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ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
1201
2011
1428 Dronsch Strecker Vogel
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 1 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 1 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, »Und wenn die Welt voll Teufel wär«, hat Martin Luther gedichtet, »und wollt’ uns gar verschlingen ...«. Im berühmten Reformationslied von 1529 »Ein feste Burg ist unser Gott« erhält der Teufel eine eigene Strophe. In einem vierstrophigen Lied ist das eine ganze Menge, zumal schon in der ersten Strophe von ihm, dem »alt bösen Feind« die Rede ist. Entsprechend reichhaltig stellen sich beim Lesen Gedanken und Assoziationen ein: Der Irrealis des vorangestellten Relativsatzes legt nahe: Es ist aber nicht so, so verteufelt ist die Welt nicht. Und: Der Teufel macht Angst, und der Glaube ist dazu angetan, diese Angst zu überwinden: »... so fürchten wir uns nicht so sehr«. Die Vielzahl der Teufel wird dann überführt in den Singular des »Fürsten dieser Welt«. Hier denkt der Reformator ganz johanneisch: Im Verstehen der Passion Jesu erschließt sich der Hinauswurf des Teufels als Geschehen der Vergangenheit (Joh 12,31). Zugleich gibt es noch eine Notwendigkeit, vor allem aber die Möglichkeit wortmächtigen Vorgehens gegen den »sau’r« sich stellenden Teufel in der Gegenwart, jedoch nicht wortreich und gewaltig, sondern minimalistisch und im Diminutiv. Gern würde man Luther nach diesem »einen Wörtlein« fragen, wie es denn lautet. Überhaupt wirft das Böse Fragen auf, sobald man sich mit ihm befasst oder es mit ihm zu tun bekommt. Der Titel dieses Heftes ist nicht salopp gemeint, will vielmehr das Diffuse des Phänomens zum Ausdruck bringen. Christlich-platonisches Denken versuchte gar, das Böse als philosophisches Problem dadurch zu erledigen, dass es ihm kurzerhand das Sein absprach: Malum non esse nisi privatio boni, räsonierte Augustin und wies damit christlicher Philosophie für Jahrhunderte den Weg: »Das Böse ist nichts als ein Mangel an Gutem« (Confessiones III,7,12). Aber Erfahrungen und Wirkungen des Bösen lassen diese verlockend einfache Antwort nicht zu, ebenso wenig der neutestamentliche Befund, den Jutta Leonhardt-Balzer in ihrem Beitrag Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament ausführlich und differenziert darstellt. Susan Garrett (Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten) ergänzt dieses Bild um die traditionsgeschichtliche Perspektive. Sie arbeitet unterschiedliche Traditionslinien der Vorstellung vom Satan heraus und zeigt, wie sich diese Vorstellungen in neutestamentlicher Zeit zu einem komplexen Konzept verbinden. Mit einem Ausblick auf die Frage, wie das Neue Testament den Sieg Jesu und der Gläubigen über das Böse thematisiert, weist sie auf den Beitrag von Christfried Böttrich voraus: Das Böse hat nicht das letzte Wort. Neutestamentliche Perspektiven zur Überwindung des Bösen. Anhand von drei ganz unterschiedlichen Textkomplexen wird die Allgegenwart dieses Themas in den neutestamentlichen Schriften deutlich. Exemplarisch behandelt Böttrich die synoptischen Evangelien (Versuchungsgeschichte), den Zweiten Korintherbrief und die Johannesapokalypse. Mit dem letzten Buch der Bibel befasst sich auch Michael Labahn, der die Satansfigur in seinem hermeneutisch reflektierten Beitrag Teufelsgeschichten. Satan und seine Helfer in der Johannesapokalypse als literarisches Konzept innerhalb einer »subversiven Erzählung« gegen die als bedrohlich erfahrene römische Staatsmacht versteht. Mit einer wichtigen hermeneutischen Frage ist auch die Kontroverse befasst: Können die biblisch geläufigen Konzepte eines personalen Bösen auch für heutiges theologisches Denken Geltung beanspruchen? Diese und andere Fragen stellt Ulrich H. J. Körtner (Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen) in einen weiten systematisch-theologischen Horizont und gibt dabei für die theologische Urteilsbildung der Leserinnen und Leser wichtige Hilfestellungen. Aus der Feder eines Systematischen Theologen stammt auch das von Axel v. Dobbeler besprochene Buch: Ingolf U. Dalferth, Das Böse. Essay über die Denkform des Unbegreiflichen. Die darin nachgezeichnete Sinngeschichte des Bösen von der Antike bis zu seiner Relativierung und Banalisierung in der Nachmoderne indiziert die Dringlichkeit eines an Geschichte und Gegenwart geschärften theologischen Problembewusstseins. Stefan Alkier Eckart Reinmuth Manuel Vogel Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 2 - 3. Korrektur 2 ZNT 28 (14. Jg. 2011) 1. Einleitung Das ›Böse‹ ist keine absolute Kategorie. Das Böse ist eine Abgrenzungskategorie, die von Menschen benutzt wird, um etwas als inakzeptabel, untragbar oder unerträglich zu kennzeichnen. Als solche wird es in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich gefüllt. In der exegetischen Forschung ist das Böse im Neuen Testament in konkreten Formen untersucht worden, als ethisches Böses in der menschlichen Tat, als dem menschlichen Handeln zugrunde liegende böse Grundstimmung-- Sünde 1 oder deren Folge, Tod 2 -- oder als externes Übel, das von außen auf den Menschen einwirkt, meist verursacht durch dämonische Mächte. 3 Diese Ansätze konzentrieren sich auf Teilaspekte des Bösen. Demgegenüber gibt es so pauschale Definitionen wie »Das Böse ist nach der Bibel alles, was Leben zerstört«, deren allgemeingültiger Anspruch an Präzision fehlen lässt. 4 Die biblische Rede von bösen Mächten ist auch soziologisch als Projektion staatlicher oder gesellschaftlicher Zusammenhänge gesehen worden; diese Fragestellung setzt jedoch bei einer textfremden Definition des Bösen an. 5 In noch stärkerem Maße trifft dies jedoch auf die in der Beschreibung des ›Bösen‹ im Neuen Testament meist angewandte äußere, systematische Definition des Bösen als Grundlage für die Untersuchung zu. 6 Demgegenüber wird hier gemäß der Kontextgebundenheit ›des Bösen‹ zunächst untersucht, was die Texte selbst als ›böse‹ bezeichnen. Der Blick ist auf die beiden griechischen Hauptbegriffe für ›böse‹ bzw. ›schlecht‹-- ponēros und kakos- - gerichtet. Die Grundfragen sind hier: Was ist ›böse‹? Warum ist es böse? Und wie wird damit umgegangen? Es geht bei dem hier vorliegenden Ansatz nicht um eine umfassende Beschreibung aller Konzepte des ›Bösen‹ im Neuen Testament, sondern ganz speziell um das Urteil ›böse‹ in den Texten. Das so erworbene Bild wird dann erst in einem zweiten Schritt nach systematischen Kategorien zusammengefasst. Diese lassen sich dann in einem dritten Schritt mit ähnlichen Phänomenen aus dem neutestamentlichen Umfeld vergleichen. Auf diese Weise wird deutlich, was die Texte des Neuen Testaments aus ihrer Umwelt übernommen, in welchem Rahmen sich die frühen Christen verortet und in welcher Weise sie neue Abgrenzungen vorgenommen haben. So werden Schlussfolgerungen zur zugrunde liegenden Motivation möglich. 2. Der neutestamentliche Textzusammenhang Im klassischen Griechisch umfasst die Bedeutungsbreite von ponēros ›schlecht‹ im Sinne von ›minderwertig‹, ›erbärmlich‹ (als sozial elend) und insbesondere von moralisch ›böse‹. Im frühjüdischen Kontext überwiegt in diesem Bedeutungsfeld die moralische Bedeutung. 7 Demgegenüber bezeichnet kakos (›schlecht‹, ›wertlos‹) keine positive Größe, sondern einen Mangel im Gegensatz zu dem Guten als Prinzip, und ist in der klassischen Literatur zur Behandlung der Frage nach dem Ursprung des Bösen von Bedeutung. 8 Im Neuen Testament verliert der Begriff an konzeptioneller Bedeutung. 9 In dem hier gegebenen Kontext wird, um die beiden Begriffe zu unterscheiden, kakos mit ›schlecht‹ und ponēros mit ›böse‹ wiedergegeben, wobei damit nicht ausgedrückt werden soll, dass sich ihre Bedeutung nicht überschneiden kann. 2.1 Unreflektiertes Übel Im Neuen Testament gibt es Texte, die ›böse‹ oder ›schlecht‹ unreflektiert für schmerzhafte Krankheiten, negative Ereignisse oder illegale Handlungen gebrauchen, so in fast dem gesamten lukanischen Geschichtswerk und der Offenbarung des Johannes. In diesem unreflektierten Gebrauch dienen die Begriffe ›böse‹, ›schlecht‹, ›schlimm‹ zunächst zur Beschreibung von Krankheit, Missgeschick und Tod (Geschwüre in Offb 16,2; die Leiden des armen Lazarus in seinem Leben in Lk 16,25, der [nicht durchgeführte] Selbstmord des Gefängniswärters in Apg 16,28, die [ausbleibenden] Folgen des Schlangenbisses des Paulus in Apg 28,5). Dass ›böse‹ keine absolute Kategorie ist, sondern das, was die jeweils Sprechenden ablehnen, zeigt sich in den lukanischen Seligpreisungen: »Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, wenn sie euch ausstoßen, beschimpfen und euren Namen als böse verwerfen wegen des Menschensohns« (Lk 6,22). Umgekehrt wird der Begriff in Apg 17,5 für die »bösen Männer« gebraucht, Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament Neues Testament aktuell Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 3 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 3 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament So gebraucht auch das Johannesevangelium die Begrifflichkeit im Zusammenhang eines Urteils von außen: In Jesu Gespräch mit Hannas: »Wenn ich schlecht geredet habe, dann beweise, dass es schlecht war; wenn aber richtig, was schlägst du mich? « (Joh 18,23) und dann in der Anklage der Juden, dass sie ihn nicht übergeben hätten, »wenn er nicht jemand wäre, der Böses tut« (Joh 18,30). 2.2 Lasterkataloge Im Zusammenhang von Listen von Lastern findet sich häufig der Gebrauch der Adjektive ohne tiefere Reflektion. In 1Kor 5,13 wird der Gemeindeausschluss für Geiz, Götzendienst, Gotteslästerung, Trunksucht und Raub bestimmt. Konkret geht es in 1Kor 5 um einen spezifischen Fall von Unzucht eines Mannes mit der Frau seines Vaters. Der Inzest reiht sich unter die anderen moralischen Vergehen ein, unter denen Vergehen gegen Gott, sich selbst und andere Menschen ungeordnet nebeneinander stehen. Die wahllose Liste zeigt, dass Paulus weniger eine umfassende Beschreibung von Problemen in der korinthischen Gemeinde gibt als einen Abriss von möglichen Verfehlungen, durch die sich die gottferne Welt kennzeichnet. In der Liste der Laster der gottlosen Welt vor der Rettung durch Christus in Röm 1,26-31 werden neben Unzucht, Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Neid, Mord, Niedertracht, Verleumdung und Frevel die Missetäter »Erfinder von Schlechtem« genannt (V.30). Es reiht sich so die Verleumdung unter die Liste der üblichen Vergehen. Auch 1Tim 6,5 gebraucht die Begrifflichkeit des Bösen im Zusammenhang von Verleumdungen. Den Irrlehrern werden »böse Verdächtigungen«, Verblendung, Unwissenheit, falsche Lehre, Neid, Zank, Lästerung und die Vermarktung von »Frömmigkeit« vorgeworfen. Der Autor mahnt, bei dem Dienst an der »Frömmigkeit« nicht Reichtum, sondern lediglich den Lebensunterhalt anzustreben (6,6-9). »Denn die Wurzel alles Schlechten ist die Geldgier« (6,10). In Mk 7,23 wird der Katalog von Lastern, die den Menschen von innen verunreinigen-- Unzucht, Gier, Hinterlist, Neid etc. und auch »schlechte Gedanken«, Mk 7,21f.-- zusammengefasst: Alle diese »bösen Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein.« die in Thessalonich einen gewaltbereiten Mob gegen Paulus und Silas organisieren. Das Böse als Zusammenfassung einer Anklage findet sich im Lukasevangelium in der Anklage des Täufers gegen Herodes »wegen alles Bösen, das Herodes getan hatte« (Lk 3,19). In gleicher Weise fragt Pilatus bei Jesu Prozess: »Was hat er denn Schlechtes getan? « (Mt 27,23, par. Mk 15,14; Lk 23,22; vgl. Joh 18,30). In der Apostelgeschichte ist dieser Gebrauch häufiger, aber ausschließlich im Zusammenhang von Anklagen gegen Paulus: aus dem Mund des Hananias für die Taten des Paulus gegen die Jerusalemer Gemeinde (Apg 9,13), für Anklagen gegen Paulus aus dem Mund des Statthalters in Korinth (Apg 18,14), aus dem Mund der Pharisäer in der Verhandlung vor dem Hohen Rat (»nichts Schlechtes« Apg 23,9), aus dem Mund des Paulus in seiner Verteidigungsrede (Apg 25,18) und in der Bestätigung durch die römische Gemeinde, dass ihnen über Paulus aus Judäa »nichts Böses« gemeldet wurde (Apg 28,21). Hier beschreiben die Begriffe Handlungen, die von den Sprechern als schädlich, unerlaubt oder illegal bezeichnet werden. »Dass ›böse‹ keine absolute Kategorie ist, sondern das, was die jeweils Sprechenden ablehnen, zeigt sich in den lukanischen Seligpreisungen: ›Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, wenn sie euch ausstoßen, beschimpfen und euren Namen als böse verwerfen wegen des Menschensohns‹ (Lk 6,22).« Prof. Dr. Jutta Leonhardt-Balzer, geb. 1971, studierte in Tübingen, Cambridge und Heidelberg ev. Theologie und promovierte in Cambridge zum Thema »Jewish Worship in Philo of Alexandria«. Zur Zeit ist sie Lecturer in New Testament an der University of Aberdeen und arbeitet an einem Buch zum Thema »Das Böse in dualistischer Weltwahrnehmung. Ein Vergleich dreier Konzeptionen (Qumran, Johanneische Schriften, Johannesapokryphon).« Weitere Informationen unter: http: / / www.abdn.ac.uk/ divinity/ staff/ details.php? id=j.leonhardt-balzer Jutta Leonhardt- Balzer Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 4 - 3. Korrektur 4 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Neues Testament aktuell Die Lasterkataloge machen keinen Unterschied zwischen dem ›Bösen‹, das in Taten, Worten oder Gedanken begangen wird. Die Listen sollen nicht vollständig sein, die einzelnen Laster sind die üblichen Vergehen gegen Gott, den Nächsten und das eigene Selbst, nur an der »falschen Lehre« zeigt sich die konkrete Ausrichtung der jeweiligen Schrift. In Verweisen auf konkrete Handlungen lässt sich deutlicher ablesen, was hinter der Beschreibung des ›Bösen‹ steht. 2.3 Reflektiertes ›Böses‹ 2.3.1 Böse Handlungen Oft gebraucht Paulus kakos wie in der klassischen Tradition im Kontext des Gegensatzes von guten und schlechten Werken. Der Wortgebrauch von kakos und ponēros bei Paulus unterscheidet sich dadurch, dass der letztere Begriff für alles, was grundsätzlich gottlos und gottfern ist, gebraucht wird, während ersterer sich konkret auf falsches, schlechtes und regelwidriges Verhalten bezieht. So betet Paulus in 2Kor 13,7 für die Gemeinde: »Wir bitten aber Gott, dass ihr nichts Schlechtes tut, nicht damit wir als tüchtig erscheinen, sondern damit ihr das Gute tut, wir aber wie die Untüchtigen seien.« In Röm 2,9 werden diejenigen, »die Schlechtes tun«, denen gegenübergestellt, die Gutes tun. Und in Röm 3,8 fragt Paulus im Zusammenhang der Rechtfertigung aus Glauben: »Ist es etwa, wie wir verleumdet werden und wie einige behaupten, wir sagten: ›Lasst uns Schlechtes tun, damit Gutes kommt‹? Deren Gericht ist gerecht.« Hier dienen ›gut‹ und ›schlecht‹ zur Bezeichnung und zum Kontrast von richtigem, regelgetreuen und falschem, regelwidrigen Verhalten. In gleicher Weise klagt Paulus auch über das Leben unter der Anklage des göttlichen Gesetzes: »Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Schlechte, das ich nicht will, das tue ich« (Röm 7,19). ›Gut‹ und ›schlecht‹ ruhen in all diesen Fällen für Paulus grundsätzlich in dem Urteil Gottes. Gutes und schlechtes Verhalten ist auch der Kontrast im Zusammenhang des Verhaltens gegenüber der Staatsmacht: »Vor den Herrschenden gibt es keine Furcht wegen guter, sondern wegen schlechter Werke; willst du aber die staatliche Gewalt nicht fürchten, dann tue Gutes, so wirst du von ihr Lob erhalten; denn sie ist Gottes Dienerin für dich zum Guten. Aber wenn du das Schlechte tust, fürchte dich! Denn sie trägt das Schwert nicht ohne Grund; denn sie ist Gottes Dienerin, die das Strafurteil vollstreckt an denen, die Schlechtes getan haben« (Röm 13,3f.). Dem Staat ist nur deswegen zu gehorchen, weil er Gottes Diener ist. 10 Deswegen fallen staatliche und göttliche Vorstellungen von Recht in diesem Fall zusammen. Im Hebräerbrief ist das Wissen um Gut und Böse das Kennzeichen des letzten Stadiums in dem Bild von dem Kind, das langsam von Milch zu fester Nahrung fortschreitet (Hebr 5,12-14): »Für die Vollkommenen ist aber die feste Speise, die, die durch Übung geübte Sinne haben zur Unterscheidung von gut und schlecht« (V.14). Hier geht es nicht nur um Wissen, sondern um die Wahl des Gotteswillens. Ein konkreter Fall der Schlechtigkeit ist es, wenn die Eintracht der Gemeinde dadurch gefährdet wird, dass einige Opferfleisch von heidnischen Opfern essen, weil sie nicht mehr an die heidnischen Götter glauben, obwohl es andere in der Gemeinde verunsichert und Anstoß erregt (Röm 14,20). Ein weiterer Fall sind in Phil 3,2 die, »die Schlechtes tun«. Sie werden »Hunde« genannt und mit denen identifiziert, die die Beschneidung lehren. In beiden Fällen werden die Einheit und der Zusammenhalt der Gemeinde bedroht. Die Bedrohung des Gemeindezusammenhalts liegt auch der Rede vom Bösen im Jakobusbrief zugrunde, so bei der unterschiedlichen Wertung von Gemeindemitgliedern aufgrund von Reichtum und Ansehen (Jak 2,1-7): »Unterscheidet ihr nicht unter euch und werdet Richter mit bösen Überlegungen? « (V.4). Auch die Bosheit falscher Selbstsicherheit (Jak 4,13-17) ist schädlich: »Nun aber rühmt ihr euch in eurem Übermut; all dieses Rühmen ist böse« (4,16). Auch die Zunge richtet Schaden an (Jak 3,1-12): »die Zunge kann kein Mensch zähmen, das wechselhafte Übel, voll von tödlichem Gift« (V.8). In gleicher Weise wirkt das Böse in den Johannesbriefen zersetzend auf die Gemeinde und die Mission. Von der widergöttlichen Aktivität der Irrlehrer soll man sich fern halten (2Joh 10): »Denn wer ihn grüßt, hat Anteil an seinen bösen Werken«. Den Hausherren der Hausgemeinden wird so untersagt, Irrlehrer in ihr Haus und damit in die Gemeinde zu lassen. Konkret wird in 3Joh 10 auch das Wirken des Diotrephes als »böse« charakterisiert, der sich weigert, die Missionare des Presbyters aufzunehmen (V.9): »Deswegen werde ich ihn, wenn ich komme, an die Werke, die er tut, erinnern, wenn er uns mit bösen Worten verleumdet und sich nicht damit begnügt, sondern er selbst nimmt die Brüder nicht auf und hindert die, die es wollen, und wirft sie aus der Gemeinde.« 2.3.2 Das Gottlose Grundlegendes Paradigma für Gottlosigkeit, das den Glaubenden als Lehre dienen soll, ist der Götzendienst Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 5 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 5 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament »Ein konkreter Fall der Schlechtigkeit ist es, wenn die Eintracht der Gemeinde dadurch gefährdet wird, dass einige Opferfleisch von heidnischen Opfern essen, weil sie nicht mehr an die heidnischen Götter glauben, obwohl es andere in der Gemeinde verunsichert und Anstoß erregt (Röm 14,20).« der Wüstengeneration beim Auszug aus Ägypten: »Dies ist als unser Vorbild geschehen, damit wir nicht das Schlechte begehren, wie jene es begehrt haben« (1Kor 10,6). Auch im Hebräerbrief findet sich die Rede von dem Bösen als Gottlosigkeit im Kontext der Wüstengeneration (Hebr 3,7-11): »Seht zu, Brüder, dass in keinem von euch ein böses Herz von Unglaube sei, das vom lebendigen Gott abfällt« (V.12). Das Böse charakterisiert zum einen die Gegenwart. In der Anrede des Galaterbriefes beschreibt Paulus das Werk Gottes und Christi, »der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat, dass er uns befreie aus dem gegenwärtigen bösen Äon nach dem Willen Gottes unseres Vaters« (Gal 1,4). Der gegenwärtige Äon bezieht sich auf die apokalyptische Einteilung von Zeit und Raum in unterschiedliche Bereiche. Der »böse Äon« definiert den Äon als gottfern, und Gottes Handeln besteht darin, die Glaubenden davor zu retten. Im Epheserbrief findet sich ein ähnlicher apokalyptischer Verweis auf die böse Gegenwart, wenn die Leser im Zusammenhang weisen Verhaltens aufgefordert werden: »Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse« (Eph 5,16). Der »böse Tag« wird auch in Eph 6,13 als Gegner erwähnt, gegen den die Waffenrüstung Gottes aufgenommen werden muss. Das Böse ist Gegner in der apokalyptischen Endschlacht. Das Böse charakterisiert auch die Zeit vor dem Eintritt in die Gemeinde: »Obwohl auch ihr einst fremd und feindselig gesinnt wart in bösen Werken, hat er euch nun durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt, damit ihr heilig, untadelig und makellos vor ihn tretet« (Kol 1,21). In gleicher Weise ermahnt der Autor die Leser in Hebr 10,22 nach dem Verweis auf das Opfer Christi als Hohepriester: »Lasst uns mit aufrichtigem Herzen hinzutreten in der Gewissheit des Glaubens, zur Reinigung besprengt an den Herzen los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser«. Das schlechte Gewissen ist hier als ›böse‹ gekennzeichnet, weil es die Gottlosigkeit des Menschen vor der Reinigung durch das Opfer Christi aufzeigt. Im Jakobusbrief wird definiert, dass Gott zum Schlechten unfähig ist (Jak 1,12-15): »Niemand, der versucht wird, sage, er sei von Gott versucht; denn Gott kann nicht zum Schlechten versucht werden, und er selbst versucht niemanden.« Mit einer ähnlichen Grundeinstellung rät auch der 3Joh: »Mein Lieber, ahme nicht das Schlechte nach, sondern das Gute. Wer Gutes tut, ist aus Gott; wer Böses tut, hat Gott nicht gesehen« (V.11). Das Böse als Handlungen beeinflussender Bereich spielt eine große Rolle in der Bergpredigt des Matthäusevangeliums. Das Böse ist der Bereich der Menschenwelt, die sich von der Reinheit Gottes unterscheidet. So heißt es in Mt 7,11: »Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben gebt, um wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.« Es gilt, sich von dem Bösen fernzuhalten und Gottes Reinheit nachzueifern. An den Taten ist erkennbar, ob man zu Gott gehört oder nicht: »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben von Dornen ernten, oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber ein verfaulter Baum bringt böse Früchte. Ein guter Baum kann keine bösen Früchte bringen, und ein verfaulter Baum kann keine guten Früchte bringen« (Mt 7,16-18). Dasselbe Bild vom Baum und seinen Früchten wird in Mt 12,33 gebraucht, hier mit dem abschließenden Ausruf: »Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, obwohl ihr böse seid? Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens, und ein böser Mensch bringt Böses hervor.« So lassen sich die wahren von den falschen Christen unterscheiden. In gleicher Weise nennt im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger der Herr den Knecht zum Schluss »böse«, weil dieser kein Erbarmen zeigt (Mt 18,32). Wer das Böse tut, ist vom Bösen. Deswegen darf man sich nicht daran beteiligen. Ein konkretes Zeichen des Bösen wird in den Seligpreisungen in übler Nachrede gesehen: »Selig seid ihr, wenn sie euch um meinetwillen beschimpfen und alles Böse gegen euch reden, wenn sie lügen« (Mt 5,11). Falsche Rede spielt auch eine Rolle in Mt 5,37: »Euer Wort sei: Ja, ja-- nein, nein; was darüber ist, ist vom Bösen«. Das Wort zeigt in besonderer Weise an, wie es um den Menschen bestellt ist: »Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein« (Mt 15,18). So sind nicht nur das Wort und die Tat, sondern auch die Gedanken zu beachten, und das Böse ist in allen Formen und unter allen Umständen zu meiden, denn schon ein erster Schritt befleckt den ganzen Menschen: »Das Auge ist das Licht des Körpers. Deswegen, wenn dein Auge klar ist, wird dein ganzer Körper hell Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 6 - 3. Korrektur 6 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Neues Testament aktuell sein. Wenn aber dein Auge böse ist, wird dein Körper finster sein. Daher, wenn das Licht in dir Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein? « (Mt 6,22f.; par Lk 11,34). Die Bedeutung des »bösen Auges« wird deutlich in Mt 20,15: wo es den Neid der ersten Arbeiter im Weinberg über die bessere Bezahlung der später eingestellten beschreibt. So ist das »böse Auge« ein Bild für Neid und Eifersucht. Der Vorwurf der Gottlosigkeit findet sich auch zu den geheimen Gedanken der Pharisäer und Schriftgelehrten, die Jesus Gotteslästerung unterstellen, als er dem Gelähmten seine Sünden vergibt (Mt 9,2-8). Diese Gedanken, die das Werk Gottes kritisieren, werden von Jesus böse genannt: »Warum denkt ihr Böses in euren Herzen? « (9,4). Die Pharisäer und Schriftgelehrten werden auch in Mt 12,39 zu der bösen Welt gerechnet, da sie Gottes Plan in Frage stellen: »Ein böses und treuloses Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jona.