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ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2007
1019 Dronsch Strecker Vogel
EEcckkaarrtt RReeiinnmmuutthh Ostern - Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium D Diieetteerr ZZeelllleerr Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung RRiicchhaarrdd BB.. HHaayyss / / RR.. RR.. DDaanniieell KKiirrkk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft U Ullrriicchh VVoollpp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche GGeebbhhaarrdd LLööhhrr Eschatologie in Islam und Christentum. Die Vorstellungen über Tod und Auferstehung in den heiligen Schriften und Traditionen beider Religionen P Peetteerr LLaammppee Jesu DNS-Spuren in einem Ossuar und in einem Massengrab seine Gebeine? Von medialer Pseudowissenschaft und zuweilen unsachgemäßen Expertenreaktionen Auferstehung der Toten - eine individuelle Hoffnung? Robert C. Neville vs. Hans H. Kessler BBuucchhrreeppoorrtt AUFERSTEHUNG 4 18,- / SFr 30,90 ISSN 1435-2249 ZEITSCHRIFT NEUES TESTAMENT F Ü R Das Neue Testament in Universität, Kirche, Schule und Gesellschaft Herausgegeben von Stefan Alkier, Kristina Dronsch, Ute E. Eisen Heft 19 · 10. Jahrgang (2007) Impressum Inhalt Heft 19 · 10. Jg. (2007) Herausgeber Stefan Alkier Kristina Dronsch Ute E. Eisen in Verbindung mit Peter Busch Axel von Dobbeler Kurt Erlemann Gabriele Faßbeck Matthias Klinghardt Volker Lehnert Eckart Reinmuth Günter Röhser Thomas Schmeller Manuel Vogel François Vouga Bernd Wander Jürgen Zangenberg Anschrift der Redaktion Prof. Dr. Stefan Alkier Johann Wolfgang Goethe-Universität Fachbereich Evangelische Theologie Neues Testament - Geschichte der Alten Kirche z.H.: Kristina Dronsch Grüneburgplatz 1 D-60629 Frankfurt Manuskripte Zuschriften, Beiträge und Rezensionsexemplare werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. Anzeigen Narr Francke Attempto Verlag Telefon: (0 70 71) 97 97-0 Bezugsbedingungen Die ZNT erscheint halbjährlich (April und Oktober) Einzelheft: € 18,- / sFr 30,90 zuzügl. Versandkosten Bezugspreis jährlich: € 32,- / sFr 51,50 Vorzugspreis für Studenten jährlich: € 24,- / sFr 40,30 (Immatrikulationsbescheinigung beifügen) © 2 007 · Narr Francke Attempto Verlag Alle Rechte vorbehalten ISSN 1435-2249 Umschlagentwurf: Werner Rüb, Bietigheim-Bissingen. Satz: Fotosatz Hack, Dußlingen. Druck: Gulde, Tübingen. Bindung: Nädele, Nehren. Editorial Editorial .......................................................... 1 Neues Testament Eckart Reinmuth aktuell: Ostern - Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium ...................................... 3 Zum Thema: Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung .......................................... 15 Richard B. Hays/ J. R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft ................ 24 Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche.......................................... 35 Kontroverse: Einleitung zur Kontroverse »Auferstehung der Toten - eine individuelle Hoffnung? « (Hermann Deuser) .......................................... 44 Robert C. Neville Auferstehung .................................................. 46 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? .......... 50 Hermeneutik Gebhard Löhr und Vermittlung Eschatologie in Islam und Christentum. Die Vorstellungen über Tod und Auferstehung in den heiligen Schriften und Traditionen beider Religionen ............................................ 57 Nachgefragt Peter Lampe Jesu DNS-Spuren in einem Ossuar und in einem Massengrab seine Gebeine? Von medialer Pseudowissenschaft und zuweilen unsachgemäßen Expertenreaktionen ............ 72 Buchreport Dale C. Allison Resurrecting Jesus, T & T. Clark Publishers 2005 (rez. v. Stefan Alkier).............................. 77 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Tübingen Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Telefon (0 70 71) 97 97-0 · Telefax (0 70 71) 97 97-11 Internet: http: / / www.francke.de · E-Mail: info@francke.de ZNT im Internet: http: / / www.znt-online.de ZNT 19 (10. Jg. 2007) 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, das Themenheft zur Auferstehung greift ein sehr umstrittenes Thema christlicher Theologie auf. Die verschiedenen Beiträge zeigen in ihrer Gesamtheit, dass die Frage nach der Auferstehung der Toten zum Kernbestand christlicher Weltdeutung und zum Grundbestand christlichen Glaubens und Hoffens zählt. Allerdings gibt es keine theologische Einigkeit darüber, wie unter den Bedingungen gegenwärtigen Weltwissens angemessen von der Auferstehung Christi und der Auferstehung der Toten zu reden ist. Die Komplexität und Multiperspektivität der Frage nach der Auferstehung markiert der Beitrag von Eckart Reinmuth in der Rubrik »Neues Testament aktuell«. Er bietet ein knappes Referat wichtiger Beiträge zur Auferstehungsthematik, die nach der Debatte um die Position Gerd Lüdemanns erschienen sind und kommt gerade vermittels der Lektüre des Matthäusevangeliums zu der weitreichenden Forderung, dass auch Exegetinnen und Exegeten um der Sache willen begriffliche Arbeit zu leisten haben. In Abgrenzung zum empiristischen Begriff der Tatsache schlägt er den des Ereignisses als grundlegende Deutekategorie der Auferweckung Jesu vor. Dieter Zeller eröffnet mit einem religionsgeschichtlichen Beitrag die Rubrik »Zum Thema«. Deutlich zeigt er die strukturellen und genetischen Denkvoraussetzungen des christlichen Auferstehungsglaubens in jüdischer Theologie auf und weist die unhintergehbare Verflechtung der christlichen Auferstehungsvorstellungen mit jüdisch-christlichen apokalyptischen Kosmologien auf, die heute aber nicht mehr nachvollziehbar seien. Dennoch endet selbst der skeptische Religionsgeschichtler nicht mit diesem negativen Schluss, sondern wirft seine ganz persönliche Hoffnung in die Waagschale, die aber gerade nicht im Subjekt verhaftet bleibt, sondern alles vom Handeln Gottes erwartet. Wie kontrovers und lebhaft die Debatte in den USA geführt wird, zeigen eindrücklich Richard Hays und Daniel Kirk auf. Zur Grundorientierung strukturieren sie die anglophonen Beiträge zur Auferstehungsproblematik in drei Rubriken: 1. Zur historischen Faktizität der Auferstehung Jesu. 2. historische Studien zum Konzept von Auferstehung in der Antike. 3. theologische Reflexionen neutestamentlicher Auferstehungstexte. Einen interessanten und informativen Streifzug durch den altkirchlichen Auferstehungsdiskurs bietet Ulrich Volp, der unter anderem nochmals auf den engen Zusammenhang von Märtyrertheologie und Auferstehungstheologie in der Alten Kirche aufmerksam macht und darauf hinweist, dass die ältesten archäologischen Stätten des Christentums nicht etwa christliche Kirchen, sondern die Gräber der Märtyrer darstellen. Die Erinnerung an die Auferstehung Jesu war ein Gemeinschaft stiftender Grundbestand liturgischer Praxis. Nicht die neuzeitliche Frage nach der historischen Faktizität der Auferweckung war das große Thema altkirchlicher Theologien bzw. Apologien, sondern die nach der Denkbarkeit der leibhaften Auferstehung. Die von Robert C. Neville und Hans Kessler geführte Kontroverse zum Thema »Auferstehung der Toten - eine individuelle Hoffnung? «, die von Hermann Deuser eingeleitet wird, führt von ihren unterschiedlichen Standpunkten aus genau in die Grundfrage, die auch schon in den Beiträgen vor allem von Reinmuth, Zeller, Hays und Kirk als dringlich zu diskutieren aufgezeigt wurde: Die Frage nach der Denkbarkeit christlicher Auferweckungstheologie unter den Bedingungen gegenwärtigen Weltwissens. So kontrovers und unharmonisierbar die Antworten von Neville und Kessler auch ausfallen, so zeigen sie doch beide in ihren Argumentationen die Notwendigkeit auf, die Metaphysik der Aufklärung auch in der Theologie der Gegenwart nicht länger undiskutiert zu wiederholen. Wie ist Realität zu denken, wenn die Rede von der Auferstehung bzw. Auferweckung Sinn macht? Die Kontroverse zeigt deutlich, dass die Ausblendung metaphysischer bzw. ontologischer und kosmologischer Fragestellungen die 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 1 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 2 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Editorial christliche Theologie in die Sackgasse des Empirismus getrieben hat, gegen die Neville und Kessler mit verschiedenen philosophischen Konzepten und unterschiedlichen theologischen Ansätzen anschreiben. Zur Kontroverse innerhalb des Herausgebergremiums der ZNT führte der Beitrag in der Rubrik »Hermeneutik und Vermittlung«. Ist es angemessen, den Vergleich zwischen islamischer und christlicher Eschatologie von einem Christen schreiben zu lassen oder wäre dazu nicht gerade eine christlich-islamische Doppelautorenschaft notwendig? Gebhard Löhr eröffnet seinen Beitrag aus christlicher Perspektive mit der Infragestellung der grundsätzlichen Nähe von islamischer und christlicher Eschatologie und bemüht sich dann im weiteren Verlauf seines Aufsatzes um die Begründung der These, die beiden fraglichen Eschatologien seien gerade im Kern grundverschieden. Politische Brisanz wirft seine These auf, es führe ein direkter Weg von islamischen eschatologischen Vorstellungen zu den islamistischen Selbstmordattentätern, ohne soziologische Untersuchungen zum Profil der Selbstmordattentäter berücksichtigt zu haben. Von dieser These distanziert sich die Redaktion ausdrücklich. Mit der aktuellen Diskussion um das angeblich aufgefundene Jesusgrab beschäftigt sich der Beitrag von Peter Lampe in erfrischender und redlicher Art und Weise. Den Abschluss des Heftes gestaltet Stefan Alkier mit seiner kritischen Rezension des Buches »Resurrecting Jesus« von Dale C. Allison. Man spürt der Rezension ab, mit wie viel Gewinn Alkier dieses Buch gelesen hat, obwohl - oder vielleicht auch weil - er grundlegende hermeneutische und ontologische Standpunkte dieses Buches nicht teilt. Die Beiträge dieses Heftes bieten nicht die Lösung der Auferstehungsproblematik, aber sie informieren über die notwendige und unhintergehbare Komplexität der Fragestellung. Sie leisten das wertvollste, was Wissenschaft zu leisten in der Lage ist: zu einem perspektivenreichen, kritischen Denken anzuregen. Wir hoffen, Sie lassen sich davon anstecken. Stefan Alkier, Kristina Dronsch, Ute E.Eisen Stichwort: Fundamentalismus Stichwort: Fundamentalismus Stichwort: Fundamentalismus Stichwort: Fundamentalismus Stichwort: Fundamentalismus Stefan Alkier/ Hermann Deuser/ Gesche Linde (Hg.) R RR RReligiöser F eligiöser F eligiöser F eligiöser F eligiöser Fu uu uund nd nd nd ndament ament ament ament amentali ali ali ali alismu smu smu smu smus ss ss Analysen und Kritiken 2005, VIII, 230 Seiten, [D] 29,90/ SFr 52,20 ISBN 978-3-7720-8099-9 Fundamentalismus ist kein islamisches bzw. arabisches Sonderproblem: Vielmehr finden sich auch in der Begründung US-amerikanischer und europäischer Politik christlich-fundamentalistische Plausibilitätsstrukturen und im Konflikt zwischen Palästina und Israel sind es gerade fundamentalistische Denkweisen, die einen friedlichen Diskurs blockieren. Aber was ist Fundamentalismus? Woher bezieht er seine verführerische Kraft? Diese Frage wird religionsphänomenologisch, soziologisch, philosophisch und politikwissenschaftlich erörtert. Mit Beiträgen von Mit Beiträgen von Mit Beiträgen von Mit Beiträgen von Mit Beiträgen von Stefan Alkier, Hermann Deuser, Hans-Günter Heimbrock, Hanna Kassis, Klaus Kienzler, Mehmet E. Köktasch, Volkhard Krech, Robert C. Neville, Yossef Schwartz und Bassam Tibi Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Franc anc anc anc anck kk kke Att e Att e Att e Att e Attempt empt empt empt empto oo oo V VV VVerl erl erl erl erlag ag ag ag ag · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 2 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 3 Um Ostern war es nie ruhig. Die Behauptung, Jesus sei auferstanden, bildete von Beginn an eine Provokation. Sie wurde zum Kern des entstehenden Christentums und blieb seine größte Herausforderung. Bis heute. Wie sich ihr stellen? Entschärfungsstrategien sind kaum zu zählen, Domestikationsanstrengungen nicht minder. Aber Ostern kann nicht abgetan, nicht ›bewältigt‹ werden, indem es weltbildlich nivelliert, ausgeschlossen oder negiert wird. Die Provokation von Ostern bildet eine der bleibenden massiven Anfragen, denen auch unser spätmodernes Selbstverständnis ausgesetzt ist.* Nach zehn Jahren Die Diskussion um Ostern ist in den letzten zehn Jahren, nachdem die Aufregung um das Buch »Die Auferstehung Jesu« des Göttinger Neutestamentlers G ERD L ÜDEMANN 1 sich gelegt hatte, weiter gegangen. Aber ist sie auch voran gekommen? Die einschlägige Literatur der letzten zehn Jahre zeigt ein erhöhtes Interesse an historischen, vor allem religionsgeschichtlichen Fragen. Auch fundamentalistisch orientierte Neuerscheinungen sind zu verzeichnen. Die gegenwärtige Diskussion, für die zusätzlich eine Vielzahl von Aufsätzen zu berücksichtigen wäre, ist nicht leicht zu überblicken. Sie läuft nach meinem Eindruck auf die Frage hinaus, was mit der Rede von der Auferstehung Jesu überhaupt gemeint ist. Ist es das - wie auch immer zu beurteilende - visionäre Erleben von Menschen, 2 oder ist es ein Ereignis, das Menschen zu Zeugen werden ließ? Letztlich geht es um die Alternative zwischen Wirklichkeit oder Fiktion, Illusion oder Wahrheit. Die Positionen dieser komplexen Alternative sind z.T. so facettenreich, dass die Grenzen nicht immer leicht zu bestimmen sind. Klare Unterscheidungen und begriffliche Klarstellungen werden immer dringlicher. C ARSTEN P ETER T HIEDE und G ERD L ÜDE - MANN sind sich in ihrem schriftlichen Streitgespräch (s. Kasten) in ihrer Auffassung von historischer Faktizität im Prinzip offensichtlich einig. Der Streit dreht sich deshalb kongenial um Neues Testament aktuell Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium »Die Provokation von Ostern bildet eine der bleibenden massiven Anfragen, denen auch unser spätmodernes Selbstverständnis ausgesetzt ist.« WWiicchhttiiggee MMoonnooggrraapphhiieenn uunndd SSaammmmeellbbäännddee" ddiiee iinn ddeenn lleettzztteenn 1100 JJaahhrreenn zzuumm TThheemmaa eerrsscchhiieenneenn ssiinndd: : • Allison, D., Resurrecting Jesus, New York / London 2005 • Avemarie, F. / Lichtenberger, H. (Hgg.), Auferstehung - Resurrection (WUNT 135), Tübingen 2001 • Bieringer, R. et al. (Hgg.), Resurrection in the New Testament, FS Jan Lambrecht (BEThL 165), Leuven 2002 • Eckstein, H.-J. / Welker, M. (Hgg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002 • Hempelmann, H., Die Auferstehung Jesu Christi - eine historische Tatsache? Argumente für den Osterglauben, 3., erw. Aufl. Wuppertal u.a. 2003 • Kessler, H. (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt 2004 • Muncaster, R. O., Ist Jesus wirklich auferstanden? , Hamburg 2004 • Neusner, J. (Hg.), Faith, Truth, and Freedom. The Expulsion of Professor Gerd Lüdemann from the Theology Faculty at Göttingen University. Symposium and Documents, New York 2002 • Neusner, J. (Hg.), Im Würgegriff der Kirche. Für die Freiheit der theologischen Wissenschaft, Lüneburg 1998 • Simonis, W., Auferstehung und ewiges Leben? Die wirkliche Entstehung des Osterglaubens, Düsseldorf 2002 • Stewart, R. B. (Hg.), The Resurrection of Jesus. John Dominic Crossan and N. T. Wright in Dialogue, Minneapolis 2006 • Swinburne, R., The Resurrection of God Incarnate, Oxford 2003 • Thiede, C. P., Die Auferstehung Jesu - Fiktion oder Wirklichkeit? Ein Streitgespräch, Basel u.a. 2001 • Wright, N.T., The Resurrection of the Son of God, Minneapolis 2003 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 3 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 4 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell die Glaubwürdigkeit der Quellen, die im Blick auf die Auferstehung Jesu als historische Tatsache freilich konträr bewertet werden. 3 N.T. W RIGHT s umfangreiches Werk (s. Kasten) zielt darauf, mittels historischer Auswertung der Texte ihre Glaubwürdigkeit auf- und jede psychologisierende oder spiritualisierende Deutung abzuweisen. 4 Er versucht u.a., die Argumente für eine Historizität der Auferstehung Jesu historisch-kritisch zu analysieren und positiv zu bewerten. Wright konzediert zwar, dass sie den Osterglauben nicht begründen können. In Verbindung mit diesem Glauben entwickeln sie jedoch argumentative Kraft, die die Auferstehung Jesu als historisches Geschehen verstehen lässt. In dieser Sicht machen die Tatsache des leeren Grabes und der körperlichen Erscheinungen Jesu nach seinem Tod die Schlussfolgerung, dass Gott Jesus von den Toten erweckte, unausweichlich. Insofern ist die Auferstehung Jesu für den Bischof von Durham ein wenn auch grundstürzendes, 5 so doch historisch plausibles Ereignis. H EMPELMANN s Argumentation (s. Kasten) verläuft in anderen Bahnen, kommt jedoch, ebenfalls orientiert am Begriff der historischen Tatsache, zu einem vergleichbaren Ergebnis: »Die Auferstehung ist ein Geschehen, dem historische Faktizität nicht einfach abgesprochen werden kann, andererseits aber eine Wirklichkeit, die eine solch’ beschränkte Kategorie wie die der historischen Faktizität schlechthin transzendiert.« (32). Die Argumentation Hempelmanns ist methodisch kaum von extremen Positionen zu separieren, die mit scheinbar historischer Logik die Historizität der Auferstehung behaupten (vgl. z.B. S IMONIS , M UNCASTER ; s. Kasten). Diese Beobachtung scheint mir wichtig, weil sie die Notwendigkeit des überfälligen Klärungsbedarfs unterstreicht. Wenn evangelikale Verteidiger und ›aufgeklärte‹ Oster-Bestreiter sich in vergleichbarer und unkritischer Weise des historischen Paradigmas bedienen, um ein Geschehen als geschichtliches zu beweisen oder zu widerlegen, steht dessen sachbezogene Tragfähigkeit in Frage. Der kurze Blick auf die jüngste Diskussion um Ostern zeigt, dass auch gegenwärtige theologische Veröffentlichungen noch von den Fragestellungen geprägt sind, die mit dem Aufkommen des Historismus an die Auferstehung Jesu zu richten waren. Aber im Diskurs der Geschichtswissenschaft wie der Theologie ist Ostern als historische Tatsache fehl am Platz. Deshalb sind alle scheinbar historisch verfahrenden Bestreitungen und Apologien es auch. Der Subtext der Diskussion 6 wird nach meinem Eindruck immer noch von der ungelösten Frage bestimmt, wie in der neutestamentlichen Wissenschaft das Verhältnis von historischer und theologischer Arbeit zu bestimmen ist. Solange jedoch nicht klar ist, wie die Reichweite, Funktion und Geltung des empiristisch imprägnierten historischen Paradigmas theologisch zu bestimmen ist, wird es der akademischen Theologie kaum gelingen, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und die unglückliche Alternative von Historismus und Fundamentalismus zu überwinden. Andererseits ist das Selbstverständnis der exegetisch arbeitenden Disziplinen spürbar in Bewegung. Viel stärker wird ihre theologische und religionspädagogische Verpflichtung bedacht, werden historistische Engführungen überwunden, werden Fragen einer Ethik der Interpretation reflektiert, wird das Ganze der Texte mit seinen narrativen und argumentativen Strukturen in den Blick genommen. Diese Entwicklung ist vielversprechend. Sie muss keineswegs dazu führen, die Rede von der ›Wirklichkeit‹ 7 bzw. der ›Realität‹ 8 der Auferstehung aufzugeben. Mit Begriffen wie diesen geht es um das Anliegen, Ostern als etwas unabhängig von unserm Dafürhalten sich Ereignendes, als das - traditionell-theologisch formuliert - extra nos des Handelns Gottes zu verstehen. Hier ergeben sich neue Perspektiven für die Rückfrage nach dem Neuen Testament. Matthäus: Jesus blieb jeden Beweis schuldig Ich will vor diesem Hintergrund den Blick auf das Matthäusevangelium richten, jedoch nicht beim »Der Subtext der Diskussion wird nach meinem Eindruck immer noch von der ungelösten Frage bestimmt, wie in der neutestamentlichen Wissenschaft das Verhältnis von historischer und theologischer Arbeit zu bestimmen ist.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 4 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 5 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung Ende, bei den Ostergeschichten einsetzen, sondern an der Schwelle zum öffentlichen Auftreten Jesu. In der Versuchungsgeschichte (Mt 4,1-11) steht die Identität Jesu zur Debatte. Bist du Gottes Sohn, so lautet die Voraussetzung, die der Gegenspieler in eindringlicher Einförmigkeit seinen beiden ersten Proben voranstellt. Zweimal bezieht sich der Versucher auf die Gottessohnschaft Jesu mit ihrer Proklamation hatte die Taufperikope (3,13-17) unmittelbar vorher geschlossen, und es war derselbe Geist, der in der Taufe zum Identitätsmerkmal Jesu wurde, der ihn jetzt in die Wüste führt. Um die tatsächliche Identität Jesu aber geht es Matthäus mit seiner gesamten Erzählung. Denn diese fragliche, in Frage gestellte Bedingung - »wenn du denn Gottes Sohn bist - bist du denn Gottes Sohn? « - bildet einen markanten Rahmen um die von Matthäus erzählte öffentliche Wirksamkeit Jesu. 9 Gezielt lässt er die Schaulustigen in der Kreuzigungsszene, die Bystanders dieser tödlichen Folterung, dieselben Worte an den Gekreuzigten richten. Bist du Gottes Sohn, dann steig herab. Es ist also gerade diese metaphorische Identitätsbezeichnung, die Jesus in der Kreuzigungsszene entgegengehalten wird: Bist du Gottes Sohn, dann steig herab vom Kreuz (27,40)! Er hat Gott vertraut, der soll ihn nun retten; schließlich hat er gesagt »Gottes Sohn bin ich« (27,43). »Wenn du Gottes Sohn bist« - in dieser Formulierung stimmen Mt 4,3.6 und 27,40 überein. Es ist die Identität Jesu, die in Versuchung und Passion auf dem Spiel steht. Aber in welchem Sinne? Ich will das zunächst an der zweiten Versuchung verdeutlichen und dazu auf eine Parallele oder eher eine Antiparallele aus der hellenistischen Literatur hinweisen. Zunächst Matthäus: Er erzählt, dass der Gegenspieler Jesus in die heilige Stadt führt, auf die oberste Spitze des Tempels stellt und zu ihm sagt: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Ps 91,11f.): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Jesus entgegnet: Wiederum steht auch geschrieben (Dtn 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« (Mt 4,5-7). Ein paar Jahrzehnte nach Matthäus schreibt ein griechischer Reiseschriftsteller namens Pausanias (geb. zwischen 111 und 115 n.Chr.) seine Beschreibung Griechenlands, eine Art kulturgeographischer Fremdenführer in 10 Büchern. 10 Im ersten Buch, das der Beschreibung Attikas gewidmet ist, schildert Pausanias einen athenischen Altar und die Geschichte, die zu seiner Errichtung führte: Der sogenannte Altar des Anteros (›Anti-Eros‹, Gegenliebe) in der Stadt soll ein Weihgeschenk von Metoiken sein, weil Meles, ein Athener, einen Metoiken (freier ›Mitbewohner‹ Athens Eckart Reinmuth Prof. Dr. Eckart Reinmuth, 1951 in Rostock geboren, studierte Evangelische Theologie in Greifswald, wurde 1981 in Halle promoviert und habilitierte sich 1992 in Jena. Er war Gemeindepastor in Mecklenburg und Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Naumburg und der Universität Erfurt. Seit dem Sommersemester 1995 lehrt er an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Seine Hauptforschungsgebiete sind die antik-jüdische Literatur und ihre Hermeneutik sowie moderne Literatur- und Geschichtstheorien in ihrer Bedeutung für die Auslegung des Neuen Testaments heute. Veröffentlichungen unter: http: / / www.theologie.uni-rostock.de/ reinmuth.htm. Letzte Buchveröffentlichungen: Hermeneutik des Neuen Testaments (UTB 2310), Göttingen 2002; Neutestamentliche Historik - Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003; Paulus. Gott neu denken (BG 9), Leipzig 2004; Der Brief des Paulus an Philemon (ThHK 11/ II), Leipzig 2006; Anthropologie im Neuen Testament (UTB 2768), Tübingen 2006; zusammen mit K.-M. Bull: Proseminar Neues Testament. Texte lesen, fragen lernen, Neukirchen- Vluyn 2006. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 5 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 6 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell auswärtiger Herkunft) namens Timagoras, der ihn liebte, 11 aus Hohn aufforderte, auf die höchste Spitze eines Felsens zu klettern und sich dann hinabzustürzen. Timagoras setzte sein Leben daran und wollte dem Jüngling und seinem Befehl zu Willen sein und stürzte sich hinab. Als Meles den toten Timagoras sah, wurde er von einer derartigen Reue ergriffen, dass er sich vom gleichen Felsen hinabstürzte und so verstarb. Von dieser Zeit an wurde es bei den Metoiken gebräuchlich, den Anteros als den Rächer des Timagoras zu verehren. Eine berührende Geschichte, die für den Autor schon lange zurück liegt. Es geht um ein Denkmal der unerwiderten Liebe des Timagoras zu Meles, denn dieser verschmähte seine Liebe und trieb ihn stattdessen in den Tod. Es geht um Liebe und nicht erwiderte Gegenliebe. Die Unterschiede zwischen beiden Texten sind groß, vielleicht zu groß, um diese Texte zu vergleichen. Aber wer will ausschließen, dass man sich beim Hören oder Lesen des Matthäusevangeliums auch an Geschichten wie diese erinnert fühlen konnte? Da sind schließlich auch Gemeinsamkeiten. Es geht in beiden Geschichten darum, etwas zu beweisen. Der begehrende Timagoras wird von dem Jüngling Meles dazu gebracht, seine Liebe zu beweisen. Wir können nur mutmaßen, warum er sprang. Rechnete er damit, dass ihm die Liebe Flügel verleihen würde? Jesus soll dazu gebracht werden, seine Identität - die des geliebten Sohnes (vgl. 3,17! ) - unter Beweis zu stellen. Er springt nicht. Er bleibt den Beweis dieser Liebe des Vaters schuldig. Was würde geschehen? Würde er fallen oder fliegen? Es geht in beiden Geschichten auch um eine Machtfrage. Beide Versuchungen bestehen darin, dass sie mit ihrer Aufforderung zu springen Macht auszuüben versuchen. Mit Liebe verträgt sich das nicht. Der erbrachte tödliche Liebesbeweis erinnert daran, dass gerade der Beweis zum Tod der Liebe wird. Jesus erbringt im Matthäusevangelium nie den ›Beweis‹ für seine Möglichkeiten. Er springt nicht, er zitiert keine Legionen herbei, als er gefangen wird (26,53) - obwohl er es, davon ist Matthäus überzeugt, könnte -, er steigt nicht vom Kreuz - obwohl die Leute doch wohl Recht haben, wenn sie die Worte des Versuchers wiederholen. Das genau gehört zur Christus-Logik des Matthäus. Ihr entspricht auch die Erzählung von der Ablehnung Jesu in Nazareth - Jesus konnte dort fast keine Wunder tun; 13,58. Aber so ist die Stelle falsch zitiert. Von einem Nicht-Können spricht Markus, nicht Matthäus. Mk 6,5 heißt es: »er konnte nicht« - 12 Mt 13,58 lautet: »er tat nicht« - er konnte, aber er tat nicht, ›fast‹ nicht. Warum? Matthäus bleibt die Antwort nicht schuldig, sie folgt im selben Satz - weil sie ihm nicht glaubten, wegen ihres Unglaubens (apistia). Matthäus macht deutlich, dass es im Blick auf die tatsächliche Identität Jesu um Glauben geht - einen kraftvollen Glauben, der offensiv auf Beweise verzichtet. Obwohl - oder gerade weil - er um Zweifel, Anfechtung, Ärgernis, Kleinglaube weiß. Und obwohl und weil er um Ablehnung, Unglaube, Gerüchte und Anschuldigungen weiß. Das ist nicht dasselbe; die beiden Aufzählungen sind für Matthäus nicht kongruent. Blicken wir auf Ostern im Gesamtkontext des Matthäusevangeliums, so wird deutlich, dass die Konnotationen von Pistis und Apistia, Glauben und Nichtglauben zu unterscheiden sind. Zur Pistis gehören Zweifel, Anfechtung, Ärgernis, Kleinglaube; zur Apistia gehören Ablehnung, Gerüchte und Anschuldigungen. Die erzählerische Gestaltung des Matthäus erfordert hier eine deutliche Differenzierung. Blicken wir zunächst auf den ersten Komplex: Zweifel, Anstoß, Kleinglaube. Matthäus zeigt einen prägnanten Sprachgebrauch von ›Anstoß erregen, Ärgernis bereiten‹ (skandalizein / skandalon). Er bietet mit 14 Vorkommen des Verbs (von 29 im NT [3x Paulusbriefe], 26 in den Evangelien [Mk 8, Lk 2, Joh 2]) die höchste Zahl der Verbverwendung. Das Substantiv Skandalon / Ärgernis findet sich im NT 15x; davon bieten Matthäus (5x) und das Corpus Paulinum (6x) das höchste Aufkommen. Die prägnante, auf Jesus und seinen Weg bezogene Verwendung von ›Ärgernis, Anstoß‹ (skandalon) und ›Ärgernis bereiten, zum Bösen verleiten‹ (skandalizein) durch Matthäus ist aufschlussreich. Das Verb ist außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition so gut wie unbekannt, ebenso wie der übertragene Gebrauch des Substantivs; es geht etymologisch auf das Stellholz an der Falle zurück, das ›hochschnellt‹ - ›zurückschnellen, zuklappen‹ -, und bezeichnet dann pars pro toto die Falle selbst. Seine entscheidende Prägung erhielt 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 6 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 7 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung es durch den Gebrauch der griechischen Übersetzung der Schriften Israels (LXX): Hier bekam es die Bedeutung ›Anstoß geben, irre machen, zur Sünde verleiten‹; im Passiv ›Anstoß nehmen‹ usw. Ich kann die matthäischen Belege hier nicht im einzelnen durchgehen. Aber Matthäus ist es offensichtlich wichtig zu erwähnen, dass Jesus als Verführung zum Bösen, als Verleitung zur Sünde wahrgenommen werden konnte - und das auch da, selbst da, wo es um seinen wehrlosen Weg in Passion und Tod geht. Das zeigt sich besonders deutlich in 26,31: ihr alle werdet in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen; vgl. die Bestreitung durch Petrus V. 33. 13 Nicht die Unbewiesenheit des Glaubens ist für Matthäus das Skandalon, sondern der Inhalt - dass der Sohn, der geliebte Sohn Gottes, diesen Weg geht und so zeigt, wie Gott mit uns ist (1,23). Ähnliche Beobachtungen können wir mit dem Stichwort ›Kleinglauben‹ machen. Auch hier handelt es sich um einen konzeptionellen Sprachgebrauch. Das Wort ›Kleingläubige‹ erscheint bei Mt 8,26; 14,31; 16,8 und an einer Stelle, deren Formulierung aus der Logienquelle Q bezogen sein kann: 6,30 / Lk 12,28. Daneben ist auch der einmalige Substantivgebrauch ›Kleinglaube‹ in 17,20 zu berücksichtigen. 14 Es ist also ein für Matthäus wichtiger Begriff. Gemeint ist nicht Unglaube, sondern versagender Glaube, der ›zu wenig‹ ist angesichts dessen, was von ihm gefordert und erwartet wird - ein Glaube, der den Ansprüchen der Wirklichkeit nicht standhält. Matthäus tilgt zwar weitgehend das bei Markus bestimmende Bild vom Unverständnis der Jünger, aber betont um so mehr ihr Versagen in Glauben und Gehorsam, ihre Gefährdung durch Kleinglaube und Zweifel. Dem, was er Kleinglaube nennt, steht ein Glaube gegenüber, der seine dringlichste Metapher im Senfkorn hat. Die Heilung des Mondsüchtigen endet mit der Jüngerfrage (17,19): Warum konnten wir ihn nicht heilen? Jesus antwortet: Wegen eures Kleinglaubens. Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin! , so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein (17,20). Matthäus gestaltet damit einen intratextuellen Bezug auf 13,31f. 15 Er spielt auf einen Erzählinhalt an, den er bereits narrativ entfaltet hat. Jeder kann wissen, was mit der Wendung ›Glauben wie ein Senfkorn‹ gemeint ist. Das Gleichnis Mt 13,31f. spricht von einem Prozess, vom ›kleinsten‹ unter den Samenkörnern, von seinem erstaunlichen Wachsen usw. Seine einzige Qualität ist seine Geringheit, Kleinheit, und seine Geschichte beginnt damit, dass es ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Wenn also diesem Bild kontrastierend der Kleinglaube gegenübergestellt wird, kann es nicht um zu wenig Quantität an Glauben gehen, sondern es muss um die Art des Glaubens gehen. Diese Art Glauben meint ein rückhaltloses Vertrauen in die überwindende Kraft des verschwindend Geringen. Ärgernis, Kleinglaube - und der Zweifel? Er findet sich da, wo er am wenigsten zu erwarten wäre: bei der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern. Ich schließe daraus, dass Matthäus seine Ostergeschichten keineswegs als den entscheidenden Beweis für die tatsächliche Identität Jesu versteht. Die kleine Notiz genau an der einzigen Stelle, wo Matthäus die unzweifelhafte Gegenwart des Auferstandenen in der Begegnung mit seinen Jüngern erzählt, ist überraschend. Sie ist im Griechischen wie im Deutschen drei Worte lang: Einige aber zweifelten (28,17). Diese Notiz bringt zum Ausdruck, dass selbst in dieser Situation Zweifel an der Osterwirklichkeit möglich war und tatsächlich bestand. Das griechische Wort für zweifeln, zögern hat im Deutschen wie im Griechischen etwas mit ›Zwiespältigkeit‹ zu tun: Man ist sich im Unklaren, welche Wirklichkeitsannahme zutreffend ist; es könnte so sein, aber auch ganz anders. Das Verb ›zweifeln‹ findet sich bei Matthäus nur noch in 14,31 - hier im Kontext von Kleinglaube: Petrus tut es Jesus nach und wandelt auf dem Wasser. Doch als er den starken Wind sieht, erschrickt er und beginnt zu sinken: Herr, hilf mir! Jesus aber streckt seine Hand aus, ergreift ihn und sagt zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Der Zweifel, von dem Matthäus spricht, ist also nicht eine Sache des Unglaubens. Er gehört zum Glauben. Er macht aus Glauben Kleinglauben. Wie sollen wir uns also die Mt 28,17 imaginierte Situation vorstellen? Der Auferstandene 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 7 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 8 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell lässt sich vor den elf Jüngern sehen: Sie sehen ihn, und sie antworten mit einer Proskynese; sie fallen auf ihre Knie und huldigen ihm. Einige jedoch können sich nicht auf dieses Erleben einlassen - es ist offensichtlich keine Frage unstrittiger Faktizität, sondern eine Frage ihres Glaubens. 16 Soviel zu den Männern. Auch die Reaktion der Frauen ist nicht ungeteilt. Am Beginn des Kapitels 28 wird erzählt, welch Schrecken die Wachen am Grab befällt, als sie die Folgen der Auferweckung des Gekreuzigten erleben: Erdbeben, ein Engel vom Himmel, der den Stein wegwälzt und sich darauf setzt; er ist anzusehen wie ein Blitz, sein Gewand leuchtet weiß wie Schnee. Eben dieser Engel fordert die Frauen zu einer anderen Reaktion auf: Ihr jedoch sollt euch nicht fürchten (wie in diesem Moment die Wachen; V. 4); ihr sucht ja Jesus den Gekreuzigten. Hier ist er nicht; erweckt ist er, wie er gesagt hatte. Die direkte Rede des Engels schließt in V. 7; Matthäus erzählt in V. 8 die Reaktion der Frauen: Und sie eilten schnell vom Grab weg, voll Furcht und großer Freude und liefen, es seinen Jüngern zu berichten. Wieder ist vom Schrecken die Rede, diesmal der Frauen. Auch ihre Reaktion ist also nicht ungeteilt, und der ihnen begegnende Jesus mahnt erneut: Fürchtet euch nicht! (V. 10; an allen genannten Stellen [V. 4.5.8.10] wird dasselbe griechische Substantiv bzw. Verb verwendet). Nun könnte man natürlich denken, Matthäus habe eine zweideutige Realität im Sinn gehabt; er habe sich den Auferstandenen wie ein Phantom, wie eine Halluzination usw. vorgestellt. Aber das wäre ein schwer wiegendes Missverständnis. Das lässt sich an den merkwürdigen Machenschaften und Gerüchten ablesen, von denen Matthäus im Zusammenhang seiner Ostererzählung berichtet. In Mt 27,62-66 geht es um die von den Hohepriestern (und Pharisäern) erwirkte Bewachung des Grabes durch römische Soldaten. Sie sollen verhindern, dass die Jünger den Leichnam Jesu rauben und anschließend behaupten, Jesus sei tatsächlich - entsprechend seiner Ankündigung, die in V. 63b zitiert wird - durch Gott auferweckt von den Toten. Die denkbare Möglichkeit, dass der Osterglaube auf Jüngerbetrug beruhen könnte, wird also ausdrücklich erwähnt, durch den erzählten Verlauf der Ereignisse jedoch ausgeschlossen. Es sind vielmehr erneut die Hohenpriester (und Ältesten), die nun zum Mittel des Betrugs greifen (28,11-15). Sie bestechen die Soldaten, genau das zu behaupten, was sie selbst dazu bewogen hatte, das Grab bewachen zu lassen: Die Jünger hätten den Leichnam nachts gestohlen, während die Wache schlief. Betrug gegen angeblichen Betrug, Vorwurf gegen Vorwurf - wir haben einen klaren Fall matthäischer Erzählironie vor uns. Für Matthäus ist der Gang der Ereignisse eindeutig, auch wenn es andere, unzutreffende Auffassungen geben mag (vgl. 28,15: Das Gerücht vom Grabraub der Jünger hat sich bis heute gehalten). 17 Damit ist nun - so verstehe ich Matthäus - eine klare Grenze markiert. Denn der Streit um das, was geschah, wird auf der Ebene der historischen Recherche kein Ende finden. Immer wird es Menschen geben, die andere Erklärungen für den Glauben an den Auferstandenen finden als die, die in der Begegnung mit dem Lebendigen selber gründet. Der Glaube wird bis zum Ende der Zeit ohne jeden Liebesbeweis (s.o.) auskommen und jeden Beweis schuldig bleiben. Aber das ist nicht seine Schwäche. Das ist, so versucht Matthäus mit seiner Christus-Logik zu verdeutlichen, seine Stärke. Ostern kann bestritten werden; Ostern kann geglaubt werden. Das ist die theologisch durchdachte, matthäische Alternative. Diese Alternative aber steht quer zu der sich scheinbar endlos fortschreibenden Alternative zwischen Historismus und Fundamentalismus, die immer noch die Diskussion um das neutestamentliche Osterzeugnis bestimmt. Es ist überdies eine Diskussion, die die Frage nach Ostern in merkwürdiger Weise von den Texten, von ihrer Eigengeprägtheit und vom jeweiligen Textganzen abstrahiert. Das Matthäusevangelium kann uns daran erinnern, dass das Osterereignis nicht, wie es in Exegese und Theologie gern geschieht, von seinem Kontext, der Geschichte Jesu Christi, als besonders schwieriges Kapitel abstrahiert werden darf, sondern einem Glauben entspricht, der diese Geschichte als Ganze wahrnimmt und als wahr bekennt. Es ist ein Glaube, so haben wir gesehen, der 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 8 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 9 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung nichts als Beweis instrumentalisiert, selbst den Auferstandenen nicht weil er sich an diesen und nichts anderes gebunden hat. Es ist ein Glaube, dessen eigene Versuchung in der Versuchungsgeschichte Jesu vorabgebildet ist: Bringst Du den Beweis, so hast Du Deine Identität verloren. Matthäus bleibt jeden Beweis dafür schuldig, was sich tatsächlich in der Geschichte Jesu Christi ereignet hat. Was aber ist dann für Matthäus der Grund des Glaubens? Was heißt es für Matthäus, Ostern als Ereignis zu denken? Hier helfen uns die Textbeobachtungen weiter. Für Matthäus ist die Auferweckung Jesu aus dem Tod ein Ereignis, das durchaus zwiespältige Deutungen erfahren kann. Matthäus verwendet seine theologische Sorgfalt auf den Hinweis, dass die Auferweckung Jesu anders gesehen werden konnte, jedenfalls in den Augen der Unbeteiligten, ja selbst der Eingeweihten. Ein Ereignis, das Zwiespalt zulässt. Kein Ereignis also im Sinne einer Tatsache, die keinen Zweifel kennt. Sondern ein Ereignis des Handelns Gottes, der jeden Zweifel zulässt. Das Ereignis denken Vielleicht hilft hier die Etymologie des Wortes, das Entscheidende zu verstehen. Ereignis heißt ja ›das vor Augen Gestellte‹ - von ereignen, vor Augen stellen (ahd. ouga Auge) 18 . Es geht um das sich dem Auge Bietende, von uns Wahrgenommene, unserem Fassungsvermögen Erkennbare. Ein reflektierter, vom alltagssprachlichen Gebrauch ausgehender Begriff versteht ein Ereignis als bedeutsames Geschehen. 19 Was macht ein Geschehen zum Ereignis? »Eine Umfrage würde wohl zu Tage fördern, dass ein Ereignis als Einbruch oder Einschnitt begriffen wird, etwas, das überrascht und wonach das eigene Leben, das Umfeld, die Lebenswelt nicht mehr die sind, die sie vorher waren.« 20 Zu Recht nannte der Systemtheoretiker N IKLAS L UHMANN das Ereignis eine »Auffassungsform«. 21 Entscheidend ist folglich seine Rezeption. Ein Geschehen wird zum Ereignis, wenn ihm eine eigene Bedeutung verliehen wird. 22 Das erfordert Sinnbildungsprozesse, die, wie v.a. P AUL R ICŒUR wirksam ausgearbeitet hat, im Erzählen realisiert werden. Ereignisse werden »im Kontext von Erzählungen identifiziert«. 23 In der gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Diskussion hat der Ereignisbegriff zwei entscheidende Profilierungen erfahren. Zunächst zur geschichtstheoretischen Diskussion: Die theoretischen Voraussetzungen der Konzeption L EOPOLD VON R ANKES , der Geschichte gezielt als Ereignisgeschichte aufgefasst hatte, wurden v.a. durch die französische Schule der Annales und ihre Vordenker bereits mit der Wende zum 20. Jahrhundert überholt. Sie hinterfragten den Begriff ›Ereignis‹ als objektive historiographische Kategorie. Auch in Deutschland 24 wurden diese neuen struktur- und sozialgeschichtlichen Impulse intensiv rezipiert. Bahnbrechend für eine erneute Reflexion des historischen Ereignisbegriffs war erst die Veröffentlichung eines Sammelbandes der Konstanzer Forschergruppe »Poetik und Hermeneutik« von 1973. 25 Eine wesentliche Anregung verdankt diese neuerliche historische Ereignisdiskussion der Rezeption Foucaults, insofern der Begriff nun diskursiv gedacht werden konnte, Ereignisse also in Anbindung an je konkrete Diskurse verstanden wurden. 26 Die theoretische Diskussion um die Rolle von Ereignissen für die Geschichtsschreibung ist längst nicht abgeschlossen. 27 Auch in der französischsprachigen philosophischen Diskussion spielt der Ereignisbegriff (événement) eine wichtige Rolle. Dabei ist v.a. der Einfluss H EIDEGGER s 28 auf L YOTARD 29 und D ERRI - DA 30 und weitere Philosophen zu berücksichtigen. Der hier entwickelte Ereignisbegriff steht quer zu dem der geschichtstheoretischen Diskussion. 31 Geht es bei dieser um eine Neubewertung der Ereignishaftigkeit der Vergangenheit für die Geschichtsschreibung, so wird in den Re- Lektüren Heideggers die Frage gestellt, wie Ereignisse überhaupt erst Zeit- und Geschichtsbewusstsein konstituieren. 32 Diese Frage darf jedoch, so fordert Barbara Naumann, auch von der Historik nicht ausgeblendet werden. 33 In prononcierter Weise hat der französische Philosoph A LAIN B ADIOU vor diesem Hintergrund den Ereignisbegriff aufgenommen 34 und auf die Auferstehung Jesu Christi und ihre Bedeutung für Paulus angewendet. 35 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 9 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 10 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell Badiou geht davon aus, dass die Auferstehung Jesu weder für uns noch für Paulus selbst »der Ordnung des Faktischen, des Falsifizier- oder Beweisbaren, angehört. Sie ist reines Ereignis, Eröffnung einer Epoche, Veränderung der Beziehungen zwischen Möglichem oder Unmöglichem. Denn anders als ein partikulares oder mirakulöses Faktum ist die Auferstehung Christi nicht an sich von Interesse. Ihr wahrer Sinn besteht darin, dass sie den möglichen Sieg über den Tod bezeugt, jenen Tod, den Paulus ... nicht als Faktizität, sondern als subjektive Disposition auffasst. Daher ist die Auferstehung beständig mit unserer Auferstehung zu verbinden.« 36 Badiou verwendet das Stichwort ›Ereignis‹ in einem ungewöhnlich qualifizierten Sinn. Der zitierte Passus gibt zu erkennen, dass Badiou zwischen einem ›Ereignis‹, das bezeugt und bekannt, und dem Faktischem, das bewiesen oder falsifiziert werden kann, unterscheidet. Als Ereignis hat die Auferstehung universale Bedeutung. Sie ist ein Datum, das grundlegende Veränderungen bewirkte. Als ›Faktum‹ begriffen wäre sie ein Mirakel mit beschränkter Geltung. Ihre Bedeutung läge im Faktischen selbst. Alles Interesse würde ihrer Tatsächlichkeit gelten, in der sich ihr ›Sinn‹ erschöpfen würde. Demgegenüber liegt der ›Sinn‹ der Auferstehung Christi darin, den »möglichen Sieg über den Tod« zu bezeugen. Für Badiou ist die Auferstehung Christi freilich ein fiktives Ereignis, eine »mythologische Behauptung«. 37 Die Überlegungen Badious zur universalen Bedeutung der Auferstehung Jesu sind in diesem Sinne theoretisch, sie sind als Interpretation einer geschichtsträchtigen Behauptung mit universaler Wirkung zu verstehen. 38 Sie können deshalb die theologische Interpretation, die Ostern als Ereignis des Handelns Gottes begreift, nicht ersetzen. Die theologische Behauptung der Ereignishaftigkeit der Auferstehung basiert exklusiv auf dem Handeln Gottes, nicht auf historischer Evidenz. Allein aus diesem Grund wahrt die Rede von der Auferstehung Jesu die strikte Unsichtbarkeit dieses Ereignisses (s.u.). Paulus formuliert 2Kor 4,18b ein solches Kriterium mit den Worten: Das Sichtbare ist an die vergehende Zeit gebunden (proskaira), das Unsichtbare indessen unvergänglich (aiona). Es ist an Gottes Zeit gebunden. Paulus denkt das lebenschaffende Handeln Gottes an Jesus Christus, den Menschen und allem Sein analog. Es ist der Schöpfergott, der Leben gibt, der Glaubenden das Leben zur Erfahrung werden lässt (2Kor 4,6), der Tote lebendig macht und das Nichtseiende ruft, dass es sei (Röm 4,17); es ist dieser Gott, der das Niedrige und Verachtete, sogar das Nichtseiende erwählt hat, um das zunichte zu machen, was ist (1Kor 1,28). Von einem fiktiven Ereignis zu sprechen, ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Kategorie des Ereignisses ist vielmehr in theologischer Hinsicht unaufgebbar, wenn es um die Auferstehung Jesu Christi geht. 39 Dieser Begriff ermöglicht es, die Ereignishaftigkeit des Lebens Jesu, seine Kontingenz und Konkretheit, mit dem lebenschaffenden Handeln Gottes an ihm zusammenzudenken. Deshalb ist theologische Arbeit an dieser Stelle unersetzbar. Sie hat die Aufgabe, das Ereignis der Auferstehung vor der Abstraktion in eine Idee zu schützen. Vom Ereignisbegriff ist der der ›Tatsache‹ 40 zu unterscheiden. Er taucht im Deutschen erstmalig 1756 auf (in einer Übersetzung eines englischsprachigen Werkes von J. Butler). Der Begriff ›Tatsache‹ entstammt ursprünglich einem theologischen Kontext; hier geht es um »Sachen der Tat«, und zwar der Tat Gottes. Also konkret um sein belohnendes oder strafendes Handeln (als Akte der Heilsgeschichte; hier wurzelte die Konzeption supranaturaler Tatsachen), das in der Weltgeschichte 41 wiedererkannt wird. Sehr bald geht es dann in säkularisiertem Verständnis um isolierte Geschichtstatsachen; dieses Verständnis wurde zu unserem Alltagsverständnis. Hierauf aufbauend findet sich das einem ursprünglich juristischen Kontext entstammende ›Faktum‹ (z.B. als ›Delikt‹). Als ›tatsächlich‹ kann »das in der Zeit Wirkliche oder Verwirklichte bezeichnet werden.