anhand ausgewählter Problemfelder aufweisen möchte. Die sich anschließenden Ausführungen verstehen sich als ethnologisch informierte Klärungen, die problematische Vorentscheidungen innerhalb der Exegese benennen und den Weg zu einem angemesseneren Zugang und Verständnis von Wundern und ihrer Relevanz für die Ausbreitung des Christentums in der Antike ebnen wollen. 2. Wirklichkeitsinterpretation und Wunderverständnis Menschen der mediterranen Antike haben Welt entschieden anders erlebt, gedeutet und mani- 35 puliert als Menschen der westlichen Moderne. Erstere wussten sich hinsichtlich ihres gesellschaftlichen, familiären und individuellen Lebens bezogen auf das Wirken numinoser Mächte. Die sichtbare Welt wurde als in größere unsichtbare Zusammenhänge jener Wirkmächte eingebettet vorgestellt. Der moderne Mensch hingegen erklärt sich die Welt ohne jeggute d.h. lebensfördernde wie böse d.h. lebensbedrohliche -, können müssen aber nicht! in innerweltlich beobachtbaren Abläufen involviert sein. Auf sie kann eingewirkt werden sei es durch Gebet, Opfergaben oder magische Mittel-, und der Mensch kann sich entsprechend der Weisungen der Götter bzw. Gottes verhalten. Insofern ist es angemessener, von einem lichen Rekurs auf schicksalhafte Kräfte oder personal gedachte Geistwesen. Seine Deutung von Welt wähnt er als »aufgeklärt« und vernünftig, jene antiken wie ihnen ähnliche kontemporäre, etwa afrikanisch-traditionelle Vorstellungen hingegen erachtet er tendenziell als »voraufgeklärt« bzw. primitiv. Al- »Allerdings indiziert die in diesem Zusammenhang vorausgesetzte Opposition / rational/ versus / irrational/ ins numinos Unsichtbare erweiterten Realitätsbegriff in der Antike und wie etwa auch im traditionellen Westafrika zu sprechen. 6 sowohl ein Unverständnis wie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Menschen anderer Wenn griechische Begriffe, die wir mit / Wunder/ wiedergeben (dynameis, thauma, semeion, teras), 1 auf Manifestationen des Wirkens Kulturen ... « lerdings indiziert die in diesem Zusammenhang vorausgesetzte Opposition / rational/ versus / irrational/ sowohl ein Unverständnis wie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Menschen anderer Kulturen bzw. Epochen auf Seiten der modernen Betrachter. Ethnologen wie Robin Horton ist die an der emischen Betrachtung afrikanischer Kosmologien gewonnene Einsicht zu verdanken, dass sich jene in keinster Weise von westlich-wissenschaftlichen Welterklärungsmodellen hinsichtlich des Rationalitätsvermögens ihrer Proponenten unterscheiden, die hier wie da logisch-kausale Verknüpfungen anstellen, um Phänomene zu erklären bzw. vorherzusagen.' In der Antike wird die Wirklichkeit nicht weniger rational als im modernen Westen begriffen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass modernes, wissenschaftliches Denken die Existenz personal gedachter, numinoser Wirkmächte a priori ausschließt und unter eben dieser Voraussetzung eine in sich schlüssige Welt konstruiert. Die Rationalität antiker - und dasselbe gilt für afrikanisch-traditionelles Denken - Wirklichkeitswahrnehmung und -interpretation erschließt sich aus der vorausgesetzten Nachvollziehbarkeit und begrenzt-möglichen Voraussagbarkeit beobachtbarer Phänomene, und zwar unter der in Erlebnissen gründenden Annahme der Existenz numinos wirksamer Personalmächte. Auch hier funktioniert die Welt nach festen Gesetzen und Abläufen. Der Mensch sieht sich nicht einem Chaos ausgesetzt. Numinose Mächte, 36 menschliche Möglichkeiten übersteigender Kraft verweisen,' die zudem auf personal gedachte numinose Wesen zurückgeführt werden, so widersprechen Wunderberichte der modernen Welterfahrung. Wurden sie in der Antike wie in kontemporären außereuropäischen Kulturen nicht nur als reale Möglichkeiten erachtet, sondern als solche erlebt und kommuniziert, so wird ihnen aus moderner Perspektive jeglicher Realitätsbezug abgesprochen: Wunder erscheinen als absolute Unmöglichkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Vorentscheidung wird einmal unreflektiert in die ntl. Text- und Lebenswelt hineinprojiziert zum Generator einer Reihe von Fehldeutungen. 2.1. Schon die Kategorie / Wundererzählung/ in Anwendung auf die Zeugnisse des Frühchristentums ist problematisch, orientiert sie sich doch ausschließlich an dem, was in der Modeme für möglich bzw. unmöglich gehalten wird. Das uns unmöglich Erscheinende der synoptischen Darstellungen des Auftretens Jesu -wie etwa Totenauferweckungen, Seewandel, Brotvermehrung: hier würden die Naturgesetze aufgehoben wird dieser Kategorie subsumiert. Dabei wird verkannt, dass in antiker Perspektive das gesamte Wirken Jesu, wie es in den Evangelien zur Darstellung kommt, als Ausdruck seiner numinosen Befähigung (vgl. Mk 1,9-11) erscheinen konnte. Ich gebe hier nur zwei Beispiele an: Wenn in Mk 1,16-20 beschrieben wird, wie Jesus vier Fischern, zu denen wohl vorher keine persönliche Bezie- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Werner Kahl, geb. 1962, erwarb seinen PhD 1992 an derEmory University in Atlanta mit einer Dissertation zur strukturalen Analyse antiker, inklusive neutestamentlicher Wunderheilungserzählungen. Nach einigen Jahren gemein~ depastoraler Tätigkeit war er von .1999 bis 2001 als DFG-Stipendiat zu Feldforschungszwecken in Ghana, um eine ethnologisch informierte Habilitationsschrift zur Interpretation des NT aus westafrikanischer Perspektive zu erarbeiten. Zu jener Zeit Dozentfür NT an der University of Ghana. Von2002 bis 2004 Vertretungsprofessor für NT an der Universität Kassel. 2004 Habilitation am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Frankfurt. Zur Zeit Lehrbeauftragter für NT und Griechisch an der Universität Kassel. Gemeindepfarrer der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck. Veröffentlichungen vor allem zur Wunderfrage in Antike und Gegenwart und zum afrikanischen Christentum. hung bestand, befiehlt, ihm nachzufolgen und sie diesem Befehl sofort Folge leisten, wobei die Zebedaiden zudem noch ihren Vater die bisherige Autoritätsperson in ihrem Leben bei der Arbeit zurücklassen, so wäre auch dies im antiken Sinne eine »Wundererzählung«. Dasselbe gilt für die Lehre Jesu, die deutlich in Mk 1,23-28 / / Lk 4,31-3 7 auf derselben Ebene wie seine dort geschilderte Dämonenaustreibung als Hinweis auf seine Ausstattung mit menschlichen Möglichkeiten vgl. den Vergleich mit den Schriftgelehrten übersteigender Macht (exousia) gedeutet wird. Entsprechend reagieren die Anwesenden auf beides identisch, d.h. mit Erschrecken (Mk 1,27; vgl. V. 22). In der exegetischen Literatur zum Wunderthema allerdings wird weder die Lehre noch außerhalb des Exorzismus die Befehlsgewalt Jesu diskutiert, ganz abgesehen von der Berück- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive sichtigung seines numinosen (Vorher-)Wissens (vgl. Mk 4,11; 8,31; 11,lf.) oder seiner erstaunlichen Argumentationskunst und Schlagfertigkeit, die seine gebildeten Gegner regelmäßig zum Schweigen bringt (vgl. etwa Mk 11,27-33). 9 Ein Durchgang durch die gesamte Erzähl- und Briefliteratur des NT unter der hier vorausgesetzten Wunderdefinition ergäbe darüber hinaus, dass sich kaum eine Handlung von Jesus oder auch beispielsweise von Paulus, der seine Verkündigung unter den Heiden auf göttliche Berufung und Bewahrung zurückführt, aus emischer Perspektive unter Absehung des Wirkens einer numinosen Macht, d.h. hier Gottes, verstehen ließe: Hier wie da kommt der Plan Gottes durch Jesus bzw. durch Paulus zur Entfaltung (vgl. etwa Mk 8,31; Apg 1,8; 9,15; 16,9f.; Röm 1,5; Gal 1,15f.). Somit wird in den Schriften des NT eine einzige »Wundergeschichte« in variantenreichen Konkretionen bzw. Aktualisierungen bezeugt und beschrieben, i.e. die potentiell aus Todesverfallenheit zum Leben errettende Zuwendung des in den Schriften des Judentums verehrten Schöpfergottes hin zur gesamten Menschheit. Im bisher vorherrschenden Umgang mit ntl. Wundern aus moderner Perspektive bestätigt sich die folgende Beobachtung des amerikanischen Linguisten und Anthropologen Edward Sapir (1884-1939), auf den die Unterscheidung von / emisch/ versus / etisch/ der Sache nach zurückgeht: 10 In der Beschreibung von Verhaltensweisen von Stammesangehörigen durch einen fremdkulturellen Beobachter wird dieser hervorheben, was aus seiner Perspektive interessant bzw. abwegig erscheint, was aber aus emischer Perspektive als nicht wesentlich erachtet werden muss. Er wird also »völlig darin versagen, die entscheidenden Wendepunkte in dem Verlauf des Geschehens wahrzunehmen, die dem Ganzen aus der Perspektive derer, die den Schlüssel zu seinem Verständnis besitzen, seine entscheidende Bedeutung verleihen«." 2.2. So wenig wie der moderne Wunderbegriff oder die Kategorie der Wundererzählung einer angemessenen Erfassung dessen dienen, was in der Antike im Allgemeinen und im Frühchristentum im Besonderen unter Wunder verstanden werden konnte bzw. worum es im Einzelnen in der Kommunikation von Erzählungen, die Wundermotive aufweisen, ging, so wenig vermag die 37 formgeschichtliche Differenzierung von Wundererzählungen in Exorzismen, Therapien, Normwunder, Rettungswunder, Geschenkwunder und Epiphanien zu überzeugen. Es handelt sich hierbei um eine leicht widerlegbare, an Motiven orientierte Einteilung, die nicht nur aus antiker Perspektive nicht nachvollziehbar ist. Zunächst ist die Behauptung, dass »antike Wundergeschichten (... ) einem charakteristischen Erzählmuster verpflichtet« seien, 12 literaturwissenschaftlich unhaltbar.ll Sogenannte Wundergeschichten weisen formal bzw. besser struktural keinerlei Unterschiede zu anders-thematischen Erzählungen auf. Sodann sperren sich selbst die herkömmlicher Weise als Wundergeschichten bezeichneten Erzählungen einer Aufteilung in sechs Untergruppen. Anhand einiger Beispiele möchte ich diese Aufteilung ad absurdum führen: Die Erzählung von der Heilung einer verkrümmten Frau am Sabbat (Lk 13, 10-17) üblicher Weise als Heilungswunder/ Therapie deklariert impliziert einen Exorzismus, denn sie war von einem Krankheit verursachenden Geist bzw. vom Satan »gebunden« gewesen, aus dessen Fesseln Jesus sie löste; übrigens durch Handauflegung eine Manipulation, die Jesus in der exegetischen Literatur gemeinhin in Bezug auf Exorzismen abgesprochen wird. Gleichzeitig ist diese Szene mit einem Streitspruch zu modernen Erklärungsmustern ein Exorzismus vorausgesetzt. Trotzdem wird diese Erzählung gewöhnlich der Kategorie Naturbzw. Rettungswunder zugeordnet. Im NT hingegen wird nicht nur das unerwartete Überleben in Seenot (vgl. Apg 27,20.31) als Resultat einer lebensrettenden Aktivität (gr. »sozein«) beschrieben, sondern insbesondere auch Heilungswunder bzw. Exorzismen (vgl. etwa Mk 5,23.28.34 par; 6,56 par; 10,52 par; Lk 8,36; 17,19; Apg 4,9; 14,9). Es wird deutlich, dass die Einteilung nach »gattungstypischen Merkmalen« 14 willkürlich und an einem modernen Weltbzw. Naturverständnis orientiert ist und ein Verstehen dessen, was in den ntl. Erzählungen gemeint ist, eher verhindert als fördert. » Wundererzählung« inklusive ihrer U ntergruppen ist deshalb m.E. als sinnvolle exegetische Kategorie nicht mehr weiter zu bemühen. In allen in sich abgeschlossenen Einzelerzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte die im Zusammenhang des jeweiligen Makrotextes selbstverständlich ko-textuell über sich hinausweisen -, in denen ein Wundermotiv begegnet, wird von Fall zu Fall nach den Funktionen dieses Motivs in engeren und weiteren Ko-Texten zu fragen sein. Eine Funktion müsste dabei allerdings durchgängig mitbedacht werden: Im NT begegnende Wundermotive gespräch verschachtelt, in dessen Verlauf Jesus autoritativ klärt, dass ein zur Heilung führender Exorzismus am Sabbat rechtens sei. Auch bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29- 31) liegt ein durch Berührung »Es wird deutlich, dass die Einteilung nach >gattungstypischen Merkmalen< willkürlich und an einem modernen Weltbzw. Naturverständnis bzw. Wunderhandlungen verweisen auf die Präsenz der göttlichen Wundermacht, die in (Mk, Mt, Joh) bzw. durch (Lk, Apg)15 Jesus und durch die Apostel wirkt. Insofern kommt diesbezüglichen Einorientiert ist ... « provozierter Exorzismus vor, wie dem modernen Betrachter leicht entgeht, wie aber die lk. Interpretation der Perikope (Lk 4,38f.) eindeutig belegt: Denn in dieser Version fährt Jesus das Fieber wie sonst Dämonen (vgl. etwa Mk 1,25 / / Lk 4,35) lautstark an (gr. »epitimao«) auszufahren, und es verhält sich entsprechend. Eben diese Tätigkeit des Anschnauzens legt Jesus auch in der Erzählung von der Sturmstillung an den Tag (Mk 4,35-41), mit dem Resultat, dass der Wind nachlässt (vgl. zur antiken Vorstellung Odyssee 5,383: Die Göttin Athene befiehlt den Winden auf dem Wasser nachzulassen, so dass Odysseus sicher ans Land gelangen kann). Auch hier ist im Wider- 38 zelerzählungen immer auch eine Erweisfunktion zu: Die Wunderfähigkeit J esu gründet ultimativ in seiner diesbezüglichen Ausstattung durch Gott bzw. Gott - oder der erhöhte Christus erscheint in Bezug auf die Apostel als der eigentliche, transzendente Wundertäter. 2.3. Mit der Differenzierung von » Wundererzählungen« in sechs Untergruppen geht ein Urteil über die Historizität des jeweils geschilderten Ereignisses einher: Bei Exorzismen, Therapien und Normwundern wird vermutet, dass hierbei auf den historischen Jesus zurückgehende Handlungen reflektiert vorliegen könnten, was für Rettungswunder, Geschenkwunder und Epiphanien ausgeschlossen wird, denn hierbei handelte es sich ZNT 15 (8. Jg. 2005) um » Produkte des nachösterlichen Glaubens«. 16 Kriterium dieser Differenzierung ist die moderne Übereinkunft darüber, was als menschenmöglich bzw. -unmöglich zu erachten sei. Dabei wird a priori ein numinoses Einwirken als absolute Unmöglichkeit abgetan. Selbstverständlich wird auch aus dieser Perspektive nicht damit gerechnet, dass es Jesus wirklich aufgrund einer ihm zur Verfügung stehenden göttlichen Wundermacht vermochte, Menschen zu heilen bzw. Dämonen auszutreiben. Zugestanden wird, dass er seinen Zeitgenossen als Exorzist bzw. als Schamane erscheinen musste. Quellenkritisch wird dieses Urteil mit einem Verweis auf die sog. Logienquelle Q untermauert, denn hier lägen nur zwei kurze, im Grunde nur angedeutete und relativ unspektakuläre Wundererzählungen vor, und zwar in Form einer Fernheilung (Lk 7,1-10 par) und einer Exorzismusheilung (Lk 11,14 par). Wenn Jesus aber seine Fähigkeit, böse Geister zu vertreiben, als Hinweis auf die Präsenz der Königsherrschaft Gottes verstanden wissen will (Lk 11,20 par) und diese seine Fähigkeit auf die ihm zur Verfügung stehende göttliche Wundermacht zurückführt (ebd.: mit dem Finger Gottes; bzw. Mt 12,28: im Geist Gottes), dann ist der Befund von nur zwei narrativ ausgeführten Heilungen als zufällig zu werten und bei einer vorausgesetzten Spruchquelle Jesu sollte es sie denn überhaupt gegeben haben(! ) nicht weiter verwunderlich. 1' Allerdings sollte zur Kenntnis genommen werden, dass die Sprüche, die der Logienquelle zugeordnet werden, in Zusammenhang mit der angekündigten Nähe der Heil bringenden Gottesherrschaft neben Exorzismen (vgl. auch Lk 11,24-26 par) mit weiteren Wundern rechnen, u.a. die sättigende Speisung der Hungernden und die ultimative Tröstung der Trauernden (Lk 6,21f. par), Heilungen und Totenauferweckungen (Lk 7,22 par; vgl. auch Lk 10,9 par) und das numinose WissenJesu über Gott (Lk 10,22 par). Grundsätzlich ist nämlich auch in diesen Sprüchen das im Judentum nicht angezweifelte Wissen über die alles vermögende Wundermacht Gottes vorausgesetzt, der selbst aus Steinen Kinder für Abraham erwecken könnte (gr. »dynatai ho theos« ), wenn er nur wollte (Lk 3,8 par). Es wird zu bedenken sein, dass sämtliche Wunder, die Jesus in den Evangelien zugeschrieben werden, den Glauben daran bezeugen, dass in ihm die Wundermacht Gottes wirkte. Dass sich ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive Gustave Dore, Christus wandelt auf dem See, um 1866, Holzstich. Illustration für die Prachtausgabe der Bibel in frz. Sprache aus dem Verlag Tours von Alfred Marne. zu seinen Lebzeiten an der Provenienz seiner Wunderfähigkeit eine Kontroverse entzündete, nicht aber daran, dass er Wunder zu tun vermochte, wird in Lk 11,14-23 par anschaulich. Eine Differenzierung in mehr oder weniger mögliche Wunder lässt sich im Frühchristentum nicht ausmachen.18 Dass Jesus als von Gott mit Vollmacht Ausgestatteter Wunder ganz unterschiedlicher Qualität zu vollbringen vermochte, musste sich unter den an ihn als solchen Glaubenden allgemeiner Plausibilität erfreuen. 2.4. Der Glaube an Wunder und Magie ist weder in der Antike noch in kontemporären außereuropäischen Kulturen eine Vorliebe der »untere(n) soziale(n) Schichten«, noch »dienen (Wundergeschichten) der Unterhaltung« und sie sind auch nicht »Symbolhandlungen der kleinen Leute, mit denen diese ihrer Not entgegenwirken und Zuversicht für deren Überwindung gewinnen«, wie jüngst Bernd Kollmann in dem ntl. Wunderartikel der TRE bekundet, und zwar präsentisch, d.h. mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit formuliert. 19 Ethnologische Feldforschungen belegen eindeutig, dass das Rechnen mit Wundern und die Anwendung magischer Mitteletwa djudju bzw. Voodoo in Westafrika nicht nur innerkulturell quer durch alle Bildungsschichten einschließlich im Westen ausgebildeter naturwissenschaftlicher Universitätslehrer hindurch allgemein plausibel ist, sondern beides als real bzw. wirksam erlebt wird. 20 Eine Differenzierung ist allenfalls möglich hinsichtlich der Bereit- 39 schaft, in mehr oder weniger Einzelfällen von Krankheit oder Heilung bzw. zu verschiedenem Ausmaß die Involvierung numinoser Mächte zu veranschlagen. Was diese Beobachtungen an außereuropäischen Kulturen der Gegenwart nahe legen, wird etwa durch Plinius den Älteren und durch Cicero für die mediterrane Antike bestätigt: Die Furcht, von Verfluchungen getroffenen zu werden, war allgemein verbreitet, und selbst für »fast alle Vertreter der römischen Philosophie, die aus der Oberschicht stammen« ist eine kognitive Dissonanz zwischen »philosophischer Reflexion und Alltagshandeln«, 21 das durch Divination und kultische Rituale geprägt war, festzustellen. Im Neuen Testament wird im Adressaten des lk. Doppelwerks - Theophilos wohl ein Repräsentant der Oberschicht greifbar. Als gemeinsames kulturelles Wissen setzt Lukas auch bei ihm ganz selbstverständlich die Überzeugung von der Realität von Wundern voraus. Und auch Paulus darf als pharisäischer Gelehrter seiner Zeit gelten, der im Übrigen ganz wie Philo von Alexandrien mit Wundertaten Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft rechnet. Die seit den Anfängen der formgeschichtlichen Forschung vor gut einhundert Jahren bis in die Gegenwart hinein tradierte Vermutung, Geschichten über Rettungswunder wären zu Unterhaltungszwecken gerne am abendlichen Lagerfeuer weitererzählt worden, geht an der Realität der Sorge um das konkrete Überleben von Menschen in oft aussichtsloser Not, die sich wirksame Hilfe nur durch die Involvierung numinoser Geistmächte erhoffen konnten, völlig vorbei. Es handelt sich für diese Rezipienten bei »Wundererzählungen« nur dann um »Hoffnungsgeschichten«, wenn sie mit real gemachten Rettungserfahrungen konvergieren und Rettung im konkreten Einzelfall in Aussicht stellen andernfalls verlieren sie jegliche Plausibilität und Relevanz. Als Wundergeschichten, die rein ideell »zeitlos gültige Bilder der Hoffnung in sich« trügen und »eine bessere Welt« einklagten, 22 hätten sie in der Antike nicht zur Attraktivität des Christentums beigetragen. Heutzutage wächst das Christentum übrigens in so unterschiedlichen Gesellschaften wie in Südkorea, China, Lateinamerika und Westafrika vor allem aufgrund von Wunderheilungserfahrungen rapide an. 40 3. Wunder und Mission In dem exegetischen Diskurs um Wunder und Mission sind im 20. Jh. vor allem zwei Blickwinkel entscheidend prägend gewesen: Zum einen eine konsequent »religionsgeschichtliche« Betrachtung des Frühchristentums, einhergehend mit der beinahe exklusiven Aufwertung hellenistischer, griechisch-römischer Parallelen zu Phänomenen, die im Neuen Testament beschrieben sind. Zum anderen eine sach-kritische Diskreditierung des Wunderglaubens als letztlich unchristliche Glaubensäußerung, die schon 1m Neuen Testament selbst, und besonders bei Paulus und Johannes, Kritik erfahren habe. Aus diesen zwei Perspektiven heraus ist das wohl einflussreichste exegetische Werk zu Wunder und Mission im 20. Jh. geschrieben worden, i.e. Dieter Georgis »Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief« 23 aus dem Jahr 1964. Im ausführlichen Nachwort zur mehr als zwanzig Jahre später erschienenen englischen Version verabschiedet sich Georgi aufgrund vorangeschrittener Forschungserkenntnisse in selbst-kritischer Weise von einigen seiner Vorentscheidungen, die ihm mittlerweile bewusst geworden waren. Eine differenziertere Ausleuchtung des Wunderphänomens im kulturellen Kontext der Antike »lässt meine ursprüngliche Kritik des Gottmenschphänomens voreilig erscheinen, denn sie war ergangen aufgrund kultureller, sozialer und religiöser Überheblichkeiten meinerseits. Ich war mir bis dahin nicht der Bedeutung und Funktion des Göttlichen und des Wunders in der gesamten hellenistischen Kultur bewusst( ... ), wobei ich tatsächlich mit unbewussten sozialen Klassifikationen eines protestantischen Intellektuellen unserer Tage arbeitete, was einen erheblichen Mangel an sozialer Logik in meiner Beschreibung verursachte.