« So werden die Gegner Jesu und der Gemeinde »böse« genannt. Das Johannesevangelium markiert die gottlose Welt insgesamt als böse: »Das aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse« (Joh 3,19). Eindeutig ist der Unglaube, die Ablehnung des Zeugnisses Jesu als böse markiert. 2.3.3 Das Böse als Macht Im Anschluss an die Mahnung zum Vergeltungsverzicht in 1Thess 5,13 fordert Paulus zum Gebet, zur Förderung des Geistes und Achtung der prophetischen Rede auf (5,17-20) und schließt diesen Teil der Ermahnung: »Prüft aber alles, das Gute behaltet, haltet euch fern von dem Bösen in jeder Gestalt« (5,21f.). Der Kontext der Geistwirkungen durch Gebet und Prophetie zeigt, dass Paulus auch an das Böse als widergöttliche Macht denkt. Auf diese Weise erfolgt auch eine inhaltliche Bestimmung des Bösen als das, was Gott widersteht, und so führt Paulus unmittelbar im Anschluss eine Bitte um die Heiligung und Bewahrung der Gemeinde an (V.23), die mit der Betonung endet, dass Gott treu ist und diese Bitte erfüllen wird (V.24). Das Böse wird hier als Macht gesehen, die sich in menschlichen Handlungen manifestiert. Das lässt sich noch deutlicher an der Aufnahme dieser Verse in 2Thess erkennen: Hier bittet der Autor darum, »dass wir erlöst werden, von falschen und bösen Menschen. Aber der Herr ist treu, der euch stärkt und vor dem Bösen bewahrt« (3,2-3). In Röm 16,19-20 wird diese Macht personifiziert. Die ethischen Ermahnungen werden mit einer Warnung vor dem Bösen als Tat und dem Ausdruck von Zuversicht bezüglich der Bewahrung vor dem Satan abgeschlossen: »Euer Gehorsam ist bei allen bekannt, deshalb freue ich mich über euch; ich will, dass ihr weise seid zum Guten, aber unzugänglich für das Schlechte. Aber der Gott des Friedens wird bald den Satan unter eure Füße zertreten.« Hier wird das moralisch schlechte Verhalten ausdrücklich mit dem Einfluss des Satans verbunden, den Paulus als bald von Gott überwunden sieht. Im ersten Johannesbrief wird der Begriff durchgehend für »den Bösen« gebraucht, so werden die jungen Männer gelobt: »Ich schreibe euch, junge Männer, weil ihr den Bösen besiegt habt […] Ich habe euch, junge Männer, geschrieben, weil ihr stark seid und das Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen besiegt habt« (2,13.14). Auch wenn hier das Böse personifiziert ist, ist weiterhin der Aspekt der Gottlosigkeit vorherrschend. Durch die Aufnahme des Gotteswortes ist der Einfluss des Bösen gebrochen. Das zeigt sich in der Bruderliebe, zu der Kain als Brudermörder das Gegenbeispiel ist: »Denn das ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, dass wir einander lieben sollen, nicht wie Kain, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder umbrachte; und warum hat er ihn umgebracht? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht« (1Joh 3,11-12). In klassischer Form wird hier der Zusammenhang von menschlichem Handeln und satanischem Einfluss formuliert. In gleicher Weise heißt es gegen Ende des Traktats in 1Joh 5,18-19: »Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt; sondern wer aus Gott geboren ist, den bewahrt er, und der Böse rührt ihn nicht an. Wir wissen, dass wir aus Gott sind und die ganze Welt im Bösen liegt.« Hier wird der Gegensatz zwischen der Welt als dem Bereich des Satans und den Glaubenden als dem Bereich Gottes aufgestellt. Diese böse Welt wird im hohepriesterlichen Gebet Jesu mit dem Einfluss des personifizierten Bösen in Verbindung gebracht: »Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen« (Joh 17,15). Hier wird darum gebeten, was in 1Joh 5,18-19 als Erwartung ausgedrückt wird, dass Gott die Seinen vor den Übergriffen des Bösen schützt. So findet sich in den johanneischen Schriften ein zusammenhängendes Konzept des Bösen als Macht, die menschliche Handlungen beeinflussen und Menschen zur Leugnung Christi bewegen kann, vor der jedoch Gott die Glaubenden schützt. Personifiziert als Satan findet sich der Böse auch bei Matthäus, so wird im matthäischen Vaterunser gebeten: »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen« (Mt 6,13). Während im Vater- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 7 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 7 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament unser nicht ganz eindeutig ist, ob das Böse als personifizierte Macht gedacht wird, besteht in der Deutung des Gleichnisses vom Sämann kein Zweifel daran: »Bei jedem, der das Wort von dem Reich hört und nicht versteht, kommt der Böse und nimmt weg, was in sein Herz gesät ist, das ist der, bei dem auf den Weg gesät ist.« (Mt 13,19). In gleicher Weise findet sich die Personifikation des Bösen in der Deutung des Gleichnisses vom Unkraut in Mt 13,38-39: »Der Acker ist die Welt, der gute Same, das sind die Kinder des Reiches; das Unkraut sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel.« In beiden Gleichnissen handelt der Teufel, indem er bei denen, bei denen er Halt findet, den guten Einfluss des Wortes zunichte macht. 2.3.4 Umgang mit dem Bösen: Vergeltungsverzicht und Feindesliebe Im frühesten Paulusbrief findet sich in den ethischen Ermahnungen ein Ruf, Frieden zu halten (1Thess 5,13), indem in aller Geduld die Unordentlichen gerügt, die Niedergeschlagenen ermutigt und die Schwachen gestärkt werden (5,14). Die Ermahnungen werden zusammengefasst mit: »Seht zu, dass niemand Schlechtes mit Schlechtem vergelte, sondern verfolgt das Gute untereinander und gegen alle« (5,15). Im gleichen Sinn wird der Begriff ›böse‹ in Röm 12,9 gebraucht, wenn Paulus die Gemeinde auffordert, in ihrer Liebe ohne Heuchelei zu sein: »verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! « Der Gegensatz von Gut und Böse definiert auch hier die Grenze von Gemeinde und Außenwelt und zeigt sich an der aufrichtigen Liebe, Wertschätzung und Hilfsbereitschaft untereinander (12,10-16). Die konkreten Ermahnungen zur Einheit unter dem Thema der Feindesliebe werden mit ähnlichen Worten wie im 1Thess 5,15 fortgeführt: »Vergeltet niemandem Schlechtes mit Schlechtem, seid gegenüber allen Menschen auf Gutes bedacht« (Röm 12,17). Auf diese allgemeine Einleitung folgen verschiedene Aufforderungen, Frieden zu halten, auf Rache zu verzichten und Hilfe für den Feind zu leisten (12,18-20), sie enden mit dem Ruf: »Lass dich nicht von dem Schlechten besiegen, sondern besiege das Schlechte mit Gutem«. Die Gemeinde wird aufgefordert, gegenüber den Anfeindungen von außen nicht zu vergelten, sondern durch wohlwollende Handlungen und Worte Frieden zu schaffen. 11 Durch die in ihr praktizierte Liebe, auch den Feinden gegenüber, unterscheidet sich die Gemeinde von der Welt und beweist, dass sie gut, gottgefällig ist. In Röm 13,10 wird der Paragraph zur Nächstenliebe (13,8-10) zusammengefasst und dieses Verständnis der Liebe noch einmal betont: »Die Liebe tut dem Nächsten nichts Schlechtes. Deshalb ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.« Im Hohelied der Liebe in 1Kor 13 heißt es dementsprechend auch: »Sie [sc. die Liebe] rechnet das Schlechte nicht zu« (1Kor 13,5). Der Vergeltungsverzicht ist in der Logienquelle mit dem Gebot der Feindesliebe verbunden (Lk 6,27f.; Mt 5,44), 12 das Matthäus und Lukas mit der Begrifflichkeit des ›Bösen‹ kommentieren: »Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes, und leiht ohne etwas zurück zu erhoffen; so wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein, denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen« (Lk 6,35). Lukas charakterisiert die Ablehnung der Zuwendung der Gemeinde als ›böse‹. Auch Matthäus gebraucht diese Begrifflichkeit, um die Feindesliebe zu erläutern. »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, stellt euch nicht gegen das Böse, sondern wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem drehe auch die andere zu« (Mt 5,38f.). Die Frage, was genau verboten wird, ist unterschiedlich beantwortet worden, mal als Widerstand im Allgemeinen, dann als bewaffneter, gewaltsamer Aufstand oder als Aussage vor Gericht. Die Antwort darauf bestimmt, ob »das Böse« juridisch als Vergehen gegen das Gesetz, als politische oder als spirituelle Macht gedacht wird und hängt von der jeweiligen Vorstellung des sozialen Hintergrunds des Matthäusevangeliums ab. 13 Die bisher dargelegte Bedeutungsbreite, der Zusammenhang von Geisterwirken und ethischem Handeln, der Hintergrund in Dtn 19,15-21 und der matthäische Kontext lassen die erste und letzte Bedeutung gleichzeitig zu. Die Aufforderung zum Verzicht auf Vergeltung findet sich auch in 1Petr 3,9-12: »Vergeltet nicht Schlechtes mit Schlechtem oder Kränkung mit Kränkung; dagegen segnet, denn ihr seid dazu berufen, dass ihr Segen ererbt. Denn wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, hüte seine Zunge vor Schlechtem und seine Lippen, dass sie nicht Trug reden, er wende sich ab vom Schlechten und tue das Gute, er suche Frieden und jage ihm nach; denn die Augen des Herrn sind über den Gerechten und seine Ohren bei ihren Bitten, aber das Antlitz des Herrn ist gegen die, die Schlechtes tun«. Auch hier resultiert der Racheverzicht aus der Zugehörigkeit zu Gott. Die Christen sind zum Segnen berufen, ihr Erbe, ihr Wesen ist der Segen. Daher würde ein Abweichen vom Frieden zum Verlust der Gottesbeziehung führen. In 1Petr wird stärker betont, dass das christliche Leiden gänzlich unschuldig sein muss. 14 Vergeltungsverzicht ist somit Ausdruck des neuen Lebens des Gottesvolks, das nicht mehr an den Mitteln des alten Äons Teil hat. Er bezeugt, dass sich Vergel- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 8 - 3. Korrektur 8 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Neues Testament aktuell tung nicht lohnt, hofft, dass ein solches Verhalten die Lage ändert, indem das Opfer die Aktion bestimmt, und vertraut auf die eschatologische Durchsetzung der Liebe Gottes, indem schon jetzt das Handeln danach ausgerichtet und die Vergeltung Gott überlassen wird. 15 2.3.5 Trennung von dem Bösen: Gericht Grundsätzlich ruht die neutestamentliche Vorstellung von der Überwindung des Bösen auf apokalyptischem Boden und der Erwartung des Gerichts. Die Weigerung, selbst zu vergelten, bedeutet aber nicht, dass das Böse geduldet wird. So weist Paulus in 1Kor 5,13 die Korinther an, keine Gemeinschaft mit einem »Bruder« zu haben, der sich als geizig erweist, heidnische Götter anbetet, Gott lästert, trinkt oder raubt. Paulus verbietet mit solchen Menschen die Tischgemeinschaft (1Kor 5,11). Effektiv weist er so den Gemeindeausschluss an: »Denn was soll ich die draußen richten? Richtet ihr nicht die drinnen? Die draußen richtet aber Gott. Schafft den Bösen aus eurer Mitte! « (5,12-13). Der »Böse« zeigt durch sein Verhalten, dass er nicht Teil der Gemeinde Gottes ist, dass die Treue zur Gemeinde nur Lippenbekenntnis ist. Um des Opfers Christi willen muss der Leib Christi von solchen schädlichen Einflüssen gereinigt werden. In Eph 6,13 ist der »böse Tag« der Gegner, gegen den die Waffenrüstung Gottes aufgenommen werden muss. In Eph 6,12 ist dieser Gegner genauer beschrieben: »Denn wir haben nicht gegen Fleisch und Blut zu kämpfen sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Beherrscher der Welt, dieser Finsternis, gegen die Geister der Bosheit unter dem Himmel«. In noch stärkerem Ausmaß als bei Paulus ist der Gegner eine personifizierte Macht. Als personifizierte Gottlosigkeit ist es selbstverständlich, dass der »Schild des Glaubens« (Eph 6,16) davor schützt. Die kriegerische Metaphorik soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich nicht um eine aggressive Auseinandersetzung handelt, sondern dass all die Waffen gegen den bösen Tag friedlicher Natur sind: die Wahrheit der Friedensbotschaft, Glaube, Heil, der Geist im Wort Gottes und Gebet (Eph 6,13-20). In 2Tim wird die Vergeltung von Schandtaten im Gericht Gottes erwartet. So heißt es: »Alexander, der Schmied, hat mir viel Schlechtes angetan; der Herr wird ihm nach seinen Werken vergelten« (2Tim 4,14), und am Ende der Liste der Leiden folgt die Erwartung: »Der Herr wird mich erlösen von allen bösen Werken und retten in sein himmlisches Reich« (2Tim 4,18). Das Schicksal der Bösen wird in Mt 13,49f., der Auslegung des Gleichnisses vom Fischnetz, dargelegt: »So wird es auch am Ende des Äons sein: die Engel werden ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Guten entfernen, und sie werden sie in den Feuerofen werfen; dort wird Heulen und Zähneklappern sein.« Am Ende der Zeit wird Gott Gut und Böse voneinander trennen und das Böse, Gottlose endgültig vernichten. 3. Konzeptionelle Kontexte Somit finden sich im Neuen Testament unreflektierte Verweise auf das Böse als negatives Ereignis oder als wie auch immer gearteten Rechtsbruch (Mt 27,23, par Mk 15,14; Lk 23,22; vgl. Joh 18,30; Lk 3,19; 16,25; Apg 9,13; 16,28; 17,5; 18,14; 23,9; 25,18; 28,5.21; Joh 18,30). Zunächst kann dies das politische Recht sein, doch im Kontext des Judentums ist es auch die Torah, das Gottesrecht oder weiter gefasst die frühchristlichen ethischen Vorstellungen. Was ›böse‹ ist, bestimmt der jeweilige Sprecher. In den frühchristlichen Texten wird jedoch die Verortung innerhalb des Gottesrechts bestimmend für die ethische Definition. Sowohl das Gute als auch das Böse wird durch die Gegenüberstellung beider definiert: Ziel des christlichen Lernens ist die Fähigkeit der Unterscheidung von gut und schlecht (Hebr 5,12-14). Es geht darum, das eine zu suchen, das andere zu verabscheuen (Röm 12,9), sich nicht vom Schlechten besiegen zu lassen (Röm 12,17-20). Der Gegensatz zum Schlechten ist die Liebe (Röm 13,8-10; 1Kor 13,5), die das Böse nicht zurechnet. Gute stehen gegenüber schlechten Werken, so im Verhalten innerhalb der Gemeinde (2Kor 13,7; Röm 2,9; 3,8) wie dem Staat gegenüber (Röm 13, 3f.). Konkret umfasst das ›Böse‹ Götzendienst (1Kor 10,6; Röm 14,20; Hebr 3,7-11) oder als gottlos empfundene Lehre: bei Paulus das Lehren der Beschneidung von Heidenchristen (Phil 3,2), in den Johannesbriefen das falsche Christusbekenntnis (2Joh 10) und verbunden damit das Hindern der Ausbreitung des wahren Bekenntnisses (3Joh 10), bei Matthäus Zweifel an Jesus (Mt 9,2-8; 12,39). Die so beschriebenen Handlungen verorten den Täter außerhalb der Gemeinde. Listen von »Grundsätzlich ruht die neutestamentliche Vorstellung von der Überwindung des Bösen auf apokalyptischem Boden und der Erwartung des Gerichts. Die Weigerung, selbst zu vergelten, bedeutet aber nicht, dass das Böse geduldet wird.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 9 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 9 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament weiteren Vergehen, die das gottlose Verhalten charakterisieren (Röm 1,26-31; Mk 7,21f.), enthalten Vergehen gegen andere, wie Neid (Mt 20,15), Gier, Habsucht und Mord (1Joh 3,11f.), allgemeines unmoralisches Verhalten wie Trunksucht oder Unzucht und Blasphemie als Vergehen gegen Gott. Die Vergehen erfolgen nicht nur als Tat, sondern insbesondere durch Verleumdungen (Röm 1,30; 1Tim 6,4f.; Jak 3,1- 12; Mt 5,11.37; 15,18) und sogar durch »böse Gedanken« (Mk 7,21f.) und hochmütige Haltung (Jak 4,13-17). Bei Paulus und den Paulusschülern findet sich eine begriffliche Differenzierung von grundlegender Bosheit (ponēros: 2Tim 4,18) und schlechten Taten (kakos: Röm 3,8; 7,19; 2Tim 4,14), die sich in den anderen Schriften nicht findet. An den Taten lassen sich die falschen Gemeindemitglieder und alle Außenseiter erkennen (Mt 7,16-18; 12,33). Somit sind böse Handlungen nicht nur konkrete Vergehen gegen die Gebote Gottes, sondern Haltung und Handlungen, die das Zusammenleben von Menschen behindern und sich deswegen besonders schädlich innerhalb der Gemeinde Gottes auswirken. Die Beschreibung als ›böse‹ verortet diese Handlungen außerhalb der Gemeinde. Die soziologische Trennung von Gemeinde und Außenwelt wird durch die kosmische Kategorie des Bösen rationalisiert. Der Gegensatz von Gut und Böse ist kein rein ethischer, sondern markiert auch einen kosmischen Kontrast. Das kosmische Böse als gottferne Macht wird apokalyptisch als böser Äon gedacht (Gal 1,4; Eph 5,16; 6,12f.16). Menschen gehören ohne das Wirken Gottes grundsätzlich diesem Bereich an (Mt 7,11). Am Ende des Äons erfolgt ein Gericht über alles Böse und Gottlose, das mit der Trennung von Gut und Böse und der Vernichtung des Letzteren endet (Mt 13,49f.). In diesem Leben besteht der Gegensatz zwischen Gottes Geist und dem zu meidenden Bösen (1Thess 5,21f.; Joh 3,19). Gott hat mit dem Bösen nichts zu tun und führt nicht in Versuchung (Jak 1,12-15), er beschützt vor dem Bösen (Mt 6,13; Joh 17,15; 1Joh 5,18f.). Das Böse ist ein Machtbereich (2Thess 2,2f.), hinter dem ›der Böse‹, der Satan, steckt (1Joh 2,13.14; Mt 13,19.38f.), der die Menschen bedroht (1Joh 5,18f.), und dem man sich durch böse Taten zugehörig zeigt (Röm 16,19f.). Daher hat man die, die böse Taten zeigen, aus der Gemeinde auszuschließen (1Kor 5,12f.). Von dem Bösen soll man sich fern halten (Röm 12,9; Mt 6,22f. par Lk 11,34; Mt 5,38f.). Das Meiden des Bösen ist so fundamental, dass man selbst wenn einem Schlechtes angetan wird, nicht Gleiches mit Gleichem vergilt (Röm 12,17-20; 1Petr 3,9-12; Lk 6,27-35). Der Verzicht auf Vergeltung basiert nicht nur auf dem Vertrauen auf das Gericht Gottes, sondern auf der positiven Definition der Gemeinde als derer, die zu Gott gehören und daher nicht das Böse tun. Selbst wenn es legal ist, bedeutet Vergeltung, Gewalt zu gebrauchen, dem Bösen nachzugeben, ihm zu unterliegen. Die Weigerung, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, ist keine Kapitulation vor der Macht des Bösen, sondern die aktive Wahl der Position, dass der Zweck niemals die Mittel heiligt. Somit ist die neutestamentliche Vorstellung von dem ›Bösen‹ eine Mischung von kosmischen, ethischen und moralischen Elementen, deren traditionsgeschichtlicher Hintergrund vielfältig ist. 4. Traditionsgeschichtliche Kontexte Der Kontrast von Gut und Böse ist ein Konzept, das sich durch das gesamte Alte Testament zieht, so schon im Zusammenhang des Baums im Garten Eden, der das »Wissen um Gut und Böse« gibt (Gen 1,9). In der Weisheitsliteratur wird die Weisheit selbst zum Baum des Lebens, da sie das Wissen um Gut und Böse vermittelt (Spr 3,18). Der Gegensatz von Gut und Böse spielt in der Weisheitsliteratur eine wichtige Rolle zur Beschreibung der grundlegenden Struktur der Schöpfung (Spr 15,3; Sir 11,14; 18,8). Die Struktur von Gut und Böse spielt eine große Rolle im Zusammenhang der Torah in Dtn 30,15-20: »Siehe, heute habe ich vor dein Angesicht Leben und Tod gegeben, das Gute und das Böse. Wenn du auf die Gebote des Herrn deines Gottes hörst, die ich dir heute geboten habe, zu lieben den Herrn deinen Gott, zu wandeln auf allen seinen Wegen, seine Regeln zu befolgen und seine Urteilssprüche, dann werdet ihr leben und viele werden, und der Herr dein Gott wird dich segnen auf der ganzen Erde, in die du reisen wirst, sie zu erben. Wenn aber dein Herz abtrünnig wird und du nicht mehr gehorchst, verleugnest, dich vor fremden Göttern niederwirfst und ihnen dienst, so kündige ich dir heute an, dass ihr gewisslich verderben werdet, ihr werdet kein langes Leben haben in dem Land, das der Herr dein Gott dir gegeben hat […]. Ich rufe heute den Himmel und die Erde als Zeugen gegen euch, dass ich euch das Leben und den Tod vor Augen geführt habe, den Segen und den Fluch; wähle das Leben, damit du lebst und dein Same.« »Sowohl das Gute als auch das Böse wird durch die Gegenüberstellung beider definiert: Ziel des christlichen Lernens ist die Fähigkeit der Unterscheidung von gut und schlecht. (Hebr 5,12-14)« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 10 - 3. Korrektur 10 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Neues Testament aktuell In gleicher Weise mahnt der Prophet Amos: »Sucht das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr lebt, und so wird der Herr, der Gott Zebaoth bei euch sein, wir ihr es sagt. Hasst das Böse und liebt das Gute, richtet das Recht auf im Tor« (Am 5,14f.). Gut und Böse sind durch die Torah definiert. 16 Gott hat durch seine Regeln das Wissen um Gut und Böse seinem Volk gegeben (vgl. Hebr 5,12-14). Der Gegensatz dient zur Beschreibung von Recht und Unrecht, gelungenem und verspieltem, gottgefälligem und gottlosem Leben. 17 Das Wissen um Gut und Böse definiert das Gottesvolk. Gott stellt den Menschen vor die Wahl zwischen richtig und falsch, und diese Wahl bestimmt seine Zukunft. Insbesondere ist daher die Weigerung, die Torah zu befolgen und Gottes Willen zu tun, mit Götzendienst verbunden (Dtn 30). So stehen Gut und Böse für die Alternative von Gott und Gottlosigkeit, Leben und Tod. Die Weisheit bietet nicht nur einen Hintergrund für den Gegensatz von Gut und Böse, sie stellt auch einen Hintergrund zu dem Verzicht auf Rache dar: So ist es sinnvoll, Konflikte nicht eskalieren zu lassen, indem man auf seinem Recht beharrt (Spr 10,12; 12,16; 17,9; 19,11), und es ist besser, Gott die Vergeltung zu überlassen als sie selbst in die Hand zu nehmen (Spr 20,22; 24,17f.28f.; Weish 27,30-28,7), und sogar die paulinische Rede von den glühenden Kohlen, die man auf das Haupt des Feindes häuft (Röm 12,17-21), indem man ihm Gutes tut, findet sich in Spr 25,21f. 18 Doch gründet diese Güte meist in der zivilisierten Lebenseinstellung, dem Gedanken eines späteren Vorteils oder der Nachahmung der Güte Gottes, so auch im Aristeasbrief (225.227) und bei Philo von Alexandrien, Vertretern einer Ethik der Oberschicht. 19 Vor dem Hintergrund apokalyptischer dualistischer Vorstellungen von Mächten und Gewalten verändert sich die Motivation für den Vergeltungsverzicht. Die neutestamentliche Weigerung, Vergeltung zu üben, wurzelt nicht in einer weisheitlichen Kosten-Nutzen Abwägung, sondern in der apokalyptisch beeinflussten Vorstellung, durch Tun des Bösen selbst am Bösen teilzuhaben. Im Testament Benjamins findet sich die Vorstellung, dass böse Geister vor dem fliehen, der Gutes tut (TBenj. 5,2). 20 Auf ähnlichen Vorstellungen aufbauend verzichtet die neutestamentliche Haltung nicht passiv auf ihr Recht, sondern nimmt aktiv die Gegenhaltung zu dem erlittenen Unrecht ein. Diese Überzeugung basiert auf der Vorstellung, dass jede Tat im Einfluss von geistigen Wesen gründet, guter (Gottes Geist) und böser (Satan und Dämonen). Eine mit der weisheitlichen Tradition von Gut und Böse gepaarte apokalyptische Tradition ist die der Zweigeisterlehre (1QS 3,13-4,26) 21 : Gott schafft den Menschen, gibt ihm zwei Geister, in denen er wandeln soll, einen des Lichts und der Wahrheit und einen der Finsternis und des Frevels. Die Menschen werden jeweils von dem einen oder dem anderen Geist beherrscht, wobei der »Engel der Finsternis« auch die Vergehen der »Söhne des Lichts« verursacht (1QS 3,20-21). Es folgen ein ausführlicher Tugend- und Lasterkatalog, letzterer enthält u. a. »Gier, […] Bosheit und Lüge, […] große Gottlosigkeit, […] Greueltaten im Geist der Hurerei, […] Lästerzunge«, die alle keinen Bestand haben (1QS 4,9-11). Der Konflikt der beiden Engel in den Menschen ist von Gott bis zum Zeitpunkt der »Heimsuchung« (z. B. 1QS 4,19) bestimmt, und bis dahin besteht der gegenseitige Hass der beiden Menschengruppen (1QS 4,24-25). Dann wird Gott seinen reinigenden Geist über die Seinen ausgießen, sie von allem bösen Einfluss reinigen und damit das Böse dem Nichts übergeben (1QS 4,18-23). Die gottgegebene Aufgabe und Fähigkeit des Menschen ist, wie in Dtn 30,15-20, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können (1QS 4,26). So finden wir hier einen Lasterkatalog, die Vorstellung von dem bösen Verhalten als gottlos und frevelhaft, beeinflusst durch eine böse Macht und einen andauernden Konflikt zwischen Gut und Böse. In Qumran gibt es noch eine andere Ausgestaltung dieses Konflikts in Form eines eschatologischen Krieges zwischen den Söhnen des Lichts unter der Führung des Engels Michael und den Söhnen der Finsternis unter der Führung Belials in der Kriegsregel (1QM). 