« 42 Es geht zugleich um Neutralität: Die Konstatierung einer Tatsache schließt keine Wertung ein. »Eine theologische Verwendung des Ereignisbegriffs hat sich vor jeder Mystifizierung zu hüten, die erneut in der Gefahr stünde, die Auferstehung Jesu Christi zu einem Mirakel zu machen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 10 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 11 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung Eine theologische Verwendung des Ereignisbegriffs hat sich vor jeder Mystifizierung zu hüten, die erneut in der Gefahr stünde, die Auferstehung Jesu Christi zu einem Mirakel zu machen. Es geht vielmehr darum, diesen Begriff mit transdisziplinärer Kompetenz so zu verwenden, dass das Ereignis des lebenschaffenden Handelns Gottes in metaphorischer Analogie und Unterschiedenheit zum historischen Ereignis gedacht werden kann. Was zu unterscheiden ist Wir können festhalten: Der Begriff der Tatsache ist im strengen Sinn aufgrund seiner Geschichte (die eine Geschichte der Säkularisierung war) für die Auferweckung Jesu bei Matthäus nicht verwendbar. Denn einer Tatsache kann mit Zweifel nicht begegnet werden. Dennoch geht es ihm um etwas völlig anderes als Halluzinationen oder subjektive Einbildungen. Matthäus jedenfalls unterlässt es genau aus diesem Grund, die Auferweckung Jesu zu schildern. Er spricht von ihr, weil er von ihren Wirkungen sprechen muss. Sie lassen nur einen Schluss zu - jedenfalls für die, denen sich der erinnerte Irdische als gegenwärtig Wirkender erschließt. Matthäus schützt damit auch das Ostergeschehen und schildert es nicht als eine allgemeiner Erfahrung zugängliche Tatsache. Er schildert keinen Vorgang, sondern seine zwiespältigen Wirkungen. Dieser Logik entspricht auch die Klammer, die zwischen den letzten Worten Jesu und dem Angebot des Versuchers besteht. Trat er am Anfang mit der Machtbefugnis auf, Jesus die Herrschaft über alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit zu geben (4,8f.), so ist es am Ende Jesus, ebf. auf einem Berg 43 wie in der Versuchungsszene, der seine Beauftragung an die Jünger mit den Worten beginnt: Alle Machtbefugnis ist mir übertragen - im Himmel wie auf der Erde. Alles ist ihm vom Vater übertragen (so konnte er schon 11,27 sagen) - nur, um bei unserer Frage zu bleiben: Beweisen lässt sich das gegenwärtig nicht. Im Gegenteil, unendlich viel spricht dagegen. Beweisen wird das erst das Ende der Weltzeit - mit diesem Hinweis endet das Matthäusevangelium (28,20b). Was gegenwärtig geschieht, das Lehren, Halten und Taufen (V. 19), geschieht einzig im Vertrauen auf diese Machtbefugnis. Es wird das immer neue Sprechen und Verstehen der Geschichte Jesu Christi sein, das ohne Kreativität und Freiheit, ohne das Erlernen neuer Sprachen nicht zu haben ist. Matthäus verlässt also nicht das strenge Kriterium des Glaubens, wenn es um die Präsenz des Auferstandenen und um das Ereignis geht, das ihn zum Lebenden und Gegenwärtigen machte. Erneut und ganz von selbst ist nun noch einmal das Wort ›Ereignis‹ gefallen. Matthäus denkt die Auferweckung Jesu als Ereignis; besser gesagt, er denkt sie so, dass unser Wort ›Ereignis‹ dem am besten entspricht. Dieses Wort entspricht vielleicht am besten der Folgerungslogik, die Matthäus mit dem frühen Christentum teilt. Die gegenwärtigen Erfahrungen der Glaubenden, die Erinnerungen an Visionen, Erscheinungen, Begegnungen mit dem Auferstandenen ließen gar keinen anderen Schluss zu, als dass sich da etwas ereignet hat, was einzig Gottes Handeln sein konnte: Dass dieser Gekreuzigte nicht im Tod geblieben ist (auch nicht in dieses Leben zurück gerufen wurde), sondern von Gott neu zum Leben aus Gottes Kraft gerufen wurde. Den neutestamentlichen Texten geht es durchgehend um die Ereignishaftigkeit der Auferstehung Jesu Christi. Das gilt für alle Formen, in denen sie erzählt, behauptet, bezeugt wird. Auch wenn jede dieser Formen einer vergangenen Vorstellungswelt zugehört und in ihrem Kontext verstanden werden will - generell ist zu beachten, dass zwischen Eingebildetem und Geschehenem deutlich unterschieden wird. Folglich hat sich auch die gegenwärtige Reflexion dieser Unterscheidung zu stellen und die damit gesetzte Grenze zu beachten. Konkret bedeutet das, dass das Nachdenken über die Bedeutung von Ostern nicht die Reflexion seines Ereignischarakters schuldig bleiben darf. Alle neutestamentlichen Zeugnisse wahren nun aber die Entzogenheit des Osterereignisses; sie schildern nicht es selbst, sondern Wirkungen, die sie im Blick auf dasselbe Ereignis identifizieren. Sie wahren damit sowohl seine Ereignishaftigkeit als auch seine in der Welt irdischer Faktizität festzuhaltende Unzugänglichkeit sowie seine Unverfügbarkeit, die es als überraschendes, jeder Erfahrung vorausliegendes Handeln Gottes bleibend hat. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 11 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 12 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell Das hat erhebliche Konsequenzen dafür, wie theologisch von Ostern zu reden ist. Wo z.B. autoritäre Sprache Besitz vom unverfügbaren und unsichtbaren Handeln Gottes ergreift, steht sie in Gefahr, es zu verraten. Dem Begriff des Ereignisses, so haben wir gesehen, entspricht nicht das Beweisen, sondern das Bezeugen. Deshalb sollte theologische Sprache an ihrer vermeintlich schwächsten Stelle - an der Stelle von Ostern - nicht mit autoritären Denkstrukturen, mit der scheinbaren Macht des Objektiven operieren. Ostern ist - und in dieser Tradition arbeitet Matthäus, ebenso wie die anderen frühchristlichen Autoren, deren Texte uns erhalten sind - ein erschlossenes Ereignis. Es hat mit dem Stichwort ›Auferweckung‹ einen der Namen erhalten, der ihm im Rahmen des historischen kulturellen Kontextes entspricht. Auch andere Bezeichnungen wie Erweckung, Erhöhung usw. sind Namen, Metaphern für Gottes Handeln, das als ausschließlich sein Handeln zu begreifen ist. 44 Für uns geht es, wenn wir Matthäus folgen, nicht um die Frage, was Ostern (»tatsächlich«) geschehen ist, sondern wie Ostern zu denken ist. Damit stehen wir erneut am Anfang des Evangeliums. Denn es ist für Matthäus ausschließlich dieses Handeln Gottes, das all das in Kraft setzt und begründet, was von diesem Jesus zu erzählen ist. Das ist die Identität Jesu, von der Matthäus von Beginn seines Evangeliums an spricht: die des Auferstandenen. Nur weil Matthäus dieses Vorzeichen so gründlich reflektiert hat, ist er in der Lage, so offensiv die Frage zu markieren: Bist du Gottes Sohn? - Und so deutlich Widerspruch, Ablehnung, Ärgernis, Fehldeutungen und Gerüchte zu berichten. Die Auferweckung Jesu Christi ist für Matthäus das dem Glauben erschlossene Ereignis des Handelns Gottes, das den Erfahrungen der lebendigen Gegenwart des Irdischen, Gekreuzigten (28,5), als des Sohnes Gottes zugrunde liegt. Matthäus weist - offenbar mit dem Ziel, gerade diese Einsicht zu sichern, ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, andere Rückschlüsse aus der Verkündigung des Auferstandenen zu ziehen. Es ist der Weg des Christus Gottes, der als der Weg des Irdischen in die Mehrdeutigkeit der Geschichte führt. l Anmerkungen * Der Beitrag geht auf eine Vorlesung zurück, die ich meinem Lehrer Traugott Holtz im Juli 2006 zu seinem 75. Geburtstag halten durfte. Ich danke der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg für die Einladung zu dieser Gastvorlesung. 1 Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, Göttingen 1994. Zu einem Rückblick auf die Diskussion und exegetische Einzelfragen vgl. z.B. A. Rese, Exegetische Anmerkungen zu G. Lüdemanns Deutung der Auferstehung Jesu, in: Bieringer (s. Kasten), 55-71; M. Leiner, Auferstanden in die Herzen und Seelen der Gläubigen? Psychologische Auslegungen der neutestamentlichen Auferstehungserzählungen, EvTheol 64 (2004), 212-227, 215-218. 2 Vgl. die differenzierenden Überlegungen bei Leiner, Auferstanden; eine Übersicht zu Modellen psychologischer Erklärungen der Ostervisionen findet sich dort 222. 3 Das Büchlein ist so angelegt, dass die Position Lüdemanns als die unterlegene erscheint. Auch Jacob Neusners Dokumentation zum ›Fall‹ Lüdemann (Faith, s. Kasten; das Buch schließt an die Veröffentlichung von 1998 an, s. Kasten) zeigt sich polemisch, freilich in entgegen gesetzter Richtung. Lüdemann-kritische Beiträge bleiben meist unübersetzt, während seine eigenen, in deutschen Zeitungen veröffentlichten, in englischer Sprache geboten werden. 4 Daneben zielen die umfangreichen religionsgeschichtlichen Materialsammlungen zu vorchristlichen Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod auch darauf, jede Form etwaiger Ableitbarkeit des frühchristlichen Osterglaubens zurückzuweisen. Wrights Argument richtet sich folglich in der Sache auch gegen die Position des im selben Jahr erschienenen Buches von Richard Swinburne (s. Kasten), der von der Voraussetzung ausgeht, dass das menschliche Gott-Denken nicht gegenstandslos sein kann, und daraus folgert, dass der so gedachte Gott auch Mensch wird, stirbt und aufersteht. Swinburne vertritt in der Diskussion um Ostern eine neothomistisch inspirierte Außenseiterposition; zum Hintergrund seines Denkens vgl. jetzt Th. Rentsch, Gott, Berlin 2005, 188-190. 5 Vgl. bes. 710-718. Die Auferstehung wird nach Wright zu einer Herausforderung des durch die Aufklärung geprägten Welt- und Geschichtsbildes (713). 6 Vgl. dazu E. Reinmuth, In der Vielfalt der Bedeutungen - Notizen zur Interpretationsaufgabe neutestamentlicher Wissenschaft, in: U. Busse (Hg.), Die Bedeutung der Exegese für Theologie und Kirche (QD 215), Freiburg 2005, 76-96, 78f. 7 Vgl. Eckstein, s. Kasten. 8 Vgl. St. Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: G. Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken, FS Hermann Deuser (MThS 90), Marburg 2006, 339-359. 9 Sie beginnt im unmittelbaren Anschluss an die Versuchungsgeschichte mit 4,12-17, und nach den Schmähungen der Passanten werden nur noch die Schreie der Verlassenheit erzählt: 27,46.50. Das öffentliche Wirken des irdischen Jesus ist zu Ende. 10 Pausanias, Reisen in Griechenland, übersetzt von E. Meyer, hg. F. Eckstein, abgeschl. von Peter C. Bol, 3 Bde., Zürich 1986-1989; Textausgabe Pausaniae Grae- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 12 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 13 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung ciae Descriptio Vol. I, ed. M. H. Rocha-Pereira, Leipzig 1973. Der Teil des Werkes, dem unser Beispiel (I 30,1) entstammt, entstand zwischen 144 und 160 n.Chr.; vgl. E. Meyer, Einleitung, a.a.O. 10-59, 17. 11 Die Übersetzung von E. Meyer ›den er liebte‹ ist hier zu korrigieren, weil das verwendete Verbum ein Deponens ist; dem entspricht auch der sonstige Sprachgebrauch bei Pausanias. 12 Die entsprechende Geschichte bei Lukas (Lk 4,16-30) endet in Empörung und versuchter Lynchjustiz. 13 Die Erfahrungen der Glaubenden (13,21; 24,10) - das zeigt z.B. ein Durchgang durch den Gebrauch von skandalon und skandalizein (vgl. bes. 11,6; 13,57; 26,31) - sind den seinen analog. 14 Wir finden das Wort weder in LXX noch, so weit ich sehen kann, in weiterer frühjüdischer Literatur; auch nicht im Hellenismus. Es gibt allerdings eine parallele rabbinische Wendung, deren Wurzel durchaus auch die des matthäischen Gebrauchs sein kann. Da Matthäus das Wort in Q angetroffen haben wird (6,30/ / Lk 12,28), ist damit zu rechnen, dass es bereits im palästinischen Christentum verwendet und durch Matthäus aufgegriffen und geprägt wurde. 15 Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel unter dem Himmel kommen und in seinen Zweigen wohnen. 16 Zu den Auslegungsmöglichkeiten vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), EKK I/ 4, Düsseldorf / Zürich / Neukirchen-Vluyn 2002, 438f. Luz plädiert überzeugend für dieses Verständnis: Alle elf huldigten dem Auferstandenen, einige zweifeln jedoch: »In die Proskynese mischen sich ›Zweifel‹.« Vgl. ähnlich P.W. van der Horst, Once More: The Translation of oiden in Mt 28.17, JSNT 27 (1986), 27-30, jetzt in: ders., Jews and Christians in their Graeco-Roman Context. Selected Essays on Early Judaism, Samaritism, Hellenism, and Christiantiy (WUNT 196), Tübingen 2006, 161-163. Anders A. Denaux, Matthews’s Story of Jesus’ Burial and Resurrection (Mt 27,57- 28,20), in: Bieringer, Resurrection (s. Kasten), 123-145, 141; er übersetzt »›but they doubtet‹, meaning to say, all the Eleven« (ebd. Anm. 19). 17 Hier mag offen bleiben, ob Matthäus auf tatsächliche Gerüchte anspielt; vgl. dazu W.J.C. Weren, »His Disciples Stole Him Away« (Mt 28,13). A Rival Interpretation of Jesus’ Resurrection, in: Bieringer (s. Kasten), 147-163. 18 Vgl. ausführlich zur Etymologie von ›Ereignis‹ E. Czucka, Emphatische Prosa. Das Problem der Wirklichkeit der Ereignisse in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, 44-54. 19 A. Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, Stuttgart / Weimar 32004, 150; vgl. L. Engell, Art. ›Ereignis‹, in: N. Pethes / J. Ruchatz (Hgg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek 2001, 149-150. 20 Th. Rathmann, Ereignisse Konstrukte Geschichten, in: Th. Rathmann (Hg.), Ereignis: Konzeptionen eines Begriffs in Geschichte, Kunst und Literatur, Köln et al. 2003, 1-19: 3. Vgl. die bündige Formulierung von Michael Moxter: »Für den Begriff des Ereignisses sind konstitutiv die Momente der Einmaligkeit, der Unwiederholbarkeit und der Unveränderlichkeit.« (M. Moxter, Erzählung und Ereignis. Über den Spielraum historischer Repräsentation, in: J. Schröter / R. Brucker [Hgg.], Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung [BZNW 114], Berlin / New York 2002, 67-88, 72). 21 N. Luhmann, Soziale Systeme (stw 666), Frankfurt a.M. 1987, 390. 22 Vgl. die prägnanten Formulierungen in E. Flaig, Ein semantisches Ereignis inszenieren, um ein politisches zu verhindern. Die entblößten Narben vor der Volksversammlung 167 v.Chr., in: Rathmann, Ereignis, 183- 198, 184: »Ereignisse sind Vorgänge, die zu Ereignissen gemacht werden, denen eine besondere Signifikanz zugewiesen wird. Die Signifikanz hängt ab von der Perspektive, die man wählt.« Es mache »keinen Sinn ..., ein ›Ereignis‹ auf Grund von objektiv ihm anhaftenden Qualitäten zu identifizieren.« 23 Moxter, Erzählung, 80. »Weil es kein natürliches Gefälle zwischen Ereignis und Erzählung gibt, bedarf es eines konstruktiven Beitrags, der in der Erzählung liegt und aus der Zeiterfahrung resultiert. ... Schon aufgrund ihrer zeitlichen Distanz ist die Erzählung gegenüber dem Ereignis überschüssig.« Der »Horizont der Möglichkeiten, aber auch der Schluß, den die Erzählung den Ereignissen verschafft, konfiguriert das Geschehene neu.« (80). Moxter weist darauf hin, »dass durch die Erzählung etwas als bestimmt angesehen wird, ohne dass diese Bestimmung aus einer allgemeinen Regel hergeleitet werden könnte, die notwendig jedermanns Zustimmung erhält. Es ist die Eigenart der reflektierenden Urteilskraft, Zustimmung nur anzusinnen, die Subjekte aber hinsichtlich des Urteils selbst frei lassen zu müssen bzw. zu können.« (81). Damit bestätige sich, dass keine Erzählung nach dem Prinzip der Abbildung zu verstehen ist, dass vielmehr »der kategoriale Vorsprung der Erzählung vor dem Ereignis« (82) beachtet werden muss. 24 Zum unterschiedlichen Diskussionsverlauf in Frankreich und Deutschland vgl. J. Revel, Die Wiederkehr des Ereignisses - ein historiographischer Streifzug, in: A. Suter / M. Hettling (Hgg.), Struktur und Ereignis, Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 19, Göttingen 2001, 158-174. 25 Geschichte - Ereignis und Erzählung, Poetik und Hermeneutik Bd. 5, hg. von R. Koselleck und W.-D. Stempel, München 1973. 26 Vgl. dazu Rathmann, Ereignisse, 11f. 27 Vgl. dazu die Diskussion in Suter / Hettling, Struktur. Zur Rolle identitätsbildender historischer Ereignisse vgl. z.B. J. Rüsen, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte, Köln u.a. 2001, 164-170. Eric Hobsbawm hat eindrücklich gezeigt, dass es dabei auch um fiktive historische Tatsachen gehen kann; vgl. z.B. ders., Das Erfinden von Traditionen, in: C. Conrad / M. Kessel (Hgg.), Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998, 97-118. 28 Vgl. v.a. M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (›Vom Ereignis‹), Gesamtausgabe, hg. von F.-W. von Herrmann, Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989. Heidegger arbeitete seine zentrale Ereigniskonzeption von 1936-1938 aus. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 13 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 14 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell 29 Zu Lyotards Ereignisbegriff vgl. I. Reuter, Predigt verstehen. Grundlagen einer homiletischen Hermeneutik, APrTh 17 (2000), 175-186 (»4.4. Das Ereignis als Kategorie der Unverfügbarkeit«). 30 Zum Ereignisbegriff Derridas vgl. D. Mersch, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, 357-381. 31 Vgl. dazu B. Naumann, Zur Entstehung von Begriffen aus dem Ungeordneten des Gesprächs, in: Rathmann, Ereignis, 103-118. 32 Vgl. dazu Naumann, Entstehung, 108: Derrida und Lyotard halten »zwar an der Vorstellung von Endlichkeit und Besonderheit des Ereignisses fest, kehren aber die gewöhnliche Sicht des Ereignisses um. Sie erkennen im Ereignis Züge, die sich nicht mehr in die Vorstellung integrieren lassen, es stelle eine bedeutende Eintragung auf einer zeitlich strukturierten Matrix - etwa dem Verlauf der Geschichte - dar. Ereignisse entspringen aus dieser Perspektive nicht der, und sie ‚machen’ nicht die Geschichte, sondern ermöglichen erst die Konzeption von Zeit und Geschichtlichkeit.« 33 Naumann, Entstehung, 110, wehrt sich dagegen, das Ereignis im Zuge der narratologisch-historischen Diskussion »in die Konstruktion der Geschichte zu verbannen. Das Ereignis als ein Gegenwärtiges und Zukünftiges, als ein Unvordenkliches, das einen nicht kalkulierbaren Verlauf der Zeit allererst ermöglicht oder erzwingt, das seine Kraft aus der Überraschung zieht, das durch Plötzlichkeit gekennzeichnet und keinen vorgebildeten Kategorien zuzuordnen ist, das in das Geschehen einbricht, das bestehende Konstellationen verrückt oder neue herstellt und so Veränderung bewirken kann; das Ereignis, das eigen und einzig ist, das Geschichte macht, ohne der Geschichte ganz zuzugehören, und das zum Denken dessen, was es denn überhaupt sei, nötigt -, alle diese Aspekte sind per definitionem aus solchen Konzeptionen ausgeblendet, die das Ereignis als Geschichte und allein in der Geschichte fixieren.« 34 Vgl. jetzt A. Badiou, Das Ereignis denken, in: A. Badiou / S. Zizek, Philosophie und Aktualität. Ein Streitgespräch, Wien 2005, 15-49. 35 A. Badiou, Paulus. Die Begründung des Universalismus, München 2002 (frz. Orig. 1997). 36 Badiou, Paulus, 85f. 37 Badiou, Paulus, 197. Badiou erläutert sein nicht-religiöses Paulus-Verständnis 7ff. Die Auferstehung Christi gehört für ihn in den Bereich der Fabel (11f.). »›Fabel‹ ist, was in einer Erzählung sich für uns mit keinem Realen berührt, es sei denn mit jenem unsichtbaren, nur indirekt zugänglichen Rest, der allem offenkundig Imaginären anhaftet. In dieser Hinsicht reduziert Paulus die christliche Erzählung auf den einzigen Punkt, an dem sie Fabel ist, mit der Gewalt dessen, der weiß, dass diesen Punkt für real zu halten, vom gesamten Imaginären an seinen Rändern dispensiert« (12). 38 Badious Ereignisbegriff ist auch an dieser Stelle von Martin Heidegger geprägt; vgl. z.B. M. Heidegger, Zeit und Sein, in: Zur Sache des Denkens, Tübingen 2 1976, 1-25: 24: »Das Ereignis ist weder, noch gibt es das Ereignis«. Diese Äußerung Heideggers bezieht sich auf die Unvordenklichkeit des Ereignisses, nicht seine Undenkbarkeit. Vgl. dazu Naumann, Entstehung, 108f.: »Für Heidegger ist das Ereignis vielmehr unvordenklich hinsichtlich von Sein und Zeit. Im strengen Sinne bedeutet dies, dass das Ereignis nicht ist und dass es das Ereignis nicht gibt; es ist nicht einzuordnen in das Beziehungsgefüge der Existenz, sondern soll als eine Figur der Ermöglichung gedacht werden, als ein noch nicht Definiertes, aus dem etwas hervorgehen kann. Das Ereignis geht Sein und Zeit - in einem nichthistorischen Sinne - voraus. ... Vielleicht könnte man auch sagen, dass das Ereignis einen Versuch darstellt, zu denken, dass überhaupt ›etwas ist und nicht nichts‹.« 39 Vgl. dazu E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik - Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003, 52ff., 82ff. 40 Vgl. W. Halbfass, Art. ›Tatsache‹, HWPh 10 (1998), 910-916. 41 Hamann und Herder entdeckten die Offenbarung Gottes in der Natur als Tatsache. 42 Halbfass, Tatsache, 911. 43 Vgl. auch 5,1. Die Verklärungsszene 17,1-9 spielt auf einem hohen Berg. Hier erscheint Jesus - anders als der Auferstandene - in himmlischem Glanz. 44 Vgl. dazu Reinmuth, Historik, 47-55. 81ff.; ders., Eschatologie und Historik. Ein theologischer Beitrag zu 1Kor 15, in: J. Schröter / A. Eddelbüttel (Hgg.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (TBT 127), Berlin / New York 2004, 221-235: 232-234. Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Stefan Alkier Die R Die R Die R Die R Die Re ee eealität alität alität alität alität der Auf der Auf der Auf der Auf der Aufer er er er erw ww wwec ec ec ec eck kk kku uu uun nn nng gg gg Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 12 2007, ca. 280 Seiten, ca. €[D] 59,00/ SFr 93,00 ISBN 978-3-7720-8227-6 Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Franc anc anc anc anck kk kke Att e Att e Att e Att e Attempt empt empt empt empto oo oo V VV VVerl erl erl erl erlag ag ag ag ag · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 14 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 15 1. Die Frage nach den Denkvoraussetzungen des christlichen Auferstehungsglaubens Die Auferstehung Jesu wird manchmal als »analogielos« bezeichnet. Das kann man eigentlich erst sagen, wenn man einen gründlichen religionsgeschichtlichen Vergleich angestellt hat. Zunächst kommt dem Religionswissenschaftler der Typ des »sterbenden und auferstehenden Gottes« in den Sinn, der freilich in der neueren Forschung stark differenziert wurde. 1 Handelt es sich um Vegetationsgottheiten? Soll die jährliche Klage um ihr Verschwinden Fruchtbarkeit sichern? So wohl im Fall des Attis und des Adonis. Dann liegen diese Beispiele in der Tat fern. Anders steht es vielleicht mit dem ägyptischen Osiris, der von seinem Bruder Seth erschlagen, dann aber von seiner Mutter und Geliebten Isis und der Schwester Nephtys so weit ins Leben zurückgeholt wird, dass er noch einen Nachfolger zeugen und unter den »Westlichen« (den Toten) die Herrschaft antreten kann. Sein Mythos wird nicht nur in Fruchtbarkeitsriten aktualisiert, sondern zunächst in der Krise beim Tod des Königs, dann aber auf immer größere Kreise von Verstorbenen angewendet, die im Bestattungsritual »zu Osiris werden«. Die in den Klageweibern verkörperten Göttinnen Isis und Nephthys rufen ihnen zu: »Steh auf, erhebe dich wie Osiris« (Pyramidentext § 574), der bewahrte und versorgte Leib gilt als »verklärt«. Die Pyramidentexte aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends vor Christus stellen eine magische Entsprechung zwischen dem verstorbenen König und dem Gott her: Wenn er (Osiris) lebt, wird dieser König leben, wenn er nicht stirbt, wird dieser König nicht sterben (§ 219). Wir haben hier dieselbe Metaphorik wie im Christentum: Belebtwerden als Aufstehen; Osiris erfüllt als »Erster der Westlichen« eine ähnliche Funktion wie Christus als »Erstling der Entschlafenen« (1Kor 15,20), er wird zur »Identifikationsfigur« für die Menschen. Von seiner Belebung wird auf das jenseitige Leben der menschlichen Toten geschlossen. Ähnliche Folgerungen zieht das Neue Testament aus der Auferweckung Jesu für die Gläubigen (vgl. die Wenn-So-Aussage 1Thess 4,14; die Parallele 1Kor 6,14; 2Kor 4,14). Und doch sind auch gleich Unterschiede festzuhalten. Der wichtigste ist: Die Verähnlichung mit Osiris gehört zum Grabkult; die Konservierung des Leichnams ist entscheidend für die Erhaltung des Lebens. Von einer leiblichen Neuschöpfung ist nicht die Rede. Der ägyptische Totenglaube und der christliche Auferstehungsglaube sind durch Welten getrennt. Wir haben im Osiriskult also vielleicht eine gewisse Analogie für die Schicksalsgemeinschaft der Christen mit dem Auferstandenen, aber kaum zur Auferweckung Jesu selber. Einen geschichtlichen Einfluss auf den Auferstehungsglauben wagt so oder so niemand zu behaupten. Denn der ist evident jüdisch. Aus den Ausführungen des Paulus gegen die korinthischen Leugner von Auferstehung überhaupt (1Kor 15,12-19) 2 geht hervor, dass die Auferweckung Christi zwar die christliche Hoffnung auf die eigene Auferstehung begründet (vgl. 15,20ff.), dass aber die Überzeugung, es gebe überhaupt eine Auferstehung, dem Glauben an die Auferweckung Jesu logisch vorausgeht. »Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden« (V. 13). Der Auferstandene spielt keine göttliche Sonderrolle, sondern damit die Tat Gottes am Gekreuzigten erkannt werden kann, ist ihre Vorstellbarkeit bei den Menschen Voraussetzung. Für Paulus hängt die Realität der Auferweckung Jesu jedenfalls damit zusammen, dass man sich überhaupt so etwas wie Auferstehung für die Menschen denken kann. Die Gruppe in Korinth, die eine solche Möglichkeit bestritt, mag das anders gesehen haben. M.E. ist sie von heidnisch-griechischen Anschauungen geprägt. Sie wird die Auferweckung Jesu als Erhöhung und Vergöttlichung Zum Thema Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 15 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 16 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema verstanden haben, wie man sich dies im Fall des Herakles und anderer »Halbgötter«, von denen ein Tod berichtet wurde, zurechtlegte. Eine Auferstehung aber war für einen Griechen undenkbar, weil man sie sich nur als Rückkehr in dieses Leben vorstellen konnte. Angesichts des verwesenden Leichnams stellte sich da tatsächlich die Frage »Mit welchem Leib kommen sie denn? « (vgl. 1Kor 15,35). Von wenigen Ausnahmen in Mythos und Legende abgesehen kann man die griechische Perspektive mit dem Wort des Apollon bei Aischylos, Eumeniden 647ff. kennzeichnen: Zeus kann Fesseln lösen ... doch hat der Staub einmal das Blut eines Mannes geschlürft, der starb, gibt es kein Aufstehen. Für solche hat mein Vater keine Zaubersprüche geschaffen, obwohl er doch im übrigen alles oben und unten wandelnd setzt und bleibt, ohne in etwas nach Luft zu schnappen. Damit Auferstehung nicht Rückkehr auf diese Erde bedeutet, muss sie im Rahmen eines kosmischen Neuanfangs gedacht werden, der nicht zyklischen Charakter hat wie das periodische Aufgehen der Welt im Urelement des Feuers, das etwa die Stoa lehrte. Ein Gott, der das für die ihm verbundenen Menschen bewirkte, musste zugleich die Statur des Schöpfers wie des Bundesgottes haben. Die hat er beim Volk Israel. Wir sind also zurückverwiesen auf die jüdischen Denkvoraussetzungen. Die Überlegungen eines Paulus in 1Kor 15 über die Möglichkeit von Auferstehung mögen zwar im Menschheitshorizont stehen (vgl. die Adam-Christus-Parallele), sie sind aber geschichtlich vermittelt durch eine pharisäisch bestimmte Frömmigkeit, die Josephus Flavius, contra Apionem II 218 folgendermaßen verallgemeinert: Jeder (Jude) hat für sich das Zeugnis des Gewissens und ist so zum Glauben gekommen - wobei der Gesetzgeber es prophezeit, Gott aber starkes Glaubensunterpfand gewährt -, dass Gott denen, die die Gesetze durchweg beobachten und auch wenn man für sie sterben müsste, bereitwillig sterben, verliehen hat wiedergeboren zu werden und ein besseres Leben zu empfangen beim Zeitenumschwung. In Wirklichkeit war diese Überzeugung im Judentum nicht überall so ausgeprägt, aber für das frühe Christentum und den ehemaligen Pharisäer Paulus stand sie fest. Solche geschichtliche Vermittlung fehlte in dem weit hergeholten Beispiel des Osiris. 2. Anfänge und Funktion des Auferstehungsglaubens in Israel Der Glaube an den allmächtigen Schöpfer und an den mit seinem Volk besonders verbundenen Gott Jahwe ist in Israel natürlich alt. Es gibt auch schon vorexilisch vereinzelte archäologische und literarische Zeugnisse dafür, dass dieser Glaube dem Einzelnen Aussicht auf Geborgenheit über den Tod hinaus eröffnete. 3 Anders steht es mit kollektiven Erwartungen. Es musste eine intensive Notlage über das Volk kommen, die an einer innerweltlichen Lösung verzweifeln ließ, um aus dem Glauben an den Schöpfer- und Bundesgott die Hoffnung auf Auferstehung der Toten zu erzeugen. Ihre ersten Artikulationen finden sich in literarisch recht unterschiedlichen Texten. 2.1. Die sogenannte Jesaja-Apokalypse (Jes 24- 27) aus spät-nachexilischer Zeit vereint die prophetische Ansage des Gerichtstages mit psalmenartigen Gebeten. 26,7-19 ist ein Vertrauensbekenntnis zu Gott, der die Herrschaft fremder Völker (V. 13) brechen und seinem Volk Frieden und Mehrung schenken wird. Der Blick ist von vornherein national begrenzt. Während es von den Feinden V. 14 heißt: Die Toten werden nicht leben, die Verstorbenen stehen nie wieder auf; denn du hast sie bestraft und vernichtet; jede Erinnerung an sie hast du getilgt. sagt V. 19 von den Toten Jahwes, also den Israeliten: Deine Toten werden leben, ihre 4 Leichen werden auferstehen, erwachen und jauchzen werden, die im Staub liegen. Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird Schatten gebären. Der Ausdruck ist bildhaft-poetisch. Er umschreibt aber nicht nur die politische Wiederherstellung des Volkes; denn auch die Israeliten, die in der Zeit der Bedrängnis umgekommen sind, sollen an der erneuten Blüte der Nation teilnehmen. Vgl. V. 21b: 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 16 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 17 Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung (Beim Gericht) deckt die Erde das Blut, das sie trank, wieder auf und verbirgt die Ermordeten nicht mehr in sich. Es geht also um Wiedergutmachung für unschuldig vergossenes Blut. Eine allgemeine Auferstehung der Toten ist noch nicht angesagt. 2.2. Bei Daniel 12,1-3 dagegen bringt die Auferweckung eine Scheidung innerhalb des erwählten Volkes mit sich. Die Verse stehen im Zusammenhang einer Vision, in der ein Engel Daniel mitteilt, was seinem Volk in den letzten Tagen zustoßen wird (10,1-12,13). Die recht unverblümten Geschichtsschilderungen in Kap. 11 führen uns in die Zeit Antiochus IV. (175-164). Er wütet auch gegen das Volk Israel, aber eine Gruppe von »Verständigen« bleibt Jahwe treu, obwohl man sie mit Feuer und Schwert, mit Haft und Plünderung niederzuzwingen sucht (vgl. 11,32f.). Mit seinem Ende bricht zwar für Israel noch »eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt« an. Aber auch hier kündigt der Engel schließlich Rettung für Israel als Volk an. Sie ist freilich auf die beschränkt, »die im Buch verzeichnet sind« (vgl. 12,1). Und viele 5 von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben (vgl. 11,33), werden immer und ewig wie die Sterne leuchten (12,2f.). Der Text ist bewegt von der Frage nach dem Geschick der Treuen im Volk. Was ist mit den Ermordeten, aber auch mit den Mördern und Kollaborateuren, von denen einige wohl inzwischen gestorben sind? So muss die Rettung Israels auch eine Auferstehung zum Gericht umfassen, wenn auch wohl nur die abtrünnigen Israeliten im Blick stehen. Die qualitative Neuheit des Lebens der Frommen aus Israel wird erstmals mit dem Begriff »ewiges Leben« bezeichnet und mit dem strahlenden Glanz der Himmelslichter ausgemalt. Obwohl die Visionsdeutung sonst Klartext spricht, muss sie am Schluss zu diesem Vergleich greifen. Sonst aber stellen wir gegenüber der Prophetie Jes 26,19 eine absichtsvolle Systematisierung fest. Typisch apokalyptisch ist, dass die Gespaltenheit im Volk deterministisch (himmlisches Buch, »Los« 12,13) verarbeitet wird. Die Vision zeichnet schon eine gewisse Abfolge der Endereignisse. Heutige Autoren stellen manchmal heraus, dass der Glaube an die Auferstehung auch schon vor Daniel in den Henochvisionen begegnet, deren Fragmente auch in Qumran aufgetaucht sind, 6 und dass er nicht erst durch die Problematik der Märtyrer ausgelöst wurde. Das ist richtig; aber im Schicksal der Märtyrer spitzt sich die Frage, ob der von Gott garantierte Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen gilt, aufs Äußerste zu. Das zeigt der nächste Text, der erbauliche Geschichtsschreibung sein möchte und in eben der Zeit spielt, auf die die Visionen Daniels hinauslaufen. Dieter Zeller Prof. Dr. Dieter Zeller, geboren am 24. 6. 1939 in Freiburg i. Br., studierte in Freiburg i. Br., Rom und Münster. 1980-1984 Neutestamentler an den kath.-theol. Fakultäten von Luzern und Mainz. 1984-2004 Professor für Religionswissenschaft des Hellenismus am Fachbereich Philologie III in Mainz. Seit 1989 Honorarprofessor an der ev.-theol. Fakultät in Heidelberg. Hauptforschungsgebiet: Religionsgeschichte des frühen Christentums, seit der Pensionierung verstärkt 1. Korintherbrief. »... aber im Schicksal der Märtyrer spitzt sich die Frage, ob der von Gott garantierte Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen gilt, aufs Äußerste zu.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 17 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 18 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema 2.3. Das zweite Makkabäerbuch beruht auf einer um 124 v.Chr. vorgenommenen Epitome eines älteren Werkes 7 und weiß im Unterschied zu dem noch vor 164 verfassten Danielbuch, dass die Krise unter Antiochus IV. nicht durch Gottes Eingreifen am Ende, sondern durch die Restauration der Makkabäer überwunden wurde. Es hält aber in den Ansprachen der Märtyrer an ihre Peiniger (Kap. 7) die Auferstehung als einen dogmatischen Topos fest. Damit soll die Frage nach der Gerechtigkeit, die sich bei diesem qualvollen Geschick besonders scharf stellt, beantwortet werden. In Überbietung des greisen Eleasar 6,18-31 gehen hier sieben blühende Jünglinge mitsamt ihrer Mutter für die väterlichen Gesetze in den Tod. Der zweite erwidert dem König: Du Verbrecher, du trennst uns zwar vom gegenwärtigen Leben, aber der König der Welt wird uns, die wir für seine Gesetze gestorben sind, auferstehen lassen zum ewigen Wiederaufleben des Lebens (7,9). Die Jünglinge hoffen, die hingegebenen Glieder vom Himmel wieder zu erlangen (V. 11, vgl. 14,46). Deshalb genügt ein rein seelisches Weiterleben nicht. Diese Hoffnung ist allerdings nicht auf die Märtyrer beschränkt: V. 14 sagt ganz allgemein: Wie erwünscht ist es doch, dass die von 8 den Menschen Scheidenden die Hoffnungsgüter Gottes erwarten können, durch ihn aufzuerstehen. Aber eine Auferstehung der Frevler wird nicht anvisiert: Für dich aber wird es eine Auferstehung zum Leben nicht geben (ebd.). Dem König steht als Vergeltung irdische Marter durch die Kraft Gottes (V. 17, V. 31.36 als Gericht Gottes gedeutet) bevor. Die Mutter verweist auf die Bildung des Embryo und die Schöpfung aus dem Nichts und macht so einleuchtend, dass der Schöpfer ihren Kindern Atem und Leben in seinem Erbarmen wiedergeben kann und wird (V. 22f.28f.). Weil er der Herr über Leben und Geist ist, kann er dem Märtyrer all das wiedererstatten (14,46). Die Brüder duldeten zwar jetzt kurze Pein, fielen aber unter die göttliche Verheißung ewigen Lebens (7,36). 9 Der Tod dieser Märtyrer soll auch sühnende Wirkung für das ganze Volk Israel haben, und in der Tat löst das 7,37f. erflehte Erbarmen alsbald den Zorn Gottes ab (8,5). Heißt das, dass auch die Auferstehung der Brüder und ihrer Mutter als schon geschehen zu betrachten ist? Das folgert Kellermann 10 aus 7,29, wo die Mutter gewiss ist, dass sie ihren Jüngsten »beim Erbarmen (Gottes)« 11 mit seinen Brüdern wiederbekommen wird. Aber dass hier der zeitliche Aspekt betont ist, wird unsicher, wenn es V. 23 genauso gut »mit Erbarmen« heißen kann. Die Auferstehung ist ein »Hoffnungsgut« (7,14), ein »Vermächtnis« (7,36), ein herrlicher Lohn, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit sterben (12,45). Sie tritt also nicht sofort ein - wie soll man sich da eine leibliche Auferstehung denken? -, sondern ist »hinterlegt«. Sie wird »erwartet« (7,14; 12,44). In 2Makk herrscht freilich nicht mehr die Naherwartung des Buches Daniel. Wie man sich den Zwischenzustand vorzustellen hat, wird nicht reflektiert. 6,23 sagt der greise Eleasar nur, man solle ihn ruhig zur Unterwelt schicken. Man darf hier nicht die Wiedergabe der Episode 2Makk 6f. im 4. Buch der Makkabäer eintragen, das wohl erst im 1. Jh. n.Chr. entstand, vielleicht im syrischen Antiochia am Orontes, wo die Gräber der makkabäischen Brüder verehrt wurden. Es ist nicht nur wie 2Makk griechisch geschrieben, sondern auch völlig von griechischem Gedankengut durchdrungen. Das Bekenntnis der Brüder zur Auferstehung wird hier weggelassen. Die Wandlung zur Unvergänglichkeit (9,22) erfolgt tatsächlich im Tod. Die Märtyrer leben schon mit den Patriarchen »für Gott« (7,19; 16,25) bzw. »bei Gott« (9,7f.). Die Gabe der Unsterblichkeit für die Seele (18,23) ist die einzige Möglichkeit, wenn eine leibliche Auferstehung durch das Vorhandensein der vollen Gräber dementiert wird. Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse zusammen! »Auferstehung ist keine anthropologische Konstante, sondern begegnet im Rahmen des Erwählungsglaubens, sie ist deshalb auf Israel zentriert.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 18 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 19 Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung • Auferstehung ist keine anthropologische Konstante, sondern begegnet im Rahmen des Erwählungsglaubens, sie ist deshalb auf Israel zentriert. Wenn innerhalb Israels ein kleinerer Kreis ausgegrenzt wird, muss man eine Auferweckung zu ewigem Leben von einer Auferweckung zu ewigem Abscheu unterscheiden. • Auferstehung hat so mit dem endgültigen Triumph des Volkes Gottes zu tun. Daran sollen auch die wegen ihrer Treue zum Gesetz Gottes Ermordeten teilhaben, aber auch früher verstorbene Gerechte wie Daniel (Dan 12,13) und die Väter. 12 Im Auferstehungsglauben prägt sich also die Überzeugung vom Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen aus in einer Lage, in der eine Vergeltung innerhalb der Geschichte nicht möglich scheint. • Welche kosmischen Umwälzungen für die Auferweckung der gerechten Israeliten erforderlich sind, lassen die genannten Schriften im Dunkeln. Jes 26 bildet einen Anhang zu einem nationalistischen Entwurf Jes 25,6-8. Hier werden die Völker zu Zeugen, dass Gott auf der ganzen Erde die Schande von seinem Volk wegnimmt. Wo die Erhöhung Israels vor aller Welt geschehen soll, kann man keinen totalen Weltuntergang gebrauchen. Wenn dennoch von einer Neuschöpfung die Rede ist, dann als Garantie für den Bestand Israels: Wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich erschaffe, vor mir stehen - Spruch des Herrn -, so wird euer Stamm und euer Name dastehen (Jes 66,22). In der Argumentation der Mutter 2Makk 7 freilich soll der Blick auf die Schöpfung den Glauben an die Auferweckung bestärken. Heißt das, dass diese einen ebenso radikalen Neubeginn wie jene bedeutet? 3. Ein Alternativmodell: Entrückung Viele jüdische Schriften um die Zeitenwende 13 begnügen sich mit nationaler Eschatologie; anderen ist an einem unterschiedlichen Ergehen der »Seelen« bzw. »Geister« schon gleich nach dem Tod gelegen. So kann die Zeit zu den Endereignissen überbrückt werden, nachdem die in der makkabäischen Erhebung aufgekommene Naherwartung abgeklungen war. Im hellenistischen Judentum kann man den Gedanken einer leiblichen Auferweckung vertreten und ihn mit der Unvergänglichkeit der Seele begründen. 14 Anders die Weisheit Salomos. Sie greift auf das im Alten Testament bei einzelnen Ausnahmegestalten (Henoch, Elija) bezeugte Motiv der Entrückung zurück. Hier wird der Tod negiert und stattdessen ein leibliches Verschwinden und eine Versetzung in den Himmel behauptet. Der Autor der Weisheit Salomos kann den von ihm 1,15 hergestellten Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Unsterblichkeit nur so wahren, dass er den Tod der Gerechten als Schein umdeutet. Nur in den Augen der Toren sterben sie, in Wirklichkeit sind ihre Seelen in Gottes Hand (3,1-4). Der Gerechte, wenn er auch früh stirbt, wird in Ruhe sein ... Gott wohlgefällig geworden wurde er geliebt, mitten unter den Sündern lebend wurde er versetzt; er wurde entrafft, damit nicht Schlechtigkeit seine Einsicht verkehre ... (4,7-11). So sehr hier das Sterben selber uminterpretiert wird, so blicken doch andere Verse aus auf »den Zeitpunkt ihrer Heimsuchung«, wo die Frommen »aufleuchten wie Funken, die durch ein Stoppelfeld sprühen«, mit ihren Widersachern konfrontiert werden, Völker richten und über Nationen herrschen sollen (3,7f.; 5,1-5). Wie die »Seelen« so an der Herrschaft Gottes mit ihren weltlichen Dimensionen teilnehmen können, bleibt einigermaßen schleierhaft. Sie leben jedenfalls in Ewigkeit und beim Herrn ist ihr Lohn (5,15). Obwohl hier die Weisheit Salomos vielleicht sogar eine Auferweckung voraussetzt, haben in neuerer Zeit Neutestamentler die Stelle SapSal 4,7-11 und ähnliche in der frühjüdischen Literatur herausgepickt, um ein von der endzeitlichen Auferstehung verschiedenes Modell zu konstruieren, das der unmittelbaren »vindication« von Märtyrern, die in den Himmel aufgenommen werden. 15 Die Bewegungsrichtung der Auferstehung sei dagegen eine Rückkehr auf diese Erde. Dieses Modell liege auch der ersten Interpretation der Osterereignisse zugrunde. Weil es im Judentum geläufig war, hätte es nicht einmal der Visionen bedurft, um die Jünger darauf zu bringen, dass 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 19 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 20 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema der Gekreuzigte zu Gott erhöht wurde. Erst Paulus habe die Auferweckung Jesu als Anfang der Endereignisse gesehen. Dass es das Modell der Entrückung im Alten Testament und im Judentum gibt, soll nicht bestritten werden. Allerdings liegt es, wie wir gesehen haben, nicht in 2Makk vor. Damit entfällt auch der einzige jüdische Beleg, wo Auferstehungsterminologie für die Entrückung verwendet würde. 16 Die frühen christlichen Formeln gebrauchen aber nun einmal die Metaphorik der Auferweckung bzw. Auferstehung für das Osterereignis. Es wird mit der Reich-Gotttes-Botschaft Jesu zusammenhängen, dass sein Geschick in diesen endzeitlichen Kategorien verstanden wurde. Allerdings nennt erst Paulus und die von ihm abhängige Tradition Christus ausdrücklich »Erstling der Entschlafenen« (1Kor 15,20) bzw. »Erstgeborener von den Toten« (Kol 1,18; vgl. Röm 8,29; Apg 26,23). Doch kommt dieser hymnische Titel auch in Offb 1,5, also in einem anderen Traditionsstrang, vor. Ich habe selbst schon erwogen, ob die Logienquelle, die bekanntlich nicht von Auferstehung spricht, sich das Ende Jesu als »Entrückung zur Wiederkunft« vorstellte (vgl. Lk 13,35par.). 17 Und das Christus-Enkomion des Philipperbriefes setzt der Selbsterniedrigung des Gottgleichen seine Erhöhung durch Gott entgegen (vgl. Phil 2,5-11), vielleicht auch, weil diese Sprache hellenistischen Hörern besser einging als die der Auferweckung. Aber für die Artikulationen des Osterglaubens spielt dieses Modell eine marginale Rolle. Dass christliche Theologen es heranziehen, offenbart nur die Verlegenheit, dass wir Ostern als Anfang von einem Ende verstehen sollen, das nicht kam. Immerhin mag diese Alternative zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gab als die endzeitliche Auferstehung, um den Tun-Ergehen- Zusammenhang in der Krisis des (Märtyrer)todes zu retten. 4. Einbau der Auferstehung in ein apokalyptisches Weltbild Wie fest ist diese Zuordnung der Auferstehung zum Weltende in der Tradition? Während die bisher genannten Quellen oft in unterschiedlicher Weise immanente und transzendente Aspekte des künftigen Heiles kombinieren, finden sich aus der Zeit nach 70 n.Chr. in jüdischen und christlichen Schriften Texte, die die letzten Akte in eine systematischere Reihenfolge bringen wollen. Sie weisen eine erstaunliche Übereinstimmung auf. Es sind dies aus den schwer datierbaren Bilderreden des äthiopischen Henoch Kap. 51,1-5, aus der 4. Esra-Apokalypse Kap. 7,30-38, aus der syrischen Baruchapokalypse Kap. 50; im Liber Antiquitatum Biblicarum 3,10, in der Offenbarung des Johannes 20,11-21,1. 