« 24 Die Analyse des 2Kor hinsichtlich der Position der Gegner des Paulus und der von Paulus vertretenen Position orientierte sich an folgender Opposition: / Wundercharismatikertum der Gegner/ versus / Evangeliumsverkündigung des Paulus/ , wobei erstere Kategorie negativ und letztere positiv markiert wurde. Die Opposition diente des Weiteren als Kriterium zur Analyse von Texten der erzählenden Literatur des Neuen Testaments, in denen es um Mission und Wunder geht. Eine kritische Überprüfung dieser Exegesen führt ZNT 15 (8. Jg. 2005) Gustave Dore, Die Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers (Lk 8,49-56), um 1866, Holzstich. Illustration für die Prachtausgabe der Bibel in frz. Sprache aus dem Verlag Tours von Alfred Marne. aber vor Augen, dass es sich hier beinahe durchgehend um geradezu willkürlich anmutende Textanalysen handelt, die erleichtert wurden durch vorangegangene fragwürdige Isolierungen aus ihrem jeweiligen Ko-Text. Gegenüber den Ergebnis- Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive dämonischer Geister. Die Mission des Frühchristentums ist nicht auf die Propagierung von Spruchweisheiten oder Glaubensinhalten ohne konkrete Erfahrbarkeit des Geglaubten zu reduzieren. Auch die Missionsanstrengungen des Paulus sind unter diesem Vorzeichen neu zu verstehen. So besteht die Opposition zwischen Paulus und seinen Gegnern im 2Kor sicher nicht darin, dass letztere sich als Wundertäter in Szene setzten und Paulus als Prediger in Erscheinung trat so sieht lediglich die protestantisch-aufgeklärte Konstruktion aus. Paulus weiß ja um Wunder, die an ihm (1,8-11) bzw. durch ihn vor den Adressaten geschehen sind (12,12). 25 Es geht aus der Perspektive des Paulus: eine andere haben wir hier nicht! im 2Kor um die ultimative Herkunft und um den Zweck von Mission. Seinen Gegnern wirft er vor, dass sie sich nicht von Gott herleiten, sondern von Menschen (3,1) bzw. implizit vom Satan (11,14) und dass sie nur um sich selbst, nicht aber um die Gemeinde besorgt seien (2,17). Paulus hingegen wird von Anfang bis Ende des Briefes (Argument für die Einheit des Briefes! ) nicht müde zu betonen, dass er ein Apostel Christi zum Wohle der Gemeinde ist, und dass die göttliche Wundermacht in ihm wirkt, wenn sie will. 2. Der einmal konstruierten Gruppe von Wundercharismatikern wurden Sammlungen von Wundererzählungen etwa eine Semeiaquelle Qoh) oder eine Wunderkatene (Mk 4,35-6,52)an die Hand gegeben, die den sen Georgis, die ganzen Exegetengenerationen plausibel erscheinen konnten, sind heute folgende Kurswechsel anzuzeigen: 1. Neutestamentliche Texte, die Aussendung bzw. Evangelisation thematisieren, » Die Mission des Frühchristentums ist nicht auf die Propagierung von Spruchweisheiten oder Glaubensinhalten ohne konkrete Erfahrbarkeit des Geglaubten zu reduzieren.« Evangelisten vorgelegen hätten, etwa mit der Funktion der Legitimierung ihres Auftretens. Diese Annahme hat sich zu recht nicht durchgesetzt, geschweige denn bestätigt. 26 Verkündigung der weisen fast durchgängig die Verbindung von Missionsverkündigung und Wunderheilungen bzw. Exorzismen auf. Das war im Frühchristentum der Regelfall, der im AuftretenJesu (vgl. Mk 2,21-28) bereits vorgezeichnet war (Mk 3,13-15; 6,66-13; 16,9-20; Mt 9,35-10,16; Lk 9,1-6; 10,1-20). Wenn in Mt 28,19 die Taufe der Völker auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes befohlen wird, so ist hier impliziert, dass die Gegenwart dieser drei Größen sich als im Leben wirksam erweist, insbesondere in der Vertreibung ZNT 15 (8. Jg. 2005) heilsamen, zum Leben hin rettenden Nähe Gottes und Wundererfahrungen bzw. die Kommunikation derselben bedingen einander im Frühchristentum. 3. Die früher oft bemühte Kategorie der antiken Gottmenschvorstellung2' vermag heute nicht mehr ungebrochen zu verfangen. Insbesondere muss der Versuch Georgis als gescheitert erachtet werden, eine derartige Konzeptionalisierung für das antike Judentum zu erweisen, die dann für die Gegner des Paulus und überhaupt für die Mehrzahl frühchristlicher Missionare maßgebend gewe- 41 sen wäre. 28 In Texten des antiken Judentums von Artapanus über die Schriften vom Toten Meer, von Philo und Josephus bis hin zu den rabbinischen Schriften hält sich grundsätzlich durch, was in den Heiligen Schriften Israels bezeugt ist: Es gibt nur einen Wundertäter, und das ist Gott. Er wirkt durch seine Propheten, die ihn allenfalls als Gebetsmächtige zu einem Wunder zu bewegen vermögen, denen aber niemals Wunderkraft selbst kontinuierlich innewohnt. 29 Eben diese Konzeption ist auch in den Schriften des Neuen Testaments in Bezug auf die Apostel vorausgesetzt: Sie haben vor einer Wunderheilung zu beten, d.h. Gott bzw. den erhöhten Christus zu bitten, bzw. sie sprechen Heilung im Namen Jesu zu oder die transzendente Wundermacht fließt durch Handauflegung im gesetzten Fall auf die kranke Person über. Sie selbst aber haben keine Wundermacht. Die Apostel als Gottmenschen zu verstehen, wäre ein naheliegendes heidnisches Missverständnis, dem insbesondere Lukas in der Apostelgeschichte zu begegnen versucht. 30 Beispiele für ein im Frühchristentum verbreitetes Missverständnis dieser Art unter den Missionaren lassen sich in der ntl. Literatur weder unmittelbar noch mittelbar beibringen. 4. Schluss In der Gegenwart hat sich der ethnologische bzw. kulturanthropologische Zugang in den Altertumswissenschaften insbesondere der französisch- und englischsprachigen Welt fest etabliert, mit starken Ausstrahlungen in die deutschsprachige Forschung hinein. 31 Einhergehend mit der Annahme der kulturellen Fremdheit der mediterranen Antike hat sich die Frage nach dem hermeneutischen Standpunkt des Forschenden neu gestellt. 32 Das Fremde herauszuarbeiten, es stehen zu lassen, auszuhalten und als Anfrage ernst zu nehmen, ohne es durch sachfremde Kategorisierung zu verzerren oder etwa durch Romantisierung unkritisch zu vereinnahmen, darin besteht die Herausforderung nicht nur für die Altertumswissenschaft, sondern in besonderem, da theologisch relevantem Maße für die neutestamentliche Wissenschaft." Die Frage nach der Realität, Erfahrbarkeit und Relevanz von Wundern treibt Studenten und Studentinnen der Theologie, aber auch 42 Schüler und Schülerinnen heute anders um als noch vor einer Generation. Das charismatische Christentum, in dem Erfahrungen der Nähe Gottes erwartet und mitgeteilt werden, ist weltweit stark angewachsen und hat längst begonnen, auf europäische Theologie und Kirche einzuwirken. Ein solches Christentum sei es in Antike, Reformationszeit oder Gegenwart undifferenziert als enthusiastisch, naiv oder mirakulös zu diskreditieren, vermag heute nicht mehr allgemein zu überzeugen. Ein ethnologisch informierter und reflektierter Zugang zum Neuen Testament kann dazu verhelfen, ein möglichst klares und unverzerrtes Verständnis von dem zu gewinnen, was Wunder und ihre Kommunikation im Frühchristentum bedeuteten. Die schwierigere - Beantwortung der Frage nach der Übersetzbarkeit und produktiven Umsetzung der missionarischen Wundererfahrung in unsere Welt hinein kann erst gelingen, wenn Ersteres geleistet ist. Anmerkungen 1 K.-H. Kohl, Ethnologie - Die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, München 2 2000. Zur ntl. Relevanz und Applikation ethnologischer Einsichten, vgl. meine Frankfurter Habilitationsschrift aus dem Jahre 2004: Jesus als Lebensretter. Afrikanische Bibelinterpretationen und ihre Relevanz für die neutestamentliche Wissenschaft. In den deutschsprachigen exegetischen Diskurs ist die ethnologische Fragestellung unter dem Begriff der Kulturanthropologie von Wolfgang Stegemann und seinen Schülern K. Neumann und Chr. Strecker eingebracht worden. Entsprechende Impulse sind eingeflossen in das auf vier Bände angelegte Werk Neues Testament und Antike Kultur, hrsg. von K. Erlemann u.a., Neukirchen-Vluyn 2004ff. 2 Vgl. W. Stegemann, Kulturanthropologie des Neuen Testaments, VuF 44/ 1 (1999), 28-54, 43f. 3 Die Begrifflichkeit wurde eingeführt von K.L. Pike, Language in Relation to a Unified Theory of the Structure of Human Behavior, Paris 2 2000, 3 7: » The etic viewpoint studies behavior as from outside of a particular system, and as an essential initial approach to an alien system. The emic viewpoint resu! ts from studying behavior as from inside the system.« Es handelt sich bei den Motivsammlungen zu den neutestamentlichen Wundertraditionen, wie sie R. Buhmann (Die Geschichte der synoptischen Tradition [FRLANT 29], Göttingen 8 1970, 233ff.) und G. Theißen (Urchristliche Wundergeschichten [StNT 8], Gütersloh 1974, 57-83) vorgelegt haben, um Inventarisierung und also um eine etische Herangehensweise. 4 Pike, Language, 51 (Übersetzung: W. Kahl). 5 Vgl. insbesondere den einflussreichen Beitrag von R. Horton, African Traditional Thought and Western ZNT 15 (8. Jg. 2005) Science, in: ders., Patterns of Thought in Africa and the West: Essays on Magie, Religion and Science, Cambridge 1993, 197-258 (Orig.: 1967). 6 In die Richtung dieser Feststellung gehen die Ausführungen K. Bergers zum Kausalitätsverständnis in der Antike, vgl. ders., Historische Psychologie des Neuen Testaments, Stuttgart 1991, 27: »Für neutestamentliche Texte können Worte oder Berührungen Großes bewirken. Für uns ist diese Erfahrung nicht möglich, da wir ohne eine bestimmte Auffassung von Kausalität in der technischen Welt uns nicht zurechtfinden könnten. Andererseits kennt auch die Antike entfaltete Technik. Es geht daher im Verhältnis zwischen den Menschen des Neuen Testaments und uns wohl um Ausweitung oder Verkümmerung bestimmter Erfahrungsweisen.« ' Vgl. W. Kahl, Art. Wunder, ThBNT 2 ('2000), 1966- 1977. 8 S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, Tübingen 2001, 1. ' Vgl. als eine entscheidende Ausnahme D. Georgi im neu hinzugefügten Epilog zur englischen Version seiner einflussreichen Studie zu den Gegnern des Paulus im 2. Korintherbrief: The Opponents of Paul in Second Corinthians, Edinburgh 1987, 402. 10 Sein Schüler K.L. Pike hat dann die entsprechende Begrifflichkeit eingeführt, die von dessen Schüler A. Dundes dann konsequent im Bereich der Mythenforschung, Folklore- und Literaturwissenschaft angewandt wurde. 11 Zitiert in Pike, Language, 39 (Übersetzung: W. Kahl). 12 B. Kollmann, Art. Wunder IV. Neues Testament, TRE 2004, 389-397, 391. Die in diesem TRE-Artikel gebotene Darstellung transportiert eine ganze Reihe längst überholter oder doch zumindest fragwürdiger Positionen, die Kollmann bereits in seinen beiden Monographien zum Thema eingenommen hat: Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996; ders., Neutestamentliche Wundergeschichten. Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis, Stuttgart 2002. Eine Gesamtdarstellung der neutestamentlich-theologischen Wunderproblematik auf der Höhe der Zeit steht weiterhin aus. 13 Vgl. dazu insgesamt W. Kahl, New Testament Miracle Stories in Their Religious-Cultural Setting: A Religionsgeschichtliche Comparison From a Structural Perspective (FRLANT 163 ), Göttingen 1994. Vgl. bereits K. Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, in: ANRW 2.25.2 (1984), 1031-1432, bes. 1214ff. 14 Kollmann, Art. Wunder, 391. 15 Zur Differenzierung vgl. Kahl, New Testament Miracle Stories, 222ff. 16 Kollmann, Art. Wunder, 391. 17 Das koptische Thomasevangelium enthält kein einziges narrativ ausgeführtes Wunder. 18 Vgl. in diesem Zusammenhang das zutreffende Urteil von K. Berger, Hermeneutik des Neuen Testaments, Tübingen und Basel 1999, 203: »Von den >leichten< Fällen auszugehen und die schweren für unhistorisch zu erklären, das halte ich für hermeneutisch vollständig naiv.« 19 Kollmann, Art. Wunder, 391. Diese in mehrfacher Hin- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive sieht problematische Projektion wird auch geteilt von W. Reinbold, Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000, 203f. 20 Vgl. A. Ekue, »Und sie denken, Du bist eine mamissi ... « Geistinhabitation in einem Frauenkult und ihre Adaption im Kontext afrikanischer Christen in Süd-Togo (Hamburger Theologische Studien 9), Hamburg 1996, 122. 21 J. Rüpke, Die Religion der Römer, München 2001, 167 und 127 respektive. 22 So Kollmann, Art. Wunder, 391. 23 Neukirchen-Vluyn 1964. Das Werk geht zurück auf Georgis Dissertation aus dem Jahre 1957 und wurde für die Veröffentlichung erheblich überarbeitet und erweitert. 24 Georgi, The Opponents, 394 (Übersetzung: W. Kahl). 25 Vgl. zu Wundern bei Paulus grundsätzlich: Alkier, Wunder und Wirklichkeit. 26 Vgl. aber Kollmann, Art. Wunder, 391, der den alten Forschungsstand repetiert. ; 27 Vgl. H.D. Betz, Art. Gottmensch II, RAC 12 (1983), 234-312. 28 Vgl. dazu C.R. Holladay, Theios Aner in Hellenistic- Judaism: A Critique of the Use of This Category in New Testament Christology, Atlanta 1977. 29 Vgl. dazu insgesamt Kahl, New Testament Miracle Stories. 30 Apg 14,8-18: An dieser Stelle konnten die heidnischen Zeugen der Wunderheilung gar nicht anders, als in Paulus und Barnabas Erscheinungen ihrer Götter zu sehen, denn singulär in der Apg - Paulus tritt beim Wundergeschehen zunächst eigenmächtig als Wundertäter auf, ohne jeglichen Rekurs auf eine transzendente Macht; vgl. 5,12-16; 19,11-12: der Kontext macht in jedem Fall deutlich, dass auch hier Gott der Wundertäter ist (vgl. auch in Bezug auf Jesus: 2,22). 31 Vgl. den informativen Überblicksartikel von M. Maurer, Historische Anthropologie, in: ders. (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, 294-387. Für die neutestamentliche Wissenschaft relevant, aber in der deutschsprachigen Forschung wenig zur Kenntnis genommen, sind die ethnologisch bzw. anthropologisch informierten Beiträge von W. Burkert (Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998) und seinem Schüler F. Graf (Gottesnähe und Schadenzauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996 ). 32 Vgl. R. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt a.M. 1994, 9: »Neu ist indessen, dass der okzidentale, auf die Antike rekurrierende Traditionsbestand zunehmend zum Gegenstand der Reflexion geworden ist.« Ein beeindruckendes Zeugnis dieser Reflexion liegt mit den forschungsgeschichtlichen Bänden des Neuen Pauly vor. 33 Vgl. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte, 14: »Eine anthropologische Hermeneutik zeichnet sich ab, die das weiterwirkend Aktuelle des Vergangenen und Femen ernst nimmt, ohne es als abzuschaffendes Überbleibsel zu entwerten, und die, ohne dem Sog des Irrationalen nachzugehen, der Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen zu ihrem Recht verhilft.« 43 Richtet sich der Missionsauftrag in Mt 28, 19 auch an Israel? Eine Einführung zur Kontroverse Der Streit, ob »Matthäi am Letzten« inklusiv oder exklusiv zu verstehen ist, die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen zu »allen Völkern« Israel mit einschließt oder aber ausschließlich die nichtjüdische Völkerwelt im Blick hat, ist zumindest in den letzten Jahrzehnten ein Dauerbrenner im exegetischen Ringen um ein rechtes Verstehen des Matthäusevangeliums. Dass es sich dabei keineswegs nur um eine jener Quisquilien handelt, um die sich Exegeten so gerne streiten, sondern vielmehr um eine Frage, deren Klärung von grundlegender Bedeutung auch für die gegenwärtige theologische Debatte ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Themenkomplexe hier tangiert sind. Immerhin hat die für die Herausbildung des christlichen Antijudaismus bedeutsame »Substitutionstheorie« von je her und bis in die jüngste Vergangenheit hinein in Mt 28, 19 eine ihrer wesentlichen Belegstellen gesehen. Zudem spielt der Epilog des Matthäusevangeliums in einer Frage, die trotz vielfältiger kirchlicher Verlautbarungen und eines weit fortgeschrittenen Umdenkungsprozesses in der Zunft der Exegeten in Theologie und Kirche mit enervierender Regelmäßigkeit immer wieder aufbricht, ob nämlich der Kirche Jesu Christi von ihren neutestamentlichen Grundlagen her »Judenmission« erlaubt, geboten oder verboten ist, eine entscheidende Rolle. Liegt die aktuelle Brisanz dieser Frage für die Entwicklung einer » Theologie nach Auschwitz« auf der Hand, so bietet sie auch für die theologiegeschichtliche Einordnung des ersten Evangeliums jede Menge Zündstoff: Denn exklusiver Partikularismus (Mt10,5f.; 15,24) und Universalismus (Mt 28,19) stehen im Blick auf die Sendung J esu und seiner Jünger im Matthäusevangelium scheinbar unverbunden nebeneinander. Die folgende Kontroverse zwischen Hubert Frankemölle und Florian Wilk ist vor allem deswegen so lehrreich und interessant, weil sie einerseits auf der Basis eines weitgehenden methodologischen Konsenses geführt wird und andererseits dennoch im Ergebnis in einen grundlegenden 44 Dissens mündet. Beide Exegeten entscheiden sich für eine primär synchrone Auslegung und betonen freilich mit unterschiedlichen Akzentsetzungen den Wert der durch das Matthäusevangelium selbst gesetzten Leselenkungen. Sie machen damit deutlich, dass die Frage, wie der Schlussakkord des ersten Evangeliums zu verstehen ist, nicht durch Wortstatistik o.ä., sondern befriedigend nur im Kontext einer Theologie des Matthäus zu lösen ist. Während diese für Hubert Frankemölle vor allem durch eine theozentrische Christologie geprägt ist, die in Jesus (» Immanuel«, Mt 1,23) den Repräsentanten des Gottes Israels sieht und ihn entsprechend dem in den Schriften Israels vorgegebenen spannungsvollen Nebeneinander von Universalismus und Partikularismus zu Israel und den Völkern gesandt sein lässt, so dass sich auch für Mt 28,19 ein inklusives Verständnis ergibt, ist für Florian Wilk im Rahmen der matthäischen J esusgeschichte grundsätzlich zwischen dem Christus Israels und dem über die (nichtjüdischen) Weltvölker herrschenden Menschensohn und damit auch zwischen den Sendungsaufträgen in Mt 10,Sf. und 28,19 zu unterscheiden. Wie jede gute Exegese bietet auch die folgende exegetische Kontroverse keine Lösung, sondern erweist ihre Produktivität dadurch, dass sie zur weiteren exegetischen Arbeit am Matthäusevangelium geradezu herausfordert. Axel von Dobbeler Stefan Alkier / Hermann Deuser (Hrsg.) Religiöser Fundamentalismus Analysen und Kritiken 2005, ca. 200 Seiten, ca.€ 26,90/ SFr 47,10 ISBN 3- 7720-8099-5 Dieser Band öffnet den Blick dafür, dass Fundamentalismus kein islamisches bzw. arabisches Sonderproblem darstellt. Was ist Fundamentalismus? Woher bezieht er seine verführerische Kraft? Diese Frage wird religionsphänomenologisch, soziologisch, philosophisch und politikwissenschaftlich erörtert. A. Francke Verlag Tübingen ZNT 15 (8.Jg. 2005) Hubert Frankemölle Die Sendung der Jünger Jesu »zu allen Völkern« (Mt 28, 19) Exklusive oder inklusive Deutung, das ist seit jeher die Frage. Sind Juden eingeschlossen oder nicht? Richtet sich die Sendung der 11 Jünger Jesu (28,16) durch den auferweckten matthäischenJesus nur an die Heiden (hebr. gojim) oder an alle Völker, inklusive die Juden? Seit Jahren 1 vertrete ich die inklusive Deutung, die allerdings bis heute umstritten ist. 2 Dabei postuliere ich nicht einen »objektiven« Textsinn, sondern habe (wie Kollegen z.T. etwas süffisant feststellen) durchaus in wichtigen Fragen des MtEv (etwa zum Verhältnis Israel - Jüngergemeinde / Erklärung »Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche« vom 23.9.2004, der zufolge der Auftrag an die Jünger in Mt 28,19 »alle ethnischen und räumlichen Grenzen« überschreitet (37). Hingegen versteht die jüdisch-christliche Erklärung »Reflexion über Bund und Mission« aus den USA vom 12.8.2002 panta ta ethne im Sinne von »alle Nationen außerhalb Israels«. Ob exklusives oder inklusives Verständnis: »Mission« (in Mt 28,19 fehlt dieses Wort; es stammt aus dem 16. Jh. und hat einen entsprechenden negativen Klang als Kampf gegen Irrglauben), Kirche) in drei Jahrzehnten meine Rezeptionswahrnehmungen verändert. Grundsätzlich gehe ich von der Mehrdimensionalität der C TROV ' »Mission« der Juden, lehnen alle christlichen Kirchen heute dezidiert ab; sie sprechen von Zeugnis und Dia- Texte, von einem mehr oder weniger offenen Textsinn aus, ebenso setze ich ein offenes Methodenensemble sowie die Multiperspektivität der Leseweisen voraus. Warum blieb meine Deutung von Mt 28,19 konstant? 