22 Ausführlich werden die Chronologie, Bewaffnung und Schlachten bis zum endgültigen Sieg der Mächte des Lichts durch die Hilfe Gottes beschrieben. Hier sind Menschen Teil des kosmischen Krieges zweier entgegengesetzter Mächte. Im Gegensatz dazu sieht das Neue Testament den Kampf gegen diese bösen Mächte nicht nur durch die Seite bestimmt, auf der man steht, sondern auch durch die Art, in der man kämpft. Durch Tun des Bösen, auch in der Meinung, im Recht zu sein, gibt sich der Mensch in die Hand der falschen Mächte. »Die neutestamentliche Weigerung, Vergeltung zu üben, wurzelt nicht in einer weisheitlichen Kosten- Nutzen Abwägung, sondern in der apokalyptisch beeinflussten Vorstellung, durch Tun des Bösen selbst am Bösen teilzuhaben.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 11 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 11 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament 5. Historische Kontexte So zeigt sich, dass die neutestamentlichen Schriften in allen Details ihrer Vorstellung von dem Bösen auf traditionellem Boden stehen. Sie verarbeiten eine Mischung weisheitlicher und apokalyptischer Motive, die sich alle aus dem Judentum herleiten lassen. Die ethischen Konzeptionen sind durchweg konventionell und beruhen auf einer Übertragung der Gottesvolksvorstellung auf die Gemeinde. Das ›Böse‹ kennzeichnet den Bereich außerhalb der Wertvorstellungen der Gemeinde. Der grundlegende Unterschied zum frühjüdischen Umfeld ist die Verschmelzung der verschiedenen Traditionen, insbesondere der Feindesliebe und der apokalyptischen Vorstellung von Mächten und Äonen. Durch diese Verschmelzung erhält die Feindesliebe eine grundlegend andere Motivation: Es geht nicht mehr um ein Eigeninteresse, sondern es geht darum, in Wort und Tat mit dem Gottesreich übereinzustimmen. Diese Motivation findet sich bei Paulus, einem Diasporajuden aus Tarsus, dessen Briefe Mitte des 1. Jh. n. Chr. geschrieben worden sind, in der Logienquelle Q, die Mitte des 1. Jh. n. Chr. im Norden Palästinas zusammengestellt worden ist, und im ersten Petrusbrief, der auf kleinasiatische, hellenistisch geprägte Gemeinden Ende des 1. Jh. n. Chr. zurückgeht. 23 Alle drei Traditionen haben einen deutlich unterschiedlichen sozialen Hintergrund. Alle drei neutestamentlichen Vertreter gehören nicht der Oberschicht an (im Gegensatz zu z. B. Philo und Aristeas mit ihrem Vergeltungsverzicht). Alle drei Traditionen haben Erfahrungen mit Verfolgung. Wenn sie alle Feindesliebe predigen und Vergeltung verbieten, lässt das darauf schließen, dass es sich hier um eine grundlegende sehr frühe christliche Tradition handelt. Auf die Frage, wo diese Tradition ihren Ursprung hat, ist behauptet worden, dass die Feindesliebe durch Jesus in das Christentum eingetreten sein muss. 24 Im Blick auf die weisheitlichen Parallelen hat sie sicher nicht ihren Ursprung in Jesus, jedoch ist ihre Motivation eine Neuerung gegenüber den Traditionen, die auf Jesus zurückgehen kann. Es gibt nichts in dem, was wir von der Lehre Jesu als apokalyptischer Weisheitslehre wissen, das dieser Schlussfolgerung widerspricht. 25 Bei der großen Bedeutung, die der Vergeltungsverzicht und die Feindesliebe im frühen Christentum haben, könnte es sich dabei jedoch auch um eine grundlegende Reaktion auf seinen Tod handeln, in der sich die Weigerung der Bekämpfung des Bösen mit gewaltsamen Mitteln in besonderer Weise verwirklicht. Gerade in Verfolgungssituationen dient diese Haltung dazu, Kraft zu geben. In einer Lage, in der die Gemeinde machtlos ist, sich der Aggression zu widersetzen, wird die Verweigerung der Aggression eine Handlungsoption, die die nicht zu ändernde Realität der eigenen Machtlosigkeit umdeutet. 6. Emotionale Kontexte Das Böse als Beschreibung dessen, was abgelehnt wird, löst Emotionen aus. Es fällt jedoch auf, dass die neutestamentlichen Texte selten Leidenschaften im Zusammenhang der Rede vom Bösen entwickeln, was dem Grundsatz entspricht, dass das Böse auf Tat-, Wort- und Werkebene wirkt und deswegen selbst in Worten und Gedanken zu meiden ist. Die Tat wird abgelehnt, aber der Mensch selten beschimpft, lediglich Paulus nennt die Lehrer der Beschneidung in Phil 3,2 »Hunde«, was die emotionale Beteiligung an dem Konflikt mit diesen ›Irrlehrern‹ aufzeigt, gegen die er auch im Galaterbrief emotional argumentiert, aber nie das Wort »böse« verwendet. Auch in Mt 12,33 werden die Gegner als »Schlangenbrut« beschimpft. Es fällt auf, dass sich diese Ausbrüche gerade bei den beiden Hauptvertretern der Feindesliebe und des Vergeltungsverzichts finden. Es scheint sich bei diesen Emotionen jedoch eher um Konflikte innerhalb der Gemeinde (oder mit ihr sehr Nahestehenden) zu handeln. In Am 5,14f. und vielen frühjüdischen Texten wird von Gottes Hass auf das Böse und seiner Liebe des Guten geredet. Das drückt keine emotionale Beteiligung, sondern eine grundlegende Ablehnung und Unvereinbarkeit aus, das vollzogene Gericht Gottes. 26 Im Neuen Testament finden sich solche Begriffe im Zusammenhang der Terminologie des Bösen nicht, eher heißt es umgekehrt, dass das Böse die Gemeinde hasst. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Böse geduldet wird. So empfiehlt Paulus unzweideutig in 1Kor 5 den Gemeindeausschluss für Inzest, da er die frühjüdische Grundüberzeugung teilt, dass man anhand der Werke die Zugehörigkeit des Menschen zu Licht und Finsternis, Gut und Böse unterscheiden kann. Die Gemeinde ist der Raum, der unbedingt von dem Bösen frei gehalten werden muss. Indem etwas oder jemand als ›böse‹ charakteri- »Bei der großen Bedeutung, die der Vergeltungsverzicht und die Feindesliebe im frühen Christentum haben, könnte es sich dabei jedoch auch um eine grundlegende Reaktion auf seinen Tod handeln, in der sich die Weigerung der Bekämpfung des Bösen mit gewaltsamen Mitteln in besonderer Weise verwirklicht.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 12 - 3. Korrektur 12 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Neues Testament aktuell siert wird, wird die Möglichkeit der innergemeindlichen Disziplinierung ausgeschlossen und der so Bezeichnete der Umwelt zugeordnet. Die Texte, die das Leben vor der Bekehrung als ›böse‹ bezeichnen, lassen jedoch die Möglichkeit einer Umkehr und Wiederaufnahme in die Gemeinde offen. 7. Das Böse im Neuen Testament Somit zeigt sich, dass die grundlegenden Vorstellungen von dem Bösen im Neuen Testament sich nicht von dem frühjüdischen Umfeld unterscheiden: Weder das Verhalten, das verurteilt wird, noch die Vorstellung des Bösen als Machtbereich sind neu. Die Werte, die dem zugrunde liegen, stammen aus dem frühen Judentum, die Anwendung ist jedoch gänzlich von deren Auslegung durch die frühchristliche Erfahrung geprägt. Es wird mit dem Bösen anders umgegangen. Die Auseinandersetzung mit ihm geschieht nicht durch aggressive Mittel, meist nicht einmal durch aggressive Rhetorik, sondern durch die Anwendung grundsätzlich entgegengesetzter Verhaltensweisen. Der Gegensatz von Gut und Böse ist primär der von Gottlosigkeit und Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Das Böse ist als Kategorie der soziologischen Abgrenzung gebraucht. Da Gott das Gegenteil von dem Bösen ist, darf die Gemeinde in keiner Weise an dem Bösen Teil haben. Durch das Verweigern aller bösen Mittel stellt sie sich vollkommen in den Machtbereich Gottes. Sie ermöglicht so eine Abgrenzung von dem, was sie als böse definiert, auch wenn sie objektiv nichts an der Aggression, die sie erfährt, ändert. Die Gemeinde hat jedoch die Möglichkeit, auf diese Aggression nicht nur zu reagieren, sondern eine neue Haltung einzunehmen. Diese aktive Haltung der Gewaltlosigkeit gegenüber dem als ›böse‹ Markierten und Ausgegrenzten unterscheidet das frühe Christentum grundlegend von seiner Umwelt. 27 Anmerkungen 1 Hier seien nur einige Beiträge zur Sünde genannt, die das Thema textübergreifend betrachten, z. B. I. H. Marshall, »Sins« and »Sin«, BS 159, 633 (2002), 3-20; X. Alegre, Die Sünde der Welt. Der Böse ist ein Lügner, Hehler und Mörder, Conc(D) 37,5 (2001), 574-581; U. Beuttler, Gestörte Gemeinschaft. Das biblische Verständnis der Sünde, Glaube und Denken 14 (2001), 43-54; H. Frankenmölle, Sünde und Erlösung im Neuen Testament (QD 161), Freiburg i. Br. 1996. 2 Vgl. U. Luck, Das Gute und das Böse in Römer 7, in: H. Merklein (Hg.), Neues Testament und Ethik. FS Rudolf Schnackenburg, Freiburg 1989, 220-236, bes.: 223-224. 3 Zu Personifikationen des Bösen, vgl. J. Leonhardt-Balzer, Gestalten des Bösen im frühen Christentum, in: J. Frey/ M. Becker (Hgg), Apokalyptik und Qumran (Einblicke 10), Paderborn 2007, 203-235. Ein Überblick über die Forschung zum Satan findet sich bei: D. R. Brown, The Devil in the Details. A Survey on Satan in Biblical Studies, Currents of Biblical Research 9.2 (2011), 200-227. 4 K. Berger, Das Böse als Thema biblisch-neutestamentlicher Ethik, in: K. Berger/ U. J. Niemann/ M. Wagner (Hgg.), Das Böse und die Sprachlosigkeit der Theologie, Regensburg 2007, 9-33, bes.: 9. 5 Z. B. H. Schürmann, Das »etablierte Böse« bedacht im Lichte der Apokalypse, in: E. Coreth/ W. Ernst/ E. Tiefensee (Hgg.), Von Gott Reden in säkularer Gesellschaft. Festschrift für Konrad Feiereis zum 65. Geburtstag (EThSt 71), Leipzig 1996, 43-59. 6 Vgl. z. B. H. Häring, Das Böse in der Welt. Gottes Macht oder Ohnmacht, Darmstadt 1999, 15-50; J. Laube, Das Böse in den Weltreligionen, Darmstadt 2003, 63-75; E.-Brandenburger, Das Böse. Eine biblisch-theologische Studie (ThSt(B) 132), Zürich 1986. 7 G. Harder, Ponēros, ponēria, THWNT 6, Stuttgart 1990, Nachdruck d. Ausgabe 1933-1979, 546-566. Im Neuen Testament finden sich alle drei Bedeutungen von ponēros, von schlimmen Geschwüren (Apk 16,2) bis zu schlechten Früchten (Mt 7,18). Doch besonders häufig bezeichnet das Adjektiv den moralisch bösen und verwerflichen Aspekt, sei es von Personen (Mt 7,11; Lk 11,13), sei es von Dingen (Lk 6,22; Jak 2,7) oder Taten (Joh 3,19). Als Substantiv bezeichnet es den bösen Menschen (Mt 22,10), den Teufel (Mt 13,19; Mk 13,19; 1Joh 2,13f.; 3,12; Joh 18,37) und eventuell auch das Böse als Abstraktum (Mt 13,38; Mt 6,13), wobei letztere Bedeutung umstritten ist. Vgl. G. Harder, ponēros, 554-562. 8 W. Grundmann, kakos, THWNT 3, Stuttgart 1990, Nachdruck d. Ausgabe 1933-1979, 470-485. 9 A. a. O., 480-482. 10 Das staatskritische Moment in dieser Aussage wird von L.-Schottroff betont, dies., »Give to Caesar What Belongs to Caesar and to God What Belongs to God«. A Theological Response of the Early Christian Church to its Social and Political Environment, in: W. M. Swartley, The Love of Enemy and Nonretaliation in the New Testament (Studies in Peace and Scripture), Louisville, KY 1992, 223- 257, bes.: 237-240. 11 Vgl. G. M. Zerbe, Paul’s Ethic of Nonretaliation and Peace, in: W. M. Swartley (Hg.), The Love of Enemy, 176-222. 12 Zur Auslegung der Texte vgl. G. M. Zerbe, Non-Retaliation in Early Jewish and New Testament Texts. Ethical Themes in Social Contexts (JSPE.S 13), Sheffield 1993, 176-210. 13 D. J. Weaver, Transforming Nonresistance. From Lex Talionis to »Do not Resist the Evil One«, in: W.M. Swartley (Hg.), The Love of Enemy, 32-71. 14 Vgl. G. M. Zerbe, Non-Retaliation, 270-290. 15 A. a. O., 209, 266-269, 289-290. 16 Vgl. U. Luck, Das Gute und das Böse, 225-226. 17 Vgl. O. Wischmeyer, Gut und Böse. Antithetisches Denken im Neuen Testament und bei Jesus Sirach, in: N.-Calduch-Benages/ J. Vermeylen (Hgg.), Treasures of Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 13 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 13 Jutta Leonhardt-Balzer Kontexte zum ›Bösen‹ im Neuen Testament Wisdom. Studies in Ben Sira and the Book of Wisdom (BEThL 143), Leuven 1999, 129-136. 18 G. M. Zerbe, Non-Retaliation, 34-44. 19 A. a. O., 50-72. 20 A. a. O., 151-155. 21 E. Lohse, Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, München 1971, 11-17. Die Zweigeisterlehre ist zwar nur in der Gemeinderegel von Qumran erhalten, stellt jedoch ein vorgemeindliches Traditionsstück dar. 22 E. Lohse, Die Texte aus Qumran, 177-225. 23 Zu Paulus, vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 4 2002, 31-45; zur Logienquelle: a. a. O., 226-227; zu 1Petr: a. a. O., 447-451. 24 So z. B. J. Becker, Feindesliebe-- Nächstenliebe-- Bruderliebe. Exegetische Beobachtungen als Anfrage an ein ethisches Problemfeld, ZEE 25 (1981), 5-18; Zur älteren Forschungsdiskussion, s. W. Klassen, »Love Your Enemies«. Some Reflections on the Current Status of Research, in: W.M. Swartley (Hg.), The Love of Enemy, 1-31, bes.: 1-7. 25 Zur positiven Bedeutung der Apokalyptik für die Verkündigung Jesu, s. J. Frey, Die Apokalyptik als Herausforderung der neutestamentlichen Wissenschaft. Zum Problem: Jesus und die Apokalyptik, in: M. Becker/ M. Öhler (Hgg.), Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie (WUNT II 214), Tübingen 2006. 26 P. Perkins, Apocalyptic Sectarianism and Love Commands. The Johannine Epistles and Revelation, in: W. M. Swartley (Hg.), The Love of Enemy, 287-296, bes.: 287-289. NEUERSCHEINUNG A. Francke Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de Stefan Gerlach Immanuel Kant UTB Pro€le 2011, 144 Seiten, € (D) 12,90/ SFr 18,90 ISBN 978-3-8252-3485-0 Eine elementare Einführung in das Denken Kants. Ausgehend von den zentralen Problemkonstellationen werden über die Erläuterung der Kernbegriffe die wichtigsten Themenfelder der Philosophie Kants konzentriert und komprimiert dargestellt. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 14 - 3. Korrektur 14 ZNT 28 (14. Jg. 2011) In diesem Aufsatz will ich biblische Konzepte über den Satan und die ihm dienstbaren Mächte untersuchen und dabei fragen, welchen Sinn wir diesen Konzepten heute abgewinnen können. 1 Zwar ist es in der Kirche heute üblich, all jene Passagen zu ignorieren, die von »den Mächtigen und Gewaltigen, den Herren der Welt und den bösen Geistern unter dem Himmel« handeln (Eph 6,12), dessen ungeachtet spielt aber Jesu Kampf gegen das Böse eine entscheidende Rolle. In den Evangelien tritt Jesus als derjenige auf, der »den Starken bindet« und »seinen Hausrat raubt« (Mk 3,27; vgl. Apg 10,38). Nach dem Hebräerbrief hat Jesus Fleisch und Blut angenommen, »damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten« (Hebr 2,14 f.). Der eigentliche Zweck des Kommens Jesu bestand demnach darin, den Teufel zu entmachten und seine Gefangenen zu befreien. Im Neuen Testament ist die Erlösung, die Jesus bringt, immer auch eine Erlösung von etwas, nämlich von jenen Mächten, die an die Stelle Gottes treten wollen oder ihm aktiv widerstreiten, die von den Menschen Gefolgschaft verlangen und sie allzu oft auch gefangen nehmen. Zu Beginn gebe ich einen Überblick über biblische Konzepte des Leidens und des Bösen und werde dabei zeigen, wie und wann die Rede vom Satan, die in der biblischen Tradition zunächst weitgehend fehlt, aufgekommen ist. Anschließend geht es um die Frage, welche Einsichten die Sprache des Neuen Testaments im Blick auf die »Mächte und Gewalten« vermittelt. Eine dieser Einsichten lautet: Das Problem der Sünde reicht an den Anfang der Schöpfung zurück. Und: Der Sünde eignet eine Dimension des Tragischen. Obwohl Menschen freiwillig sündigen, zeigt sich, dass sie immer wieder gegen ihre eigenen besten Absichten verblendet und betrogen werden. Im dritten Teil dieses Beitrags stelle ich Überlegungen dazu an, was die Deutung Jesu als Herrscher über »Mächte und Gewalten« für heutige Erfahrungen des Bösen in einer gebrochenen Welt austrägt. 1. Der Satan: Biblische Perspektiven 1.1 Vom Anfang zum Ende: Das Böse von der Genesis zur Offenbarung In einem erhellenden Überblicksartikel zu unserem Thema weist Bernhard W. Anderson auf einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Buch Genesis und der Johannesoffenbarung hin: In der Genesis geht es um menschliche Individuen und darum, dass sie ihre von Gott gegebene Freiheit missbrauchen. Anders die Offenbarung: Obwohl auch hier menschliche Sünde im Blick ist, geht es vorrangig um das Böse in einem umfassenderen, kosmischen Sinn. Die listige Schlange der Genesis wird zum großen Drachen, »der alten Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt« (Offb 12,9). In der Apokalypse meint Erlösung vom Bösen nicht nur Vergebung, sondern auch Befreiung von den Chaosmächten der Unterdrückung und Ausbeutung, Institutionen und Regimen, die namenloses Leid über die Menschen bringen. 2 Um den Kontrast zwischen der Genesis und der Johannesapokalypse zu verdeutlichen, zeichnet Anderson in der biblischen Literatur mehrere Phasen der Erklärung des Bösen nach. Eine einflussreiche frühe Auffassung deutet Leid als Strafe für Sünde. Dieser Gedanke liegt der Erzählung von Adam und Eva ebenso zugrunde wie den mit Mose und David assoziierten Bundestheologien. Die mosaische Bundestheologie v. a. des Pentateuch fußt auf der Erzählung der Befreiung des Gottesvolkes aus der Sklaverei und dem dankbaren Gehorsam des Volkes gegenüber den Bundesbestimmungen. Der Mose-Bund hat also einen konditionalen Aspekt: Gott hat sich an sein Volk gebunden und ihm seinen Segen zugesichert, zugleich aber erklärt, dass der Ungehorsam des Volkes diese Beziehung zerstören würde. Es war die Sache des Volkes, den Weg des Gehorsams zu wählen, der Segen und Leben einbrachte, oder den Weg des Ungehorsams, der in Unglück, Fluch und Tod endet (vgl. Dtn 30,15 f.19 f.). In einer Zeit der Katastrophe erklärte dementsprechend der Prophet Jeremia: »Dein Weg und deine Taten haben dir dies beschert. Das kommt von deiner Bosheit, dass es so bitter ist, dass es dir nach dem Herzen greift« (Jer 4,18). Der David-Bund, wie er sich in der Nathan-Weissagung 2Sam 7,4-17, in den Chronik-Büchern und bei Proto- Zum Thema Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 15 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 15 Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten Jesaja niederschlägt, ist auf die göttliche Verheißung ewiger Dauer von Davidsthron und Tempel ausgerichtet. Auch hier ist die Verheißung konditioniert. Obwohl Gottes Bundestreue (hebr. chesed) niemals von seinem Volk weichen würde, würde es im Falle des Ungehorsams dennoch durch Leiden gestraft, gezüchtigt und gereinigt werden. Der Psalmist sagt es so (Ps 84,30-34): »Ich will ihm ewiglich Nachkommen geben und seinen Thron erhalten, solange der Himmel währt. Wenn aber seine Söhne mein Gesetz verlassen und in meinen Rechten nicht wandeln, wenn sie meine Ordnungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen; aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden und meine Treue nicht brechen.« Der mosaische wie der davidische Bund rufen also das Volk zum Gehorsam und erklären menschliches Leid als Folge menschlichen Fehlgehens. 3 Es gibt allerdings auch Gegenstimmen, die diese Interpretation von Leid als verdiente Sündenstrafe ablehnen, etwa in den Konfessionen Jeremias, den Klagepsalmen und besonders im Hiobbuch. Hiob und die anderen Abweichler erkennen an, dass es menschliche Sündhaftigkeit gibt, bezweifeln aber, dass ihr Ausmaß das Übermaß an menschlichem Schmerz und Leid rechtfertigt. 4 Ein beispielloser Testfall für die Lehre vom Leiden als Sündenstrafe war der Fall Jerusalems und die Exilierung weiter Bevölkerungskreise nach Babylonien im Jahr 587 v. Chr. Der Verfasser des 44. Psalms macht Gott diese Ereignisse zum Vorwurf. Trotz der Bundestreue des Volkes hat »uns Gott wie Schlachtschafe gemacht und uns unter die Völker zerstreut« (Ps 44,11). Die Katastrophe schien in keinem Verhältnis zu den begangenen Sünden zu stehen. Deshalb war die Erklärung, Gott bestrafe das Volk für den Verrat am Bund, allzu einfach und wenig überzeugend. Anderson sieht bei Habakuk eine Stimmung des Protests, wenn der Prophet angesichts des drohenden Untergangs Jerusalems seine Klage an Gott richtet: »Warum siehst du den Räubern zu und schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er? « (Hab 1,13). Die göttliche Antwort ist, dass die Vergeltung zu der von Gott gesetzten Zeit kommen wird. Mit dem Übergang der Prophetie zur Apokalyptik nahm jedoch die Bereitschaft ab, mit der verheißenen Vergeltung bis in unbestimmte Zukunft zu warten. Anders als bei Habakuk versuchte man, den Zeitpunkt der Erlösung genauer zu bestimmen. So offenbart etwa im Danielbuch der Erzengel Gabriel eine Ereignisfolge, die zur Erlösung Israels führen sollte, und die vom Buchverfasser und seinen Zeitgenossen, die unter der Tyrannei des 2. Jh.s v. Chr. litten, errechnet werden konnte (Dan 9,1-27). Apokalyptische Denker von der Art des Danielbuches formulierten außerdem neue Einsichten in die radikale Macht des Bösen. 5 Zwar hielten sie wie ihre prophetischen Vorgänger daran fest, dass das Volk sündig und der Gnade Gottes bedürftig war, doch deuteten sie die Sünde zunehmend als Niederschlag gewaltiger Mächte, die die Welt in Unterdrückung niederhielten. Für diese gesellschaftlichen und geschichtlichen Symbolisierungen des Bösen greift das Danielbuch auf das mythische Erbe der altisraelitischen und altvorderorientalischen Tradition zurück. 6 Die Vision von den vier Tieren, die aus dem Meer aufsteigen, um schließlich ihr Territorium und ihre Machtstellung an ein himmlisches Wesen zu verlieren, hat Ähnlichkeiten mit alten kanaanäischen Mythen aus Ugarit. In einem dieser Mythen besiegt der auf den Wolken reitende Gott Baal die Chaosmächte des Ozeans, verkörpert im »Fürst ›Yamm‹ [›Meer‹]«, um dann als siegreicher König in die Himmel zurück zu kehren. 7 Anderson stellt fest, dass im Danielbuch wie auch in der Apokalypse das Problem des Bösen das Problem der Sünde transzendiert: Im Kosmos sind dämonische Mächte am Werk, die nicht einfach auf menschliches Handeln oder menschliche Institutionen reduziert werden können. Allerdings gibt es einen Unterschied, den Anderson nicht würdigt: Während es im Danielbuch wie auch im übrigen Alten Testament noch keinen Prof. Dr. Susan R. Garrett ist seit 1995 Professorin für Neues Testament am Louisville Presbyterian Theological Seminary. Zuvor lehrte sie an der Yale Divinity School und der Emory University. Sie promovierte an der Yale University, hat Abschlüsse des Princeton Theological Seminary und der Duke University und war Fulbright Fellow an der Universität Tübingen. Zahlreiche Veröffentlichungen v. a. zum Markusevangelium und zum lukanischen Doppelwerk, zuletzt : No Ordinary Angel: Celestial Spirits and Christian Claims about Jesus (Yale University Press, 2008). Susan R. Garrett Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 16 - 3. Korrektur 16 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Satan oder einen vergleichbaren Erzfeind gibt, der die Chaosmächte dirigiert, werden in der Apokalypse alle Mächte, die Gott und seinem Gesalbten entgegen stehen, von einem einzigen bösen Wesen, dem Satan, angeführt. Die Frage lautet: Wie ist der Satan an die Macht gekommen? 