18 Es ergibt sich folgendes Schema: • Ende des alten Äons (4Esr 7,30: Rückkehr der Welt ins Urschweigen; LibAnt: Licht und Finsternis hören auf; Offb 20,11: Erde und Himmel fliehen), • Erde und Unterwelt geben die Toten wieder (äthHen51,1; 4Esr 7,32; syrBar 50,2; LibAnt; Offb 20,12a.13), • Gott richtet alle Menschen nach ihren Taten (4Esr 7,33-35; syrBar 50,4; LibAnt; Offb 20,12f.), 19 • Ende von Unterwelt und Tod (LibAnt; Offb 20,14a), • Erscheinen der endgültigen Orte für Lohn und Strafe (4Esr 7,36; Offb 20,14b.15) • bzw. eines neuen Himmels und einer neuen Erde (äthHen 45,4f.; LibAnt; Offb 21,1), • Beschreibung der Heilsfolgen (äthHen 51,4f.; syrBar 51 Verwandlung; LibAnt; Offb 21,2ff das Neue Jerusalem). Im Unterschied zu den bisher behandelten Texten bildet hier eine allgemeine Auferstehung die Voraussetzung für das Weltgericht. Die Menschen müssen als Angeklagte in diesem Gericht wiederhergestellt werden, wie sie leibten und lebten. Deshalb schaltet syrBar 50,2ff. noch eine Wiedererkennungsszene ein. Die Menschen müssen auferstehen, damit sie zu ihren Taten stehen können. Ihre Identität ist leiblich bestimmt, mag sich der Leichnam auch vorher noch so sehr zersetzt haben. Damit sie am neuen Äon teilhaben können, müssen sie allerdings noch verwandelt werden (äthHen 62,15f.: Glanz, neues Gewand; syrBar 51: noch größere Herrlichkeit als die Engel; vgl. dann 1Kor 15,51-53). So weit klingt alles universalistisch. Doch bei näherem Zusehen ist auch dieses apokalyptische Weltbild israel-zentrisch. Gott muss eine neue 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 20 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 21 Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung Welt schaffen, weil sein Volk bzw. eine Auswahl der Gerechten nach der Katastrophe des Jahres 70 sonst keinen Lebensraum mehr hat. Das wird am deutlichsten im 4. Esra: Der Äon eilt mit Macht zu Ende. Er vermag es ja nicht, die Verheißungen, die den Frommen für die Zukunft gemacht sind, zu ertragen; denn dieser Äon ist voll von Trauer und Ungemach (4,26f.). Diese Welt wurde zwar auch um Israels willen geschaffen, doch seit Adams Sünde ist der Wurm darin (vgl. 7,10f.). Wegen der Bosheit der Menschen hat der Höchste nicht einen Äon geschaffen, sondern zwei (vgl. 7,50 im Kontext). Die zukünftige Welt wird deshalb nur wenigen Erquickung bringen, vielen aber Pein (7,47). Kein Wunder, dass die Stadt, die als Wohnort der Auserwählten dann erscheint (10,25-55) bzw. gleichsam als Fertigprodukt vom Himmel herabsteigt (Offb 21), das »Neue Jerusalem« ist. Das sieht sehr nach Projektion der aus dem alten Jerusalem Vertriebenen aus. Typisch apokalyptisch ist, dass das eschatologisch Neue ohne jeden menschlichen Ansatzpunkt Wirklichkeit werden soll: denn es darf kein menschliches Bauwerk da bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich offenbaren soll (4Esr 10,54). 5. Theologische Restgedanken eines Religionswissenschaftlers Zu diesem Befund drängen sich zunächst kritische Anmerkungen auf. Ich mache sie als durchschnittlicher moderner Mensch. Dann möchte ich skizzieren, was mir theologisch daran weiter bedenkenswert erscheint. Denn auch als anscheinend unbeteiligt vergleichender Religionswissenschaftler habe ich mir einige wenige theologische Überzeugungen bewahrt, die freilich rein persönlich sind und keinerlei Verbindlichkeit für andere beanspruchen können. Weil sie aber u.U. manchen einsichtig werden können, verfalle ich ab und zu in das kommunikative »Wir«. • Der heutige Mensch lebt in einer Welt. Er ist auf diese Welt angewiesen. Wenn z.B. unsere Erde durch menschliche Einwirkung oder durch Naturgewalten verwüstet wird, wird uns keine »Zweitwelt« geschenkt werden. Auch das Volk Israel hat sich 1948 seinen eigenen Staat geschaffen und nicht auf ein Neues Jerusalem gewartet, das ihm in den Schoß fiel. • Wenn es aber nur eine Welt gibt, muss es als Utopie - wörtlich als Idee, die keinen Ort hat - anmuten, was die apokalyptischen Visionäre seit Jes 25,8 erträumen, dass Gott den Tod für immer beseitigen könnte. Zu den Bedingungen organischen Lebens gehört nun einmal die Sterblichkeit. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man dem Tod seinen Stachel (vgl. 1Kor 15,55f.) ziehen und frühen Tod, vor allem aber Tod durch menschliche Gewalt, eindämmen könnte. • Die Vorstellung von einer Auferweckung wirkt nur insofern realistischer als andere Vorstellungen von einem »Weiterleben nach dem Tod«, als sie den Tod als Grenze und die Leiblichkeit als notwendiges Substrat des Menschseins ernster nimmt. Sie ist aber keineswegs dazu geeignet, dem Judentum und dem Christentum »Leibfreundlichkeit« zu bescheinigen, weil die »Erlösung des Leibes« (Röm 8,23) in unerreichbarer Zukunft liegt. • Die Mutter der makkabäischen Märtyrer regt uns zwar dazu an, dem allmächtigen Schöpfer auch eine »neue Schöpfung« zuzutrauen. Aber wie wir das Postulat der Schöpfung - wenn das philosophisch überhaupt machbar ist - durch die Erkenntnis der Evolution revidieren mussten, so muss das auch für die kosmologische Vorstellung einer Neuschöpfung geschehen. Das heißt: auch hier kann eine fertig bewohnbare Welt - schon gar nicht der Gipfel der Zivilisation, die Stadt - und ein vollendeter Mensch nicht am Anfang stehen. • Es könnte also durchaus sein, dass die Symbolik der Auferstehung »tot« ist. So nennt R.C. Neville 20 Symbole, die die Interpreten nicht (mehr) für das engagieren, worauf sie sich beziehen. Das liegt aber nicht am guten Willen und an der Kunstfertigkeit des Interpreten, sondern an der historischen Bedingtheit 21 des Symbols »Auferstehung«. Es ist, wie wir sahen, hauptsächlich dadurch belastet, dass es der Notsituation des bedrängten Volkes Israel entspringt, das seine Erwartungen auf dieser Erde nicht verwirklichen kann. Deshalb ist es auch unlösbar mit kosmologischen Entwürfen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 21 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 22 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema der Apokalyptik verstrickt, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können. Theologen würden vielleicht solche Bedingtheit positiv als »heilsgeschichtlich« werten. Aber auch die Christen sind gegen den Projektionscharakter der Idee nicht gefeit. • Die prophetisch-apokalyptische Vorstellung eines universalen Gerichts nach den Werken enthält aber etwas, was für die Israeliten, für Menschen überhaupt nicht unbedingt angenehm ist und nicht so schnell unter Projektionsverdacht fällt. Ich finde darin die Verantwortung vor Gott, aus der man sich auch im Tod nicht wegstehlen kann. 22 Niemand kann sich sozusagen »verkrümeln«. Ich würde dieses Forum der Verantwortung unterscheiden von der Verantwortlichkeit etwa für menschliche Gemeinschaften oder kommende Generationen. Freilich möchte ich nicht behaupten, dass wir erst im Tod oder gar an einem fernen Gerichtstag zur Verantwortung gezogen werden. Der Tod bildet erst einmal die Grenze unserer Handlungsmöglichkeiten. Für das bis dahin gelebte Leben haben wir uns zu verantworten. • Als fundamental für die verschiedenen eschatologischen Vorstellungen haben wir die Überzeugung kennen gelernt, dass es einen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen gibt, und dass Gott diesen Zusammenhang gewährleistet. Theologen haben viel gegen diese alttestamentlich-jüdische Vorgabe gelästert, die angeblich bei Ijob, spätestens aber durch Jesus außer Kraft gesetzt geworden sei. Das glaube ich nicht, sondern ich finde auch hier ein Körnchen Wahrheit. Was ein Mensch tut, wie er sich verhält, wie er liebt, das stellt einen Mehrwert gegenüber der physischen Existenz dar. Dieser Mehrwert muss irgendwo aufgehoben sein. Am Grab vieler Mitmenschen beschleicht mich die Gewissheit, dass, was dieser Mensch zeitlebens investiert hat, nicht verloren sein kann. Paulus selber sagt 1Kor 13,8: »Die Liebe fällt nie dahin«. Sie verfällt nicht als Wert, auch nicht durch körperlichen Zerfall. Vielleicht gibt er uns damit einen Wink für die Interpretation von Kap. 15. Das muss auch für die Liebe Jesu gelten, ohne dass ich ihr damit umfassende soteriologische Bedeutung zusprechen würde. Gerade wenn menschliche Hoffnungsträger und Kämpfer für das Recht gefoltert oder ermordet werden, überkommt uns ohnmächtiger Trotz: Der Tod darf hier nicht das letzte Wort und Recht behalten. Dieses Verlangen nach letzter Gerechtigkeit steckt hinter all den Aussagen über das jenseitige Ergehen. Ich kann hier zunächst nur eine Hohlform erkennen, das Übrige, die Füllung, ist Glauben. Eines ist sicher: Erfüllung und Vollendung ist dem Menschen durch den Tod vor-enthalten. Vielleicht ist sie aber im Tod auch enthalten. Das menschliche Leben bleibt Fragment. Wir können nur hoffen, dass Gott die Fragmente sammelt und daraus ein Ganzes macht. l Anmerkungen 1 Vgl. zum Folgenden D. Zeller, Sterbende Götter als Identifikationsfiguren, BiKi 45 (1990), 132-139; H.-P. Müller, Sterbende und auferstehende Vegetationsgötter? - eine Skizze, ThZ 53 (1997), 74-82; D. Zeller, Hellenistische Vorgaben für den Glauben an die Auferstehung Jesu? (1998), jetzt in: ders., Neues Testament und hellenistische Umwelt (BBB 150), Hamburg 2006, 11-27. 2 Zu ihrer genaueren Bestimmung vgl. meinen Aufsatz: Die angebliche enthusiastische oder spiritualistische Front in 1Kor 15, Studia Philonica Annual 13 (2001), 176-189 und im selben Sinn schon J. Vos, Argumentation und Situation in 1Kor 15, NT 41 (1999), 313-333. 3 Vgl. B. Janowski, Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamentliche Todesverständnis, in: F. Avemarie / H. Lichtenberger (Hgg.), Auferstehung - Resurrection (WUNT 135), Tübingen 2001, 3-45 und Ps 73,23-26; 49,16. 4 Mit LXX, der syr. Übers. und BHS korrigierter Text, ebenso V. cd. 5 O. Plöger, Das Buch Daniel (KAT 18), Gütersloh 1965, 171 erklärt das »viele« inklusiv: alle - soweit sie zu Israel gehören. Diese Auffassung ist freilich nicht die einzige: vgl. K. Koch, Das Buch Daniel (EdF 144), Darmstadt 1980, 239-242. 6 Vgl. J.J. Collins, Daniel (Hermeneia), Minneapolis 1993, 394-398 Exkurs »On resurrection«. 7 Das uns interessierende Kap. 7 wird freilich manchmal einer noch späteren Bearbeitung zugeteilt. Doch J.W. van Henten, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People (JSJ.S 57), Leiden / New York / Köln 1997, 17-57 zeigt die literarische Einheitlichkeit von 2Makk 3-15. »[Das Symbol der Auferstehung ist] … unlösbar mit kosmologischen Entwürfen der Apokalyptik verstrickt, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 22 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 23 Dieter Zeller Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung 8 Lies mit Ch. Habicht, JSHRZ I 3, 235 apo, und nicht hypo, zu dem das Verbum nicht passt. 9 Die Übersetzung dieses Verses ist notorisch schwierig. Das Wort diatheke könnte man auch gut griechisch als »Vermächtnis« wiedergeben; piptein hypo mit Akk. meint, dass das Vermächtnis für sie gültig wurde. U. Kellermann, Auferstanden in den Himmel (SBS 95), Stuttgart 1979, 32.80 fasst den juridischen Ausdruck lokal und bezieht das nyn falsch: »sie sind jetzt in den Bereich der göttlichen Verheißung des ewigen Lebens eingetreten«. Die Einheitsübersetzung versteht piptein als »sterben« (vgl. 12,40 von Soldaten); aber das ist schon in dem vorhergehenden »leiden« inbegriffen. 10 Kellermann, Auferstanden, 78; dagegen E. Puech, La croyance des Esséniens en la vie future: immortalité, résurrection, vie éternelle? (EtB NS 21), 2 Bd., Paris 1993, I 88f. 11 Die Einheitsübersetzung hat sogar »zur Zeit der Gnade«. Aber van Henten, Martyrs, 174 plädiert für instrumentales en. 12 Vgl. Testament Juda 25; Testament Benjamin 10,6-8; Liber Antiquitatum Biblicarum 19,12. 13 Vgl. die Überblicke bei G. Stemberger, Art. »Auferstehung« I/ 2, TRE 4 (1979), 443-450; H.C.C. Cavallin, Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I. Spätjudentum, ANRW II 19,1 (1979), 240-345; O. Schwankl, Die Sadduzäerfrage (Mk. 12,18- 27parr) (BBB 66), Frankfurt / M. 1987, 142-292; R. Bauckham, Life, Death, and the Afterlife in Second Temple Judaism, in: R.N. Longenecker (Hg.), Life in the Face of Death, Grand Rapids 1998, 80-95 sowie die Beiträge von A. Chester und H. Lichtenberger in Avemarie / Lichtenberger, Auferstehung, 47-77.79-91. 14 So die Sprüche des Pseudo-Phokylides 103-115 und Josephus Flavius, z.B. in der Darstellung der pharisäischen Richtung bellum Iudaicum II 163. 15 Vor allem J. Holleman, Resurrection and Parousia (NT.S 84), Leiden / New York / Köln 1996, bes. Kap. IXf. Er steht im Gefolge seines Lehrers H. J. de Jonge und von Kellermann. 16 Die andern von Holleman, Resurrection, 149-155 für die Märtyrer aufgeführten Stellen weisen keine Auferstehungsterminologie auf und/ oder sind hellenistischjüdischen bzw. christlichen Ursprungs. 17 D. Zeller, Entrückung zur Ankunft als Menschensohn (Lk 13, 34f.; 11, 29f.), in: À cause de l’Évangile, FS J. Dupont (LeDiv 123), Paris 1985, 513-530. 18 Vgl. die Synopse bei Cavallin, Leben, 262f. Eine hellenistische Version mit Weltenbrand in Sibyllinen 4,179-189. 19 Im äthHen 51,2 wählt der Menschensohn die Seinen aus. 20 The Truth of Broken Symbols, New York 1996, 20. In seinem späteren Buch Symbols of Jesus, Cambridge 2001, 79ff. kann Neville mit Auferstehung in der Bedeutung »resuscitation of a dead body to life and also new life in a heavenly place after ordinary death« offensichtlich nichts anfangen. Er flüchtet sich zu der moralisch gefärbten schon realisierten Auferweckung in den Deuteropaulinen. Dort handelt es sich aber um die Metapher einer Metapher. 21 Vgl. Neville, Truth, 24f. zur historischen Dimension von Symbolen. 22 Vgl. D. Zeller, Der Brief an die Römer (RNT), Regensburg 1985, 66f. Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Jörg Michael Bohnet Die B Die B Die B Die B Die Beric eric eric eric ericht ht ht ht hte über die Himmelf e über die Himmelf e über die Himmelf e über die Himmelf e über die Himmelfahr ahr ahr ahr ahrt tt tt Je Je Je Je Jes ss ssu uu uu Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ), Band 46 2007, ca. 430 Seiten, ca. [D] 78,00/ SFr 123,00 ISBN 978-3-7720-8216-0 Die lukanischen Himmelfahrtstexte sind seit über drei Jahrzehnten nicht mehr monographisch in der deutschsprachigen Exegese untersucht worden. Die Studie untersucht die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser Berichte und kommt zu dem Ergebnis, dass Lukas nicht eine Himmelfahrt in doppelter Perspektive schildert, sondern von zwei getrennten Ereignissen berichtet. In den Himmelfahrtsberichten wurden verschiedene Traditionen verarbeitet. Es wird die These entwickelt, dass die Himmelfahrten im Gegenüber zur Auferstehung und Erhöhung Jesu zu deuten sind. Die Missionsworte stehen in Beziehung zum Geschehen der Himmelfahrt selbst und zum Universalismus der römischen Kaiserzeit. Dabei zeigt sich, dass das Geschichtsverständnis des Lukas endzeitlich orientiert ist und kein Epochenmodell vorgibt, das die Parusie verzögert. Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Franc anc anc anc anck kk kke Att e Att e Att e Att e Attempt empt empt empt empto oo oo V VV VVerl erl erl erl erlag ag ag ag ag · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 23 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 24 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Die Auferstehung ist seit langem ein strittiger Punkt in der kritischen Erforschung des Neuen Testaments. Nach wie vor findet sie lebhaftes Interesse in der neueren amerikanischen Exegese. Manche der einschlägigen Veröffentlichungen setzen Debatten fort, die europäischen Exegeten längst bekannt sind, aber andere eröffnen ungewohnte Perspektiven auf alte Fragen. Für die Zwecke des vorliegenden Forschungsüberblicks teilen wir die Studien der letzten Zeit in drei Kategorien auf: (1) Arbeiten, die die historische Faktizität der Auferstehung Jesu diskutieren; (2) historische Studien zum Konzept der Auferstehung in der antiken Welt allgemein, besonders im Judentum und Christentum; (3) Arbeiten, die theologische Reflexionen auf die Auferstehung im Neuen Testament bieten. Obwohl diese Einteilung des Gegenstands etwas künstlich ist (manche der zu behandelnden Werke gehören zu mehr als nur einer Kategorie), bietet sie doch einen Rahmen, in dem sich die Bandbreite neuerer Beiträge zu diesem Forschungsfeld überblicken lässt. 1. Die Diskussion der historischen Belege für die Auferstehung Jesu Wer sich einen Überblick über die Auferstehung Jesu in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft verschaffen will, beginnt am besten mit einem Buch, das kürzlich von R OBERT B. S TEWART herausgegeben wurde: The Resurrection of Jesus: John Dominic Crossan and N.T. Wright in Dialogue. 2 Außerhalb der akademischen Welt in Nordamerika ist N.T. W RIGHT einer der meistgelesenen Neutestamentler. Obwohl Wright ein britischer Exeget ist (er ist der anglikanische Bischof von Durham), wird seine neue epochale Studie zur Auferstehung, The Resurrection of the Son of God, voraussichtlich in Amerika die einflussreichste Einzelstudie zur Auferstehung für viele Jahre sein. Dieses 800 Seiten starke Werk bietet eine ausführliche Zusammenfassung der Ansichten zum Leben nach dem Tod in der antiken griechisch-römischen Welt, im Alten Testament und im nachbiblischen Judentum. Anschließend gibt Wright einen detaillierten Überblick zum Umgang mit der Auferstehung in allen neutestamentlichen Schriften und in außerkanonischen christlichen Quellen bis zum 3. Jh.n.Chr. Wright kommt zu einem zweiteiligen Ergebnis bezüglich der Auferstehung: (1) »Auferstehung« bezog sich in der Antike nicht auf leiblose Unsterblichkeit, sondern bedeutete »Leben nach dem Leben nach dem Tod« in einem verwandelten Leib; (2) eine solche leibliche Auferstehung Jesu ist die notwendige und hinreichende Erklärung für die Verkündigung der frühen Kirche. Insofern ist Wright ein Verteidiger des klassischen orthodoxen Verständnisses der Auferstehung Jesu. Wright und J OHN D OMINIC C ROSSAN sind regelmäßig zusammen in der Öffentlichkeit aufgetreten, um darüber zu diskutieren, was mit dem Körper Jesu geschehen ist, nachdem er am Kreuz gestorben war. Crossan, der früher katholischer Priester war, ist emeritierter Professor of Religious Studies an der DePaul Universität in Chicago. Er war früher einer der Leiter des »Jesus- Seminars«, einer Gruppe von Exegeten, die einen Konsens in der Frage erreichen wollten, welche Jesusworte und welche der ihm zugeschriebenen Ereignisse historisch authentisch sind. Gegenüber Wrights christlicher Orthodoxie stellt das Jesus- Seminar eine konkurrierende Art von Jesusforschung in Nordamerika dar: Sie pflegt die gegen alles Übernatürliche eingestellte Tradition, die ihre Wurzeln auf die liberale Bibelkritik des 19. Jahrhunderts zurückführt, und sucht einen »historischen Jesus«, der nach-aufklärerischer Sensibilität zugänglich ist. Crossan stimmt mit Wright darin überein, dass Jesus nach dem Tod von den Jüngern gesehen wurde (»Erscheinungen«), aber er ist überhaupt nicht damit einverstanden, wenn Wright darauf besteht, dass diese Erscheinungen irgendetwas über das Schicksal des Leichnams Jesu aussagen. Crossan vertritt die Auffassung, dass der Leichnam Jesu, eines gekreuzigten Verbrechers, wahr- Zum Thema Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft 1 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 24 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 25 Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft scheinlich nicht regulär bestattet, sondern wilden Hunden zum Fraß vorgeworfen wurde. Für Crossan ist der entscheidende Faktor in der weitergehenden Mission der Kirche die Verkündigung Jesu, die Verwirklichung des bereits angekommenen Gottesreichs während seines irdischen Wirkens. Weil Jesus schon begonnen hatte, die Herrschaft Gottes durch seine offene Tischgemeinschaft mit Sündern in Kraft zu setzen, genügten den Jüngern die Erscheinungen, um sie darin zu ermutigen, das weiterzuführen, was Jesus begonnen hatte. Crossan glaubt sogar, dass eine leibliche Auferstehung des einen Menschen Jesus ohne eine allgemeinere Auferstehung für die frühjüdische Auferstehungserwartung einen solchen Bruch bedeutet hätte, dass die Jünger nicht gewusst hätten, wie sie diese Auferstehung interpretieren oder darauf reagieren sollten. Wright seinerseits besteht immer wieder darauf, dass ein solcher einzigartiger Bruch nötig ist, um erklären zu können, warum gerade diese messianische Bewegung im Unterschied zu anderen messianischen Bewegungen wie der Bar Kochbas nach dem Tod ihres Messias weiterging. Trotz ihrer Unterschiede in der Frage der leiblichen Auferstehung sind Crossan und Wright weitgehend einig in ihren Deutungen, worin die politische Bedeutung der Auferstehung liegt. Beide glauben, dass die Auferstehungsbotschaft der Kirche ein Aufruf ist, sich auf die Seite Gottes zu stellen in seinem Plan, »Gottes Welt den Schlägertypen wieder wegzunehmen«, wie Crossan es ausdrückt. Das bedeutet: Christen sollten gegen die Kräfte der Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt arbeiten, die die Welt verderben, die Gott gut geschaffen hat. The Resurrection of Jesus kommt von der Debatte zwischen Crossan und Wright zu Stellungnahmen, die zu einem großen Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen und Sichtweisen gehören. Zu diesen Stellungnahmen gehören eine Analyse der Hermeneutik, die hinter Crossans und Wrights biblischen Untersuchungen stehen, Richard B. Hays Richard B. Hays, Jahrgang 1948, Professor für Neues Testament an der Duke University in Durham, North Carolina, USA. Vorher Associate Professor für Neues Testament an der Yale Divinity School. Sein Forschungsansatz ist interdisziplinär, Hays Augenmerk liegt auf der Erarbeitung biblisch-theologischer Fragen mittels literaturwissenschaftlicher Methoden. Sein Hauptforschungsgebiet sind die paulinischen Briefe sowie neutestamentliche Ethik. Diverse Veröffentlichungen zu denen »The Faith of Jesus Christ«, »Echoes of Scripture in the Letters of Paul«, »The Moral Vision of the New Testament«, »First Corinthians (IC)« und »The Letter to the Galatians (NIB)« zählen. Zur Zeit arbeitet Richard B. Hays an einem Forschungsprojekt zur Identität Jesu sowie an einem Buchprojekt über die vier Evangelisten als Interpreten der Schriften Israels. J.R. Daniel Kirk Daniel Kirk ist Assistant Professor für Neues Testament beim Biblical Seminary in Hatfield (PA). Er wurde 2004 an der Duke University mit einer Arbeit zur Auferstehungsproblematik im Römerbrief promoviert. Weitere Veröffentlichungen: Appointed Son(s): An Exegetical Note on Romans 1: 4 and 8: 29 in: Bulletin for Biblical Research 14 (2004); The Sufficiency of the Cross, Parts 1 & 2, in: Scottish Bulletin of Evangelical Theology 24 (2006); Reconsidering Dikaioma in Romans 5: 16, in: Journal of Biblical Literature (im Druck); Conceptualizing Fulfillment in Matthew, in: Tyndale Bulletins (im Druck). 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 25 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 26 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema von Robert Stewart, eine Sichtung der eigentlichen Argumente durch den Philosophen W IL - LIAM L ANE C RAIG (der sowohl Crossans wie G ERD L ÜDEMANN s Deutungen der Auferstehung Jesu diskutiert hat) und eine exegetische Überprüfung des neutestamentlichen Befunds durch den jüdischen Wissenschaftler A LAN F. S EGAL . Das Buch enthält auch ein Kapitel von G ARY H ABER - MAS , das neuere Trends in der wissenschaftlichen Erforschung der Auferstehung skizziert, indem es einen Überblick zu Arbeiten gibt, die in den letzten dreißig Jahren auf Deutsch, Englisch und Französisch geschrieben wurden. (Er teilt die Theorien zur Auferstehung ein in natürliche und übernatürliche, innere und äußere. Das heißt, die Auferstehung werde am besten erklärt entweder als natürliches Phänomen oder als übernatürliche Handlung, mit Auswirkungen entweder im Kopf der Jünger oder in der äußeren Welt). The Resurrection of Jesus bietet also nicht nur eine gute Zusammenfassung der niveauvollen öffentlichen Debatte zwischen Wright und Crossan, sondern auch einen Überblick zu anderen Perspektiven auf diese Frage. In den letzten Jahren hat es auch eine Reihe anderer erwähnenswerter Studien gegeben, die sich mit der Frage nach der historischen Faktizität der Auferstehung befassen. Habermas selbst hat sich ausführlich zu diesem Punkt geäußert, unter anderem in einer neuen Apologie, die er zusammen mit M ICHAEL R. L ICONA verfasst hat, The Case for the Resurrection of Jesus. 3 In diesem Werk plädiert Habermas, ein Philosophie- und Theologieprofessor an der Liberty Universität, einer konservativen evangelikalen Einrichtung, für die Auferstehung Jesu mit Verweis auf »fünf Fakten«: Jesus starb am Kreuz, die Jünger glaubten, dass er auferweckt wurde, Paulus wurde verwandelt, der Skeptiker Jakobus wurde bekehrt und das Grab war leer. Der Ertrag liegt für Habermas und Licona im Bereich evangelikaler Verkündigung: Ihr Buch ist darauf ausgerichtet, Leute in die Lage zu versetzen, ihren Glauben an Jesus weiter zu geben und Argumenten zu begegnen, die gegen die Wahrheit der christlichen Erzählung vorgebracht werden. Einen ganz anderen Standpunkt in dieser Debatte vertreten die Neutestamentler R OBERT F UNK und J AMES M. R OBINSON : Beide haben Bücher veröffentlicht, die den historischen Befund in den Blick nehmen und für eine sich entwickelnde Traditionsgeschichte votieren, die die Faktizität einer leiblichen Auferstehung ablehnt 4 . Funk, der zusammen mit Crossan das Jesus-Seminar geleitet hat, will mit seiner Einschätzung der Auferstehung eine wissenschaftliche Alternative zu den Überzeugungen der Volksfrömmigkeit bieten, die auf einer Verbindung zwischen dem frühkirchlichen Glauben an die Auferstehung und einer Auferweckung des Leichnams Jesu besteht. Seine Position ist für die Mehrheit des Jesus-Seminars eher repräsentativ als der Zugang von Crossan. Funk wertet die verschiedenen biblischen und außerbiblischen Berichte von Jesu Auferstehung aus und vertritt eine Entwicklung der Tradition, die von früheren Berichten unkörperlicher, lichtartiger Erscheinungen (vertreten durch Paulus und manche Geschichten bei Lukas) zu späteren legendenartigen Erzählungen von einem leeren Grab und einer stärker greifbaren, körperlichen Gegenwart Jesu (vertreten durch Geschichten bei Lukas und Johannes, in denen Jesus isst und seine Wundmale zeigt) verlief. Funks Analyse stimmt also weitgehend mit der bekannten Position von Gerd Lüdemann überein. Funks Ergebnis ist: Die leibliche Auferstehung Jesu wurde für die Kirche erst dann wichtig, als innerkirchliche Gruppen ihre Autorität stabilisieren mussten, um Leitung und orthodoxe Lehre auszuüben. Die Beauftragung der Jünger Jesu durch körperliche Erscheinungen ermöglichte es Bewegungen in der frühen Kirche, gegenüber dem Gnostizismus und anderen rivalisierenden Sekten Autorität zu beanspruchen. In klarem Gegensatz zu Crossans Sicht der Auferstehung besteht Funk darauf, dass die Auferstehung Jesu Botschaft einer offenen Tischgemeinschaft aufhebt, indem sie Hierarchie und Autorität etabliert und so gegen das eigentliche Anliegen der Lehre Jesu verstößt. Funk schließt seine Diskussion der Auferstehung mit einer kurzen Geschichte der Entwicklung der Idee im frühen Judentum ab: Der Glaube an die Auferstehung des Leibes (! ) war ursprünglich eine Antwort auf die Dissonanz zwischen der verheißenen Gerechtigkeit Gottes auf der einen Seite und der Ungerechtigkeit, die man in der Welt wahrnahm, auf der anderen. Er hebt dann hervor, dass die Auferstehung eine Idee war, die eine Bewegung ansprechen musste, deren Führer 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 26 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 27 Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft nicht so behandelt worden war, wie ein Messias hätte behandelt werden müssen: Gott hat ihren Anführer ins Recht gesetzt. Funk legt anschließend nahe, dass eine solche Rehabilitation der »in-group« mit Jesu eigener Lehre in keiner Weise übereinstimmt. Die Frage, mit der sich Funk nie beschäftigt, ist das Argument, das Wright in The Resurrection of the Son of God verwendet: Wenn der frühjüdische Glauben ein Glauben an die leibliche Auferstehung war und wenn es genau diese Lehre war, die »für die frühe Kirche ansprechend war«, wie ist es dann kulturell und sprachlich möglich, dass die frühesten Christen den Terminus Auferstehung dazu benutzten, eine unkörperliche Existenz Jesu nach dem Tod zu bezeichnen, in der er ohne einen Leib erschien? Robinson definiert in The Gospel of Jesus die »Osterwirklichkeit« in einer Weise, die deutlich an R UDOLF B ULTMANN erinnert. Robinson vertritt die Auffassung, dass es gerade die Erfahrung der Wirklichkeit der Botschaft Jesu und der Beauftragung, diese Botschaft weiterzutragen, war, die Geschichten von Auferstehungserscheinungen und von einem leeren Grab entstehen ließ. Osterglaube (in dieser Definition) bringt also Auferstehungserzählungen hervor. Robinsons Werk enthält wenig Neues oder Originelles. Diese Position war nicht nur vor langer Zeit von Bultmann vertreten worden (»Jesus Auferstehung in das Kerygma hinein«), sondern sie ist in den Vereinigten Staaten weiten Kreisen auch schon durch den revisionistischen episkopalen Bischof J OHN S HELBY S PONG 5 nahe gebracht worden. Der Harper-Verlag in San Francisco hat entdeckt, dass es für derartige Bücher einen großen Markt in Läden gibt, die die breite Masse mit Büchern versorgen und normalerweise keine wissenschaftlichen Werke zum Neuen Testament führen. Leider zeigt die Popularität solcher Werke kaum, dass die amerikanische Öffentlichkeit begierig auf ernste historische Wissenschaft ist; sie zeigt vielmehr ganz einfach, dass Skandal und Sensationsdarstellung durch eine sorgfältige Verpackung erfolgreich vermarktet werden können. Man sollte aber festhalten, dass - im Gegensatz zu den Werken von Lüdemann und Funk - die Werke von Spong und Robinson apologetischer Natur sind: Sie versuchen, den Glauben an die »Auferstehung« (in neuer Definition) zu bestärken, nicht zu entzaubern. Wir kommen nun zu einem letzten wichtigen Beitrag zur neueren Diskussion über die Historizität des leeren Grabs und der leiblichen Auferstehung Jesu. Der Essay, von dem D ALE C. A LLI - SON s Buch Resurrecting Jesus seinen Titel hat, ist eine sorgfältige wissenschaftliche Studie, die zeigt, wie eindrucksvoll der Verfasser die neutestamentliche Wissenschaft, die christliche Theologie und die wissenschaftliche Literatur zum Phänomen der Erscheinungen Verstorbener in der modernen Welt beherrscht. 6 Nach einer kurzen Skizze der wichtigsten Optionen, die als mögliche Erklärungen der Auferstehung Jesu gelten, formuliert Allison, Professor für Neues Testament am Pittsburgh Theological Seminary, die Vorgaben, die er in die Untersuchung mit einbringt: Er ist ein Christ, der an die Überwindung des Todes und an einen Gott, der einen solchen Sieg verleiht, glauben will, aber er sieht auch, dass eine wörtlich verstandene Auferstehung und eine leibliche Kontinuität zwischen Diesseits und Jenseits mehrere hartnäckige Schwierigkeiten bieten. Von den frühchristlichen Belegen untersucht Allison zunächst biblische Formeln und Bekenntnisse, bevor er die Erscheinungen des Auferstandenen im NT und der außerkanonischen Literatur in den Blick nimmt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die unterschiedliche Art der Erzählungen historisch sichere Resultate verhindert. Aber zugleich gelingt es ihm, aus der bekenntnishaften Aussage des Paulus in 1Kor 15 zwei wichtige historische Elemente herauszuarbeiten: (1) Mehrere Leute berichteten von Christophanien, und (2) mehr als einmal ereigneten sich diese Erscheinungen vor mehr als einer Person. Die Aufgabe besteht also darin, die beste Erklärung für diese beiden Fakten zu finden. Allison zieht die reiche wissenschaftliche Literatur zu heutigen Erscheinungen Verstorbener als wichtigen heu- »Aufs Ganze gesehen hat die Bibelwissenschaft in Nordamerika bei ihrer Untersuchung der frühen Kirchengeschichte einen Konsens erreicht, dass nämlich der Auferstehungsglaube notwendig mit der fortdauernden Existenz einer Gruppe von Jesusnachfolgern nach der Kreuzigung verknüpft ist.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 27 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 28 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema ristischen Vergleichspunkt heran, der hilft, die Aussagen der frühen Kirche einzuordnen. Als Korrektur übereifriger Behauptungen, die Auferstehungserscheinungen seien einzigartig, führt er Fälle aus der Gegenwart an, in denen eine tote Person zu verschiedenen Zeiten lebenden Personen erschienen sein soll, mehr als einer Person gleichzeitig erschien, wirklich und stofflich zu sein schien - alles Facetten der biblischen Auferstehungserscheinungen, von denen manche behaupten, sie seien im Falle Jesu einzigartig. Allison interpretiert diese Gegebenheiten vorsichtig; er vermutet, dass ihre ernüchternde Auswirkung auf den apologetischen Eifer mancher traditioneller Leser nicht absolut ist. Die Möglichkeit von Massenhalluzinationen zum Beispiel wird nur für diejenigen einen gewissen Beweis dafür liefern, dass Jesus den Jüngern nicht leiblich erschienen ist, die von vorneherein überzeugt sind, dass die Welt ein geschlossenes System von Ursache und Wirkung ist und dass leibliche Auferstehung a priori unmöglich ist. Allison bespricht die Argumente für und gegen das leere Grab und kommt zu dem Ergebnis, dass der Befund nicht zwingend, aber doch deutlich für ein leeres Grab spricht. Dabei misst er der Existenz von Josef von Arimathäa und einem tatsächlichen Begräbnis und Grab mehr Glaubwürdigkeit zu, als es viele Neutestamentler heute tun. Bei der Abwägung der Argumente geht Allison auf die wichtige Frage ein, warum die Jünger Jesu Visionen mit Auferstehungsbegrifflichkeit interpretierten. Er ist der Auffassung, dass ein früher Glaube an das leere Grab eine historische Notwendigkeit ist; anderenfalls hätten die frühesten Traditionen eher die Sprache der Rechtfertigung oder der Aufnahme in den Himmel benutzt, als von Auferstehung zu sprechen. Allison besteht (in gewisser Übereinstimmung mit Wright) darauf, dass erklärt werden muss, warum die frühen Christen davon zu reden begannen, dass das eschatologische Ereignis der Auferstehung mit einem Individuum begonnen habe. Eine solche Behauptung stellt eine massive Veränderung der Vorgaben in der frühjüdischen Welt, zu der sie gehörten, dar, und der Schmerz über den Tod ihres Herrn scheint für eine solche Veränderung keine ausreichende Erklärung. Allison zufolge war es die Lehre des irdischen Jesus über den eschatologischen Charakter seines Todes und seiner Auferstehung, die die Jünger in diese Richtung führte. Aufs Ganze gesehen hat die Bibelwissenschaft in Nordamerika bei ihrer Untersuchung der frühen Kirchengeschichte einen Konsens erreicht, dass nämlich der Auferstehungsglaube notwendig mit der fortdauernden Existenz einer Gruppe von Jesusnachfolgern nach der Kreuzigung verknüpft ist. Letzten Endes heißt das aber nicht sehr viel, denn die Exegeten sind weiterhin gegensätzlicher Ansicht bezüglich des Charakters der Auferstehung (war sie leiblich? geistlich? existentiell? ) und in der Frage, ob ihre Rolle bei der Kirchengründung etwas ist, was man feiern und fortführen oder kritisieren und abstreifen sollte. 2. Studien der Auferstehung in ihrem antiken historischen Kontext Die neutestamentliche Wissenschaft in Nordamerika hat sich der Auferstehung auch mit anderen Fragen genähert als der, ob Jesus mit einem verwandelten physischen Leib auferweckt wurde. Die Schriften, die wir als nächste durchgehen, bemühen sich alle darum, die Auferstehung, wie sie im NT begegnet, historisch zu kontextualisieren. Resurrection: The Origin and Future of a Biblical Doctrine ist eine Sammlung von Aufsätzen von fünf Wissenschaftlern, herausgegeben von J AMES H. C HARLESWORTH vom Princeton Theological Seminary. 7 In einem seiner beiden Beiträge zu dem Band unter dem Titel Resurrection of the Dead: Exploring Our Earliest Evidence Today skizziert C.D. E LLEDGE den Befund frühjüdischer Auferstehungshoffnung, bevor er dann 1Kor 15 vor diesem historischen Hintergrund auslegt. Seine Ergebnisse sind: Daniel stellt den frühesten biblischen Beleg für die Hoffnung auf ein Auferstehungsleben dar (eine nur gering entwickelte Hoffnung, die sich auf die besonders Guten und die besonders Schlechten bezieht); 2Makk entwickelt eine Auferstehungshoffnung, die Gottes Macht als Schöpfer unterstreicht und auferweckte Leiber als Antwort auf Theodizeeprobleme sieht, die durch das Martyrium entstanden sind; und die Qumrantexte Messianische Apokalypse (4Q521) und Pseudo-Ezechiel a-e (4Q385-388, 391) zeigen eine Auferstehungshoff- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 28 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 29 Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft nung, die an eschatologische Vergeltung, göttliche Gerechtigkeit und Trost für die Geplagten geknüpft ist. Nach einem kurzen Abstecher zu Josephus, der klären soll, wie weit verbreitet die antike Auferstehungshoffnung war, wendet sich Elledge Paulus zu. Elledge sieht zwei Spuren der pharisäischen Vergangenheit des Paulus in seiner Auferstehungstheologie. Das eine dieser beiden Elemente ist die hartnäckige Weigerung des Paulus, ein auferstehungsfreies Evangelium zuzulassen; das andere ist, dass Paulus wahrscheinlich nur eine Auferstehung der Gerechten (d.h. derer, die in Christus sind) annahm. Über diese Beobachtungen hinaus findet man zwei weitere wichtige Vergleichspunkte. Erstens: Für Paulus ist Auferstehung ein wesentlicher Teil der Antwort auf die Theodizeefrage; wenn es keine Auferstehung des Leibes gibt, dann trägt letztlich der Tod den Sieg davon, indem er die Glaubenden von Gott trennt. Zweitens: Paulus stimmt offenbar mit dem von Elledge herausgearbeiteten früheren Traditionsstrom überein, indem er (wie Daniel) für eine verwandelte physische Existenz argumentiert und nicht (wie 2Makk) für die simplifizierende Erwartung einer Auferstehung des Leibes. Charleworths eigener Aufsatz in diesem Band stellt die Auferstehungstheologie im frühen Judentum und im NT vor und befasst sich auch mit einigen gegenwärtigen Fragen christlicher Theologie. Seine Auslegung der neutestamnetlichen Stellen ist meistens unabhängig von seiner Diskussion des Judentums, aber sie ist eine nützliche Auswahl aus der Breite des Auferstehungsglaubens, wie man ihn im NT findet. Unter anderem stellt er heraus, dass Jesus vom Schöpfergott auferweckt wurde und dass das eine echte Auferweckung (keine Wiederbelebung) war. Er hebt hervor, dass die Erscheinungen des Auferstandenen im NT von Träumen oder Visionen verschieden sind, dass sie zu Menschen kommen, die ihre Hoffnung verloren haben und sie nicht erwarten, und dass sie relativ zurückhaltend ausgestaltet sind, wenn man sie mit den Spekulationen späterer Texte vergleicht. Bei seiner Auseinandersetzung mit einigen Fragen christlicher Theologie kritisiert Charlesworth existentialistische Deutungen der Auferstehung wie die von Spong. Die Vorstellung, dass die Erfahrung der Jünger eine Erfahrung »lebensspendender Kraft in ihnen selbst« war, ist nach Charlesworth einfach eine schlechte Lektüre des NT, wie schön man die dahinter stehende Empfindung auch finden mag. In einer Festschrift für J. L AMBRECHT , Resurrection in the New Testament, hat D ANIEL J. H ARRINGTON verschiedene neutestamentliche Erwartungen des Lebens nach dem Tod mit Pseudo- Philos AntBib, 4Esr und 2Bar verglichen. 8 Harrington geht auf eine ganze Reihe von Punkten ein, unter anderem den Zustand nach dem Tod, die Beschaffenheit der Auferstehungsleiber und das Endgericht. Er weist Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Texten nach, wobei er jeden Abschnitt mit einschlägigen Verweisen auf das NT abschließt. Diese kurze Studie bietet einen hilfreichen ersten Zugang und eine gute Voraussetzung für eine Vertiefung. Andersartige Fragen stellt die jüdische Neutestamentlerin C LAUDIA S ETZER in Resurrection of the Body in Early Judaism and Early Christianity: Doctrine, Community, and Self-Definition. 9 Wie ihr Untertitel zeigt, interessiert sich Setzer nicht so sehr für die Entstehung des Auferstehungsglaubens, als vielmehr für die soziale Funktion dieses »boundary-marking concept« beim Aufbau einer gemeinsamen Identität unter Gemeinschaften, die in der antiken Mittelmeerwelt in der Minderheit waren. Sie vertritt die Auffassung, dass Auferstehung »als ein Kürzel für ein Gewebe von Werten, als ein verdichtetes Symbol, das beim Aufbau von Gemeinschaft hilft, funktioniert«. Sie stellt - in auffälliger Übereinstimmung mit Wright und Crossan - auch fest, dass für Juden wie Christen gleichermaßen »[d]ie Predigt der Auferstehung oft Hand in Hand geht mit einem politischen Programm, das den übermächtigen Kräften in der römischen Welt Widerstand leistet«. Sie zeigt auch, wie der Glaube an die Auferstehung ein Netzwerk anderer Überzeugungen mit sich brachte: »die Macht Gottes, die zusammengesetzte Beschaffenheit eines Menschen als Einheit von Körper und Seele, die Forderung letztgültiger Gerechtigkeit, … und die Legitimität derer, die die Auferstehung predigen«. Setzers Werk repräsentiert also die Richtung der nordamerikanischen Bibelwissenschaft, die sich hauptsächlich mit Sozialgeschichte und mit der sozialen Funktion der Rhetorik antiker Texte befasst. In diesem Überblick sollte eine neuere Studie eines jüdischen Wissenschaftlers erwähnt werden, 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 29 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 30 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema obwohl sie das NT nur indirekt betrifft. J ON L EVENSON , ein bekannter Professor für die hebräische Bibel an der Harvard Universität, hat eine größere neue Studie veröffentlicht, Resurrection and the Restoration of Israel, in der er sich im Gegensatz zur wissenschaftlichen communis opinio dafür ausspricht, dass die hebräische Bibel an vielen Stellen den Glauben an die Auferstehung der Toten erkennen lässt. Levenson versucht, diese Behauptung durch eine Auslegung der Ansichten antiker Rabbinen und der biblischen Texte selbst zu belegen. 10 Wie diese Studien zeigen, hat sich eine bedeutende Richtung der Auferstehungsforschung jüngst der Aufgabe gewidmet, den frühjüdischen und neutestamentlichen Befund unter Berücksichtigung der historischen, sozialen und religiösen Umstände, unter denen sich die frühe Kirche entwickelte, einfach nur angemessen zu erklären. Solche Untersuchungen können natürlich Bedeutung für die theologische Reflexion haben, aber das ist nicht das Hauptziel der Arbeiten, die hier erwähnt wurden. Wir wenden uns schließlich einer Reihe neuer Studien zu, die sich unmittelbarer mit theologischen Fragen befassen. 3. Theologische Projekte: Verschiedene Fragestellungen Eine bedeutende Entwicklung in der neueren Erforschung des NT in Nordamerika ist - neben der Beliebtheit sozialwissenschaftlicher Zugänge - der Versuch mancher Wissenschaftler, wieder eine stärker theologische Hermeneutik zu finden, die die historisch-kritische Erforschung der Bibel mit den antiken Auslegungstraditionen der Kirche verbindet. Eine wichtige Umsetzung dieses Programms ist eine Aufsatzsammlung mit dem Titel The Art of Reading Scripture. Sie geht auf eine Gruppe von Wissenschaftlern zurück, die sich vier Jahre lang regelmäßig im Center of Theological Inquiry in Princeton, New Jersey trafen. In einem Aufsatz dieses Bandes mit dem Titel Reading Scripture in Light of the Resurrection kommt R ICHARD B. H AYS aus der exegetischen Beschäftigung mit dem NT zu einer Reihe von hermeneutischen und theologischen Folgerungen. Seine These lautet in knapper Form: »Wir legen die Schrift nur dann richtig aus, wenn wir sie im Licht der Auferstehung lesen, und wir beginnen erst dann, die Auferstehung zu verstehen, wenn wir sie als den Höhepunkt der in der Schrift enthaltenen Geschichte der gnädigen Befreiung Israels durch Gott sehen«. 11 Hays beteiligt sich daran, die skeptische Haltung in Frage zu stellen, die man in den Arbeiten von Wissenschaftlern wie Robert Funk und anderen Erben von Bultmanns nach-kantianischem Projekt findet. Er untersucht die hermeneutische Funktion der Auferstehung in drei Erzählungen der Evangelien und schlägt vor, zeitgenössische Leser sollten die Lesestrategie, die von diesen Erzählungen veranschaulicht wird, übernehmen. Als erstes scheint der Erzähler der Tempelreinigung in Joh 2,13-22 anzudeuten, dass Schriften wie Ps 69, richtig (d.h. mit einer Auferstehungshermeneutik) gelesen, Jesus vorabbilden und erst nach der Auferstehung im vollen Sinn verstanden werden können. Jesu Streit mit den Sadduzäern über die Auferstehungsfrage in Mk 12,18-27 enthält eine Ergänzung: Wahre Schriftkenntnis erfordert eine Auferstehungshermeneutik, die das Zeugnis der Schrift für Gott als einen, der Leben geben kann, wahrnimmt. Im Anschluss an das Werk von J. G ERALD J ANZEN vertritt Hays, dass Jesu Bezugnahme auf Ex 3 die Auferstehung auf zwei besondere Weisen untermauert. (1) Gottes Bundestreue zu den Erzvätern zeigt, dass Gott ihren Nachkommen treu sein wird. (2) Die Erzvätererzählungen selbst untergraben das Rätsel der Sadduzäer von der dauerhaft kinderlosen Frau. Der Gott, der den Kinderlosen Kinder gibt, wie Jahwe es in den Erzvätererzählungen tut, ist der Gott, der die Leugnung des Auferstehungslebens durch die Sadduzäer in Frage stellt. Schließlich zeigt Lk 24, wie Jesus die Schriften Israels auslegt, um seinen Jüngern deutlich zu machen, dass der »Eine bedeutende Entwicklung in der neueren Erforschung des NT in Nordamerika ist [...] der Versuch mancher Wissenschaftler, wieder eine stärker theologische Hermeneutik zu finden, die die historisch-kritische Erforschung der Bibel mit den antiken Auslegungstraditionen der Kirche verbindet.