1. Voraussetzung meiner Auslegung des MtEv ist, dass ich Texte als historische Glaubenszeugnisse lese, das MtEv demnach aus dem Ende des 1. Jh. n.Chr., geschrieben von einem judenchristlichen Theologen. Kirchliche Erklärungen heute, in der Erfahrung des Holocaust und im Respekt vor dem Anderen als freiheitliches Subjekt vor Gott dürfen die Leseweise von Mt log, von der Rechenschaft des eigenen Glaubens vor der Welt (inklusive Juden), von der Botschaft der Befreiung, von der Religionsfreiheit aller Menschen usw., was einschließt: es » können auch Mitglieder anderer Religionen, die ... Gott aus ehrlichem Herzen suchen, dem Anruf ihres Gewissens folgen und Heil erlangen« (so selbst die Deutsche Bischofskonferenz vom 23.9.2004, 49). Die Heilsfrage oder das jüdisch-christliche Verhältnis ist nicht von der inklusiven oder exklusiven Auslegung tangiert; man sollte sie von dieser dogmatischen Hypothek freihalten. Außerdem: 28,19 bei der Frage nach der intentio operis nicht präjudizieren. Die Erklärungen der Kirchen sind in der Regel verfasst von Christen für (Heiden-)Christen, nicht wie das MtEv von einem christlichen Juden für »christliche Juden« (Ph. Sigal). Dabei lehnen die »Die Heilsfrage oder das gegenwärtige Rezeption oder Aneignung von Mt 28, 19 besagt nichts über die intentio operis. jüdisch-christliche Verhältnis ist nicht von der znklusiven oder exklusiven Auslegung tangiert; man sollte sie von dieser dogmatischen Hypothek freihalten.« 2. Verstehen heißt lesen, was da steht; doch der Sinn selbst steht nicht da. Er wird durch den Leser konstruiert im optimalen Fall gemäß den Leserlenkungen durch den katholische wie die evangelischen Kirchen dezidiert »aus theologischen und historischen Gründen ... eine auf Bekehrung« der Juden zielende Judenmission ab (Rat der EKD am 8.9.1998). Ebenso die Deutsche Bischofskonferenz in der Text. Dies gilt für die ersten wie für heutige Leser. Um die Entstehung des Textes geht es also bei dieser Leseperspektive nicht, wohl kann der Text Hilfen aus der Traditions-/ Glaubensgeschichte zum angemessenen Verständnis liefern: im MtEv ZNT 15 (8. Jg. 2005) 45 vor allem durch die zahlreichen Erfüllungs-Zitate und durch die Rezeption wichtiger Motive aus den heiligen Schriften Israels in griechischer Überlieferung. Sie waren und sind für mich die deutlichsten Leserlenkungen. Ohne diese Vorgabe ist das semantische Universum, das generell bei Texten nach allen Seiten offen ist, auch im MtEv meiner Meinung nach nicht textlich angemessen zu erschließen. Inwiefern kann ich eine strukturelle Ähnlichkeit des MtEv mit den heiligen Schriften Israels in Griechisch (eine Bibel oder gar einen jüdischen Kanon gab es zu dieser Zeit noch nicht) bei panta ta ethne wahrnehmen? Welche Leserlenkungen bietet das MtEv zu diesem Syntagma? Im Gespräch mit Lesarten Anderer sei die eigene kurz begründet. 3. Während für U. Luz noch 1993 die Botschaft von Mt 28,19 klar war (»Die Zeit der Israelmission ist für das Matthäusevangelium nun definitiv vorbei«; die matthäische Gemeinde »wendet sich an der Stelle Israels den Heiden zu«'), diskutiert er 2002 ausführlich die Möglichkeiten des Verständnisses mit einem seiner Meinung nach salomonischen Urteil zum Textbefund. Spricht er zu 28,15 noch unmissverständlich vom »Auftrag des Herrn an seine Gemeinde, nun allen Völkern seine Gebote zu verkünden«, möchte er bei der Auslegung von 28,19 »zwischen der grundsätzlichen Bedeutung des Missionsbefehls und seiner Anwendung durch die matthäische Gemeinde unterscheiden«, da der Befehl »grundsätzlich universalistisch gemeint (ist) und allen Völkern (gilt)«, die Jünger aber faktisch im heidnischen Syrien »die Verkündigung der Gebote Christi an die Heiden« als »ihre eigene Aufgabe« ansehen. Matthäus ein tiefgründiger dialektischer Denker? Das sieht doch sehr nach protestantischer Hermeneutik aus. Konnten und können Leser die Textstrategien im Sinne von Luz instrumentieren? Weniger sophistisch begründet F. Wilk in »Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker« seine These, der zufolge panta ta ethne »wie in 24,9.14; 25,32« in 28,19 »die nichtjüdische Völkerwelt« bezeichnet (129). Bereits Th. Zahn hielt dieses Verständnis vor 100 Jahren für gewalttätig, wenn er zu 24,14 (»Dieses Evangelium vom Reich wird auf der ganzen Welt verkündet werden, damit alle Völker es hören«) und zu 24,9 (»Ihr werdet von allen Völkern um meines Namens 46 willen gehasst werden«) lakonisch notiert: "panta ta ethne bezeichnet hier [24,14] wie V.9 und überall im NT ... ebenso wenig die Heiden mit Ausschluß Israels, als hole he oikumene die Welt mit Ausschluß Palästinas, sondern die gesamte in Völker geteilte Menschheit mit Einschluss Israels«4 - (vgl. auch 5,13f.; 25,32; 26,13). Eine reine Wortsemantik, die eine invariable Bedeutung voraussetzt, führt nicht weiter. Auch nicht der Hinweis auf vorgegebene Traditionen in den heiligen Schriften Israels in Hebräisch und Griechisch. Dort wie im MtEv ist der Kontext der eigentliche Bedeutungsträger: Wo ethne der asymmetrische Gegenbegriff zu »Israel« ist (4,15; 6,32; 10,5; 20,19; Analoges gilt für das Adjektiv ethnikos [ =heidnisch] in 5,47; 6,7; 18,17) oder als Gegenbegriff zu den Jüngern Jesu (5,47; 6,7; 18,17) wahrgenommen werden kann, ist über die Bedeutung nicht zu streiten. Wo dieses kontrastive Element aber bei ethne und vor allem bei panta ta ethne(so im MtEv häufig: 24,9.14; 25,32; 28,19) nicht vorliegt und wo im unmittelbaren Kontext (s.o. zu 24,9.14 u.a.) der ethnische mit einem geographischen Begriff wie »die ganze Welt« verbunden wird, instrumentiere ich panta ta ethne gemäß den geographischen Leserlenkungen weiter mit »alle Völker« (inklusive Israel). In 28, 19 liegt diese universale Bedeutung nicht zuletzt auch wegen der Menschensohn-Christologie in 28, 18 nahe, der zufolge dem Auferweckten »alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist«. Palästina und Juden ausgenommen? Als starke Leserlenkung werte ich in 28,16-20, dass viermal qualitativ, temporal und topographisch umfassend formuliert wird: »alle Vollmacht« (186), »alle Völker« (19a), »lehret sie alles halten« (20a) und »alle Tage« (206 ). Eine Ausnahme von dieser Perspektive in Vers 19 kann ich nicht sehen. Auch die matthäische Christologie in 28,20 belegt diese universale Deutung (s.u. zu a.). Zustimmend lese ich die Deutung Wilks, wonach die Jünger nach Ostern in Ergänzung zur Sendung nur an Israel (10,5f.) »zwei verschiedene Aufträge (haben). Sie sollen einerseits Israel um Jesus als den messianischen Hirten sammeln, andererseits die Völker in ihre eigene Gemeinschaft als die der Jünger des Menschensohnes einbinden.«' Seiner These, in Kap. 1-27 gehe es um die Sammlung Israels, gebunden am Christus-Titel, in Kap. 28 dann um die Sammlung der Nichtjuden, ZNT 15 (8. Jg. 2005) Hubert Frankemölle Die Sendung der Jünger Jesu »zu allen Völl<ern« (Mt 28, 19) Hubert Frankemölle Prof. Dr. Hubert Frankemölle, Jahrgang 1939, studierte Katholische Theologie und Altphilologie in Münster, München und Tübingen. 1968 Erstes Staatsexamen; Dr. theol. 1972 in Münster. Bis WS 78/ 79 Akademischer Oberrat für Neues Testament und Bibelgriechisch an der Kath. Theol. Fakultät in Münster, von SS 1979 bis zur Emeritierung im WS 2003/ 04 Professor für Neues Testament an der Universität Paderborn. Forschungsschwerpunkte: methodisch-hermeneutische Fragen, Matthäusevangelium, Jakobusbrief, jüdisch-christlicher Dialog. Zu den Veröffentlichungen vgl. R. Kampling (Hg.), »Dies ist das Buch ... « Das Matthäusevangelium. FS H. Frankemölle, Paderborn 2004, 357- 373 und Homepage der Universität Paderborn, Institut Kath. Theologie. gebunden am Menschensohn-Titel (vgl. ebd. 89.128f.137), steht die eigene Wahrnehmung der Leserlenkungen durch das MtEv aber entgegen. 4. Ich lese das MtEv synchron, zudem leser- und handlungsorientiert als zwar spannungsreiches (wegen der Rezeption unterschiedlicher Traditionen), aber semantisch stimmiges textum, in dem jedes mit jedem zusammenhängt. Geprägt ist die übersummative syntaktisch-semantischpragmatische Einheit der Partitur von Reden und Erzählungen u.a. durch einen Spannungsbogen, bei dem Prolog (1,2-4,17) und Epilog (28,16-20) die wichtigsten Leserlenkungen bieten. 6 Dies ist seit langem grundsätzlich anerkannt, aber hermeneutisch nicht konsequent genug umgesetzt. Der Prolog enthält von der Gattung her rhetorisch die prothesis, die propositio des ganzen MtEv. a) Gewahrt wird die semantische und syntaktische Einheit vor allem durch das vorausgesetzte Subjekt der gesamten Handlung im MtEv: JHWH, der Gott Israels (vgl. etwa die beiden ZNT 15 (8. Jg. 2005) Genealogien in 1,2-25 und die Erfüllungszitate). Auf der irdischen Erzählebene ist ab 4,17 Jesus der Haupthandlungsträger' und zwar in ungebrochener Identität, wie sie in 1,21 und 1,23 an semantisch exponierter Stelle als deutliche Leserlenkung angeboten wird: Immer redet und handelt im mattthäische »I esous / Jesus« (1,21) Je/ Ja als » JHWH erweist sich als Rettung/ Erlösung/ Heil« und als »Immanuel/ EI als Gott ist mit uns« (1,23 ). In hebräisch-hellenistischen Kategorien lässt sich eine höhere theozentrische Christologie nicht denken. Von ihr ist das ganze Evangelium bis in die Schlussverse hinein geprägt (zur Mitsein-Christologie vgl. 17,17; 18,20; 26,29.38.40 und vor allem den Schlussvers 28,20). Für mich bedeuten diese beiden Vertrauensnamen immer noch die stärkste Leserlenkung, so dass sich für mich die Trennung eines Christus für Israel und des Menschensohnes für alle Völker im Verlauf der matthäischen J esusgeschichte nicht nahe legt. Diese theozentrische Christologie impliziert im Kontext des Gottesbildes in den heiligen Schriften Israels (s.u. zu c.) zudem eine universale Sendung dieses »Jesus« zu Israel und den Völkern. b) Ich setze voraus, dass in der matthäischen Gemeinde in Antiochien in Syrien um 80 n.Chr. der traditionelle, pharisäische, von der Sinai- Theologie geprägte Glaube der Bundesformel » JHWH der Gott Israels, Israel JHWHs Volk« nicht nur bekannt war, sondern nach der Tempelzerstörung die jüdische Identität in exklusiver Weise prägte. Zugleich hatten sich die christlichen Juden (vgl. die Paulusbriefe und die Apostelgeschichte), durch den Geist Gottes verleitet, zur Verkündigung des Evangeliums an Nichtjuden und zur Aufnahme von Nichtjuden in die Jesusbewegung entschlossen. Diese in der Forschung unbestrittene Entwicklung und die damit verbundenen theologischen und menschlichen Konflikte werden im MtEv reflektiert. Aus der judenchristlichen Perspektive musste es dabei primär um die Nichtjuden im Heilsplan Gottes, wie er in den heiligen Schriften vorgegeben war, gehen. Diese bestätigende Funktion haben nicht nur die vielen im MtEv eingespielten Zitate (ich zähle ca. 110 wörtliche und ca. 370 Motivrezeptionen), sondern vor allem die 19 Erfüllungszitate aus den Schriften. Diese Leseperspektive kann der Leser auch im universalen Stammbaum in 1,2-17 erschließen. Natürlich ist der matthäische Jesus 47 »Sohn Davids« (1,1), ebenso Josef (1,20), aber David gäbe es nicht ohne die nichtjüdische Rut; Perez als Verheißungsträger nicht ohne Tarnar, Salomo nicht ohne Batseba, die Frau des Urija. Ohne die Heidin Rahab gäbe es keine Landnahmegeschichte,8 keinen zweiten Exodus aus Babylon ohne den Perserkönig Kyros (was im matthäischen Text im Prolog nicht erwähnt wird, aber in 28,16-20 in der Rezeption von 2Chr 36,22f. wohl geschieht). 9 Ich mag nicht ausschließen, dass auch bei der Einspielung der Mose-Geschichte in 2,13- 2310 die Leser wussten, dass Mose ohne die Tochter des Pharao nicht überlebt hätte. Zu erinnern ist auch an die Welt- und Menschheitsgeschichte (vgl. die Nichtjuden Adam und Eva, Kain und Abel, Henoch, Lamech, Seth usw., Melchisedek, Noach und Söhne sowie Abraham) in Gen lff. sowie an die Verheißungen an »Abraham«, d.h. »Vater der Menge/ Völkervater« ( Gen 17,5 ), durch den »alle Geschlechter der Erde Segen erlangen sollen« (Gen 12,36). In dieser Kernbotschaft der Vorgeschichte Israels, in der ein eigenes Land und ein großes Volk erst verheißen werden (Gen 12,lf.), sehe ich weiterhin die intentio operis, wenn der matthäische Jesus in 1,1 in der Überschrift zum MtEv auch »Sohn Abrahams« genannt wird. 11 c) Diese Deutung steht gegen eine breite Auslegungstradition der Exegeten, aber auch gegen eine lange innerjüdische Interpretationsgeschichte zur Figur Abrahams. Jedoch: Die Verfasser der neutestamentlichen Schriften sind keine Kommentatoren der heiligen Schriften Israels, sondern lesen wie die anderen jüdischen Theologen 12 die Texte aktualisierend und bezweideutig bestätigen unterschiedliche Wahrnehmungen bzw. Aktualisierungen. Aber auch Mt 3,9; 8,11 und 22,32 belegen unterschiedliche Überzeugungen hinsichtlich der Bedeutung Abrahams, des Nichtjuden, der als »heimatloser Aramäer« (Dtn 26,5-9) als erster Proselyt für die jüdische Glaubensidentität grundlegend war, aber nach Mt 8,llf. auch für Nichtjuden (»Ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und Westen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische liegen. Die Söhne des Reiches aber werden hinausgeworfen werden ... «; vgl. das Präludium der heidnischen Magier im Prolog in 2,1-12). Dass heidnische Völker »als Volk des Gottes Abrahams« (Ps 47,10) geglaubt wurden, ist kein neues matthäisches Konzept, sondern gegen alle Israel-Zentrierung der Sinai-Theologie in den heiligen Schriften Israels breit belegt: JHWH ist der Gott Israels, er ist aber auch JHWH der Völker (vgl. etwa Jes 19,18-25; 66,18-23 u.a.). 14 Das lange Verheißungszitat vonJes 8,23-9,1 in Mt 4, 14-16 vom Gottesknecht als »Licht der Heiden« (vgl. auch Jes 2,2-5; 11, 1.1 O; 42,6; 49,6; 51,4; 60,3) geht im Handeln des matthäischen Jesus schon jetzt in Erfüllung, wie auch die Zusage an die Jünger präsentisch formuliert ist: » Ihr seid das Licht der Welt .... Ihr seid das Salz der Erde« (5,13f.). Die Hinwendung des matthäischen Jesus zu Nichtjuden im sprachlichen und nichtsprachlichen Handeln (4,19.23-25; 8,5-13; 15,21-28; 22,1-10) werte ich daher keineswegs als »Ausnahmen«, wie in der Regel formuliert wird. Das spannungsvolle Nebeneinander von Universalismus und Partikularismus war dem Verfasser des MtEv in den Schriften zogen auf die Situation ihrer Gemeinden und auf die eigene Theologie hin; diese war leitend bei der selektiven Rezeption. Es gab vor 100 weder einen Kanon, noch einen kanonisch für immer : fixierten Text (vgl. ZNT 2003, Heft 12). Selbst die Tora wird » Die Verfasser der neutestamentlichen Schriften sind keine Kommentatoren der heiligen Schriften Israels, sondern lesen wie die anderen jüdischen Theologen die Texte aktualisierend ... « Israels vorgegeben. In der Situation der Verkündigung »dieses Evangeliums« (24,14; 26,13), d.h. des MtEv »auf der ganzen Welt, damit es alle Völker hören«, im Kontext der Heidenmission durch die christlichen Verkündiger, ständig schon in der Bibel aktualisiert, auch gegen den tradierten Text. »Die Halacha hat im Frühjudentum schon beträchtlichen Abstand vom Wortlaut der Tora gewonnen.«ll Auch im Hinblick auf den Stammvater Abraham gab es wie Paulus und Jakobus im NT un- 48 wird durch den Verfasser die traditionelle jüdische Identität aufgebrochen und die Spannung von Partikularismus und Universalismus neu aufgeladen (durch die in Mk und in Q nicht vorgegebene, demnach vermutlich redaktionelle Betonung der Sendung Jesu und der Jünger nur zu Israel in 10,5f.; 15,24). Damit richtet sich ZNT 15 (8. Jg. 2005) Hubert Franl<emölle Die Sendung der Jünger Jesu »zu allen Völkern« (Mt 28, 19) der matthäische Jesus als »Jesus« (1,21) und »Immanuel« (1,23) gegen das Glaubensverständnis der Pharisäer, Sadduzäer, Herodianer, Tempelpriester u.a., die es auf ethnische, tempelliturgische, streng toratheologische Aspekte fokussierten, so als könne jüdische Identität nur durch Beschneidung, Sabbat und Speisegebote als »boundary and identity markers« (J.D.G. Dunn) bestimmt werden. Ähnlich, wenn auch anders als Paulus, vertritt der Verfasser des MtEv eine »dezidiert jüdische Perspektive«," aber in seiner theologischen Gesamtkonzeption der Spannung von Universalismus (von Kap. lff. an) und Partikularismus (bes. in den Anweisungen für die Jünger als Basileia- Boten in 10,5-15; zu Jesus vgl. 15,24), die durch den matthäischen Jesus wohl gegen das Selbstbewusstsein der Mitglieder der matthäischen Gemeinde gerichtet ist und gegen deren Ursprungsvergessenheit gesprochen gedeutet werden kann. 16 Wie JHWH Gott der ganzen Welt und aller Völker ist, aber auch JHWH Israels, so ist »Iesous« und »Immanuel« analog zu Israel und zu allen Völkern gesandt. In 28,19 wird für den Leser nicht überraschenderweise ein Konzept »aufgehoben«, »ausgeweitet« oder »ergänzt«, vielmehr liegt dieses gemäß den Leserlenkungen des MtEv von 1,1 an vor. Nicht die Ergänzung der Israel-Sendung durch eine Sendung zu allen Völkern war das in der matthäischen J esusgeschichte narrativ zu lösende Problem (traditionsgeschichtlich gesprochen war dies in den Vorlagen des MtEv, im MkEv und in der Logienquelle, bereits gelöst), das narrativ zu lösende Problem war umgekehrt, dass in diesem universalen Ansatz gemäß 10,5f. und 15,24 Jesus und die Jünger auch zu Israel gesandt sind. Dieses komplementäre Konzept ist gut jüdisch. Man muss nur einmal die formativ sich verstehende Lesart der heiligen Schriften Israels durch das rabbinische Judentum (als eine mögliche Leseweise) relativieren und das vielfältige Angebot theologischer, sehr divergierender Konzepte in den heiligen Schriften Israels in hebräischer und griechischer Sprache, vor allem auch in der Pescher- und Midrasch-Aktualisierung des hellenistischen, aber auch aramäischen Frühjudentums wahrnehmen. Dann lösen sich manche hermeneutischen Probleme bei Matthäus und Paulus, dessen Konzept ebenfalls »gemäß den Schriften« ist. 17 ZNT 15 (8.Jg. 2005) Setzt man diese theologische Vielfalt voraus, ergibt sich, dass man theologische Konzepte neutestamentlicher Theologen als noch jüdisch mögliche Konzepte im Kontext der vielfältigen und auch widersprüchlichen Konzepte jüdischer Theologen in den heiligen Schriften Israels, selbst im Pentateuch, verstehen kann. An der unterschiedlichen Rezeption bestimmter Stellen der Tora durch Paulus je nach Gemeindesituation etwa im Gal und Röm lässt sich dieses Phänomen gut studieren. 18 Francis Watson, der die unterschiedlichen Rezeptionen von Motiven aus der Tora in den verschiedenen Briefen des Paulus differenziert untersucht, wendet sich in der Zusammenfassung gegen die bekannten Thesen, wonach Paulus als »a deeply confused« oder als »a profoundly dialectical thinker« interpretiert wird. Auch nach Watson sind Paulus die Probleme vorgegeben: » The solution to this problem is simply that Paul believes that he hears a plurality of voices within the Torah itself«. 19 Die unterschiedlichen und vom Leser bei Paulus unterscheidbaren Glaubensüberzeugungen (zu seinem Blick auf seine früheren Überzeugungen vgl. Gal 1,13f.22f.; Phil 3,7f.) sind hermeneutisch für variable Rezeptionen theologischer Modelle (vor allem in den Bundestheologien des Abraham- und Sinai-Bundes) aus den heiligen Schriften Israels verantwortlich (nachvollziehbar vor allem an Abraham in Röm4). Diesen Wechsel des Paulus in der Wahrnehmung, Rezeption und Aneignung verschiedener theologischer Konzeptionen der heiligen Schriften Israels selbst in der Tora festzustellen, ist nicht erst auf der hermeneutischen Basis der historischkritischen Bibelauslegung möglich und hat auch nichts mit einem eventuellen Wissen des Paulus um Quellen im Pentateuch zu tun. Beim Verfasser des MtEv lässt sich ein solcher biographisch bedingter Wechsel nicht nachweisen, wohl aber das theologische Ergebnis, dass meines Erachtens durchaus mit dem paulinischen Konzept im Röm im Ansatz vergleichbar ist (vgl. Röm 1,16: »vor allem/ zuerst [gr. proton] den Juden, aber ebenso den Griechen«). Wie die Streichung des markinischen proton (Mk 7,27) in 15,26 belegt, radikalisiert Matthäus das Problem der Sendung Jesu, da es für ihn nicht um ein Früher und Später, um ein Mehr oder Weniger geht, sondern elliptisch nur um ein Sowohl als Auch. Bei 49 der Sendung der Jünger in 10,6 heißt es dagegen redaktionell apellativ und antithetisch: »Geht nicht auf den Weg der Heiden und betretet keine Stadt der Samaritaner, sondern geht lieber/ mehr/ vielmehr (gr. mallon) zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel«, wobei weder die Luthernoch die Einheitsübersetzung mallon beachten. 