1.2 Der Satan: Werdegang einer Vorstellung Die Entwicklung der Vorstellung vom Satan als des Erzfeindes Gottes und seines Volkes ist einigermaßen kompliziert und nicht ganz leicht zu verstehen. Im Laufe der Jahrhunderte haben Juden unterschiedliche Gegenspieler-Figuren aus den alten Mythen vom Götterkampf rezipiert und reflektiert, Mythen, die im gesamten Alten Orient kursierten und in der Hebräischen Bibel in eigenständigen Überlieferungen wie auch in Bruchstücken (etwa in Dan 7 s. o.) überliefert sind. 8 Zu diesen Gegenspielern zählen die rebellischen Engel aus Gen 6,1-4, der Drache Leviathan, die hochmütigen Herrscher aus Jes 14 und Ez 28-32, eine Gestalt namens »Belial« (der Name bedeutet soviel wie »nichtswürdig« oder »zerstörerisch«) und der Erzfeind des Zoroastrismus, bekannt unter dem Namen »Angra Mainyu« oder »Ahriman«. Im dritten oder zweiten vorchristlichen Jahrhundert mischten sich Eigenschaften dieser Gegenspieler mit den aufkommenden Vorstellungen vom »Satan« (hebr. »Ankläger«, »Widersacher«), wie wir sie aus Hiob, Sacharia und 1. Chronik kennen. Von diesen drei Büchern, die als einzige den Namen »Satan« enthalten, war es das Hiobbuch, das die weitere Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Nur im Prolog des Buches (Hi 1-2) tritt der Satan auf, und zwar als himmlisches Wesen inmitten des Hofstaates der »Gottes-Söhne« um Gottes Thron. Er tritt vor Gott hin und fordert ihn heraus, Hiob den Gerechten mit allerlei Unglück zu prüfen (Hi 1,7-12). Gott überlässt Hiob der Macht Satans, und bald darauf ist es um sein Vieh, seine Dienerschaft und seine Kinder geschehen. Hiob aber lässt sich nicht dazu hinreißen, Gott abzuschwören, wie der Satan behauptet hatte. Im zweiten Kapitel wiederholt sich die Szene in variierter Form: Der Satan wird erneut bei Gott vorstellig und erhält nun die Erlaubnis, Hiob selbst zu Leibe zu rücken. Hiob leidet schwere körperliche Qualen, unterlässt es aber auch jetzt, »mit seinen Lippen zu sündigen«, d. h. Gott zu verfluchen. Für den Verfasser und die ersten Leser des Hiobbuches war »Satan« wahrscheinlich eine bloße Rollenzuschreibung (»Gegner« oder »Ankläger«), nicht aber der Name eines regelrechten Erzfeindes. 9 Sobald jedoch diese Vorstellung aufgekommen war, wurde unter dem terminologischen Einfluss des Hiobbuches der Satan (im Griechisch der Septuaginta: ho diabolos, »der Teufel«) zum Eigennamen eines bestimmten Wesens. Die beiden Eingangskapitel des Hiobbuches dienten in der Folgezeit dann häufig als Vorlage, um Gott, Satan und den Menschen in Zeiten des Leids zu einander in Beziehung zu setzen. Aus dieser Vorlage leitete man ab, 1) dass menschliche Gerechtigkeit und Hingabe an Gott einen satanischen Angriff provozieren können, 2) dass die Bedrängnisse, die der Satan über die Menschen bringt, für ihn wie ein Wettstreit sind, von dessen Ausgang seine Ehre und seine Autorität abhängen, 3) dass der Satan einen Menschen körperlich angreifen darf, nicht aber seine Seele, solange er nicht seine Standhaftigkeit dadurch einbüßt, dass er Gott abschwört, 4) dass der Satan in einer zwielichtigen Beziehung zu Gott steht, weil er einerseits seine Autorität von Gott bezieht, andererseits aber daran arbeitet, die Gläubigen zum Abfall zu verleiten. Diese Annahmen fußen auf zahlreichen Belegen aus der Literatur des antiken Judentums und des frühen Christentums einschließlich der Geschichte Jesu. Neben dem Hiobbuch hat auch die Geschichte von Adam und Eva auf die Entwicklung der Satansvorstellungen eingewirkt. Im Laufe der Jahrhunderte hat man die Schlange im Paradiesgarten mit dem Satan gleichgesetzt und dementsprechend von dieser Figur auf Wesen und Handeln des Teufels geschlossen (vgl. etwa Weish 2,23 f.). Stellte das Hiobbuch klar, dass der Satan vor Gewalt und Zufügung körperlicher Qual nicht zurückschreckte, so wurde anhand der Paradiesesschlange deutlich, dass der Teufel mit listiger Schmeichelei das Begehren im Menschen zu erwecken verstand und ihm dies zum Verhängnis werden ließ. Hier wie dort macht sich der Teufel die »fleischliche« Natur des Menschen zu nutze, wie Bonhoeffer klar gesehen hat: »In der Versuchung gewinnt der Satan Macht über den Gläubigen »Im Laufe der Jahrhunderte haben Juden unterschiedliche Gegenspieler- Figuren aus den alten Mythen vom Götterkampf rezipiert und reflektiert, Mythen, die im gesamten Alten Orient kursierten und in der Hebräischen Bibel in eigenständigen Überlieferungen wie auch in Bruchstücken […] überliefert sind.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 17 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 17 Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten sofern er Fleisch ist. Er quält ihn durch Verlockung zur Lust, durch die Schmerzen der Entbehrung und durch zugefügte leibliche und seelische Leiden aller Art. Er raubt ihm alles, was er hat und reizt ihn zugleich zu verbotenem Glück« 10 . Aus der Genesis erschloss man die Wandlungsfähigkeit Satans entsprechend seinen Absichten, gleich einem Chamäleon, das seine Farbe ändert. Im Paradiesgarten zeigte er sich als Schlange, in Korinth dagegen als »Engel des Lichts« (2Kor 11,14). Das den Paulusbriefen in etwa zeitgenössische Testament Hiobs stellt den Satan in der Verkleidung eines Bettlers, eines Brotverkäufers und des Perserkönigs dar. In der Zeit Jesu war die Anschauung verbreitet, der Satan strebe nach der Position Gottes als Allherrscher und Höchster und nach menschlicher Anbetung. Jes 14,13 f., ursprünglich auf den König von Babylon gemünzt, deutete man als eine Anklage gegen den Satan: »Du aber gedachtest in deinem Herzen: ›Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten‹«. Wegen dieser Anmaßung wurde der König in die Sheol geworfen (Jes 14,9. 11. 15.19). Diese Passage und verwandte Texte in Ez 28-32 schienen den Satansfall zu erklären: Er hatte es gewagt, sich Gott gleich zu stellen und wurde deshalb gestürzt. 11 Im 1. Jh. n. Chr. waren die einzelnen mythischen Fäden noch nicht zu einer kohärenten Meta-Erzählung verwoben, die von der Vorgeschichte Satans als Engel aus Gottes Hofstaat und seiner Ankündigung, »wie Gott« werden zu wollen, bis zu seinem Hinauswurf aus dem Himmel mitsamt seinem Gefolge rangniedrigerer Engel reichte. Doch war diese Erzählung im Entstehen begriffen, etwa in Jesu Vision des Satanssturzes »wie ein Blitz« in Lk 10,18 (mit einer Anspielung auf Jes 14), oder in Apk 13, wo das »Tier aus dem Meer«, das für sich und den Drachen göttliche Anbetung fordert, bis der Drache mit seinen Engeln gestürzt (Apk 12,9) und schließlich in den Feuersee geworfen wird (19,20). Im antiken Judentum wie auch im frühen Christentum bleibt der Satan bei aller Gottesfeindschaft Gott untergeordnet. Er ist Feind Gottes und Diener Gottes zugleich. 12 Für Paulus unternimmt der Satan einerseits Anschläge auf die Gemeinde (2Kor 2,11; 11,15), er hat andererseits aber auch die Aufgabe, Paulus zu züchtigen und ihn damit vor Überheblichkeit angesichts seiner Visionen zu bewahren (12,7). Selbst in den Qumran- Schriften steht außer Zweifel, dass Gott am Ende über die Mächte des Bösen siegt. Denkbar ist ein Einfluss des zoroastrischen Dualismus auf die Entwicklung jüdischer Vorstellungen vom Satan, doch haben Juden wie Christen diesen Dualismus nie in Gänze übernommen. Deren monotheistische Grundausrichtung wie auch die Sprache des Hiobbuches sorgten für eine Begrenzung der Autorität Satans. Zumal bei Hiob ist der Satan ein Diener Gottes, der für alles, was er tut, zuerst Gott um Erlaubnis fragen muss. Jüdische und christliche Autoren waren sich in dieser Frage einig. 13 1.3 Sünde, Satan und böser Trieb Die Identifikation der Paradiesesschlange mit dem Satan in der Spätzeit des Zweiten Tempels geht einher mit einer ganz anders gearteten Überzeugung, dass nämlich Gott nicht der Urheber der Sünde ist, die Sünde aber gleichwohl von Anbeginn in der Welt war. Der Verfasser des 4. Esrabuches (spätes 1. Jh. n. Chr.) erwähnt den Satan nicht, führt aber die menschliche Fehlbarkeit auf Adam zurück, der »die Bürde eines bösen Herzens« zu tragen hat, und mit ihm alle seine Nachkommen. Esra beklagt, dass Gott Adam nicht schon bei der Schöpfung das böse Herz weggenommen hat. Deshalb habe sich Israel schon beim Empfang der Tora gegen Gottes Gesetz vergangen: »So entstand eine dauernde Krankheit: das Gesetz im Herzen des Volkes zusammen mit der Wurzel des Bösen; das Gute schwand, das Böse blieb« (4. Esra 3,22; vgl. 4,30 14 ). Auch Paulus sieht in Adam das Einfallstor für das Böse in die Welt: »Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben« (Röm 5,12). Wenn Paulus und der Verfasser des 4. Esrabuches die Sünde bis auf Adam zurückführen, dann ist damit gesagt: Die Sünde ist so alt wie die Menschheit. Sünde als »Wurzel des Bösen« und »dauernde Krankheit« wird in ihrer Radikalität und Unausweichlichkeit begriffen. Dennoch wird bei beiden Autoren nicht Gott für das von Adam angerichtete Unheil verantwortlich gemacht. Sünde und Tod sind gleichsam von außen »eingedrungen«, nachdem Gott den Menschen zu seinem Bilde geschaffen »Aus der Genesis erschloss man die Wandlungsfähigkeit Satans entsprechend seinen Absichten, gleich einem Chamäleon, das seine Farbe ändert. Im Paradiesgarten zeigte er sich als Schlange, in Korinth dagegen als ›Engel des Lichts‹ (2Kor 11,14).« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 18 - 3. Korrektur 18 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema hat, bestimmt zur Liebe, aber mit der Freiheit, dieser Bestimmung nicht zu entsprechen. Im Römerbrief agiert die »Sünde« ganz ähnlich wie die Schlange im Paradies und wie der Satan: Voller Hinterlist »betrügt« sie und erregt sie »Begierden aller Art« (Röm 7,8.11), sie »herrscht« (5,21; 6,12.14) und die Menschen »dienen« ihr wie »Sklaven« (6,6.16f ). Die Macht der Sünde treibt die Menschen in den Tod. Die paulinische Auffassung von der Sünde unterstreicht das, was Hendrikus Berkhof »die unerbittliche Macht des Bösen« nennt. Darin besteht die »tragische« Dimension der Sünde: Mächte, die uns unterworfen haben, jedoch nicht ohne unsere Zustimmung. 15 Die Sprache des 4. Esrabuches verwendet mit »böses Herz« und »böse Saat« geläufige Bilder für den »bösen Trieb« (jezer ha’ra). Jüdisch wie christlich war die Auffassung verbreitet, dass jeder Mensch eine solche Anlage zur Sünde besitzt. Dieser böse Trieb gilt als Ausdruck der Gespaltenheit des menschlichen Selbst. Wer dem bösen Trieb nachgibt, grenzt einen Teil des Selbst als eine Art Heiligtum ab, um sich dort dem Götzendienst, sexueller Unmoral, Selbstrechtfertigung, Rache, Selbstüberhebung und vielem mehr hinzugeben. Man ist dann zwiegespalten zwischen dem Wunsch, Gott zu dienen, und dem Drang, die nichtigen Begierden zu befriedigen. Weil man keine eindeutige Bindung eingeht, gleicht man einem Schiff in rauer See, das von den Wellen bald in diese, bald in jene Richtung geworfen wird (Jak 1,6 f.), und man wird jeglicher Versuchung leicht erliegen. Antike Vorstellungen über den bösen Trieb wurden vielfach mit Anschauungen über den Satan verbunden. Einerseits sah man im Satan »den großen Drachen« (Offb 12,9), einen kosmischen Widersacher, der in den himmlischen Regionen gegen Gott und seine Engel Krieg führt und sich auf der Erde in Unterdrückung und Ausbeutung bemerkbar macht. Andererseits sah man im Satan einen Widerpart im Inneren des Menschen, der die Gläubigen vom Weg Gottes abbringen will. Der Satan wirkt also in Seelen und Imperien gleichermaßen. Ein wichtiger Qumrantext vergleicht dementsprechend den inneren Kampf gegen den bösen Trieb mit dem kosmischen Kampfgeschehen des »Geistes der Gesetzlosigkeit« und der »Engel der Finsternis« gegen den »Engel der Wahrheit« bzw. den »Fürsten des Lichts« (1QS III,13-IV,14). Die Vorstellung vom bösen Trieb diente jüdisch wie christlich dazu, den Kampf im Inneren der Seele zu verstehen, ein Kampf nicht nur gegen äußere Feinde, sondern auch gegen eigene böse Regungen. Nach rabbinischer Auffassung bedurfte es für den Sieg über den bösen Trieb wie auch den kosmischen Widersacher nichts Geringeres als einer Transformation der Welt, bei der nicht nur Himmel und Erde, sondern auch des Menschen Herz neu geschaffen werden: »In der neuen Welt werde ich [den bösen Trieb] aus dir ausreißen, wie geschrieben steht: ›Ich will das steinerne Herz aus deinem Leib wegnehmen und dir ein fleischernes Herz geben, und ich werde meinen Geist in dich geben‹« 16 . Wenn Paulus von Jesu vollkommenem Gehorsam schreibt (Röm 5,18 f.), stellt er fest, dass für Jesus dieser verheißene Tag bereits angebrochen ist. Von allen Menschen hat allein Jesus dem bösen Trieb nicht nachgegeben, er allein war Gott ganz gehorsam. Christen haben Anteil an dieser Gerechtigkeit, nicht weil sie nun nicht mehr versucht würden, sondern weil Gott ihnen aus Gnade die Gerechtigkeit Christi anrechnet. Außerdem gibt er ihnen den Geist, sodass sie nach den Dingen des Geistes trachten und der Stimme der Versuchung widerstehen können. Fazit: In neutestamentlicher Zeit sah man im »Satan« bzw. »Teufel« ein eigenständiges Geistwesen, das Versuchung und körperlichen Schmerz anwendet, um die Gerechten zum Ungehorsam zu verführen. Er ist zugleich der Herrscher des Kosmos, der eine Armee von Geistern und Dämonen befehligt. Er nimmt Einfluss auf die Gedanken und Handlungen der Menschen und verführt sie durch Versprechungen von Gewinn und Genuss oder durch Androhung von Schmerz und Qual. Er hat Macht über alle Götzendiener und will zusätzlich die Gerechten zum Abfall von Gott, zum Götzendienst, »Nach rabbinischer Auffassung bedurfte es für den Sieg über den bösen Trieb wie auch den kosmischen Widersacher nichts Geringeres als einer Transformation der Welt, bei der nicht nur Himmel und Erde, sondern auch des Menschen Herz neu geschaffen werden.« »In Zeiten nationaler Katastrophen entstand ein Bewusstsein nicht nur von eigener Schuld, sondern auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins an Mächte, die sich menschlicher Kontrolle entzogen. Äußerlich war man von gottlosen Herrschern unterdrückt und ausgebeutet, im Inneren dagegen sah man sich von verderblichen Mächten verführt, die die Seele selbst in ihrer Gewalt hatten.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 19 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 19 Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten Immoralität, Feindschaft, Zank und anderen Lastern verführen. Diese Vorstellungen von Wesen, Zielen und Handlungsweisen Satans sind durch die Kombination unterschiedlicher Attribute aus biblischen Texten und nichtbiblischen Mythen entstanden. 1.4 Mächte und Gewalten Im antiken Judentum wie im frühen Christentum hat diese sich entwickelnde Meta-Erzählung eine breite Wirkung entfaltet. In Zeiten nationaler Katastrophen entstand ein Bewusstsein nicht nur von eigener Schuld, sondern auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins an Mächte, die sich menschlicher Kontrolle entzogen. Äußerlich war man von gottlosen Herrschern unterdrückt und ausgebeutet, im Inneren dagegen sah man sich von verderblichen Mächten verführt, die die Seele selbst in ihrer Gewalt hatten. Die Figur des Satans verlieh diesem Daseinsgefühl des Opfer- und Sünderseins einen Ausdruck und eröffnete zugleich Handlungsmöglichkeiten: Hatte Hiob den Satan nicht durch andauernde Geduld bezwungen? Sollte man es ihm nicht, angetan mit Gottes Rüstung (Eph 6,11), gleich tun? Im Neuen Testament wird die Feindschaft gegen Gott allerdings nicht durchgängig auf eine Armee von Dämonen unter der Führung eines bösen Geistwesens zurückgeführt. Eine andere Ausdruckweise, die mit komplexeren Strukturen des Bösen in der Welt rechnet, redet von »Mächten und Gewalten«. Gemeint ist, dass unsichtbare Mächte das Geschehen in der sichtbaren Welt beeinflussen. Umgekehrt kann das sichtbare Geschehen die unsichtbaren Mächte tangieren, so etwa in Offb 12,9-17: Als Michael Krieg gegen den Drachen führt und ihn aus dem Himmel hinauswirft, wird dieser Sieg vom Blut Jesu und dem Zeugnis der Märtyrer bewirkt (d. h. ein Einfluss irdischer Ereignisse auf kosmische). Zugleich aber bedeutet der Satanssturz noch mehr Leid für die Nachfolger Jesu (d. h. ein Einfluss kosmischer Ereignisse auf irdische). Neutestamentliche Autoren bezeichnen diese unsichtbaren Größen mit einer Vielzahl von Ausdrücken: »Fürstentümer«, »Mächte«, »Obrigkeiten«, »Herrscher«, »Könige«, »Engel«, »Dämonen«, »Geister«, »Throne«, und »Herrschaften«, entweder mit Bezug auf himmlische, geistliche Entitäten oder aber mit Blick auf irdische Herrscher und Machtstrukturen. Nicht selten sind auch beide Bereiche gleichermaßen gemeint. Wenn Paulus etwa schreibt, die »Herrscher dieser Welt« hätten Gottes verborgene Weisheit nicht verstanden, weil sie sonst Jesus nicht gekreuzigt hätten (1Kor 2,7 f.), dann meint dies die weltlichen Herrscher, die Jesus getötet haben, und zugleich geistliche Mächte im Hintergrund dieses Geschehens. 17 Heute ist es unter Christen weithin üblich, die unsichtbare, geistliche Seite zu betonen und die weltliche zu vernachlässigen. Man sieht dann in den Mächten, Herrschern, Engeln usw. reine Geistwesen mit einzigartiger Intelligenz und übernatürlichen Fähigkeiten, entweder im Dienste Satans oder Gottes. Nach dieser Auffassung haben der Satan und seine Diener nahezu unerschöpfliche Möglichkeiten, Gottes Ziele zu unterwandern, und das Böse in der Welt ist die Folge davon. Diese Sicht wird maßgeblich durch die beliebten Leftbehind-Romane von Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins popularisiert. Die zwölf Folgen der bei Tyndale House verlegten Serie haben eine verkaufte Gesamtauflage von 65 Millionen Exemplaren. Die Romanhandlung umfasst Ereignisse, wie sie viele (nicht alle) Christen erwarten: Die Entrückung der Heiligen, die siebenjährige Trübsal, die Schlacht bei Armageddon. In der Welt dieser Romane kommen die bösen Mächte von außerhalb des Menschen und der Welt, übernatürliche Kräfte, die die Menschen mit Magie verblenden und von ihnen Besitz nehmen. Auch die Bestseller-Romane von Frank Peretti über die Einnahme einer kleinen Stadt durch die Agenten des Satans sind hier zu nennen. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Angebote zum Thema »Geistliche Kriegsführung« 18 . In dieser Literatur kommen die bösen Mächte stets von außerhalb, als ein anderes, fremdes, selbst wenn sie im Menschen wirken. Sie kommen von außerhalb der Menschen, der sozialen Netzwerke, der Ideologien und Institutionen. Die Rolle Jesu besteht darin, diese Mächte zu zerstören und in den Schlund der Hölle zu werfen. Dagegen beharren Christen aus einem calvinistischen oder anderswie reformierten Umfeld darauf, die innerweltliche Dimension des Bösen stets mit zu bedenken. Die neutestamentliche Rede von den bösen Mächten wird hier nicht (oder nicht ausschließlich) auf Geistwesen, sondern (auch) auf soziale Größen und auf Verhaltensnormen bezogen. Auch gelten die Mächte nicht als uneingeschränkt böse. Sie sind vielmehr »gemischte Charaktere«, die mehrheitlich mit guter Absicht ins Leben gerufen wurden, etwa das Gesundheitssystem, die Institution Familie oder die Genfer Konventionen. Doch haben alle diese weltlichen Mächte einen Hang zur Sünde. Sie neigen zur Selbsterhaltung, sind versucht, mit fragwürdigen Methoden Loyalität herzustellen, und nicht selten verfolgen sie eigennützige Ziele wie Profit oder Genuss, anstatt den Interessen Gottes und der Mitmenschen zu dienen. 19 Aus dieser Sicht sind die Mächte und Gewalten integraler Bestandteil der sozialen und Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 20 - 3. Korrektur 20 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema kulturellen Systeme und Institutionen, die menschliches Zusammenleben möglich machen. Obwohl sie zur gefallenen Schöpfung gehören, sind sie für menschliches Wohlergehen unabdingbar. Diese Interpretation verhilft zu einem besseren Verständnis von Passagen wie Röm 13,1-7, wo Paulus die »Obrigkeiten« und »Regierenden« als von Gott zum Guten eingesetzte Haushalter ansieht. Nach dieser reformierten Auffassung leben wir unser Leben in den sozialen und kulturellen Zusammenhängen, die von den »Mächten und Gewalten« konstituiert werden. Wir verinnerlichen und reflektieren ihre Werte und Erwartungen, einschließlich ihrer sündigen und verderblichen Tendenzen. Wenn ich jemanden benachteilige, mag dies daran liegen, dass meine Familie, mein soziales und kulturelles Umfeld mich verblendet und mir die Überzeugung eingeimpft haben, bestimmte Menschengruppen verdienten eine schlechtere Behandlung als andere. Ein Selbstmord-Attentäter mag von den Mitgliedern einer militanten Gruppe manipuliert worden sein, Gewalt als Akt der Hingabe an Gott und seine eigene Volksgruppe anzusehen. Wir erkennen: Menschen sündigen, weil sie von beherrschenden Mächten verblendet, betrogen und unterworfen wurden. Vor Gott sind wir verantwortlich als Individuen wir auch als Teil sündiger Kollektive, deren Neigungen und Perversionen wir uns aneignen, die wir ausführen und die wie anderen weitergeben. Wie aber ist es dazu gekommen, dass wir in einer Welt leben, die von solchen Mächten beherrscht wird? Und welche Rolle spielt Gott bei all dem? Paulus hat unsere »gegenwärtige böse Weltzeit« (Gal 1,4) bis auf die Zeit Adams zurückgeführt. Mit der Sünde Adams ist eine kosmische Veränderung eingetreten: Mächte mit Namen »Sünde« und »Tod« haben in die Welt Eingang gefunden. Gott hat diesen und anderen Mächten, die heute die Geschicke der Welt bestimmen, zum Teil die Kontrolle überlassen. Die Gewalten üben Macht aus, weil Gott sie gewähren lässt. Immerzu schaut Gott aber auf den Tag der Auferstehung voraus, wenn die Toten auferweckt und die Herrschaft Christi, die mit seiner Auferstehung anfing, vollendet werden wird. Die Auferstehungshoffnung der Christen besteht also nicht nur darin, dass wir als Individuen zum Leben erweckt werden, sondern dass die ganze Schöpfung »frei werden wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« (Röm 8,21). An jenem Tage werden die gefallenen Mächte vollständig unterworfen sein und Gott wird wahrhaft »alles in allem sein« (1Kor 15,28). Die paulinische Auffassung von den Mächten hat Konsequenzen für unsere Sicht auf das Problem des Bösen: Gott »will« nicht unmittelbar jedes Böse, das geschieht. Bei der Schöpfung gab er den Gewalten ihre Machtbefugnis zu eigen, und sie bestimmen weithin das Geschehen in der Welt, einschließlich des Bösen, das sich ereignet. Manchmal wirken diese Mächte Gott zuwider, so wie auch wir als Individuen manchmal gegen Gottes Willen handeln. Gott »will« diese Dinge nicht, aber in seiner Souveränität gestattet er, dass sie geschehen. Andererseits schreibt Paulus, dass »alle Dinge denen, die Gott lieben, zum Besten mitwirken, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind« (Röm 8,28). Das heißt nicht, wie oft angenommen wird, dass alles, was geschieht, einen speziellen Sinn hat. Vielmehr: Gott kann selbst Böses zu einen guten Ende führen. So ließ es Gott in seiner Voraussicht zu, dass Joseph von seinen Brüdern in die Sklaverei verkauft wurde, aber obwohl sie es böse meinten, »gedachte Gott, es gut zu machen« (Gen 50,20). Oder: Paulus wurde von Mächten, die Gottes Ziele vereiteln wollten, gefangen gesetzt, doch mit dem Effekt, dass »die Brüder in dem Herrn durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen haben und umso kühner geworden sind, das Wort zu reden ohne Scheu« (Phil 1,14). Nicht zuletzt: Die Kreuzigung Jesu wurde von den Herrschern dieser Welt ins Werk gesetzt, ohne dass diese den Heil stiftenden Effekt ihrer Tat erahnen konnten (1Kor 2,8). 2. Jesus als Erlöser von den Mächten. 