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 30 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 31 Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft Tod und die Auferstehung Jesu den erzählerischen Höhepunkt der Geschichte Israels darstellen. Die Jünger erkennen Jesus nicht durch die Schriftdeutung allein, sondern im Kontext der Gemeinschaft, die beim Brotbrechen entsteht. Der hermeneutische Anspruch, Jesus in Gemeinschaft zu erkennen, bildet einen scharfen Gegensatz zur neutestamentlichen Hermeneutik der aufklärerischen Projekte, die den Glauben und die Glaubensgemeinschaft einklammern, bevor sie die historisch-kritische Methode dazu verwenden, die Auferstehung Jesu abzulehnen. Manche Folgerungen, die Hays aus diesen Auslegungen zieht, machen es nötig, Gott als das Subjekt der Schrift und Gottes Werk als lebensspendende Handlung zu sehen. Die Auferstehungshermeneutik fordert auch, dass Ausleger die ganze Schrift als christliche Schrift lesen; dies verlangt im Gegenzug nach stärker bildlich ausgerichteten Lesarten der Texte und einer Auslegungspraxis, die die eschatologische Hoffnung wahrnimmt und zu dieser aufruft. Die abschließenden Stellungnahmen sind die kühnsten. Hays nimmt an, dass die Auferstehungshermeneutik mit einer Auferstehungsepistemologie einhergeht, die anders einschätzen lässt, was »wirklich« ist. 12 Eine solche Veränderung transformiert, wie Hays betont, die übliche kritische Schriftinterpretation insofern, als diese darauf besteht, den Glauben zugunsten »objektiver« Deutungen einzuklammern, die faktisch die lebensspendende Macht Gottes leugnen. Zu der oben erwähnten Lambrecht-Festschrift haben mehrere amerikanische Wissenschaftler Aufsätze beigetragen, die theologische Interpretationen von Auferstehungsthemen bei Paulus bieten. V ERONICA K OPERSKI s Aufsatz über Resurrection Terminology in Paul 13 entwickelt die These, die Mitte der paulinischen Theologie liege in »christozentrischer Soteriologie«. Wegen dieser Ausrichtung analysiert sie nicht nur Auferstehungsterminologie, sondern auch Evangeliumsterminologie in den Briefen des Paulus. Das erste Argument von Koperski ist, dass für Paulus der Tod und die Auferstehung Jesu die Mitte seines Evangeliums und damit auch seiner Theologie sind. Ihre zweite Feststellung ist zugleich traditionell aus kirchlicher und mutig aus akademischer Perspektive: Koperski vertritt den Standpunkt, dass das paulinische Evangelium, das sich ja auf die Ereignisse des Todes und der Auferstehung Jesu konzentriert, eine »einzigartige Beziehung“« zwischen Jesus und Gott enthüllt. Sie schlägt vor, Hinweise auf eine »subordinatianische Christologie« nicht als ein Zögern des Paulus, die Gottheit Jesu auszusagen, sondern als den Ausdruck einer Gottheit zu lesen, deren wahres Wesen sich in der Selbsterniedrigung, die wir in Phil 2,5-11 sehen, zu erkennen gibt. Ihre Lesart der paulinischen Christologie und des Neuen Testaments im Allgemeinen bringt sie zu der Auffassung, dass dort »Glaube an die Gottheit Jesu früh und allgemeiner zum Ausdruck kommt, als manchmal zugegeben wird«. Im selben Band greift F RANK M ATERA von der Catholic University of America in Washington, D.C., die paulinische Verwendung von Auferstehungssprache bei der Verteidigung seines apostolischen Dienstes in 2Kor auf. 14 Matera untersucht drei Texteinheiten innerhalb von 2Kor 4,7-5,10. Die Verteidigung seines Dienstes durch Paulus in 4,7-15 enthält zwei Perspektiven auf die Bedeutung der Auferstehung Jesu. Zunächst findet man dieselbe Hoffnung, die in 1Kor 15 ausgedrückt ist, nämlich, dass es ein zukünftiges Auferstehungsleben für Glaubende geben wird. Aber es gibt auch einen bereits gegenwärtigen Aspekt der Auferstehung. Nach 2Kor 4,16-18 verraten auftretende Bedrängnisse, von außen gesehen, nicht, worauf sie wirklich hinauslaufen: Sie bewirken ewige, alles übertreffende Herrlichkeit. Auferstehungsherrlichkeit wird jetzt in Bedrängnis erfahren. Matera interpretiert dann 2Kor 5,1-10 als Teil der paulinischen Hoffnung mitten im apostolischen Leiden, eine Hoffnung, die sich auf Gott gründet, der den Toten Leben gibt. Deshalb schließt Matera, dass sich die Auferstehungstheologie des Paulus zwischen 1 und 2Kor nicht verändert hat, sondern dass Paulus seine Gedanken zu seiner eigenen Erfahrung der Auferstehung entlang den Linien von sowohl zukünftiger Hoffnung wie gegenwärtiger Erfahrung weiterentwickelt hat. Ein drittes Beispiel eines nordamerikanischen Wissenschaftlers, der in der Lambrecht-Festschrift eine exegetische und theologische Deutung der Auferstehung Jesu gibt, ist J OHN R EUMANN mit seinem Beitrag Resurrection in Philippi and Paul’s Letter(s) to the Philippians. 15 Auf der Basis verschiedener historischer Rekonstruktionsschrit- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 31 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 32 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema te, zu denen auch die Entstehung des Briefs selbst gehört, vertritt Reumann die Ansicht, Paulus bringe die Auferstehung dazu ins Spiel, um den Arten von »Feinden«, auf die er sich in Phil 3 bezieht, zu begegnen: Feinde, deren Lehre eine eigentümliche Mischung von Festhalten an jüdischen Bräuchen und ausschweifendem Lebenswandel, der oft mit überrealisierter Eschatologie in Verbindung gebracht wird, gewesen zu sein scheint. Als Reaktion darauf erzählt Paulus seine eigene Geschichte als die eines beschnittenen Juden, der dennoch den Tod und die Auferstehung Jesu nötig hatte, und eines Mannes, der immer noch auf die Vollendung zustrebt, die er noch nicht erlangt hat. Auferstehung wird damit zu einer Absicherung gegen eine Lehre, der seine Gemeinde ungeschützt ausgesetzt wäre, wenn ihre Evangeliumsbotschaft nicht mehr als das Preislied in Phil 2 wäre. Schließlich zur feministischen Exegese, die, weil alle Auferstehungsberichte in den kanonischen Evangelien die Rolle von Frauen als den ersten Zeugen der Auferstehung hervorheben, ein besonderes Interesse an historischen und theologischen Auslegungen dieser Erzählungen gezeigt hat. 16 Die Untersuchungen der Auferstehung Jesu, denen wir uns jetzt zuwenden, nähern sich alle dem neutestamentlichen Text mit einem ausgeprägt theologischen Programm: Sie verbinden die Auferstehung Jesu mit feministischer Hermeneutik. Es ist angemessen, dass wir mit E LISABETH S CHÜSSLER F IORENZA beginnen, Krister Stendahl Professor of Divinity an der Harvard Divinity School, die seit fast 25 Jahren im Bereich feministisch-theologischer Projekte in den U.S.A. Pionierarbeit leistet. In ihrer christologischen Studie mit dem Titel Jesus: Miriam’s Child, Sophia’s Prophet führt eine Diskussion der Kreuzigung Jesu zu feministischen Auslegungen des neutestamentlichen Auferstehungszeugnisses. 17 Schüssler Fiorenza beginnt mit den Gemeinsamkeiten zwischen feministischen Deutungen des Todes Jesu und frühchristlichen Versuchen, ihm Bedeutung zu geben: Beide beginnen beim »Faktum« ungerechter Unterdrückung und dem Tod einer entmenschlichten Person. Sie stellt dann fest, dass beide Interpretationsströme die Sprache verwenden, die ihnen verfügbar ist, Sprache, die Bedeutung schafft. Analysen von Unterdrückung, die im Gespräch über das Kreuz und die Auferstehung bewusst angewendet werden, geben diesen Ereignissen befreiende Bedeutung. Zur Auferstehung selbst stellt sie fest, dass sowohl traditionelle wie feministische Bezugnahmen auf die Auferstehung von Rechtfertigung sprechen, Rechtfertigung des Kampfes für eine Welt, die von Missbrauch, Hunger und Ungerechtigkeit frei ist - das Bedürfnis einer Veränderung der Welt, wie wir sie kennen. Die feministische Deutung der Auferstehung beginnt jedoch, von den traditionellen christlichen Glaubensaussagen abzuweichen, wenn wir sehen, dass in den erzählerischen Berichten Frauen, nicht Männer, die ersten sind, die den auferstandenen Christus sehen (bzw. bei Markus nur Frauen die Ankündigung der Auferstehungsbotschaft erhalten). Die unterdrückerische Situation des Todes Jesu durch Kreuzigung und Grablegung wird durch die Eröffnung verwandelt: »Er ist nicht hier! « Schließlich ist die Osterverkündigung eher eine Botschaft, die nach Handeln verlangt, als ein Glaubensbekenntnis, das nach Glauben verlangt. Schüssler Fiorenza legt der Verheißung, dass Jesus nach Galiläa vorausgeht, große Bedeutung bei. Der Lebende wird nur gefunden, wenn man weiß, dass er vorausgeht und dabei die Zukunft eröffnet. Das ist die Botschaft, die Frauen anvertraut wird. Dass Jesus vorausgeht, ist die Grundlage der Idee, dass Jesu Auferstehung einen »offenen Raum« schafft, in dem seine Auferstehung Auswirkungen auf eine Welt der Unterdrückung hat, einen Ort, wo Gekreuzigte zu Lebenden werden können. Schüssler Fiorenza benutzt diese Deutung, um traditionelle Deutungen des Leidens zu kritisieren, die von einem Jesus abhängig sind, der weggegangen, nicht vorausgegangen ist. Ihrer Meinung nach findet man bei Paulus und im 1Petr ein Leiden, das durch Hoffnungen auf ein besseres Leben geadelt ist, auf Auferstehungsleben, nachdem das gegenwärtige Leben vorbei ist. In der feministischen Neufassung geht der Auferstandene voraus und gibt so Hoffnung auf die Verwandlung des Leidens, Hungers und der Unterdrückung (auch, aber nicht nur von Frauen), die hier und jetzt existieren. A NTOINETTE C LARK W IRE arbeitet deutlich auf der von Schüssler Fiorenza geschaffenen Grundlage weiter und versucht, hinter den Seiten des NT das Auferstehungszeugnis von Menschen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 32 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 33 Richard B. Hays / J.R. Daniel Kirk Auferstehung in der neueren amerikanischen Bibelwissenschaft wahrzunehmen, die nicht geschrieben haben, sondern die dieses erzählt haben. 18 Wire beginnt mit der Geschichte, wie Jesus die Tochter des Jairus auferweckte, und weist auf eine Spannung im Text hin: Jesus befiehlt den Eltern Stillschweigen über die Geschichte, aber dennoch erzählt der Verfasser sie. Die Geschichte existiert, weil Menschen, die nicht geschrieben haben, sie erzählten: Die Eltern priesen Gott für das Leben, das ihrer Tochter gegeben wurde. Wenn wir uns als nächstes den Auferstehungserzählungen von Jesus zuwenden, sehen wir, wie erwartet, Menschen, die nicht geschrieben haben, am Grab: Frauen vollzogen die Begräbnis- und Klagebräuche. Dann vertraut Jesus, vielleicht unerwartet, den Frauen eine Botschaft an, wie sie ihn finden können: Er geht ihnen voraus. Wire legt Wert darauf, dass der Ort (Galiläa bei Markus, Jerusalem bei Lukas) nichts zur Sache tut: Das Erzählen führt zur Gegenwart von Jesus, wohin auch immer Jesus führt oder wohin auch immer der Geist kommt. Wires stärkste Neudeutung des neutestamentlichen Texts ist ihre Auseinandersetzung mit 1Kor. Hinter dem Brief sieht sie Frauen, die ihre Gaben prophetischer Leitung ausübten, ihre ehelichen Pflichten hintan stellten und dabei eine Auferstehung von der niedrigen Stellung der Ungebildeten, der Schwachen, der niedrig Geborenen erfuhren (vgl. 1Kor 1,26). Wire schlägt vor, in 1Kor 4,8 (ihr seid schon reich, ihr seid Könige geworden) eine missbilligenden Antwort des Paulus an Frauen zu sehen, die die wahre Befreiung des Auferstehungslebens Jesu erfahren haben. So sieht das Auferstehungszeugnis von Menschen, die nicht geschrieben haben, im NT aus. Ein letzter feministischer Zugang zur Auferstehung im NT knüpft an die Erzählungen der Evangelien von Jesu Tod, Begräbnis und Auferstehung an. Re-Reading Resurrection von M ARY R OSE D’A NGELO bietet einige Denkwege an, wie man die Frage »Ist die Auferstehung eine frohe Botschaft für Frauen? « beantworten kann. 19 Bei ihrer Untersuchung der Erzählungen vom leeren Grab vertritt D’Angelo die Meinung, dass der Begräbnisort Jesu unbekannt war. Diese Möglichkeit verbindet die weinende Maria (Joh 20,11-13) mit Leuten, die heute trauern, weil ihre Familienangehörigen einem Massenmord zum Opfer gefallen sind. D’Angelo sieht in dem ungewöhnlichen Begräbnisritus der Salbung Jesu in Mk 14 die Verbindung zwischen Jesus und Märtyrern der Befreiung und den Armen. D’Angelo ist der Meinung, dass in der Sprache der frühen Kirche die Gegenwart von Maria von Magdala am Grab bei Mk und das folgende abrupte Ende des Evangeliums nahe legen, dass die Frauen am leeren Grab die Erzählerinnen (wenn auch nicht die Verfasserinnen) des gesamten Evangeliums sein könnten. Von den Erzählungen vom leeren Grab kommt D’Angelo dann zu den Erzählungen von Jesu Erscheinung. Hier distanziert sie sich von der Position, dass es solchen Erscheinungen wesentlich um den Autoritätsanspruch frühchristlicher Führungsgestalten gehe. Auf der Grundlage von Vergleichen mit anderen Visionsberichten im NT spricht sie sich dafür aus, dass diese Erscheinungen ein Zeugnis für den Geist ablegen, der prophetische Erfahrungen und damit einen Zugang zu Jesus vermittelt, nicht für Autoritätspositionen, die ihn hermetisch verschlossen in der Vergangenheit halten. Und selbst wenn diese Erscheinungen zur Grundlage von Autoritätsansprüchen gemacht werden, kann man immer noch auf Maria von Magdala verweisen (Joh 20,14-17), die dieselben Qualifikationen hatte, die der Apostel Paulus für sich reklamiert. Ausgehend von ihrer Analyse vertritt D’Angelo eine Kombination von prophetischer und Geistchristologie: Der Prophet handelt durch den Geist im prophetischen Akt für Jesus und seine Gefährten. Auf diese Weise macht D’Angelos Deutung der Auferstehung im NT es ihr möglich, Verbindungslinien zwischen Jesu Tod und Auferstehung einerseits und Widerstandsbewegungen gegen Unterdrücker andererseits wahrzunehmen. Sie ermöglicht es ihr auch, sich für eine Verteilung von Autorität in der Kirche auszusprechen. Solche Denkwege erlauben es dem auferweckten Jesus als Befreier von Marginalisierten und Unterdrückten zu fungieren und damit als einer, der Frauen eine frohe Botschaft bringt. 4. Auswertung Die Auferstehung Jesu stellt Fragen an die neutestamentliche Wissenschaft, die in Nordamerika sehr lebendig sind. Diese Fragen reichen von den ganz fundamentalen »historischen« Fragen, ob Jesus auferweckt wurde und wenn ja, was das 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 33 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 34 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema bedeutet, bis zu höchst entwickelten »theologischen« Fragen nach den hermeneutischen und sozialen Implikationen. Besonders zwei Punkte darf man bei diesen Diskussionen nicht übersehen. (1) Der besondere Auferstehungsglaube der frühen Kirche verlangt nach einer Erklärung. Historische Untersuchungen der frühen Kirche müssen sich besonders mit der Frage beschäftigen, warum die ersten Nachfolger Jesu die eschatologische Sprache von »Auferstehung« mit ihrer Konnotation kosmischer Transformation wählten, um sein weitergehendes Leben und seinen weitergehenden Einfluss zu formulieren. (2) Auch historische Untersuchungen der Auferstehung Jesu sind genauso theologische Unternehmungen (und verdanken sich meistens ebenso theologischen Prämissen) wie die explizit theologischen Projekte der feministischen Hermeneutik oder der Auferstehungshermeneutik. Gerade weil die Rede von der Auferstehung fest an die Vorstellung gebunden ist, dass Gott weiterhin in der Welt handelt, so werden bei der Interpretation der neutestamentlichen Auferstehungsberichte unvermeidlich immer die Vorstellungen von uns Bibelwissenschaftlern einfließen, wie sich dieses Handeln Gottes konkretisiert und unsere zerbrochene Welt zurechtgebracht wird. l Anmerkungen 1 Die Verfasser danken Herrn Prof. Dr. Thomas Schmeller für die sorgfältige Übersetzung des vorliegenden Beitrages. 2 R.B. Stewart (Hg.), The Resurrection of Jesus: John Dominic Crossan and N. T. Wright in Dialogue, Minneapolis 2006. Wright bezieht sich auf seine Überlegungen in seinem Buch: The Resurrection of the Son of God, Minneapolis 2003; Crossans Überlegungen bauen auf eine Reihe früherer Studien auf einschließlich seines Werkes: The Historical Jesus: The Life of a Mediterranean Jewish Peasant, San Francisco 1991 (auf deutsch unter dem Titel Der Historische Jesus, 2. Aufl., München 1995 erschienen). 3 G.R. Habermas / M.R. Licona, The Case for the Resurrection of Jesus, Grand Rapids 2004. 4 R.W. Funk, Honest to Jesus, San Francisco 1996; J.M. Robinson, The Gospel of Jesus: In Search of the Original Good News, San Francisco 2005. 5 J.S. Spong, Resurrection: Myth or Reality? A Bishop’s Search for the Origins of Christianity, San Francisco 1994, 238. 6 D.C. Allison, Jr., Resurrecting Jesus: The Earliest Christian Tradition and Its Interpreters, New York 2005. 7 J.H. Charlesworth (Hg.), Resurrection: The Origin and Future of a Biblical Doctrine, New York 2006. Die übrigen Autoren dieses Bandes sind C.D. Elledge, J.L. Crenshaw, H. Boers und W.W. Willis, Jr. Das Werk enthält außerdem eine umfassende kommentierte Bibliographie zur eigenen Weiterarbeit hinsichtlich der Frage nach der Auferstehung im antiken Judentum und im frühen Christentum. 8 R. Bieringer / V. Koperski / B. Lataire (Hgg.), Resurrection in the New Testament (BEThL 165), Leuven 2002, 21-34. 9 C. Setzer, Resurrection of the Body in Early Judaism and Early Christianity: Doctrine, Community, and Self-Definition, Boston and Leiden 2004. 10 J.D. Levenson, Resurrection and the Restoration of Israel: The Ultimate Victory of the God of Life, New Haven 2006. 11 R.B. Hays, Reading Scripture in Light of the Resurrection, in: E.F. Davis / R.B. Hays (Hgg.), The Art of Reading Scripture, Grand Rapids 2003, 216-38; Kursive entstammen dem Original. Für das Argument, dass Paulus eine eben solche Hermeneutik bei seiner Interpretation der Schriften Israels zugrunde legt vgl. J.R.D. Kirk, Resurrection in Romans: Reinterpreting the Stories of Israel in Light of the Christ Event. Ph.D. dissertation, Duke University, 2004. 12 Vgl. auch St. Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: G. Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken, FS Hermann Deuser (MThS 90), Marburg 2006, 339-359. 13 Resurrection Terminology in Paul, in: Bieringer u.a. (Hgg.), Resurrection, 265-81. 14 Apostolic Suffering and Resurrection Faith: Distinguishing Between Appearance and Reality (2 Cor 4,7- 5,10), in: Bieringer u.a. (Hgg.), Resurrection, 387-405. 15 In: Bieringer u.a. (Hgg.), Resurrection, 407-22. 16 Vgl. z.B. P. Perkins, ›I Have Seen the Lord‹: Women Witnesses to the Resurrection, Interpretation 46 (1992), 31-41. 17 E. Schüssler Fiorenza, Jesus: Miriam’s Child, Sophia’s Prophet: Critical Issues in Feminist Theology, New York 1995. 18 A.C. Wire, Rising Voices: The Resurrection Witness of New Testament Non-Writers, in: J. Schaberg u.a. (Hgg.), On the Cutting Edge: The Study of Women in Biblical Worlds, New York 2004, 221-29. 19 M. Rose D’Angelo, Re-Reading Resurrection, TJT 16 (2000), 109-29. »Auch historische Untersuchungen der Auferstehung Jesu sind genauso theologische Unternehmungen ....« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 34 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 35 »Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden« (1Kor 15,13). In diesen Worten des Apostels Paulus ist in nuce eine zentrale Fragestellung für die Theologen der folgenden Generationen formuliert, die sie in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie zu lösen und zu bewältigen versuchten. Dies ist der Grund, weshalb sich unter den theologischen Traktaten aus dem 2. bis 4. Jahrhundert häufig Titel finden lassen wie De resurrectione (»Über die Auferstehung«) und De fide resurrectionis (»Über den Glauben an die Auferstehung«). Um es vorwegzunehmen: Unter den Theologen der Alten Kirche fand sich niemand, der die Auferstehung Jesu als solche ablehnte oder Fragen zu ihrer Historizität formulierte. Die Erinnerung an die Auferstehung Jesu war ein Grundbestandteil der liturgischen Praxis von Oster- und Eucharistiefeier und sie einte darin die christlichen Gemeinden der Alten Kirche. Das heißt aber nicht, dass man deshalb immer einer Meinung war. Wenn man sich das Denken der damaligen Theologen näher ansieht, stellt man fest, dass sie oft von ganz anderen Fragen umgetrieben wurden, als sie uns heute beschäftigen. »Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden« - der zweite Teil dieses Apostelwortes, die Auferstehung Christi, steht für die antiken Denker auffallend im Hintergrund. Das Auferstehungswunder erzeugte in der hellenistischen Antike kaum Diskussionsbedarf. Auf die Idee, dass eine Gottheit sich an die Regeln menschlicher Sterblichkeit zu halten hätte, ist man wohl nicht gekommen. Der pagane Christenkritiker Kelsos hält dem Glauben an die Auferstehung der Gottheit denn auch lediglich vor, dass damit »die Christen nichts Neues zu sagen wüssten« (Origenes, Contra Celsum 2,5). 1 Lediglich die jüdische Leugnung der Auferstehung Jesu stellte für die Christen ein gewisses Ärgernis dar (vgl. Tertullian, De spectaculis 30), wurde aber doch nicht als ernsthafte Bedrohung empfunden. Auch eine über den Tod hinaus dauernde Existenz der Menschen war für das antike Denken einigermaßen unproblematisch: Die Schatten des Hades und die Unsterblichkeit der Seele waren seit Jahrhunderten feste Größen im griechischen und römischen Denken. Und zur Zeit der Ausbreitung des Christentums hatten gerade jene religiösen und philosophischen Richtungen Hochkonjunktur, die die Frage der eschatologischen Existenz des Menschen in den Mittelpunkt stellten (Mithraskult, Mittel- und Neuplatonismus). Aber die in der Bibel bezeugte resurrectio carnis, die Auferstehung des Fleisches nach dem Vorbild Jesu Christi, ließ sich nur schwer mit den allgemein anerkannten Vorstellungen etwa der antiken Popularphilosophien in Übereinstimmung bringen. Die Rückkehr von Toten aus dem Hades als Gegenstand von allerlei Spukgeschichten besaß eine gewisse Popularität, 2 aber die Christen behaupteten ja etwas ganz anderes: dass der auferstandene Christus eine allgemeine Auferstehung aller Menschen mit Seelen und Leibern anführen werde. Da sich die Auferstehung der Toten und die Auferstehung Christi für die Alte Kirche nicht voneinander trennen ließen, bedeutete dies: Die Lehre von der Auferstehung Christi und der Menschen am Ende aller Tage blieb eben Zum Thema Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche »Die Erinnerung an die Auferstehung Jesu war ein Grundbestandteil der liturgischen Praxis von Oster- und Eucharistiefeier und sie einte darin die christlichen Gemeinden der Alten Kirche.« »... die in der Bibel bezeugte resurrectio carnis, die Auferstehung des Fleisches nach dem Vorbild Jesu Christi, ließ sich nur schwer mit den allgemein anerkannten Vorstellungen etwa der antiken Popularphilosophien in Übereinstimmung bringen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 35 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 36 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema doch eine »Provokation« (Eckart Reinmuth in diesem Heft) beziehungsweise trotz aller religionsgeschichtlicher Analogien »für einen Griechen undenkbar« (Dieter Zeller). 3 Diese Situation provozierte ein Nachdenken über den Menschen und seine eschatologische Hoffnung, das zweifellos zu den produktivsten und ergiebigsten Kapiteln in der Theologie der christlichen Kirchenväter gehört. 1. Christliche Apologie des Auferstehungsglaubens Wie sehr der Glaube an die Auferstehung die christliche Identität des 2. und 3. Jahrhunderts prägte, machen etwa die Martyriumsberichte aus der Zeit 180-260 deutlich: Christen fürchteten danach nicht den Tod, wohl aber das Gericht nach dem Tod (Minucius Felix, Octavius 8,5), was ihre für die Zeitgenossen unverständliche Leidens- und Todesbereitschaft erklärt. Auf die enge Verbindung von Märtyrer- und Auferstehungstheologie ist zu recht schon lange hingewiesen worden. 4 Das Martyrium wurde in der Märtyrerliteratur des 2. Jahrhunderts häufig ganz parallel zu Tod und Auferstehung Christi gesehen - auf das Amphitheater folgt die Himmelfahrt (Acta Martyrum Scillitanorum 15), weshalb man in den Märtyrern auch besondere Fürsprecher bei Christus hatte. Für die Entwicklung der christlichen Frömmigkeit können diese Zusammenhänge kaum überbewertet werden. Es gab aber auch Komplikationen. Die theologischen Texte des zweiten Jahrhunderts sahen sich zwei sehr ernsten Anfragen ausgesetzt: Zum einen vonseiten der paganen, hellenistischen Anthropologie, die sich auf die Ergebnisse eines philosophischen Erkenntnisprozesses vieler Jahrhunderte stützte. Für sie war eine leibliche Auferstehung nicht denkbar - weder die Auferstehung eines jüdischen Weisheitslehrers mitsamt seinem Körper, noch die der übrigen Menschen. Zum anderen war da jene Geistesströmung, die man in der Forschung traditionell als »Gnosis« bezeichnet: Eine Form des Denkens, das von einem starken kosmologischen Dualismus ausging und auch in christlichen Kreisen in dieser Zeit populär wurde. Der bereits erwähnte pagane Christenkritiker Kelsos etwa warf den Christen des 2. Jahrhunderts vor: »Töricht ist auch ihr Glaube, dass, wenn Gott einmal wie ein Koch das Feuer herangebracht hätte, das ganze übrige Menschengeschlecht ausgebrannt werden würde, sie dagegen allein fortbestehen würden, und zwar nicht nur die Lebenden, sondern auch die längst schon Gestorbenen; diese würden wieder aus der Erde hervorkommen, bekleidet mit dem nämlichen Fleische wie früher. Es ist das eine Hoffnung, die geradezu für Würmer passend ist. Denn welche menschliche Seele dürfte sich wohl noch nach einem verwesten Leibe sehnen? … Aber das Hässliche vermag Gott gar nicht zu tun, und das Naturwidrige will er nicht tun … Für die Seele könnte er wohl ewiges Leben gewähren; ›die Leichname aber‹, sagt Heraklit, ›sind eher wegzuwerfen als Mist‹. Das Fleisch nun, voll von Dingen, die man anständigerweise nicht nennen kann, wider die Vernunft als ewig darzustellen, wird Gott weder willens noch imstande sein. Denn er selbst ist die Vernunft alles Seienden; er kann daher nichts tun, was der Vernunft oder seinem eigenen Wesen widerspricht.« (Origenes, Contra Celsum 5,14) Damit traf Kelsos wohl recht genau die christlichen Vorstellungen des 2. Jahrhunderts und referierte gleichzeitig die gängigen Vorbehalte ihrer graeco-römischen Umwelt. Auf dieses Problem reagierten die christlichen Denker dieser Zeit, die man deshalb seit dem 19. Jh. als »Apologeten« bezeichnet, auf unterschiedliche Weise. 5 Einige erwähnen die Auferstehung Jesu Christi überhaupt nicht, weil in der Auseinandersetzung mit Nichtchristen die Gefahr von Missverständnissen offenbar zu groß war. Eine andere Strategie, die in den Schriften der Apologeten verfolgt wurde, ist der Verweis auf vermeintliche oder tatsächliche Analogien in den paganen Vorstellungen: »Wenn nämlich die Griechen von Dionysos, dem Sohne des Zeus, erzählen, er sei aus einer Verbindung mit Semele geboren worden, wenn sie von ihm berichten, er habe den Weinstock erfunden, er sei, nachdem er infolge Zerfleischung gestorben war, auferstanden und in den Himmel aufgefahren, wenn sie bei seinen Mysterien einen Esel vorführen, soll ich da nicht merken, dass der Teufel die oben erwähnte, von Moses aufgezeichnete Prophetie (Gen 49,11f.) des Patriarchen Jakob nachgeahmt hat? « (Iustinus, Dialogus cum Tryphone Iudaeo 69) Damit war aber noch nicht viel gewonnen. Philosophisch gebildete Griechen und Römer maßen Mythen und Göttergeschichten längst nicht den 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 36 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 37 Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche gleichen Rang bei wie die Christen ihren Heiligen Schriften. Umgekehrt verlangte die einfachere Frömmigkeit vielleicht nach genaueren Details des Auferstehungswunders, wobei sich nur wenige Texte finden lassen, die auf diese Neugier eingingen. Pagane Kritiker machten sich über die kurzen und wenig erhebenden biblischen Auferstehungsberichte lustig, in denen Frauen aus »irgendwelchen elenden Dörfchen« vorkommen, aber keine Erscheinungen des Auferstandenen vor Statthaltern oder Hohepriestern (so eine Kritik aus dem 3. oder 4. Jh. [? ], überliefert bei Makarios Magnes, Apocriticus 2,14). Auf solche Anfragen geht vielleicht die folgende Beschreibung eines schwer zu datierenden Papyrusfragmentes ein: »In der Nacht aber, in welcher der Herrentag aufleuchtete, als die Soldaten, jede Ablösung zu zweit, Wache standen, erscholl eine laute Stimme im Himmel, und sie sahen die Himmel geöffnet und zwei Männer in einem großen Lichtglanz von dort herniedersteigen und sich dem Grabe nähern. Jener Stein, der vor den Eingang des Grabes gelegt war, geriet von selbst ins Rollen und wich zur Seite, und das Grab öffnete sich, und beide Jünglinge traten ein. Als nun jene Soldaten dies sahen, weckten sie den Hauptmann und die Ältesten auch diese waren nämlich bei der Wache zugegen. Und während sie erzählten, was sie gesehen hatten, sehen sie wiederum drei Männer aus dem Grabe herauskommen und die zwei den einen stützen und ein Kreuz ihnen folgen. Und auf einmal reichten die beiden äußeren Männer mit ihrem Haupt bis zum Himmel, doch der, den sie in ihrer Mitte führten, überragte den Himmel. Eine Stimme vom Himmel fragte: ›Hast Du den Toten gepredigt? ‹ Und vom Kreuz her kam die gehorsame Antwort: ›Ja, das habe ich getan.‹« (EvPetr 9f.) Dieser Text ist in einer Handschrift aus dem 7. bis 9. (Bouriant) oder 8. bis 12. Jahrhundert (van Haelst) überliefert. Während man lange davon ausging, dass es sich dabei um das von Serapion und Origenes beschriebene »doketische« Petrusevangelium handelt, wurde dies jüngst wieder in Zweifel gezogen (Paul Foster). 6 Jedenfalls ist hier das Bemühen zu spüren, auf offene Fragen der als einer Gottheit wenig angemessen erscheinenden Auferstehungsgeschichten mit einem erweiterten narrativen Bericht einzugehen. 7 Sehr viel komplexer musste die Reaktion auf die Frage ausfallen, ob denn eine fleischliche Auferstehung überhaupt in den Bereich des Denkmöglichen gehört. Damit beschäftigten sich unter anderem zwei sehr ähnliche Traktate »Über die Auferstehung« (De resurrectione), deren Verfasserschaft bis heute umstritten ist. Sie zeigen deutlich, dass das Thema der leiblichen Auferstehung zu einer der brennendsten Fragen der Theologie des 2. Jahrhunderts wurde und diese Frage erhebliche Auswirkungen auf die sich entwickelnde christliche Theologie insgesamt hatte. Die erste Schrift (1Res) hat man lange Zeit Justin (gestorben um 165), 8 die andere (2Res) Athenagoras (um 175/ 180) 9 zugeschrieben. Während die Autorschaft von 2Res in der derzeitigen Forschung jedoch stark umstritten ist, 10 ist nach der Entdeckung neuer Textzeugen jüngst die Verfasserschaft des Athenagoras für den Ulrich Volp Ulrich Volp, Dr. theol. (2002, Universität Bonn) habil. (2006, ebd.), ist zur Zeit - nach Studium in Marburg, St. Andrews, Heidelberg und Cambridge und einer wissenschaftlichen Stelle in Birmingham, England - Wissenschaftlicher Assistent und Privatdozent an der Abteilung für Kirchengeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. 2006 übernahm er dort u.a. eine Lehrstuhlvertretung in Reformationsgeschichte und neuerer Kirchengeschichte. Zu seinen veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten gehören seine Habilitationsschrift über die altkirchliche Anthropologie (Leiden 2006), eine Harnack-Edition (Cambridge 2001) und ein Buch über die Ritualentwicklung im frühen Christentum (Leiden / Boston / Köln 2002). Er war außerdem Mitherausgeber des Metzler Lexikons christlicher Denker (Stuttgart 2000) und arbeitet zur Zeit unter anderem an einer Übersetzung des Apokritikos von Makarios Magnes. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 37 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 38 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema früher Justin zugeschriebenen Traktat 1Res wahrscheinlicher geworden. 11 Vieles spricht jedenfalls bei beiden Traktaten für eine Abfassung im Geist der beiden Apologeten. 12 1Res ist ein gutes Beispiel für eine christliche Reaktion auf jene Anfragen, die »gnostische« Positionen an den Auferstehungsglauben stellten. Wenn diese die Auferstehung des Fleisches, der Sarx, 13 grundsätzlich ablehnten, dann ging es dabei um die Bewahrung einer rigoros dualistischen Anthropologie, die das Fleisch nur als sündig und verworfen wahrnehmen konnte und deshalb seine Auferstehung als unmöglich und unangemessen betrachten musste - unabhängig davon, ob es um die Auferstehung eines besonders tugendhaften oder eines bösartigen Menschen ging. Die Materie als solche war nach ihrer Ansicht der Ursprung des Bösen, das Fleisch hatte deshalb notwendigerweise an diesem Bösen Anteil. Darum konnte es nur eine geistliche Auferstehung geben, aber keine fleischliche. Der Verfasser von 1Res hielt dem einerseits die Allmacht Gottes entgegen, die über solche logischen Überlegungen erhaben sei. Andererseits vertrat er die These von einer herausgehobenen Würde der in Gen 1,26 und 2,7 grundgelegten menschlichen Natur, die sich nicht mit dem Bild eines völlig verworfenen Fleisches verträgt. Im gnostischen Schrifttum findet sich nämlich die Vorstellung, dass in Gen 2,7 die Erschaffung des materiellen Menschen durch den Demiurgen neben der Schaffung des geistigen Menschen durch Gott steht (EvPhil 121). Stattdessen hielt 1Res ausdrücklich an der Urheberschaft Gottes auch für die fleischliche Geschöpflichkeit des Menschen fest und auch der Logos war sich danach nicht zu schade, menschliches Fleisch »zu tragen«. Die Auferstehung des Menschen aber ist auf die Inkarnation und Auferstehung des Logos angewiesen: »Sohn geworden kam der Logos zu uns, indem er Fleisch zu tragen begann; er tut sich selbst und den Vater kund, indem er uns durch sich selbst die Auferstehung von den Toten und das danach folgende ewige Leben gibt.« (1Res 1,9) 14 Die Verantwortung des Fleisches für die Sünde wird sogar noch weiter eingeschränkt, denn es sei die Seele, die das Fleisch zum Sündigen bewegte. Seele und Fleisch bilden eine Einheit: beide sind wie zwei Ochsen vor einem Pflug, von denen keiner alleine pflügen könnte (1Res 7). Konsequenz ist eine Aufwertung des menschlichen Leibes und eine größere »Ganzheitlichkeit« durch die Annahme einer ewigen Fortdauer der Verbindung von Körper und Geist - eine entscheidende Voraussetzung auch für die Weiterentwicklung der christlichen Ethik. 15 Auch der Traktat 2Res verteidigt die Auferstehung des Leibes auf der Grundlage der Macht des Schöpfergottes, der auch die Auferstehung will. Weil sie sowohl in seiner Macht steht als auch seinem Willen entspricht, ist an die Auferstehung des Körpers und nicht nur an ein Weiterleben der Seele zu glauben. Der Mensch ist für die Ewigkeit geschaffen, und er besteht nun einmal aus Seele und Körper, die beide Subjekt und Gegenstand ethischen Handelns sind. Deshalb setzt der Glauben an ein Gericht die Auferstehung von beiden voraus, sonst gäbe es weder Strafe noch Lohn. Beide Schriften machen deutlich, wie sehr offenbar die »gnostischen« Lehren und ihre Anfragen an die Lehre von der Auferstehung Christi und der Menschen zu einer Präzisierung der christlichen Anthropologie geführt haben. Der nordafrikanische Römer Tertullian schrieb schließlich in einer dritten unter dem Titel De resurrectione überlieferten Schrift um das Jahr 211: »Die Zuversicht der Christen ist die Auferstehung von den Toten. Wir sind, was wir sind, weil wir daran glauben«. (Tertullian, De resurrectione mortuorum 1,1). Für das Christsein konstitutiv ist der Glauben an die Auferstehung der Toten, für die die Auferstehung Christi Voraussetzung ist - und zwar der Glauben an eine ganzheitliche Auferstehung. Aus diesem Grund wandte sich Tertullian gegen ein nur symbolisches Verständnis von der Auferstehung (»Wir werden dieselben sein wie jetzt und danach keine anderen.« Tertullian, Apologeticum 48,13). Metaphysische Feinheiten seien fehl am Platz, der Auferstehungsglaube wurde seiner Ansicht nach von allen Menschen, auch und gerade den ungebildeten, verstanden. In allen drei Auferstehungstraktaten wird die enge Verbindung von Auferstehungsglauben und christlicher Ethik deutlich: In Erwartung der eigenen Auferstehung, so behaupteten die Christen, fühlten sie sich einem besseren Lebenswandel verpflichtet. Bei Clemens von Alexandrien (gestor- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 38 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 39 Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche ben vor 215) galt Reue und Umkehr eines jugendlichen Kriminellen als »Siegeszeichen der sichtbaren Auferstehung« (Clemens Alexandrinus, Quis dives salvetur 42,15); Kyrill von Jerusalem (gestorben 386) nannte die Auferstehungshoffnung später die »Wurzel jeder guten Handlung« (Cyrillus Hier., Catechesis ad illuminandos 18,1). Diese Beispiele ließen sich noch vermehren, aber folgendes wird bereits deutlich: Der Glaube an die leibliche Auferstehung Christi und der Menschen hing für die Theologen der Frühzeit der Alten Kirche eng mit der Anthropologie zusammen. Der ganze Mensch wird auferstehen, der ganze Mensch ist mit einer besonderen Würde ausgestattet, die eine solche Auferstehung rechtfertigt, und zwar nicht nur der ganze Mensch, sondern auch jeder Mensch. Beides stand in Gegensatz zu »elitären« gnostischen Lehren, die in ihren komplizierten Anthropologien nur geistige Teile des Menschen als wertvoll ansahen und die Menschen in Auserwählte und andere unterschieden. 16 2. Origenes und seine Gegner Eine ganz andere Strategie, um das Christentum gegen das graeco-römische Unbehagen gegen die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung zu verteidigen, verfolgte der zweifellos wichtigste christliche Theologe des 3. Jahrhunderts, Origenes (185-253/ 254). 17 Die Auferstehung Jesu blieb für ihn ein Mysterium, über das eine theologische Debatte nicht angebracht sei (Origenes, Contra Celsum 1,7; 2,58). Die leibliche Auferstehung des Menschen dagegen verstand er als eine »Umwandlung in einen besseren Zustand«, wie ihn viele Stellen der Schrift (1Kor 15! ) bezeugen, »die von der Auferstehung so reden, wie es Gottes würdig ist« (Origenes, Contra Celsum 5,18). Jeder Mensch erhält danach »zu geeigneter Zeit von Gott den Leib, der einem jeden nach seinem Verdienst gebührt« (Origenes, Contra Celsum 5,19). Die Lehre von der Auferstehung des Fleisches hatte also für Origenes gewissermaßen einen pädagogischen Zweck: Sie sollte die Christen zu einem guten Leben anleiten. Bei der Auferstehung wird für ihn aber aus einem vergänglichen körperlichen Leib ein unvergänglicher geistlicher Leib, den weder himmlische Würde noch ewige Strafe vernichten und auflösen können (Origenes, De principiis 2,10,3). Die Auferstehung Christi dachte Origenes analog: Keineswegs habe man sich den Körper des historischen Jesus mit Fleisch und Blut an der Seite des Vaters vorzustellen. Genauso wie die Auferstehung der Toten nur eine Rückkehr des Menschen zu seinem (geistlichen) Wesen ist, sei die Auferstehung Christi lediglich eine Rückkehr in die Gottheit, von der er ausgegangen war. Clemens von Alexandrien hatte bereits eine solche Anschauung vorbereitet, die sich weit von der Vorstellung der Verantwortung von Seele und Leib im Gericht entfernte. Auch wenn gerade der große Exeget Origenes in seinen Äußerungen stets um einen engen Anschluss an die biblischen Texte bemüht ist, erkannten spätere Denker die Gefahren eines solchen Denkens. Methodius von Olympus (gestorben 311) wies darauf hin, dass die Präexistenz der Menschenseele (und nicht nur des Logos) und eine das Gericht und letztlich die christliche Ethik entwertende Vorstellung der Apokatastasis Panton (»Allversöhnung«, vgl. Apg 3,21) in der Konsequenz eines solchen Denkens lag. Die Auseinandersetzungen um den Origenismus im 4. und 5. Jahrhundert waren von dieser Kritik bestimmt. Sie mündete schließlich in der Anathematisierung zentraler Inhalte dieser theologischen Richtung. 3. Die Auferstehungslehre im späten 3. und 4. Jahrhundert Mit dem vorübergehenden Nachlassen der reichsweiten Christenverfolgungen nach der Mitte des 3. Jahrhunderts, erst recht mit der Tolerierung des Christentums seit der sogenannten »konstantinischen Wende«, bildete sich um Tod und Grab von Märtyrern wie gewöhnlichen Christen eine besondere Form der Auferstehungsfrömmigkeit heraus. Die ältesten archäologischen Hinterlassenschaften des Christentums sind Gräber, keine »Der Glaube an die leibliche Auferstehung Christi und der Menschen hing für die Theologen der Frühzeit der Alten Kirche eng mit der Anthropologie zusammen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 39 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 40 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema Kirchen. Man traf sich an den Gräbern nicht nur zur Bestattung, sondern auch zu einem rituell geregelten Totengedenken, das sich manchmal (aber nicht immer) von den althergebrachten antiken Totengedenken unterschied. 18 Manche der Darstellungen an den Gräbern zeigen Jesus Christus als Motiv - auffallend oft als denjenigen, der Tote auferweckt: 19 Auferweckung des Lazarus (vor 300), Domitilla-Katakombe Dahinter verbirgt sich zweifellos mehr als eine zufällige Auswahl neutestamentlicher Motive. Der auferstandene Christus (und nicht etwa ein heidnischer Hermes) ist den Christen dieser Zeit ein Führer durch den Tod. Eine eindeutige Festlegung der genauen Vorstellungen dieser eigenartigen Volksfrömmigkeit bleibt jedoch aus methodischen Gründen schwierig: nicht nur wegen der grundsätzlichen Uneindeutigkeit nonverbaler Quellen, sondern auch wegen des Einflusses ikonographischer Traditionen der häufig paganen Werkstätten, die nicht immer eine genaue Wiedergabe der Vorstellungen der Auftraggeber zur Folge hatte. Das (spätere) vierte Jahrhundert gilt aber auch als eine »goldene Zeit« der Vätertheologie, die gerade um eine Exaktheit in dogmatischer Formulierung bemüht war. Es ist eine Zeit scharfer theologischer Auseinandersetzung, die schließlich in eine klare Grenzziehung zwischen Häresie und Orthodoxie mündet. Christologie und Trinitätstheologie, Eschatologie und Anthropologie waren umstritten. Wer sich als Theologe in diesen Fragen außerhalb des sich herausbildenden »großkirchlichen« Konsenses wiederfand, musste um seine berufliche Zukunft und manchmal um Leib und Leben fürchten. Bemerkenswerterweise waren davon die konkrete Auferstehungsvorstellung und andere kosmologische Detailfragen kaum betroffen (Gregor von Nazianz, Oratio 27,10) - sie sind schlicht keine Frage des altkirchlichen Dogmas. Allerdings kann die Auferstehung aus den trinitätstheologischen Überlegungen auch nicht ausgeklammert werden, auch wenn sie eben nur einen - und nicht den wichtigsten - Teilaspekt der Heilsgeschichte neben Inkarnation, Leben, Kreuz und Tod Jesu Christi darstellt. Unter den für die Formulierung der dogmatischen Orthodoxie wichtigen Kappadokiern sei an dieser Stelle exemplarisch etwa Gregor von Nyssa genannt. Einerseits war er dem Denken des Origenes über weite Strecken verpflichtet, andererseits versuchte er die ältere Lehre von der Auferstehung des Fleisches damit wieder zu versöhnen. Das Ergebnis sind ausgesprochen bildreiche Schilderungen des Auferstehungsleibes, der frei von Leiden und Leidenschaften, frei von menschlichen Körperfunktionen das Paradiesleben nach der Auferstehung genießen kann (Gregor von Nyssa, Oratio catechetica 25). Bei Athanasius von Alexandrien, eine für die Herausbildung einer dogmatischen Orthodoxie im 4. Jahrhundert noch wichtigere Gestalt, ist z.B. auch der Sündenfall mit in die Betrachtung einzubeziehen: Inkarnation, Tod und Auferstehung sind nur nötig geworden wegen der ontologisch prekären Lage des Menschen nach dem Fall. Einer Verabsolutierung der Auferstehung als dem eigentlichen Heilsereignis wurde damit scharf widersprochen: Sie ist nur ein Teil der Heilsgeschichte, in der die überzeitliche und volle Gottheit (»seine Herrschaft wird kein Ende haben«) und die volle Menschheit (»hat gelitten«) des Sohnes schließlich als einzig orthodoxes Verständnis der Christologie formuliert wurde. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 40 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 41 Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche Die zahlreichen Glaubensformeln, die aus dem teilweise mit großer Heftigkeit geführten Ringen um eine dogmatische Orthodoxie erhalten geblieben sind, variieren in der Frage der Auferstehung Christi erstaunlich wenig. Die wichtigsten Bekenntnisformeln Apostolicum / »Romanum«, Nicaenum und Nicaeno-Constantinopolitanum bieten der Überlieferung zufolge alle »Er ist am dritten Tage auferstanden (NC: ,nach der Schrift‘) und aufgestiegen in die Himmel«. Angesichts der Homogenität der Überlieferung in diesem Punkt handelt es sich dabei vielleicht um eine ältere Formulierung. Zur Zeit der klassischen Symbolforschung (Harnack) ging man in dieser Frage von einem textlichen Grundbestand aus dem 2. Jh. aus (120/ 130). Auch wenn das heute nicht mehr vertreten wird, so kann man immerhin davon ausgehen, dass die dogmatischen Debatten des 4. Jahrhunderts wenig Korrekturbedarf im Hinblick auf das Bekenntnis zur Auferstehung Christi als solcher gesehen hatten. Auffallend ist allerdings das Interesse an einem Zusammenhang zwischen der Auferstehung Christi und der Toten in diesen Bekenntnisformeln und vor allem an der Einbindung der Auferstehung in die heilsgeschichtliche Zusammenschau von Präexistenz, Fleischwerdung, Leiden, Kreuzigung und dem Richteramt Christi, »das kein Ende haben wird« (NC). Im Westen blieb der Auferstehungsglaube ebenfalls stark mit Gerichtsvorstellungen verbunden, aber man tat sich mit der leiblichen Auferstehung auch im 4. und 5. Jahrhundert schwer. Der Kirchenvater Augustin ging von einer Auferstehung der Leiber erst am jüngsten Tag aus (Augustinus, Tractatus in Johannis Evangelium 22f.), stellt dieser aber eine »erste Auferstehung« in den Tagen der Kirche zur Seite, die Verwirklichung des Auferstehungsleibes Christi sei (Augustinus, De civitate Dei 20,5). Die fleischliche Auferstehung verteidigt er zwar (Augustinus, De vera religione 21), sie erscheint in seinen Werken aber immer wieder als ein Fremdkörper, was er auch selbst einräumt (Augustinus, Enchiridion 23,84). Aus dieser Zeit stammt aber auch die vermutlich älteste künstlerische Darstellung 20 der Auferstehung. Selbst sie ist keine Darstellung des eigentlichen Auferstehungswunders, also des Lebendigwerden eines Toten, das in der heutigen Populardebatte so anstößig erscheint. Dafür lassen sich erst im Mittelalter Beispiele finden. Stattdessen gibt es in den Quellen der Zeit wie auf dieser Tafel eher ein Nebeneinander von geschlossenem Grab und der Himmelfahrt: 21 »Reidersche« Elfenbeintafel (um 400) Ephraem der Syrer († 373) versteht dieses Wunder ausdrücklich parallel zu dem Wunder der Jungfrauengeburt Christi: Die Siegel des Grabes und der Jungfrau blieben unverletzt, die Auferstehung bedeutete Wiedergeburt und auch Augustin kennt dieses Bild (Sermo 248,1: »Sepulcrum Domini quasi vulva«). Es sollte noch eine ganze Zeit dauern, bis in der christlichen Kunst des europäischen Mittelalters das Auferstehungswunder stärker verweltlichte und realistische Züge annahm, die dann wieder für Gläubigkeit und Spiritualität zentral werden konnten. 