15,24 und 10,6f. können als hyperstrukturähnlich sind, 20 ohne dass selbstverständlich die Kondeszendenz JHWHs in Jesus von Nazareth vorgegeben sein konnte (dies gründete in neuen Glaubenserfahrungen). Durch hellenistisch-christliche Juden wurden sie auf der Basis der in Griechisch verfassten heiligen Schriften der Juden gedeutet. Stärker als Paulus (vgl. Röm 12bolische Weisungen verstanden werden, die gegen jegliche Israel-Vergessenheit gerichtet sind. 5. Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, das MtEv kontextuell und intertextuell » Wer so jüdisch denkt wie gemäß den Leserlenkungen der Verfasser des MtEv, wird kaum Juden ausschließen können.« 15) rezipierte der Verfasser des MtEv auch die in der Tora vorgegebene Sozial- Ethik in vollem Umfang und ohne Abstriche (vgl. 5,17-20), selbstverständlich wie bei Juden üblich in eigener Deuals in frühjüdischen Glaubenskonzeptionen verortet zu lesen. In den heiligen Schriften Israels in Griechisch und Hebräisch war das spannungsvolle Wechselspiel von Universalismus (als umfassende Perspektive: Gen 1-18) und Partikularismus (in der Fokussierung auf das von Gott besonders erwählte Volk: vgl. Ex 20-23; Lev 17-26; Dtn 5,6- 21; 12-26), wie ich es gemäß den Leserlenkungen von Mt 1-28 auch hier meine erschließen zu können, dem Verfasser des MtEv vorgegeben. In diesen Schriften waren auch vielfach Vorstellungen belegt, die mit der matthäischen Christologie Anmerkungen 1 H. Frankemölle, Jahwe-Bund und Kirche Christi. Studien zur Form- und Traditionsgeschichte des »Evangeliums« nach Matthäus (NTA 10), Münster 1974, 2 1984, 108-143; ders., Laos Volk, Volksmenge, Gottesvolk, EWNT 2 (1981), 837-848; ders., Zur Theologie der Mission im Matthäusevangelium, in: K. Kertelge (Hg.), Mission im Neuen Testament (QD 93 ), Freiburg 1982, 93-129; ders., Matthäus-Kommentar 1-2, Düsseldorf 1994 ('1999) / 1997; ders., Biblische Grundlagen einer Ökumene der Weltreligionen? , Diak 25 (1994), 79-91; ders., Mission, NBL 2 (1995), 821-823; ders., Mission: II. Christentum, 1.NT, RGG 5 (42002), 1273-1275; Missionsbefehl, ebd. 1302f. 2 Vgl. etwa U. Luz, Der Antijudaismus im Matthäusevangelium als historisches und theologisches Problem, EvTh 53 (1993), 310-327; F. Wilk, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker (BZNW 109), Berlin 2002, 83-153; P. Wiek, Matthäus und die Mission, ZMiss 1-2 (2003 ), 77-90. 3 Luz, Antijudaismus, 316; zu den folgenden Zitaten vgl. ders., Das Evangelium nach Matthäus. 4. Teilband Mt 26-28 (EKK I/ 4), Düsseldorf u.a. 2002, 425.451. ' Th. Zahn, Das Evangelium nach Matthäus, Leipzig 2 1905, 657 Anm.7. 5 Wilk, Jesus, 129; eine ähnliche Aufteilung vertritt Wiek, Matthäus, 83-86; nach ihm geht es in Kap. 10 um eine 50 tung und Aktualisierung (5,21-7,27). Sprecher der »Lehre auf dem Berg« (vgl. den Rahmen in 5,1 und 8,1) istJHWH/ El in »Je-sous« (1,21) und »Immanu-El« (1,23). Kein Wunder, wenn im Epilog die Beistandszusage von 1,23 in 28,20b (»und siehe: Ich, ich bin mit euch alle Tage ... «) erinnernd eingeprägt wird, aber auch zuvor »alle Völker« auf die Tora dieses »Gott-mit-uns« umfassend verpflichtet werden (28,20a: »lehret sie alles halten, was ich euch aufgetragen habe«). Wer so jüdisch denkt wie gemäß den Leserlenkungen der Verfasser des MtEv, wird kaum Juden ausschließen können. »charismatische Sendung zum Haus Israel«, in Kap. 28 in »scharfen Kontrast« um eine »ordentliche Sendung zu den Völkern«. Das mag verstehen, wer will. Bietet der Text für diese Dialektik Lesestrategien? 6 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 77-127. Zur Vertiefung darf ich ab jetzt auf meinen Matthäus-Kommentar 1-2 verweisen. 7 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 85-88. 8 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 140-142 mit Belegstellen. 9 Vgl. Frankemölle, Mt 2, 537-558. 10 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 169-177. 11 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 128-136. 12 Vgl. Frankemölle, Mt 1, 62-76. Ausführlicher: ders., Das Neue Testament als Kommentar? , in: ders., Studien zum jüdischen Kontext neutestamentlicher Theologien (SBAB 37), Stuttgart 2005, 28-90. 13 K. Müller, Beobachtungen zum Verhältnis von Tara und Halacha in frühjüdischen Quellen, in: I. Broer (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart 1992, 105-134, ebd. 114. Von ihm stammen weitere lesenswerte Aufsätze zu dieser Thematik. 14 Zur neueren Literatur vgl. H. Frankemölle, Die Tora Gottes für Israel, die Jünger und die Völker nach dem Matthäusevangelium, in: ders., Jüdische Wurzelnchristlicher Theologie (BBB 116), Bodenheim 1998, 261-293, ebd. 282-290. 15 Wilk, Jesus, 131. 16 Vgl. Frankemölle, Mt 2, 75-79.205-209. ZNT 15 (8.Jg. 2005) Hubert Frankemölle Die Sendung der Jünger Jesu »zu allen VöllcernH (Mt 28, 19) 2005 (im Druck). 17 Vgl. H. Frankemölle, »Wie geschrieben steht.« Ist die paulinische Christologie schriftgemäß? , in: Ders., Studien, 255-291. 19 F. Watson, Paul and the Hermeneutics of Faith, London 2004, 520. 18 Zu dieser These vgl. Anm. 17 und H. Frankemöllc, Völker-Verheißung (Gen 12-18) und Sinai-Tora im Römerbrief. Das »Dazwischen« (Röm 5,20) als hermeneutischer Parameter für eine lutherische oder nichtlutherische Paulus-Auslegung, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive (WUNT), Berlin 20 Zu Differenzen und Übereinstimmungen in der Christologie durch Juden und Christen heute vgl. E. Dirscherl / W. Trutwin (Hgg.), Jüdisch-christliches Gespräch über Gott, Messias und Dekalog (Forum Christen und Juden 4), Münster 2004, bes. 81-90 (M.A. Signer) und 91-112 (J. Wohlmuth). ·Joachim Kunstmann UTB Theologie Joachim I(unstmann Religionspädagogil~ Eine Einführung UTB 2500 M, 2004, 375 Seiten, div. Abb.,€ 22,90/ SFr 40, 10 UTE-ISBN 3-8252-2500-3 Kunstmanns Einführung bietet einen umfassenden Überblick über sämtliche Arbeitsfelder einer zeitgemäßen Religionspädagogik. Der Band behandelt die Grundfragen und traditionellen Themen des Faches, trägt aber auch neuesten Entwicklungen Rechnung, so der zunehmenden Hinwendung der Religionspädagogik zu Gegenwartsthemen wie der Individualisierung und Kulturbezogenheit von Religion. Eine als strukturierend für alle klassischen Orte christlich-religiöser Erziehung, Sozialisation und Bildung ausgewiesene Religionsdidaktik ist ebenso in das Konzept integriert wie die Gemeindepädagogik. Das Buch ist somit ein unentbehrlicher Begleiter für Studium, Lehre und Gemeindearbeit. Aus dem Inhalt: Grundlagen. Was ist Religionspädagogik? - Kann und soll man Religion lernen? - Konzeptionsmodelle der Religionspädagogik - Religion im Lebenslauf Orte der RP in Familie, Staat und Gemeinde. Kind und Familie - Christliche Primärsozialisalion - Religionsunterricht - Schulfach zwischen Staat und Kirche - Religiöses Lernen an der Hochschule - Kinder-, Konfirmanden- und Jugendarbeit in der Gemeinde - Kirchliche Arbeiten mit Erwachsenen Religionsdidaktik. Grundfragen der Religionsdidaktik - Formen christlicher Religionsdidaktik Didaktik des Religionsunterrichts - Was ist religiöses Lernen? Herausforderungen. Religion in der modernen Welt - Individualisierung der Religion - Jugend und Religion Perspektiven. Religion und Kultur - Religiosität - Religiöse Bildung -Ästhetische Zugänge zur christlichen Religion A. Francke ZNT 15 (8. Jg. 2005) 51 Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Die Aufgabe der Jünger Jesu unter »allen Weltvölkern« 1 nach Mt 28, 16-20 Die Frage, ob sich die in Mt 28,16-20 den Jüngern Jesu aufgetragene Mission an »alle Völker« einschließlich Israels oder an »alle (nichtjüdischen) Weltvölker« richte, wird seit alters kontrovers diskutiert. Lange bedachte man sie primär unter übersetzungstechnischen oder einzelexegetischen Gesichtspunkten.2 Doch seit etwa fünfzig Jahren ist ihr zunehmend theologisches Gewicht beigemessen worden; wichtige Impulse dafür gingen von der redaktionsgeschichtlichen Forschung, dem New Literary Criticism und der theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum aus. 3 Hubert Frankemölle hat diese Impulse in zahlreichen Studien aufgenommen und dabei den sog. Missionsbefehl in einer Leser- und handlungsorientierten Textwahrnehmung für die der Konnex mit der Heiligen Schrift Israels wesentlich ist mular« nach dem Vorbild von 2Chr 36,22f. aufgebaut. Diese formgeschichtliche Herleitung erscheint mir problematisch, weil im Zentrum der Rede des Auferstandenen das Sendungswort Mt 28,19-20a steht, dem die Rahmensätze logisch zugeordnet sind: Die Konjunktion »also« in V.19 weist das Vollmachtswort V.18b als Grundlegung, die einleitende Wendung »und siehe« das Beistandswort V.20b als Ermutigung zu V. l 9-20a aus. Jene Rede behandelt demnach in ihrem Kern nicht die Beziehung J esu zu seinen Jüngern, sondern deren Auftrag in der Völkerwelt. Dadurch rückt die Schlussszene des MtEv in die Nähe prophetischer Berufungsberichte, zumal der ähnlich strukturierten Erzählung Ex 3,2-12; ihnen gegenüber erweist sich freilich das Vollmachtswort als Fremdkörper. So wird als Schlusspunkt einer bundestheologisch orientierten Grundkonzeption im Evangelium nach Matthäus (MtEv) interpretiert. : l TROV E wohl jeder Versuch, Mt 28,16-20 insgesamt einer biblisch vorgegebenen Gattung zuzuweisen, erfolglos blei- Seine methodologischen Entscheidungen halte ich für wohl begründet. Auch aus meiner Sicht muss sich die Auslegung dieses Textes primär synchron vollziehen: auf der Basis des Sprachgebrauchs, im Rahmen der Komposition und vor dem Horizont der Theologie, die das Evangelium prägen, sowie unter Beachtung der Verbindungslinien zur Heiligen Schrift und soweit verifizierbar der Parallelen zur in etwa zeitgenössischen jüdischen Literatur. Gleichwohl gelange ich, wie die Überschrift anzeigt, zu einem anderen Verständnis von Mt 28,16-20. Die Ursache dafür liegt in meiner anderen Auffassung der Textsignale, die der Passus und das ganze MtEv hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Israel und den Weltvölkern enthalten. Diese Auffassung sei hier in Kürze dargelegt. 1. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund Frankemölle sieht Mt 28,16-20 als »Bundesfor- 52 ben. Umso wichtiger ist es, den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der einzelnen Bausteine dieses Textes und ihrer Verknüpfungen zu erheben. Für die zur Debatte stehende Frage ergibt sich dabei ein klarer Befund: Während der Sing. ethnos (»Völkerschaft«) in der Septuaginta-Version der Heiligen Schriften (LXX) auch Israel bezeichnen kann (vgl. z.B. Ex 19,6), meint der Ausdruckpanta ta ethne bei weit über 100 Belegen durchgängig »alle Weltvölker« im Gegenüber zu Israel. Das betrifft Aussagen zur Erwählung (Ex 33,16 u.ö.) oder Anfeindung Israels (Est 3,14 u.ö.), zu Israels Landnahme (Dtn 2,25 u.ö.), Lebensführung (Lev 20,24ff. u.ö.), Gotteslob (Ps 46[47],2 u.ö.), Königtum (1Sam 8,20 u.ö.), Ruhm (2Chr 32,23 u.ö.) oder Schmach (Jer 51[44],8 u.ö.), ferner zum Gericht an Israel (Sach 7,14 u.ö.) oder an den Weltvölkern (Joel 3[4],11f. u.ö.) sowie zum Heil für Israel (Am 9,12 u.ö.) oder für alle Weltvölker (Jes 2,2 u.ö.).4 Ein ähnliches Bild lassen die übrigen hellenistisch-jüdischen Schriften erkennen.' ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Fl.orian Wilk Prof. Dr. Florian Wilk; Jahrgang 1961, studiene Evangelische Theo! ogie in Göttingen und St. Andrews. Nach dem Vikariat wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neues Testament in Jena, dort 1996 Promotion und 2001 Habilitation. 1999-2002 Pastor in Dissen a.T.W., 2002- 2003 Professor für Gemeindepädagogik und Diakonie mit dem Schwerpunkt ßiblische Theologie an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe inBochum.·Seit 2003 Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Georg-August- Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: synoptische Evangelien und paulinische Briefe; Exegese des NT im Zusammenhang mit dem AT und vor dem Horizont des hellenistischen Judentums. Zu den Veröffentlichungen siehe: http: / / www.theologie: unigoettingen.de/ ger/ florianwilk.htm Die Relevanz dieses Befundes für die Deutung von Mt 28,18ff. wird dadurch verstärkt, dass einige LXX-Stellen jenen Ausdruck mit weiteren dort belegten Wendungen und Land bleibe, »wie die Tage des Himmels über der Erde währen«; Hag 2,4-7 erläutert Gottes Zusagen »Ich bin mit euch« und »Mein Geist ist unter euch«, die Israel erhält, durch die Ansage, der neue Tempel werde mit Schätzen aller Weltvölker ausgestattet. Die Beispiele ließen sich vermehren. Wichtig ist nun, dass der LXX-Sprachgebrauch sich dort durchhält, wo mit Mt 28,18H. sachlich vergleichbare Aussagen vorliegen. Das betrifft einerseits, für die Hinwendung aller Weltvölker zu dem einen Gott, Dan 6,25[26Jff.: Hier ruft Darius in einem an alle Weltvölker gerichteten Brief die Menschen in seinem Königreich auf, gemeinsam mit ihm den Gott Daniels zu verehren. Eine breit entfaltete Parallele dazu bietet Dan 4,376-c in Bezug auf N ebukadnezzar, dessen Brief ihn explizit als den von Gott eingesetzten, mit Vollmacht begabten König über alle Weltvölker präsentiert. Das betrifft andererseits, für die Aufgabe einer ausgesonderten Gemeinschaft an allen Weltvölkern, Gen 18,18; 22,18; 26,4: Hier wird Abraham bzw. Isaak verheißen: » In dir/ deiner Nachkommenschaft sollen gesegnet werden alle Weltvölker der Erde! « - und zwar im Zusammenhang mit der Weisung, durch Tun von Gerechtigkeit die Wege des Herrn zu befolgen (Gen 18,19), oder mit dessen Zusage »Ich werde mit dir sein« (Gen 26,3). Angesichts der zentralen Rolle des Sendungswortes in der Rede Jesu Mt 28,186-20 dürfte ihr entscheidender Bezugspunkt in der Schrift mit der Erzväterverheißung gegeben sein. Dafür spricht ferner der Umstand, dass die Verheißung in Gen 28,13ff. eine Fassung erhalten hat, deren Struktur Ex 3,6-12 (s.o.) und so auch jener Rede Jesu nahe steht: Auf die Motiven verknüpfen: Dan 7,13f. begründet die Herrschaft des »wie ein Menschensohn« Kommenden über alle Weltvölker damit, dass ihm Vollmacht gegeben ist; Dtn 10, 14f. kontrastiert die Erwählung Israels vor allen Weltvölkern mit dem »Angesichts der zentralen Rolle des Sendungswortes in derRede]esu Mt 28,18b-20 dürfte ihr entscheidender Bezugspunkt in der Schrift mit der Erzväterverheißung Vorstellung »Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham ... « folgen Zusagen an Jakob, die in dem Satz »In dir sollen gesegnet werden alle Volksstämme der Erde ... «(vgl.Gen 12,3) gipfeln; am Ende steht ein ausgeführter, Mt 28,20b besonders ähnlicher Beistandszuspruch: » Und siehe, ich (bin) mit dir, indem ich dich · gegeben sein.« Umstand, dass Himmel und Erde Gott zu Eigen sind; Ex 23,22 verbindet jene Erwählung mit dem Ruf zum Gehorsam gegen alles, was ich (sc. Gott) dir (sc. Israel) gebiete; nach Dtn 11,18-23 gilt es diese Gebote durch beständige Lehre weiterzugeben, auf dass Israel so lange in dem von »all diesen Weltvölkern« übernommenen ZNT 15 (8.Jg. 2005) behüte auf jedem Weg, den du gehst(! ) ... , denn ich werde dich nicht verlassen, bis (! ) ich alles tue, was ich dir gesagt habe.« Von jener Verheißung her gelesen muss panta ta ethne in 28,19 auf »alle Weltvölker« gedeutet werden. Sie als traditionsgeschichtliche Basis des 53 Missionsauftrags zu reklamieren, ist freilich nur dann plausibel, wenn Jesus die Jünger darin als Repräsentanten Israels zu allen Weltvölkern sendet. Genau dies Verständnis aber entspricht der Komposition des MtEv und der darin erkennbaren Rezeption der Abrahamstradition. 6 2. Zur kompositorischen Einordnung Frankemölle legt mit Recht großes Gewicht auf die Funktion von Mt 28,16-20 als »Epilog« des MtEv. Sofern der Passus die Erzählung von Jesu Erdenzeit beschließt und auf die Nachgeschichte seines irdischen Wirkens vorausblickt, steht ihm als »Prolog« allerdings nur Mt 1 gegenüber; denn hier wird zuerst auf die Herkunftsgeschichte J esu zurückgeblickt und dann der Beginn jener Erdenzeit geschildert. Diese beiden Teile des heilsgeschichtlich geprägten Rahmens stehen nun in mehrfacher Hinsicht in Spannung zueinander: a) Stammbaum und Geburtserzählung handeln explizit von Jesu Würde und Aufgabe als des »Christus«. Demgegenüber wird Jesus in 28,16-20 als derjenige präsentiert, der die zuvor angekündigte Herrschaft des Menschensohns antritt; denn diese (13,41) umfasst den Kosmos (13,38), vollzieht sich durch das Tun der Jünger (13,28c-30a) und währt bis zur Vollendung der Weltzeit (13,39). 7 b) Die »Genese J esu Christi« erscheint in Mt 1 als Zielpunkt der Erwählungs-, Verheißungs- und Befreiungsgeschichte Gottes mit Israel. Demgemäß ist das Erdenwirken J esu ganz auf Israel bezogen. 54 Weil die Geschichte Israels mit der Erwählung Abrahams (1,lf.17) begann, ereignet sich in dem Menschen Jesus Gottes »Mit-Sein« (1,23b-c) für die, die zum Volk (Laos) Jesu gehören, also matthäischem Sprachgebrauch gemäß (2,4.6 u.v.ö.) zu Israel. Weil ferner jene Geschichte in den Verheißungen für das Königshaus Davids (1,1.6.17) ihren Höhepunkt hatte, tritt mit Jesus der erwartete Davidssohn auf den Plan (1,20b-21a.22-23a) wie es dann während seines Erdenlebens (vgl. 22,41-45) v.a. an seinen Heilungen erkennbar wird (9,27 u.ö.). Weil schließlich jene Geschichte in der durch Israels Schuld verursachten Deportation nach Babylon (1,llf.17) ihren Tiefpunkt hatte, wird er die Glieder seines Volkes »von ihren Sünden retten« (1,21 b-c) was sich dann ein für alle Mal in seinem Sterben »zugunsten der Vielen« (26,28) realisiert. Der Epilog jedoch kennzeichnet die Auferstehung als den Ausgangspunkt der Geschichte des Menschensohns mit seinen Jüngern in der Völkerwelt. Daher ist seine Präsenz bis zur Vollendung der Weltzeit ganz auf die Jünger bezogen. Dabei wird deren Gemeinschaft durch die Taufe »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« konstituiert und durch das Halten aller Weisungen J esu charakterisiert (28, 19b- 20a). c) Dem Prolog zufolge ist Jesus als Christus der Sohn Davids und Abrahams, der auch Nichtjuden das Heil Gottes erschließt, sofern ihnen in der Beziehung zu Jesus der Segen Abrahams zukommt. Wie Abraham sowie seinem, Isaaks und Jakobs »Samen« im Buch Genesis (s.o.), so ist in Ps 71 [72] »dem König«, der Gottes » Volk in Gerechtigkeit richten« und »die Armen retten wird« (V.1-4 [vgl. Mt 1,6.21]), zugesagt: »Es werden alle Volksstämme der Erde in ihm gesegnet werden, alle Weltvölker ihn glücklich preisen« (V.17). Diese universale Perspektive wird in Jesu Stammbaum durch die zusätzliche Nennung von Ausländerinnen (jedenfalls Rahab und Ruth [Mt 1,5], vermutlich auch Tarnar und »die des Urija« [1,3.6]) bekräftigt; da diese Frauen aber jeweils jüdischen Männern zugeordnet sind, erscheint die Teilhabe von Nichtjuden am Heilsgeschehen in Mt 1 als eine erst durch ihre Beziehung zu Israel eröffnete Möglichkeit. In Mt 28,18-20 hingegen spricht der mit universaler Vollmacht begabte Menschensohn, der als »Sohn« Menschen aller Weltvölker den Zugang zum »Vater« erschließt, sofern sie durch die Begegnung mit den von Jesus beauftragten Jüngern selbst zu Jüngern werden und als solche leben. Der Grund für dieses durch die Jünger vermittelte Wirken J esu an den Weltvölkern wird dadurch gelegt, dass er als Menschensohn sein Leben hingibt als »Lösegeld für viele« (20,28) was an dieser Stelle auch für die Weltvölker gilt (vgl. 20,25). Sofern sich aber in diesem Rettung vermittelnden Sterben die Sendung Jesu zu Israel erfüllt (s.o.), setzt jenes Wirken die Vollendung dieser Sendung voraus. Dieser mehrfachen Grundspannung gemäß bildet das MtEv eine fortschreitende Erzählung, die zum einen die Bedeutung J esu narrativ entfaltet,8 zum andern darstellt, wie die Rolle des Se- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der l{inder Abl'ahams gensmittlers für die Weltvölker vom Volk Israel auf die Jünger Jesu übergeht: Zunächst tritt Jesus da er, als Gottessohn ausgewiesen (2,15; 3,17) und bewährt (4,1-11), zum messianischen »Hirten« Israels bestimmt ist (2,6, vgl. 9,36) in Galiläa lehrend, verkündigend und heilend auf (4,23; 9,35; 11,1[-6]), um unterstützt von den zwölf Jüngern (4, 19; 10, 1-8) - Israel angesichts des nahe gekommenen Himmelreichs zur Umkehr zu rufen (4,17). In Galiläa leben Juden freilich mitten unter Nichtjuden, so dass diesen das der Schrift gemäß in Jesus für Israel aufstrahlende Licht (4,15f.) nicht verborgen bleibt: Als sein Wirken »am Volk« ganz Galiläa erfasst und auch Juden aus den umliegenden Gebieten einbezieht (4,23.246-25), breitet sich die Kunde davon in ganz Syrien aus (4,24a); als Jesus sein die Verheißung Jesajas für Israel erfüllendes Heilungswirken auf die Dekapolis ausdehnt (8,16ff.) und dort lebende Juden (vgl. 4,25) von den sie besetzenden »heidnischen« Dämonen (vgl. Jes 65,11.4) befreit, erregt das bei den nichtjüdischen Bewohnern großes, hier aber zur Ausweisung Jesu führendes Aufsehen (Mt 8,28-34). Die geforderte Umkehr müsste sich der an ganz Israel gerichteten (4,25-5,2) Bergpredigt zufolge so vollziehen, dass man, J esu Lehre gemäß, Gottes Willen tut (7,21-27), sich also nicht nur innerhalb Israels von sündigen Zöllnern (5,46, vgl. 9,l0f.; 11,19), untätigen Schriftgelehrten und Pharisäern (5,20, vgl. 23,2ff.) sowie auf ihr Ansehen bedachten Heuchlern (6,2.5.16, vgl. 23,5ff.) abhebt, sondern auch von den Weltvölkern (6,32) und ihren Angehörigen (5,47; 6,7). Mit guten Taten nämlich würden Israeliten sich als Abrahams Kinder erweisen (3,8ff.) und als solche ihrer Bestimmung zum »Licht der Welt« entsprechend andere Menschen zum Gotteslob führen (5,14ff.). Das auf solche Umkehr zielende Wirken J esu hat jedoch kaum Erfolg selbst dort, wo er viele Machttaten vollbringt (11,16-20), die seine Identität als »Christus« anzeigen (11,2-6). Die Abweisung Jesu durch Juden steht im Kontrast zu der Umkehrbereitschaft, die Jesus selbst in den gottlosen, dem Gericht verfallenen Städten Tyrus, Sidon und Sodom gefunden hätte (11,21-24). Schon seine Geburt als des »Königs der Juden« löste ja in Jerusalem Bestürzung und bei Herodes Mordtaten aus, während Magier des Ostens ihm wenn auch ohne Folgen für sie-huldigten (2,1-12.16). ZNT 15 (8. Jg. 2005) Besonders deutlich wird der Misserfolg im Gegenüber zum Zenturio von Kafarnaum (8,5-13). Dieser nimmt mit dem Argument, sogar er könne neben den ihm untergebenen Soldaten auch seinem Sklaven befehlen, die in und für Israel zutage tretende Vollmacht Jesu für sich als Nichtjuden in Anspruch; in der aus allen Teilen des Landes Israel zusammengekommenen Volksmenge (4,25) jedoch, die Jesus seit der Bergpredigt folgt (7,28- 8,l.10), findet er keinen vergleichbaren Glauben an die universale, auf seiner Abrahamssohnschaft basierende Reichweite seiner Sendung. 