2.1 Jesu Herrschaft über die Mächte Die ganze und endgültige Erlösung von den gefallenen Mächten wird es vor dem Jüngsten Tag nicht geben. Die frohe Botschaft des Evangeliums lautet, dass der Auferstandene die »Erstlingsfrucht« der kommenden Erlösung und zugleich Herr über die Mächte ist (1Kor 15,23; Eph 1,20 f.; 1Petr 3,22). Den Christen ist sogar verheißen, dass sie an seiner Macht »im Namen Jesu« schon jetzt Teil haben: »Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu »Menschen sündigen, weil sie von beherrschenden Mächten verblendet, betrogen und unterworfen wurden. Vor Gott sind wir verantwortlich als Individuen wie auch als Teil sündiger Kollektive, deren Neigungen und Perversionen wir uns aneignen, die wir ausführen und die wir anderen weitergeben.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 21 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 21 Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden.« (Lk 10,19; vgl. Eph 6,10-17; Phil 2,10). Obwohl Lukas notiert, dass uns nach Jesu Wort »nichts schaden wird«, ist doch klar, dass wir dies in übertragenem Sinn zu verstehen haben, sofern im weiteren Verlauf des LkEv und der Apg Christen vielfach um Jesu willen leiden. Jesu Herrschaft über die Mächte und unsere Machtbefugnis als seine Jünger äußern sich nicht in übernatürlichem Schutz, sondern in der von Gott gegebenen Kraft, inmitten einer gefallenen Welt zu bestehen. Es ist dieselbe Kraft, die Jesus das Kreuz erdulden ließ, anstatt davor zu fliehen, und so die Mächte zu unterlaufen, die Gottes Reich zerstören wollten. Den Jüngern Jesu ist reale Kraft verheißen, die »Kraft, die in uns wirkt«, mit der Gott »überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen« (Eph 3,20). In einem Punkt stimmen die Autoren des Neuen Testaments freilich nicht überein: Einige Passagen vermitteln den Eindruck, dass die Autorität über die Mächte schon in Gänze verwirklicht und von allen anerkannt ist, andere Stellen lassen dagegen erkennen, dass dieser Sieg noch aussteht. In Hebr 2,8 heißt es ausdrücklich: »Jetzt aber sehen wir noch nicht, dass ihm alles untertan ist«. Bei Paulus lesen wir, dass Jesus erst dann das Reich dem Vater übergibt, »nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat«, und dass »der letzte Feind, der vernichtet wird, der Tod« ist (1Kor 15,24- 26). Die Macht des Todes ist also noch nicht gebrochen, wenngleich sein Ende durch die Auferweckung Christi verbürgt ist. Und die Sünde, die alte Sklavenhalterin, läuft noch immer frei herum. Zwar gibt es für Christen keinen Zwang, der Sünde zu gehorchen, sie stehen aber ständig in der Gefahr, ihr dennoch Gehorsam zu leisten (Röm 6,13). Erst recht hat die Sünde immense Macht über große Teile der übrigen Menschheit. Die Schöpfung seufzt, weil die bösen Mächte anscheinend ungehindert in den gefallenen Kosmos Eingang finden. Aber Jesus, Schöpfungsmittler und Mitherrscher zur Rechten Gottes, herrscht über diese Mächte. Als Herr gibt er den Gläubigen die Autorität, ihnen entgegen zu treten. Lässt sich dazu Genaueres sagen? 2.2 Wie Jesu Jünger gegen das Böse angehen Jesu Streit wider die Mächte und Gewalten weist ihn aus als den Vollendeten, der zu Gott erhoben wurde. Er hat mehr vollbracht als menschliche Kraft je schaffen kann. Doch durch die Einheit der Jünger mit Jesus kraft des heiligen Geistes wurden auch sie zu Gott erhoben. Damit hat die christliche Antwort auf das Böse nicht die Form einer Erklärung seiner Ursache, wohl aber der Herausforderung und der Segnung. Die Herausforderung besteht darin, dem Bösen zu widerstehen und und den Leidenden beizustehen, entsprechend dem Gebet Jesu in Getsemane: »Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt«, und »Bleibt hier und wacht mit mir« 20 . Die Segnung ist die verheißene Einheit mit Christus durch den Geist und dadurch die Kraft, im Widerstehen und im Beistehen auszuharren. Paulus sagt es so: »Ich vermag alles durch den, der mich stark macht« (Phil 4,13). Dazu gehört auch das Ausharren inmitten der sündigen und leidvollen menschlichen Existenz. Der Mensch ist nicht göttlich, erfährt aber in der Gemeinschaft Jesu eine Kraft zum Widerstehen, die er von sich aus nie aufbringen könnte: 1) Menschen werden die Augen geöffnet für die Macht der Sünde und ihre falschen Versprechungen. Solche Erkenntnis kann schrittweise oder plötzlich eintreten und Einzelnen und ganzen Völkern widerfahren. 2) Menschen erfahren Stärkung, wenn der Tod sie angreift und quält. Gläubige haben zu allen Zeiten Mächten des Todes widerstanden und im Vertrauen auf den Gott, der die Toten auferweckt, ihre Angst überwunden. Mögen Märtyrer bei uns auch selten geworden sein, so gibt es doch auch heute Christen, die ihren Glauben inmitten schrecklicher Bedrängnis bezeugen und an der Hoffnung festhalten. 3) Wenn Menschen sich verfehlen, ist ihnen Jesu Vergebung gewiss. Sie dürfen sich angenommen wissen, selbst wenn sie in Schande daniederliegen. Dies lässt sie über Mächte triumphieren, die sie in die Verzweiflung treiben wollen. 4) Menschen werden zur Liebe ermächtigt und zum Dienst an denen, die ihnen Unrecht tun und sie hassen. Sie haben die Kraft zu vergeben und das Unrecht, das ihnen angetan wurde, aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Christi Herrschaft über die Gewalten zeigt sich also vor allem darin, dass er Menschen aus deren Machtbereich befreit und dass diese Menschen die Kraft haben, Böses mit Gutem zu vergelten und Hass durch Liebe zu vertreiben. Im antiken Judentum ist Mastema ein geläufiger Name für den Satan, bekannt v. a. aus dem Buch der Jubiläen. Der Name bedeutet »Feindschaft« oder »Hass«-- Lieblingswerkzeuge des Satans, mit denen er sich die blinde Gefolgschaft derer sichert, die auf die Vernichtung ihrer Feinde aus sind. Mastema erregt ungerechten Zorn, der eine große Zerstörungskraft hat und alles vernichtet, was Menschen lieb und wert ist. Doch die Botschaft Jesu Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 22 - 3. Korrektur 22 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema ist stärker als Mastema: »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Du sollst deinen Nächsten lieben‹ und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist« (Mt 5,43-48). Aber ist Vollkommenheit überhaupt eine mögliche und erfüllbare Forderung? Sie ist es, weil Feindesliebe nicht dem Herz des Menschen entspringt, das auf seine eigenen Interessen fixiert ist und seine eigenen Klagen nährt und rechtfertigt. Feindesliebe ist eine göttliche Kraft, dessen Feinde wir waren. Die Vollkommenheit Gottes manifestiert sich in der bedingungslosen Liebe Gottes, die allen gilt. Gott gibt Regen und Sonne, ohne die kein Leben möglich ist, für die Gerechten und Ungerechten gleichermaßen. Auch Jesu Liebe ist von dieser Art und im Vertrauen auf die »Gabe von oben« (vgl. Jak 1,17) fordert er von den Menschen dasselbe. Wer hasst, wandelt in der Finsternis. Wer aber liebt, der hat den Bösen überwunden (vgl. 1Joh 2,9-14). Jesu Macht, Hass zu überwinden und Liebe zu wecken, ist die außergewöhnlichste Macht überhaupt, weil es die Macht ist, den Tod durch das Leben zu überwinden. Wer je vom Dämon des Hasses besessen war-- Miroslav Volf spricht zutreffend von der Abscheu vor den anderen, die sich aus der Erfahrung erlittenen Unglücks und Unrechts nährt 21 --, weiß, wie unbarmherzig er seine Macht ausübt. Hass ist so mächtig, weil er die Macht des Todes selbst ist (Mt 5,21 f.; 1Joh 3,15). Jesus schilt den Hass mit den Worten: »Komm hervor, du unreiner Geist« (vgl. Mk 5,8). Fazit: Mit der Figur des Satans erfassten die antiken apokalyptischen Texte den Zusammenhang von irdischen Ereignissen und der himmlischen Sphäre. Heutiges christliches Denken fasst die Rede von »Mächten und Gewalten« entweder im Sinne gänzlich jenseitiger geistiger Wesen auf oder aber diese Größen werden mit irdischen Machthabern und Strukturen des täglichen Lebens identifiziert. Dann wird vielen dieser Mächte attestiert, dass sie zu einem guten Zweck geschaffen wurden, zugleich aber eine Neigung zu sündigen Ansprüchen haben. Hierzu zählt, wie die Versuchung Jesu durch den Satan zum Ausdruck bringt, besonders der Anspruch auf gottgleiche Verehrung. In der Einheit der Gläubigen mit Christus geschieht die Befreiung aus der Gefangenschaft der Gewalten. Die Einheit mit Christus ermächtigt zum Widerstand gegen ihren verderblichen Einfluss und zur Erkenntnis ihres Wesens in Schöpfung und Fall. Da die Mächte sich in den alltäglichen sozialen und kulturellen Strukturen manifestieren, ist ihnen die Welt bis heute weithin unterworfen, und die Gläubigen stehen ständig in der Gefahr, sich ihnen erneut zu unterwerfen (Gal 5,1; Röm 6,12- 16). Die Hoffnung auf die Auferweckung erstreckt sich deshalb nicht nur auf das individuelle Leben nach dem Tod, sondern auch auf die Erlösung der Schöpfung aus der Gewalt der widergöttlichen Mächte. Dann wird Gott wahrhaft alles in allem sein. Anmerkungen 1 S. dazu ausführlicher S. R. Garrett, No Ordinary Angel. Celestial Spirits and Christian Claims about Jesus, New Haven 2008, bes.: 103-138. 2 Vgl. B. W. Anderson, Sin and the Powers of Chaos, in: D. Durken (Hg.), Sin, Salvation, and the Spirit, Collegeville 1979, 71 f. 3 A. a. O., 77. 4 A. a. O., 74. 5 A. a. O., 80. 6 A. a. O., 81. Der Gedanke, dass sich im Kosmos Kräfte des Chaos eingenistet haben, die sich gegen Gottes Herrschaft auflehnen, war keineswegs neu. Den altvorderorientalischen Mythologien war er bereits geläufig, und wie J. D. Levenson gezeigt hat, begegnet diese Sicht regelmäßig auch in der Hebräischen Bibel. Vgl. Ders., Creation and the Persistence of Evil. The Jewish Drama of Divine Omnipotence, San Francisco 1988. 7 Vgl. dazu die Diskussion bei J. J. Collins, The Mythology of Holy War in Daniel and the Qumran War Scroll: A point of Transition in Jewish Apocalyptic (VT 25), 601. 8 Zur Frage des Einflusses antiker Mythen über den Götterkampf gegen das Chaos auf die Entwicklung der Satansvorstellung vgl. S. R. Garrett, The Temptations of Jesus in Mark’s Gospel, Grand Rapids 1998, 32-49. 9 So P. L. Day, An Adversary in Heaven: Satan in the Hebrew Bible (HSM 43), Atlanta 1988, 15. 10 D. Bonhoeffer, Bibelarbeit über Versuchung. Zitiert aus: Ders., Illegale Theologenausbildung. Sammelvikariate 1937-1940 (DBW 15), München 1998, 389. »Durch die Einheit der Jünger mit Jesus kraft des heiligen Geistes wurden auch sie zu Gott erhoben. Damit hat die christliche Antwort auf das Böse nicht die Form einer Erklärung seiner Ursache, wohl aber der Herausforderung und der Segnung.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 23 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 23 Susan R. Garrett Jesus als Befreier vom Satan und den Mächten 11 Vgl. dazu S. R. Garrett, Exodus from Bondage: Luke 9: 31 and Acts 12: 1-24, CBQ 52 (1990), 666-67, 676 f. 12 Hier besteht ein Unterschied zur zoroastrischen Religion. Zu einem möglichen zoroastrischen Einfluss auf jüdische Vorstellungen, vgl. S. R. Garrett, No Ordinary Angel, 121.270 Anm. 57. 13 Zur Spannung zwischen den Motiven »Gottesfeind« und »Diener« innerhalb des NT vgl. S. R. Garrett, Temptations of Jesus, 44-48. 14 Übersetzung aus: J. Schreiner, Das 4. Buch Esra (JSHRZ V/ 4), Gütersloh 1981, 314 f. 15 H. Berkhof, Christian Faith: An Introduction to the Study of the Faith, Michigan 1991, 201-203. Vgl. auch die aufschlussreiche Analyse des Zusammenhangs von Verführung und Zustimmung bei W. Farley, The Wounding and Healing of Desire. Weaving Heaven and Earth, Louisville 2005, 73-76. 16 Tanh, selah-leka 15 (Zitat von Ez 36,27). Übersetzung durch Levenson, Creation and the Persistence of Evil, 39. 17 Ausführlicher dazu W. Wink, Naming the Powers. The Language of Power in the New Testament, Philadelphia 1984, und Garrett, No Ordinary Angel, 129-30. 18 Perettis bekannteste Romane sind: This Present Darkness (Westchester, Ill 1986) und Piercing the Darkness (Westchester, Ill. 1989). Zur Bewegung der »Geistlichen Kriegsführung« vgl. Garrett, No Ordinary Angel, 110-112. 19 Einige Mächte und Gewalten sind einzig und allein auf ihren Vorteil bedacht, verwerfen durchweg Regeln und Standards, die dem Schutz der Rechte anderer dienen, und widmen sich niederen Zielen. Man denke an Drogen-Kartelle, Gruppen, die ihre Mitglieder zur Gewalt anhalten, Hersteller von Kinderpornographie (deren Gott das Geld ist), oder an den Ku-Klux-Klan. 20 Mk 14,38; vgl. auch 14,34 und die Vaterunser-Bitte »Führe uns nicht in Versuchung« Mt 6,13; Lk 11,4. Vgl. auch Röm 12,9. 17. 21; Eph 6,16; 1Petr 3,9-12; 3Joh 11 (»dem Bösen widerstehen«) und Röm 12,15; 1Kor 12,26 (»den Leidenden beistehen«). 21 M. Volf, Exclusion and Embrace: A Theological Exploration of Identity, Otherness, and Reconciliation, Nashville 1996, 77. Volfs beeindruckendes Buch bietet wichtige Einsichten in die Aktivität der Mächte (in Gesellschaften und Seelen), die Dynamik des Bösen und die befreiende und neuschaffende Kraft des Geistes. NEUERSCHEINUNG A. Francke Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de Thorsten Klein Bewährung in Anfechtung Der Jakobusbrief und der Erste Petrusbrief als christliche Diasporabriefe Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 18 2011, X, 497 Seiten, € (D) 78,00/ SFr 105,00 ISBN 978-3-8252-8405-8 Ausgehend von der Adressierung des Jakobusbriefes und des Ersten Petrusbriefes an Christen in der ‚Diaspora‘ interpretiert die vorliegende Studie die beiden neutestamentlichen Schreiben auf dem Hintergrund (früh-)jüdischer gemeindeleitender Briefe von Jerusalem an Glaubensgenossen im Ausland. Sie fragt dabei nach Analogien hinsichtlich des kommunikativen Settings, der Deutung der Adressatensituation und der vorgelegten Bewältigungsstrategien. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 24 - 3. Korrektur 24 ZNT 28 (14. Jg. 2011) »Wer zuletzt lacht, lacht am besten« - sagt der Volksmund. 1 Auf eine vergleichbar einfache Formel ließe sich bringen, was das Neue Testament im Blick auf das »Böse« zu sagen hat. Zwar ist hier nicht von Gelächter die Rede, sehr wohl aber davon, wer das letzte Wort behält. Über das »Böse« wissen die Schriften des Neuen Testamentes immer wieder zu erzählen. 2 Es taucht in verschiedenen Zusammenhängen auf und trägt viele Namen - schwer zu fassen, selten eindeutig und häufig verdeckt. »Böses« begegnet als die Grunderfahrung feindlichen Verhaltens oder als personifizierte Größe, entzieht sich aber gerade in dieser Vielgestaltigkeit jeder Definition oder Systematisierung. So erweist sich wohl auch die Form der Erzählung als die einzig angemessene Weise, diesem diffusen Phänomen eine Gestalt zu geben und dadurch sein bedrohliches Potential zu begrenzen. 3 In der gesamten biblischen Überlieferung aber besteht an einem Punkt Einigkeit: Das »Böse« in der Welt - in welcher Gestalt es auch immer begegnet - hat keine eigenständige Macht. Es tritt Gott nicht wie in anderen Religionen gleichrangig oder »auf Augenhöhe« entgegen, 4 sondern vermag lediglich einen Spielraum zu nutzen, der ihm befristet zugestanden ist. An der Schöpfung, die Gottes Gütesiegel trägt (»und siehe, es war gut«), hat das »Böse« keinen Anteil. Dass es überhaupt zu agieren vermag, verdankt es allein jener Ursituation menschlicher Freiheit, zwischen der Beachtung und der Übertretung des göttlichen Gebotes zu wählen (Gen 3). Die Übertretung gewinnt in der Folge zwar eine Eigendynamik, die nun auch die menschliche Freiheit massiv einzuschränken beginnt und destruktive Kräfte freisetzt, trotzt aller Hybris aber bleibt das »Böse« Gott eindeutig untergeordnet. Das bedeutet nicht, dass es dadurch verharmlost würde. Aber von vornherein ist klar, dass es nur einen Handlungssouverän gibt und das »Böse« nur über eine abgeleitete Macht verfügt. Diese Zusammenhänge sollen im Folgenden an drei exemplarischen Textbereichen näher betrachtet werden. Sie entstammen der synoptischen Jesusüberlieferung, der Theologie des Apostels Paulus und der Bildwelt des Sehers Johannes. Das »Böse« meldet sich darin auf ganz unterschiedliche Weise zu Wort - perfide, attraktiv, bedrohlich. Aber es behält nicht das letzte Wort. Daran lassen die Autoren des Neuen Testamentes keinen Zweifel. 1. Schlagabtausch in der judäischen Wüste (Mt 4,1-11/ Lk 4,1-13) Im Eingangsteil der synoptischen Evangelien nimmt die »Versuchungsgeschichte« einen festen Platz ein. 5 Jesus befindet sich am Unterlauf des Jordans. Hier begegnet er Johannes und lässt sich von ihm taufen. Doch bevor er wieder nach Galiläa zurückkehrt, unternimmt er noch einmal für 40 Tage einen Abstecher in die nahegelegene judäische Wüste bzw. wird - wie die Evangelisten schreiben - vom Geist Gottes in die Wüste »getrieben«. Der Ort hat Bedeutung. Seit jeher gilt die Wüste als lebensfeindliche Gegenwelt zum Kulturland. Sie ist von wilden Tieren bevölkert, die den Menschen bedrohen. In der Wüste haben auch die Dämonen ihren bevorzugten Ort. Wer sich hier aufhält, muss dazu gute Gründe haben. Im Falle Jesu liefert die symbolische Zahl von 40 Tagen dafür den entscheidenden Hinweis: Man erinnert sich der 40 Tage, die Mose auf dem Sinai oder die Elia am Horeb zubrachten; man denkt an die vierzigjährige Wüstenwanderung Israels; später wird Lukas berichten, der Auferstandene sei in Jerusalem 40 Tage lang unter den Seinen erschienen. An der Zeitspanne von 40 Tagen haftet die Bedeutung einer Prüfungs- und Vorbereitungsphase. Genau davon will die Episode berichten. Während Mk 1,12-13 das Ganze mit einem einzigen Satz abhandelt, überliefern Matthäus und Lukas auf der Basis der Logienquelle eine ausführliche, szenisch gegliederte Erzählung. 6 Auch Markus weiß, dass Jesus während dieser 40 Tage vom »Satan« versucht worden sei, verschweigt aber, worin diese Versuchung bestanden habe. Statt dessen bemerkt er, Jesus sei in der Wüste mit den wilden Tieren zusammen gewesen - eine Gesellschaft, die der Gottessohn offensichtlich unbeschadet übersteht. 7 Matthäus und Lukas ihrerseits verschweigen Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. Neutestamentliche Perspektiven zur Überwindung des Bösen Zum Thema »Das ›Böse‹ meldet sich darin auf ganz unterschiedliche Weise zu Wort-- perfide, attraktiv, bedrohlich. Aber es behält nicht das letzte Wort. Daran lassen die Autoren des Neuen Testamentes keinen Zweifel.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 25 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 25 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. die wilden Tiere, teilen jedoch das Gespräch mit, das zwischen Jesus und seinem »Versucher« stattfindet. Der Satan trägt bei ihnen den Namen »Diabolos/ Teufel«, was wörtlich so viel wie »Durcheinanderwerfer« bedeutet. 8 In der Folge macht der Teufel diesem Namen auch alle Ehre und versucht, mit kleinen, aber folgenschweren Manipulationen der »Schrift« seinen Gesprächspartner zu überlisten. Als jene 40 Tage vorüber sind, tritt er ganz unvermittelt an Jesus heran und verwickelt ihn in einen Dialog. Kein Wort verlieren die Evangelisten darüber, in welcher Gestalt sie sich den Teufel vorstellen. Aber sie stimmen darin überein, dass seine Absicht in einer gezielten »Versuchung« Jesu besteht. 9 Die Erzählung bei Matthäus und Lukas ist in drei Szenen oder Gesprächsgängen angelegt, die eine deutliche Klimax bilden. Nur in der Reihenfolge der zweiten und dritten Szene unterscheiden sich die beiden Evangelisten und setzen einen jeweils eigenständigen Akzent. Das Gespräch beginnt in der ersten Szene zunächst mit dem, was am nächsten liegt: Nach einer vierzigtägigen Fastenzeit verspürt Jesus begreiflicherweise Hunger. Hier setzt der Teufel an: »Wenn du Sohn Gottes bist - sprich, dass diese Steine (Lk: dieser Stein) Brot werden! « Rhetorisch geschickt bedient er sich einer captatio benevolentiae und offeriert seinem Gegenüber sogleich den auszeichnenden Titel »Gottessohn« 10 - freilich nicht, ohne ihn durch das konditionierende »wenn« gleich wieder unter Vorbehalt zu stellen. Ein kleines Wunder aber könnte da alle Zweifel ausräumen. Schon hier erweist sich der Teufel als durchaus bibelfest, denn ganz offensichtlich spielt er mit seinem Vorschlag auf das Mannawunder in der Wüste (Dtn 8,2-5) an, das Jesus hier aufnehmen und überbieten könnte. Der assoziiert diesen Zusammenhang auch sofort und kontert punktgenau mit Dtn 8,3: »Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein [Mt: sondern durch jedes Wort, das aus dem Mund Gottes kommt]! « Damit gibt sich der Teufel aber noch nicht einfach geschlagen und geht erneut in die Offensive. Zwei Versuche behält er sich noch vor - und beide haben es in sich. Lukas legt die Klimax so an, dass der Teufel Jesus zunächst die Vollmacht über »alle Reiche der Erde« anbietet, um dann die Aufforderung zum Sprung von der Tempelzinne an den Schluss zu setzen, mit der das Gottvertrauen Jesu auf den Prüfstand gerät. Für Lukas liegt es näher, den Höhepunkt der drei Versuchungen am Tempel in Jerusalem zu platzieren, weil auch sonst für ihn der Tempel stets als Ort der zentralen Heilsoffenbarung Gottes fungiert. 11 Zugleich aber hat es den Anschein, als verberge Lukas in dieser Mittelstellung seiner zweiten Versuchung eine fundamentale Kritik an der staatlichen Macht überhaupt, die er ansonsten in seinem großen Erzählwerk doch eher positiv und als einen Schutzraum für die Evangeliumsverkündigung darstellt. 12 Denn hier begründet der Teufel sein Angebot ganz unumwunden mit den bemerkenswerten Worten: »[…] mir ist diese ganze Vollmacht und Herrlichkeit übergeben, und wem ich will, dem gebe ich sie« (Lk 4,6). Liegt die Verleihung staatlicher Macht demnach im Zuständigkeitsbereich des Teufels? Ist für Lukas politische Herrschaft satanischen Ursprungs? Matthäus lässt eine solche Begründung vermissen, setzt aber seinerseits die Versuchung mit der Macht an den Schluss und macht sie damit zum Höhepunkt seiner Klimax. Auch das hat Stringenz. Denn für Matthäus nimmt schon am Anfang die Szene auf einem »hohen Berg« den höchsten Rang ein, wie es zum Schluss die Worte des Auferstandenen auf »dem Berg in Galiläa« (Mt 28,16) tun werden. Prof. Dr. Christfried Böttrich, geb. 1959, studierte evangelische Theologie in Leipzig. 1990 promovierte und 1995 habilitierte er sich. Stationen seiner Lehrtätigkeit sind Frankfurt, Marburg und Jena. Seit 2003 ist er Professor für Neues Testament an der Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Theologie des lukanischen Doppelwerks, frühjüdischen Schriften als Kontext des Neuen Testaments, altslavischen Apokryphen und der Paulusforschung. Christfried Böttrich »Der Teufel zitiert den Psalter! Spätestens an dieser Stelle schaudert es jeden Frommen, denn Ps 91 galt im Judentum von jeher als Gebet um Gottes Schutz vor den bösen Mächten, vor dem Teufel und allen Dämonen. […] Der Zynismus dieser Szene lässt sich kaum überbieten.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 26 - 3. Korrektur 26 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Der Wortwechsel, den der Teufel in dieser Erzählung vom Zaun bricht, ist ein Schlagabtausch mit Bibelzitaten. 