22 Eines der frühesten Beispiele dafür ist das Evangeliar aus dem Bamberger Dom, in dem Christus im offenen Sarg stehend dargestellt wird: 23 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 41 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 42 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Zum Thema Miniatur des Reichenauer Evangeliars (Clm. 4454, um 1000) Von dem Denken, den Interessen und den Kontroversen der Alten Kirche sind solche Vorstellungen jedoch weit entfernt. 4. Zusammenfassung In den Debatten der Alten Kirche wurden Kernbestimmungen des christlichen Auferstehungsglaubens festgelegt, an denen christliche Theologie, Anthropologie und Ethik seitdem aus guten Gründen kaum noch vorbeikommen. Die Hauptthemen und größten Schwierigkeiten der damaligen Diskussion waren jedoch deutlich andere als heute. Die Historizität der Auferstehung Jesu etwa war kein Gegenstand der Kontroverse. Die neutestamentlichen Auferstehungsberichte erhielten in der Alten Kirche nicht nur ihre Kanonizität, sondern auch ihren liturgischen Platz. Die Erinnerung an die Auferstehung Jesu Christi war damit vordringlich eine Frage des Gottesdienstes, nicht der philosophischen Debatte. Auch das Verlangen nach konkreten Details der »Wundergeschichte Auferstehung« war zumindest unter den Theologen der Alten Kirche noch nicht so ausgeprägt, wie es später im Mittelalter gang und gäbe wurde. Dennoch blieb reichlich Raum für unterschiedliche Meinungen, die an dieser Stelle nur angedeutet werden konnten. Sie befassten sich vor allem mit der Denkmöglichkeit einer fleischlichen Auferstehung, die dem Verständnis vorhandener antiker Anthropologien und Kosmologien widersprach. Diese Debatte hatte erhebliche Folgen für die christliche Theologie und Ethik. Zu den theologischen Errungenschaften der Alten Kirche gehören in diesem Zusammenhang drei zentrale Integrationsleistungen: 1. Die enge Verbindung der Auferstehung Christi mit dem Glauben an die zukünftige Auferstehung der Menschen unter Leitung und angesichts der Herrlichkeit des Auferstandenen; 2. Die Koppelung dieses Auferstehungsglaubens an eine bestimmte, Körper und Geistiges umfassende Anthropologie und damit schließlich an die christliche Ethik. 3. Die Integration der Auferstehung Christi in ein deutlich umfangreicheres Verständnis des Inkarnationsereignisses, das Präexistenz, Jungfrauengeburt, irdisches Wirken Jesu, Leiden, Kreuzigung, Tod und Auferstehung ebenso umfasst wie die Hoffnung auf das zukünftige Reich Gottes. Einerseits mag dieser kursorische und notwendigerweise exemplarische Blick in die Welt antiker Theologie enttäuschen, denn zur Frage nach einem »besseren« Verständnis des für uns heute so anstößigen Auferstehungswunders haben die Kirchenväter augenscheinlich wenig beizutragen. Auch wenn jedoch die heutigen Anfragen an die Theologie ganz andere sind als die aus der von Polytheismus, Platonismus oder Gnosis bestimmten antiken Geisteswelt, so weist die altkirchliche Debatte um die Auferstehung doch andererseits auf eine besondere Abhängigkeit und Verbundenheit von Fragen der Eschatologie, Ethik und Liturgik hin, die unvermindert aktuell ist. Wenn »die Zuversicht der Christen die Auferstehung von den Toten« ist (Tertullian), dann ist diese Auferstehung vor allem aber auch nicht der unwürdigste Glaubensinhalt, mit dem Theologie - sei sie nun von einem ethischen, dogmatischen oder liturgischen Interesse geleitet - begonnen werden kann. l Anmerkungen 1 Zu denken wäre hier außer an den ägyptischen Gott Osiris (vgl. dazu Athenagoras, Supplicatio pro Christianis 22,6; Augustinus, De civitate Dei 6,10) etwa an die babylonischen Marduk und Tammuz oder die phönizischen Esmun und Adonis (dazu Origenes, Homilia in Ezechielem 8; Hieronymus, Commentarius in Ezechielem 8,13f.; Cyrillus Alexandrinus, Commentarius in Isaiam prophetam 18,1). Vgl. dazu den Beitrag Dieter Zellers in diesem Heft. 2 Z.B. bei Plinius minor, Epistula 7,27,4-11. Zahlreiche weitere Beispiele und eine hilfreiche Typologie bei D. Zeller, Erscheinungen Verstorbener im griechischrömischen Bereich, in: R. Bieringer / V. Koperski / B. Lataire (Hgg.), Resurrection in the New Testament (BEThL 165), FS J. Lambrecht, Leuven 2002, 1-19. 3 Vgl. z.B. Aeschylus, Eumenides 648. 4 H. von Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der Alten Kirche, 2. Aufl., Göttingen 1964; N. Brox, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristli- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 42 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 43 Ulrich Volp Gedanken zum Auferstehungsverständnis in der Alten Kirche chen Zeugnis-Terminologie (StANT 5), München 1961. 5 Einen guten Überblick bietet K. Schneider, Studien zur Entfaltung der altkirchlichen Theologie der Auferstehung (Hereditas 14), Bonn 1999. 6 P. Foster, Are There Any Early Fragments of the So- Called Gospel of Peter? , NTS 52 (2006), 1-28. Foster bereitet gegenwärtig einen monographischen Kommentar zu diesem Text vor. 7 Auch Origenes muss die Nichtöffentlichkeit der Erscheinungen des Auferstandenen verteidigen: Origenes, Contra Celsum 2,63.65. 8 CPG 1081. Vgl. den Text in der Ausgabe der Fragmente von K. Holl, Fragmente vornicänischer Kirchenväter aus den sacra parallela, TU 20/ 2 = N.F. 5/ 2, Leipzig 1899. Jetzt bei M. Heimgartner, Pseudojustin - Über die Auferstehung (PTS 54), Berlin / New York 2001, 104-131. 9 CPG 1071; Text jetzt bei Marcovich, SVigChr 53, Leiden 2000, außerdem in den Ausgaben von Schwartz, TU 4/ 2, Leipzig 1891; Ubaldi / Pellegrino, CPS.G 15, Turin 1947; Schoedel, OECT, Oxford 1972, 88-148 und Pouderon, SC 379, Paris 1992. 10 Für eine Verfasserschaft des Athenagoras sprechen sich z.B. aus L.W. Barnard, The Authenticity of Athenagoras’ De Resurrectione, StPatr 15/ 1 (1984), 39-49; ders., Athenagoras. A Study in Second Century Christan Apologetic (ThH 18), Paris 1972; sowie B. Pouderon, Athénagore d’Athénes Philosophe chrétien (ThH 82), Paris 1989; ders., L’authenticité du traité sur la résurrection attribué á l’apologist Athénagore, VigChr 40 (1986), 226-244; ders., Apologetica. Encore sur l’authenticité du De resurrectione d’Athénagore, RSR 67 (1993), 23-40; 68 (1994); 69 (1995); 70 (1996). Gegen diese Auffassung: E. Gallicet, Ancora sullo Pseudo- Athenagoras, RFIC 105 (1977), 21-42; ders., Athenagoras o Pseudo-Athenagoras, RFIC 104 (1976), 420- 435; R. McQueen Grant, Athenagoras or Pseudo- Athenagoras, HThR 47 (1954), 121-129. Auch Schneider, Theologie der Auferstehung, 243, schließt sich dieser Auffassung an. Vgl. außerdem H.E. Lona, Die dem Apologeten Athenagoras von Athen zugeschriebene Schrift ›De resurrectione mortuorum‹ und die altchristliche Auferstehungsapologetik, Sal. 52 (1990), 532-541 (mit Lit.). 11 Heimgartner, Pseudojustin - Über die Auferstehung (mit Edition des Textes, der vorher nur in der Ausgabe der Fragmente von Holl [s.o.] zugänglich war). St. Heid, Art. Iustinus Martyr I, RAC 19 (2001), 802f., vertritt etwa noch die Verfasserschaft Justins des »durchaus als echt anzusehenden« Traktates. Vgl. noch H.E. Lona, Ps.Justin, ›De resurrectione‹ und die altchristliche Auferstehungsapologetik, Sal. 51 (1989), 691-768. 12 Die Versuche einer Datierung des unter dem Namen des Athenagoras überlieferten Texte ins 4. Jh., wie sie Robert Grant populär gemacht hat, bringen neue Schwierigkeiten mit sich, weshalb diese Spätdatierung nach meinem Eindruck z.Zt. nicht mehr konsensfähig ist, wie auch aus den folgenden inhaltlichen Ausführungen deutlich werden dürfte. 13 Vgl. inhaltlich dazu Schneider, Theologie der Auferstehung, 161-173; H.E. Lona, Über die Auferstehung des Fleisches. Studien zur frühchristlichen Eschatologie (BZNW 66), Berlin / New York 1993, 135-154. 14 Zählung nach Heimgartner, Pseudojustin - Über die Auferstehung. 15 Vgl. dazu noch Meissner, Rhetorik und Theologie, 377. Meissner tendiert dazu, das Werk Justin zuzuschreiben. 16 Vgl. dazu ausführlich U. Volp, Die Würde des Menschen. Ein Beitrag zur Anthropologie in der Alten Kirche (SVigChr 81), Leiden / Boston 2006, insbes. 108-130. 17 Das Buch De resurrectio des Origenes ist leider verschollen. Hauptinhalte seiner Auferstehungsauffassung finden sich jedoch auch an anderer Stelle des umfangreichen Werkes (insbes. De principiis und Contra Celsum). 18 Vgl. dazu ausführlich U. Volp, Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike (SVigChr 65), Leiden / Boston / Köln 2002, insbes. 214-239. 19 Die folgende Abb. ist aus J. Fink / B.Asamer, Die römischen Katakomben, Mainz 1997, 46, Taf. 66 entnommen. 20 Grundlegend dazu G. Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst 3: Die Auferstehung und Erhöhung Christi, Gütersloh 1971; H. Schrade, Ikonographie der christlichen Kunst. Die Sinngehalte und Gestaltungsformen 1: Die Auferstehung Christi, Berlin / Leipzig 1932. 21 Die folgende Abb. ist aus G. Schiller, Ikonographie, Taf. 12 entnommen. 22 »Das abendländische Auferstehungsbild, das den Aufstieg Christi aus dem Grab zeigt, entsteht … im frühen 11. Jh.«. Schiller, Ikonographie, 68. 23 Die folgende Abb. ist aus H. Schrade, Auferstehung Christi, RDK 1 (1937), 1230-1240; hier: 1234 entnommen. Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Erscheint in Kürze: Hermann Steinthal Was ist Wahrheit? Was ist Wahrheit? Was ist Wahrheit? Was ist Wahrheit? Was ist Wahrheit? Die Frage des Pilatus in 49 Spaziergängen aufgerollt 2007, ca. 216 Seiten, ca. [D] 24,90/ SFr 41,70, ISBN 978-3-89308-395-4 Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen · Fax (07071) 979711 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 43 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 44 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kann die religiöse (biblische, christliche) Vorstellung der Auferstehung der Toten von einer Illusion unterschieden, d.h. als real wirksam überhaupt gedacht werden? Dies ist keine historische (religionsgeschichtliche) Frage, sondern eine systematische Frage, wie im Kontext unseres wissenschaftlichen Weltbildes verantwortlich mit einer der Kernbotschaften des Christentums umzugehen ist. Denn wie auch immer sich die einzelnen biblischen Texte die Realität der Auferstehung vorgestellt haben, wir müssen heute erklären können, in welchem Verhältnis zu unserer Auffassung von Natur, Wirklichkeit und Realität im Ganzen das zu vertreten ist, was im christlichen Glaubensbekenntnis Auferstehung heißt. Die beiden Autoren teilen diese strikt systematische Ausgangsfrage: Auferstehung muss »widerspruchsfrei«, d.h. im (kritischen) Anschluss an unser Wirklichkeitsverständnis konzipiert werden können (H. Kessler); zwischen der menschlich zugänglichen Wirklichkeit und der übertragenen Redeform der Religionen (Metaphern, Bilder, Symbole) ist prinzipiell eine Differenz zu machen, um sinnlose Vorstellungen zu vermeiden (R. C. Neville). Kontrovers erscheint demgegenüber die Durchführung der jeweils eigenen Beantwortung des gestellten Problems. Nevilles »metaphysische Hypothese über Zeit und Ewigkeit« besagt: Wenn Phänomene des Religiösen, der Spiritualität und Mystik ernst genommen zu werden verdienen, wenn es Grund gibt, die »Berührung von Endlichem und Unendlichem« als Erweiterung eines platt empiristisch reduzierten Weltbildes in Erwägung zu ziehen, dann muss das wieder möglich sein, was seit der europäischen Aufklärung vielfach in Zweifel gezogen wurde - Metaphysik, d.h. das zu denken, was selbst nicht empirisch sein kann. Modern im Sinne heutiger Wissenschaftstheorie ist dieser Ansatz, sofern er sich selbst als Hypothese einführt - diese aber ist notwendig. Um den komplexen Ereigniszusammenhängen im »Zeitfluss« gerecht werden zu können, muss Ewigkeit gedacht werden. Schöpfung ist somit zugleich der metaphysische wie religiös-symbolische Ausdruck der Realität, die als Geschaffene den Schöpfungsakt voraussetzt. Auf dieser Begründungsbasis lassen sich dann die unterschiedlichen Ausdrucksformen der Religionen, hier: der Auferstehung der Toten sachgemäß auslegen. Es kann dabei im Christentum nicht um eine Hinterwelt gehen, sondern nur um die alles entscheidende Realität, wie sie sich in unserer Wirklichkeitserfahrung selbst meldet, »die volle ewige Dimension des Lebens«. Diese Tiefenschicht auszudrücken bemühen sich die religiösen Bilder des Himmels etc. Um aber begrifflich die Ausschließung von problematischen Endzeitvorstellungen und Sonderwelten geltend zu machen, spricht Neville von »realisierter Eschatologie«: Die Gleichnisse Jesu vom Reich Gottes stehen genau an dieser Stelle und sind als übertragene Rede notwendig. Kesslers Einwand zielt auf die metaphysischen Abstraktionen in Nevilles Hypothese, und konsequent geht er den dazu gegenläufigen Weg der Fülle »biblischer Perspektiven« in christlicher Erfahrung. Dazu muss allerdings erstens gezeigt werden, dass das Weltbild des »positivistischen Naturalismus« der Moderne an »Grunderfahrungen« wie Tod, Liebe und Opfer scheitert - auch wenn dies als »philosophisch unentscheidbar« erscheint; zweitens muss die dezidiert theologische Bedingung eingeführt werden, dass ein »erweitertes Verständnis der einen Wirklichkeit« Gott als Schöpfer einzubeziehen und auszulegen verlangt. Erst dadurch ist nämlich den biblischen Bild- und Vorstellungswelten ihr Sachgrund wiedergegeben, radikale Verwandlung dieser Welt und dieses Leibes, die Rettung der personalen Identität in einer neuen Wirklichkeit vertreten zu können. Die »realisierte Eschatologie« (Neville) erscheint dann durchaus auch, und zwar als »tägliche Auferstehung« - aber im deutlichen Unterschied zur »zukünftigen Auferstehung«. Was trauen wir der religiösen Rede in ihren notwendig bildhaften Übertragungen zu - und warum können wir dieses Zutrauen haben? Auferstehung der Toten bedeutet »ganz-geworden, geheilt, geläutert, vollendet« sein (Kessler) - und der Grund dafür liegt im »göttlichen kreativen Akt der Ewigkeit« (Neville). Hermann Deuser Kontroverse »Auferstehung der Toten - eine individuelle Hoffnung? « Eine Einführung zur Kontroverse 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 44 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 45 Einführung in die Kontroverse Mohr Siebeck Tübingen info@mohr.de www.mohr.de Neu bei Mohr Siebeck Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus Zusammen mit dem Brief des Mordechai an Alexander und dem Brief des Annaeus Seneca über Hochmut und Götterbilder Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Alfons Fürst, Therese Fuhrer, Folker Siegert und Peter Walter In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts erfand ein unbekannter Autor einen Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus. Die vierzehn kurzen Briefe sind in sehr schlechtem spätantikem Latein geschrieben und weitgehend inhaltslos. Ihr Ziel ist es, Seneca zum Freund des Paulus zu machen und so das hohe Ansehen Senecas in der spätantiken lateinischen Theologie apostolisch zu sanktionieren. Dieser Band bietet eine neue Übersetzung des Briefwechsels auf der Basis der neuesten kritischen Edition. Ferner werden zwei wenig bekannte Texte aus dem Umfeld des Briefwechsels abgedruckt, erstmals übersetzt und erläutert: ein angeblicher Brief des Mordechai an Alexander den Großen und ein Brief Senecas über Hochmut und Götterbilder, eine christliche Apologie aus dem 5. Jahrhundert. 2006. X, 215 Seiten (SAPERE 11). ISBN 978-3-16-149130-6 Br € 24,-; ISBN 978-3-16-149131-3 Ln € 49,- Plutarch Dialog über die Liebe Amatorius Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Herwig Görgemanns, Barbara Feichtinger, Fritz Graf, Werner Jeanrond und Jan Opsomer Plutarch gibt der Liebesphilosophie Platons eine neue Wendung: er überträgt deren Grundgedanken auf die eheliche Liebe, und er verteidigt die Bedeutung der Sexualität für Persönlichkeitsentwicklung und menschliche Bindung. Sein Dialog ist kunstvoll gebaut. Er findet während des Eros-Festes in Thespiai statt; eine Hintergrundhandlung hat Züge einer Komödie und der Autor läßt sich selbst als frischverheirateten, verliebten jungen Mann auftreten. Die Schrift wird hier vorgelegt mit einer literarisch orientierten Einführung, kritisch durchgesehenem griechischen Text, einer möglichst lesbaren deutschen Übersetzung und eingehenden Einzelerklärungen. Vier Essays verschiedener Autoren kommen hinzu: über den Eros-Kult in Thespiai, über die philosophischen Aspekte der Schrift, über sozialgeschichtliche Voraussetzungen der Gedanken über Sexualität und Ehe, über den christlichen Liebesbegriff. 2006. X, 323 Seiten (SAPERE 10). ISBN 978-3-16-148811-5 Br € 29,-; ISBN 978-3-16-148824-5 Ln € 59,- Maßgeschneiderte Informationen: www.mohr.de/ form/ eKurier.htm SAPERE Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam REligionemque pertinentia Schriften der späteren Antike zu ethischen und religiösen Fragen Herausgegeben von Rainer Hirsch-Luipold, Reinhard Feldmeier und Heinz-Günther Nesselrath Die Reihe SAPERE will griechische und lateinische Texte der späteren Antike zu philosophischen, ethischen und religiösen Fragen über die engen Fachgrenzen hinaus erschließen. Hierfür wurde eine neuartige Verbindung von Edition, Übersetzung und interdisziplinärer Kommentierung in Essayform geschaffen. Wissenschaftlicher Beirat: Ulrich Berner, Barbara E. Borg, Dorothee Gall, Gustav Adolf Lehmann, Jan Opsomer 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 45 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 46 ZNT 19 (10. Jg. 2007) »Auferstehung« ist nicht das einzige, wohl aber eines der wichtigsten christlichen Symbole, um die Endlichkeit des menschlichen Lebens (wie der Schöpfung überhaupt) und die Unendlichkeit Gottes als des Schöpfers der endlichen Welt zu einander in Beziehung zu setzen. Nahezu alle großen Weltreligionen verfügen über Symbole, die diese Verbindung herstellen, denn fast alle setzen etwas voraus, das das Endliche transzendiert und worauf sich zugleich religiöse Orientierung oder religiöse Sehnsucht richtet, sei es ein Gott, ein Prinzip, Brahman, das Eine oder Dao. Nahezu alle großen Religionen haben Konzeptionen von »Himmel« als einem »Ort«, an dem man zu dem in seiner Größe und Ewigkeit nicht fassbaren Gott »Zugang findet«. Das alte Israel favorisierte den himmlischen Gerichtssaal, der Islam Gärten, der Hinduismus luxuriöse Anwesen mit ausgedehnten Parks, chinesische Religionen Ausgelassenheit in Wolkensphären, das Christentum eine himmlische Festtafel, eine Herberge mit vielen Zimmern oder eine himmlische Stadt mit Harfenmusik und dienenden Engeln, schließlich die Aussicht auf ein Zusammensein mit geliebten Menschen. 1 Das Christentum hat, wie die meisten anderen Religionen auch, Beschreibungen des Himmels zu allen Zeiten metaphorisch aufgefasst: Wer weiß schon, wie der Himmel wirklich ist? Mehr noch: Weil Symbole eines Weiterlebens im Himmel eine Brücke vom Endlichen zum Unendlichen schlagen, klingen bestimmte Merkmale menschlicher Endlichkeit unerträglich widersinnig, wenn sie in ihrer wörtlichen Bedeutung weitergedacht werden: Macht der Auferstehungsleib dort weiter, wo der alte sterbende Leib aufgehört hat und setzt er den (unterbrochenen) Alterungsprozess endlos fort? Oder behält er das am Sterbetag erreichte Alter? Oder wird es der vitale Leib eines Dreiunddreißigjährigen sein, das Alter, in dem Jesus gestorben ist, wie manche meinten? Was ist mit Menschen, die als Babys oder im Kindesalter starben? Bleiben sie so oder entwickeln sie sich im Himmel unter glücklicher Umgehung der anstößigen Seiten des Erwachsenwerdens? Kann man Angehörige wiedersehen, die viel jünger gestorben sind als man selbst? Sind diese dann gealtert, oder würden Eltern, die jung gestorben sind, ihren wesentlich älteren Kindern begegnen? Wenn man als Dreiunddreißigjähriger aufersteht, kann man dann Freunde wiedersehen, die man erst im Alter kennen gelernt hat und die zur Zeit, da man selber dreiunddreißig war, noch gar nicht geboren waren? Handelt es sich bei auferweckten Menschen lediglich um körperlose Geister? Oder, wie es Jesus einst aufgefasst hat, um geschlechtslose Engelwesen? Oder um körperlich Auferweckte im Vollsinn des Wortes, deren Seele entsprechend unserer heutigen Auffassung vom Selbst im Schnittpunkt von Neurologie, Personbegriff und sozialer Interaktion beschreibbar ist? Ist der Himmel so allumfassend wie Gottes Unendlichkeit, oder ist es ein bestimmter Ort, so dass der Reiche in der Unterwelt und Abraham, der den armen Lazarus gesundpflegt, einander etwas zurufen können? Ich meine, dass diese und viele andere bildhafte Konstruktionen von Himmel und Auferstehungsleben samt und sonders Versuche sind, in den endlichen Grenzen menschlicher Sprache spirituelle Aspekte der Berührung von Endlichem und Unendlichem in einer Weise auf den Begriff zu bringen, die ein wörtliches Verständnis nicht zulässt. Jeder dieser Versuche kann in seinem jeweiligen Kontext völlig genügen, um über die Berührung von Endlichem und Unendlichem und die je eigene religiöse Imagination des Unendlichen etwas Gültiges auszusagen. Deshalb ist es völlig legitim, wenn die christliche Kirche von diesen und anderen Bildern Gebrauch macht, solange daraus keine Sätze abgeleitet werden, die den Glauben ins Absurde ziehen. Kontroverse Robert Cummings Neville Auferstehung 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 46 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 47 Robert Cummings Neville Auferstehung Kantisch gedacht leisten Bilder von Auferstehung eine Darstellung des abstrakteren Konzepts der Verbindung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. In früheren Epochen der Theologiegeschichte gehörte eine elaborierte christliche Metaphysik, die Kriterien für den sachgemäßen Gebrauch dieser Bilder bereitstellte, zum Handwerkszeug jeder Predigt. 2 Auf Kant geht freilich auch die Auffassung zurück, dass die Verbindung von Endlichem und Unendlichem nicht Gegenstand unseres Wissen sein kann - mit der Folge, dass Metaphysik als christlich-theologische Disziplin heute kaum noch eine Rolle spielt und nicht mehr zum Grundbestand christlicher Bildung gehört. In der Konsequenz ist unter Christen eine recht wörtliche Vorstellung von Auferstehung verbreitet: Auferstehung als etwas, das nach dem Tod eines Menschen passiert und sich an einem jenseitigen Ort abspielt, parallel zu unserer raumzeitlichen Welt, in der der Verstorbene tot und begraben bleibt. Als Alternative bietet sich meist nur an, Auferstehung als Inhalt christlicher Hoffnung völlig aufzugeben. Es gilt, die schöpferische Kraft wieder zu entdecken, aus der heraus neutestamentliches Denken apokalyptische Bilder zukünftiger Auferstehung um Aspekte »realisierter Eschatologie« ergänzt hat, um die Vorstellung eines Auferstehungslebens in der Gemeinschaft mit Christus, der »zur Rechten Gottes sitzt«, während das Leben in habitueller Sündhaftigkeit und unter Verfolgungen weitergeht. Ich möchte also eine metaphysische Hypothese über Zeit und Ewigkeit vorschlagen, die der Komplexität jener Vorstellungen gerecht wird, die in Bildern von Auferstehung und Himmel zur Darstellung kommen. Fassen wir zunächst die drei Zeitmodi Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit ins Auge: 3 Gegenwart hat wesentlich mit Kreativität, Spontanität, Emergenz und der Auswahl derjenigen zukünftigen Möglichkeiten zu tun, die durch gegenwärtiges Handeln verwirklicht werden. Zukunft ist wesentlich bestimmt durch die formalen Strukturen des Möglichen: Widerspruchslosigkeit, Beziehung und so weiter. Das Wesen von Vergangenheit ist Gestalt gewordene Aktualität, hervorgegangen aus kreativen Momenten der Gegenwart, Inbegriff dessen, was Aktualität auf der Ebene des Werthaften, des Gegenständlichen und darüber hinaus realisiert. Natürlich ist die Zeit wegen der Bedingungsverhältnisse, in denen die Zeitmodi zueinander stehen, im Fluss. Beispielsweise braucht ein gegenwärtiger Moment die Gestalt gewordene Aktualität der Vergangenheit als Potential, um seine eigene Aktualisierung zu determinieren, und er braucht die in der Zukunft liegenden Möglichkeiten, um diesem Potential eine Struktur zu geben. Ein zukünftiger Moment, der für sich selbst reine Einheit wäre, braucht von der Vergan- Robert Cummings Neville, Jahrgang 1939, ist Professor der Philosophie, Religion und Theologie an der Boston University, wo er ebenfalls Dean emeritus an der School of Theology sowie Dean emeritus von Marsh Chapel ist. Es liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihm vor; zu den jüngst erschienenen zählen »Preaching the Gospel Without Easy Answer« sowie »On the Scope and Truth of Theology«. Sein Buch »Symbols of Jesus« beschäftigt sich teilweise mit der Thematik, die auch für den folgenden Kontroversebeitrag von Relevanz ist. Professor Neville ist unter anderem Präsident der American Society of Religion, der Metaphysical Society of America, der International Society for Chinese Philosophy und der American Theological Society gewesen. Darüber hinaus ist er ein regelmäßiger Besucher der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Robert Cummings Neville »Ich möchte also eine metaphysische Hypothese über Zeit und Ewigkeit vorschlagen, die der Komplexität jener Vorstellungen gerecht wird, die in Bildern von Auferstehung und Himmel zur Darstellung kommen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 47 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 48 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse genheit die vielfältig gestaltete Zuständlichkeit, damit diese Einheit als bestimmte und bei aller Undeutlichkeit gleichwohl strukturierte Vielheit begriffen werden kann. Ein zukünftiger Moment wird zudem in seinen Strukturen verändert durch sukzessive Entscheidungen gegenwärtiger Momente, die seine Einheit vielfältig gliedern. Ein vergangener Moment, wiewohl unveränderlich, braucht gegenwärtige Momente, die seine Struktur aktualisieren, und zukünftige Momente als Träger dieser Struktur. Weil Strukturen ihr Vielfältiges je auf ihre Weise zueinander in Beziehung setzen, wird die Vergangenheit von Zukunft und Gegenwart stets neu qualifiziert, je nach dem, wie neue Aktualisierungen die Bedeutung dessen verändern, was zuvor geschehen ist. Der Zeitfluss ist also eine Funktion konstanter Interaktion von gegenwärtig sich ereignenden kreativen Akten, von ständig sich verändernden Möglichkeiten der Zukunft, deren Einheit immer neue Vielheiten umfasst, und der stetig wachsenden realen Vergangenheit, von der gegenwärtige wie zukünftige Momente ihre Bestimmtheit erhalten. »Ewigkeit« meint nun das Zusammensein der drei Zeitmodi, worin diese Interaktion stattfindet. Dieses Zusammensein ist es, das den Zeitfluss ontologisch möglich macht. Sie gehört nicht in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, sondern bestimmt überhaupt deren Möglichkeit. So verstanden ist Ewigkeit wesentlich der einmalige kreative Akt, in dem die zeitliche Welt geschaffen wird. Schöpfung ist ontologisch nicht als etwas in der Zeit oder in einem anderswie leeren Universum zu begreifen, sondern Schöpfung ist die Erschaffung von Zeit und Raum. Diese zeitliche Welt besteht aus vielen Zeitpunkten, vielleicht aus unendlich vielen. Jeder dieser Zeitpunkte hat viele unterschiedliche Formen entsprechend der Vielzahl seiner zukünftigen Möglichkeiten. Jeder hat seinen Gegenwartsmoment kreativer Emergenz in die Aktualität. Und jeder Zeitpunkt hat seinen Platz in einer wachsenden realisierten Vergangenheit. Innerhalb der Zeit befinden wir alle uns im Moment des Jetzt mit einer fixierten Vergangenheit hinter uns und mit einer in gewisser Weise offenen, in gewisser Hinsicht aber auch determinierten Zukunft vor uns. Innerhalb des göttlichen kreativen Akts der Ewigkeit, in welchem die Welt ins Dasein kommt, befinden wir uns in einer ewigen Identität, in der alle Zeitpunkte von der Geburt bis zum Tod in all ihren zukünftigen, vergangenen und gegenwärtigen Modi beieinander sind. Dieses Zusammensein ist nicht etwas innerhalb der Zeit, es ist eine ontologisch tiefere Zusammengehörigkeit, die den freien Fluss zeitlicher Relationen möglich macht. Sie kann schwerlich in zeitlichen Kategorien begriffen werden, denn innerhalb der Zeit bewegen wir uns von einem gegenwärtigen Zeitpunkt zum nächsten. Für uns ist in der Zeit die Vergangenheit verloren und die Zukunft noch nicht da. Hätte Gott die Welt innerhalb der Zeit erschaffen, würde dasselbe auch für den göttlichen Schöpfungsakt gelten. Er hätte dann eine Vergangenheit, die vorüber ist, und eine Zukunft, die entweder unbekannt oder von einer Art rigider Prädestination determiniert wäre. Aber Gottes Schöpfungsakt ist nicht etwas innerhalb der Zeit: Er steht für die Ewigkeit selbst, innerhalb der der Zeitfluss möglich ist. Der Wahrheitsgehalt realisierter Eschatologien besteht darin, dass die zeitliche Welt, auf die sich unser Bewusstsein größtenteils konzentriert, in Wahrheit Teil einer weitaus umfassenderen ewigen Wirklichkeit ist. Die zeitliche Welt ist so weit wie sie sich ausdehnt konkret. Aber wie Jesus es den Menschen so oft gesagt hat, dass sie aufwachen sollen in die wahre Realität des Reiches Gottes, in dem Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe gelten, aufwachen aus den »Reichen dieser Welt«, die von Herrschaft und Erfolg bestimmt sind, so ist das reale Leben, das wir leben, ewiges Leben, von dem wir hauptsächlich die zeitliche Dimension wahrnehmen. Wir können also durchaus jetzt mit Jesus in der Taufe begraben sein und mit ihm in den Himmel erhöht werden, während wir noch immer mit den Härten des Lebens klarkommen müssen. Jesus kann also durchaus bei seinem Abschiedsmahl sagen, dass er die Welt überwunden hat, obwohl sein schlimmster Tag noch vor ihm liegt. Für realisierte Eschatologien meint »Auferstehung«, die volle ewige Dimension des Lebens einzuholen und dass wir die Scheuklappen ablegen, die die Wirklichkeit auf die Dimension des Zeitlichen beschränken. Mit dieser metaphysischen Konzeption als unserer Hypothese können wir dieselbe in Bildern von Auferstehung und Himmel darstellen. Unsere ewige Identität umfasst alle Zeitpunkte 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 48 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 49 Robert Cummings Neville Auferstehung unseres Lebens vom Tag unserer Geburt bis zum Tag unseres Todes, und zwar jeden Zeitpunkt in allen Zeitmodi der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit in ihrer je eigenen Dynamik. In jedem Zeitpunkt interagieren wir mit den unterschiedlichsten Leuten in komplexen sozialen und räumlichen Umgebungen. Jeder unserer Zeitpunkte ist daher eine Harmonie, eine Interaktion unserer selbst mit anderen Menschen und vielfältigen Umgebungen, und zwar in den Modi der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit. Das Leben der Auferstehung umfasst also die Kindheit eines Menschen in seiner Interaktion mit anderen Menschen in ihrem jeweiligen Lebensalter, und in gleicher Weise auch seine Jugend, seine Lebensmitte und sein Alter. Wir werden auferweckt nicht in der körperlichen Verfassung unseres Todestages, nicht dreiunddreißigjährig, sondern in einer Leiblichkeit, die alle unsere Zeitpunkte aller Lebensalter umfasst, zusammen mit allen Menschen, mit denen wir zu tun haben, in all ihren Lebensaltern, die sich mit unseren überschneiden. Auferstehung ist nicht etwas, das sich nach unserem Tod ereignet. Es ist unser wahrer Status der Gleichzeitigkeit mit der göttlichen Ewigkeit, die sich zeigt, wenn unsere zeitlichen Leben vorüber sind. Die Herrlichkeit der Auferstehung besteht darin, dass unsere ewigen Leben innerhalb der unendlichen göttlichen Ökonomie miteinander harmonisiert werden. Wenn man nicht in die Tiefen der Mystik vorgedrungen ist, ist es überaus schwierig, sich Auferstehungsleben unmittelbar »vorzustellen«, weil unser Denken hauptsächlich in den Bahnen zeitlicher Begriffe verläuft. Beispielsweise ist unser Begriff von Bewusstsein so eng mit dem Vergehen von Zeit verbunden, dass uns die Vorstellung, dass wir im Himmel Bewusstsein haben, große Schwierigkeiten bereitet, es sei denn, wir fassen sie metaphorisch auf. Bewusstsein haben wir nur während unseres zeitlichen Lebens, und wenn es vorüber ist, gibt es keine weitere Zeit, in der wir in dieser Weise Bewusstsein haben. Und doch bleiben wir in der Ewigkeit wir selbst als bewusste Wesen, so wie wir während unseres Erdenlebens Wesen mit Bewusstsein sind. Menschen mit einer besonderen spirituellen Begabung erleben in der Zeit mit Hilfe ihres zeitlichen Bewusstseins Momente der Ahnung von Gottes unermesslicher Ewigkeit und ihrer eigenen Glückseligkeit. Auferstehung gedacht als ein vollendetes (oder verdammtes! ) Leben nach dem Tod kann ewiges Leben in angemessener Weise bildhaft zum Ausdruck bringen, solange wir aus der zeitlichen Struktur dieser Vorstellung keine unsinnigen Schlüsse ziehen! (Und Pastoren sollten nicht die Trauersituation am Grab als Gelegenheit ansehen, Diskussionen über die Metaphysik der Ewigkeit anzufangen! ) 4 l Anmerkungen 1 Vgl. C. McDannel / B. Lang, Heaven: A History, New Haven 1988. 2 Für einen Überblick über relevante Theorien aus der Antike und dem frühen Mittelalter vgl. R. Sorabji, Time, Creation, and the Continuum: Theories in Antiquity and the Early Middle Ages, Ithaca, NY 1983. 3 Für eine vertiefende Sichtweise dieser metaphysischen Hypothese vgl. R.C. Neville, Eternity and Time’s Flow, Albany, NY 1993. Für eine Diskussion des hypothetischen Charakters der Theologie und des pragmatischen Hintergrunds meiner Position vgl. R.C. Neville, On the Scope and Truth of Theology, New York / London 2006; dieses Buch skizziert und verteidigt außerdem die Legitimität der Metaphysik. Für eine ausführliche Erklärung des kantischen Schematismus in religiöser Imagination vgl. R.C. Neville, Symbols of Jesus: A Christology of Symbolic Engagement, Cambridge 2001. 4 Der Aufsatz wurde von Herrn PD Dr. Manuel Vogel übersetzt. »Auferstehung ist nicht etwas, das sich nach unserem Tod ereignet.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 49 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 50 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Robert C. Neville befasst sich in seinem Beitrag mit Problemen, die sich aus der zeitlichen Struktur unserer Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod ergeben. Er begegnet ihnen durch ein Verständnis von Ewigkeit als Zusammensein der Zeitdiastasen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie durch den Gedanken eines ewigen Schöpfungsaktes, in dem wir schon immer unsere ewige Identität haben, die im zeitlichen Leben meist verdeckt ist und hervortritt, wenn das zeitliche Leben endet. Auferstehung bedeutet für Neville nicht etwas nach dem Tod, sondern jetzt, mitten im irdischen Leben, zu diesem ewigen Leben erwachen und so mit Christus in den Himmel erhöht sein. Dieses an einer Zeit-Ewigkeits-Metaphysik orientierte Konzept, das, da Gott nicht in der Zeit wirkt, nur z.T. Deuteropaulinen (Kol 3,1-4; Eph 2,5f.) ähnelt, erscheint mir etwas platonisch und abstrakt. Ich versuche von konkreten existentiellen Erfahrungen auszugehen und mich an biblischen Perspektiven zu orientieren. Auch ich setze ein bei Schwierigkeiten mit der Annahme einer Auferstehung der Toten. Sie sind schon alt. Schon Paulus hat nach Apg 17,31f. bei den Populärphilosophen Athens nur Spott geerntet, als er von Auferstehung sprach, die sie wohl als Wiederbelebung des Leichnams missverstanden - ein Missverständnis der leibhaftigen Auferstehung in vielen Köpfen bis heute. Doch die Schwierigkeiten haben sich gewaltig verschärft durch den heute in breiten Kreisen als vortheoretische Hintergrundüberzeugung herrschenden Naturalismus, für welchen es nur diese eine »natürliche« Wirklichkeit und außer der physikalisch erklärbaren Natur nichts gibt. In diesem Wirklichkeitsverständnis bleibt für Gott, für sein Wirken in der Welt und für eine Auferstehung kein Platz. So ist Auferstehung der Toten für viele in den Bereich des Unvorstellbaren, ja des Undenkbaren gerückt. Wer die biblisch-christliche Hoffnung auf Auferstehung vertritt und über sie verantwortlich Rechenschaft geben will (1Petr 3,15), muss deshalb zeigen, dass eine Auferstehung der Toten nichts in sich Widersprüchliches und Unsinniges, sondern (als möglich und als wirklich) denkbar ist, unter welchen Voraussetzungen sie denkbar ist und welches Verständnis von Wirklichkeit sie impliziert. Deshalb eine unerlässliche Vorfrage: 11.. Ist es überhaupt sinnvoll und verantwortbar, sich in die biblisch-christliche Glaubenswelt hineinzubegeben und - hier auf unser Thema bezogen - auf Auferstehung zu hoffen? Spricht etwas dafür? Ein positivistischer Naturalismus verneint dies. Aber seine Sichtweise auf die Welt ist eingeschränkt und blendet relevante Fragen aus. Es gibt nämlich menschliche Grunderfahrungen, die gravierende Fragen aufwerfen und die, denkt man sie durch, bis an den Punkt führen, wo Hoffnung über den Tod hinaus - gewiss nicht bewiesen ist, aber - sich denkerisch als zutiefst sinnvoll erweist und alle Unvernünftigkeit verliert. Drei solche Grunderfahrungen seien genannt. (1) Der eigene Tod, um den der Mensch weiß: Er wird ihm zum Problem, weil er das schärfste Nein zur Identität, zu Ganz-sein und Sinn ist. Alles wäre am Ende eitel, wenn der Tod das Letzte wäre. George Orwell, Verfasser des Romans »1984«, der mit seinem »Gespür für Ungerechtigkeit« eine Religion ablehnte, die das Elend auf Erden mit Vertröstung auf den Himmel verzuckert, und deshalb meinte, Atheist zu sein, hat bekannt: Kontroverse Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? 1 »Es gibt nämlich menschliche Grunderfahrungen, die gravierende Fragen aufwerfen und die, denkt man sie durch, bis an den Punkt führen, wo Hoffnung über den Tod hinaus [...] sich denkerisch als zutiefst sinnvoll erweist und alle Unvernünftigkeit verliert.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 50 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 51 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? »Das Wesen des Menschen besteht darin, dass man letztlich bereit ist zu verlieren, geschlagen und zerbrochen zu werden am Leben. Es ist der unentrinnbare Preis dafür, dass man seine Liebe zu den anderen behält.« Dann fügte er hinzu: »Wenn der Tod allem ein Ende setzt, ist es viel schwieriger zu glauben, dass man auch dann im Recht sein kann, wenn man besiegt worden ist. Staatsmänner, Nationen, Theorien, Aktionen werden dann zwangsläufig nach ihrem materiellen Erfolg beurteilt.« Liegt also schon im »Wesen des Menschen«, wenn es nicht absurd sein soll, die Forderung nach Überwindung der Grenze des Todes? (2) Der Tod des geliebten Mitmenschen: Liebe, die den Anderen uneigennützig bejaht, kann die Vernichtung des geliebten Anderen nicht akzeptieren, sie fordert und hofft für ihn, dass er gerettet und erfüllt werden möge, und zwar nicht, weil ich etwas von ihm habe, sondern einfach um seinetwillen. Gabriel Marcel hat dies auf die Formel gebracht: »Einen Menschen lieben, heißt sagen: du wirst nicht sterben« - und dies angesichts von Tod und Vernichtung. 2 Die Liebe ist die stärkste Option gegen den Tod. Sie fordert für den Geliebten Unvergänglichkeit (das ist ihre Logik), kann sie aber selbst nicht geben (das ist ihre Aporie). Sie enthält ein Versprechen, das über den Tod hinausweist. Geht es ins Leere? Dann wäre uneigennützige Liebe letztlich absurd. (3) Der Tod des misshandelten, entwürdigten, getöteten Anderen (z.B. des verhungerten oder des zu Tode gequälten Kindes): Was ist mit dem nicht wieder gutgemachten Unrecht? Was ist mit denen, die nicht das Privileg hatten, das Leben auszukosten, ja die nie etwas vom Leben gehabt haben, weil andere es ihnen verunmöglicht haben? Wer sie vergisst und ihre Leiden verdrängt, um sein bisschen Glück nicht zu trüben, der kann eigentlich nicht wahrhaft human und solidarisch sein. Wer sich aber weigert, das Gedächtnis an die Opfer auszulöschen, und die Forderung nach Gerechtigkeit für sie aufrecht erhält, der muss streng genommen in Resignation, in untröstliche Trauer und Verzweiflung verfallen, oder es stellt sich für ihn unabweisbar die Frage nach einer unbedingt rettenden Wirklichkeit. 3 Kurz: Das irdische Leben enthält ein unabgegoltenes Versprechen und eine Forderung, die es selbst nicht einzulösen vermag, die aber, wenn menschliche Existenz nicht einfach absurd, sondern sinnvoll und prinzipiell bejahbar sein soll, nach Einlösung in einem anderen Leben verlangt, und zwar geradezu gebieterisch (im Sinn eines Postulats). Die Liebe und die Solidarität weisen strukturell über sich hinaus auf eine andere, vollkommene Liebe und Solidarität, die Erfüllung, Gerechtigkeit, Sinn verbürgt und schafft. Das für viele so schöne und für viele andere so traurige Leben verspricht und fordert mehr, als es halten kann. Da bleibt ein gewaltiger Überschuss an offenen Fragen. Atheistische Religionskritik hat alle Hoffnungen für die Toten unterschiedslos als realitätsferne, reine Wunschprojektionen zu entlarven versucht. Nun gibt es hier gewiss Projektionen, und es ist nicht leicht zu unterscheiden, was an ihnen zum Wuchern egoistischer Phantasie und was zum anthropologischen Grundbestand gehört, dem eine Wirklichkeit entsprechen könnte. Eben diese Unterscheidung hat die Religionskritik versäumt, und damit hat sie sich die Frage nach den Hans H. Kessler, geb. 1938 in Schwäbisch Gmünd, Studium der Philosophie und der Theologie in Tübingen, Würzburg und Münster, theologisches Diplom in Tübingen, Promotion zum Dr. theol. in Münster bei Walter Kasper, Tätigkeiten in Gemeindepastoral und Schule. Seit 1972 Professor für Systematische Theologie (Fundamentaltheologie und Dogmatik), zuerst am Fachbereich Religionswissenschaften, seit 1987 am Fachbereich Katholische Theologie der J.W.Goethe-Universität Frankfurt am Main, seit 2003 pensioniert. Hauptforschungsgebiete: Jesusforschung und Christologie sowie Erlösungslehre, Schöpfungsglaube im Gespräch mit heutiger Naturwissenschaft und Ökologie, Dialog mit anderen Religionen. Hans H. Kessler 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 51 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 52 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse radikalen Bedingungen der Möglichkeit solcher Projektionen erspart. Warum ist der Mensch überhaupt so strukturiert, dass er - in einer (zumindest prinzipiell) endlosen Unzufriedenheit und Unersättlichkeit - über alles, auch über den Tod hinausfragt, transzendiert und projiziert? Dass er ausgerichtet ist auf ein Mehr (ein Besser, Ganz- und Heilsein), dass er, wie neurologische Forschung zeigt, aufgrund der biologischen Beschaffenheit seines Gehirns auch auf eine andere, transzendente Dimension ausgerichtet ist und ihrer in extremen Stress- und Grenzsituationen (aber auch künstlich induziert) gewahr werden kann? Führt uns da nur unsere Konstitution irre, ist das nur unser Konstrukt, oder hat sich unsere Konstitution evolutiv so herausgebildet, weil sie sich einer umfassenderen und tieferen Wirklichkeit annähert oder - darwinistisch gesprochen - »anpasst«? Sind wir vielleicht so gebaut, so voller Durst nach Dauer, Liebe, Gerechtigkeit, weil es - am Grunde von allem - eine andere Wirklichkeit gibt, die uns hat entstehen lassen, auf sich hin (als unsere wahre Erfüllung), so dass wir deswegen unablässig auf der Suche sind (und uns dabei oft an Dingen festmachen, die uns »ent-täuschen« müssen, weil sie das nicht halten können, was wir uns fälschlich von ihnen versprechen, sondern ein Versprechen auf mehr sind)? 4 Die Frage bleibt philosophisch unentscheidbar, aber ihre Ausarbeitung eröffnet einen Zugang und vorläufigen Verstehenshorizont für die Botschaft von dem Gott, »der die Toten auferweckt« (Achtzehngebet 2; Röm 4,17) und »der Jesus von den Toten erweckt hat« (Röm 4,24 u.ö.). 22.. Voraussetzung für die Hoffnung auf ein Leben der Toten ist der Glaube an einen göttlichen Urgrund (Schöpfer), an seine andere Dimension und seine schöpferische Kraft. Biblischer Glaube kann, weil er die Schöpferkraft Gottes bekennt, sagen: »Nicht bleibt der Arme für immer vergessen, nicht ist die Hoffnung der Elenden ewig verloren« (Ps 9,19). Der Streit darüber, ob die Toten am Ende vergessen und endgültig verloren sind oder nicht, ist ein Streit um Gott, ein Streit um den Totenerwecker-Gott. Sogar »der tote Sperling ist bei ihm nicht vergessen«, hatte Jesus behauptet (Lk 12,6). (1) Hegel bringt die Sache einmal so auf den Punkt: »Der Tod ... ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert.« 5 Diese größte Kraft , das Tote festzuhalten, ihm neues, unzerstörbares Leben zu geben, haben wir Menschen nicht. Und die Natur hat sie auch nicht. In der Natur gibt es »das Stirb und Werde«, das Stirb des einen Individuums und das Werde eines anderen. Dass die gestorbenen Individuen selber leben, das schafft die Natur nicht. Eine individuelle Auferstehung vom Tod und eine Erlösung kann es nur geben, wenn die Natur, wenn das All nicht alles ist. Genauer: Wenn ein Gott ist, der mehr vermag, als in der Natur und im All »drin« ist (an Möglichkeiten). »An einen Gott glauben, heißt, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht abgetan ist.