9 Dementsprechend werden jene Israeliten mit der Ankündigung, beim Festmahl im Himmelreich werde sich der Tisch der Erzväter notfalls auch ohne sie mit Gästen »aus Ost und West« füllen, daran erinnert, worum es für sie beim Glauben an Jesus ginge: sich als Kinder Abrahams zu erweisen, d.h. als Licht der Welt zu leben und so an der Erfüllung der Erwählungsgeschichte Israels teilzunehmen. Jesus reagiert auf das überwiegend negative Echo überraschend mit einem Lobpreis: Es sei Gottes Wille, dass die Bedeutung seines Auftretens nur »den Unmündigen« offenbar werde (11,25ff.), d.h. seinen Jüngern (vgl. 14,33; 16,16f.). Daher geht er in seinem Wirken dazu über, die Mühseligen und Beladenen in die Nachfolge zu rufen (11,28ff.). Fortan verzichtet er auf Verkündigung und bis auf eine Ausnahme (13,54-58) auf öffentliche Lehre. Vielmehr zieht er durchs Land, indem er die Abgrenzung von seinen Gegnern bekräftigt (12,24-37 u.ö.), die Lebensgemeinschaft der Jünger begründet (12,49f. u.ö.) und alle aus dem Volk, die noch unentschieden sind, mit seinen Wundertaten zur Umkehr anzuleiten sucht (12,22f.38-45 u.ö.). Diese impliziert freilich den Anschluss an ihn und die Teilnahme an seinem Werk (12,30). So findet auch jener Ruf Jesu nur ansatzweise Gehör (vgl. 20,29-34 ); zu einer Ausweitung der Jüngergemeinschaft innerhalb Israels kommt es nicht. Vor diesem Hintergrund bringt er sein öffentliches Wirken in Jerusalem zum Abschluss (21-25). Dabei endet der Streit mit den Gegnern in der Androhung ihrer Verurteilung im Gericht (23,33); der bei allem Jubel (21,15) und Entsetzen (22,33) unbeantwortete Entscheidungsruf ans Volk mündet in die Ansage der Zerstörung Jerusalems (22,7; 55 23,38); die Jünger-Unterweisung gipfelt in der Zurüstung für die Zeit vor dem Ende (24,4-25,46). In diesem Kontext sagt Jesus den Autoritäten Israels (21,33-45), wozu ihr gewaltsamer Widerstand gegen ihn als Gottes Sohn führe: Gott werde ihn, den Getöteten, zum »Eckstein« eines Neubaus machen d.h. der Gemeinde Jesu (vgl. 16,18). Das bedeutet zweierlei: Erstens wird ihnen das Gottesreich das für Israel im Wirken Jesu gegenwärtig geworden ist (6,33; 12,28) und sich denen erschließt, die umkehren (21,31f.) bzw. in die Nachfolge eintreten (19,21+24) entzogen, und damit zugleich die von ihnen verfehlte Aufgabe, Menschen in das Himmelreich einzuweisen (vgl. 23,13). Zweitens wird das Gottesreich »einer Völkerschaft (ethnos) gegeben, die seine Früchte hervorbringt« also der Gemeinschaft der Jünger, die tatsächlich nach Gerechtigkeit trachten (vgl. 5,6.20; 6,33). Dass jene Gemeinschaft damit die von Israel nicht ausgefüllte Rolle als Licht der Welt übernimmt, wird durch die im MtEv singuläre Bezeichnung ethnos angezeigt; denn diese erinnert an die Abrahamsverheißung Gen 12,2: Gott werde ihn »zu einer großen Völkerschaft (ethnos) machen und segnen ... «. Demgemäß sind auch die Jünger ihrer Verpflichtung auf das von Jesus radikal ausgelegte (Mt 5, 17-48) Gesetz gemäß (19,16-21; 23,1+23) von »heidnischen« Sitten geschieden (20,25, vgl. 18, 17). Gerade so aber werden sie als »Brüder« Jesu (vgl. 12,49f.; 28,10) unter allen Weltvölkern, die ihnen Hilfe gewähren oder verweigern, zu Mittlern von Segen und Fluch (25,31-46) ganz im Sinne von Gen 12,3a: »Ich (sc. Gott) werde die segnen, die dich segnen, und die verfluchen, die dich verfluchen.« Seinen Höhepunkt hat das MtEv in der Erzählung von J esu Passion, die in mehrfacher Hinsicht die Konsequenz semes irdischen Wirkens darstellt. 56 Jesus selbst erfüllt abschließend den Willen seines Vaters (Mt 26,39.42) und die Schrift (26,54.56, vgl. 26,24.31), indem er das unbegründete Todesurteil auf sich nimmt, sich im Widerstand gegen die Versuchung, sich zu retten, als Gottes Sohn bewährt (27,40.43.54, vgl. 26,53) und in seinem Vergebung der Sünden stiftenden Tod (26,28) seine Sendung zu Israel vollendet (vgl. 1,21). Seine Gegner betreiben erfolgreich die lange geplante (26,3ff., vgl. 12,14; 21,45f.) Hinrichtung Jesu, und das in Jerusalem versammelte Volk übernimmt die Verantwortung dafür (27,25). Bei den Jüngern Jesu aber vertieft sich das Unverständnis für seinen Leidensweg (26,8.51, vgl. 16,22f.; 17,23c) so weit, dass sie ihn verlassen (26,56), verleugnen (26,69-75) oder gar an seine Gegner ausliefern (26,14ff.47-50). Mit dem Versagen der Jünger in diesem Zusammenhang scheint J esu Programm, eine J üngergemeinschaft in Israel zu sammeln, gescheitert. Er jedoch weiß im Voraus darum, da ihr Verhalten in der Schrift vorgezeichnet ist (26,21 +24.31 +34 ); es ist daher ebenso unausweichlich wie seine Tötung am Kreuz, wo selbst Gott ihn verlässt (27,46). Auf diese Weise aber richtet Gott den Vergebungs- Bund (26,28) auf, dessen Ziel das Festmahl mit Jesus im Reich seines Vaters ist (26,29, vgl. 8, 11 ). Der damit ermöglichte Neubeginn realisiert sich für sie in der Begegnung mit dem Auferweckten (28,16f.); und dabei überträgt er ihnen wie angekündigt die Rolle, als Kinder Abrahams und somit als Licht der Welt zu leben. Auf der Basis seines Todes für die Vielen und im Rahmen seiner nun universalen Vollmacht bedeutet das, Menschen aller Weltvölker in ihre Lebensgemeinschaft als Jünger J esu einzugliedern (28, 18ff.); und indem das geschieht, erfüllt sich an ihnen die Abraham gegebene Verheißung, Segensmittler für alle Volksstämme der Erde zu sein (Gen 12,36 ). So gesehen findet die von Mt 1,1 an auf die Abrahamstradition zurückgreifende J esuserzählung des Matthäus im Epilog ihr schlüssiges Ende. Verträgt sich aber diese Sichtweise mit den klaren Hinweisen auf eine fortgesetzte Israelmission der Jünger? 3. Zur missionstheologischen Bedeutung Frankemölle zeigt mit dankenswerter Klarheit auf, dass die früher auch von ihm vertretene - These einer Verwerfung Israels im MtEv keinen Anhalt hat. 10 Als unausweichlich erscheint das endzeitliche Verdammungsurteil nur für Israels Autoritäten, die Jesus vorsätzlich (26,3ff., vgl. 21,38+45; 27,18), trotz seiner Unschuld (26,59f.), zum Tode verurteilen und so »das Maß ihrer Väter voll machen« (23,32f.) was ihr Komplott gegen die Auferweckung Jesu (27,62-28,15) nur bestätigt. Die Angehörigen des Volkes aber werden nach Ostern erneut zur Umkehr gerufen gerade ihnen gilt ja der von Gott im Sterben J esu zugunsten der Vielen gestiftete Vergebungs-Bund (26,28). ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der l(inder Abrahams Dass die Sendung der Jünger zu Israel (10,5-42) nicht mit Jesu Tod abbricht, geht schon aus den Verweisen auf die Parusie in 10,22f. hervor. Demgemäß sagt Jesus in 22,2-7 und 23,34-38 ein nachösterliches Wirken der Jünger in Israel voraus. Gewiss kündigt er dabei auch deren z.T. gewaltsame Ablehnung an, die Gottes Strafhandeln evoziere; doch damit ist jene Sendung nicht erledigt. Nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels führen die Jünger ihre Wandermission (vgl. 10,7- 14.40ff.) in den Grenzgebieten des Landes erfolgreich fort (22,8ff.); die Rede von »Statthaltern und Königen« in 10,17f. lässt generell an die Diaspora als Wirkungsstätte denken. Zwar ist auch hier mit Widerstand zu rechnen, so dass sie sich um J esu willen teils vor jüdischen Institutionen, teils vor politischen Machthabern verantworten müssen; dabei wird aber die Bevollmächtigung der Jünger durch Gott umso deutlicher werden (10,19f.). In 10,17f. weist nun der Text über Israel hinaus: Jene Gerichtsverfahren dienen »zum Zeugnis für sie [sc. die beteiligten Juden] und die Weltvölker«. Ein analoger Gedanke kommt in 8,4 zur Sprache: Die Opfergabe des Geheilten, die der Priester entgegennimmt, wird »für sie [sc. die am Kult teilnehmenden Juden] zum Zeugnis«. Demnach geht es in 10,17f. darum, dass die Bewährung der Jünger vor Gerichten, in die sie im Zuge ihrer Israelmission geführt werden, auch Nichtjuden bekannt und zum Hinweis auf Gott wird. Ähnlich ist dann 24,9-14 zu verstehen: Inmitten einer Bedrängnis, die sich von jüdischer Seite veranlasst im Hass aller Weltvölker vollzieht, wird das »Evangelium vom Reich (vgl. 4,23; 9,35) in der ganzen Ökumene verkündet, zum Zeugnis für alle Weltvölker«; Adressaten dieses Evangeliums sind daher wie zu Lebzeiten Jesu die Juden. Das MtEv spricht also Diese Sendung zu Israel wird in 28,19f. weder ausgeweitet noch aufgehoben; vielmehr erteilt der Auferweckte den Jüngern einen weiteren Auftrag, der sie unmittelbar an alle Weltvölker weist. 11 Die Divergenz der Aufträge wird auf vier Ebenen sichtbar: a) Die Sendung der Jünger zu Israel geht von Jesus als Christus und Retter seines Volkes aus, die zu allen Weltvölkern von Jesus als dem mit universaler Vollmacht ausgestatteten Menschensohn in seinem Reich. b) Die Israelmission betreiben die Jünger allen Weltvölkern zum Zeugnis, die Mission unter allen Weltvölkern an Stelle Israels. c) An Israel werden die Jünger tätig, indem sie das Erdenwirken Jesu fortführend (vgl. 4,17; 11,5 u.ö.)-die Nähe des Himmelreichs verkünden und durch Heilungen und ähnliche Wunder anzeigen (10,7f.); unter den Weltvölkern agieren sie, indem sie an die Sendung Jesu anknüpfend (vgl. 3,16f.; 23,8.10) Menschen taufen und durch Lehre auf seine Weisungen verpflichten. d) Die Israelmission zielt darauf, dass Juden sich im Anschluss an ihren messianischen Hirten (vgl. 10,6) als Kinder Abrahams erweisen, die Mission unter den Weltvölkern darauf, dass Nichtjuden den Segen Abrahams empfangen, indem sie in die Gemeinschaft der Jünger Jesu integriert werden. Freilich stehen die Aufträge nicht unvermittelt nebeneinander, ergehen doch beide von Jesus an dieselbenJünger. 12 Ihre Verbundenheit zeigt sich • in der heilsgeschichtlichen Grundlegung: sowohl die Israelals auch die Weltvölker-Mission wurzeln in der Erwählung Abrahams; • in der Christologie: die Christuswie die Menschensohn-Würde sind Aspekte der Gottessohnschaft Jesu (vgl. 11,2-27; 16,16-28; 26,63f.); • in der Soteriologie: die Sendung J esu zu Israel und seine Herrschaft über alle Weltvölker konvergieren in der Heilsbedeutung seines Todes für »viele« (20,28; 26,28); • in der Ekklesiologie: somehrfach von einer »bis ans Ende« (10,22; 24,13) andauernden Israelmission, die den Weltvölkern zum Zeugnis wird - und zwar gerade indem sie sich ausschließlich an Juden richtet (10,Sf.). Sie entspricht damit in ihrer Struk- » Mt 28,18ff erweist sich somit als Endstück einer wohl Israel als auch den Weltvölkern gegenüber erweisen sich die Jünger Jesu als diejenigen, die die Berufung Israels zum Licht der Welt (5,14ff.) an- und wahrnehmen; Missionskonzeption, in der Nichtjuden und Juden gleichgestellt, aber nicht gleichgemacht sind ... « • in der endzeitlichen Austur der Berufung Israels, als Gemeinschaft der Kinder Abrahams das Licht der Welt zu sein; denn in diese Rolle »rufen« die Jünger Juden hinein und »sammeln alle, die sie finden« (22,9f.). ZNT 15 (8.Jg. 2005) richtung: ihre Erfüllung finden beide Missionen der Jünger in der himmlischen Tischgenossenschaft mit den Erzvätern, die Jesus Juden als Kindern Abrahams und Nichtjuden als Empfängern des Segens Abrahams erschließt. 57 Mt 28,18ff. erweist sich somit als Endstück einer Missionskonzeption, in der Nichtjuden und Juden gleichgestellt, aber nicht gleichgemacht sind; denn nur als Christus für Israel ist Jesus » Herr« auch für die Weltvölker (vgl. 15,21-28; 22,41-45). Der aus Jes 42 zitierte Gottesspruch Mt 12,18-21 der J esu öffentliches Wirken in Israel im Rahmen von Mt 12-20 deutet fasst diesen Grundgedanken in Worte: »Siehe, mein Kind, das ich erwählte, mein Geliebter, an dem meine Seele Gefallen fand (vgl. 3,17; 17,5); ich werde meinen Geist auf ihn legen (vgl. 3,16; 12,28) - und Recht (vgl. 23,23) wird er den Weltvölkern künden (vgl. 28,20a). Niemand wird streiten oder schreien (vgl. 12,16) oder auf den Straßen seine Stimme hören (vgl. 13,13ff.). Geknicktes Rohr wird er nicht brechen (vgl. 14,14 etc.) und glimmenden Docht (vgl. 12,23 etc.) nicht auslöschen, bis er zum Sieg führt das Recht (vgl. 5,17; 24,35) - und auf seinen Namen werden Weltvölker hoffen (vgl. 28,19).« In summa: Traditionsgeschichtlicher Hintergrund, kompositorische Einordnung und missionstheologische Bedeutung von Mt 28,16-20 sprechen dafür, die Wendung panta ta ethne wie überall sonst im MtEv auf »alle Weltvölker« zu deuten. 13 Anmerkungen 1 Die Übersetzung »Weltvölker« (vgl. Christen und Juden III, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2000, Abschnitt 3.2) soll a) den jüdischen Verständnishintergrund und 6) den universalen Charakter des Wortes ethne ausdrücken, c) den Unterschied zu dem Israel einschließenden Begriff laoi (Völker) markieren sowie d) die mit den deutschen Stichworten »Heide« und »Nation« verknüpften Assoziationen vermeiden. Für Rat und Hilfe danke ich Berndt Schaller sowie meinem Mitarbeiter Ingo Vespermann. 2 Vgl. etwa M. Meinertz, Jesus und die Heidenmission (NTA I.1-2), Münster 2 1925 (1908), 171-176, der Mt 28,19 »im universalen Sinne, einschließlich der Juden« auffasst. 3 Vgl. z.B. a) W. Trilling, Das wahre Israel. Studien zur Theologie des Matthäusevangeliums (EThSt 7), Leipzig 1 1975 (1959), 6) J.D. Kingsbury, Matthew as Story, Philadelphia 2 1988 (1986) sowie c) Christen und Juden II, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1991, 50f. 4 Selbst an Stellen, die die Perspektive »heidnischer« Weltherrscher widerspiegeln (Est 4,11; Jes 14,12; Dan 3,2), bleibt es vom jeweiligen Kontext her (vgl. Est 3,13f.; Jes 14,26; Dan 3,7f.) zweifelhaft, ob Israel in jene Wendung eingeschlossen ist. Das Gleiche gilt für Jer 32,1 [25,15]; 35[28],11.14, wo Israel in die Unterwerfung »aller Weltvölker« durch Nebukadnezzar einbezo- 58 gen zu sein scheint: Zum einen wird Juda und Jerusalem in 32,4.15a [25,18.29a] ein anderes Geschick zugeschrieben als den ethne in 32,2f.5-14.15b [25, 16f.19-28.29b], während in 35[28],1-15 dieJerusalemer mit dem Titel ho laos (das Volk) von den ethne abgesetzt werden; zum anderen bleibt Israel andernorts bei Jeremia gerade in der Perspektive des Gerichts von »allen Weltvölkern« unterschieden (vgl. 9,24f.; 25,8-11; 43[36],lff.). 5 Vgl. etwa die LXX-Zusätze Est 4,17m (C 16); 10,3g-h (F 7-8); Dan 3,37 sowie Jdt 3,8 (samt 4,1 ! ); Tob 3,4; 13,5; 14,6; lMakk 1,42 u.v.ö.; 3Makk 3,20; 7,4; Sir 36,1; PsSal 9,9; 17,34; TLev 15,1; TBen 10,9 usw. Einer eigenen Prüfung bedürften die nicht auf Griechisch erhaltenen Texte des antiken Judentums; vgl. z.B. 2Bar 72,2.5; 4Esr 13,33. ' Zum Folgenden vgl. F. Wilk, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker (BZNW 109), Berlin/ New York 2001, bes. 83-153.240ff. (samt Diskussion mit der Literatur). 7 Da Jesus in 13,38 Weizen und Unkraut auf die im Kosmos lebenden Menschen deutet, dürfte die in 13,28c-30a besprochene Verantwortung der Knechte für die Pflege des Feldes die Aufgabe der Jünger Jesu in der Völkerwelt widerspiegeln. Auch Mt 16,28 und 20,21 lassen im jeweiligen Kontext das Reich des Menschensohns als dessen den Kosmos bzw. die Völkerwelt umgreifende, von der Auferweckung bis zur Parusie dauernde Herrschaft erkennen, unter der den Jüngern eine besondere Aufgabe zukommt; diese wird hier allerdings inhaltlich vom Sterben Jesu her als Leidensnachfolge bestimmt. Zum Ganzen vgl. (mit etwas anderen Akzenten) J. Roloff, Das Reich des Menschensohns. Ein Beitrag zur Eschatologie des Matthäus; in: M. Evang u.a. (Hgg.), Eschatologie und Schöpfung. FS E. Gräßer, (BZNW 89), Berlin/ New York 1997, 275-292: 284-288. ' Dazu vgl. jüngst M. Konradt, Die Sendung J esu zu Israel und zu den Völkern im Matthäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, ZThK 101 (2004), 397-425. • Vgl. C. Burchard, Zu Matthäus 8,5-13, ZNW 84 (1993), 278-288: 280-286. Ähnlich wie der Zenturio zeigt später die kanaanäische Frau (15,21-28) »großen Glauben«, indem sie den zu Israel gesandten Davidssohn als auch ihren Herrn anspricht und den Überschuss seiner Wundermacht für ihre Tochter erbittet. In beiden Fällen erfahren Nichtjuden »außer der Reihe« die Hilfe, die Jesus sonst nur Juden zuteil werden lässt (vgl. 9,18f.+23ff.; 17,14-18). Sie werden aber dadurch zur Umkehr weder gerufen noch veranlasst. Daher erscheinen sie nicht schon als Empfänger des in Jesus erschlossenen Heils, sondern nur als Vorzeichen dafür, dass sich nach Ostern viele aus den Weltvölkern Jesus zuwenden werden. 10 Vgl. dazu die beiJ. Adna/ H. Kvalbein (Hgg.), The Mission of the Early Church to J ews and Gentiles (WUNT 127), Tübingen 2000, 17-68, dokumentierte Debatte zwischen P. Stuhlmacher, H. Kvalbein und U. Luz. 11 In die gleiche Richtung weist A. von Dobbeler, Die Restitution Israels und die Bekehrung der Heiden. Das Verhältnis von Mt 10,56.6 und Mt 28,18-20 unter dem Aspekt der Komplementarität. Erwägungen zum Standort des Matthäusevangeliums, ZNW 91 (2000), 18-44. 12 Es fällt auf, dass im MtEv, das nur wenige Zahlenangaben zum Jüngerkreis enthält, die Sendung an Israel explizit den »zwölf« (10,lf.5; 11,1), die an alle Weltvölker aber den »elf Jüngern« übertragen wird. Diese ZNT 15 (8.Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von nHeiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Differenzierung symbolisiert wohl die Divergenz der Aufträge, veranschaulicht doch die Zwölfzahl der Jünger (vgl. 20,17; 26,20) deren Ausrichtung auf ganz Israel (vgl. 19,28 hier dürfte in Analogie zu 25,31-46 ein Gericht über alle Juden nach dem Maßstab ihres Verhaltens gegenüber den Jüngern [vgl. 10,14f.40ff.J im Blick sein). Da die Differenz aber schlicht dem Tod des Judas (27,5) geschuldet ist, hebt sie die Identität der Jüngergemeinschaft als Empfängerin beider Aufträge nicht auf. 13 Vgl. panta ta ethne in 24,9.14; 25,32, ta ethne in 4,15; 6,32; 10,18; 12,18; 20,19.25 und ethne in 10,5; 12,21, ferner ethnikos (»heidnisch«) in 5,47; 6,7; 18,17. -Zur hermeneutischen Reflexion der im MtEv erkennbaren Hartmut Heuermann Religion und Ideologie Die Verführung des Glaubens durch Macht 2005, 340 Seiten, € 29,90 ISBN 3-7720-8106-1 Der Mensch ist ein machthungriges Wesen. Um sich die Welt gefügig zu machen, strebt er danach, die objektive Wirklichkeit seinem subjektiven Willen zu unterwerfen und Dominanz über Natur und Gesellschaft zu erlangen. Darin folgt er einem Trieb, derrationalisiert und systemat1S1ert zur Bildung von Ideologien führt, ein Trieb, von dem grundsätzlich auch der homo religiosus nicht ausgenommen ist. Vom Pantheon der antiken Götter bis zum Machtzentrum der römischen Kurie haben ideologisierte Religionen eine Blutspur in die Geschichte gezeichnet, die das hehre Anliegen von Glaubensvertretern nur allzu oft als inhumanes Programm entlarvt und ihre noblen Bekenntnisse Lügen straft. ZNT 15 (8. Jg. 2005) Missionskonzeption fehlt in diesem exegetisch ausgerichteten Kontroversartikel der Raum; sie könnte auch nur im Zusammenhang mit der Wahrnehmung anderer neutestamentlicher Konzeptionen erfolgen. Es sei jedoch wenigstens angemerkt, dass die Zuweisung der Israel- und der Weltvölker-Mission an den in Israel entstandenen, bleibend jüdisch geprägten und deshalb die Rolle Israels als Gemeinschaft der Kinder Abrahams übernehmenden Jüngerkreis Jesu einer einfachen Applikation matthäischer Aussagen auf die gegenwärtigen missionarischen Aufgaben christlicher Kirchen entgegensteht. Dieses Buch untersucht ,Brennpunkte' der Religions- und Gesellschaftsgeschichte, an denen die unselige Verquickung von Gläubigkeit und Machtversessenheit sichtbar wird. Ob es um den blutrünstigen Jahwe der Israeliten, den unduldsamen Allah der Muslime oder den „allmächtigen" Gott der Christen geht; ob wir das Debakel der so genannten Kreuzzüge, die Untaten der „Heiligen Inquisition" oder die Raubzüge der Konquistadoren in der Neuen Welt betrachten; ob es sich um die Motive fundamentalistischer Gewalttäger oder die messianische Politik eines George W. Bush handelt stets stoßen wir auf diesen Komplex aus Glaubensinbrunst und Machtgier, der die überirdischen Ziele religiöser Verkündiger auf höchst irdische Weise kompromittiert. Die kritischen Analysen münden in die Frage, ob und unter welchen Bedingungen es ideologiefreie Religion geben kann. A. Francke Verlag Tübingen 59 Robert Jewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus 1 Gegenwärtig erregt die starke Zunahme messianischer Strömungen besondere Besorgnis seien sie christlicher, islamischer, buddhistischer oder hinduistischer Prägung. Sie bieten politische Himmelsstraßen an, die mit den Leichen ihrer Gegner gepflastert sind. Präsident Bush sagt immer wieder: »Unsere Verantwortlichkeit in der Geschichte ist bereits klar ... das Böse aus der Welt auszumerzen.« Dass das Böse aus der ganzen Welt zu kriegen wäre, ist ein chiliastischer Gedanke, und er wurde oft mit apokalyptischer Polarität verbunden. Bush sagt: »Jede Nation hat sich jetzt zu entscheiden. Entweder ist sie auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen. Freiheit und Furcht, Gerechtigkeit und Grausamkeit sind immer gegeneinander im Krieg gewesen, und wir wissen, dass Gott nicht neutral zwischen ihnen steht.« Woher kommt diese apokalyptische Ideologie? Welche biblischen Texten stehen dahinter und wie kann man erklären, dass diese Gedanken in der modernen Welt immer noch ihre Popularität behalten haben? Nachdem die Erklärung skizziert ist, möchte ich auf eine gesundere Seite des amerikanischen Messianismus hinweisen. 1. Der messianische Eifer um die Welt-Erlösung Die Versprechungen »das Böals Nachfolger von christlichen Kriegern und Märtyrern, deren Geschichten von der Zeit der ersten Christen an bis ins England des 16. Jh.s gesammelt und erzählt wurden. Zwischen 1629 und 1640, als ihr Kampf in England fehlschlug, emigrierten 20.000 Puritaner nach Amerika, um sich so als Anhänger Christi vor den Antichristen zu retten. Sie waren davon überzeugt, dass die Ursache des Bösen darin lag, dass England unter Korruption litt. Sie hofften, das tausendjährige Königreich würde eintreten, das in der Offb versprochen war, wenn ein solcher Krieg erfolgreich geführt würde. Die Vorstellung eines Tausendjährigen Reiches übernahmen die Puritaner aus Offb 20,1-7. Ernest Lee Tuveson dokumentierte die Anwendung dieses chiliastischen Ansatzes und bestätigte Jonathan Edwards Idee, dass mit der Erweckungsbewegung, »göttliche Providenz den Weg für die glorreiche Zeit der Kirche vorbereitet, wo das Reich Satans überall in der ganzen Welt niedergeschlagen werden soll.«' In der Mitte des 18. Jh.s, entstand dann, was Nathan Hatch den »Zivilchiliasmus« nannte, in dem die Kolonien die Rolle der Heiligen im Tausendjährigen Reich Gottes einnehmen sollten. 3 In der Zeit kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg wurde diese chiliastische Idee des nationalen Schicksals weitgehend akzeptiert.4 Timothy Dwights Gedicht »America« (1771) beschreibt die hoffnungslose Situation der se in der Welt auszumerzen« haben eine lange Geschichte. Ein messianisches Bewusstsein, die ganze Welt zu retten, begann mit den ersten Sied- » Die Versprechungen. >das Böse in der Welt auszumerzen< haben eine lange Geschichte.« Welt vor der Entdeckung des neuen verheißenen Landes, das bald den chiliastischen Frieden einleiten soll: lern in Neu-England. Die Kreuzzugsmentalität wurde in den Kolonien sehr beliebt. Die erste Generation der Emigranten in Neu-England trug den missionarischen Gedanken in sich, die gesamte Welt zu befreien. Die Puritaner übernahmen ihre dualistische Weltsicht und ihren Glauben, dass Gewalt Gottes Reich verbreiten könne, aus dem Buch der Offenbarung des Johannes und Teilen des Alten Testaments. Sie handelten selbst 60 »Hail Land of light and joy! Thy power shall grow Far as the seas, which round thy regions flow; Through earth's wide realms thy glory shall extend, And savage nations at thy scepter bend .... Then, then an heavenly kingdom shall descend, And Light and Glory through the world extend. And every region smile in endless peace; Till the last trump the slumbering dead inspire, Shake the wide heavens, and set the world on fire.« 3 ZNT 15 (8. Jg. 2005) Robert Jewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus Robert f ewett Robert Jewett, Jahrgang 1933, seit 2000 Guest Professor of New Testament an der Universität Heidelberg, wo er ein Archivprojekt leitet. Er ist der Harry R. Kendall Professor Emeritus des Garrett-Evangelical Theological Seminary und der Northwestern University in Evanston, IL, USA. Unter seinen 18 Bücher sind in Deutschland »Paul's Anthropological Terms« (1971) und » Paulus Chronologie« (1982) bekannt, während seine kritischen Studien zur amerikanischen Zivilreligion bisher in Europa vor allem in Vorträgen publik gemacht wurden. Der hier abgedruckte Aufsatz wurde adaptiert von einer mit John Shelton Lawrence gemeinsam verfassten Studie »Captain America and the Crusade against Evil: The Dilemma of Zealous Nationalism« (2003). Die Vorstellung eines himmlischen Reiches, das nach dem Armageddon-Kampf auf die Erde hinunterschreitet, stammt offensichtlich aus der Offenbarung von Johannes. In späteren Strophen seines Gedichtes beschreibt Dwight im Stil der antiken biblischen Kriegserzählungen die amerikanischen Krieger, wie sie neben den himmlischen Heerscharen kämpfen. Hugh Henry Brackenridge gründete seine »Six Political Discourses Founded on the Scripture« (1778) auf dasselbe biblische Fundament. Er behauptete, dass der britische König von Satan inspiriert wurde, und dass die Providenz auf der Seite der Kolonisten stünde: »Der Himmel wurde aktiv und kämpfte für uns .... der Himmel weiß nichts von Neutralität .... Es gibt keinen einzigen Tory innerhalb der Reihen der Seraphim.«' Das Thema des erwählten Volkes, das angegriffen wird und nur mit Gewalt gerettet werden kann, taucht in den frühesten Formen amerikanischer Literatur auf, und zwar in der Erzählung »Gefangene durch Indianer«. Mary Rowlandsons ZNT 15 (8. Jg. 2005) Buch »Eine Erzählung von Gefangenschaft und Rettung« blieb für 150 Jahre beliebte Literatur, gemeinsam mit ähnlichen Geschichten, die im kolonialen Amerika Bestseller wurden. 7 Rowlandson lebte »in Wohlstand, gesegnet mit allem Komfort der Welt«, als ein Angriff von Indianern ihre Familie tötete und sie verschleppt wurde. Sie widerstand den Versuchungen des Indianer- Lebens und wurde gerettet. Sie erzählte später die Geschichte von »Israel in Babylon«, um mit Richard Slotkins Ausdruck zu sprechen. Das Gefühl, das erwählte Volk in einer Umgebung von Unterdrückung zu sein, angegriffen von den gewaltsamen Kräften eines dämonischen Babylons, wurde eines der zentralen Themen in der nachfolgenden populären Literatur. Diese Erzählform führte später zu den Cowboy Western und schließlich zu den modernen Geschichten der Superhelden. 8 Man sieht den Einfluss dieser Erzählung in der amerikanischen Reaktion zum 11. September 2001. 2. Die post-chiliastische Republik Eine Hauptströmung der amerikanischen Mentalität zeichnet sich durch ihren Glauben aus, schon ins millenarische Zeitalter eingetreten zu sein. Dieser Glaube hat ihr nationales Unschuldsbewusstsein, ihren Optimismus und ihr Überlegenheitsgefühl geprägt. Viele Protestanten kamen zu der Überzeugung, das Tausendjährige Reich sei mit der ersten Erweckungsbewegung Mitte des 18. Jh.s angebrochen.9 Andere sahen dessen Beginn erst in dem erfolgreichen Ausgang der amerikanischen Revolution oder dem Eintritt ins 19. Jh. In der Folgezeit vermehrte sich die Zahl der Post-Chiliasten deutlich. Man glaubte, das Tausendjährige Reich Gottes und die Herrschaft der Heiligen habe schon begonnen und zwar in den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Brief des ehemaligen Präsidenten John Adams an Thomas Jefferson (13. Nov. 1813) zeigt, wie weit diese chiliastischen Ideen akzeptiert wurden: »Viele Jahrhunderte müssen vergehen, ehe wir moralisch unterwandert werden können. Unsere reine, tugendhafte, gemeinsinnige, bundesartige Republik soll immer andauern, den Erdball regieren, und die Vollendung der Menschheit einleiten.«10 In säkulareren Kreisen zeigte sich die post- 61 millenarische Perspektive im Glauben an Fortschritt und in der nach dem Mexikanischen Krieg (1846-48) und dem Erwerb Oregons populären imperialistischen Vorstellung von der »offenbaren Bestimmung« Nordamerikas, sich über den ganzen Kontinent auszubreiten. der aus dem Blickwinkel der Offb gesehen wurde. Die widersprüchlichen Erlösungsbilder des friedvollen, leidenden Dieners und des marschierenden Herrn der Schlacht sind in der letzten Strophe verbunden. Die erlösende Aufgabe der nördlichen Soldaten, die Gegner auszulöschen, ist zu einer altruistischen Befreiung In den Sozialbewegungen des 19. Jh.s wie der Sklavenbefreiung, den Prohibitionsgesetzen und Frauenrechtsbewegungen offenbarten sich verschiedene Formen des Post-Chiliasmus. 11 Sie wur- »Die selbstlose Mission des leidenden, sterbenden Dieners Gottes floss ein in das Bild des Kriegers.« umgewandelt worden. Die selbstlose Mission des leidenden, sterbenden Dieners Gottes floss ein in das Bild des Kriegers. Der Soldat den von der Vorstellung getragen, dass die amerikanischen Protestanten als die Heiligen des Tausendjährigen Reiches zur Sozialreform gerufen worden seien, und von der Hoffnung gestützt, dass Armut und Kriege ausmerzbare Konsequenzen des Bösen seien. Und als Amerika 1898 an den großen Kreuzzügen gegen Spanien und 1918 gegen Deutschland teilnahm, um der Welt die Demokratie zu bescheren, handelte es ebenso aus dem post-chiliastischen Geist heraus. Die kraftvollste Übernahme dieser zelotischen Ideologie war die »Schlacht-Hymne der Republik«, die 1862 geschrieben wurde. Ihre Terminologie und Bildersprache wurde ausschließlich von den apokalyptischen Stellen der Bibel hergeleitet.12 In den Märschen der Vereinten Soldaten klang »die Herrlichkeit der Ankunft des Herrn«. Wenn Gott auf der Seite der Armeen des Nordens marschierte, galt der Sieg als gesichert. Es würde zwar anstrengend und blutrünstig werden und viele würden in der Gewissheit sterben, dass sie Gottes »Gnade« für ihren Glauben an die Schlacht gewinnen. Aber sie würden bis zum letzten Mann kämpfen, wenn sie wüssten, dass sie dem siegreichen Zeichen folgten: »He has sounded forth the trumpet that shall never call retreat; He is sifting out the hearts of men before His judgment-seat: 0, be swift, my soul, to answer Hirn! Be jubilant, my feet! Our God is marching on.« Wer ist dieser kriegerische Gott, der die Truppen des Nordens in die Schlacht führt? Wer ist der »Herr«, der die Trauben seines zornreichen Weines von den Füßen seiner Truppen zertreten lässt? Es ist niemand anderer als der liebende Christus, 62 stirbt, nicht um andere zu töten, sondern um für andere Leiden auf sich zu nehmen. Hiermit begann eine Epoche altruistischen, kriegerischen Eifers in Amerika, die die nächsten 140 Jahre bestimmte: »In the beauty of the lilies Christ was born across the sea, With a glory in His bosom that transfigures you and me: As he died to make men holy, ! et us die to make men free, While God is marching on.« Diese Ideologie stählte den Norden in seinem langen, blutigen und frustrierenden Krieg. Ein solcher Krieg, um »Menschen zu befreien«, sollte kein Ende finden, bis nicht die ganze Welt daran beteiligt war. Wie das folgende Zitat von Reverend George S. Phillips zeigt, stärkten solche Aussichten auch in den entmutigendsten Phasen des Krieges: »Unsere Mission ... sollte erst dann als erfüllt gelten, wenn der letzte Despot entthront wurde, die letzte Kette der Unterdrückten aufgebrochen ist, die Würde und Gleichheit der befreiten Menschheit überall als anerkannt gilt, die republikanische Regierung überall etabliert ist und die amerikanische Fahne ... über jedem Land weht und die Welt mit ihrem majestätischen Flattern überspannt. Dann - und nicht vorher würde die Nation das Vorhaben erfüllt haben, für das sie vom Gott aller Himmel berufen wurde.« 13 Diese Vision der nationalen Berufung wurde eindeutig aus Offb 20 entnommen, wo die Heiligen die Erde regieren, nachdem das Monster zerstört ist. Widerhalle dieses nationalen Messianismus sind in den Worten von Präsident Wilsons ausgedrückt, nach denen ein Krieg die Welt für die Demokratie sicher machen könnte, und in der ZNT 15 (8. Jg. 2005) Robert Jewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus Hoffnung von Bush und seinen Beratern, dass der Krieg im Irak den Weg zur Demokratisierung des ganzen Mittleren Ostens ebnen würde. 3. Der Aufstieg des prä-chiliastischen Messianismus Um die Wiederbelebung des Prächiliasrnus in den letzten Jahrzehnten zu verstehen, müssen wir uns in diejenigen hineinversetzen, die den optimistischen Post-Chiliasmus ablehnten. Vor allem Farmer und Industriearbeiter im 19. Jh. hatten durch die häufigen Wirtschaftsdepressionen in Amerika schwer gelitten. In ihrer Lebenswirklichkeit hatte der post-chiliastische Optimismus keinen Realitätsbezug mehr. So wurde der Weg für prächiliastischen Sekten frei. Um 1830 gründete Joseph Srnith die Bewegung der Mormonen. Sie sollten als »Heilige der Letzten Tage« die ersten Früchte des unmittelbar bevorstehenden Tausendjährigen Reiches werden. William Miller (1742-1849) war ein früherer Deist, der in der zweiten Erweckungsbewegung zum orthodoxen Christentum konvertiert war und der ein intensives Bibelstudium begann, das ihn 1818 zu der Erkenntnis brachte, dass in Dan 8, 14 die Wiederkehr Christi gemeint war. Im Gegensatz zu anderen Chiliasten, die glaubten, dass Christus erst am Ende des Tausendjährigen Reiches wiederkommen würde, entschied Miller, dass die große Endschlacht und die Wiederkehr Christi 1843 stattfinden würden. 14 Er hielt öffentliche Vorträge und gewann sehr sprachgewandte Kollegen und auch ein Genie der Öffentlichkeitsarbeit, nämlich Joshua V. Hirnes. Diese neue Doktrin zog im ganzen Land Tausende von Nachfolgern an. Ein Faktor seines Erfolges war, dass ihre apokalyptische Botschaft all denen gefiel, die Zweifel an dem post-chiliastischen Optimismus hegten, dass Amerika »die neue Ordnung des Zeitalters« sei. 1' Eine Reihe von Konferenzen der Adventisten wurde abgehalten, die Millers Idee verbreiteten und den Zweifel an »Amerikas Fortschritt« und an jeglichen sozialen Reformen belebten. 16 Nur eine große Schlacht gegen die Gewalt des Teufels und für die Wiederkehr Christi wäre in der Lage, das Tausendjährige Reich einzuleiten. Tausende von Gläubigen wurden im Frühjahr 1843 enttäuscht, als Christus nicht wiederkehrte. ZNT 15 (8. Jg. 2005) Miller und seine Kollegen berechneten das Datum neu und entschieden, dass die biblischen Zeichen auf den 22. Oktober 1844 deuteten. Als dieses Datum wieder verstrich, teilte sich das Lager in mehrere Fraktionen, aus denen die »Seventh-Day Adventists« und andere Gruppen hervor gingen. 17 In einer ähnlichen Entwicklung nach 1880 begründeten C.T. Russell (1852-1916) und J.F. Rutherford (1869-1942) die Sekte der Zeugen Jehovahs, für die die unsichtbare geistige Gegenwart Christi nach 40 Jahren zum Beginn des Tausendjährigen Reiches führen würde. Auch diese Bewegung glaubte nicht, dass das Millennium in Amerika schon angebrochen sei. Für sie stand die große Katastrophe erst noch aus, und sie betrachteten es als ihre Aufgabe, in der Nation das vorrnillennarische Bewusstsein zu wecken. Tirnothy P. Webber hat in seiner Untersuchung »Living in the Shadow of the Second Corning« gezeigt, dass der amerikanische Fundamentalismus von diesem chiliastischen Pessimismus aus der Zeit des sich neigenden 19. Jh.s geprägt wurde. 18 Er herrschte auch in den Niagara-Bibelkonferenzen und den Erweckungsversarnrnlungen vor, die von Organisationen wie dem Moody Bible Institute, von unzähligen Bibelschulen und Billy Sunday Tabernacles ins Leben gerufen worden waren. Obwohl der Prä-Chiliasmus damals nur von einer Minderheit vertreten wurde, ist er Ausgangspunkt der gegenwärtigen Explosion christlich-apokalyptischer Theologie. Wie es zu dieser Explosion kommen konnte, hängt mit einer neuen Vorstellung der »Entrückung« zusammen. 4. Zeitkalender für die Entrückung Die düsteren Prognosen einiger Fernsehprediger illustrieren den Chiliasmus der vergangenen Jahrzehnte am deutlichsten. In ihnen werden die Gläubigen kurz vor Ausbruch der unmittelbar bevorstehenden Trübsal ins Paradies entrückt. Auf dieser selektiven Vernichtung folgt dann eine Zeit der Bedrängnis und danach die Schöpfung eines neuen, friedlichen Weltreichs, in dem die Heiligen tausend Jahre lang herrschen. In der Zeit der Bedrängnis nach der Entrückung bleibt den Geretteten jedes Leid erspart. Im Laufe der letzten 25 Jahre wurde diese apokalyptische Theologie in der amerikanischen Gesellschaft von einem fun- 63 damentalistischen Randphänomen zum Mainstream. Inzwischen taucht sie außer in den Botschaften der Fernsehprediger auch in Bestsellern, Lehrdass innerbiblische Widersprüche nur die göttlichen Gesetze früherer Vorsehungen widerspiegeln. Dieser Prämisse sind auch die Professoren aus dem einflussreichen theo- und Spielfilmen und unzähligen Internetseiten auf. Um die außerordentliche Gefahr dieser chiliastischen Ideen gerade in den Zeiten des globalen Djihad einschätzen zu können, müssen wir deren geistigen Hintergrund verstehen lernen. Wahrscheinlich »Im Laufe der letzten 25 Jahre wurde diese apokalyptische Theologie in der amerikanischen Gesellschaft von einem f undamentalistischen Randphänomen zum Mainstream.« logischen Seminar in Dallas, Texas, verfallen. Das Dallas Theological Seminary hat daher eine ganz andere Prägung als die Perkins School of Theology, auch in Dallas, ein Mainstream Seminar, in dem klassische Theologie nach deutsteht das gegenwärtige unkluge und militante politische Verhalten der USA in direktem Zusammenhang mit der wachsenden Vorherrschaft dieser Weltanschauung und ihrem populären Gegenstück in den U nterhaltungsmedien, dem Traum vom Superhelden. Sowohl der Chiliasmus, als auch der Traum vom Superhelden gehen von einer unerbittlichen Erlöserfigur aus, durch deren übermenschliche Eigenschaften die Unschuldigen gerade noch rechtzeitig vor ihren dämonischen Widersachern gerettet werden. Der Begriff der »Entrückung« stammt aus der Übersetzung von 1Thess 4, 17 ins Lateinische. Paulus erklärt in diesem Vers, dass die verstorbenen Christen bei Christi Wiederkehr auferstehen und zusammen mit den noch Lebenden in die Luft entrückt werden (simul rapiemur cum illis in nubibus obviam Domino in aera). Diese dunkle Passage spielte in der Theologie bis 1830 nur eine unbedeutende Rolle, bis sie von John Nelson Darby und seinen Plymouth Brüdern interpretiert wurde. 