13 Zunächst weiß der Versucher mit der Erinnerung an das Mannawunder einen ganzen Erzählzusammenhang in Erinnerung zu rufen, in dem Vertrauen und Zweifel eine tragende Rolle spielen. Seine Aufforderung zum Sprung von der Tempelzinne aber begründet er ganz direkt mit Ps 91,11-12. Der Teufel zitiert den Psalter! Spätestens an dieser Stelle schaudert es jeden Frommen, denn Ps 91 galt im Judentum von jeher als Gebet um Gottes Schutz vor den bösen Mächten, vor dem Teufel und allen Dämonen. So ist der Psalm auch in die christliche Liturgie eingegangen und hat seinen angestammten Ort in der Complet, dem letzten Tagzeitengebet vor der Nachtruhe, gefunden. Der Zynismus dieser Szene lässt sich kaum überbieten: Der Teufel führt genau jenes Gebet im Munde, mit dem der Fromme um Beistand gegen die Macht des Bösen zu flehen pflegt! Erst in der Versuchung zur Weltherrschaft lässt der Teufel dann die Maske des Bibelkenners fallen und fordert ganz direkt göttliche Verehrung. Wie reagiert Jesus? Er pariert diesen differenzierten Schriftgebrauch des Versuchers zunächst mit den gleichen Mitteln. Auch er beruft sich auf Bibelworte. Unbeirrt zitiert er dabei vor allem das Deuteronomium - in der Versuchung zum Brotwunder mit einer Relativierung (Dtn 8,3), in der Versuchung der Fürsorge Gottes mit einer klaren Abweisung (Dtn 6,16), in der Versuchung zur Weltherrschaft schließlich mit dem Grundbekenntnis Israels (Dtn 6,13). Der Missbrauch der Schrift durch den Teufel hebt ihren Gebrauch durch Jesus nicht auf. Doch mit dem Zitieren allein ist es eben auch nicht getan. Denn hier steht nicht nur Bibelwort gegen Bibelwort. Der Teufel versucht, die Schrift seinen Zwecken dienstbar zu machen. Jesus indessen beruft sich auf die Schrift im schlichten Gestus des Vertrauens. Die Erzählung endet unspektakulär. Der Teufel kommt mit seiner Strategie nicht durch. Zwar geht die Initiative von ihm aus, doch das letzte Wort behält Jesus. Der Teufel muss abziehen. Nach Lukas tut er das lediglich für einige Zeit (Lk 4,13); zu Beginn der Passionsereignisse wird er erneut aktiv werden (Lk 22,3). Matthäus aber vermerkt, dass nun Engel herbeikamen und Jesus dienten (Mt 4,11). Das oder der Böse lässt sich nicht durch apotropäische Mechanismen - auch nicht durch Bibelzitate - überwinden, wohl aber durch ein unbeirrtes Vertrauen in die Macht Gottes. 2. Konkurrenz in der griechischen Polis (1Kor 8-10) Nicht immer sind die Gegensätze so klar konturiert wie in der Versuchungsgeschichte. Vielmehr gehört es gerade zur Eigenart des »Bösen«, in Verkleidung aufzutreten und seine wahre Identität zu verbergen. Diese Erfahrung muss auch der Apostel Paulus machen, der in seinen Gemeinden einer Reihe von Anfeindungen ausgesetzt ist. Die schwerste Bedrohung geht dabei von verschiedenen Gruppen wandernder »Kollegen« aus, die ebenfalls mit dem Anspruch der Evangeliumsverkündigung auftreten, deren Weichen jedoch in eine ganz andere Richtung zu stellen versuchen. 14 In den paulinischen Gemeinden werden sie während der Abwesenheit des Apostels mit offenen Armen empfangen. Paulus sieht sich zur Verteidigung genötigt und fährt dabei schweres Geschütz auf. Besonders deutlich wird er in 2Kor 11,13-15 und bezeichnet seine Kontrahenten rundheraus als Satansdiener: »Denn sie sind Lügenapostel, hinterhältige Akteure, die sich nur als Apostel Christi verstellen. Und das ist auch kein Wunder, denn der Satan selbst verstellt sich als ein Engel des Lichts. Deshalb ist es auch nichts besonderes, wenn sich seine Diener als Diener der Gerechtigkeit verstellen.« 15 Paulus unterstellt ihnen, dass sie ihre wahren Absichten - nämlich die Manipulation seines Missionswerkes - hinter der Maske der Gerechtigkeit verbergen. Wir würden heute sehr viel vorsichtiger urteilen und ihnen zugestehen, auch bei einer abweichenden Position doch mit gleichem Engagement wie der Apostel selbst bei der Sache zu sein. 16 Doch für Paulus gibt es Punkte, an denen »die Wahrheit des Evangeliums« (Gal 2,5.14) keine Kompromisse duldet. Dann vermag er den Gegensatz nur in Form einer solchen drastischen, überspitzten und die Gegner dämonisierenden Weise zu formulieren - um ihren »Fall« schließlich als schon entschieden darzustellen: »Deren Ende wird ihren Taten entsprechen« (2Kor 11,15). Immerhin - letztlich bleibt es also Gott überlassen, in diesem Konflikt ein Urteil zu sprechen; Recht oder Unrecht wird sich an den »Taten« bzw. am Erfolg der konkurrierenden Aktivitäten herausstellen. In seinen Briefen deutet Paulus immer wieder auf die Realität des »Bösen« hin. Ein klares System wird dabei jedoch nicht erkennbar. Die Vielgestaltigkeit der Erfahrungen spiegelt sich vielmehr in ganz unterschiedlichen Vorstellungen wider. Vom »Diabolos/ Teufel« spricht Paulus nicht - wohl aber vom »Satan«, den er auch als »Beliar« bezeichnen kann; der Satan wie- »Das oder der Böse lässt sich nicht durch apotropäische Mechanismen-- auch nicht durch Bibelzitate-- überwinden, wohl aber durch ein unbeirrtes Vertrauen in die Macht Gottes.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 27 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 27 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. derum verfügt über ein eigenes Heer von Dienstengeln; zudem gibt es Dämonen und Geister bzw. Mächte und Gewalten, die sich offensichtlich in Koalition mit den gegengöttlichen Aktionen Satans befinden; in diese Gemengelage ordnet der Apostel schließlich auch das gesamte Spektrum des hellenistisch-römischen Pantheons ein, das er auf das Format von Dämonen verkleinert. 17 An diesem Punkt wird die Sache spannend, denn die Götterwelt einer hellenistischen Polis wie der von Korinth dringt auf ihre Bewohner mit einer Intensität und Bildgewalt ein, der sich niemand entziehen kann - auch die christliche Gemeinde nicht. Liest man die Schilderungen des Pausanias, der etwa einhundert Jahre nach Paulus eine detaillierte Reisebeschreibung seines Besuches in Korinth verfasste, 18 dann erhält man eine Ahnung jener Fülle von Tempeln, Götterstatuen, heiligen Hainen und Quellen, Kultbildern und Weiheinschriften, mit denen jede Straße und jeder Platz publikumswirksam besetzt war. Gegen diese Übermacht versucht sich schon seit einiger Zeit die jüdische Diasporagemeinde zu behaupten, und auch die junge Gemeinde der Christusgläubigen sieht sich damit täglich konfrontiert. Viele ihrer Glieder waren bis vor kurzem selbst noch Anhänger verschiedener Kulte. Über familiäre Beziehungen und gesellschaftliche Kontakte bleiben sie ihnen auch weiterhin nahe. Von dieser religiösen Vielfalt geht weniger eine Gefahr als vielmehr eine unbestreitbare Faszination aus. 19 Gehört diese Welt etwa komplett auf die Seite gegengöttlicher Mächte? Besteht hier eine Art Konkurrenzsituation? Was ist »böse« an Kulten, die ihrem Wesen nach auf Kompatibilität angelegt sind und einander tolerieren? Diese Schwierigkeit macht sich an einem Problem ganz besonders bemerkbar: Dürfen Christen Fleisch essen, das im Zusammenhang mit heidnischen Opferhandlungen geschlachtet worden ist? Paulus widmet dieser Frage in 1Kor 8-10 eine ausführliche Erörterung. 20 Sein Ansatz klingt dabei ganz erstaunlich aufgeklärt: Natürlich kann man das Fleisch essen, denn alles von Gott Geschaffene ist gut; nichts kann dem Menschen schaden, was mit Dank genossen wird. Die Vorstellung, dass Opferfleisch gleichsam religiös kontaminiert wäre, weist Paulus mit dem jüdischen Grundbekenntnis aus Dtn 6,4 ab: »Es gibt keine Götzen in der Welt. Und: Es gibt keinen Gott außer dem einen! « (1Kor 8,4). Damit ist eigentlich alles gesagt. 21 Doch die Gemeinde in Korinth lebt nun einmal als verschwindende Minderheit in einer Polis, in der andere Götter in überwältigender Vielfalt ein Teil ihrer Lebenswelt sind - mit Kultorten, Kultpersonal und zahlreichen Anhängern. Deshalb beeilt sich Paulus, erklärend hinzuzufügen: »Denn selbst wenn es auch so genannte Götter gibt, sei es im Himmel, sei es auf Erden, wie es ja viele Götter und Kyrioi gibt […]« - in der Tat ist ihre Präsenz ja nicht zu übersehen! Paulus relativiert dieses Zugeständnis jedoch sofort durch den Zusatz »so genannte«. Die Verehrung gilt nur »Göttern«, die zwar als solche deklariert werden, in Wahrheit aber keine sind. Sie sind Konstrukte, deren Macht allein in der Verehrung ihrer Anhänger liegt. Die allerdings ist ernst zu nehmen, denn sie entzieht Gott, was ihm allein zusteht. Wenn Christen also gleichzeitig am Herrenmahl und an heidnischen Kultmahlen teilnehmen, dann provozieren sie die »Eifersucht« Gottes (1Kor 10,22), dem sie in einem ausschließlichen Treueverhältnis angehören. 22 Das Fleisch selbst aber, wenn es außerhalb einer Opfermahlzeit genossen und wenn seine Herkunft nicht thematisiert wird, bleibt völlig harmlos. Entscheidend ist die Zuordnung: »So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin, und einen Kyrios Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn.« (1Kor 8,6). Wenn für seine Gemeinden in der religiösen Vielfalt einer hellenistischen Polis also der Eindruck der Konkurrenz entsteht, dann ist für Paulus von vornherein entschieden: Diese Konkurrenzsituation ist nur eine scheinbare. Nicht nur, dass das letzte Wort Gott gehörte - alle anderen »Götter und Kyrioi« haben überhaupt nur eine geliehene Stimme und spielen lediglich die Rolle, die ihnen menschliche Verehrung zugesteht. So einfach und überzeugend diese Erklärung auch klingen mag: Paulus weiß wohl, dass die Macht gegengöttlicher Kräfte mit rationaler Erkenntnis zwar zu entmythologisieren, nicht aber einfach aus der Welt zu schaffen ist. Dort, wo der ganze undurchschaubare Bereich gegengöttlicher Wirklichkeit noch Bestand hat, geraten auch diejenigen immer wieder in Bedrängnis, die allein auf »den einen Gott, den Vater« und auf »den einen Kyrios Jesus Christus« vertrauen. Es gehört zu den Lebensbedingungen dieser Weltzeit, solchen Spannungen ausgeliefert zu sein. Deshalb thematisiert Paulus im Zusammenhang seines großen Auferstehungskapitels »Paulus weiß wohl, dass die Macht gegengöttlicher Kräfte mit rationaler Erkenntnis zwar zu entmythologisieren, nicht aber einfach aus der Welt zu schaffen ist. Dort, wo der ganze undurchschaubare Bereich gegengöttlicher Wirklichkeit noch Bestand hat, geraten auch diejenigen immer wieder in Bedrängnis, die allein auf ›den einen Gott, den Vater‹ und auf ›den einen Kyrios Jesus Christus‹ vertrauen.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 28 - 3. Korrektur 28 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema (1Kor 15) noch einmal eigens jene Situation, in der alles, was Gott entgegensteht, an sein Ende gelangt. Sie wird nach 1Kor 15,24-27 dann eintreten, wenn der Parusiechristus »die Herrschaft dem übergibt, der Gott und Vater ist, nachdem er beseitigt hat jede Herrschaft und jede Macht und Kraft. Denn er muss herrschen, bis er [sc. Gott] alle Feinde unter seine Füße legt [Ps 110,1]. Als letzter Feind aber wird der Tod beseitigt. Denn alles hat er [sc. Gott] seinen Füßen unterworfen [Ps 8,7].« Mehrere Dinge sind an dieser Perspektive bemerkenswert: Der Tod erscheint nun als der »letzte Feind«, der unlösbar an den Bestand dieser Schöpfung gebunden bleibt und endgültig erst mit dem Beginn einer neuen Weltzeit überwunden werden kann. Seine lebensfeindliche Macht erweist sich als der Kristallisationskern alles »Bösen«, das sich letztlich nur innerhalb der auch ihm gesetzten Grenzen zu entfalten vermag. Mit Tod und Auferweckung Jesu Christi sind diese Grenzen jedoch schon aufgesprengt, und alles Gottfeindliche ist Christus unterworfen. Wer zu Christus gehört, ist damit dem Zugriff des »Bösen« grundsätzlich entzogen - auch wenn er dasselbe noch als einen Teil seiner Alltagswirklichkeit erfährt. Erst im Umbruch der Zeiten, wenn Christus diese seine Herrschaft Gott zurückgibt, wird wieder ausschließlich »Gott alles in allem« sein (1Kor 15,28). 23 Paulus nimmt auf diese Weise den Beginn und das Ende eines unumkehrbaren Prozesses in den Blick. Die stark mythologisch geprägte Sprache von 1Kor 15 bringt dabei jedoch nichts anderes zum Ausdruck als Röm 8,38-39 in die Form eines schlichten Bekenntnisses fasst: »Denn ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, keine Kräfte, weder Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf, kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, unserem Herrn, ist! « Die Macht alles »Bösen« ist in der Liebe Gottes, die sich in Christus zeigt, überwunden. Sein ohnehin schon begrenzter Spielraum hat sich damit weiter verkleinert, bleibt jedoch zeitlich befristet noch bestehen. Deshalb kann Paulus die Überwindung des »Bösen« nun auch ganz direkt zum Thema der Paränese machen. 24 Er setzt voraus, das hinsichtlich der Unterscheidung von »Gut« und »Böse« Konsens besteht. Jedenfalls hält er sich in dieser Hinsicht nicht erst mit langen Definitionen auf. Gegenüber der Gemeinde in Rom mahnt er kurz und bündig an: »Verabscheut das Böse! Haltet fest am Guten! « (12,9); »Gebt niemandem Böses für Böses zurück! Seid auf das Gute bedacht gegenüber allen Menschen! « (12,17); »Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem! « (12,21). Das bedeutet jedoch nicht, dass hier noch immer alles offen wäre. Die Adressaten sollen in ihrem Leben lediglich nachvollziehen und konkretisieren, was Christus grundsätzlich bereits getan hat. Sie stimmen mit ihrem Leben in jenes letzte Wort ein, das Christus gegenüber dem »Bösen« schon gesprochen hat. 3. Bedrohung in der kleinasiatischen Provinz (Offb 4-5.13) Nirgends sonst stellt sich im Neuen Testament das »Böse« so bedrückend real dar wie in der Offenbarung des Johannes. Hier geht es nicht mehr nur um geschickte Verführung oder irritierende Konkurrenz. Der Seher Johannes adressiert sein Schreiben vielmehr an Gemeinden, die einer ganz unmittelbaren Konfrontation mit dem römischen Staat entgegen gehen. Dabei steht ihre physische Existenz auf dem Spiel. Das Martyrium scheint unausweichlich zu sein für diejenigen, die an ihrem Bekenntnis zu Christus festhalten. Das »Böse« erscheint in einer eigenartigen Ambivalenz: Es bedient sich zwar der politischen Strukturen des Imperium Romanum, sprengt aber zugleich jede Dimension politischen Geschehens. Für den Seher lässt sich das Ausmaß dieser Konfrontation deshalb nur in einer mythologischen Symbolsprache umschreiben, die auf eingeführte Bilder zurückgreift und den weiten Horizont eines endzeitlichen Dramas öffnet. Darüber hinaus wird es keinen Fortgang der Geschichte mehr geben. Was der Seher zu sagen hat, mündet zielstrebig in die große Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde ein (Offb 21-22). Über den zeitgeschichtlichen Kontext der Offenbarung des Johannes ist viel diskutiert worden. Die Sendschreiben am Anfang (Offb 2-3) richten sich zunächst an die christlichen Gemeinden des westlichen Kleinasiens, wobei die Siebenzahl schon deren exemplarischen Charakter andeutet. Auf jeden Fall misst der Seher dem, was er niederschreibt, auch über die konkreten Adressaten hinaus Bedeutung für die gesamte Kirche seiner Zeit zu. Die Auseinandersetzung, um die es dabei geht, resultiert ganz offensichtlich aus einem Aufblühen des Kaiserkultes in Kleinasien. Für eine genauere Datierung gibt es verschiedene Möglichkeiten - je nachdem wie man die zahlreichen Anspielungen auf Herrscherpersönlichkeiten oder politische Ereignisse interpretiert. Am weitesten verbreitet ist die Auffassung, dass die Regierung Domitians (91-96 n. Chr.) den zeitlichen Rahmen biete. 25 Neuerdings wird indessen auch wieder verstärkt mit der Zeit Hadrians (117-138 n. Chr.) eine spätere Datierung vorgeschlagen. 26 Unter Domitian erlebt die Selbstverabsolutierung des römischen Kaisers einen ers- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 29 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 29 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. ten Höhepunkt; ihre Auswirkungen werden besonders in der Provinz Asien spürbar. Hadrian wiederum entwickelt dieses Programm systematisch weiter und sorgt nun auch für eine organisatorische Ordnung des Kaiserkultes. 27 An den Sendschreiben lässt sich ablesen, dass hier nicht nur vage Befürchtungen im Spiele sind. Einige Gemeinden haben bereits die ersten Märtyrer zu beklagen (2,13). Lob und Tadel des Sehers betreffen Standhaftigkeit und Versagen während einer Reihe von Repressalien, die schon erfolgt sind. In Pergamon gibt es den »Thron Satans« (2,13), was ganz offensichtlich eine mit dem Kaiserkult verbundene Tempelanlage meint. 28 Die Bildsprache deutet auf politische Konstellationen in der Gegenwart der Adressaten hin, von denen diese Sprache auch verstanden wird. Unübersehbar und unaufhaltsam zieht eine Bedrohung herauf, die alles bislang Bekannte weit übersteigt. Sie zeichnet sich schon in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit ab und wirft in sporadischen, zeitlich und lokal begrenzten Bedrückungen ihre Schatten voraus. Genau in dieser Phase bringt der Seher seinen Text zu Papier. Er stilisiert ihn als ein Trostschreiben des erhöhten Christus an die Geängsteten und Bedrängten. In erster Linie verfolgt der Seher damit ein pastorales Anliegen. Ihm geht es darum, vor Ausbruch der andrängenden Ereignisse die Gemeinden zu stärken und zu ermutigen. Es ist der römische Staat, von dem die Bedrohung ausgeht. Die einstigen Mahnungen eines Paulus, dass sich die Christen in Rom der staatlichen Macht als einer von Gott eingesetzten Größe unterordnen sollten (Röm 13,1-7), 29 sind durch die geschichtliche Entwicklung überholt. Im Kaiserkult tritt das römische Imperium mit dem unverhohlenen Anspruch göttlicher Souveränität auf. Dieser Anspruch erinnert an die Hybris des Weltherrschers, wie sie schon in verschiedenen alttestamentlichen Texten gebrandmarkt wird (Jes 14,4-21; Ez 28,1-10; Dan 8,9-14). Nun aber präsentiert sich der Staat geradezu als Verkörperung aller gegengöttlichen Mächte. Deshalb ist ihm auch nicht mehr mit einer schlichten politischen Terminologie, sondern nur noch mit mythologischer Bildsprache beizukommen. Ihren dichtesten Ausdruck findet diese Sprache in Offb 12-13. Dort wird von einem Kampf berichtet, der im Himmel beginnt und sich auf der Erde fortsetzt: Ein großer, feuerroter Drache mit sieben Häuptern wird von Michael und seinen Engeln bekämpft und auf die Erde gestürzt; hinsichtlich der Identität dieses Drachens spricht der Seher Klartext, wenn er ihn als »die alte Schlange, genannt Teufel und Satan« bezeichnet (12,9). Es ist der alte Mythos vom Götterkampf und Satanssturz, der hier aufgegriffen wird, um das Ausmaß und die Ursache des nun beginnenden Konfliktes zu umschreiben. Der Drache, auf die Erde verbannt, rekrutiert sich ein neues Gefolge. Dem Meer entsteigt zunächst ein erstes Tier, das von dem Drachen mit Macht und Herrschaft ausgerüstet wird. Ihm gesellt sich ein zweites Tier vom Lande hinzu, das als sein Propagandist auftritt und nun die Völker in die göttliche Verehrung des ersten Tieres einzuweisen beginnt. Es fällt nicht schwer, in diesem Szenario die Parodie eines anderen Vorganges vom Anfang der Offenbarung zu erkennen (Offb 4-5): Dort war das »Lamm«/ Christus von Gott mit Macht und Herrschaft ausgerüstet worden. So wie der Drache als Gegenspieler Gottes agiert, parodiert das Tier aus dem Meer die Rolle des erhöhten Christus. Schwieriger ist die Entsprechung des Tieres vom Land zu bestimmen, dessen Rolle als »Lügenprophet« auf die bewusste Verkehrung urchristlicher Prophetie zu zielen scheint. 30 In der exegetischen Literatur hat man hier gern von einer »satanischen Trinität« gesprochen, 31 was den engen Zusammenhang der drei Figuren und ihren blasphemischen Charakter zum Ausdruck bringt. Auf der Ebene der politischen Symbolik aber lässt sich in dem ersten Tier deutlich der göttlich verehrte Kaiser erkennen, dessen Macht damit als eine vom Satan verliehene Macht gekennzeichnet wird; 32 der Lügenprophet hingegen fungiert als Agitator des Kaiserkultes und sorgt für dessen Durchsetzung in der Provinz. 33 Noch deutlicher spiegelt sich in der großen Stadt, der »Hure Babylon« (Offb 17), Rom als das Machtzentrum des Imperiums wider. Die Christen Kleinasiens befinden sich in dieser Situation in der Defensive. Angesichts der Übermacht des römischen Staates drohen alle Verheißungen des Evangeliums hoffnungslos zu verblassen. Wer das letzte Wort behält, scheint bereits ausgemacht zu sein. Doch genau hier setzt der Seher sein Trostschreiben an. Er verfolgt darin eine doppelte Strategie. Mit den Sendschreiben (Offb 2-3) lässt er den erhöhten Christus selbst das Wort ergreifen und seinen Gemeinden signalisieren, dass ihr Geschick von Gott wahrgenommen wird. Mit den Visionen aber (Offb 4-21) gestattet er ihnen einen Blick hinter die Kulissen, bei dem sich die Proportionen ganz anders als in ihrer täglichen Erfahrung darstellen. Schlüsselfunktion hat in dieser Hinsicht die große Thronsaalvision in 4,1-5,14. 34 Dem Seher öffnet sich der Himmel, so dass er einen Blick in die Welt Gottes zu werfen vermag. Was er sieht, beschreibt er in Bildern, die schon aus den Visionen alttestamentlicher Propheten bekannt sind (Ez 1,3-15; Jes 6,1-13). Zunächst schaut er einen gewaltigen Thron (4,1-11). Die Erscheinung Gottes selbst wird nur angedeutet - wie das Farbenspiel von Edelsteinen wirkt sie auf den Seher, dem dabei jedes Sprachmuster versagt. Deutlicher nimmt er den Hofstaat Gottes wahr, der wie die Entourage eines Großkönigs den Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 30 - 3. Korrektur 30 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Thronsitz umgibt und dabei einen ununterbrochenen liturgischen Dienst vollzieht. Der Schwerpunkt aber liegt bei der zweiten Szene (5,1-14). In der Hand Gottes befindet sich ein siebenfach versiegeltes Buch, dessen Inhalt offensichtlich den Ablauf der Geschichte betrifft. Das Buch enthält jedoch nicht etwa Orakel, mit deren Hilfe künftige Ereignisse enthüllt werden sollten. Vielmehr hat es die Gestalt einer Urkunde, die ihren Besitzer legitimiert, einen bereits festgelegten Plan zu vollstrecken. Mit dem Lösen seiner Siegel soll die Geschichte in Gang gesetzt werden, und dazu bedarf es eines Akteurs, der über die entsprechende Befähigung verfügt. Der Seher wird nun zum Ohrenzeugen jener Frage, die in der himmlischen Thronwelt erklingt: »Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen (5,2)? « Nach anfänglichem Schweigen, das die Größe der Aufgabe noch einmal unterstreicht, wird daraufhin der auferstandene und erhöhte Christus in der himmlischen Versammlung präsentiert. Er trägt die Würdetitel »Löwe aus dem Stamm Juda und Wurzel Davids« und erscheint als »ein Lamm, wie geschlachtet« (5,5-6). 35 Als er vor den Thron tritt, akklamieren ihn alle Wesen mit den Worten: »Du bist würdig, das Buch zu empfangen und seine Siegel zu öffnen! Denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut [Menschen] für Gott erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation und hast sie zu Priestern gemacht, und sie werden auf der Erde herrschen (5,9-10)! « Mit dieser Szene werden die Kräfteverhältnisse zurecht gerückt. Christus ist der Herr der Geschichte. Was auch immer geschieht, liegt in seiner Hand. Diese Entscheidung aber hängt nicht von einem künftig erst noch zu bestehenden Konflikt ab, sondern ist längst schon gefallen. Im Bild des Lammes, das den Schächtschnitt sichtbar am Hals trägt, wird der Kreuzestod Jesu als jenes Datum benannt, mit dem das Geschick aller gegengöttlichen Mächte besiegelt worden ist. Dadurch hat sich der »Löwe aus dem Stamm Juda« jene Vollmacht oder »Würde« erworben, die ihn nun zur Vollstreckung des Geschichtsplanes Gottes qualifiziert. Dass es einen solchen Plan gibt und die Geschichte kein Selbstläufer ist, der sich Zufällen und der Willkür wechselnder Machthaber verdankt - davon zeigt sich der Seher wie auch die ganze alttestamentlich-jüdische Überlieferung fest überzeugt. Die Frage ist nur, wen Gott damit beauftragt, die Geschichte ihrem Ziel zuzuführen. Mit der Szene in Offb 5,1-14 wird diese Frage beantwortet. Zugleich eröffnet sie eine neue Perspektive: Diejenigen, die zu Christus gehören, sind bereits in die Herrschaft des Auferstandenen und nun von Gott Beauftragten einbezogen. Wer das letzte Wort behält, muss damit nicht mehr unter Hoffen und Bangen abgewartet werden. Für den Seher und seine Gemeinden gibt es keinen Zweifel: Dieses letzte Wort ist längst gesprochen. Die Bedrohung, die auf sie zukommt, ist nichts anderes als ein vergebliches Anrennen des »Bösen«, ein letztes Aufbäumen der gegengöttlichen Mächte, ein verzweifeltes Ausreizen eines immer kleiner werdenden Spielraumes. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Seher damit beabsichtigte, die Bedrohung klein zu reden oder gar zu bagatellisieren. In der Folge jagt ein Katastrophenszenario das andere, ein Krieg löst den anderen ab, eine Vernichtungswelle rollt über die andere hin. 36 Jene Mächte, die gegen Gott aufbegehren, erhalten immer wieder Raum zur Entfaltung ihrer Gewalttaten; sie werden überwältigt, erneut freigegeben, und wiederum vernichtet. Das »Böse« liegt zwar durchgängig an der Leine, aber diese Leine ist lang und gestattet ihm, sein ganzes Gewaltpotential in immer neuen Anläufen auszuleben. Die »Überwinder«, die in diesen Verfolgungen standhalten, bezahlen dafür immerhin mit ihrem Leben. Das einzig Tröstliche liegt in der Perspektive, dass ihr Tod kein sinnloses Opfer bleibt, bei dem die Gewalt am Ende triumphiert. Sie werden bei Gott aufbewahrt (Offb 6,9) und wieder ins Recht gesetzt. Man kann fragen, ob eine solche Sicht auf die Geschichte tatsächlich zu trösten vermag, wenn sie nicht mit der Distanz vieler Jahrhunderte, sondern unter der Hitze unmittelbarer Lebensgefahr erfolgt. Spätestens die Erfahrungen des 20. Jh.s haben in der Theologie eine grundsätzliche Skepsis an der geläufigen Vorstellung einer »Heilsgeschichte« aufkommen lassen, deren Spuren im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung abzulesen wären. 37 Die Gemeinden der Offenbarung rechnen freilich nicht damit, am Beginn einer 2000-jährigen Kirchengeschichte zu stehen. Sie antworten vielmehr auf die Zusage vom Schluss dieses Trostbuches - »Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald! « - mit dem sehnsuchtsvollen Ruf: »Amen, komm Herr Jesus! « (22,20). 4. Schluss »Wer zuletzt lacht, lacht am besten! « Mit dem Lachen hat es die biblische Überlieferung allerdings sehr viel weniger als der Volksmund. Die Bedrohungen durch das »Im Bild des Lammes, das den Schächtschnitt sichtbar am Hals trägt, wird der Kreuzestod Jesu als jenes Datum benannt, mit dem das Geschick aller gegengöttlichen Mächte besiegelt worden ist.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 31 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 31 Christfried Böttrich Das Böse hat nicht das letzte Wort. »Böse« in seinen vielfältigen Erscheinungsweisen sind nicht eben dazu angetan, von der heiteren Seite genommen zu werden. Das »letzte Wort« ist eine deutlich ernstere Sache. Denn es lässt sich nur im Zusammenhang jenes ersten Wortes vernehmen, das von Gott ausgeht und das in Jesus Christus Mensch geworden ist. Das hat seinen Preis - dafür aber auch Gewicht und Wirkung. »In Christus« ist das »Böse« zwar noch nicht ein für alle Mal zum Schweigen gebracht, und so lange behält auch die Bitte des Vaterunsers um Erlösung »von dem Bösen« ihren guten Sinn. 38 Aber das letzte Wort ist ihm schon entzogen. Das ist auch der Grund, schließlich doch noch ein befreites Lachen anzustimmen! In der Liturgie des Osterfestes hat es seinen angestammten Ort gefunden. Etwa seit dem 14. Jh. verschafft sich der risus paschalis (das Osterlachen) in einigen Regionen der Christenheit regelmäßig Gehör, 39 um die Gläubigen, die aus der Karwoche auftauchen, nun auch ganz unmittelbar und emotional mit der Freude der Osterbotschaft zu erfüllen. Dabei wird schlicht und einfach der Tod ausgelacht, den Paulus in 1Kor 15,26 als den »letzten Feind« bezeichnet hatte. Dieses Osterlachen klingt fortan auch überall dort hinein, wo das »Böse« nach wie vor seine Stimme erhebt. Anmerkungen 1 H. und A. Beyer, Sprichwörterlexikon. Sprichwörter und sprichwörtliche Ausdrücke aus deutschen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig 5 1989, 340. 2 Einen guten Überblick bietet E. Reinmuth, Art. Böses, www.wibilex.de, 2010; dazu E. Brandenburger, Das Böse. Eine biblisch-theologische Studie (ThSt 132), Zürich 1986. 3 K. Joisten (Hg.), Narrative Ethik. Das Gute und das Böse erzählen (DZPhil Sonderband 17), Berlin 2007. 4 Hier ist in erster Linie die persische Religion zu nennen; im Umfeld der frühen Christenheit tritt seit dem 2. Jh. vor allem die Gnosis mit einer solchen dualistischen Sicht hervor. 5 J. Dupont, Die Versuchung Jesu in der Wüste (SBS 37), Stuttgart 1969. 6 Vgl. M. Hüneburg, Jesus als Wundertäter in der Logienquelle. Ein Beitrag zur Christologie von Q (ABG 4), Leipzig 2001, 91-125. 7 Immer wieder hat man vermutet, dass in dieser kurzen Notiz schon eine Vorwegnahme des »eschatologischen Tierfriedens« (Jes 11,6-8; 65,25) angedeutet werden soll. 8 Vgl. W. Foerster/ G. von Rad, Art. diaballō, diabolos, ThWNT 2, 1935, 69-80. 9 Das Verb peirazō meint hier so viel wie »prüfen, auf die Probe stellen«; als »Prüfung« versteht bereits Dtn 8,2 den Wüstenaufenthalt Israels. 10 Unmittelbar zuvor war Jesus in der Taufszene von einer Himmelsstimme als »Sohn« proklamiert worden (Mt 3,17/ Lk 3,22), was es nun zu bewähren gilt. 11 H. Ganser-Kerperin, Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk (NTA 36), Münster 2000. 12 Den Prozess Jesu gestaltet Lukas als korrektes römisches Akkusationsverfahren; in der Apg bemüht er sich immer wieder, das Wohlwollen gerade der römischen Behörden gegenüber der christlichen Verkündigung darzustellen. 13 Chr. Kähler, Satanischer Schriftgebrauch. Zur Hermeneutik von Mt 4,1-11/ Lk 4,1-13, ThLZ 119 (1994), 857-868. 14 D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike (WMANT 11), Neukirchen-Vluyn 1964; engl. The Opponents of Paul in second Corinthians, Edinburgh 1987. 15 Vgl. P. Arzt, »Diener Satans« und »Feinde des Kreuzes«. Zur Funktion von Gegnerdiffamierungen im 2. Korinther- und im Philipperbrief, in: A. Buschmann (Hg.), Jahrbuch der Universität Salzburg 1987-1989, München/ Salzburg 1991, 75-86. 16 Hier besteht das grundsätzliche methodische Problem, dass wir die Positionen jener ganz verschiedenen »Irrlehrer«, gegen die in den Briefen des Neuen Testaments polemisiert wird, immer nur aus ihrer jeweiligen Zurückweisung und nicht aus authentischen Selbstzeugnissen kennen; vgl. dazu K. Berger, Die impliziten Gegner. Zur Methode der Erschließung von »Gegnern« in neutestamentlichen Texten, in: D. Lührmann (Hg.), Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 373-400. 17 So werden etwa die »Götter/ Götzen« im Umfeld Israels von der LXX in Ps 95,5 mit dem Begriff »Dämonen« übersetzt; vgl. zum Ganzen P. Lampe, Die dämonologischen Implikationen von I Korinther 8 und 10 vor dem Hintergrund paganer Zeugnisse, in: H. Lichtenberger/ A. Lange/ K. F. D. Römheld (Hgg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003. 18 Pausanias. Beschreibung Griechenlands, Auswahl und Übersetzung von J. Laager, Zürich 1998, II 2,3-11,2. 19 Vgl. anschaulich D. Zeller, So wahr mir Hercules helfe! Die griechisch-römischen Götter und ihre Gläubigen am Beispiel von Korinth, WuB 25 (2002), 5-13. 20 Vgl. dazu grundlegend W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 2: 1Kor 6,12-11,16 (EKK VII/ 2), Solothurn und Düsseldorf/ Neukirchen-Vluyn 1995. 21 Vgl. J. Woyke, Götter, »Götzen«, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen »Theologie der Religionen« (BZNW 132), Berlin/ New York 2005. 22 Zum Hintergrund vgl. W. Berg, Die Eifersucht Gottes - ein problematischer Zug des alttestamentlichen Gottesbildes? , BZ 23 (1979), 197-211. 23 T. Jantsch, »Gott alles in allem« (1Kor 15,28). Studien zum Gottesverständnis des Paulus im 1. Thessalonicherbrief und in der korinthischen Korrespondenz (WMANT 129), Neukirchen-Vluyn 2011. 24 K. Berger, Das Böse als Thema biblisch-neutestamentlicher Ethik, in: ders., Das Böse und die Sprachlosigkeit der Theologie, Regensburg 2007, 9-33. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 32 - 3. Korrektur 32 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema 25 So die Mehrheitsmeinung, exemplarisch etwa bei M.- Ebner/ S. Schreiber (Hgg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2009, 569-570. 26 Th. Witulski, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian. Studien zur Datierung der neutestamentlichen Apokalypse (FRLANT 221), Göttingen 2007. 27 Vgl. ausführlich Th. Witulski, Kaiserkult in Kleinasien. Die Entwicklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia von Augustus bis Antonius Pius (NTOA 63), Fribourg/ Göttingen 2007. 28 Vgl. ausführlich Witulski, Johannesoffenbarung, 250- 278. 29 S. Krauter, Studien zu Röm 13,1-7. Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit (WUNT 243), Tübingen 2009. 30 Prophetie lebt in der frühen Christenheit von neuem auf, wie etwa die Gemeindesituation in Korinth zeigt; damit aber macht sich erneut auch die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Prophetie notwendig. 31 Der Ausdruck stammt von J. H. Jung-Stilling; vgl. J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 1984, 139. 32 Einen solchen Zusammenhang stellt ansonsten nur noch Lk 4,6 her (s. oben). 33 Witulski, Johannesoffenbarung, 219-237, der das erste Tier auf Kaiser Hadrian deutet, erkennt in dem zweiten Tier den Sophisten Antonius Polemon (88-145) aus Laodizäa, der unter Hadrian eine maßgebliche Rolle bei der Etablierung des Kaiserkultes in der Asia spielte. Andere Ausleger sehen hier eine kollektive Größe, die ganz allgemein auf die Priesterschaft an den staatlichen Heiligtümern zu beziehen ist. 34 Vgl. grundlegend U. B. Müller, Die Offenbarung des Johannes (ÖTK 19), Gütersloh/ Würzburg 2 1995. 35 M. Hasitschka, »Überwunden hat der Löwe aus dem Stamm Juda« (Offb 5,5). Funktion und Herkunft des Bildes vom Lamm in der Offenbarung des Johannes, ZKTh 116 (1994), 487-493. 36 Dabei machen gerade die Reihen von Siebener-Visionen deutlich, dass hier keine lineare, chronologisch fortlaufende Schilderung vorliegt, sondern eher eine zyklische, entfaltende, intensivierende Art der Darstellung. 37 E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik. Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003. 38 Vgl. zu diesem Zusammenhang O. Bayer, Wann endlich hat das Böse ein Ende? , in: F. Hermanni/ P. Koslowski (Hgg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Systematisch-theologische und philosophische Annäherungen, München 1998, 149-156. 39 Fluck, Der risus paschalis. Ein Beitrag zur religiösen Volkskunde, ARW 31 (1934), 189-212. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 33 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 33 1. Einleitung Die Johannesoffenbarung lässt sich als eine subversive Erzählung bezeichnen. 2 Sie wertet die bestehenden politischen, sozialen und religiösen Strukturen durch den von Gott dem Erzähler vermittelten Einblick in den himmlischen Thronsaal und das dort ausgelöste, bald eintreffende Geschehen radikal um (Offb 1,1- 3). Das scheinbar Feststehende, das Römische Reich mit seinem vor allem auch in Kleinasien religiös verehrten Kaiser als Herrscher, wird durch die Erzählung auf dessen Endlichkeit hin durchleuchtet; dadurch wird Widerstand ermöglicht, den die Offenbarung im Bewahren des Wortes Gottes und des Zeugnisses für Christus bestimmt. Es ist Teil der rhetorischen Strategie dieser Erzählung, 3 die Welt in einen Gegensatz von Gut und Böse einzuteilen 4 und so durch ihre Bilder und Vision Sinn und Orientierung für die Adressaten zu entwickeln. 5 In diese rhetorische Strategie der Erzählung gehört das Konzept vom Satan als dem gefährlichen Verlierer hinein: es ermutigt zum Widerstand, indem es den Satan und die als seine Helfer identifizierten Charaktere als eine von und vor Gott besiegte Größe darstellt; es warnt zugleich vor Kompromissen und fehlender Konsequenz angesichts der Gefahren, die von dieser Gestalt ausgehen. 2. Der Teufel 2.1 Der Teufelssturz als eine zentrale Szene der Johannesoffenbarung (Offb 12) Der Bericht vom Kampf mit dem Satan, seinem Sturz aus dem Himmel und seinem Wüten gegen die Christen in der Welt steht etwa in der Mitte der »Erzählzeit« (Dauer des eigentlichen Erzählens). Die Kapitel 12-13 unterbrechen zusammen mit Kap. 14 die Siebenerzyklen der Visionsdarstellung. Man kann daher durchaus von einem Zentrum der Offenbarung sprechen. 6 Folgen wir dem Aufbau von Kap. 12, 7 so steht an dessen Beginn die in mythischen Bildern geschilderte Episode von der nahen Niederkunft einer Himmelsfrau und der Bedrohung dieser Frau samt ihrem neugeborenen Kind durch einen großen feuerroten Drachen (12,1-5a). Die Szene entwickelt ein eigenständiges kosmologisches Motivprogramm, in dem der »Anspruch des weltlichen Herrschers auf Göttlichkeit […] auf ironische Weise umgekehrt [wird]: Der römische Kaiser, der sich selbst als Gott und Gottessohn, als Apollon oder als Sohn des Apollon sieht, muss sich in der gegensätzlichen Rolle wiederfinden. Für die Johannesapokalypse repräsentiert gerade er den Gottesfeind, den Satan, den Drachen, Typhon oder Python«. 8 Die Szene wird durch die Entrückung des Kindes in den Himmel und die Flucht der Frau in die Wüste als Schutzraum beendet (12,5b-6.14). Aus der Eingangsszene entwickelt sich der Konflikt zu einem neuen Akt, der als »Krieg im Himmel« überschrieben wird (12,7a). In sehr knappen Zügen wird vom Kampf zwischen dem Drachen mit seinen Anhängern und dem Engel Michael mit seinen Unterstützern berichtet (12,7b). Die unmittelbare Folge des Kampfes ist die Entfernung des Teufels aus dem göttlichen Machtraum, dem Himmel, von dem her der Seher seine theozentrisch bestimmte Sinnkonstruktion entfaltet. 9 Die Entfernung des Drachens aus diesem sinnentscheidenden Raum (12,8) wird als Siegesmeldung gefeiert (12,10), um zugleich zu konkretisieren: »er wurde auf die Erde geworfen« (12,9b). Der passive Aorist verkörpert den Leitgedanken von 12,9, da das Verbum dreimal wiederholt wird. Es gilt der als Drachen und Schlange, Teufel und Satan und als Verführer gekennzeichneten Figur (12,9a) mit ihren Anhängern (12,9c). Aus der Bezeichnung des Satans in 12,9 sticht die Partizipialkonstruktion »der Verführer der gesamten Welt« heraus. Diese Bezugsgröße entspricht dem Raum der Herrschaftsrealisierung nach der römischen Herrschaftsideologie 10 und legt der Bezeichnung des Satans einen politischen Unterton bei. Das Verb »verführen« kennzeichnet den Besiegten in seinem Wirken gegenüber der Welt und schlägt den Bogen zu den Adressaten; sie sind Gegenstand der Verführung. Verführung bezeichnet das religiöse Irreleiten als Abbringen von der als authentisch betrachteten Gottesverehrung- - dieses Stichwort ist eine wesentliche Kategorie zur Beschreibung des Wirkens des Satans (neben 12,9 s. a. 20,3. 8. 10) und der Zuordnung seiner Helfer zu seinem Wirken (2,20; 13,14; 18,23; 19,20). Michael Labahn Teufelsgeschichten Satan und seine Helfer in der Johannesapokalypse 1 Zum Thema Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 34 - 3. Korrektur 34 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Dieses Bildprogramm des Satanssturzes wirkt wie eine narrative Entfaltung des nur im Lukasevangelium überlieferten Jesusspruchs vom Himmelssturz des Satans (10,18). Die sprachliche Schnittmenge ist äußerst schmal, so dass eine direkte Abhängigkeit vom lukanischen Text wenig wahrscheinlich ist. Eine Verbindung lässt sich durch die motivlich-inhaltlichen Komponenten des Sturzes aus dem Himmel begründen, die im Fallen des Satans auf die Erde besteht. Der lukanische Kontext stellt den Himmelssturz des Satans in den Zusammenhang mit exorzistischen Handlungen der Jünger (10,17-20) und beteiligt sie damit am Kampf gegen den Satan und seine Schergen. Die Johannesoffenbarung beschreibt den Himmelssturz des Drachens in 12,13 als Fall auf die Erde (12,9.13) und begründet damit eine Gefährdung der Gemeinde, die dieser Gefahr standhalten muss und kann, da die gefährliche Figur des Satans eine besiegte ist. Der Erzähler der Johannesoffenbarung kann als ein unabhängiger Zeuge der Jesustradition gelten. Er rezipiert den Spruch kreativ und stellt ihn in das Zentrum seiner Sinnbildung. Marlies Gielen versteht den Satanssturz als dessen »endgültige Niederlage« 11 und das irdische Wirken als »ein zum Scheitern verurteiltes Nachhutgefecht«. 12 Allerdings bildet dies ein »irdische[s] Noch-Nicht […] als einer zeitlichen Verschiebung des sachlich parallelen Geschehens im Himmel und auf Erden«. 13 Diese Formulierung unterstreicht die bestehende Gefährdung der Adressaten durch den Satan, macht jedoch den Sieg für die Adressaten zu einem vorläufigen Geschehen, das der ihnen grundsätzlich möglichen Antwort des Ausharrens bedarf. Die Pointe des Sehers liegt in der Vermittlung der Ein-Sicht in die aktuelle Gefährdung durch eine durch Gottes Macht entmachtete Figur, wie die narrative Weiterführung des Konfliktes belegt. Offb 12,10-12 bejubelt den Sieg über den Satan im entscheidenden Wirkraum der narrativen Geographie der Johannesoffenbarung, dem Himmel. Hier wird deutlich, was der Sieg über den Satan bedeutet. In Offb 12,10 begegnet das traditionell mit dem Satan verbundene Motiv des Anklägers (vgl. Hi 1,6 ff.; Sach 3,1; Jub 48,15)-- auf das kulturelle Wissen um den Satan als Ankläger der Menschen vor Gott wird so angespielt, dass es zu einer Chiffre seiner überwundenen Gefährlichkeit im Himmel wird. Das himmlisch-göttliche Rettungshandeln ist als Reflexion über die Soteriologie zu verstehen, an die 12,10 f. erinnert; hier wird vom Geschehen der Rettung, von der Macht und Herrschaft Gottes und der Vollmacht Christi (V. 10) gesprochen und die im Himmel präsenten Jesusanhänger werden als durch das »Blut des Lammes« Erlöste vorgestellt. Aus dem Sturz des Satans wird das ethische und religiöse Prinzip entwickelt, mit dem der im Folgenden dargestellten Gefahr zu begegnen ist. Begründet in der Soteriologie werden die christlichen Überwinder als diejenigen vorgestellt, die wegen ihres Wortes und Zeugnisses den Tod erlitten haben. Die »Radikalisierung der Wirklichkeit«, durch die aus dem Sterben eines treuen Zeugen, Antipas, eine Vielzahl der getöteten Zeugen wird, 14 bildet die Rettung vor dem Wüten des Satans durch den Platz dieser Zeugen im himmlischen Raum ab; die Opfer werden zum Vorbild für die Bewährung in den Gefahren, die dem Satanssturz folgen. 15 Abschließend wird ein Weheruf über Erde und Meer angestimmt (V. 12b), da diese nunmehr direkt dem großen Zorn des Satans ausgeliefert sind. Durch den Fall des Satans auf die Erde wird diese zu seinem Handlungsraum und dadurch zu einem direkt vom Wirken des Satans bedrohten Bereich. Dies weist auf das Geschehen um das Tier aus dem Meer und das andere Tier auf dem Land von Offb 13 voraus. Dem Satan und seinen Helfern ist jedoch nur ein kurzes, aber gefährliches Wirken Pfr. PD Dr. Michael Labahn, geb. 1964, Pfarrer in der evangelischen Landeskirche Anhalts. Seit 2009 Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg. 1998 Promotion zum Dr. theol. mit der Arbeit »Jesus als Lebensspender. Exemplarische Untersuchungen zu einer Formgeschichte des vierten Evangeliums anhand der johanneischen Wundergeschichten«. Bis 2006 Wissenschaftlicher Assistent an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg, danach BAP scientific researcher on postdoctoral level am Department of Biblical Studies der Katholieke Universiteit Leuven und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DfG-Projekt »Einflüsse der Septuaginta in der Apokalypse des Johannes« der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel. Hauptforschungsgebiete: Jesus, Synoptische Überlieferung, Johanneische Schriften, Johannesoffenbarung, Wunder, Frühchristliche Ethik. Michael Labahn Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 35 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 35 Michael Labahn Teufelsgeschichten bestimmt. Das Motiv der »kurzen Zeit« (vgl. z. B. Offb 6,11; 17,10; 20,3) gehört zum Trost spendenden Motivprogramm der Johannesoffenbarung, indem es einerseits die chronologische Begrenzung von Gefährdungen und Plagen markiert und andererseits die Vorstellung eines von Gott beherrschten Geschehens dokumentiert. Als Grenzen setzende Macht bleibt Gott Herr über die Ereignisse und steht auf Seiten derer, die an seinen Geboten und am Zeugnis für Jesus festhalten (12,17). Es ist das vorgängige Gotteshandeln, das die Möglichkeit zur Bewährung der Jesusanhänger schafft. Die dritte Episode in Offb 12 zeigt dabei, dass die Überwindung des Satans nicht nur die Wirklichkeit der christlichen Gemeinde nach der Geschichtskonstruktion des Sehers prägt, sondern dass die Überwindung des Satans zu einer Zeit der Gefährdung führt, die durch Gott bestimmt ist, der im Begriff ist, seine Herrschaft durchzusetzen. Aus der Darstellung des Wirkens des gestürzten Satans entwickelt die Erzählung ihr Verständnis irdischer Herrschaft als Reflex des Besiegten und um seine Machtlosigkeit Wissenden; der Satan agiert im machtlosen Zorn. Durch die Entfaltung dieses irdischen Wirkens in Offb 12,18-13,18 wird die römische Herrschaft in der Machtzuteilung durch den Satan als Konkretion dieses ohnmächtigen und doch gefährlichen Zornes vorgestellt. So wird irdische Herrschaft in subversiver Rhetorik als gegengöttliches, satanisches Wirken verteufelt und zugleich als strukturell besiegte Größe vorgestellt. Aus dem Trost der Siegesbotschaft entwickelt die story die Notwendigkeit zum Bewahren des Zeugnisses (vgl. 12,17 mit 12,18-13,18). Die Mahnung zum Bewahren entspricht nicht nur dem Trost durch das Konzept der Entmachtung des Satans in seinem Himmelsturz, sondern auch der Schau des endgültigen Sieges über die gegengöttliche Verführergestalt in Offb 20. Diese Vorausschau lässt die Mahnungen dem Modellleser als ›machbar‹ erscheinen. Die Gegenwart ist als Zeit der Herausforderung eingespannt in Siegesmeldungen (Kap. 12 und 20)-- sie ist nach der narrativen Konstruktion eine Zeit der Bedrohung, aber auch eines schmerzhaften und möglichen Standhaltens. Die Welt ist Ort des gefährlichen Wirkens einer eigentlich besiegten Gestalt. 2.2 Das Ende des Teufels und die Frage nach der Gerechtigkeit Offb 20 schildert die endgültige Überwindung des Satans und des Bösen in der Welt mit dem wirkungsgeschichtlich eindrücklichen Bild vom Feuerpfuhl. Zuvor wird der Satan festgesetzt und nach einer tausendjährigen Herrschaft der durch das Römische Reich getöteten und verfolgten Christen noch einmal zu einem letzten erfolglosen Ansturm böser Mächte freigelassen. In diesem Abschnitt geht es neben der Darstellung des Endes des Satans und seiner Helfer auch um Kompensation erlittenen Unrechts in der irdischen Welt-- eine neue Welt und ein neuer Himmel werden erst in 21,1ff. eingesetzt-- durch eine tausendjährige Herrschaft mit dem Christus: eine Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit des gerechten Gottes. 16 Diese vier Abschnitte bilden eine spannungsvolle Einheit. (1) Nach dem Sieg über die »Hure Babylon« und über das Tier und seinen Propheten (Kap. 18-19) erfolgt die Bindung Satans, die an die Fesselung des Fürsten Mastema in Jub 48,15.18 erinnert. 17 Diese zwischenzeitliche Bindung des Satans trägt komische Züge. Schon die Gefangennahme des Satans durch das »Ergreifen des Drachens« (20,2) trägt nicht mehr Züge des Kampfes wie in 12,7 ff., sondern macht aus ihm eine überwundene Gestalt ohne Möglichkeit zur Gegenwehr. Der Zusammenhang mit dem Satanssturz ist deutlich markiert. Wie bei der Feststellung des Geworfen-Werdens auf die Erde wird der Satan mit einem gegenüber 12,9b leicht variierten Katalog verschiedener Namen belegt: der Drache, die alte Schlange, der der Teufel und Satan ist. Es fehlt vor allem das Adjektiv »groß« und der Hinweis auf die Fähigkeit, die Menschen zu verführen, gehört nicht mehr zur Namensliste hinzu. So wird der Satan mit dem veränderten Namenskatalog in 20,2 als besiegte Gestalt porträtiert; diese ist gebunden und nach 20,3 gesichert verwahrt. Für den festgelegten Zeitraum der 1000 Jahre geht keine Verführung mehr von dieser Figur aus. (2) Die viel umrätselte Episode vom tausendjährigen Reich 18 beantwortet durch die Herrschaft der wegen ihres Christus- und Gotteszeugnisses Enthaupteten und derer, die sich der Verführung durch das Tier verweigert haben, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Geschichtsverlauf (s. schon 6,10 19 ). Die Getöteten und »Die Pointe des Sehers liegt in der Vermittlung der Ein-Sicht in die aktuelle Gefährdung durch eine durch Gottes Macht entmachtete Figur, wie die narrative Weiterführung des Konfliktes belegt.