« 6 Das Alte Israel hatte sich fast 1000 Jahre lang eine Hoffnung für die Toten versagt. Hier, auf dieser Erde, galt es vor und mit Gott zu leben, ohne Ausflucht ins Jenseits. Und als Israel dann spät (im 3./ 2. Jh. v.Chr.) doch zu einer Hoffnung für die Toten durchstieß, geschah dies nicht vom menschlichen Unsterblichkeitsbedürfnis her (als dessen Projektion), sondern aus dem Glauben an den einen Schöpfergott heraus (als dessen innere Konsequenz und Explikation). Die Annahme eines Lebens der Toten war nicht primär Produkt menschlichen Überlebenswillens, sondern eine Auswirkung des ersten Gebots, d.h. der Überzeugung von der Göttlichkeit des einen Gottes, dessen Schöpferkraft, Lebensfreundlichkeit, Gerechtigkeitsliebe und verlässliche Treue auch am Tod keine Grenze findet. Deshalb entgegnet dann Jesus den Sadduzäern, die - altgläubig - eine Auferstehung der Toten ablehnen: »Ihr kennt weder die Schriften noch die Kraft Gottes« (Mk 12,24). Auferstehung, neues Leben der Toten, ist etwas, das überhaupt nur verstehbar und annehmbar ist im Glauben an Gott, seine Dimension und seine Kraft. Ohne die Annahme Gottes ist die Rede von Auferstehung der Toten und Auferstehung Jesu eo ipso sinnlos. (2) Dabei hängt alles am Gottesverständnis. Viele denken beim Wort »Gott« an ein übergroßes Wesen im »Jenseits« hinter unserer Welt; dann wäre Gott von der Welt getrennt, durch sie begrenzt, gar nicht unendlich, gar nicht Gott. Die Bibel sieht es anders: Da ist mitten in der Welt noch wer, »der Ich-bin-da« (Ex 3,14b). Mit seiner kabod (Präsenz) und ruach (Atem, Lebenskraft) »erfüllt« er alles, das All und jedes Wesen in ihm 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 52 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 53 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? (z.B. Jer 23,24; Jes 6,1.3; Weish 1,7; 8,1), ist er »mir innerlicher als ich mir selbst« (Augustinus). Zugleich umgibt er mich von allen Seiten (Ps 139), so dass wir in ihm leben, weben und sind (Apg 17,28), wir und alles Kosmische, und alles schon immer in der unendlich aufgespannten Weite Gottes vorkommt. Und zugleich gibt er als das große liebende Du uns und die ganze Schöpfung in ihre Eigenständigkeit hinein frei, wirbt um unsere Gegenliebe und ist stets dialogisch mit uns (z.B. Ps 23,4; Ps 73,25f.). Wenn 1Kön 8,27f. zufolge Salomo nach dem Tempelbau betet: »Der Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus«, so weiß er um diese drei Aspekte (Weltimmanenz, -transzendenz, -zugewandtheit Gottes). Und zugleich weiß die große christliche Tradition mit ihm, dass der kosmische Himmel (engl. sky) ein Gleichnis für den religiösen Himmel (engl. heaven) ist, für die ganz andere Dimension Gottes, die nicht dort erst beginnt, wo unsere Dimensionen enden, sondern sie alle durchdringt, allem (Raum und Zeit, Evolution, Zufall und Notwendigkeit, Materie und Geist, Natur und Geschichte, Person und Freiheit usw.) zugrunde liegt und allem ko-präsent ist. Die Wörter »Himmel« und »Ewigkeit« verweisen auf diese radikal andere Dimension Gottes. So kann Nikolaus von Kues in einer Himmelfahrtspredigt sagen: Da Gott nicht nur die alles einfassende Peripherie, sondern auch das alles durchpulsende Zentrum ist, »sitzt« der zu Gott erhöhte »Christus nicht gleichsam am Rande des Kosmos, sondern im Zentrum« aller Wirklichkeit, uns und allem ganz nah; auch unsere Toten, die bei Gott sind, sind uns dann ganz nah. Aus seiner all-präsenten Dimension heraus kann Gott uns Zeichen und Winke geben, uns anrufen und locken, uns ergreifen und erfüllen, und - eben auch uns im Tod »lebendig machen durch seinen Geist, der schon in uns wohnt« (Röm 8,11). Es geht also nicht um eine andere Welt hinter unserer Welt, sondern um ein erweitertes Verständnis der einen Wirklichkeit, die reicher und tiefer ist, als unsere Sinne und Wissenschaften erfassen. 33. Wie ist Auferstehung der Toten widerspruchsfrei (ohne sacrificium intellectus) zu denken? »Auf(er)stehen« ist ein Bild (neben anderen) und nicht die Sache selbst. Ein mehrdeutiges Bild, das erst durch flankierende Bilder (von Gott Aufgenommen-, Erhöht-, Verwandelt-werden) oder durch nähere Erklärung Eindeutigkeit gewinnt. (1) Manche (v.a. außerbiblische) apokalyptische Texte stellen sich vor, dass (am nahen Weltende) die ins Grab gelegten materiellen Körper wiederbelebt werden und - auf eine erneuerte Erde - auferstehen (so wohl auch Dan 12,1-4); dagegen denken 2Makk 7 und jüdische Gebete (Achtzehn-, Morgen-, Friedhofsgebet) ent-apokalyptisiert an eine Auferstehung in den Himmel, in die Dimension Gottes hinein. Die Sadduzäer haben nach Mk 12,18-27 Auferstehung der Toten eher apokalyptisch als Wiederherstellung von Verhältnissen vor dem Tod verstanden und eine so (miss-)verstandene Auferstehung wegen der absurden Konsequenzen mit Recht als undenkbar abgelehnt. Jesus hingegen versteht Auferstehung anders: »Wenn sie aus Toten auferstehen, heiraten sie nicht mehr, sondern sind wie Engel in den Himmeln« (Mk 12,24f.), also in einer ganz anderen Seinsweise in der Dimension Gottes, verwandelt. Explizit spricht Paulus davon, dass wir im Tod »verwandelt werden« (1Kor 15,51f.; Phil 3,21; 2Kor 3,18); er denkt Auferweckung förmlich als Verwandlung. Dieses neutestamentliche Auferstehungsverständnis ist gegenüber apokalyptischen Vorstellungen präzisiert von der Ostererfahrung und dem Glauben an die Auferstehung und Erhöhung Jesu zu Gott her. Entsprechend geht es bei der Auferstehung der Toten nicht darum, dass irgendwann (am nahen oder fernen Ende der Zeiten) die ins Grab gelegten materiellen Körper wiederbelebt und mit ihren platonisch gedachten Seelen wiedervereinigt werden. Nicht Wiederherstellung früherer Verhältnisse ist gemeint, sondern der Übergang und Eintritt in eine ganz andere Dimension, in ein radikal andersartiges, unzerstörbares Leben der verstorbenen Person in und aus Gott. Auferstehung besagt also nicht Verlängerung oder Wiederherstellung (Restitution) irgendeines früheren Zustandes der Person, sondern ihre Verwandlung (Transformation) zu ihrer vollen Identität, zur Erfüllung ihres unerfüllten Wesens, in der Gemeinschaft mit Christus und mit allen. Wie aber soll Identität der Person durch den Bruch des Todes hindurch widerspruchsfrei denkbar sein? Würde Auferstehung als Restitution eines früheren Zustandes verstanden, so wäre 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 53 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 54 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse eine Identität der Person nicht widerspruchsfrei denkbar, sie würde zum inkonsistenten abstrusen Mirakel. Die einzige konsistente Denk-Möglichkeit besteht darin, Auferstehung als durch Gott bewirkte Transformation, und zwar im Augenblick des Todes (vgl. Lk 23,43; Phil 1,23), und Gott als den - nicht okkasionell intervenierenden, sondern - schon immer präsenten tragenden Grund der Kontinuität zu denken: Gott ist es, der die Person im Moment ihres Todes nicht ins Nichts fallen lässt, sondern unterfängt, »festhält« (Ps 63,9) und verwandelt, sie also mit dem neuen Leben beschenkt. (2) Was aber bedeutet dann »leibliche« Auferstehung? In welchem Verhältnis stehen irdische Leiblichkeit und dann Auferstehungs-Leiblichkeit zum materiellen Körper und zum materiellenergetischen Kosmos? Einige tastende Überlegungen. »Leib« und (materiell-physischer) Körper sind nicht dasselbe. Phänomenologisch ist der Leib des Anderen dasjenige, was wir in der ursprünglichen Lebenseinstellung erfahren: Er »ist schon mehr als ein materielles Ding«, »hat schon eine zum Seelischen gehörige Schicht« (Husserl), ist voller Bedeutung: Selbstausdruck der Person, ihre Exteriorität, Passibilität und Affizierbarkeit (Levinas), Medium ihrer Aktionsfähigkeit und Kommunikation; erst wenn wir von dieser ursprünglichen bedeutungsvollen Ganzheit absehen, erhalten wir den bloß materiellen Körper, ein Abstraktionsprodukt. Ähnlich ist für die Bibel Leib nicht ein Teil des Menschen (der bloße Körper), sondern der Mensch als ganze Person, aber unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet, nämlich in seiner Verflochtenheit und Kommunikation mit den anderen Menschen und Geschöpfen, also seinem interaktiven Bezogensein, seinem Gemeinschafts- und Erdbezug. Leibhaftige Auferstehung als Verwandlung besagt dann, dass die unverwechselbar selbe Person mit den zu ihr gehörenden Beziehungen von Gott gerettet wird, aber nicht nur so, wie sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres irdischen Daseins war (z.B. in verkrüppeltem Körper-Leib oder mit kaputten Beziehungen), vielmehr ganz-geworden, geheilt, geläutert, vollendet. Dieser Mensch höchstpersönlich wird geheilt und vollendet: mit seinen - gelebten und verweigerten, geglückten und gescheiterten - Beziehungen, mit seinen uneingeholten oder ihm vorenthaltenen Möglichkeiten, also so, wie er von Gott her sein könnte (und den andern gut-tut) und wie er im Tiefsten vielleicht zu sein sich sehnt. Im Judentum der Zeit Jesu gibt es neben der volkstümlich naiven Vorstellung von Auferstehen aus dem Grab mindestens ebenso viele Belege für die Annahme eines Zugleich von in der Erde ruhendem Leichnam und auferwecktem leibhaftigem Leben bei Gott, so dass Auferstehung mit dem im Grab liegenden Leichnam nichts zu tun haben muss (Jub 23,31; äthHen 102-104; Ps 73,23- 26; 49,16; 63,4.9 und jüdische Gebete; Weish 3,1-9; 4,7-13; 5,1-16; 2Makk 7,22.28f.; 4Makk 5,37; 7,19; 13,17; 16,25; 18,23; u.a.). Das bedeutet: Der Leib der Auferstehung beinhaltet biblisch immer die Identität der Person samt ihren Bezügen zu Gemeinschaft, Erde, Welt, nicht immer jedoch eine materielle Identität mit dem begrabenen oder vernichteten Körper. Auch Jesus (nach Mk 12,24f.) und Paulus (1Kor 15,35-44) denken an ein völlig neues »leibhaftiges«, d.h. an ein personal identisches, gemeinschafts- und weltbezogenes Leben der auferweckten Toten, das mit der begrabenen Leiche nicht direkt etwas zu tun hat: das verwesliche »Fleisch und Blut kann die Unverweslichkeit nicht erben« (1Kor 15,50b); »gesät wird ein verweslicher, natürlicher Leib, auferweckt ein unverweslicher, pneumatischer Leib« 7 (1Kor 15,42.44), und zwar von dem Gott, der uns in allem, auch im Moment des Todes, ko-präsent ist (Röm 8,11). Zur Identität des neuen Lebens der Person (also zum Auferstehungsleib) gehört gewiss auch der Bezug zur Materie (zur Körperlichkeit), indes nicht lediglich der Bezug zu den Materie-Elementen, die zufällig im Moment des Todes Substrat des irdischen Leibes waren, und zu dem begrenzten Körper, der ins »Leibhaftige Auferstehung als Verwandlung besagt dann, dass die unverwechselbar selbe Person mit den zu ihr gehörenden Beziehungen von Gott gerettet wird, aber nicht nur so, wie sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres irdischen Daseins war [...], vielmehr ganz-geworden, geheilt, geläutert, vollendet.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 54 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 55 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? Grab gelegt wurde. Im Tod und in der Auferstehung bricht der Bezug der Person zu Materie, Körperlichkeit, materiellem Kosmos (und zur Zeit) nicht ab, aber er wird ein anderer als jetzt; auch er wird verwandelt. Karl Rahner hat das einmal so gesagt: In Tod und Auferstehung wird die Person »nicht a-kosmisch, sondern all-kosmisch«; nicht dass sie sich ins Grenzenlose verlöre, aber sie öffnet sich zu grenzenlos allen anderen und allen Geschöpfen hin. Aus der Dimension Gottes heraus ist der auferweckte Christus und sind die in Gott geborgenen Verstorbenen uns, die wir noch in der gestreckten, ablaufenden Zeit leben, beziehungsvoll gegenwärtig. Die Rede von der Leibhaftigkeit der Auferstehung hält somit ein Doppeltes fest: dass die von Gott auferweckte und in sein Leben geborgene Person sie selbst (identisch) bleibt und vollends wird, und dass der Bezug der Person zu den anderen und zum materiellen Kosmos nicht abbricht, sondern durch die verwandelnde Kraft des Geistes und der Liebe Gottes geheilt, entgrenzt und so vollendet wird. Gott macht aus unseren Lebensbruchstücken - mit unserer vollen Einwilligung - ein Ganzes. 44.. Auferstehung als Prozess der Wandlung Das NT spricht von Auferstehung nicht nur im Tod, sondern auch längst vor dem Tod: von Auferstehen »mitten am Tag« (Marie-Luise Kaschnitz). Es ist voller Aufsteh-Geschichten (Mk 1,31; 2,11; 5,41 u.a.). Es geht ihm nicht nur um ein Leben nach dem Tod, es geht zuerst und vordringlich um die Ermöglichung eines menschlicheren, gerechteren, volleren Lebens vor dem Tod. Dass Jesus von Gott auferweckt ist, besagt ja auch, dass er mit seiner Praxis in Kraft gesetzt ist. Deswegen einerseits die Heilungs-, Aufrichtungs-, Befreiungsgeschichten, in denen am Boden liegende Menschen sich wieder erheben, aufatmen, ihres Lebens wieder froh werden können, weil sie sich in ihrer Würde geachtet sehen und ihnen jemand beim Aufstehen hilft. Deswegen wird andererseits die Metaphorik des Aufstehens und Auflebens auch für die Umkehr verwandt, für das Aufwachen und Auferstehen des Sünders aus dem Totsein mitten im Leben (Lk 15,24.32: »dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden«), für das Aufstehen derer, die den Exodus der Liebe hin zu den Anderen wagen (1 Joh 3,14: »wir sind vom Tod zum Leben hinübergegangen, wenn wir die andern lieben«). Das NT und die große christliche Tradition verstehen die Auferstehung als einen Prozess der Wandlung, der mit dem Christwerden, der Taufe, (einem Sterben des alten und Aufstehen eines neuen Menschen 8 ) beginnt, der das ganze Leben durchzieht (Luther: »täglich unter die Taufe kriechen«), und der dann den Tod bzw. die Auferstehung und die Vollendung in einer universalen communio mit umfasst. Seit Augustinus werden häufig »duae resurrectiones« 9 unterschieden: zum einen die tägliche Auferstehung aus dem Tod der Sünde (des In-sich-verkrümmt- und Abgeschnittenseins vom Lebensgrund Gott und von den Andern), zum andern die zukünftige Auferstehung aus dem physischen Tod. Die Auferstehungssprache bringt so zum Ausdruck, dass das neue, befreiende Leben von Gott her (das ewige Leben) bereits mitten im alten, falschen Leben anwesend und wirksam sein will. Statt von Auferstehung kann man auch von geschenkter Unsterblichkeit sprechen. So kann Luther einmal sehr schön sagen: »Mit wem Gott ein Gespräch angefangen hat, es sei in Zorn oder in Gnade, derselbe ist gewisslich unsterblich. ... Wir sind solche Kreaturen, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicherweise reden wollte.« 10 l Anmerkungen 1 Zum Ganzen vgl. H. Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in biblischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht. Erweiterte Neuausgabe, Würzburg 1995 (= Topos plus Taschenbuch, 2002); ders., Jenseits von Fundamentalismus und Rationalismus. Versuch über Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten, in: ders. (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt 2004, 296-322. Kurz: ders., Auferstehung Christi II. und III., in: LThK 3 I (1993), 1182-1190; ders., Wie Auferstehung denken? , in: Christ in der Gegenwart 58 (2006) Nr. 16, 125-126. - Ich freue mich über die große sachliche Übereinstimmung mit S. Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: G. Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken. Festschrift für Hermann Deuser (MThs 90), Marburg 2006, 339-360. 2 G. Marcel, Geheimnis des Seins, Wien 1952, 472. 3 Der sich selbst als »religiös unmusikalisch« bezeichnende J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a.M. 2001, 24f., weist auf unerledigte Fragen hin, darunter diese: Es »beunruhigt uns die Irreversibilität 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 55 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 56 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse vergangenen Leidens - jenes Unrecht an den unschuldig Misshandelten, Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß menschlicher Wiedergutmachung hinausgeht«. Und dann fügt er, der Nichtgläubige, den bemerkenswerten Satz hinzu: »Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Leere.« Die eigene Ohnmacht dementiere nicht das Verlangen, »am Unabänderlichen doch noch etwas zu ändern«. 4 Augustinus, Confessiones 1,1: »Du hast uns auf dich hin erschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Erfüllung findet in dir« - und zwar nicht erst im Tod, sondern schon jetzt vor dem Tod, und im Tod dann vollends und unzerstörbar. 5 G.F.W. Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 6 1952, 29 (Vorrede). 6 So hat L. Wittgenstein, Schriften I, Frankfurt a.M. 1960, 166f., notiert. 7 Pneumatischer Leib: der neue Leib (m.a.W.: die Person selbst in ihrem Bezogensein) wird ganz vom Pneuma Gottes durchseelt, daher ganz zur Agape befreit, grenzenlos liebesfähig (1Kor 15,44a; 2Kor 3,18; Phil 3,21). 8 In Anlehnung an Th.W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt a.M. 1964, 17, könnte man sagen: »Nichts Natürliches geht unverwandelt durch den Tod hindurch in die Erlösung.« Die ganze Schöpfung ist auf Erlösung hin, und das geht nicht ohne Verwandlung, ohne Untergang des Alten und Aufgang des ganz Neuen. 9 Augustinus, De civitate Dei 22,6,2; Thomas von Aquin, Summa Theologiae III 56,1 und 2; u.a. 10 Martin Luther, WA 43, 481. Claudia Resch Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht des Todes des Todes des Todes des Todes des Todes Frühe reformatorische Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden Pietas Liturgica Studia, Band 15 2006, 255 Seiten, [D] 78,00/ SFr 131,00 ISBN 978-3-7720-8191-0 Der Weg zum „seligen Ende“ führte im Spätmittelalter über die gewissenhafte Vorbereitung auf den Tod. Theologen sahen es daher als Notwendigkeit an, all jene Menschen zu unterweisen, die Kranke besuchten beziehungsweise Sterbende begleiteten. Warum die Reformatoren die spätmittelalterlichen Ars moriendi- Schriften verwarfen und eigene Anleitungen zur Sterbeseelsorge formulierten, wird in vorliegender Publikation anhand einer formalen und inhaltlichen Analyse von 20 ausgewählten „Kranken- und Sterbetrostbüchlein“ eingehend dargestellt. Diese bislang kaum beachteten Beispieltexte geben über die von den Reformatoren erwünschte pastorale Trostpraxis Auskunft und gewähren Einblicke in die Krankenstube des 16. Jahrhunderts. Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verlag gg gg · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Anne-Madeleine Plum Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Die Verehrung des Kreuzes in liturgischer Feier und in zehn exemplarischen Passionsliedern Pietas Liturgica Studia, Band 17 2006, 448 Seiten, [D] 78,00/ SFr 131,00 ISBN 978-3-7720-8194-1 Jedes Jahr am Karfreitag stellt sich die Frage: Wie wird die Feier gestaltet, wie das Kreuz verehrt, welche Lieder werden gesungen? Aber auch die gesellschaftliche Diskussion über das Kreuz steht im Raum: Warum verehren Christen das Kreuz? Am Beispiel der Zentren Jerusalem, Rom, Konstantinopel wird aufgezeigt, wie die Kreuzverehrung im Lauf der Jahrhunderte liturgische Gestalt gewinnt. Nicht nur die Kreuzverehrung im Rahmen der Karfreitagsliturgie, auch Kreuzweg, Grablegung und andere Formen der Verehrung des Mysterium Crucis werden dargestellt. Am Beispiel von zehn Passionsliedern wird im 2. Teil aufgezeigt, wie die Botschaft des Kreuzes im Lied zur Sprache kommt. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 56 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 57 1. Einleitung Auf den ersten Blick scheinen die Vorstellungen über Auferstehung und ein Leben nach dem Tode im Islam und Christentum einander sehr ähnlich zu sein. So glauben Christen wie Muslime an ein Ende der Welt, eine Auferstehung, ein Endgericht und ein Fortleben in Paradies oder Hölle. Auch in den diese Ereignisse ausgestaltenden Einzelheiten gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen. Dies ist auch nicht verwunderlich, da der Islam nach überwiegender Meinung der Forscher seine eschatologischen Vorstellungen aus der Begegnung mit dem Christentum oder der christlichen Eschatologie gewonnen hat. Außerdem scheinen auch Einflüsse aus der spätantiken jüdischen Apokalyptik sowie dem Zoroastrismus, dem gemeinsamen Urgrund der jüdischen und christlichen Apokalyptik, vorzuliegen. Demnach scheint die Ähnlichkeit historischgenetisch, z.B. durch persönliche Begegnungen Muhammads mit Juden und Christen bedingt zu sein. Als Indiz für die enge Verwandtschaft beider Eschatologien kann auf die Rolle Jesu (im Koran: ‘I¯sa¯) bei den endzeitlichen Ereignissen hingewiesen werden. Der Theologe Manfred Bauschke hat auf die engen Parallelen zwischen der koranischen Überlieferung und den Endzeitvorstellungen der synoptischen Evangelien (Mk 13; Mt 25) sowie zur Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium (Joh 17) hingewiesen. 1 Demnach wird Jesus im Koran, wie in den Endzeittexten der Evangelien, als endzeitliche Figur betrachtet, die Wiederkehr Jesu wird sogar als ein wichtiges Anzeichen des Anbrechens der eschatologischen Endzeit angesehen. In späteren islamischen Überlieferungen kann Jesus sogar, wie J. Smith und Y. Haddad herausgestellt haben, mit dem endzeitlichen Mahdı ¯ identifiziert werden. 2 Andererseits unterscheiden sich die endzeitlichen Vorstellungen zu Jesus in Islam und Christentum aber auch in wichtigen Aspekten: so wird Jesus im Islam eine Richterrolle im Endgericht ausdrücklich abgesprochen, vielmehr muss Jesus nach koranischer Vorstellung sogar selbst über sein Wirken als Prophet Rechenschaft ablegen (Sure 5,116-117). Diese Verschiedenheit hat mit der Kritik des Islam an einer Grundlehre des Christentums zu tun: es soll ausdrücklich gemacht werden, dass Jesus eben nicht der Sohn Gottes, also Gott gleichgestellt ist, also auch nicht die Rolle Gottes im Endgericht, des alleinigen Richters, übernehmen kann. Diese Verschiedenheit ist also Ausdruck der unterschiedlichen »Christologien« von Koran und Neuem Testament, nicht ein Unterschied in den eschatologischen Grundaussagen. Umso befremdlicher erscheint es vielen heutigen Christen, vor allem in Mitteleuropa, welchen Gebrauch Muslime von den eschatologischen Lehren des Korans machen. So haben sog. Selbstmordattentäter ihre Anschläge damit begründet, dass sie als Märtyrer für die Sache des Islam sofort in das Paradies eingingen, sich also nicht mehr einer Beurteilung z.B. durch das Gericht im Grabe unterziehen müssten. 3 Auch die Kriege, die islamische Fundamentalisten in Afghanistan, auf den Philippinen, im Irak und an anderen Orten gegen den Westen führen, werden mit den eschatologischen Vorstellungen des Koran, vor allem dem Märtyrergedanken begründet. Ein wiederkehrendes Motiv ist auch die Aussage, dass wir, die Angehörigen westlicher Kulturen, das Leben, sie, die Muslime hingegen, den Tod liebten, also schon deshalb in einem andauernden Kampf im Vorteil seien. Gerade die Tapferkeit muslimischer Kämpfer im djiha¯d wird mit der Aussicht auf das Paradies und ein ewiges Leben begründet. Angesichts dieser Argumentationen, die vielen Christen bei uns befremdlich, ja sogar erschreckend erscheinen, stellt sich die Frage, ob die christlichen und islamischen Endzeitvorstellungen tatsächlich so eng miteinander verwandt sind, wie es oft behauptet worden ist. Ist nicht unter der Decke scheinbar äußerlicher, phänomenologischer Gleichheit eine tiefgreifende, geradezu prinzipielle Verschiedenheit beider Eschatologien gegeben? Und könnte diese Verschiedenheit nicht Hermeneutik und Vermittlung Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum Die Vorstellungen über Tod und Auferstehung in den heiligen Schriften und Traditionen beider Religionen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 57 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 58 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung verantwortlich sein für den unterschiedlichen Gebrauch, den Muslime und Christen von ihren Endzeitvorstellungen gemacht haben? Die Kulturwissenschaftler Victor und Victoria Trimondi haben in ihrem Buch »Krieg der Religionen« auf die Verwandtschaft der eschatologischen Vorstellungen islamischer Fundamentalisten mit den Vorstellungen christlicher Fundamentalisten in den USA hingewiesen. Diese Verwandtschaft sei u.a. dafür verantwortlich, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen beiden Religionen ständig verschärften, weil die Apokalyptiker beider Seiten sich gegenseitig anstachelten. Die Trimondis sprechen von einer »apokalyptischen Ökumene«, ein Begriff, der den Dialogbemühungen zwischen den beiden Religionen und der Entdeckung positiver Verwandtschaften gegenüber gestellt wird. Die Autoren wollen damit deutlich machen, dass es ein Gewaltpotential in beiden Religionen gibt, das im Christentum in Mitteleuropa nur gleichsam zivilisiert, also ruhig gestellt ist. 4 Im Folgenden soll die Frage geklärt werden, ob die islamischen und christlichen Endzeitvorstellungen einander ähnlich sind oder ob sie doch so verschieden sind, dass sich der unterschiedliche Gebrauch erklären lässt. Dabei soll vornehmlich auf die eschatologischen Vorstellungen in den heiligen Schriften der beiden Religionen, also im Koran und Neuen Testament eingegangen werden. Freilich kennt der orthodoxe sunnitische Islam nicht ein Schriftprinzip wie der Protestantismus; außerdem haben außerkoranische Überlieferungen, z.B. aus den sogenannten Hadı ¯then, die Vorstellungen weiter Kreise von Muslimen über die Endzeit maßgeblich mitbestimmt. So ist z.B. eine wichtige islamische eschatologische Lehre, die Lehre von einem Gericht schon im Grabe, im Koran gar nicht explizit ausgedrückt, sondern allenfalls angedeutet. Daher sollen im Folgenden, zumindest an einigen wichtigen Stellen, auch eschatologische Darstellungen aus den islamischen Überlieferungen zum Vergleich herangezogen werden. Ziel der folgenden Überlegungen soll sein, gleichsam hinter die phänomenologischen Gemeinsamkeiten der eschatologischen Motive zu blicken und strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede christlicher und islamischer Vorstellungen aufzudecken. Dabei soll diese Analyse auch unter der Fragestellung erfolgen, ob diese Betrachtung eine Erklärung für den Gebrauch, den islamische Extremisten von den Endzeitvorstellungen des Koran machen, geben kann und damit das Gefühl des Befremdens vieler Christen erklären kann. Es wird sich dabei zeigen, dass es auf dieser tieferen, strukturellen Ebene erhebliche Unterschiede im Verständnis z.B. der Auferstehung zwischen Neuem Testament und Koran gibt, die das unterschiedliche Verhalten recht gut erklären können. 2. Hauptteil 2.1 Der Ablauf der eschatologischen Ereignisse nach muslimischer Vorstellung 5 Bevor die eschatologischen Vorstellungen von Christentum und Islam miteinander verglichen werden können, ist es notwendig, den Ablauf der eschatologischen Ereignisse nach islamischer Anschauung zu schildern, damit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den christlichen Lehren vor Augen stehen. 6 Nach der klassischen islamischen Konzeption vollziehen sich die eschatologischen Ereignisse in zwei Phasen, die sowohl in der klassischen islamischen Tradition als auch in den Anschauungen moderner muslimischer Theologen angenommen werden. Die erste Phase beginnt mit dem individuellen Tod eines Menschen und dauert bis zum Beginn des Jüngsten Tages. Sie wird in der islamischen Tradition als Bereich des »barzakh« bezeichnet, nach der Mauer, die den Bereich der Toten vom Bereich der Lebenden trennt und die (von den Toten) nicht überschritten werden kann (Sure 23,100; 25,53; 55,20). Die zweite Phase erstreckt sich vom Beginn des Jüngsten Tages mit der allgemeinen Totenauferstehung bis zum Eingang der (Seelen der) Menschen in das Paradies oder die Hölle. »Angesichts dieser Argumentationen, die vielen Christen bei uns befremdlich [...] erscheinen, stellt sich die Frage, ob die christlichen und islamischen Endzeitvorstellungen tatsächlich so eng miteinander verwandt sind, wie es oft behauptet worden ist.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 58 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 59 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum 2.2 Der Zustand der Seelen im barzakh Die erste Phase der eschatologischen Geschehnisse beginnt mit dem Tod eines Menschen. Der Tod besteht nach islamischer Anschauung in der Trennung von Körper und Seele (Geist) und der damit verbundenen Vernichtung (Verwesung) des Körpers. 7 Die Seele wird hingegen nicht vernichtet, sondern sie wird als unsterblich angesehen. Der Islam vertritt also nicht die sog. Ganztodvorstellung, wie wir sie z.B. bei dem Apostel Paulus finden (1Kor 15,42-44). Der Tod eines Menschen wird in den islamischen Traditionen dramatisch ausgestaltet: nachdem der himmlische Buchhaltungsengel den Tod eines Menschen angekündigt hat oder nachdem (nach einer anderen Anschauung) ein Blatt mit dem Namen des Menschen von einem Baum unterhalb des Thrones Gottes herabgefallen ist, macht sich der Todesengel ‘Izra¯’il auf den Weg, um die Seele des Menschen abzuholen. Der Todesengel (Sure 32,11) tritt dem Menschen in den Weg; dieser versucht dem Todesengel auszuweichen, kann es aber nicht, weil sein Todeszeitpunkt schon bei seiner Geburt von Gott festgelegt worden war. Alle Versuche, dem Todesengel zu entkommen, müssen daher scheitern. Beeindruckend sind die Schilderungen von dem schmerzhaften, qualvollen Charakter des Todes. So ist davon die Rede, dass die Seele des Menschen, der sterben soll, ihm in die Kehle hochsteigt, bevor sie den Körper dieses Menschen verlässt (Sure 56,83). Nach anderen Anschauungen zieht der Todesengel, assistiert von vier weiteren Engeln, die Seele eines Menschen mit Gewalt aus seinen Extremitäten heraus (siehe Sure 79,1ff.). Dies spiegelt die physiologische Beobachtung wider, dass zunächst die Funktionen der Extremitäten, d.h. von Armen und Beinen versagen, wenn ein Mensch sich zu sterben anschickt, während seine geistigen Fähigkeiten zunächst noch intakt bleiben. Die Seele ist nach der Überlieferung so klein wie eine Biene, damit sie den Körper des Menschen durch die Nase verlassen kann; nachdem sie aus dem Körper ausgetreten ist, hält sie der Todesengel auf seiner Handfläche und betrachtet sie, wobei die Seele zuckt und zittert wie Quecksilber. Nach dem Eintritt des Todes erscheint der Satan, um den Menschen zu versuchen. Die Versuchung besteht darin, dass der Satan den Menschen dazu bringen will, seinem Glauben abzuschwören und auszusprechen, dass der Prophet gelogen hat. So bietet der Satan dem Sterbenden einen Becher frischen Wassers an, wenn er den Glauben verleugnet - der Sterbende empfindet nämlich im Moment seines Todes und seines Eintritts ins Grab einen furchtbaren Durst, und der Satan verspricht ihm dafür Erleichterung. Die für das Paradies bestimmten gläubigen Menschen widerstehen natürlich dieser Versuchung, während die für die Höllenstrafe bestimmten Menschen ihr nicht widerstehen können, sondern ihren Glauben verleugnen, nur um einen einzigen Becher Wasser trinken zu können. Die Situation der Toten im Grabe wird als entsetzlich und qualvoll beschrieben. So muss der Gebhard Löhr, geb. 1958. Studium der Ev. Theologie, Philosophie und Religionswissenschaft an den Universitäten Bonn und Göttingen; Auslandsstudium am Wagner College, New York (USA) und der Duke Divinity School, Durham, N.C. (USA); Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie der Marie Baier Foundation, New York; Forschungsaufenthalt am Center for Process Studies, Claremont, Ca. (USA); 1986 M.A. (Philosophie) und Dipl. Theol. (Universität Göttingen); 1989 Dr. phil. (Universität Göttingen); 1994 Habilitation in Religionswissenschaft (Universität Göttingen); 1995-1999 Oberassistent an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald; 1999-2001 Hochschuldozent ebd.; Gastprofessuren und -dozenturen an den Universitäten Göttingen, Erfurt, Innsbruck und Bayreuth; 2004 Heynehaus-Fellowship am Institut für Wissenschaftsgeschichte, Universität Göttingen; zur Zeit Vikar der Ev. Kirche im Rheinland an der Bonnus-Kirche, Osnabrück (Gastvikariat). Gebhard Löhr 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 59 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 60 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung Verstorbene auf alle Luxusgüter verzichten, die er vielleicht im Leben zur Verfügung hatte; dies wird als Mahnung an die Reichen berichtet, damit sie sich schon im Leben auf den Tod vorbereiten. Dramatisch wird geschildert, wie der Tote mitbekommt, dass Erde auf seinen Körper gehäuft wird, dass er keinen Kontakt mit seinen Angehörigen mehr aufnehmen kann, dass er vielleicht mitbekommt, wie lieblos die Wäscher mit seinem Leichnam umgehen. Auch wenn er keinen Kontakt mehr mit der Welt der Lebenden aufnehmen kann, so bekommt er doch genau mit, was über ihn an seinem Grab gesprochen wird, ob über ihm geweint oder gebetet wird, etc. Nach dem Eintritt des Todes wird die Seele nach einigen Traditionen auf eine Himmelsreise mitgenommen, deren Vorbild die Himmelsreise des Propheten Muhammad ist. An der Hand des Engels Djibrı ¯l steigt die Seele die sieben Stockwerke des Himmels hinauf und begegnet den Seelen, die in diesen Stockwerken wohnen. Die Himmelsreise endet in der höchsten Sphäre, der Sphäre, in der sich Gott selbst aufhält, wobei die Kommentatoren unterschiedlicher Ansicht darüber sind, ob die Seele tatsächlich die Vorhänge vor Gottes Thron durchdringen kann und in die Gegenwart Gottes eintritt oder nicht. Die Überlieferungen sind auch unterschiedlicher Ansicht darüber, ob sich Gott selbst tatsächlich an die aufgestiegene Seele wendet oder nur, in Anwesenheit der Seele, den Engeln um seinen Thron Anweisungen bezüglich des Umgangs mit ihr gibt. Diese Vorgänge laufen so schnell ab, dass die Wäscher bei der Rückkehr der Seele von der Himmelsreise noch damit beschäftigt sind, den Leichnam des Verstorbenen zu reinigen (und dies geschieht unmittelbar nach dem Tode! ). Nach der Rückkehr von der Himmelsreise werden Körper und Seele des Verstorbenen im Grab wieder miteinander vereinigt. Dies dient der Vorbereitung der beiden wichtigsten Ereignisse, von denen die islamischen Traditionen für die Zeit des Aufenthaltes im Grabe zu berichten wissen und die ein fester Bestandteil des islamischen Volksglaubens wie auch der islamischen Theologie geworden sind: nämlich die Vorstellungen einer Befragung der Seele schon im Grabe sowie einer darauf folgenden Bestrafung im Grabe. Nach der Vereinigung von Leib und Seele im Grabe erscheinen zwei Engel (die in der Tradition mit den Namen »Munkar« und »Nakı ¯r« bezeichnet werden), die den Verstorbenen nach seinem Glauben befragen. Die beiden Engel werden als furchtbar und schreckerregend beschrieben, sie erscheinen in schwarzer Gestalt mit grünen Augen und donnerlauten Stimmen. Das Ergebnis dieser Befragung soll allerdings nicht das Endgericht vorwegnehmen, sondern es entscheidet lediglich darüber, in welchem Zustand sich der Verstorbene im Grabe befinden wird. Die Engel befehlen dem Toten in harschem Ton, sich aufzusetzen; dann stellen sie ihm drei oder vier Fragen zu seinem Glauben, und zwar die Fragen nach seinem Herrn, seiner Religion, seinem Propheten und seiner Gebetsrichtung. Wenn die Antworten auf die Befragung korrekt ausfallen, geschieht Folgendes: die Engel öffnen im Grab ein Fenster, durch das der Verstorbene auf das Paradies blicken kann und durch das bereits die süßen Düfte des Paradiesgartens in das Grab hineinwehen. Nach einigen Überlieferungen nehmen die beiden Engel später auch die Seelen der Verstorbenen mit hinauf zum Thron Gottes und platzieren sie in die Lampen, die den Thron Gottes erleuchten. Wenn hingegen die Antworten auf die Fragen nicht befriedigend ausfallen, dann erfolgt die sog. Bestrafung im Grabe, das zweite wichtige Ereignis in der Zeit des Zwischenzustandes nach der islamischen Tradition. So wird davon berichtet, dass diejenigen, die falsch geantwortet haben (vor allem auch Juden und Christen) mit eisernen Stangen geschlagen und auf andere Weisen gequält werden (z.B. durch Verengung des Grabes). Nach einigen Überlieferungen lassen die beiden Engel in die Gräber dieser Seelen ebenfalls ein Fenster ein, durch das hindurch sie bereits einen Blick auf das Höllenfeuer werfen können. Die Bestrafung durch die beiden Engel soll außerordentlich qualvoll sein: so wird berichtet, dass Tiere, wie z.B. das Kamel des Propheten, die Nähe von Friedhöfen zu vermeiden pflegten, weil sie die Schreie der im Grab Gefolterten nicht ertragen konnten. Nach anderen Berichten vermeiden Reiter die Nähe von Friedhöfen, auf denen Juden oder Christen begraben wurden, weil die Pferde scheuen, wenn sie die Schreie der im Grabe Gequälten hören. Es wird auch davon berichtet, dass der Prophet einmal über einen Friedhof ging und in der Nähe von zwei Gräbern die Hitze 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 60 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 61 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum spüren konnte, die von dem Feuer verursacht wurde, mit dem die Verstorbenen im Grab gefoltert wurden. Die Märtyrer werden allerdings nicht im Grabe befragt, geschweige denn bestraft, sondern sie gehen direkt in das Paradies ein (Sure 3,169; 22,58-59). Damit umgehen sie Ereignisse, die von vielen Muslimen als besonders schreckensvoll angesehen werden; dies mag dazu beitragen, dass der Tod als Märtyrer für viele Muslime besonders attraktiv erscheint. Nach einigen Überlieferungen tritt nunmehr eine Person dem Verstorbenen entgegen, die entweder ein schönes Gesicht hat und wohlriechend ist oder ein schreckerregendes Gesicht hat und unangenehm riecht. Diese Person soll die personifizierten guten oder bösen Taten eines Menschen darstellen, mit denen er nun noch einmal konfrontiert wird. Der Verstorbene fordert die Person auf, sich zu identifizieren, und diese gibt daraufhin an, dass sie die guten oder die bösen Taten des Menschen verkörpere. Nach diesen Ereignissen fällt die Seele nach der Meinung der meisten Traditionen in einen langen, bewusstlosen Traumschlaf, der bis zur Auferstehung am Jüngsten Tag andauert. Nach einigen Traditionen werden für die Seelen der Gläubigen angenehme Kissen in das Grab gelegt, auf denen sie dem Tag der Auferstehung entgegen schlummern können. Am Tag der Auferstehung werden die Seelen allerdings nicht das Gefühl haben, lange geschlafen zu haben, sondern sie werden glauben, nur kurz geruht zu haben. Es wird als hilfreich angesehen, für die Toten zu beten oder Almosen zu geben; eine übertriebene Trauer um die Verstorbenen wird dagegen abgelehnt. Denn eine übermäßige Trauer (z.B. durch Weinen oder Schreien) würde ja bedeuten, dass durch den Tod des Menschen ein Unrecht geschehen wäre, was aber nicht sein kann, da Gott den Todeszeitpunkt festgelegt hat, er aber keine Ungerechtigkeiten begeht. In einigen Traktaten wird auch argumentiert, dass übermäßiges Klagen die Ruhe der Toten stören würde, weshalb die Bestellung von Klageweibern abgelehnt wird. 2.3 Jüngster Tag und Endgericht Die zweite Phase der eschatologischen Ereignisse beginnt mit der zunehmenden Verschlechterung der Situation in der Welt, den sog. »Anzeichen der Stunde«. Die Natur wird aus dem Gleichgewicht geraten, die Naturgesetze werden außer Kraft gesetzt, was sich z.B. daran zeigt, dass die Sonne im Westen aufgehen wird und der Mond sich drei Mal verdunkelt. Dann werden die Gestirne vom Himmel herabstürzen, auf der Erde wird es zu Naturkatastrophen kommen, bei denen viele Menschen umkommen werden. Schließlich wird das ganze Firmament zusammengefaltet werden, d.h. zusammengelegt werden wie ein Tuch. Den katastrophalen Ereignissen in der Natur entsprechen Auseinandersetzungen in der menschlichen Gesellschaft (Kultur). So wird gesagt, dass der menschliche Zusammenhalt zerbrechen wird und Sittenlosigkeit und Schamlosigkeit sich ausbreiten werden. Es wird zu Kriegen und Gewalt unter den Völkern kommen, und auch die muslimische Gemeinschaft wird von inneren Auseinandersetzungen nicht verschont. Diese Geschehnisse deuten darauf hin, dass die letzte Stunde der Welt gekommen ist. In diesem Moment erschallt ein Trompetenstoß, der den Anbruch des Jüngsten Tages signalisiert (Sure 69,13). Die Trompete wird von dem Engel Isra¯fı ¯l geblasen, der diesen »Posaunenstoß des Schreckens« ausführt. Ständig hatte er zuvor mit dem Instrument am Mund auf den Einsatzbefehl Gottes gewartet, jetzt endlich darf er in Aktion treten. Auf den ersten erfolgt alsbald ein zweiter Posaunenstoß, der »Posaunenstoß der Ohnmacht« (vgl. Sure 39,68). Er kündigt die Vernichtung von allem an, was im Kosmos existiert, also eine Bereinigung der Welt. Alle lebendigen Wesen werden vernichtet, aber auch alle natürlichen Erscheinungen, bis hin zu den Gestirnen und den sieben Sphären des Himmels. Der Himmel wird regelrecht aufgefaltet und zusammengelegt wie ein Tuch; die Gestirne stürzen hernieder. Alle menschlichen Seelen, aber auch die nicht-menschlichen Wesen, also die Engel und Geister, sogar die Erzengel Gottes, müssen vergehen. Der Vernichtungsvorgang findet erst sein Ende, wenn wirklich der ganze Kosmos leer geräumt ist, die ganze Schöpfung Gottes gleichsam rückgängig gemacht worden ist (Sure 28,88; 55,26-27). Im leeren Kosmos bleibt allein Gott zurück in seiner Einheit und Einzigkeit. So existiert Gott in einer totalen Leerheit, wie vor Beginn der Erschaffung der Welt. Dies zeigt: Gott ist völlig 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 61 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 62 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung selbst-subsistent, er ist auf nichts und niemanden angewiesen, um zu existieren, sondern er ist völlig souverän. In einigen Kommentaren wird allerdings davon ausgegangen, dass der Kosmos nicht vollständig entleert wird, sondern dass das Paradies und die Hölle fortexistieren. Auch wird davon gesprochen, dass die Seelen der Menschen, die wieder auferweckt werden sollen, nicht vernichtet werden; vielmehr sollen sie fortexistieren, wobei an den Schädeln dieser Menschen ein Knochen angefügt ist, der den Ansatz des Rückgrates am Kopf markiert; dieser Knochen bildet dann den Ausgangspunkt für die Neubildung der Körper, wenn Gott die Toten auferwecken wird. Schließlich sollen nach einigen Traditionen auch die Erzengel Gottes der totalen Vernichtung entgehen. Nach einiger Zeit - nach einigen Überlieferungen sind es 40 Tage - beginnt die Auferstehung der Toten, die den Kosmos erneut mit Leben erfüllt. Es wird gesagt, dass der Kosmos sozusagen Leben herausregnen wird, wenn die Erde wieder mindestens bis zu den Knien mit Wasser (das mit dem männlichen Samen verglichen werden kann) bedeckt worden ist. Dann wachsen in den Gräbern, ausgehend von dem Rückgratknochen, die Leiber wieder heran, und zwar in der Gestalt, wie die Menschen gewesen sind, als sie der Tod übermannte. Nach anderen Überlieferungen sollen die Leiber so aussehen, wie die betreffende Person im Alter von 30 Jahren ausgesehen hat bzw., wenn der Mensch als Kind verstorben war, ausgesehen hätte. Gott weckt nun die toten Leiber zum Leben auf, indem er sie mit den Seelen verbindet, die ihnen zu Lebzeiten zugeordnet waren. Zuerst wird der Engel Isra¯fı ¯l wieder auferweckt, dann die anderen Erzengel. (Die Engel haben auch Leiber, die sich mit ihren Seelen verbinden, und zwar aus Licht.) Danach beginnt die allgemeine Auferstehung der Menschen, wobei als erster Muhammad oder, nach anderen Traditionen, Abraham oder Moses, auferstehen werden. Auch die Tiere werden wieder auferweckt, als erstes das sagenhafte Pferd Bura¯k, mit dem der Prophet Muhammad seine Himmelsreise unternommen haben soll. Nach ihrer Erweckung befinden sich die auferstandenen Menschen in einem Zustand großer Furcht. Denn sie müssen sehr lange warten, bis sie erfahren, was mit ihnen geschehen wird. Dies ist für sie die Gelegenheit, über ihr Leben und die darin vollbrachten Taten nachzudenken. Damit nimmt diese Wartezeit den Charakter einer Reinigungs- und Bußzeit an; nach einigen Überlieferungen dauert sie 1000 (nach Sure 32,4-5) oder sogar 50.000 Jahre (nach Sure 70,4) an. Der Schrecken wächst in dieser Wartezeit immer mehr an und kulminiert in dem sog. »Schrecken des Warteplatzes«, der schon im Koran erwähnt wird (Sure 21,103; 37,20ff.). Nach der Überlieferung soll dieser Schrecken so groß sein, dass die Menschen stark schwitzen; der Schweiß soll ihnen bis zur Hüfte, zum Bauchnabel oder bis zum Nacken reichen, obwohl sie vollkommen nackt dastehen. Schließlich beginnt das Endgericht. Sein Beginn wird dadurch signalisiert, dass Gott »seine Haut entblößt« (Sure 68,42), was nach Ansicht einiger Kommentatoren bedeutet, dass er den versammelten Menschen seine Beine und Füße zeigt. (Nach einer anderen Interpretation bedeutet diese Wendung, dass den Verstorbenen ihre Haut abgezogen wird, damit sie vor Gott vollkommen ungeschützt dastehen.) Die Frommen werfen sich daraufhin vor Gott nieder und beten ihn an, während das Rückgrat der Ungläubigen so steif wird, dass sie es nicht schaffen, sich vor Gott niederzubeugen. Damit zeigen sie schon an, dass sie nicht auf der Seite Gottes gestanden haben, demnach im nun beginnenden Endgericht auch nicht bestehen werden. Das Endgericht besteht in einer Beurteilung der Taten, die ein Mensch zu seinen Lebzeiten vollbracht hat; nach seinem Tode kann er an dieser Bilanz nichts mehr verändern, insbesondere das Urteil nicht mehr abmildern oder die Bilanz nachträglich schönen. Die Bilanz der Taten eines Menschen ist in einem Buch festgehalten, das für jeden Tag seines Lebens ein neues Blatt enthält. Nach einigen Traditionen bekommt jeder Mensch sein eigenes Buch zugewiesen, nach anderen Überlieferungen gibt es nur ein einziges umfangreiches Buch der Taten aller Wesen (Sure 17,13). Die Taten des Menschen wurden von zwei Engeln in sein Buch hineingeschrieben, wobei der eine die guten, der andere die schlechten Taten des Menschen notiert (Sure 23,62; 54,52; 83,7-9.18-21 u.a.). Der Engel, der die guten Taten aufschreibt, sitzt zu Lebzeiten des Menschen auf seiner rechten Schulter, der Engel, der die schlechten Taten mitschreibt, auf seiner linken; beide Engel schau- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 62 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 63 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum en also dem Tun des Menschen während seines Lebens unablässig zu. Das Ergebnis der Buchführung wird dem Menschen mitgeteilt. Er kann das Ergebnis schon daran erkennen, ob ihm das Buch seiner Taten in die rechte oder (über die Schulter nach hinten) in die linke Hand zurückgegeben wird (Sure 69,19.25; 84,7.10 u.a.). Für diejenigen Menschen, die bisher nicht über ihre Taten nachgedacht haben, sondern während ihres Lebens in den Tag hinein gelebt haben, ist die Enthüllung der Bilanz ihrer Taten ein großer Schock. Zur Beurteilung der Taten wird eine große Waage herbeigeschafft (Sure 42,17; 101,6-9 u.a.), deren beide Balken so weit wie Ost und West auseinander liegen und deren Waagschalen so tief sind wie alle Schichten der Erde. Die Waagschale für die guten Taten eines Menschen befindet sich auf der rechten, die für die schlechten Taten auf der linken Seite des Thrones Gottes. In diese Waagschalen werden entweder die Nachbildungen der Taten des Menschen oder die Seiten des Buches, auf denen sie verzeichnet sind, hineingelegt. Die Barmherzigkeit Gottes zeigt sich nun vor allem daran, dass er den guten Taten eines Menschen bei der Abwägung ein größeres Gewicht zuweist als seinen schlechten Taten. In einigen Texten wird sogar davon gesprochen, dass nur ein winziges Körnchen guter Taten alle schlechten Taten eines Menschen aufwiegen kann. Außerdem spielt auch der Glaube eines Menschen eine wichtige Rolle: so kann der rechte Glaube nach einigen Überlieferungen auch ein moralisch verfehltes Leben aufwiegen. Das Urteil, das Gott über die Taten eines Menschen fällt, ist gerecht; deshalb kann es auch nachträglich nicht mehr verändert werden (Sure 50,29). Da es durch eine genaue Abwägung der guten und bösen Taten durch die Waage zustande kam, ist es auch objektiv; daher kann niemand für einen anderen Menschen im Gericht eintreten und damit z.B. eine Linderung der Strafen erreichen (Sure 74,38; 2,48.123). Im Islam hat sich allerdings später die Anschauung entwickelt, dass der Prophet Muhammad für seine Gläubigen eintreten und ihre Strafen erleichtern kann. Er muss Gott jedoch um Erlaubnis bitten (vgl. Sure 82,19). Nach ursprünglicher islamischer Lehre war eine Fürbitte im Gericht noch ausgeschlossen gewesen, da Gottes Urteil als gerecht angesehen wurde. Schließlich entwickelte sich noch die Vorstellung, dass auch die anderen Propheten jeweils für ihre Völker Fürsprache halten können, z.B. Moses für die Juden und Jesus für die Christen. 