19 Nach einer Vision Margaret MacDonalds, einer Prophetin aus dem Kreis um Darby, findet diese Entrückung vor der Zeit der 7 Jahre dauernden Bedrängnis statt und daher vor dem endzeitlichen Krieg, der das Millennium einläuten würde. Diese neue Doktrin einer »Entrückung vor der Zeit der Bedrängnis« fiel in der Folgezeit zwischen 1880 und 1925 auf fruchtbaren Boden unter englischen, amerikanischen und kanadischen Fundamentalisten. Sie floss in die Vorstellung von einer göttlichen Vorsehung der Heilsgeschichte in die »Scofield Reference Bible« ein. Seit ihrer Erstveröffentlichung 1909 blieb sie weitgehend unverändert und von dem wissenschaftlichen Ethos der großen Universitäten weit entfernt. Sie geht davon aus, dass wir uns in der letzten Phase der Weltgeschichte befinden und 64 schem Vorbild gelehrt wird. Hal Lindseys Bücher haben mit unerhörten Verkaufszahlen dem Weltuntergangsmodell aus dem Dallas Theological Seminary Popularität verschafft und ihrem Autor, der das Ende der Welt schon vor einigen Jahrzehnten erwartet hatte, den Titel eines Millenniumsmillionärs eingebracht. In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg bildete sich ein neues Datierungsschema heraus für die Ereignisfolge im »letzten Menschenalter«, wie Lindsey es bezeichnete. Er ging davon aus, dass die Wiederherstellung des israelischen Staates 1948 den Anfang des Endes der Weltgeschichte markiere. Unter der Annahme, dass eine Generation im biblischen Sinn nicht mehr als vierzig J ahre betragen könne, errechnete er das Jahr 1988 als das letzt mögliche Datum der Endschlacht. In seiner Datierungsversion war die Entrückung sieben Jahre vor der Zeit der Bedrängnis anzusetzen, also spätestens sieben Jahre vor 1988. Lindsey und seine Anhänger überließen es dem Leser, das genaue Datum zu bestimmen. Sie wiederholten allerdings ausdrücklich, dass die Generation der 1948er zweifellos das letzte Menschenalter darstelle. Die Datierung der Entrückung auf die Jahre 1980 und 1981 hängt mit bedeutenden politischen Entwicklungen zusammen. 1978, also kurz vor dem Entrückungstermin, entstand eine der wichtigsten politischen Bewegungen der amerikanischen Geschichte: das Moral Majority Movement, der Zusammenschluss einer vermeintlichen Mehrheit, die für strengere öffentliche Moral eintrat. Unter der Führung Jerry Falwells und anderer Verfechter der Entrückungstheologie gewann die Bewegung erfolgreich mehrere Zehntausende Pastoren für ihre Politik, deren Gemeinden bisher weitgehend apolitisch waren. Diese neue Bewegung unterstützte Kandidaten und Manifeste, die ZNT 15 (8.Jg. 2005) Robert Jewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus für Armageddon geeignet schienen. Sie plädierten zum Beispiel für die Aufrüstung des amerikanischen Atomwaffenarsenals und für ein größeres Verteidigungsbudget, identifizierten sich mit den Interessen Israels und wiesen den palästinensischen Ruf nach Autonomie zurück. Die UNO und das internationale Völkerrecht sowie Kompromisse mit der Sowjetunion lehnten sie ab. Darüber hinaus positionierten sie sich durch unverrückbare Moralpositionen, z.B. zur Abtreibungsfrage. Die verschärfte Sittenstrenge sollte dabei auf den gerechten Sieg bei der Endschlacht vorbereiten, deren Beginn sie für die kommenden Jahre erwarteten. Das Moral Majority Movement wirkte sich stark auf die amerikanische Politik aus, viel mehr als es ihre relative Kurzlebigkeit vermuten lässt. 1980 trug es wesentlich zur Wahl des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan bei und hievte die derzeitige Führungsgeneration innerhalb der republikanischen Partei ins Amt, einschließlich Newt Gingrich, Dick Armey, Tom Delay und vielen anderen. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte es die republikanische Partei, die sich bis dahin dem Föderalismus, Kapitalismus und internationaler Rechtsstaatlichkeit verpflichtet hatte, in eine chiliastische Partei, die politische Kompromissbereitschaft ablehnte und internationalen Gesetzen sowie Friedenserhaltungsversuchen äußerst misstrauisch gegenüberstand. Inzwischen hat diese fundamentalistische Bewegung, der heute circa 30 Millionen Wähler angehören, Verbindungen mit dem konservativen israelischen Likud-Block geknüpft und erschwert durch ihren Einfluss jeden Versuch eines israelisch-palästinensischen Dialogs. Die Entrückungstheologie brachte auch einen bislang unbekannten bis 2007 zur Neige ginge, die Zeit der Bedrängnis aber 7 Jahre früher, auf das runde Jahr 2000 fiele. Der Fernsehprediger Pat Robertson nahm das neue Datierungsschema zur rechten Zeit auf, womit sein Aufstieg der letzten 20 Jahre zusammenhängt. Nachdem der letzte Entrückungstermin inzwischen auch schon ungeschehen verstrichen ist, steigt die Flut der entrückungstheologischen Bücher beständig. Obwohl man mit der Nennung eines konkreten Datums wesentlich vorsichtiger geworden ist, scheint das Prophezeiungsgeschäft sich zur Zeit in der nebelhaften Schwebe zu befinden. Es weist teilweise Parallelen zu der biblischen Parusieverzögerung, als auch zu den falschen Voraussagen am Ende von Dan und der Offb auf. Trotz dieser Fehldatierungen bleibt ihr Machteinfluss auf die amerikanische Politik ungebrochen. 5. Gefahren der chiliastischen Zivilreligion Manche der chiliastischen Ideologien zielen auf eine theokratische Zivilreligion ab. Pat Robertson argumentiert beispielsweise in seinem Buch »America's Dates With Destiny«, dass Amerika als Christennation gegründet worden sei, und ruft die Amerikaner dazu auf, sich wieder auf ihr geistiges Erbe zu besinnen. Der israelische Versuch einer klassischen Theokratie sei »das Vorbild für Amerika gewesen.,/ 0 Die Gefahren des theokratischen Chiliasmus sollten uns bewusst sein. Wer die Lehre verbreitet, dass einem allein durch Mitgliedschaft in der richtigen Religionsgemeinschaft die Zeit der Bedrängnis also Atomkrieg oder kriegstreiberischen Ton in die amerikanische Politik. Die Entrückungstheologie hat nichts von ihrer Wirkungskraft eingebüßt, ob- » Die Gefahren des theokratischen Chiliasmus Terrorismus erspart bleiben, der verbreitet in der Zivilreligion eine eskapistische Haltung. Diese Vision der Schosollten uns bewusst sein.« wohl ihr 1948er-Datierungsschema fehlschlug. Ihre Überarbeitung ist zumeist stillschweigend verlaufen. Die erste Revisionsphase begann wahrscheinlich 1980 mit einem Vortrag Hal Lindseys in Toronto. Lindsey stellte dort zur Diskussion, ob die jüdische Einnahme Jerusalems 1967 den Beginn des letzten Menschenalters darstelle. Dies bedeute, dass das letzte Menschenalter spätestens ZNT 15 (8. Jg. 2005) nung der Gläubigen hat innerhalb christlicher Eschatologie keine Parallelen. Vor 1830 lehrten christliche Apokalyptiker noch, dass die Gläubigen für ihren Glauben leiden müssten, ein Realismus, der mit den Lehren J esu, Pauli, dem Hebräerbrief und den Propheten übereinstimmt. Die eskapistischen Versprechungen der modernen Apokalyptiker stehen im Gegensatz zu solchem Realismus. In einer zukunftspes- 65 simistischen Zeit fällt ein solcher Eskapismus auf fruchtbaren Boden. Seine politischen Erfolge unter der Wählerschaft häufen sich auf beunruhigende Weise und die Unterhaltungsmedien fördern ihn durch das wiederkehrende Schema einer unschuldigen, von Verkörperungen des Bösen bedrohten Gemeinschaft, die von einem Superhelden im letzten Augenblick gerettet wird. Übertragen auf die Politik entspricht dies dem Glauben an einen »Superpräsidenten«, der in einer bedrohten Welt mit überlegener Militärgewalt Sicherheit herstellt. Dabei überleben die Unschuldigen eine von Feindstaaten oder Terroristen verursachten Vernichtung und triumphieren am Ende. Selbst nach völliger Zerstörung allen Lebens wird die neue Welt aus ihrer Asche durch göttliche Kraft neugeboren werden. Die chiliastische Zivil- Religion tendiert dazu, aktuelle Ereignisse auf die zukünftige Erfüllung der Heilsgeschichte zu beziehen. Mit dem Warten auf Armageddon aber werden langfristige Überlegungen und lebenserhaltende Maßnahmen überflüssig. Jeder Versuch zwischenstaatliche Konflikte durch internationale Richtersprüche zu lösen, wird als Versuchung des Antichristen abgewiesen. Die moderne Entrückungstheologie unterteilt die Welt in wahre Gläubige, die der Zeit der Bedrängnis entgehen werden, und die restlichen Erdenbewohner, die wegen ihrer Sünden leiden müssen. Im politischen Kontext glaubt man, dass unsere Gegner gefährlich sind und zerstört werden müssen. Jeder politische Kompromiss wird hierbei prinzipiell abgelehnt. In der Außenpolitik neigt eine entrückungs-geprägte Wählerschaft zur militärischen Auseinandersetzung und zur Ablehnung internationaler Institutionen. Es ist für sie unvorstellbar, dass Amerika sich als gleichwertiger Partner neben anderen Nationen einreihen muss, unter denselben Gesetzen steht und ebenfalls nur eine Stimme hat. Für amerikanische Fundamentalisten ist jeder Kompromiss mit Andersdenkenden ein Betrug am Vertrauen auf Gott und jeder Versuch, Rüstungs- und Atomwaffenabbau zu betreiben, ein Ausverkauf an den Teufel. In Blick auf die gegenwärtige Politik sollte es jetzt deutlich sein, weshalb die amerikanischen Fundamentalisten den sogenannten Präventivkrieg und eine Eskalation des Konfliktes im Nahen Osten begrüßen. Denn mit Armageddon wird nach ihrem Verständnis das Tausendjährige 66 Reich Gottes eingeläutet. Bis dahin werden selbstverständlich alle Erdenbewohner, die nicht an diese Theologie glauben, schon tot sein. Dennoch bietet dieses Szenario ein kleines Fünkchen Hoffnung, denn die gute Nachricht ist, dass der Herr der Geschichte sich bisher geweigert hat, die Pläne seiner populären Untergangsapostel zu erfüllen. Dahinter verbirgt sich vielleicht der Beginn eines möglichen Gesprächs mit unseren fundamentalistischen Kollegen. Die Religionsgeschichte jedenfalls legt den Schluss nahe, dass menschenfreundlichere Formen der Politik oft erst nach dem Zusammenbruch überspannter Endzeiterwartungen möglich werden. 6. Die Anwendbarkeit eines realistischen biblischen Gesichtspunktes Während der eifrige Nationalismus und einige Formen des pessimistischen Realismus von der Vergangenheit dominiert werden, verdeutlicht sich der prophetische Realismus durch die Anziehungskraft der Zukunft. Die Ursprünge für diesen Realismus sind auch biblisch. In Abraham Lincolns politischer Ethik findet sich die Vision einer stufenweisen Annäherung an die Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung nach der »alle Menschen gleich erschaffen wurden«. In den Debatten mit Douglas im Jahr 1858 bestand Lincoln darauf, dass die Urväter sich vollkommen bewusst waren, dass die Gleichheit noch keine Realität war und nicht schnell erreicht werden könnte. »Sie wollten einen Standard setzen für eine freie Gesellschaft, die allen vertraut sein sollte und von allen geachtet würde; die ständig gesehen, für die ständig gearbeitet würde und obwohl niemals auf perfekte Weise erreicht ständig angestrebt und dadurch sich ständig ausbreitend und überall in ihrem Einfluss auf das Glück und Leben aller Menschen in allen Rassen vertiefend sei.« 21 Das biblische Konzept der Perfektion als eines sichtbaren, aber schließlich unerreichbaren Ziels liegt hinter Lincolns Argument. Es war die Erkenntnis, dass diese Vision niemals vollkommen erreicht werden könnte, die Lincoln davor bewahrte, ein Fanatiker zu werden. Zugleich war es diese Vision, die ihn davor verschonte, ein politischer Opportunist zu sein. Lincolns prophetischer Realismus erreichte ZNT 15 (8. Jg. 2005) Robert Jewett Die biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus seinen Höhepunkt in seiner »Zweiten Antrittsrede«. Diese Rede spielte auf die Erwartungen der Nord- und der Südstaaten an, indem er nicht nur die Ironie bemerkte, dass »beide dieselbe Bibel lesen und zum selben Gott beten«, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven, dass aber keiner wirklich gerechtfertigt sei in seiner Überzeugung von der Heiligkeit seiner Sache. Wenn der Süden »es nicht wagen dürfte, einen gerechten Gott um seine Hilfe zu bitten, sein Brot vom Schweiß auf anderer Menschen Gesichtern zu erlangen«, müsste der Norden die Warnung beherzigen, »nicht zu richten, um nicht gerichtet zu werden«. Der Sinn für moralische Überheblichkeit, die den eifrigen Krieg unterstützt, ist ein Rückzug, um zu bekennen, »dass der Allmächtige seine eigenen Gründe hat.,/ ' Göttliches Urteil war auf »beide gefallen, Norden und Süden« und auf mysteriöse und tragische Weise hatte die Fortsetzung des Leidens beider ihre Bedeutung für den ungeteilten Willen Gottes. Lincoln fuhr fort: »If we shall suppose that American Slavery is one of those offences which, in the providence of God, must needs come, but which having continued through His appointed time, He now wills to remove, and that He gives to both North and South, this terrible war, as the woe due to those by whom the offence came, shall we discern therein any departure from those divine attributes which the believers in a Living God always ascribe to Hirn? Fondly do we hope fervently do we pray that this mighty scourge of war may speedily pass away. Yet, if God wills that it continue, until all the wealth piled by the bond-man's two hundred and fifty years of unrequited toil shall be sunk, and until every drop of blood drawn with the lash, shall be paid by another drawn with the sword, as was said three thousand years ago, so still it must be said, ,the judgments of the Lord, are true and righteous altogether«<. Dieses Zitat aus Ps 19,9 ist der Kern von Lincolns Argument, denn es erschüttert die einfache Identifikation der einen Seite mit Gottes Gerechtigkeit. Wie Lincoln in einem Brief an Thurlow Weed feststellte, sei eine solche Botschaft nicht »sofort populär. Menschen seien nicht begeistert, wenn man ihnen zeigt, dass zwischen ihnen und Gottes Willen eine Kluft herrsche.« 23 Bis sie diesen Unterschied erkennen, könne man sie weder menschlich noch realistisch nennen. Die Tatsache geteilter Menschlichkeit erhält ZNT 15 (8. Jg. 2005) am Ende von Lincolns zweiter Antrittsrede Kontur. Eine Form der Gerechtigkeit, die die empfindliche Kompliziertheit jeder Seite erkennt, widersetzt sich zelotischen Ideologien. Der eifrige Zelot ist so gefangen in seinem moralischen Kreuzzugsdenken, dass Menschen nicht mehr zählen. Er wird unerbittlich, brutal und todessüchtig. Gnade ist in einer solchen Ideologie ein Zeichen von Schwäche, ein Betrug am heiligen Vorhaben, ein Schritt hin zu einem Kompromiss mit dem Teufel. Liebendes Mitgefühl ist eine Antithese zum Zelotentum. Es stimmt überein mit dem Beschluss, ein gerechtes Ziel weiter zu verfolgen, auch wenn keine unumschränkten Beweise vorliegen. Lincoln spricht von einer »Standfestigkeit im Recht« im Verhältnis zu »Gott lässt uns das Rechte sehen« (eine Annäherung an Joh 11,9), das heißt in mysteriöser und stückweiser Form (eine Annäherung an lKor 13,9-12). Wenn die Version des »Rechten« von jeder Gruppe unter der Prämisse des prophetischen Realismus eingegrenzt wäre, würden sie niemals aus Fanatismus handeln und damit den Wert des Lebens achten. Trotzdem behielt Lincolns Art von Standfestigkeit die Kraft, das demokratische Experiment während des Bürgerkrieges zu festigen. Dieser komplexe Gedanke wurde in einem einzigen Satz am Ende der Antrittsrede ausgedrückt, mit Anspielungen auf den lPetr 2,1; Röm 13,8 und Ps 147,3: »With malice toward none; with charity for all; with firmness in the right, as God gives us to see the right, Jet us strive on to finish the work we are in; to bind up the nation's wounds; to care for him who shall have borne the battle, and for his widow, and his orphan to do all which may achieve and cherish a just, and a lasting peace, among ourselves, and with all nations.« Nächstenliebe und Realismus folgen konsequenterweise Lincolns Orientierung. Seine Sicht des unparteiischen göttlichen Rechts verhinderte Fanatismus und ließ ihn nicht nur auf die Bedürftigkeiten anderer reagieren, sondern innerhalb eines Verwirrspiels von historischen Verantwortlichkeiten realistisch handeln. Sein Realismus, der die Faktoren für einen »gerechten und dauerhaften Frieden« im Blick hat, zielt nicht auf das Auslöschen des Bösen, sondern darauf, sich um die Opfer zu sorgen. 67 Schluss Die »Zweite Antrittsrede« von Amerikas größtem Präsidenten machte den lebendigen Quell von Nächstenliebe und Realismus innerhalb Gottes mysteriösen Plänen offenbar, und zwar für diejenigen, die Lincoln das »fast erwählte Volk« nannte. Indem er den übereifrigen Griff auf die fanatische Interpretation zurückgewiesen hat, öffnete Lincoln der Nation ihre natürliche Quelle der Barmherzigkeit und des gesunden Menschenverstandes. Er respektierte damit ihre Überzeugung von nationalem Berufensein und verhinderte somit, dass sie sich in einer amoralischen Wüste verliert. In einer Zeit, in der chiliastische Arroganz droht, die Welt an den Rand der Katastrophe zu bringen, könnte diese Seite von biblischem Messianismus auch heute eine wichtige Orientierung geben. Anmerkungen 1 Heike Goebel, seine Frau, wirkte an der Übersetzung mit. 2 J. Edwards, History of the Work of Redemption, zitiert in: Tuveson, Redeemer Nation: The Idea of America's Millennial Role, Chicago 1968, 100; vgl. F.J. Baumgartner, Longing for the End: A History of Millennialism in Western Civilization, New York 1999, 127-130. 3 N.O. Hatch, The Sacred Cause of Liberty, New Haven 1977, Kap. 1. 4 S.E. Ahlstrom, A Religious History of the American People, New Haven 1972, Kap. 52. 5 Zitiert in Tuveson, Redeemer Nation, 105-06. ' Zitiert in P. Miller, »From the Covenant to the Revival«, Nature's Nation, Cambridge 1967, 95. 7 R. Slotkin, Regeneration Through Violence: The Mythology of the American Frontier, 1600-1860, Middletown 1973, 104. 8 Siehe J. Shelton Lawrence / R. J ewett, The Myth of the American Superhero, Grand Rapids 2002, 19-48. 9 Vgl. P. Boyer, When Time Shall Be No More: Prophecy Belief in Modem American Culture, Cambridge 1992, 71-72. 10 Zitiert nach H. Kohn, American Nationalism: An Interpretive Essay, New York 1957, 13. 11 Vgl. P.S. Boyer, Art. Chiliasmus. IV, Nordamerika, RGG, 4. Aufl., Tübingen 1999, Bd. 2, 139. 12 Tuveson, Redeemer Nation, 197ff. 13 Zitiert nach W.S. Hudson, Nationalism and Religion in America: Concepts of American Identity and Mission, San Francisco 1970, 74. 14 Vgl. G.R. Knight, Millennial Fever and the End of the World: A Study of Millerite Adventism, Boise 1993, 17. 15 Vgl. D. Morgan, Adventism and the American Republic: The Public Involvement of a Major Apocalyptic Movement, Knoxville 2001, 11-29. 16 Knight, Millennial Fever, 142. 68 17 Siehe St.D. O'Leary, Arguing the Apocalypse: A Theory of Millennial Rhetoric, New York/ Oxford 1994, 93- 133. 18 T.P. Webber, Living in the Shadow of the Second Coming, 2. Aufl., Grand Rapids 1984. 19 Bezüglich der neueren Diskussion, siehe J. Callahan, Primitivistic Piety: The Ecclesiology of the Early Plymouth Brethren, Lanham 1996. Eine detaillierte Behandlung der Thematik bietet: R. Chandler, Doomsday: The End of the World - A View through Time, Ann Arbour 1993, 108-109. Siehe auch P.S. Boyer, The Growth of Fundamentalist Apocalyptic in the United States, in: The Encyclopedia of Apocalypticism, Bd. 3: Apocalypticism in the Modern Period and the Contemporary Age, New York 1998, 149-151. 20 P. Robertson, America's Dates With Destiny, Nashville 1986, 90. 21 Lincoln, »Rede in Springfield, Illinois, 1857«, zitiert nach H.V. Jaffa, Crisis of the House Divided: An Interpretation of the Issues in the Lincoln-Douglas Debates, Garden City 1959, 16. 22 D.E. Fehrenbacher (Hg.), Abraham Lincoln: A Documentary Portrait Through His Speeches and Writings, New York 1964,278. 23 Fehrenbacher, Abraham Lincoln, 279. Vorschau auf Heft 16 ZNT aktuell: Friederike Wendt/ Annette Weißenrieder, Ikonographie und das Neue Testament Zum Thema: Willi Braun, Das Jesus-Seminar Leroy Huizenga/ Michael Schneider, Das Matthäusevangelium in intertextueller Perspektive Volker Lehnert, Die Verstockung Israels und biblische Hermeneutik Kontroverse: Herodes - Kindermörder oder weiser Staatsmann? Manuel Vogel vs. SarahJapp Hermeneutik und Vermittlung: Almut Bruckstein, Das Bild im Talmud Buchreport: Ingolf U. Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, Tübingen 2003 (Hans Hübner) ZNT 15 (8. Jg. 2005) JAMES A. KELHOFFER Miracle and Mission 112 MohrSfobeck James A. Kelhoffer Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark (WUNT Reihe 2, 112). Tübingen: Mohr Siebeck 2000, 530 S., 64,00 Euro, ISBN 3-16-147243-8 In den meisten einleitungswissenschaftlichen Büchern und Kommentaren zum Markusevangelium wird bei der Betrachtung von Mk 16,9-20 gerne mit der Möglichkeit gerechnet, dass der ursprüngliche Mk-Schluss verloren gegangen ist. In Folge dessen erlangen die Verse 9-20 nur den Stempel »sekundär«, ohne mit weiterem Interesse bedacht zu werden in der neutestamentlichen Forschung. Anders geht Kelhoffer in dem Buch »Miracle and Mission« vor, einer vom Verfasser überarbeiteten Dissertation aus dem Jahr 1998, betreut von Adela Yarbro Collins an der Universität Chicago. Kelhoffer beschränkt sich in seiner Arbeit auf den genannten Abschnitt Mk 16,9-20, der von ihm »Longer Ending« bezeichnet wird. Unbeachtet bleibt bei Kelhoffer der sog. kürzere Schluss (Mk 16,8 conclbrev). Kelhoffers Grundannahme ist es, dass Mk 16,9-20 kein zufälliges Rezeptionsschicksal darstellt, sondern sich einer in diesen Versen selbst angelegten Potenz verdankt. Ausgehend von der Einsicht, dass Mk 16,8 »the ZNT 15 (8. Jg. 2005) earliest recoverable ending« ist, bleiben Fragen nach einem verloren gegangenen ursprünglichen Markusschluss unberücksichtigt. Stattdessen wird auf den folgenden gut 500 Seiten unterteilt in sieben Kapitel - Mk 16,9-20 als ein wichtiges Zeugnis für das Christentum des 2. Jahrhunderts entdeckt. Im ersten Kapitel gibt der Autor einen knapp 50seitigen forschungsgeschichtlichen Überblick der letzten 200 Jahre, in dem das Geschick von Mk 16,9-20 in der exegetischen Forschung sorgfältig dokumentiert und dargestellt wird, eingeteilt in zeitgeschichtliche Phasen. Deutlich wird bei diesem Überblick, dass Mk 16,9ff. häufig vernachlässigt wurde, besonders seit sich in der Forschung mehrheitlich durchgesetzt hat, dass dieser Mk-Schluss als »sekundär« zu betrachten sei. Gleichzeitig stellt Kelhoffer fest, dass unter den gegenwärtigen Arbeiten, die sich mit Mk 16,9- 20 beschäftigen, keinerlei Einigkeit herrscht hinsichtlich der literarischen Abhängigkeit, der Genese, der Form und des Inhaltes dieser Verse (S. 46 ). In Kapitel 2 und Kapitel 3 stehen die literarischen Abhängigkeitsverhältnisse von Mk 16,9ff. im Vordergrund. Minutiös werden in Kapitel 2 diese literarischen Abhängigkeitsverhältnisse von Mk 16, 9ff. zur kanonischen und nichtkanonischen christlichen Literatur untersucht, wobei die Widerlegung der These von Joseph Hug 1 im Mittelpunkt steht, der Mk 16,9ff. als unabhängig von den kanonischen Evangelien ansieht. In Kapitel 3 erfolgt ein Perspektivenwechsel: Während in Kapitel 2 argumentiert wurde, dass der Autor von Mk 16,9ft. in bewusster Imitation des überlieferten Materials von Mt, Mk, Lk und Joh geschrieben hat (S. 65-120), versucht Kelhoffer im folgenden Kapitel zu untersuchen »what can be known about the materials this author incorporated into these twelve verses« (S. 121). Methodisch stehen nun Mt, Mk, Lk, Joh und Apg im Mittelpunkt, die hinsichtlich der Stellen untersucht werden, die vom »Longer Ending« vorausgesetzt werden (S. 137-150). Im Rahmen dieses Kapitels kommt Kelhoffer zu der Annahme eines redaktionell auf der Grundlage der Evangelienüberlieferung arbeitenden Autors, der die Verse 9-20 bewusst gestaltet hat. Einschränkend hält Kelhoffer jedoch fest, dass die Kenntnis der Apg durch den Autor von Mk 16,9ft. nicht eindeutig zu belegen sei (S. 146f.) Die Annahme eines redaktionell arbeitenden Autors führt gleichzeitig zu einer gründlichen Widerlegung der These Kösters, der von einer rein mündlichen Tradition der Evangelienrezeption im 2. Jh. ausgeht. Stattdessen betont Kelhoffer: »(A)lthough a number of individual examples suggest that the imitation of oral or written traditions could be possible, the cumulative effect of so many allusions to the same passages makes dependence upon actual copies of the NT gospels the most likely explanation«. (S. 137). Somit ist beim längeren Mk-Schluss ein Schriftstück vorhanden, welches nahe legt, dass im 2. Jh. die einzelnen neutestamentlichen Evangelien durchaus nicht nur als Einzelschriften kursierten, sondern schon eine Vier-Schriftensammlung vorhanden war, die bewusst gesammelt und verglichen wurde. Mk 16,9ff. avanciert in den Ausführungen von Kelhoffer (mit M. Hengel und P. Rohrbach) durch seine bewusste Imitation des Stoffes der vier Evangelien zu einem der ältesten Zeugen der Vierevangeliensammlung. Die Annahme einer Vierevangeliensammlung im Lichte von Mk 16,9ff. hat eine hohe Anschlussfähigkeit an die kurz zuvor veröffentlichte (und von Kelhoffer unberücksichtigte) Arbeit von Heckel, 2 der ebenfalls für eine Vierevangeliensammlung votiert, die schon vor Markion greifbar war. En passant lässt Kelhoffer auch die These H. von Campenhausens fragwüdig werden, dass sich die Entstehung des Kanons der Einzelperson Markion verdankt. Im Kapitel 4 unter der Überschrift »Questions of Origin and Genre: Comparing the Parts and Whole of the Longer Ending with Analogous Literary Forms« (S. 157-244) werden die Fragen der literarischen Einheitlichkeit, der Datierung und der geprägten Formen der Teilstücke von Mk 16, 9-20 behandelt. Bezüglich der literarischen Integrität votiert Kelhoffer für die Einheit der Verse 9-20 (S. 164-169), die in der Forschung aufgrund des häufigen Subjekt- und 69 Themenwechsels des öfteren bestritten wurde (gegen H.B. Swete, E. Helzle, R. Pesch). Besonders der angenommene Bruch zwischen V. 14 und V. 15 ließ die Vermutung entstehen, dass es sich beim längeren Mk- Schluss um einen kompilatorischen Text handelt. Demgegenüber wird festgehalten, dass der Verfasser der V. 9-20 selbst wohl weniger Probleme mit Brüchen dieser Art hatte als die ihm nachfolgenden Ausleger: »It is therefore reasonable to infer that the sudden shift in tone and subject matter between Mark 16,14 und 16,15 is not uncharacteristic of the LE as a whole and, moreover, does not constitute grounds for denying the unity of this passage. The LE should thus be regarded as a single compositional unit which includes appearances (16,9-14) and a commissioning of the disciples before their departure (16,15-20)« (S. 169). Auf der Grundlage der literarischen Einheitlichkeit wendet sich Kelhoffer der Datierung der Verse zu, mit dem Ergebnis, dass der längere Markus-Schluss zwischen 120-150 n.Chr. entstanden sei. Hier vermag Kelhoffer überzeugend zu argumentieren, dass Justins erste Apologie, in Apo! I 45,5 (und eingeschränkt Apo! I 35.9, da die Verbindung zwischen Justin und der Zitation von Mk 16,9ff. in den Pilatusakten 14,1 nicht sicher ist), den terminus ante quem darstellt (S. 170-175 ). Den terminus post quem bildet die Abfassung der vier Evangelien. Der größte Teil dieses Kapitels ist der Frage nach den Mikro-Formen der einzelnen Abschnitte sowie der Bestimmung der Makro-Gattung von Mk 16,9ff. gewidmet. Kelhoffer weist mit reichem Vergleichsmaterial darauf hin, dass die Verse 14-18 als eine Erscheinungserzählung angesehen werden können und in V. 176-18 eine Wunderliste vorliegt, die eine große Ähnlichkeit zu anderen antiken Wunderlisten aufweist. Die Besonderheit der Liste des »Longer Ending« liegt in der Formulierung »Schlangen werden sie aufheben und wenn sie etwas Tödliches getrunken haben, wird es ihnen nicht schaden« sowie in der Formulierung von V. 17a, dass die Gläubigen in der Zukunft diese Zeichen vollbringen werden. Eine ähnliche Ausrichtung auf zukünftige Wundertätigkeit findet Kelhoffer nur in Irenäus' Werk »Adversus Haereses« sowie in der gnostischen Schrift 70 »Pistis Sophia«. In V. 20a (Aufbruch der Jünger zur Mission) liegt eine Kombination von Mk 6,12a und Lk 9,66 vor. Die gesamten zwölf Verse weisen nach Kelhoffer die größte literarische Nähe zu Mt 28,8-20 auf, beide Autoren - Matthäus und der Autor von Mk 16,9ff. haben das Ende von Mk 16,8 modifiziert und beide haben die missionarische Verkündigung in die ganze Welt als Schlusspunkt gewählt. Zugleich hat der Autor des längeren Mk-Schlusses in diesen matthäischen Rahmen das Motiv des Unglaubens aus Lk 24 eingebaut. Daneben integriert der Autor des längeren Markus-Schlusses aus Joh 20 die Erscheinung vor Maria Magdalena und den zwei Jüngern sowie das Glaubensmotiv aus Joh 20. Wenn Kelhoffer als Ergebnis zu diesem materialreichen Kapitel festhält, dass Mk 16,9ff. bewusst gestaltet worden ist unter der Aufnahme bekannter literarischer Formen, um das Mk-Evangelium, das mit Mk 16,8 endete, narrativ weiterzuführen, ist das ein wenig enttäuschend für die Leserinnen, weil die Frage nach dem »Warum und Weshalb« dieser Gestaltung nicht explizit gestellt wird. Liegt hier wie M. Hengel vermutet und von Kehlhoffer beiläufig in einer Fußnote erwähnt (S. 239; Anm. 234) eine Evangelienharmonie vor oder dient dieser Markusschluss (unter Aufnahme der literarischen Formen) im wesentlichen dazu, den Hauptakteur Jesus endlich von der Bühne abtreten zu lassen (vgl. V. 19) oder liegt hier ein Text vor, der durch seine intertextuelle Kompetenz nachhaltig zu einem anderen Verstehen des Markusevangeliums auffordern will, indem dieser Text einerseits an dem aus dem Markusevangelium bekannten Thema, die Frohe Botschaft zu verkündigen, und an dem Motiv des Unglaubens anknüpft, andererseits aber entscheidende Neugewichtungen vornimmt? Die übrigen drei Kapitel dieses Buches untersuchen drei Motivkomplexe aus Mk 16, 9ff.: Wunder als Aufweis christlicher Verkündigung, der Umgang mit Schlangen sowie das Trinken von Gift. In diesen drei Motiven sieht Kelhoffer das spezifische Werk des Verfassers der V. 9-20. Im Rahmen dieser drei Motive erweist sich der Autor des »Longer Ending« als Spezialist, der im weitesten Sinn an den religionsgeschichtlichen Arrangements seiner Zeit partizipiert. In Kapitel 5 (S. 245-339) widmet sich Kelhoffer wieder sehr materialreich der Frage nach der Autorisation der Mission durch Wunderzeichen (Mk 16,17a), welche als ein Spezifikum der frühen christlichen Schriften verstanden wird. Auffällig gegenüber den Apostelakten ist nach Kelhoffer der Verzicht der namentlichen Nennung der Wundertäter, stattdessen sind in Mk 16,17a »die Glaubenden« ohne Einschränkung zu Wunderzeichen befähigt. Mit diesem Verzicht reiht sich Mk 16,9ff. ein in die Schriften des 2. und 3. Jh. von den Apologeten wie Justin der Märtyrer, Theophilos von Antiochien, Irenäus, Tertullian und Origenes, die sich auch auf christliche Wundertäter beziehen ohne diese namentlich zu nennen oder als kirchliche Autoritäten hervorzuheben. Deutlich arbeitet Kelhoffer heraus, dass sich Mk 16,9ff. einer frühchristlichen Enzyklopädie verdankt, die in weitgefächerter Weise Einträge zu dem Komplex » Wunder« bietet und in der die Akzeptanz der Wunder als normal gilt (allerdings nicht die Wunder selbst). Dennoch bleiben nach diesem Kapitel viele Fragen offen, die der Verfasser nicht aufnimmt. Ein einfaches Aufleben der These Harnacks, nach der Wunder ein wichtiges Mittel der Mission und Propaganda waren, greift hier theologisch zu kurz. Es folgt in Kapitel 6 eine religionsgeschichtliche Studie zu dem Motiv des Schlangen-Aufhebens (S. 340- 416), indem aus griechisch-römischen, jüdischen und christlichen Quellen nicht nur das schriftliche Material aufgearbeitet, sondern auch nichtliterarische Phänomene wie Vasenmalerei und Amulette Berücksichtigung finden. Dadurch enthält dieses Kapitel (sowie das folgende) eine große Breite, die aber an manchen Stellen nicht die Relevanz für das behandelte Thema ausreichend darstellt. So ist es nicht wirklich befriedigend, wenn nach gut 60 Seiten dieses Kapitels festgehalten wird: »it is not possible ... to ascertain a direct line of influence from any one of the sources . . . to the exclusion of numerous others« (S. 409). Stattdessen sei das Motiv des Schlangenaufhebens nach Kelhoffer in das größere hellenistische Umfeld einzuordnen, in dem Geschichten vom menschlichen Umgang mit Schlangen dem besonderen Machtaufweis dienten. Wenn dieses Kapitel dann noch mit Berichten zu ZNT 15 (8. Jg. 2005) Schlangenpraktiken im 20. Jh. in den Südstaaten der USA abgeschlossen wird (S. 411-415), die allerdings nicht als Vergleichsmaterial heranzuziehen seien für Mk 16,9-20, da hier ein anderer sozialer Kontext und eine andere Funktion vorliegt, bleibt die Frage, warum nicht am Anfang dieses Kapitels die methodischen Vorklärungen unternommen worden sind zum Umgang mit dem zu untersuchenden Material. Wenn aus der minoischen Kultur Vergleichsmaterial für Mk 16, 18 herangezogen wird (S. 346- 348), dieses doch gewiss auch aus einem anderen sozialen Kontext stammt, wieso scheiden die Berichte von Schlangenpraktiken aus den Südstaaten aus? Das damit abgesteckte Spannungsfeld exponiert aber zugleich die eigentliche theologische Herausforderung im Zusammenhang mit der Wunderfrage bis in unsere Gegenwart. Wenn die Selbstverständlichkeit des Schlangen-Aufhebens für die Vergangenheit begrüßt wird, aber für die Gegenwart abgelehnt wird mittels des Isolationskriteriums »total anders«, dann stimmt etwas nicht im Haushalt exegetischer Theoriebildungen, oder anders gesagt: die neutestamentliche Wissenschaft krankt bis heute am Fehlen einer methodischen Aufarbeitung der Wunderfrage. 3 Als letztes Motiv wird das Gift- Trinken ohne Vergiftungserscheinungen untersucht (S. 417-472). Auch hier liegen keine direkten neutestamentlichen Parallelen vor, die den Vers 186 beeinflusst haben könnten. Kontrastierend dazu ist in der hellenistischen-jüdischen Umwelt auch nicht nur eine Quelle auszumachen, der Mk 16,186 zuzurechnen ist, sondern es liegt wiederum ein religionsgeschichtliches Arrangement von Schriften vor, an denen der längere Markusschluss partizipiert. »Whether such depictions ultimately stem from Elijah in Hebrew Bible, the Odyssey, the Testament of Joseph or Papias concerning Justus Barsabbas is anyone's guess. With the notable exceptions of the three writings about the apostle John's drinking poison, such sparse interest in Mark 16,186 by other Christian writers highlights not only the peculiarity of this promise in the LE, but also the difficulty sensed by those who interpreted the legacy left by this second-century appendix to the Gospel of Mark«. (S. 470) Abgerundet wird die Arbeit durch eine in verschiedene Rubriken unterteilte Bibliographie (S. 481-504), sowie ein Autoren-, Stellen- und Sachregister. Insgesamt liegt hier ein materialreiches Werk vor, welches sich durch eine kompetente Kenntnis der Quellen auszeichnet. Für alle, die sich mit Mk 16,9-20 beschäftigen, dürfte es ein unverzichtbares Werk werden. Inhaltlich gelingt es dem Verfasser überzeugend, für Mk 16, 9ff. die Frage nach um Kelhoffers Untertitel aufzunehmen der »Authentication« eines planvollen, nicht zufällig rezipierten Schriftstücks zu stellen. Für die Frage nach der »Authentication« der Wunder hat das Buch eine sehr gute Materialbasis geschaffen, die hinlänglich das Spektrum dessen absteckt und ausweitet, was nach Mk 16,9ff. unter den Begriff Wunder zu fassen ist, damit ist aber die Frage nach dem methodischen Umgang mit dem Wunderbaren des Wunders keineswegs beantwortet. Kristina Dronsch Anmerkungen 1 Hug hat eine großangelegten Studie zu Mk 16,9-20 mit dem Titel »La finale de l'evangile de Marc: Mc 16,9-20« im Jahr 1978 vorgelegt. 2 Vgl. Th.K. Hecke! , Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium (WUNT 120), Tübingen 1999 und die Rezension zu diesem Buch von G. Röhser in ZNT 12 (2003), 77-79. Während Hecke! und Kelhoffer zwar in der Annahme einer Vierevangeliensammlung übereinstimmen, differieren sie in der Bewertung von Joh 21. ' Anders aber S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein exegetischer Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung (WUNT 134), Tübingen 2001, der sich explizit der Frage nach dem methodischen Umgang widmet. Mainzer Hymnologische Studien Andrea Neuhaus Das geistliche Lied in der Jugendbewegung Zur literarischen Sakralität um 1900 Mainzer Hymnologische Studien 16, 2005, 234 Seiten,€ 59,-/ SFr 100,- ISBN 3-7720-8074-X Was faszinierte moderne Großstadt-Jugendliche um 1900 ausgerechnet an geistlichen Liedern? Fromm und kirchentreu waren die Anhänger der Wandervogelbewegung nicht. Sie hofften auf Erlö- ZNT 15 (8. Jg. 2005) sung von Entfremdung, Fortschritt und Zersplitterung der Lebenswelten. Spuren der Transzendenz entdeckten sie in der Natur, aber auch im Erbe der Vergangenheit: Alte geistliche Volkslieder, gotische Bauwerke sowie Texte mittelalterlicher Mystiker wurden zu Wegmarken auf der Suche nach einem modernen Heilsziel. Die Arbeit untersucht aus literarhistorischer Perspektive das Zusammenspiel von religiöser und ästhetischer Erfahrung um die Jahrhundertwende. A. Francke Verlag Tübingen 71 72 Nach nur6 Monaten in zweiter Auflage Der vorliegende Kommentar des 1945 in Nag Hammadi entdeckten Thomas-Evangeliums besteht aus einer Einleitung, Kriterien für die Erforschung des historischen Jesus sowie einer ausführlichen Kommentierung aller 114 Logien des Thomas-Evangeliums. Er tritt der Behauptung einer gnostischen Herkunft der Logien entgegen und widerspricht auch der Abhängigkeit des Thomas-Evangeliums von den Synoptikern oder auch dem Johannes-Evangelium. Das Thomas-Evangelium enthält vielmehr gegenüber den Synoptikern und dem Johannes-Evangelium selbstständige Traditionen und gehört in den Raum eines frühen Judenchristentums. w -0 . C: Cl) 0- „'0 (U E 1 OS) > t: : buchbasel BUCH- UND MEDIENMESSE ! LITERATURFESTIVAL JUGENDLITERATURFESTIVAL i KINDERLITERATURFESTIVAL COMICFESTIVAL Freitag und Samstag 09.30 - 19.00 Uhr Sonntag 10.00 - 17.00 Uhr I www.buchbasel.ch 6. - 8. Mai 2005 Messe Basel Medienpartner l=mrnüm D ''Rlls __ ,_" BaslerZeitung lfttbandd ZNT 15 (8. Jg. 2005) r- Kohlhammer Aktuell Klaus Wengst Der Brief an Philemon 2005. 120 Seiten. Kart./ Fadenheftung Subskriptionspreis (bei Vorbestellung des Gesamtkommentars bis zum Erscheinen des letzten Bandes): € 19,-; Einzelpreis: € 23,- ISBN 3-17-018675-2 Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Band 16 Der kleinste Paulusbrief, entstanden um 55 n.Chr., erlaubt am Beispiel der Herr-Sklave-Relation einen Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit - und wie Theologie in ihr zum Zuge kommt. Das Beziehungsgeflecht zwischen Paulus, dem Sklaven Onesimus und dessen Herrn Philemon und die sich darin zeigenden Interessen werden dargestellt, die Frage nach Theologie und gesellschaftlicher Wirklichkeit aufgenommen und Paulus mit Plinius d.J., Seneca und Epiktet ins Gespräch gebracht. Dierk Starnitzke Die Struktur paulinischen Denkens im Römerbrief Eine linguistisch-logische Untersuchung 2004. 532 Seiten. Kart. € 50,- ISBN 3-17-018531-4 Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, Band 163 In dieser Arbeit wird der gesamte Römerbrief von dem Grundsatz her interpretiert, den Paulus in Röm 15, 18 für sein eigenes Reden und Tun angibt: "Ich werde nicht irgend etwas zu sagen wagen, was nicht Christus durch mich bewirkt hat". Die Kommunikation im Römerbrief neigt aufgrund des genannten Prinzips zu einer Doppelstruktur. Sie ist zum einen persönliche Rede des Paulus, zum anderen ist „durch" ihn zugleich Christus wirksam. ~ Bestellen Sie unseren Novitätenprospekt 11/ 2004 --""-- --~ (; .; ,Art~.-N_r_. -90_7_3•5•) •! ______"-, .........,_ Ulrich Becker/ Friedrich Johannsen/ Harry Noormann Neutestamentliches Arbeitsbuch für Religionspädagogen 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2005 272 Seiten. 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Novakovic, S. Pfann, E. Qjmron, and L.L.Johns 2005. Ca. 320 Seiten. ISBN 3-16-147423-6 Leinen ca.€ 110,-; in der Subskription ca.€ 90,- (Mai) Roland Deines Die Gerechtigkeit der Tora im Reich des Messias Mt 5,13-20 als Schlüsseltext der matthäischen Theologie 2005. xvu, 746 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 177). ISBN 3-16-148406-1 Leinen€ 99,- Denkwürdiges Geheimnis Beiträge zur Gotteslehre. Festschrift für Eberhard Jüngel zum 70. Geburtstag Herausgegeben von IngolfU. Dalferth, Johannes Fischer und Hans-Peter Großhans 2004. XII, 653 Seiten. ISBN 3-16-148522-x Leinen€ 139,- Michael Dübbers Christologie und Existenz im Kolosserbrief Exegetische und semantische Untersuchungen zur Intention des Kolosserbriefes 2005. XII, 377 Seiten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/ 191). ISBN 3-16-148608-0 fadengeheftete Broschur€ 64,- The Formation of the Early Church Edited by Jostein Adna 2005 . 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ISBN 3-16-148455-x faden geheftete Broschur€ 54,- Mohr Siebeck Postfach 2040 D-72010 Tübingen Fax 07071 / 51104 e-mail: info@mohr.de www.mohr.de Aktuelle Informationen per e-mail jetzt anmelden unter www.mohr.de/ form / eKurier.htm