8 Die Menschen müssen nun eine Brücke betreten, die über den Höllenschlund in das Paradies (= den Garten) führt (Sure 36,66; 37,23-24); jeder, der in das Paradies gelangen will, muss sie überschreiten. Die Brücke ist dünner als ein menschliches Haar und schärfer als eine Rasierklinge - es besteht also die Gefahr des Absturzes in das Höllenfeuer. Den Gläubigen, die das Gericht bestanden haben, erscheint die Brücke aber als breiter Weg; es gelingt ihnen, sie mit großer Geschwindigkeit (in modernen Kommentaren: »Lichtgeschwindigkeit«) zu überqueren, zuerst der muslimischen Gemeinschaft unter der Führung ihres Propheten. Die zum Höllenfeuer verurteilten Menschen schaffen die Überquerung der Brücke dagegen nicht, sondern sie stürzen beim Versuch in den Höllenschlund. In der Hölle werden die Menschen furchtbaren Folterungen ausgesetzt (z.B. Sure 11,106; 4,45; 14,16-18.49-50; 69,30-32; 22,19-21; 67,6-8). So werden sie mit kochend heißem Wasser übergossen, sie müssen flüssiges Blei hinunter schlucken, ihre Haut wird verbrannt, dann aber sofort wieder erneuert, damit sie weiterhin die Schmerzen des Feuers empfinden. Die Menschen bitten darum, sterben zu dürfen, weil sie diese Qualen nicht mehr aushalten können, aber es wird ihnen nicht gestattet; der Todesengel oder eiserne Klammern stoßen sie immer wieder in den Höllenschlund zurück. In den Traditionen wurden diese Folterungen noch weiter ausgemalt: so wird z.B. berichtet, dass den Höllenbewohnern die Zungen aus dem Mund hängen (dass sie also hässlich, geradezu fratzenhaft aussehen), damit sie das Feuer noch stärker spüren können; ihre Eingeweide sind voller Glut und Hitze, ihre Körper sind grotesk verzerrt und vergrößert, um auf diese Weise eine größer Angriffsfläche für die Schmerzen zu bieten. Schlangen und Skorpione greifen die Menschen an; die Menschen sind umgeben von stinkenden Flüssen, haben andauernd Schaum vor dem Mund, Geifer in den Mundwinkeln und müssen sich ständig erbrechen. Die Hölle ist nach der Lehre der Traditionen ein kegelförmiger oder konischer Bau, der aus 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 63 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 64 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung sieben übereinander gelagerten Schichten (= Stockwerken) besteht (entwickelt aus Sure 15,43- 44). Diese Schichten, die sich von oben nach unten in den Schlund der Hölle hinein verjüngen, enthalten verschiedene Grade von Folterungen, wobei sich die Foltern nach unten hin (d.h. in die untersten Schichten hinein) verstärken. In der obersten Schicht, dicht unter der Brücke zum Paradies, befinden sich die Menschen, die zwar moralisch verwerfliche Taten begangen haben, aber am Glauben an Gott festgehalten haben; ihre Qualen sind leicht und ihr Aufenthalt im Höllenfeuer zeitlich begrenzt. In der Schicht darunter befinden sich die Christen, darunter die Juden, usw. bis zur untersten Schicht, in der sich die Menschen befinden, die zu ihren Lebzeiten den Glauben an Gott nur geheuchelt haben (= die Heuchler). Je höher die Schicht liegt, desto eher werden die darin sich befindenden Menschen der Hölle entrinnen. Nach Meinung der meisten Traditionen ist der Aufenthalt in der Hölle für alle Menschen zeitlich begrenzt, es sei denn, sie hätten die Sünde der Beigesellung (shirk), also der Gleichstellung eines anderen Wesen mit Gott, begangen (= Polytheisten) oder den Glauben an Gott ganz geleugnet (= Atheisten). Die Taten eines Menschen können nach dieser Meinung nicht zu einem ewigen Aufenthalt in der Hölle führen; damit nimmt das Höllenfeuer den Charakter eines Reinigungs- oder Fegefeuers an. Im Höllenschlund, am unteren Ende des kegelförmigen Baus, wächst ein giftiges Gewächs, der Zakku¯m-Baum, der den ganzen Aufbau der Hölle überragt, der also aus dem Höllenschlund herausschaut. Seine Blüten bestehen aus den Köpfen von Teufeln, die giftigen Früchte des Baumes müssen die Höllenbewohner verspeisen. Dieser Baum wird sogar schon im Koran erwähnt (Sure 37,64-66). Das Paradies (diese Bezeichnung in Sure 18,107; 23,11) ist nach koranischer Lehre in vielen Aspekten das genaue Gegenteil zur Hölle: in ihm ist es kühl und schattig (Sure 13,35), die Bewohner haben reichlich zu trinken, und köstliche Früchte wachsen ihnen in zwei Reihen über dem Kopf, so dass sie ihre Hände nicht ausstrecken müssen, um sie zu pflücken (Sure 36,57; 37,42; 56,54). Sie können frisches Wasser, Milch, flüssigen Honig oder ein Getränk trinken, das wie Wein schmeckt, aber nicht betrunken macht und keine Kopfschmerzen verursacht (Sure 37,45-47). Gekleidet sind sie in kostbare Gewänder aus Satin (Sure 18,31), die durchscheinend sind, so dass man ihre weiße, d.h. wieder jung gewordene Haut sehen kann. Bei ihren Mahlzeiten ruhen sie auf Kissen aus Brokat (Sure 88,13-15), können sich also entspannt dem Genuss hingeben. Sie werden ständig von Knaben umsorgt, die ihnen die Weinkrüge bringen (Sure 52,24; 56,15-18), und ihnen stehen junge Frauen mit Mandelaugen, die noch nie von einem Mann berührt worden sind, zur Verfügung (Sure 55,56-58; 56,22-23). Nach einigen Überlieferungen sind diese Frauen die wieder jung gewordenen Ehefrauen der Paradiesesbewohner (vgl. Sure 52,20; 4,57), die sich im Leben bewährt haben, aber meistens hat man sich diese hu¯rı ¯s (wörtl.: die Weißhäutigen) einfach als junge, attraktive Mädchen vorgestellt. Die Paradiesesbewohner, so fasst der Koran seine Beschreibungen zusammen, erhalten im Garten alles, was sie nur für sich selbst begehren. In den genaueren Beschreibungen der Traditionen wird das Paradies, wie die Hölle, als ein mehrstöckiger Bau geschildert, der aber aus acht (statt sieben) Stockwerken bestehen soll. Demnach weist das Paradies also ein Stockwerk mehr als die Hölle auf, weil die Zahl der Gläubigen größer ist als die der Ungläubigen, weshalb für sie mehr Raum für die Zeit nach dem Gericht benötigt wird. Dieses Detail soll wieder die große Gnade und Barmherzigkeit Gottes beweisen, der im Endgericht mehr Menschen für das Paradies bestimmt als zum Aufenthalt in der Hölle. Schließlich wird im Koran noch ein Bereich (eine Art Anhöhe) erwähnt, in dem sich Menschen aufhalten, die noch nicht in das Paradies oder die Hölle gelangt sind, die aber von dort beide Bereiche überblicken können. Die gemeinte Koranstelle (Sure 7,46, vgl. 57,13) ist von einigen Kommentatoren als Hinweis auf einen Zwischenzustand gedeutet worden, also einen dritten Aufenthaltsort neben dem Paradies und der Hölle. Dort befinden sich nach Meinung einiger Gelehrter diejenigen Menschen, deren Taten im Leben sich aufwiegen, die also genau so viele gute wie böse Taten in ihrem Leben vollbracht haben. Nach anderer Auffassung befinden sich in dem Zwischenzustand auch diejenigen Menschen, die schon als Kinder gestorben sind, die also noch keine bösen oder guten Taten vollbracht haben. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 64 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 65 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum Außerdem sollen sich dort auch diejenigen Menschen befinden, zu denen die Botschaft des Islam nicht gelangt ist, deren Unkenntnis des Islam also nicht auf Verweigerung oder Vergesslichkeit beruht. In der islamischen Theologie ist intensiv darüber debattiert worden, ob das Paradies und die Hölle bereits mit der Erschaffung der Welt entstanden sind oder erst am Ende der Zeiten erschaffen werden. Für die erstgenannte Ansicht sprach, dass ja im Koran davon die Rede ist, dass Adam und Moses bereits in das Paradies gelangt sind, dieses also bereits existieren muss. Für die andere Ansicht sprach, dass der Kosmos erst vergehen muss, um für die Existenz der beiden Bereiche Raum zu schaffen. Die Orthodoxie hat die erstgenannte Ansicht vertreten, während z.B. die Mu‘taziliten die Ansicht von einer zukünftigen Erschaffung der beiden Vergeltungsbereiche vertraten. Es wurde auch über die Frage debattiert, ob Paradies und Hölle ewig existieren werden oder nicht. Nach Ansicht der meisten Kommentatoren muss zumindest das Paradies ewig existieren, da die Gläubigen nach der Lehre des Korans ja nicht mehr aus ihm vertrieben werden können (Sure 50,34; 3,198; 4,57; 57,12; 35,35). Dagegen wurde von den meisten Gelehrten angenommen, dass das Höllenfeuer nicht ewig existieren wird, da ja jede Strafe zeitlich begrenzt ist (Sure 78,23; 10,107; 6,128). Es hat aber auch die Ansicht gegeben, dass das Höllenfeuer ewig existieren muss, da es für die Leugner der Einheit Gottes eine ewige Strafe (und einen entsprechenden Strafort) geben muss. Schließlich wurde auch über die Frage diskutiert, ob die Gläubigen im Paradies eine direkte Schau Gottes erleben dürfen oder nicht. Einige Gelehrte aus der mu‘tazilitischen Schule vertraten die Ansicht, dass dies nicht der Fall sein könne, da nach der Auskunft von Sure 6,103 Gott von keines Menschen Blicken je erreicht werden könne. Nach Ansicht der meisten Muslime lässt sich Gott im Paradies jedoch schauen (Sure 75,22-23), wobei auch betont wird, dass diese Freude alle anderen Freuden des Paradieses übertrifft (Sure 9,72). In der modernen islamischen Theologie gibt es darüber hinaus auch die Ansicht, dass die Paradiesesbewohner immer neue Stufen der Gottesschau erreichen können, also von Stufe zu Stufe immer weiter auf eine spirituelle Vervollkommnung fortschreiten. Wo eine direkte Gottesschau angenommen wird, wird durchweg betont, dass Gott sich nur dann schauen lässt, wenn er es will, der Mensch darüber also keine Verfügungsgewalt besitzt. 3. Schlussteil 3.1 Vergleich der islamischen und christlichen Eschatologie In der Literatur sind die islamischen eschatologischen Lehren immer wieder mit denen der christlichen Tradition verglichen worden. Dabei kommen die Autoren zu unterschiedlichen Ergebnissen, betonen einerseits die gemeinsamen Vorstellungen, andererseits aber auch die Unterschiede in den eschatologischen Lehren beider Religionen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen im Folgenden genauer dargestellt werden. So hat der jüdische Religionswissenschaftler Zwi Werblowsky in einem Übersichtsartikel über die eschatologischen Vorstellungen in den Religionen der Welt festgestellt, dass die islamische Eschatologie phänomenologisch zum selben Typus wie die jüdische und die christliche Eschatologie gehöre. 9 Dies sei auch kein Wunder, da der Islam seine eschatologischen Vorstellungen über den Iran, über den auch die spätjüdische Apokalyptik wichtige Vorstellungen vermittelt bekommen habe, sowie aus der direkten Begegnung des Propheten Muhammad mit Christen, z.B. mit den nestorianischen Christen im syrischen Raum, erhalten habe. Werblowsky geht sogar so weit, die islamische Eschatologie als vom Typus der »biblischen« Eschatologien zu bezeichnen, also die islamische Eschatologie schon durch die religionswissenschaftliche Bezeichnung aus der jüdisch-christlichen Tradition abzuleiten. In dem Artikel wird deutlich, dass es Werblowsky darum geht, die Abhängigkeit der islamischen Eschatologie vor allem von der antiken jüdischen und christlichen Apokalyptik, und damit ihre mangelnde Originalität hervorzuheben. Dahinter dürfte sich eine wertende Haltung verbergen, nämlich eine indirekte Kritik am Islam. Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Grundprinzipien der religionswissenschaftlichen Forschung, wonach in der Religionswissenschaft 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 65 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 66 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung auf normative Wertungen verzichtet werden sollte. Auch andere Vertreter der älteren Religionswissenschaft, vor allem der Religionsphänomenologie, haben auf die Ähnlichkeiten zwischen islamischer und christlicher Eschatologie verwiesen. So hat schon der Bonner Religionswissenschaftler Carl Clemen in seiner Abhandlung: »Das Leben nach dem Tode im Glauben der Menschheit« festgestellt, dass die islamische Eschatologie wesentliche Motive der christlichen Eschatologie verdanke, und zwar besonders der christlichen Eschatologie des Mittelalters. 10 Auch der bekannte Religionsphänomenologe Friedrich Heiler hat in seinem Buch: »Unsterblichkeitsglaube und Jenseitshoffnung in der Geschichte der Religionen« die islamische Eschatologie demselben Typus wie die jüdisch-christliche Eschatologie zugeordnet. 11 Dabei verweist er auf Vorstellungen wie die von einer generellen Auferstehung der Toten, des Endgerichts, der Zuweisung der Toten zu zwei Bereichen, dem Paradies und der Hölle, u.a., in denen beide Religionen übereinstimmten. 12 Demnach haben gerade die älteren Religionsforscher und Phänomenologen die Ähnlichkeiten zwischen islamischer und christlicher Eschatologie, besonders in den der Apokalyptik entnommenen Motiven, betont. Dagegen finden sich bei ihnen kaum Hinweise auf die Unterschiede in den eschatologischen Vorstellungen der beiden religiösen Traditionen. Offenbar wurde die Behandlung der islamischen Eschatologie nicht als ausreichend wissenschaftlich fruchtbar angesehen, um ihr größeren Raum in den Darstellungen zu verschaffen. Dagegen finden sich ausführliche Behandlungen der christlichen, aber auch der eschatologischen Lehren fernöstlicher Religionen wie des Buddhismus und Taoismus. 13 Die fehlende Berücksichtigung der islamischen Eschatologie könnte ein kritisches Urteil über die islamischen eschatologischen Lehren, möglicherweise aus einer christlich-theologischen Perspektive, enthalten. Ein anderer Aspekt ist, dass sich in den älteren religionswissenschaftlichen Darstellungen fast nur die islamischen Auffassungen über die Endzeit, also das Weltende und das endzeitliche Gericht, nicht oder nur selten aber über den Aufenthalt der Seele im Grabe, also die erste Phase der eschatologischen Ereignisse finden. Dies weist auf eine nicht ausreichende Beachtung der Bedeutung der Ereignisse dieser Phase für die muslimischen eschatologischen Lehren in der wissenschaftlichen Literatur hin. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die entsprechenden Forscher durch die jüdisch-christliche Tradition geprägt waren, in der diese Phase keine besondere Rolle spielt. Dagegen finden sich in der neueren wissenschaftlichen Literatur durchaus Hinweise auf die Besonderheiten der islamischen eschatologischen Lehren gegenüber denen im Christentum bzw. im Neuen Testament. So hat z.B. der Würzburger Missionswissenschaftler Ludwig Hagemann darauf hingewiesen, dass in der islamischen Eschatologie der Tod nicht, wie in der christlichen, mit der Sünde verknüpft sei, der Tod also nicht als »der Sünde Sold« angesehen werde, wie es z.B. in der paulinischen Auffassung der Fall ist. Vielmehr stelle der Tod nach islamischer Vorstellung nur gleichsam ein Durchgangsstadium auf dem Weg der Verstorbenen in das Paradies oder die Hölle dar, sei gleichsam die Vorbedingung oder die Eingangspforte für die Fortexistenz des Individuums nach dem Tode. 14 Die Islamwissenschaftlerinnen Smith und Haddad haben ebenfalls festgestellt, dass der Tod nach islamischer Lehre nicht, wie in der christlichen Auffassung, mit der Sündenvorstellung verknüpft sei. Vielmehr werde der Tod als das natürliche Ende der Existenz eines Menschen angesehen, nicht als Strafe für seine Sündhaftigkeit. Die beiden Forscherinnen weisen zudem darauf hin, dass nach islamischer Vorstellung der Zeitpunkt des Todes eines Menschen schon von seiner Geburt an festgelegt sei, dem Menschen nach einigen Traditionen das Todesdatum sogar unsichtbar auf die Stirn eingeprägt sei. Dieser Zeitpunkt werde auch als nicht verschiebbar angesehen, der Mensch kann also seinem Tod nicht entrinnen. Die beiden Autorinnen weisen auch darauf hin, dass der Tod selber als ein Geschöpf Gottes angesehen werde, das im endzeitlichen Untergang alles Daseins (fana¯) vernichtet werde. 15 Die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel hat darauf hingewiesen, dass das eschatologische Geschehen nach islamischer Auffassung von dem Gedanken der Einheit allen Seins unter Gott (tawhı ¯d) bestimmt sei. Dies könne sogar als der Sinn des eschatologischen Geschehens im ganzen angesehen werden, insofern dadurch in dem end- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 66 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 67 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum zeitlichen Geschehen die ganze Schöpfung sozusagen in Gott hinein zurückgenommen werde. Schimmel hat festgestellt, dass dieser Gedanke besonders in der islamischen Mystik vertreten werde. 16 Der amerikanische Islamwissenschaftler Hanna Kassis hat festgestellt, dass das eschatologische Geschehen nach islamischer Lehre in dem Satz: »Nur Gott allein bleibt« zusammengefasst werden könne. Damit dürfte er auf die sog. fana¯, die Vernichtung allen Daseins durch Gott am Jüngsten Tage, anspielen. Kassis weist in seiner Darstellung nach, wie dieser Gedanke in den einzelnen Phasen der eschatologischen Ereignisse zum Ausdruck gebracht werde. 17 Die Vernichtung allen Daseins im Kosmos wird auch von den Islamwissenschaftlerinnen Smith und Haddad als Höhepunkt der eschatologischen Ereignisse angesehen. Denn in diesem Geschehen werde die Schöpfung gleichsam in Gott hinein zurückgenommen, die Beigesellung der lebendigen Wesen neben Gott (Gleichstellung der erschaffenen Wesen mit Gott) werde rückgängig gemacht. Zugleich biete diese Vernichtung die Möglichkeit, dass Gott die Welt erneut aus dem Nichts erschafft, also noch einmal, wie zu Beginn der Schöpfung, seine Schöpfermacht erweise. Gerade darin bestehe, so die beiden Autorinnen, aber der Sinn des eschatologischen Geschehens. 18 Der Islamwissenschaftler Abdoljavad Falaturi hat in einem Aufsatz festgestellt, dass in der Reinigung des Kosmos von der Sünde der zentrale Sinn des eschatologischen Geschehens nach islamischer Auffassung bestehe. Diese Reinigung werde aber durch den vom Himmel herabkommenden Mahdı ¯ (= den von Gott geleiteten Gesandten) vollzogen, der besonders in den endzeitlichen Lehren des shı ¯‘ı ¯tischen Islam eine wichtige Rolle spiele. 19 Nach Smith und Haddad hat dieser Gesandte u.a. die Aufgabe, den endzeitlichen Widersacher Gottes, den dadjdja¯l, sowie die beiden endzeitlichen Kreaturen Ya¯dju¯dj und Ma¯dju¯dj (Sure 21,96-97) in Schach zu halten und zu besiegen. 20 Aber auch durch das Endgericht selber, die Verbannung der Übeltäter in die Hölle, werde, so stellt wiederum Falaturi fest, das Böse aus dem Kosmos herausgeschafft. Die endzeitlichen Ereignisse stehen demnach auch für Falaturi im Dienste des Einheitsgedankens. 21 Adel Theodor Khoury hat in seiner Einführung in den Koran ebenfalls auf die Vorstellung vom Kommen des endzeitlichen Gottesgesandten (Mahdı ¯) in den eschatologischen Lehren des Islam hingewiesen. Dabei stellt er auch noch eine Beziehung zur christlichen Eschatologie her, insofern er nämlich darauf hinweist, dass dieser Mahdı ¯ nach den Auffassungen einiger Traditionen auch mit ‘I¯sa¯, dem vom Himmel wiederkommenden Jesus, gleichgesetzt werden konnte (vgl. Sure 43,61). In anderen Traditionen werde er allerdings nicht mit ‘I¯sa¯ gleichgesetzt, sondern komme ihm bei seinem Kampf mit dem dadjdja¯l lediglich zu Hilfe. 22 M. Bauschke hat in seinem Buch »Jesus im Koran« darauf aufmerksam gemacht, dass der wiederkommende Jesus (‘I¯sa¯) in der islamischen Eschatologie eine andere Rolle erfüllt als in der christlichen Endzeitvorstellung. So sei nach islamischer Auffassung Jesus (‘I¯sa¯) nicht der Weltenrichter, sondern das Endgericht werde allein von Gott durchgeführt. Dagegen werde Jesus Christus in der christlichen Tradition, schon im Neuen Testament, als der Weltenrichter angesehen. Bauschke hat in seiner Abhandlung über das islamische Verständnis Jesu außerdem festgestellt, dass der islamische Jesus (‘I¯sa¯) sich sogar selbst im Gericht vor Gott verantworten muss, nämlich dafür, dass er und seine Mutter Maria (Maryam) von den Menschen vergöttlicht worden (also Gott gleichgestellt worden) seien. Diese beiden Züge, also die Nichtbeteiligung Jesu am Endgericht (im Unterschied zur christlichen Auffassung) sowie seine Selbstverantwortung im Gericht vor Gott weisen darauf hin, dass nach islamischer Lehre auch die »Christologie« dem Einheitsgedanken unterworfen ist, Jesus also keine eigenständige Rolle neben Gott einnehmen kann. 23 Demnach lassen sich durchaus nicht, wie es die ältere Religionsphänomenologie sah, nur Gemeinsamkeiten, sondern auch deutliche Unterschiede zwischen der christlichen (zumal neutestamentlichen) und der islamischen Eschatologie ausmachen. Diese Unterschiede betreffen nicht nur einzelne Motive, sondern gerade auch die Grundbedeutungen der eschatologischen Vorstellungen. Ein anderer Aspekt ist, dass zahlreiche Einzelmotive, auch wo sie beiden Traditionen gemeinsam sind, in unterschiedliche Kontexte eingebettet sind, von daher also auch eine unterschiedliche Bedeutung erhalten. Dies gilt z.B. von 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 67 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 68 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung der Vorstellung vom Endgericht, das nach islamischer Auffassung vor allem der Darstellung der Allmacht und Souveränität Gottes, d.h. des Recht-Habens Gottes dient, wohingegen es diesen Akzent in der christlichen, vor allem der neutestamentlichen Tradition weniger trägt. Vielmehr dient es dort vor allem der Wiederherstellung der Gerechtigkeit, die auf Erden zerstört worden ist, sowie der Befreiung und Erlösung der Unterdrückten. Demnach unterscheiden sich die eschatologischen Lehren beider Religionen nicht nur in einzelnen Motiven, sondern auch dort, wo sie in den einzelnen Motiven, d.h. dem Ablauf der verschiedenen eschatologischen Ereignisse gerade übereinstimmen. Dieser Aspekt wird in den älteren wissenschaftlichen Darstellungen nahezu vollständig übersehen, so dass die Besonderheiten der islamischen Eschatologie nicht in den Blick kommen. Dafür könnte auch die recht grobkörnige typologische Betrachtungsweise dieser Autoren verantwortlich sein. Es sind nun gerade diese Bedeutungsunterschiede, die für die Einstellungen vieler Muslime gegenüber dem Tod sowie den endzeitlichen Ereignissen, sowie ihre daraus abgeleiteten konkreten Handlungsweisen von Bedeutung sein könnten. So berufen sich manche muslimische sog. Selbstmordattentäter und Kämpfer im islamischen djiha¯d gerade auf die eschatologischen Vorstellungen, vor allem auf die Verheißung der direkten Versetzung der Märtyrer in das Paradies sowie der Bestrafung der Ungläubigen in der Hölle, um ihre Taten (wie z.B. Bombenanschläge) zu rechtfertigen. 24 Dies kommt auch in den Selbstbezichtigungsvideos der Attentäter von Madrid und London zum Ausdruck. Insgesamt gesehen ist ein unbefangener, fast naiver Umgang mit diesen Vorstellungen festzustellen, z.B. werden sie fast durchweg als im wörtlichen Sinne wahr angenommen. Ein weiterer Gesichtspunkt scheint zu sein, dass aus den eschatologischen Lehren die Aufforderung, sich ständig im Dienst an der Sache Gottes (und damit im Gehorsam gegenüber Gott) zu bewähren, abgelesen wird. Dies wird z.B. daran deutlich, dass der djiha¯d in manchen Abhandlungen moderner islamischer Ideologen wie z.B. von Abdulla¯h Azzam als individuelle Pflicht für jeden Muslim, nicht nur als kollektive Pflicht der muslimischen Gemeinschaft wie in den orthodoxen Traditionen bezeichnet wird. Damit wird der Kampf und der Tod im djiha¯d sogar den fünf Grundpflichten (= den Säulen) des Islam gleichgestellt. 25 Demnach scheint von den eschatologischen Lehren im Islam eine Tendenz auszugehen, dass der Mensch sich immer wieder auf den Prüfstand gestellt sieht, sich immer wieder in seinen Taten gegenüber Gott beweisen muss. Dem entspricht, dass ja nach islamischer Lehre für jeden Tag im Leben eines Menschen eine neue Seite in dem Buch, in dem seine Taten verzeichnet werden, aufgeschlagen wird, ein deutliches Bild für die ständige Bewährung, der der Mensch unterliegt. Dies wird auch dadurch deutlich gemacht, dass er schon vorher, z.B. bei der Befragung durch die Engel im Grabe, nach seinem Glauben an Gott und seinen Taten im Leben befragt wird, und dass die ganze Eschatologie von zahlreichen weiteren Beurteilungsvorgängen durchzogen ist. Aus dieser Perspektive ist es verständlich, dass sich Muslime ständig aufgefordert fühlen können, ihren Glauben an Gott in bestimmten Handlungen, die ihnen von Gott geboten sind, zu beweisen. Daraus konnte sich dann auch die Vorstellung entwickeln, dass man dem Leben durch eine dramatische Tat, ein höchstes Opfer, einen letztgültigen Stempel aufdrücken könne. Dagegen gibt es eine vergleichbare Vorstellung in der christlichen Tradition, zumindest im Neuen Testament, nicht. Im Neuen Testament konnte sich sogar der Gedanke entwickeln, dass das endzeitliche Gericht für die, die an Christus glauben, aufgehoben ist, sie also gar nicht mehr in das endzeitliche Gericht gelangen (Joh 5,24). Der Religionswissenschaftler Karl Hoheisel hat darauf hingewiesen, dass die islamischen eschatologischen Vorstellungen von einer ganz anderen Konkretheit als die christlichen, beson- »Demnach unterscheiden sich die eschatologischen Lehren beider Religionen nicht nur in einzelnen Motiven, sondern auch dort, wo sie in den einzelnen Motiven, d.h. dem Ablauf der verschiedenen eschatologischen Ereignisse gerade übereinstimmen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 68 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 69 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum ders neutestamentlichen Endzeitvorstellungen seien. So sei die Vorstellung von einem herabkommenden Jerusalem, wie sie in Offb 21 dargelegt wird, verhältnismäßig blass gegenüber den islamischen Vorstellungen von einem Aufenthalt in der Hölle oder dem Paradies. Für viele Muslime stelle die Vorstellung des Paradieses sogar den wichtigsten Aspekt der Lehren des Islam überhaupt dar. Die christlichen eschatologischen Vorstellungen hätten sich erst im Mittelalter, unter islamischem Einfluss, zu einer vergleichbaren Konkretheit entwickelt. 26 Dagegen hat die Islamwissenschaftlerin Carra de Vaux festgestellt, dass der Prophet Muhammad seine Vorstellungen vom Jenseits christlichen Miniaturen aus dem byzantinischen Reich entnommen habe. 27 Demnach verdankt sich die Konkretheit der muslimischen endzeitlichen Lehren gerade dem Christentum, kann also nicht mit ihm kontrastiert werden. Die Konkretheit der muslimischen Jenseitsvorstellungen könnte nun auch in den Handlungen, aber auch Motivationen vieler heutiger Muslime eine wichtige Rolle spielen. So werden die konkreten Beschreibungen des Paradieses, aber auch (für die Ungläubigen) der Hölle immer wieder angeführt, um Handlungsweisen, die zum Tode von Menschen, auch zum eigenen Tode führen können, zu rechtfertigen. Auch die Vorstellungen von einer Brücke über den Höllenschlund, auf der die Gläubigen in das Paradies gelangen, von der die Ungläubigen aber herabstürzen werden, werden angeführt. Die Darstellungen des Korans, aber auch der islamischen Traditionen und sogar der eschatologischen Handbücher werden darüber hinaus im wörtlichen Sinne für wahr gehalten. Sie dienen daher als starke Motivation, als ansprechende Bilder, die das Handeln nicht nur beeinflussen, sondern auch motivieren können. Hingegen sind im Bereich des Christentums, zumal des mitteleuropäischen Christentums der beiden großen Konfessionen, die eschatologischen Vorstellungen, zumal die Vorstellungen über ein Weltende, weitgehend verdrängt worden. Die biblischen Lehren werden entweder nicht ernst genommen oder nicht beachtet. Sie können auch als rein symbolisch interpretiert werden, also als nicht im wörtlichen Sinne wahr. Solche Tendenzen hat es im Islam auch gegeben hat, sie konnten sich aber nicht durchsetzen. Das wörtliche Verständnis der eschatologischen Lehren, vor allem der Lehren über die Ereignisse am Weltende, könnte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Muslime den eschatologischen Vorstellungen unbefangener gegenüber treten als viele moderne Christen, und dass sie daraus auch konkrete Konsequenzen für ihr Handeln ableiten. 3.2 Eine Zwischenüberlegung Ein Ergebnis dieser Überlegungen ist es, dass es nicht ausreichend ist, die eschatologischen Lehren von Islam und Christentum auf einer rein »phänomenalen« Ebene, d.h. der Ebene einzelner Motive und Vorstellungen, miteinander zu vergleichen oder zueinander in Beziehung zu setzen, da auf diese Weise ihre wirkliche Bedeutung nicht erfasst würde und der Sinn der einzelnen Vorstellungen sogar verfälscht werden kann. Es ist vielmehr erforderlich, in den Vergleich auch die Ebenen der Bedeutungen der einzelnen Vorstellungen sowie ihres religiösen Kontextes mit einzubeziehen, um ein zutreffenderes Bild der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der christlichen und islamischen eschatologischen Lehren zu erhalten. Dabei muss auch noch berücksichtigt werden, dass diese Lehren in bestimmten historischen Situationen, von bestimmten einzelnen Theologen, Schulen oder Institutionen etc. unterschiedlich verstanden werden konnten, um ein realistisches Bild der christlichen bzw. islamischen eschatologischen Lehren zu bekommen. Das Gesamtbild ist also erheblich komplexer als dies üblicherweise vorausgesetzt wird. Dieses Ergebnis hat nun Konsequenzen in verschiedenen Bereichen, z.B. auch für den interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Islam. Davon soll abschließend die Rede sein. 3.3 Konsequenzen für den interreligiösen Dialog und die christliche Theologie Diese Beobachtungen haben also auch Konsequenzen für den interreligiösen Dialog, besonders den Dialog zwischen Islam und Christentum. So kann ein solcher Dialog durchaus, wie Hans Küng vorgeschlagen hat, seinen Ausgangspunkt von den gemeinsamen eschatologischen Vorstellungen nehmen, weil in diesem Punkt eine Verständigung in gewissen Grundvorstellungen möglich erscheint. 28 Andererseits kann der Dialog 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 69 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 70 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Hermeneutik und Vermittlung nicht bei diesen Gemeinsamkeiten stehen bleiben, sondern muss auf die Einbettung der eschatologischen Vorstellungen in den theologischen Kontext eingehen, um die tiefere Bedeutung der eschatologischen Motive in den beiden Traditionen zu berücksichtigen. In einem solchen Dialog ist daher stets das Ganze der jeweiligen Theologie involviert, was zu erheblichen Spannungen und Meinungsverschiedenheiten führen kann. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die Gesprächspartner die unterschiedlichen Funktionen der eschatologischen Motive und damit ihre unterschiedliche Bedeutung in der jeweils anderen Tradition erfassen würden und damit zu einem vertieften Verständnis der Position der anderen Seite gelangen würden. Der Wert eines solchen Dialoges würde in diesem Falle nicht primär in einer Annäherung der Standpunkte oder gar einer Einigung auf gemeinsame Lehren, sondern in einem vertieften gegenseitigen Verständnis der beiden Traditionen bestehen. Ein solcher Dialog könnte insofern zu einem besseren Verstehen beitragen, als die Gesprächspartner beider Seiten über die unterschiedlichen Intentionen gemeinsamer Vorstellungen und ihre unterschiedliche Verankerung im theologischen Kontext miteinander ins Gespräch kommen könnten. Vielleicht würde sich dabei an einigen Punkten auch herausstellen, dass dieselben Intentionen in beiden religiösen Traditionen vorhanden sind, jedoch an verschiedenen Stellen innerhalb des theologischen Kontextes aufgenommen werden, also gar nicht fehlen, sondern nur nicht am selben Lehrstück entwickelt sind. Auch eine solche Beobachtung könnte zu einem vertieften gegenseitigen Verständnis von Vertretern des Christentums und des Islam, im besten Falle sogar auch zu einer Annäherung in Lehrfragen beitragen. Ein solcher Dialog hätte aber auch Konsequenzen für die religiöse Entwicklung innerhalb des Christentums. So würde ein solcher Dialog dazu beitragen, in den Hintergrund gedrängte religiöse Vorstellungen aus der eigenen Tradition hervorzuholen und theologisch wieder ernst zu nehmen. Ein Dialog über die eschatologischen Vorstellungen mit dem Islam würde demnach dazu anregen, sich über den Stellenwert der christlichen Eschatologie überhaupt sowie einzelner ihrer Vorstellungen wie z.B. der Hölle, des endzeitlichen Kampfes, der Rolle Jesu als Weltenrichter, der Vorstellungen vom Paradies bzw. neuen Jerusalem usw. klar zu werden. Der Dialog mit anderen Religionen zwingt also dazu, die Schätze in der eigenen Tradition wieder genauer zu betrachten und neu zu bewerten. l Anmerkungen 1 M. Bauschke, Jesus im Koran, Köln 2001, 118-119. 2 J.I. Smith / Y.Y. Haddad, The Islamic Understanding of Death and Resurrection, Oxford / New York 2002, 68-70. 3 Nach muslimischer Auffassung handelt es sich nicht um Selbstmord, sondern um eine Hingabe des Lebens an die Sache Gottes. Doch dürfen wir dafür m.E. in unserem Kulturkreis den Begriff »Selbstmord« gebrauchen, weil es keine kulturübergreifenden, neutralen Kategorien für solche Handlungsweisen gibt, wir also unser eigenes Verständnis einbringen müssen. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass es auch in unserer Kultur kulturell akzeptierte Formen der Selbsthingabe gibt, die viele Menschen in unserem Kulturkreis nicht als »Selbstmord« bezeichnen würden, die aber von einem anderen kulturellen Standpunkt durchaus so gesehen werden könnten. Als solche könnten z.B. kühne kriegerische Aktionen in aussichtloser Situation angeführt werden, wie sie Menschen, die an den beiden Weltkriegen teilgenommen haben, manchmal mit viel Stolz berichten. 4 V. und V. Trimondi, Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse, München 2006, 13. 5 Siehe Smith / Haddad, Islamic Understanding, 31-97. 6 Gut lesbare Zusammenfassungen der eschatologischen Ereignisse nach islamischer Lehre finden sich in: A. Falaturi, Tod - Gericht - Auferstehung in koranischer Sicht, in: A. Falaturi / W. Strolz / S. Talmon (Hgg.), Zukunftshoffnung und Heilserwartung in den monotheistischen Religionen (Veröffentlichungen der Stiftung Oratio Dominica, Bd. 9), Freiburg / Basel / Wien 1983, 121-138; L. Hagemann, Sterben und Weiterleben aus islamischer Sicht, in: H. Waldenfelds (Hg.), Ein Leben nach dem Leben? Die Antwort der Religionen, Düsseldorf 1988, 67-81; ders., Eschatologie im Islam, in: A.Th. Khoury / P. Hünermann (Hgg.), Weiterleben - nach dem Tode? Die Antwort der Weltreligionen, Freiburg 1985, 103-120; H. Kassis, Der Islam, in: H. Coward (Hg.), Das Leben nach dem Tod in den Weltreligionen, Freiburg 1998, 62-77; K. Hoheisel, Paradies und Hölle im Islam, in: B.M. Linke (Hg.), Die Welt nach der Welt. Jenseitsmodelle in den Religionen, Frankfurt am Main 1999, 91-115; A.Th. Khoury, Der Koran, Düsseldorf 2005, 95-107. 7 »Geist« und »Seele« werden meist miteinander gleichgesetzt, z.T. aber auch unterschieden, insofern das eine als das menschliche Element, das andere als das (in den Menschen gleichsam hineingelegte) göttliche Element gesehen wird. Siehe Smith / Haddad, Islamic Understanding, 36. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 70 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 71 Gebhard Löhr Eschatologie in Islam und Christentum 8 Hagemann, Eschatologie im Islam, 110. 9 R.J. Zwi Werblowsky, Art. Eschatology. An Overview, in: M. Eliade (Hg.), The Encylopedia of Religion, Vol. 5, New York / London 1987, 149-151, hier: 150f. 10 C. Clemen, Das Leben nach dem Tode im Glauben der Menschheit, Leipzig / Berlin 1920, 33. 88. 100-101 u.a. 11 F. Heiler, Unsterblichkeitsglaube und Jenseitshoffnung in der Geschichte der Religionen (Glauben und Wisssen, Bd. 2), München / Basel 1950, 19. 12 Siehe auch F. Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion (Die Religionen der Menschheit, Bd. 1), Stuttgart 1979 2 , 532-533. 13 Siehe z.B. Heiler, Unsterblichkeitsglaube, 9-10; 13-15. 14 Hagemann, Sterben und Weiterleben aus islamischer Sicht, 75. 15 Smith / Haddad, Islamic Understanding, 14-16; 35-37. 16 A. Schimmel, Schöpfungsglaube und Gerichtsgedanke im Koran und in mystisch-poetischer Deutung, in: A. Falaturi / W. Strolz (Hgg.), Glauben an den einen Gott. Menschliche Gotteserfahrung im Christentum und im Islam (Veröffentlichungen der Stiftung Oratio Dominica), Freiburg / Basel / Wien 1975, 203-237. 17 Kassis, Islam, 62-66. 18 Smith / Haddad, Islamic Understanding, 72. 19 Falaturi, Tod - Gericht - Auferstehung, 122-124. 20 Smith / Haddad, Islamic Understanding, 67-69. 21 Falaturi, Tod - Gericht - Auferstehung, 134-135. 22 Khoury, Koran, 171-172. Siehe auch Smith / Haddad, Islamic Understanding, 68-69. 23 Bauschke, Jesus im Koran, 116-117. 24 Siehe z.B. die »Geistliche Anleitung« der Attentäter des 11. September, in: H.G. Kippenberg / T. Seidensticker (HGg.), Terror im Dienste Gottes. Die »Geistliche Anleitung« der Attentäter des 11. September 2001, Frankfurt / New York 2004, 18-19. 22. 25 A. Azzam, Auszüge aus: Schließ dich der Karawane an! , in: G. Kepel / J.-P. Milelli (Hgg.), Al-Qaida. Texte des Terrors, München / Zürich 2006, 207 u.a. 26 K. Hoheisel, Leben und Tod im Lichte der Religionen, in: M. Herzog (Hg.), Sterben, Tod und Jenseitsglaube (Irseer Dialoge, Bd. 3), Stuttgart 2001, 65-88, hier: 75- 76. 27 B. Carra de Vaux, Art. Djanna, in: H.A.R. Gibb / J.H. Kramers (Hgg.), Shorter Encyclopaedia of Islam, Leiden / New York 1991, 88. 28 H. Küng / J. van Ess / H. von Stietencron / H. Bechert, Christentum und Weltreligionen. Hinführung zum Dialog mit Islam, Hinduismus und Buddhismus, München 1984, 145f. Neues Testament aktuell: Carsten Claußen, Vom historischen zum erinnerten Jesus. Der erinnerte Jesus als neues Paradigma der Jesusforschung Zum Thema: Christian Strecker, Der erinnerte Jesus. Aspekte der Erinnerungskultur und Identitätsbildung François Vouga, Erinnerung an Jesus im Johannesevangelium Francesca Albertini, Die religiöse und geschichtliche Gestalt von Jesus von Nazareth im Denken von Moses Maimonides Ömer Özsoy, Jesus im Islam Kontroverse: »Was meint der ›erinnerte Jesus‹? « James D. G. Dunn versus Jens Schröter Hermeneutik und Vermittlung: Thomas Nisslmüller, Jesusbilder: Mediale Bedingungen der Erinnerung Buchreport: Elena Esposito, Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft. Aus dem Italienischen von Alessandra Corti. Mit einem Nachwort von Jan Assmann (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1557), Frankfurt a.M. 2002 (rez. von Eckart Reinmuth) Vorschau auf Heft 20 Themenheft: Der erinnerte Jesus 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 71 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 72 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Pünktlich zur Passionszeit 2007 warteten ein Oscar- und ein Emmy-Preisträger mit Schlagzeilen auf, kaum dass der Aschermittwoch verstrich. Produzent James Cameron, weltberühmt durch Titanic und The Terminator, Dokumentarfilmer Simcha Jacobovici und eine doktorierte Entourage ließen am 4. März The Lost Tomb of Jesus über den Discovery-Channel flimmern. Zu Karfreitag erschlug der Streifen einige deutsche Zuschauer auf Pro7 im Sofa. Zugleich dürfen wir uns über das locker gestrickte Buch The Jesus Family Tomb die Augen reiben. 1 Die Filmer triumphieren über nicht weniger als den Fund der Ossuare Jesu, seiner Frau und seines Sohnes, seiner Mutter und eines Bruders. Vorgeblich neue wissenschaftliche Erkenntnis wird neuerdings auf TV-Kanälen und in Büchern für die Kaufhausauslage vorgetragen. Silberlinge klimpern im Hintergrund. Dabei fing alles harmlos an. Im März 1980 schrappten Baubagger in der Dov-Gruner-Strasse im Jerusalemer Viertel Ost-Talpiyot den Eingang eines Felsengrabes an. Yosef Gat vom Department of Antiquities and Museums setzte zur Notgrabung an. 2 Zwischen dem Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts und dem Jahre 70 n. Chr., dem Fall Jerusalems, hatten in der Gruft etwa fünfunddreißig jüdische Tote die, wie sie hofften, letzte Ruhe gefunden, etwa die Hälfte in zehn Ossuaren. Dergleichen steinerne Knochenkisten standen bei Jerusalemern fast ein Jahrhundert lang bis zum Jahr 70 in Mode. Verstorbene wurden wie Jesus von Nazareth in ein Grabtuch gehüllt und in einem Felsengrab beigesetzt. War der Leichnam verwest, betteten die Angehörigen die Gebeine in ein Ossuar. Platz war beschränkt in den Grüften. Die meisten Jerusalemer Gebeinekistchen bargen Reste von zwei Toten. 3 In die Wände der Grabkammer von Talpiyot sind sechs Schächte (Loculi) 4 eingelassen, in die je ein Leichnam geschoben wurde; heute verlorene Verschlusssteine versiegelten luftdicht. Später wurden diese Fächer geleert. In einige von ihnen wurden Ossuare gestellt, andere dienten weiter dem Neubestatten. In der Endphase des Gräberkomplexes wurden Leichname nur noch in Schacht 4 beigesetzt und in zwei Arkosolen an der Nord- und Westwand, die ursprünglich Ossuare geborgen hatten. Sechs der Ossuare von Talpiyot wurden beschriftet, 6 von 10. In der Regel tragen weniger als 60% der Gebeinekisten Inschriften. Diese überdurchschnittliche Schreibfreude trägt nichts zum näheren Identifizieren der hier bestatteten Gruppe bei, außer dass sie gebildeter als der Durchschnitt gewesen sein mag. War dies die Bauhandwerkerfamilie aus Nazareth? Drei der sieben epigraphisch belegten Namen des Gräberkomplexes ahmen die Namengebung der Hasmonäer nach: Matthäus, Judas, Josef. Das Verhältnis von griechischen zu aramäischen Inschriften beträgt 1: 5, abweichend von der üblichen Ratio von 3: 4. 5 Offenkundig mied die Gruppe das Griechische mehr als der Rest der Jerusalemer Ossuarbenutzer. Pochte sie bewusst auf jüdische Identität? Die christliche Gemeinschaft mit ihrem starken diasporajüdischen Anteil auch in Jerusalem hegte dagegen keine Berührungsängste gegenüber dem Griechischen. Fünf der Ossuare wurden ornamentiert, fünf nicht, was dem Durchschnitt entspricht. Vier der beschrifteten Gebeinekisten verzichten auf Schmuck, zwei nicht (die von Mariamene Mara und Jehuda, dem Sohne Jeshuas). Ossuar Nr. 7 trägt wenigstens eine Steinmetzmarke. Nur Nr. 10, heute verschollen, blieb blank. Die Inschriften lauten: »Jeshua (? ) Sohn Jehosefs« (Nr. 4, @swhy rb [OwOvOyO ), 6 »Jehuda Sohn Jeshuas« (Nr. 2, [wvy rb hdwhy ), »José« (Nr. 5, hswy ), »von Mariamene alias Mara« (Nr. 1, Mariamh,nou h Ma,ra ); »Marja« (Nr. 6, hyrm ) und »Matja« (Nr. 3, hytm und im Inneren des Ossuars htm ). All dies wusste die Wissenschaft seit dreizehn Jahren, als die Grabung des verstorbenen Yosef Gat von L.Y. Rahmani (1994) und A. Kloner (1996) veröffentlicht wurde. Es bedurfte der Phantasie von Filmemachern, um Schlagzeilen zu pressen. Wurde nicht ein Jesusbruder »Joses« gerufen (Mk 6,3)? Hießen nicht alte Bekannte aus dem Neuen Testament Maria, Jesus (Jeshua), Josef, Judas, Matthäus? Matja kürzte Matitjahu- Nachgefragt Peter Lampe Jesu DNS-Spuren in einem Ossuar und in einem Massengrab seine Gebeine? Von medialer Pseudowissenschaft und zuweilen unsachgemäßen Expertenreaktionen c/ 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 72 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 73 Peter Lampe Jesu DNS-Spuren in einem Ossuar und in einem Massengrab seine Gebeine? Matthäus ab ( whyttm ). 7 Gut, der Evangelist Matthäus scheidet aus, denn der begann nach dem Jüdischen Krieg Materialien für sein Evangelium zusammenzusuchen und starb nicht darüber. Aber ein galiläischer Zöllner und Jesusjünger hieß Matthäus (Mt 10,3 par). Wurde ausgerechnet der als einziger der Jünger in Jesu Gruft beigesetzt? Verwandt war er nicht. Bleibt noch Jesu Urgroßvater väterlicherseits, der sich Mattat (Lk 3,24) oder Mattan (Mt 1,15) genannt haben soll. Wurde dieser zu Beginn der 30er Jahre n. Chr. längst verstorbene Ahn von Galiläa nach Jerusalem umgebettet? Warum nicht auch der Großvater und Vater Josef? Variieren Mattat oder Mattan überhaupt Matitjahu? Die Filmemacher, nicht zuletzt ihr Statistiker, legten die Matthäus-Karte geschwind wieder aus der Hand und wandten sich den beiden Marias zu. Mariamene sei Maria Magdalena und Marja die Jesusmutter. Mariamene 8 variiert Miriam-Marjam- Marja ( ~yrm / hyrm ), den gebräuchlichsten Namen für Jüdinnen der Zeit. Namenzusätze wie Mara halfen, die zahlreichen Marien zu unterscheiden. Keine der beiden neutestamentlichen Frauen kann bei näherem Hinsehen gemeint sein. In den Quellen des 1. Jh. lautet der Namenzusatz der Jesusjüngerin durchgehend Magalena: »aus Magdala«. Warum wurde dieser Usus auf dem Ossuar verlassen? Warum wurde ein anderer Aliasname verwendet, der für sie nirgends belegt sich findet? Mara kürzt Martha ab. Wäre Mara der Titel »Herrin«, wie die Dokumentarfilmer vorschlagen, ärgerte das »alias« in der Inschrift (»Mariamene alias Mara«). Warum wäre der Titel ihr beigelegt worden, während »Herr« dem Jesus der Gruft nicht zustand? Warum hätte die aramäischsprachige Magdalena vom galiläischen Lande als einzige in der Jerusalemer Gruft eine griechische Inschrift gewidmet bekommen und - neben Jehuda - als einzige ein Ossuar, das sowohl beschriftet als auch ornamentiert ist. Dem Jesus der Gruft wurden dergleichen Auszeichnungen nicht zuteil. Ein Paket von Ungereimtheiten fällt auf die Waage. Knochen sind in den Ossuaren nicht mehr enthalten. Sie wurden nach der Ausgrabung in einem für antike Gebeine konsakrierten Jerusalemer Areal neu bestattet; ihr Zugehören zu bestimmten Ossuaren lässt sich nicht mehr feststellen. Stimmte die Theorie der Filmer, lägen Jesu von Nazareths und seiner Familie Gebeine wie die Mozarts in einem Massengrab. Sind die Knochen verschollen, haften doch DNS-Spuren in den Kistchen, besonders in den Jeshua- und Mariamene-Ossuaren. Möglicherweise wird eines Tages ein begeisterter Milliardär das Erbgut aller im Massengrab bestatteten Knochen aufschlüsseln lassen, um es mit dem der Ossuare zu vergleichen. Die Filmer begnügten sich bislang mit Bescheidenerem. In einem renommierten Labor in Ontario 9 ließen sie DNS- Spuren aus dem Jesus- und dem Mariamene- Ossuar untersuchen, schlossen eine gemeinsame Mutter aus und verkünden tollkühn, die beiden seien wohl verheiratet gewesen. In der Gruft lagen rund fünfunddreißig Individuen bestattet, etwa die Hälfte Männer. Alle diese Herren kommen als Ehemänner in Frage - vorausgesetzt, Mariamene war verheiratet. Das Discoveryteam übersah ferner, dass im Durchschnitt jedes Jerusalemer Ossuar 1,7mal für Sekundärbestattungen genutzt wurde, so dass die Wahrscheinlichkeit, organische Spuren des angeblichen Pärchens Jeshua/ Mariamene untersucht zu haben, nur 34 % beträgt. Wie viele Individuen tatsächlich in jedem dieser beiden Ossuare beigesetzt waren, wurde nicht untersucht. Wir wissen weiter nicht, welches Ossuar neben welchem in situ platziert war. Im Zuge der Notgrabung wurden die Kistchen aus der Gruft abtransportiert. Diese in den archäologischen Publikationen fehlende wichtige Information scheint verloren. Die Filmer 10 greifen nach einem letzten Strohhalm, den legendarischen Philippusakten aus dem 4. Jahrhundert, die eine Jesusjüngerin Mariamne als Schwester des Philippus vorstellen. Dem Text geht Quellenwert für das 1. Jahrhundert ab. Auch ist nicht klar, ob die Legendeautoren mit ihrer Mariamne Maria Magdalena meinten. Nirgends erwähnen sie die übliche Herkunftsangabe Magdala. In 94,7-9 nennen sie dafür Mariamne in einem Atemzug mit einer Martha (vgl. Lk 10,38- 42), was eine Identifikation mit Maria Magdalena in noch weitere Ferne entschwinden lässt. 11 Ähnlich desaströs gestaltet sich der Versuch, die Jesusmutter in der Gruft bestattet zu finden. Auf dem Ossuar steht hyrm / Marja / Maria, die lateinische Version des Namens. Doch wurde die Mutter Jesu zu Lebzeiten nie so angeredet. Die griechischen Texte des Neuen Testaments bezeichnen die Mutter durchgehend mit dem semitischen Mariam. Warum wäre dieser Usus auf dem Ossuar verlassen worden? 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 73 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 74 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Nachgefragt Jehuda (Judas) wurde als Sohn Jeshuas bestattet. Dass Jesus von Nazareth einen Sohn zeugte, findet beim Krimiautoren Dan Brown offene Ohren, in historischen Quellen nirgends Anhalt. Da hilft nicht, über den namenlosen Lieblingsjünger im Johannesevangelium oder über den Buben von Mk 14,51 zu spekulieren, wie die Dokumentarfilmer sich erlauben. 12 Die Mär einer Romanze zwischen Jesus und Magdalena entsprang der erotischen Phantasie gnostischer Asketen des zweiten und dritten Jahrhunderts. Der Historiker des ersten Jahrhunderts vermag Spuren erotischen Flackerns zwischen dem Nazarener und der Frau aus Magdala nicht zu entdecken. 13 So bleiben José und Jeshua als letzte Opfer des Identifikationsseifers. Der Jesusbruder Joses bietet sich an. José und Joses verkürzen Jehosef. Dagegen fällt das Kartenhaus bei Jeshua in sich zusammen, wenn gepustet wird. Ausgerechnet Jeshua stellt den am schlechtesten lesbaren Namen auf den sechs Ossuaren dar. Ausgerechnet diese Inschrift wurde am schludrigsten in flüchtiger Kursive gekratzt, in nur oberflächlicher Ritzung. Jeder der vier aramäischen Buchstaben des Namens bleibt unklar, besonders die beiden ersten. 14 Gestehen wir dennoch die Lesart zu! 15 Die Probleme beginnen dann erst. Wäre der Nazarener hier begraben, würde sich erneut ein Stapel von Ungereimtem auftürmen. Nirgends in der Gruft finden sich Hinweise auf christliche Nutzer, nicht einmal der aramäische Gebetsruf der frühesten Christen, Maranatha (»Unser Herr, komm! «), mit dem sie die Wiederkunft Jesu zum Weltende herbeisehnten. Kreise und Rosetten zieren die Ossuare. Nirgends zeigt sich ein Verehren des Jesus als eines lebendigen Herrn. 16 Allenfalls ein münzengroßes Graffito auf dem Deckel des Jesus-Ossuars, ein X mit einem dritten (und vierten? ) Strich, könnte als hingekritzeltes Sternchen gedeutet werden, wenn das X nicht die flüchtig hingeworfene Marke des Steinmetzen war, die auch auf dem Ossuar selbst sichtbar ist, 17 während die anderen Kratzer dem Zufall sich verdanken mögen. Das reicht nicht, den »Stern aus Jakob« von 4. Mose 24 begrüßen zu können. 18 Professionell geschnittene Ornamente zieren die Mariamene- und Judah-Ossuare, nicht die Jesus-Knochenkiste. Diese wurde nicht einmal prominent aufgestellt. Sorgfältiger als alles andere in der Gruft wurden die beiden Arkosole aus dem Fels herausmodelliert. Ein solcher Ehrenplatz wurde dem Jesus der Gruft nicht zugewiesen. Ja, selbst wenn sein Ossuar ursprünglich in einer dieser bogenförmig überwölbten Nischen gestanden hätte, wäre es später an einen weniger prominenten Platz weggestellt worden, als in die Bogennischen Neuverstorbene gelegt wurden. Gingen so Christen mit ihrem Messias um? Wenn sich keine vernünftigen historischen Argumente beibringen lassen, wird die Statistikdame aufs Tanzparkett gebeten. Am pseudowissenschaftlichen Arm geführt, entblößt sie sich als willfähriges Mädchen. Ins ungestüme Wahrscheinlichkeitskalkül sinkt historisch Ungereimtes nicht ein. Stattdessen argumentieren die Filmemacher eindimensional: Die Kombination der vier Namen Jesus Sohn Josefs (durchschnittliches Vorkommen: in 1 von 190 Fällen), Mariamene (in 1 von 160), Maria (in 1 von 4) und José (in 1 von 20) sei so selten, dass die Probabilität, eine solche Gruppe anzutreffen, 1/ 600 betrage. 19 Unsachgemäß höhnten Fachkollegen in den Medien als Gegenargument gegen die Filmer, alle vier Namen seien Allerweltsnamen. Das rechneten die Filmer ein! Ihr Fehler liegt darin, dass sie nicht sahen, dass die Wahrscheinlichkeit, die beiden neutestamentlichen Marien in der Gruft zu finden, gegen Null läuft. Nach dem Ausgeführten dürfte die Statistikdame allenfalls gefragt werden, wie wahrscheinlich es war, das Paar José/ Jesus Sohn Josefs nochmals anzutreffen. Dann landeten wir bei 53%. 20 Bei 53% Regenwahrscheinlichkeit aber schadet es nicht, den Schirm einzupacken. Gleichwohl, das Geschmäckle auf der Zunge des Historikers spült sich nicht herunter. Epigraphisch erhobene Statistikdaten spiegeln nur bedingt demographische Verhältnisse. In der Regel verewigten sich auf Inschriften gehobenere Schichten, so dass diese dort ebenso überrepräsentiert sind wie in literarischen Quellen. Darüber hinaus verdanken sich epigraphische Funde sachfremden Faktoren. Die eine Inschrift wird gefunden, weil der Jerusalemer Siedlungsbau um sich greift; die andere nicht, weil sie irgendwo im Gazastreifen verborgen liegt. Wir tappen im Dunkeln, wenn wir Namenshäufungen auf Inschriften oder in der antiken Literatur auf demographische Verhältnisse hochzurechnen versuchen. Wir kennen nicht einmal die Gesamtzahl antiker Bevölkerung, sei es in Jerusalem oder Judäa. Antike Demographie tastet in trübem Wasser. Alle in den Medien als Reaktion auf Cameron/ Jacobovici 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 74 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 75 Peter Lampe Jesu DNS-Spuren in einem Ossuar und in einem Massengrab seine Gebeine? gehandelten statistischen Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Objektivität gaukeln sie einer Öffentlichkeit vor, die einer wissenschaftsfrömmigen Ersatzreligion frönt und bei Reizwörtern wie »Mitochondrien-DNS« und »statistische Wahrscheinlichkeit« glasige Augen bekommt. Mit den Filmern einen Argumentationsturm auf dem Fundament unrepräsentativer epigraphischer Namenshäufungen aufruhen zu lassen, bedeutet, auf eine Sanddühne zu bauen, die mit jedem Inschriftenfund weiterwandert. - Auf dem Waschbrett der Statistik formal richtig zu schrubben, bedeu tet nicht, Historiographie sauber hinzubekommen. Im übrigen gehörten in den 120er Jahren n. Chr. Jahren zum sozialen Umfeld einer Jüdin Babatha im Hafenstädtchen Maoza am Südende des Toten Meeres nicht nur ihr Mann Jesus, dessen Kinder und Schwiegervater Simon, sondern auch Namen wie Jakobus, Juda und Mariame (PBabatha 17 von 128 n. Chr.; 25-26 sowie 34 von 131 n. Chr.). Diese Herrschaften haben mit dem Neuen Testaments eindeutig nichts tun. Nach der Statistik der Filmer hätte es sie schwerlich geben dürfen. Die Krone, aber keinen Doktorhut setzen sich die Dokumentareiferer auf, wenn sie spekulieren, das seit 2002 berühmte Ossuar des Jakob Sohn Josefs Bruder Jesu stamme aus dem Jesus-Mausoleum und sei nach der Notgrabung gestohlen worden. Seine Oberfläche entspreche der der Talpiyot-Ossuare, wie Analysen des CSI Suffolk Crime Lab (New York) von 2006 zeigten. Die Aussage ist so nicht zu halten. Die methodisch beste Studie des international renommierten Patinaexperten Wolfgang Krumbein bilanzierte, dass das Jakob-Ossuar mindestens 200 Jahre lang Wind, Wetter, Sonne, auch Wasser ausgesetzt war und nicht der Atmosphäre einer abgeschlossenen Höhle. 21 Auch entspricht die chemische Oberflächenanalyse nicht dem, was die Filmer 22 für die Jakobskiste herausbekamen. 23 Zugleich bilanziert der Krumbeinreport, dass die Inschriftenbuchstaben zwar in einem Zeitraum mehrerer Jahre mehrmals eifrig und ungeschickt gesäubert wurden, aber an mindestens drei Stellen Spuren natürlicher Patina in Anfangs- und Endbuchstaben sich erhielten. 24 Die Oberfläche der Endbuchstaben (»Bruder Jesu«) unterscheidet sich nicht von der der übrigen Inschrift. Mag die gesamte Inschrift mithin echt sein, die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Apostel und Jesusbruder Jakobus meinte, beläuft sich auf 2-5 %. Ein Jakob, Sohn Josefs und Bruder Jesu, wird (angesichts der freilich niemals repräsentativen epigraphischen Daten) in der fraglichen Zeit in Jerusalem in 20-50facher Ausfertigung herumgelaufen sein. 25 Im übrigen ziert auch dieses Ossuar kein christliches Anzeichen. Wenigstens in theologischer Hinsicht erledigten die Filmer die Hausaufgaben: Das Entdecken einer Gebeinekiste Jesu werde nicht den christlichen Osterglauben herausfordern. Paulus hielt fest, »Fleisch und Blut« würden im Auferweckungsakt nicht wiederbelebt (1Kor 15,50). 26 Gott ist in seinem Neuschaffen des gestorbenen Menschen, so glauben viele Christen, nicht auf Moleküle des alten Körpers angewiesen. Materie gewährleistet nicht einmal die Kontinuität des irdischen Menschen: Von der Leserin dieser Zeilen ist keines der Moleküle übrig, mit denen sie als Erstklässlerin die Schulbank drückte. Christen mögen, egal wie schnell sie auf ihrem Sofa von diesem Aschermittwoch sich erholten, gelassen Ostern erwarten. l Anmerkungen 1 S. Jacobovici/ C. Pellegrino, The Jesus Family Tomb. The Discovery, the Investigation, and the Evidence That Could Change History, San Francisco 2007. 2 Vom 28. März bis 14. April 1980. Siehe A. Kloner, A Tomb With Inscribed Ossuaries in East Talpiyot, Jerusalem: Atiqot 29, 1996, 15-22; L.Y. Rahmani, A Catalogue of Jewish Ossuaries, Jerusalem 1994, 222-224, Nr. 701-709. Shimon Gibson, in Manhattan am 26. Februar 2007 bei der Pressekonferenz des Discovery- Channels mit auf der Bühne, zeichnete damals die Pläne. 3 Durchschnittliche Belegung: 1,7mal. Cf. A. Kloner, Tomb, 22 Anm. 2, sowie ders., Burial Caves and Ossuaries from the Second Temple Period on Mount Scopus, in: I. Gafni/ A. Oppenheimer/ M. Stern, (Hgg.), Jews and Judaism in the Second Temple, Mishnaic and Talmudic Periods, FS S. Safrai, Jerusalem 1993, 75-106, hier 105. 4 Maße: Längen von 1,24 bis 1,76 m; Breiten von 0,34 bis 0,54 m. Die schmalen Seiten dieser Loculi öffnen sich zur zentralen Grabkammer hin. 5 Zu diesem und dem folgenden Durchschnittswert Kloner, Tomb, 16; ders. Burial Caves 104-105. 6 Davor steht eine X-förmige Steinmetzmarke wie auf Ossuar Nr. 7. Siehe Abbildungen bei Kloner, Tomb, 19-20. Es handelt sich nicht etwa um christliche Andreaskreuze (s.u. Anm. 16). Beide X wurden flüchtig hingeworfen, wie wenn jemand etwas abhakte. 7 Vgl. zu diesem und den folgenden Namen bes. T. Ilan, Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity, Part 1: Palestine 330 B.C.E. - 200 C.E., Tübingen 2002, je s.v. Ilan notiert auch hilfreich, wie häufig die Namen in unseren Quellen begegnen (zur oft überschätzten Relevanz solcher Häufungszahlen siehe unten). Vgl. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 75 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 76 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Nachgefragt ferner z.B. dies., The Names of the Hasmoneans in the Second Temple Period: Eretz Israel 19, 1987, 238-241 (hebr.); R. Hachlili, Jewish Names and Nicknames in the Second Temple Period: Eretz Israel 17 (Brawer volume), 1983, 188-211 (hebr.); dies., Hebrew Names, Personal Names, Family Names, and Nicknames of Jews in the Second Temple Period, in: J. W. van Henten - A. Brenner (Hgg.), Families and Family Relations as Represented in Judaisms and Early Christianities. Texts and Fictions, Leiden 2000, 83-115. 8 Die Namensform findet sich nicht nur auf zahlreichen Jerusalemer Ossuaren (siehe z.B. Rahmani, 1994, 14. 115-116). Vgl. auch Jos., Ant. 4,78; Bell. 1,241. Auf den kleinasiatischen Inschriften MAMA 7,98,1 (chr.? ); 8,127,1; der alexandrinisch-jüdischen Inschrift SEG 8,433,1 (jüd.); den fünf Jerusalemer Epigraphen SEG 33,1278/ CIJ 1293,b,1; SEG 33,1290,1 (beide 1. Jh. v. oder n. Chr.); CIJ 1341,1; 1387,1 (beide 2. Jh. v. - 2. Jh. n. Chr.); SEG 20,481,a,1 (4. Jh. n.Chr.? ) und der Jerichoer Inschrift SEG 31,1407,1,1 (10-74 n.Chr.) ist darüber hinaus Maria,mh zu greifen; ebenso in den Papyri PBabatha 26; 34 und PMur 2,113,Fr.A neben anderen jüdischen Personen, darunter Simon, Salome und gar Jesus: »Jesus Chtusion aus Juda« (PBabatha 34). 9 Paleo-DNA Lab der Lakehead University, Dr. C. Matheson. 10 2007, 205. 11 Aus demselben Grunde stellt auch Orig., c.Cels. 5,62,16 ( Maria,mmhj kai. ... Ma,rqa j / Mariammes Kai ... Marthas) gegen Jacobovici/ Pellgerino, Family Tomb, 205, einen schlechten Beleg dar. Ihr Verweis auf Epiphanius (ebd.) führt gänzlich in die Irre; Epiphanius verwendet nirgends eine Mariamene-ähnliche Namensform zeugniswert für das 1. Jh. besitzt auch Hipp., ref. 5,7; 10,9 aus dem frühen 3. Jh. nicht. 12 2007, 207-209. 13 Siehe zu den Quellen P. Lampe, Küsste Jesus Magdalenen mitten auf den Mund? , Neukirchen 2007, 13-18. 14 Abb. bei Kloner 1996, 19. Kloners eigenes Urteil: »Each of the four letters... is unclear« (18). 15 So auch der Herausgeber des Katalogs Jüdischer Ossuare, Rahmani (Catalogue, 223). Doch wird angesichts der unsicheren Lesart klar, dass die Discovery- Leute, die über eine Vaterschaft des Jesus von Nazareth nachdenken, in der Gefahr stehen, in den Strudel eines Zirkelschlusses gezogen zu werden: Weil ein gut lesbarer Jesus der Vater des in der Gruft bestatteten Jehuda war, liest Rahmani auf dem anderen Ossuar der Gruft Jeshua; ergo ist in diesem anderen Ossuar ein Jesus beigesetzt und zu folgern, dass Jesus von Nazareth einen Sohn namens Jehuda zeugte. Von weitem winkt Münchhausen mit dem Zopfe. 16 Teilten die bestattenden Familienmitglieder ein Jahr nach dem Tod, als das Ossuar bestückt wurde, nicht den Auferweckungsglauben der Christen? Auferstehungsglaube setzt mitnichten ein leeres Grab voraus (s.u.), das als Motiv spät in der Tradition zu greifen ist (Mk 16). Jacobovici/ Pellegrino, Family Tomb, 196, deuten mit Verweis auf Ez 9,4; Orig., Selecta in Ez. 13,800,50-13,801,14; I. Mancini, Archaeological Discoveries Relative to the Judeo-Christians, Jerusalem 1968, das X vor dem Namen Jeshua nicht, wie üblich, als Steinmetzzeichen, sondern als Symbol für einen Gerechten. Aber damit wäre kein judenchristliches Indiz geliefert. Auch als christliches Kreuz ist das X nicht interpretierbar. Die frühe Kreuzdarstellung unter S. Sebastiano (ca. 150-240 n. Chr.) zeigt ein eindeutig christliches Kreuz als T (P. Lampe, From Paul to Valentinus, Minneapolis 2003, 29.141, Abb. S. V), nicht als Andreaskreuz. Jacobovicis/ Pellegrinos Verweis auf Herculaneum (Family Tomb, 195) läuft ins Leere (siehe Lampe, Paul, 9). Minucius Felix, Oct. 29,8, und Tert., Apol. 16,6-8, kennen (zeitgleich mit dem Graffito unter S. Sebastiano) das Kreuz als Christensymbol, bezeugen aber zugleich, dass es in der Umwelt eine Fülle kreuzförmiger Objekte ohne christlichen Gehalt gab, selbst im paganen Kult. 17 Siehe die vorige Anm. sowie Anm. 6. 18 Gegen Jacobovici/ Pellegrino, Family Tomb, 211f. Ich nahm Ossuar und Graffito am 26.2.2007 in New York aus 2m Entfernung in Augenschein; näher war nicht erlaubt. 19 Die vernünftige Kalkulation des Statistikers Prof. A. Feuerverger (Univ. of Toronto) im Discovery-Channel-Team: 1/ 190 (Jesus Sohn Josefs) x 1/ 160 (Mariamene) x 1/ 20 (José) x 1/ 4 (Marja) = 1/ 2400000, multipliziert mit 4 (Ausgleich für mögliche Tendenzen in den Quellen), multipliziert mit 1000 (Anzahl der möglichen Kollektivgrabstätten im Jerusalem des ersten Jahrhunderts). Das Resultat lautet 1 zu 600. 20 1/ 190 x 1/ 20 = 1/ 3800. Um Tendenzen in den historischen Quellen auszubalancieren, wird 1/ 3800 x 2 = 1/ 1900 gerechnet und diese Zahl nochmals mit 1000 multipliziert, d.h. der Anzahl von Kollektivgrabstätten, die in Jerusalem des 1. Jh. existiert haben mögen. Das Ergebnis lautet 1/ 1,9. - Die vom Discoveryteam zugrundegelegten Zahlen (190 - 20 - 160 - 4) zu hinterfragen - sie kennen, Ilans Namenslexikon! - ist unnötig, wenn gezeigt werden kann, dass sie auf der Basis der eigenen Daten ad absurdum zu führen sind. 21 Darauf weisen Pflanzenspuren, dazu sog. Biopitting (Pockennarben im Stein), das durch Flechten und Pilzbefall nach > 150 Jahren sich einstellt. Ferner bedeckte alluvialer Dreck die Inschrift über längere Zeit. 22 Jacobovici/ Pellegrino, Family Tomb, 175-192. 23 Nach der Analyse von Prof. W. Krumbein (Univ. Oldenburg, Sept. 2005) beinhaltet die Oberfläche neben Calzit (CaCO 3 ) auch Patina aus (in absteigender Reihenfolge des Quantums) Apatit (Calciumphosphat), Whewellit (hydriertem Calciumoxalat), wahrscheinlich auch aus Weddelit (Calciumoxalat). Ferner in der Patina: Mikrofossilien und Quartz, die wohl staubige Winde anwehten. Der Krumbeinreport unter www.bib-arch.org/ bswbOOossuary_Krumbeinreport.pdf; dazu kollegialer E-Mail-Kontakt mit mir. 24 Auf Fotos von 2003/ 4 sind solche auch noch in den Buchstaben Shin und Ayin des Jeshua-Namens erkennbar. In den Buchstabenoberflächen saßen darüber hinaus die gleichen vom Wind herangetragenen Mikrofossilien und der gleiche angewehte Quartz wie auf dem übrigen Ossuar, was nicht für, sondern eher gegen eine Inschriftenfälschung spricht. 25 Vgl. Lampe, Jesus, 23. 26 Zur paulinischen Vorstellung P. Lampe, Paul’s Concept of a Spiritual Body, in: T. Peters, R.J. Russell, M. Welker (Hgg.), Resurrection. Theological and Scientific Assessments, Grand Rapids/ Cambridge, UK 2002, 103-114; ders., Die Wirklichkeit als Bild. Das Neue Testament als ein Grunddokument abendländischer Kultur im Lichte konstruktivistischer Epistemologie und Wissenssoziologie, Neukirchen 2006, 102-104. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 76 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 77 Dale C. Allison RReessuurrrreeccttiinngg JJeessuuss.. TThhee EEaarrlliieesstt CChhrriissttiiaann TTrraaddiittiioonn aanndd IIttss IInntteerrpprreetteerrss t&t clark, New York / London 2005, 404 S., ISBN 0567029107, 30,90 € Dale C. Allison ist Erret M. Grable Professor of New Testament Exegesis and Early Christianity am Pittsburgh Theological Seminary, USA. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frage nach dem historischen Jesus, den er als »Millenarian Prophet« interpretiert, wie es der Untertitel seiner Monographie »Jesus of Nazareth« (1998) anzeigt. Den größten internationalen Bekanntheitsgrad seiner Schriften dürften allerdings die gemeinsam mit W.D. Davies besorgten drei Kommentarbände zum Matthäusevangelium erreicht haben, die in der renommierten Reihe ICC zwischen 1988 und 1997 erschienen sind. Allison weiß sich mit seinem historisch-kritischen Ansatz der deutschsprachigen Exegesetradition verpflichtet. Die Arbeiten von Albert Schweitzer, Johannes Weiß und besonders die von Joachim Jeremias sowie der geschichtstheologische Ansatz Wolfhart Pannenbergs haben ihn nachhaltig geprägt. Insbesondere in der konsequenten eschatologischen Interpretation Jesu von Nazareth weiß er sich nach wie vor mit ihnen grundsätzlich einig. Dennoch ist er ein höchst eigenständiger Vertreter historischer Kritik, ein Forscher ohne Schere im Kopf, dessen Scharfsinnigkeit besticht und dessen Einfälle durchaus überraschen können. Die sechs Essays, die er in dem Buch »Resurrecting Jesus« zusammengestellt hat, sind nicht nur informativ und geistreich, sondern auch noch in bester Wissenschaftsprosa abgefasst und auf bildende Art und Weise unterhaltsam. Die autobiographischen Einwürfe, die Allison hier macht, stehen vornehmlich im Dienst seiner fachgeschichtlichen, hermeneutischen, metaphysischen, theologischen und wissenschaftstheoretischen Reflexionen historisch-kritischer Arbeit. Es sind nicht zuletzt diese Reflexionen, die bei aller historischen, philologischen und bibliographischen Gelehrsamkeit des Autors sein Buch äußerst lesenswert machen, auch wenn man seine Positionen nicht (alle) teilt. Die Sammlung eröffnet der Essay »Secularizing Jesus« (1-26), mit dem er vehement der üblich gewordenen dreiteiligen Epochisierung der historischen Jesusforschung (First Quest, New Quest, Third Quest) widerspricht. Er weist insbesondere nach, dass die implizierten »No Quest« Zeiten dieses Schemas einer wissenschaftsgeschichtlichen Prüfung nicht standhalten. Er schlägt vor, die irreführende diachrone Periodisierung zugunsten einer synchronen Typisierung von grundlegenden Ansätzen der Interpretation des historischen Jesus (z.B. jüdischer eschatologischer Prophet, Kyniker, Vorläufer christlicher Orthodoxie, liberaler Sozialreformer etc., vgl. 18) aufzugeben. Der zweite Essay, »The problem of audience« (27-55), entwickelt die These, dass manche widersprüchlichen Aussagen der in den Evangelien dargestellten Lehre Jesu nicht literarkritisch und redaktionell aufzulösen seien, sondern diese Widersprüchlichkeit der historischen Kommunikationssituation, genauer, dem Wechsel der Zuhörerschaft Jesu geschuldet sei, und damit auf den historischen Jesus selbst zurückgehen könnte: »Jesus said different things to different people« (41). So schwierig die Zuschreibung im Einzelnen auch sei, da wir die originalen Kommunikationssituationen kaum rekonstruieren können, so warnt diese Einsicht jedoch davor, mit Hilfe von literar- und redaktionsgeschichtlichen Hypothesen eine von jeglichen Widersprüchen gereinigte »Lehre Jesu« bzw. einen widerspruchsfreien »Jesus« zu konstruieren. Der dritte Essay »The problem of Gehenna« (56-110) tritt in einem ersten Argumentationsgang (56-90) der Auffassung entgegen, der historische Jesus habe keine eschatologischen Strafen gekannt und nichts über die Hölle gesagt: »Maybe a Jesus who says nothing about hell is the artefact of interested historians who themselves have nothing to say about hell, or at least nothing good to say.« (58). Schon die Berücksichtigung der jüdischen Tradition und ihrer Heiligen Schriften, in der der historische Jesus verankert war, spräche dafür, dass die Gehenna und eschatologische Strafen dem Juden Jesus eine Selbstverständlichkeit gewesen seien. Zudem taucht das Thema des Endgerichts in zahlreichen verschiedenen Gattungen in den neutestamentlichen Evangelien auf. Dabei hält Allison es zwar in den meisten Fällen nicht für möglich, einzelne Jesusworte als authentisch zu erweisen. Daraus zieht er aber nicht etwa einen pessimistischen Schluss. Im Gegenteil deklariert er die überwiegende Mehrheit der Jesusworte der synoptischen Evangelien als »possibly authentic« (76), womit er zugleich die notwendige kritische Vorsicht des Historikers als auch sein Vertrauen zur synoptischen Evangelienüberlieferung zum Ausdruck bringt. Insbesondere Mk 9,43-48 führt er als authentischen Beleg für seine These an, Jesus habe als apokalyptischer Endzeitprophet mit dem Endgericht und dessen Strafen in absehbarer Zukunft gerechnet (vgl. 77). Allerdings werde die Gehenna bzw. werden die eschatologischen Strafen niemals selbständiges Thema des historischen Jesus, vielmehr gehörten sie zum Gesamtsetting seiner apokalyptischen Prophetie (vgl. 78ff.). Die Rede von der Hölle nutze Jesus aber kaum als Drohung gegen Außenstehende, vielmehr als Warnung für die, die ihm folgen. Die Jesustradition und die Evangelisten haben bzgl. Jesu Rede vom Endgericht keine neuen Akzente gesetzt (vgl. 82). Buchreport 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 77 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 78 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Buchreport Auf den verbleibenden zwanzig Seiten des Essays geht Allison der Frage nach, ob und inwiefern Jesu Rede von der Hölle bzw. vom Endgericht auch für heutige Menschen relevant sein könnte, nachdem durch die Aufklärung klar geworden ist, dass es sich bei der Hölle um einen mythischen Ort handelt. Allison zufolge verweist die mythologische Rede von der Hölle auf die Verantwortung für unsere Taten. Aber auch der Begriff des Himmels als Gegenbegriff zur Hölle sei mythologische Redeweise. Allisons Interpretation dieser mythologischen Vorstellungen führt ihn aber nicht zu einer philosophischen, säkularisierten Deutung. Vielmehr begreift er Himmel und Hölle als bildliche Sprache für die ansonsten unsagbare Realität eines Lebens nach dem Tod, das die Taten vor dem Tod durchaus nicht ignoriert. Allison rechnet damit, dass Mutter Theresa und Stalin verschiedene Leben nach ihrem Tod haben und diese Verschiedenheit durch ihre irdischen Taten bedingt sei (vgl. 99). Spätestens an dieser Stelle des Buches zeigt sich, dass Allisons Denken sich über die historische Argumentation hinausbewegt. Der Essay schließt mit einem Exkurs 1 »Percy Bysshe Shelley and the Historical Jesus«, in dem er insbesondere Shelleys Essay »On Christianity«, geschrieben um 1817, veröffentlicht nach 1859, der Jesusforschung zur Kenntnisnahme anempfiehlt. Der vierte Essay trägt den Titel »Apocalyptic, Polemic, Apologetics« (111-148). Zunächst werden theologiegeschichtlich die Positionen erinnert, die Jesu Predigt von der apokalyptischen Endzeiterwartung her verstehen, danach die Positionen, die genau das ablehnen. Obwohl Allison keinen Zweifel daran lässt, dass er sich zur ersten Rubrik rechnet, warnt er überzeugend vor Simplifizierungen, denn gerade das Gesamtbild sei von der Konstruktion der Historikerin bzw. des Historikers abhängig und dieses wiederum bestimme die Interpretation und Verortung der ermittelten Daten. Allison zeichnet sodann autobiographisch nach, wie er zu seiner Überzeugung gekommen ist, Jesus als jüdischen Propheten der Endzeit zu begreifen. Die apokalyptische Prophetie bestimme zwar Jesu Auftreten im Ganzen, das heiße aber nicht, dass er ausschließlich eschatologisches Gedankengut verbreitet habe. Der fünfte Essay, »Torah, Urzeit, Endzeit« (149-197) geht der Frage nach Jesu Stellung zum Gesetz nach. Allison vertritt die These, dass auch Jesu Verhältnis zum Gesetz von seiner Überzeugung bestimmt war, in der Krisenzeit zu leben, die unmittelbar vor dem Ende der Welt und dem Kommen des Reiches Gottes stehe. Diese eschatologische Vision veränderte auch die Torah selbst, denn nicht mehr sie allein, sondern mehr noch die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Gottesreiches habe das Denken und Handeln zu bestimmen. Daraus erklären sich Allison zufolge auch die unterschiedlichen Aussagen zum Gesetz in den synoptischen Evangelien. Die Endzeit, die als Wiederherstellung der paradiesischen Urzeit zu denken sei, setze manche gesetzlichen Bestimmungen außer Kraft und zwar in der jüdischen Logik, dass ein gewichtiger Imperativ einem weniger gewichtigen Imperativ im Konfliktfall vorzuziehen sei. Jesus sei also ein konservativer Bekenner der Torah gewesen, der sie aufgrund seiner radikalen eschatologischen Vision im Konfliktfall aber auch als zweitwichtig einstufen konnte: »the radical Jesus seems to be the real Jesus« (176). Der sechste und mit Abstand mit seinem monographischen Ausmaß ausführlichste Essay gab dem Buch seinen Namen: »Resurrecting Jesus« (198-375). Diese Abhandlung versucht mit den Mitteln historischer Kritik und Hermeneutik die Frage zu klären, was es bedeutet, wenn man sagt, Jesus sei von den Toten auferstanden. Allison beantwortet diese Frage zunächst theologiebzw. forschungsgeschichtlich durch den Versuch einer Strukturierung der Interpretationen der Auferweckung Jesu in sieben Rubriken: 1. »Orthodox belief« (201) rechnet mit einem nach Ostern prinzipiell empirisch überprüfbaren leeren Grab und hält die in den Evangelien und in 1Kor 15 erzählten Erscheinungen des Auferweckten für objektive Visionen. Als bedeutenden neueren Vertreter dieser Richtung nennt er N.T. Wright, der 2003 eine 800 Seiten schwere Monographie zum Thema vorgelegt hat (vgl. dazu Hays/ Kirk in diesem Heft). 2. »Misinterpretation« (201) rechnet mit einem leeren Grab, das aber fälschlicherweise für das Grab Jesu gehalten wurde. Aus dieser Fehlinterpretation wuchs der Glaube an die Auferweckung Jesu. 3. »Hallucinations« (204) geht davon aus, dass Jesu Anhänger, insbesondere der von Schuldgefühlen wegen seiner Verleugnung Jesu geplagte Petrus, den Tod Jesu nicht wahrhaben wollte(n) und sich deshalb einbildete(n), ihn lebend gesehen zu haben. Als Vertreter nennt Allison Celsus, David Friedrich Strauß und Gerd Lüdemann. 4. »Deliberate deception« (207) meint die Betrugsthese etwa von H.S. Reimarus, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen, um auf dem Betrug der Auferweckung die Kirche aufzubauen, die ihnen materielle Vorteile bringen sollte. 5. »Genuine Visions« (208) rechnet mit der Objektivität der Jesuserscheinungen des immateriell in das Leben Gottes eingegangenen Jesus von Nazareth, während sein toter Körper den irdischen Gesetzen der Verwesung gehorchte. 6. »Belief in God’s vindication« (209) lässt den Auferweckungsglauben aus der Überzeugung der Anhänger des getöteten Jesus von Nazareth entstehen, Gott habe seinen Propheten gerechtfertigt, indem er ihn erhöht habe. Das Grab war demnach voll und die Visionserscheinungen sind Legende. Als wichtige Vertreter nennt Allison Klaus Berger und Rudolf Pesch. 7. »Rapid disintegration of the body plus visions« steht stellvertretend für abenteuerliche Hypothesen, die Allison als »idiosynkratisch« bezeichnet. »Rapid Disintegration« meint, Gott habe die Verwesung Jesu so sehr beschleunigt, dass nach drei Tagen nichts mehr von ihm übrig war - mit Allison: kein Kommentar. Bevor Allison nun zur eigenen historisch-kritischen Untersuchung voranschreitet, stellt er einen Abschnitt ein, den er »Confession« nennt und dem dann ein Abschnitt folgt, der »Doubts« überschrieben ist. Allisons’ Begründung für die Notwendigkeit des Abschnittes »Confession« besteht darin, dass die eigenen religiösen Vorurteile auch eine historisch-kritische Untersuchung maßgeblich und unhintergehbar mitbestimmen. Inhaltlich legt er seinen Wunsch nach der Realität eines liebenden Gottes offen, der die Macht zur Auferweckung Toter besitzt. Zudem aber zeigt sich Allison davon überzeugt, dass auch die eschatologisch bestimmte Lehre Jesu ohne seine Auferweckung in der Luft hinge und erheblich an Überzeugungskraft und Plausibilität verlöre. Ferner sei 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 78 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 79 Buchreport das Bekenntnis zur Auferweckung und Transformation des Leichnams Jesu ein Bekenntnis zur liebevollen Anerkenntnis der materiellen Schöpfung in Gen 1. Und schließlich sei Jesu Auferweckung das Nein zum Tod: »and I want to deny death, or at least its finality« (219). Ergibt sich das Ja zum literalen Verständnis der Auferweckung Jesu aus Allisons religiösem Bekenntnis, so resultieren seine »Doubts« nicht etwa aus den Implikationen und Konsequenzen der Aufklärung verpflichteter historisch-kritischer Wissenschaft, sondern aus den absurden Konsequenzen antiker jüdischer und christlicher biologistischer Ausschmückungen der eschatologischen Auferweckung der Toten. Hier kann und will Allison nicht folgen. Das eigentliche theologische Problem sieht er aber in der Diskontinuität zwischen der leiblichen Auferweckung Jesu und der nicht leiblichen aller ihm folgenden Auferweckten (vgl. 222). Allison hält es auch für unmöglich, dass Gott alle Toten leibhaftig auferweckt, denn wie solle das etwa im Falle verbrannter Leiber zu denken sein, deren Asche verstreut wurde und sich mit anderen materiellen Substanzen zusammengefügt hat (vgl. 222). Deshalb bekennt er sich zum Glauben an eine immaterielle pneumatische Seinsweise der Auferweckten, die er in 1Kor 15 zu finden meint (vgl. 225). Die historisch-kritische Untersuchung beginnt mit einer Sichtung der formgeschichtlich ermittelten Bekenntnisformeln des frühen Christentums: Die Wendung »Gott hat auferweckt Jesus / Christus / ihn von den Toten« stehe am Anfang der Entwicklung hin zu christologisch und soteriologisch komplexeren Formeln (vgl. 229ff.). Aber gerade diese einfachste Formel mache deutlich, dass die Interpretation der Auferweckung stets an die Erinnerung des Auferweckten gebunden sei, worauf Allison später noch deutlicher zu sprechen kommt. Erst die Erinnerung an Jesu Lehre und Leben lässt es wünschenswert erscheinen, dass genau dieser Jesus auferweckt wurde. Ein bloßes »Dass« der Auferweckung ergibt keinen Sinn, was Allison an folgender Formulierung verdeutlicht: »God raised Fred from the dead […] Who the heck is Fred? « (375) Die eruierten Formeln tragen ihre Bedeutung nicht in sich, sondern erhalten sie nur im Kontext der narrativen Erinnerung an den vorösterlichen Jesus. Auch die in 1Kor 15,3-8 aufgeführten Schauungen des Auferweckten versteht Allison als »summary of traditional narratives« (235). Aus dem strukturellen Vergleich der in 1Kor 15,1-8 berichteten Ereignisse vom Tod Jesu bis zu den Erscheinungen des Auferstandenen mit den vier kanonischen Evangelien zieht Allison den Schluß, dass trotz der markanten Unterschiede Paulus und die Evangelien eine weitestgehende syntagmatische Übereinstimmung in der Ereignisfolge zeigen: Tod, Begräbnis, Auferweckung am dritten Tag; Erscheinung vor Individuen, Erscheinungen vor elf oder zwölf Jüngern bzw. Aposteln (vgl. 239). Sodann widmet sich Allison der Untersuchung und Interpretation der in den Evangelien erzählten Erscheinungen des Auferweckten (239-269). Er kommt dabei zu dem negativen Ergebnis, dass die Werkzeuge historischer Kritik es nicht erlauben zu bestimmen, wie weit die einzelnen Erzählungen authentische Erinnerung bewahren. Über das auch in 1 Kor 15,3-8 Berichtete hinaus lässt sich historisch nichts sagen. Schon gar nicht sei es möglich, die »Gefühle« und »Emotionen« der ersten Christen zu untersuchen, wie es Gerd Lüdemann forderte (vgl. 268). Allison hält dann aber auch als positives Ergebnis der Untersuchung zwei »facts« fest: 1. Verschiedene Leute berichteten Christophanien 2. Jesus erschien mehrmals mehr als einer Person gleichzeitig (vgl. 269). Im folgenden Abschnitt, der mit »Seeing Things« überschrieben ist (269-299), versucht Allison, diese beiden Fakten mittels einer Analogie zu erklären: Berichte von Erscheinungen Verstorbener. Hatte Gerd Lüdemann mit Hilfe dieser Analogiebildung die Überzeugung des von Schuldgefühlen geplagten Petrus, den auferweckten Jesus gesehen zu haben, psychologisierend als Selbsttäuschung zu entlarven versucht, so benutzt Allison sie ganz anders. Allison geht nämlich von einem tatsächlichen Kontakt Toter zu Lebenden aus und unterstreicht seine Auffassung nicht nur mit der Anführung seriöser empirischer Untersuchungen zu solchen Erscheinungsberichten, sondern - in Analogie zur Rhetorik des Paulus (! ) - mit einem autobiographischen Argument. Nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen Mitgliedern seiner Familie seien Tote erschienen (vgl. 275ff.). Es handele sich um »a regular part of cross-cultural-experience« Unsere gegenwärtigen kulturellen Vorurteile, die den Kontakt zwischen Toten und Lebenden verleugnen bzw. in den Bereich des Aberglaubens oder der Geisteskrankheit verbannen, dürfen die Realitäten menschlicher Erfahrung nicht verleugnen (271). Auf dieser Basis geraten ihm dann die in der neutestamentlichen Literatur erzählten Erscheinungen doch noch zu authentischen Erinnerungen realer Erlebnisse. Der verstorbene Jesus sei ihnen erschienen (vgl. 288 unten). Was aber geschieht hier durch diese Analogiebildung mit dem auferweckten Gekreuzigten? Wie in allen Analogiemodellen wird ihm sein Spezifikum geraubt. Aus dem auferweckten Gekreuzigten wird ein Toter, der Kontakt zu Lebenden aufnimmt, wie Millionen und Abermillionen anderer Toter vor und nach ihm auch. Gerade die Offenheit des in Analogien denkenden Historikers Allison für andere Realitäten, die vor den kulturellen Vorurteilen zu Recht warnt, übersieht die eschatologische Einzigartigkeit und Analogielosigkeit der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und ihre damit verbundene kosmologische Dynamik. Durch Allisons gut gemeinte Analogiebildung wird der Gekreuzigte zu einem Toten unter anderen Toten und das Ereignis der Auferweckung verliert damit seinen kosmologischen Sinn und seine soteriologische Kraft. Allisons sympathische Vorurteilslosigkeit führt wieder einmal vor Augen, wohin eine theologievergessene historische Kritik führt: in die theologische Entleerung des kosmologischen Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung Jesu von Nazareth. So grundverschieden Lüdemann und Allison auch argumentieren, so führt beide die Vernachlässigung theologischen Denkens in die subjektivistische Falle einer idiosynkratischen Metaphysik. Dies wird im weiteren Verlauf des Buches von Allison noch deutlicher. Er reflektiert die vollkommen zutreffende Einsicht, dass die Einzeldaten von dem Gesamtsetting der jeweiligen Weltsicht ausgewertet werden (vgl. 342f.). Allison zieht aber nicht wie die Theologen Deuser, Neville und Kessler in diesem Heft den Schluss daraus, dass dann eine metaphysische Debatte über die Grund- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 79 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 80 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Buchreport lagen der Realität bzw. des Realitätsbegriffs das Gebot der Stunde sei, um Denkweisen und Kriterien zu erarbeiten, die der Realität der religiösen Erfahrung ebenso angemessen sind wie der Realität empirischer Sachverhalte und der Realität von Bedeutungsereignissen (Semiose). Vielmehr verweist er die Wahl des jeweiligen Deuterahmens in die Beliebigkeit des Subjekts etwa nach dem Slogan: Über Weltbilder lässt sich nicht streiten (vgl. etwa 342; 347f.). Aber genau vor diese Aufgabe stellt das religiöse Empfinden und seine theologische Reflexion. Kurzum: Allisons Empirisierung der neutestamentlichen Erscheinungserzählungen mittels der Analogiebildung zu den Berichten der Erscheinungen Verstorbener missinterpretiert den auferweckten gekreuzigten Christus Jesus von Nazareth als einen zurückkehrenden Toten und übersieht die kosmologische Theo- Logik des Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung des gekreuzigten Christus Jesus. Mit großem Gewinn hingegen ist seine Diskussion zur Problematik des leeren Grabes zu lesen, die die Überschrift trägt »An opend tomb and a missing body? « (299-337). Allisons scharfsinnige Argumentation arbeitet zwei starke Argumente gegen das leere Grab und zwei von ihm als stärker bewertete Argumente für die Annahme heraus, das Grab Jesu sei leer vorgefunden worden. Obwohl Allison also zu dem Ergebnis kommt, es sei historisch wahrscheinlicher, dass das Grab leer gewesen sei, weist seine Analyse jegliche einseitige Selbstsicherheit der einen oder anderen Position in ihre Schranken und bringt auch hier die bereits erwähnte zutreffende Einsicht zur Geltung, dass letztlich die Gesamtsicht über die Interpretation der Daten entscheiden wird. Dennoch bringen einen gerade Allisons historische Erwägungen der einzelnen Daten ins Denken. Gegen das leere Grab führt er an, dass die frühen Christen nachweislich in der Lage waren, fiktionale Erzählungen zu generieren und dass eine ganze Reihe von Legenden über verschwundene Körper religionsgeschichtlich nachweisbar sind (vgl. 332). Für das leere Grab spräche hingegen: 1. dass Erscheinungen Jesu ohne die Kenntnis des leeren Grabes nicht zu der Annahme seiner Auferweckung, sondern eher seiner Entrückung bzw. Erhöhung geführt hätten und dass 2. die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und die anderen Frauen eher einen nicht fiktionalen Eindruck hinterlasse (vgl. 332). Dem interessierten Leser empfehle ich aber auch die Kenntnisnahme der anderen Argumente, die Allison anführt, und ihn etwa die Grablegung durch Joseph von Arimathäa auch in den Bereich des historisch Wahrscheinlichen einordnen lässt. Allison vermeidet nun aber den Kurzschluss, von der größeren Wahrscheinlichkeit der Annahme des leeren Grabes auf die Tatsächlichkeit der Auferweckung Jesu zu schließen. Vielmehr spricht er hier von einem »dead end« (334) historischer Argumentation, denn das leere Grab sage nichts über den Grund seines Leerseins aus, wobei hier nur etwa noch einmal an die oben referierten sieben Interpretationstypen zu erinnern wäre. Der darauf folgende Abschnitt »Problems and Presuppositions« (337-344) thematisiert die bereits oben referierte Einsicht in die Bedingtheit der Interpretation der Einzeldaten durch den Gesamtzusammenhang des jeweiligen Weltbildes, ohne die Frage zu stellen, wie kritisch und diskursiv mit der Vielfalt der Weltbilder bzw. der Wirklichkeitsannahmen umgegangen werden kann. Hier bleibt Allison zu sehr in subjektiver Beliebigkeit stecken. Der Abschnitt »The most reasonable explanation« (344-350) setzt sich kritisch mit der angesichts der Komplexität der Fragestellungen und Vagheiten der historischen Untersuchungen zur Auferweckungsproblematik unangebrachten Selbstsicherheit der von N.T. Wright und vielen evangelikalen Christen vertretenen These auseinander, die neutestamentlichen Auferstehungstexte als faktische Berichte zu lesen, sei ihre vernünftigste Erklärung. Zwei Exkurse schließen das Buch ab. Der erste setzt sich mit Joseph von Arimathäa auseinander, der zweite vertieft Allisons Argumentation mit der Analogiebildung zu den Erscheinungsberichten Verstorbener. Fazit: Allison ist trotz seiner zu kritisierenden Fehlinterpretation des auferweckten Gekreuzigten als zurückgekehrten Toten ein wichtiger Beitrag zur Jesusforschung und zur Auferstehungsdebatte gelungen. Sein Buch enthält viele Informationen und birgt erhellende Untersuchungen und geistreiche Einsichten. Besonders seiner Erörterung der Frage nach dem leeren Grab sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Ich stimme ihm ohne Einschränkung zu, wenn er schreibt: »we require more than history if we are to find the truth of things« (351) und »a resurrected Jesus may resist us, for he is not passive but active and so lives beyond our control« (XI). Stefan Alkier UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie Eve-Marie Becker Doris Hiller (Hg.) Handbu Handbu Handbu Handbu Handbuch Evangech Evangech Evangech Evangech Evangelische Theologi lische Theologi lische Theologi lische Theologi lische Theologie ee ee Ein enzyklopädischer Zugang 2006, 384 Seiten, €[D] 29,90/ SFr 50,50 ISBN 978-3-8252-8326-1 Eine enzyklopädisch vertiefte Einführung in Lehrbestand und Forschungsperspektiven der Hauptdisziplinen Evangelischer Theologie. Der enzyklopädische Zugang zielt neben der Darbietung fachlich-enzyklopädischen Wissens auf einen eigenen Ansatz zur Verknüpfung der Einzeldisziplinen miteinander und zum enzyklopädischen Diskurs über das Ganze der Theologie. Dischingerweg 5 D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 80 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%