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 36 - 3. Korrektur 36 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema Verfolgten herrschen, so dass das Unrecht nicht das letzte Wort behält, sondern im Ablauf irdischer Geschichte in einem langen Zeitraum, in dem die widergöttliche Macht gebunden ist, kompensiert wird. (3) Die erneute Freilassung des Satans in 20,7 gehört zu den bizarren Darstellungsweisen der Johannesoffenbarung: Nicht genug, dass der Satan überwunden und entmachtet ist und eine Herrschaft der Märtyrer als Wiederherstellung ihres in der Ermordung verlorenen Status erfolgt, es kommt noch einmal zu einer letzten Gefährdung der Anhänger des Lammes (20,8). Der Satan eilt ein letztes Mal aus seinem Zwinger heraus- - er ist seine eigene Karikatur, die auf ihre endgültige Überwindung zustrebt. Wenn in diesem Kontext erneut von der Möglichkeit gesprochen wird, »die Völker zu verführen«, dann wohnt diesem Bestreben zugleich ein Moment der Gefahr wie der Karikatur inne. Es ist der in seiner Machtlosigkeit präsentierte Charakter des Satans, der hier gegen die Heiligen losgelassen wird; er ist in seiner Gefährlichkeit nur eine getriebene Figur, die das Zugelassene ausführt, nicht aber durch ihre eigene Macht gestaltet. Wer die Figur des Satans in der literarischen Konzeption des Sehers als entmachtet und besiegt versteht, ist zwar der Gefährdung seines Lebens ausgesetzt, wird sich laut Sinnkonzept aber nicht verführen lassen. (4) Die endgültige Vernichtung des Satans samt dem Tier aus Offb 13 und dem falschen Propheten (vgl. 19,20; 13,12) findet in 20,10 statt. Dem Himmelssturz, der als Geworfensein aus dem Himmel dargestellt wurde, entspricht ein erneutes Geworfen-Werden (vgl. das dreimalige Verwenden des Verbs in Offb 12,9). Der Teufel wird als Verführer der vorgenannten Völker (20,8; 20,3) in den Feuer- und Schwefelpfuhl geworfen. Das Verbringen des Satans an den eschatologischen und damit endgültigen Vernichtungsort der Gottesfeinde, der als Kontrastort zum Neuen Jerusalem der Ort der Abwesenheit Gottes ist, ist im Verführen seiner Anhänger begründet. Das Abwenden von Menschen weg von Gott ist das entscheidende Vergehen des Satans (und seiner Helfer). Zugleich bestimmt diese Episode das Verführen in eschatologischer Perspektive als durch Strafe sanktioniertes Handeln; in Bezug auf die Adressaten ist das, was in der Darstellung des Sehers als Verführt-Werden präsentiert wird, ein dem Gericht unterworfenes wie auch überwundenes Geschehen. Mahnung und Ermutigung sind zwei pragmatische Schlussfolgerungen aus der Vernichtung des Satans in 20,10. Diese letzte Etappe des Wirkens der Figur des Satans zeigt wie Kap. 12, dass von dieser Figur Gefahr ausgeht, sie aber in ihrer Macht gebrochene und in ihrem Wirken eingeschränkte ist. Der Zorn treibt den Satan, aber seine Möglichkeiten sind durch die Herrschaft Gottes und ihre Durchsetzung begrenzt. Die Verführung und Gefährdung der Heiligen interpretieren die vom Seher gedeutete Gegenwart der Adressaten. Die Gefährdung der Gegenwart verliert ihre Endgültigkeit angesichts der göttlich autorisierten Kenntnis der Zukunft, in der auch das bedrohliche Handeln des Satans in der Gegenwart als begrenztes und überwundenes zu seiner eigenen Karikatur wird. 3. »Verteufelungen« Die Mehrzahl der Belege für den Begriff »Satan« (fünf der acht Belege) sind in den Sendschreiben (Offb 2-3) zu finden. Die Sendschreiben sind der Textbereich der Johannesoffenbarung, der in besonderer Weise die Gegenwart der Adressaten kritisch reflektiert und interpretiert. Der Verfasser analysiert die soziale, politische und religiöse Situation der angeschriebenen frühchristlichen Gemeinden und gibt in Lob und Tadel, die oftmals Lokalkolorit der angeschriebenen Städte widerspiegeln, 20 Handlungs- und Deutungsmodelle vor. Der Modellleser wird im jeweiligen Überwinderspruch als derjenige vorgestellt, der in den Genuss des eschatologischen Heilsguts gelangt, weil er die durch den erhöhten Christus vorgezeichneten Folgerungen zieht und entsprechend handelt. So bekommen die Sendschreiben, die über die dargestellte Situation der jeweils angesprochenen Gemeinde hinausreichen, Modellcharakter. In diesem Textbereich finden sich, sieht man von der Verteufelung des Römischen Reiches, seines Führers und seines Kultes in Offb 13 ab, die wesentlichen Belege für die Verteufelung von Charakteren in der Offenbarung. Als »Verteufelungen« werden direkte semantische Verknüpfungen von Charakteren, Ortsangaben oder soziologischen Größen mit dem Satan bezeichnet »In [Offb 20] geht es neben der Darstellung des Endes des Satans und seiner Helfer auch um Kompensation erlittenen Unrechts in der irdischen Welt-- eine neue Welt und ein neuer Himmel werden erst in 21,1ff. eingesetzt-- durch eine tausendjährige Herrschaft mit dem Christus: eine Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit des gerechten Gottes.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 37 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 37 Michael Labahn Teufelsgeschichten (»Thron des Satans«; »Synagoge des Satans«; »die, die die Tiefen des Satans erkennen«). 3.1 Die politische Macht als Kollaborateur des Satans Nach Offb 2,13 wohnt die Gemeinde von Pergamon dort, wo der »Thron des Satans« steht; sogar der Satan selbst wohnt dort. Seit 29 v. Chr. befindet sich auf dem pergamenischen Burgberg ein Tempel für die Dea Roma und für Augustus. Elemente der Kaiserverehrung sind in Pergamon baulich und kultisch präsent, die sich für die Identifikation mit dem »Thron des Satans« und als Begründung des »Wohnens« des Satans anbieten. An den erst unter Kaiser Hadrian errichteten Einzeltempel für den Kaiserkult muss also nicht notwendig gedacht werden, um einen textexternen Referenzpunkt des Kaiserkultes als Hintergrund von Offb 2,13 zu identifizieren. 21 Die Konstruktion von 2,13 ist kunstvoll um den Begriff des Wohnens herum aufgebaut. Geographische und symbolische Interpretation der Vorstellung vom »Thron des Satans« ergänzen einander. Der »Thron des Satans« bildet gemeinsam mit dem »Thron des Drachens« (13,2) und dem »Thron des Tieres« (16,10) eine semantische Linie, die Sendschreiben und Visionenzyklus verbindet. Ihr Bindeglied ist der als gegengöttlich verstandene, zuteilbare Herrschaftsanspruch, wobei der Drache als Teil der Satankonzeption die Herrschaft des Tieres aus dem Meer auslöst (13,2.4). Im Sendschreiben nach Pergamon besteht die genannte symbolische Linie im Verständnis des Satansthrons als Repräsentanz der Machtdurchsetzung: Die Christen stehen nach dem Seher in religiöspolitischer Bedrängnis, in der sie sich durch Festhalten des Namens und im Glauben an den Erhöhten bewähren sollen und zwar bis hin zum Tod, wie der einzige namentlich genannte Christ, der für seinen Glauben gestorben ist, Antipas, belegt. Die Wendung »Verleugnen des Glaubens« erinnert an das maledicere (»verfluchen«) als Ziel der Christenverhöre aus dem Plinius-Trajan-Briefwechsel (Plinius Ep X 96). 22 Der spätere Briefwechsel erinnert an eine gängige Praxis der Verhöre von Christen durch den römischen Staat aufgrund von Anzeigen-- eine Praxis, die wohl bereits für die Offenbarung vorauszusetzen ist. Der im Satansthron abgebildete gegengöttliche Machtanspruch realisiert sich im Druck zur Abkehr von dem aus römischer Perspektive als »Aberglaube« (superstitio) verstandenen Glauben-- es ist das Werk des Verführers. Dass sich die geographische Präsenz des Machtanspruchs mit den Orten der Herrscherverehrung auf dem pergamenischen Burgberg konkret verorten lassen kann, verschärft diese die Gemeinde und ihre Glieder gefährdende Funktion dadurch, dass sie für die andauernde und anschaulich-faszinierende Gegenwart des gegengöttlichen Anspruchs steht. Die zweite Säule der »Verteufelung« politischer Macht findet sich im Visionszyklus in Offb 12,18- 13,18. Hier konstruiert der Seher im Modus visueller Wahrnehmung die soziale, religiöse und politische Welt seiner Adressaten in Bezug auf die römische Herrschaft. Der Zorn des Satans konkretisiert sich in der Zuteilung von Herrschaft an das Tier aus dem Meer (13,2) und das mit ihm durch die sukzessive Machtausübung verbundene zweite Tier (13,12). Indem es die Macht des ersten Tieres, das für die römische Herrschaft mitsamt ihres Herrschers steht, vollzieht, repräsentiert es seinen Herrschaftsanspruch vor allem in öffentlichen und rituellen Akten; die häufig vorgeschlagene Identifizierung des zweiten Tieres mit der Priesterschaft des Kaiserkults 23 beansprucht hohe Plausibilität. Diese Deutung entspricht den Handlungen der Figur in 13,11ff., unterstreicht Einheit und Differenz mit dem ersten Tier und passt auch zur Bezeichnung der Gestalt als »Pseudoprophet« (16,13; 19,20; 20,10). Die kultische Seite des Machtvollzugs ist ein wichtiger Aspekt der Bedrohung für die Jesusanhänger und des widergöttlichen Anspruchs der in jenen Gestalten repräsentierten römischen Herrschaft. Bildhaft wird durch beide Tiere und ihr Wirken die Faszination, die von Macht und religiöser Machtinszenierung der beiden Tiere ausgeht, 24 dargestellt (13,3 ff.); zugleich stellt der Seher sie auch als Imitationen christologischer wie soteriologischer Ansprüche dar. 25 Dazu gehören das Wirken von Zeichen (13,13), die die Einwohner der Erde verführen (13,14a), die Vermittlung von Lebendigkeit (13,15), die zwei Hörner gleich denen des Lammes (13,11), aber vor allem die tödliche Wunde, die verheilt (13,3a.14b)-- gelegentlich wird die »Tiervision Offb 13 […] als Gegenbild zur Heilsgestalt des Lammes« bezeichnet. 26 Dem Drachen als Quelle der Macht (13,4a) wie auch dem Macht ausübenden Tier werden göttliche Verehrung zuteil (13,4. 8. 12), wobei die Verweigerung dieser Verehrung mit dem Tod bedroht wird (13,15). Zu dieser Gruppe der fußfälligen Verehrer können auch Christen gehören, die sich der Faszination der die römische Herrschaft repräsentierenden Tiere nicht entziehen (13,8: alle Bewohner fallen nieder, was nachträg- »Satanssturz und endgültige Vernichtung des Satans bilden Deutungsschemata, um die Faszination, die von der als widergöttlich eingestuften politischen Macht ausgeht, zu relativieren.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 38 - 3. Korrektur 38 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema lich um die eingeschränkt wird, die im Buch des Lebens stehen). Satanssturz und endgültige Vernichtung des Satans bilden Deutungsschemata, um diese Faszination, die von der als widergöttlich eingestuften politischen Macht ausgeht, zu relativieren. 3.2 Die Verteufelung jüdischer Synagogen (Offb 2,9; 3,9) In Offb 2,9 und 3,9 begegnen wir der »Synagoge des Satans«, einer gefährlich antisemitisch klingenden Begriffsbildung. 27 Für die Synagogen in Smyrna (2,9) und in Philadelphia (3,9) kennzeichnet der Seher den Selbstanspruch, Juden zu sein, als falsch und als Lüge. Indem die Juden in sein literarisches Konzept des Satans eingegliedert werden, beurteilt er ihren Anspruch auf das jüdische Erbe durch Umkehrung des LXX-Konzepts von der »Synagoge der Israeliten/ Israels« (z. B. Ex 35,1. 4. 20; Lev 4,13; 16,5.17; 19,2; 22,18; Dtn 33,4) als unzutreffend. Warum werden diese Synagogen als Orte widergöttlichen Wirkens begriffen? Umstritten ist, worin die »Blasphemie« der Synagoge des Satans (2,9) besteht. Die sachliche Auskunft, dass die Juden keine Christusnachfolger sind, reicht für die Wertung als »Satanssynagoge« noch nicht aus. Offb 2,10 setzt den Hinweis auf die Synagoge des Satans durch eine exemplarisch die Gefährdung durch den Teufel illustrierende Bemerkung fort: Der Teufel wird einige von den Adressaten in das Gefängnis werfen, um sie als Gesamtgruppe der Gemeinde zu versuchen (Anspielung auf Dan 1,12.14). Die Blasphemie der Synagoge besteht somit nicht in einer verbalen Lästerung Gottes, sondern in konkreten Handlungen, mit denen sie dem Satan in die Hände spielt. Das Sendschreiben nach Philadelphia ist weniger beredt. Die Klassifizierung als »Synagoge des Satans« steht hier einem Akt des Bekennens und Bewahrens gegenüber bzw. löst nach dem Modell von 2,9 f. die Notwendigkeit aus, vor der sich diese Negativcharakterisierung begründet; die Gemeinde erhält Lob, da sie am Wort und Namen des Erhöhten festgehalten hat (3,8 und V. 10! ). Richtet sich das Lob auf eine Situation, in der es um das Festhalten des Wortes und des Namens sowie um Gefängnisaufenthalte geht, so liegt eine Situationsschilderung frühchristlicher Gemeinden in Kleinasien vor, die wiederum dem Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan entspricht; dort wird von Verhören von Christen durch den Staat aufgrund von Anzeigen gehandelt. Denunziationen führen dazu, dass die Opfer ins Gefängnis geworfen und damit-- im Spiegel des genannten Briefwechsels-- letztlich zur Alternative zwischen Widerruf in Form des Weihrauchopfers vor dem Kaiserbild oder Tod (vgl. Antipas in 2,13 28 ) gezwungen sind. Möglich sind jüdische Denunziationen, eventuell als Selbstschutz der sozialen Integrität gegenüber dem Staat, als Interpretation der Verteufelung von Offb 2,9 f. und 3,8b-10a, mit der der Seher die Synagoge mit dem gegengöttlichen Handeln des Staates in eins setzt und das Bewahren des Glaubens als einzige Konsequenz zulässt. Die Gefährdung so wird anerkannt, aber mit dem Hinweis auf den endgültigen Machtverlust des Satans als durchzustehender Akt der Versuchung interpretiert. Auf der Textebene überlagert die Figur des Satans die handelnden römischen Behörden; sie werden mit dem Satan identifiziert, indem ihr Handeln durch den Erhöhten direkt als Werk des Satans dargestellt wird. Die Christen sind in der Wirklichkeitskonstruktion des Sehers dem Handeln des Satans ausgeliefert. Mit den Ausführungen von Kap. 12 und 20 gelesen, ist es der Zorn des Besiegten, der die soziale Integrität der Gemeinden und ihrer Glieder gefährdet. Das Wissen darum, dass Gott siegt, ermöglicht ihnen jedoch zu widerstehen, aber der Widersacher und die, die sich verführen lassen, werden mit ihm untergehen. Ermutigung und Mahnung verschmelzen. 3.3 Kompromissbereite Christen als Kollaborateure des Teufels Im Sendschreiben an Thyatira spricht Offb 2,24 von einem innerchristlichen Phänomen, das bei seinen positiv gekennzeichneten Adressaten nicht geteilt wird und das mit den Lehren der Prophetin Isebel aus 2,20 f. zu identifizieren ist. Dieses wird als eine (abweichende) Lehre charakterisiert. Es geht um den Selbstanspruch dieser Gruppe, die »Tiefen des Satans« erkannt zu haben (2,24). Es ist schwer zu entscheiden, ob ta bathea tou satana ein Zitat der bekämpften Lehre ist 29 oder den Anspruch der bekämpften Gruppe sprachlich in die Konzeption des Sehers einfügt. Die Lehre der Isebel wird als Irrlehre bestimmt (2,20). Sie, die sich selbst als Prophetin vorstellt, »lehrt und verführt meine Knechte zur Unzucht und zum Es- »Mit den Ausführungen von Kap. 12 und 20 gelesen, ist es der Zorn des Besiegten, der die soziale Integrität der Gemeinden und ihrer Glieder gefährdet. Das Wissen darum, dass Gott siegt, ermöglicht ihnen jedoch zu widerstehen, aber der Widersacher und die, die sich verführen lassen, werden mit ihm untergehen.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 39 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 39 Michael Labahn Teufelsgeschichten sen von Götzenopferfleisch«, wie der Seher den Erhöhten sprechen lässt. Die verwendeten Motive sprechen für den Vorwurf einer Offenheit gegenüber den Kulten der Mitwelt. Hurerei ist nicht körperlich-moralisch, sondern vor dem alttestamentlichen Hintergrund als Abwendung zu fremden Kulten zu lesen. Das Essen von Götzenopferfleisch kann hingegen unbildlich gemeint sein. Die Teilnahme am Leben der antiken Gesellschaft wird in der abweichenden Lehre damit begründet, dass die Interaktion, die oft mit religiösen Handlungen und Bräuchen verbunden ist, keine Gefahr darstellt. Die Erkenntnis der Tiefe des Satans ist die Erkenntnis seiner Wirkungslosigkeit, was man als Weiterdenken paulinischer Gedanken verstehen kann: 1Kor 8,4. 30 Mit Johannesoffenbarung verbindet diese Konzeption das Wissen um den Sieg gegen das Widergöttliche; der wesentliche und entscheidende Unterschied liegt aber im Verstehen der Gegenwart, in der nach Offenbarung Verführung droht, die zu eschatologischer Vernichtung führen kann. Es kann somit keine Kompromisse geben, sondern nur den radikalen Auszug aus den gesellschaftlichen Strukturen (mit 18,4) 31 als ethische Maxime, die die Adressaten zu bewähren haben. Wird die gegnerische Lehre als ein »Verführen« verstanden, so geht das Verb mit der Charakterisierung des Satans überein. Die Lehre einer christlichen Prophetin wird angesichts der geforderten Kompromisslosigkeit dem Wirken des Satans zugeordnet. Damit rückt der Seher sie und ihre Anhänger in äußerst problematischer Weise in die Nähe des satanischen Wirkens. Die Klassifizierung als widergöttliches Handeln ist ein starker rhetorischer Impuls, der in antiker Polemik nicht ohne Parallele ist; z. B. Qumran (»Söhne der Finsternis«). Sie zielt auf Änderung der Positionen der Adressaten, bewirkt aber auch soziale Abgrenzung und Stigmatisierung innerhalb der frühchristlichen Gemeinden. 3.4 Zusammenfassung Das literarische Konzept vom Satan begegnet an allen Fronten, an denen der Seher vor allem in den Sendschreiben kämpft. Primär geht es um die römische Staatsmacht und ihre Verfolgungsmaßnahmen, an denen sich scheinbar auch jüdische Synagogen im Einflussbereich der Johannesoffenbarung beteiligten, weshalb sie nicht auf Gott, sondern auf den Satan bezogen werden. Sie illustrieren die Folgen des Sieges über den Satan im irdischen Bereich, wo er seinen eigentlich erfolglosen Kampf um Herrschaft als Ausdruck des unbändigen Zornes des Besiegten auslebt. Mit den Sendschreiben und der durchgängigen Mahnung zum Bewahren wird deutlich, dass sich aus dem Sieg auch eine Notwendigkeit der Bewährung für die Christen in der Zeit/ der Gegenwart ergibt; der Seher mahnt zum Widerstand gegen den Besiegten. Die Gefahr für Leib und Leben der Adressaten wird nicht bestritten, aber im Horizont von Satanssturz und Satansvernichtung ist die Bewährung eine mögliche und ermöglichte Verpflichtung. 4. Weitere »teuflische« Mitspieler Nicht alle Charaktere, die nach der Struktur der Erzählung auf Seiten des Bösen stehen, werden auch semantisch mit dem Teufel verbunden, so dass zu fragen ist, ob weitere Figuren als satanische »Mitspieler« auszuweisen sind oder ob andere Bezeichnungen für den Satan verwendet werden. So verweist Offb 9,11 auf »einen König, den Engel des Abgrunds«, dessen hebräischer Name »Abadon« und im Griechischen »Apollyon« ist. Hierin kann ein Repräsentant des Satans gesehen werden, 32 allerdings ist der Abgrund in 20,3 gerade der Ort, an dem der Satan gebunden ist und nicht mehr als Herrscher wirkt. Dies spricht gegen eine Identifikation der Figuren. Ähnliches gilt auch zu dem aus dem Himmel auf die Erde gefallenen Stern in Offb 9,1. Der Satan fällt nicht aus dem Himmel, sondern seine Darstellung setzt eine durch den Herabwurf aus dem Himmel dargestellte Beschneidung seiner Macht voraus. Innerhalb des semantischen Feldes des Konzepts vom Satan ist eine Rolle als Helferin für die sogenannte »Hure Babylon« gesichert. Offb 18,23 blickt auf ihren Untergang als derjenigen zurück, »die alle Völker verführte«; damit wird diese Figur mit einem Stichwort belegt, das den Satan und sein Handeln charakterisiert. Die Gestalt steht für die Stadt Rom und ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss, der sich auch über Kleinasien und die Adressatenstädte der Offenbarung erstreckt. Auch sie wird vom Seher als eine faszinierende und daher substantiell Gefahr bedeutende Figur charakterisiert (17,2.4; s. a. 19,2), ist aber als eine schon in Offb 14,8 als untergegangen vermeldete Größe betrachtet. Ihre wirtschaftliche Stärke und ihr politischer Einfluss binden Menschen an sie, die in der narrativen Konstruktion der Offenbarung mit subversiven Bildern als eine personifizierte gottfeindliche Figur gemalt wird. Als »Babylon« repräsentiert sie Unglauben und Verführung zu heidnischer Religiosität und die Bezeichnung als »Hure« inszeniert ihre Verführung weg von Gott. Ihr Untergang (Offb 18-19) markiert den Endpunkt irdischer Geschichte, dem das Ende ihres Mentors, des Satans, mit einem tausendjährigen Intermezzo der Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 40 - 3. Korrektur 40 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema »Das Verständnis der Johannesoffenbarung als Sinnbildung ermöglicht ein Verstehen des literarischen Konzepts des Satans. Es ist ein textinhärentes Konzept zur Auslegung der Gefährdung der Adressaten im Spannungsfeld von Ermahnung und Ermutigung.« Herrschaft der Heiligen folgt. Wiederum wird jeglicher Kompromiss abgelehnt, nunmehr aber mit Hinweis auf das gegen sie gerichtete Gericht: 18,4. An ihr vollzieht sich das Gericht und alle, die von ihr verführt wurden, werden mit ihr untergehen. Seit 14,8 ist deutlich, dass Babylon wie der Satan und alle weiteren Helfer dem Untergang geweiht sind und es daher nicht nur gefordert, sondern auch klug ist, sich von ihr fern zu halten. 5. Zusammenfassung Das Verständnis der Johannesoffenbarung als Sinnbildung ermöglicht ein Verstehen des literarischen Konzepts des Satans. Es ist ein textinhärentes Konzept zur Auslegung der Gefährdung der Adressaten im Spannungsfeld von Ermahnung und Ermutigung. Im Handeln Gottes ist die Ermutigung begründet, die die gegengöttliche Macht besiegt weiß und sie in eschatologischer Vorausschau als Karikatur darstellen kann. Trotz aller Entmachtung bleibt der Besiegte eine Gefahr, wenn sich die Adressaten von dieser Macht und der von ihr ausgehenden Faszination verführen lassen. Der Sieg lässt Raum für Gefährdung, die die Antwort der Bewahrung der göttlichen Gebote wie des Zeugnisses für Christus in Abgrenzung gegen die Welt erwartet. Bewahrung des Zeugnisses und Abgrenzung gegenüber den Ansprüchen der gegengöttlichen Macht ziehen Folgen für Leib und Leben nach sich, wobei die Gefahren radikalisiert werden-- der Trost setzt die Mahnung zum Durchhalten frei, die im Wissen um die eschatologische Machtlosigkeit des gegenwärtig Mächtigen samt seinen politischen Repräsentanten besteht. Ausgangspunkt der literarischen Konstruktion ist die Situation der Adressaten, die nach Deutung und Orientierung verlangt. Die Gegenwart ist von einer politischen Macht bedroht, die zur Abkehr von oder Gleichgültigkeit gegenüber der Christusnachfolge animiert und zugleich die soziale und physische Integrität der Glieder der christlichen Gemeinde bedroht. Der Erzähler sieht in dieser Situation eine gegengöttliche Macht am Werk, deren Wirken er als Wirken des Widersachers, des Satans, interpretiert. Dieser ist aber nur als besiegte Macht denkbar und so in seinem Werk narrativ gestaltet. In dieser Strukturierung gelingt es dem Seher gleichzeitig, die von ihm analysierte Gefährdung seiner Adressaten ernst zu nehmen und zu gewichten sowie die Möglichkeit zum Widerstehen plausibel zu machen und zum Widerstand zu ermutigen. Der Trost, dass das Geschehen das Werk einer besiegten Macht ist, führt in die Mahnung zum Bewahren und zu freiwilliger Randexistenz hinein. Die Figur des Satans, die unterschiedliche Motivspektren in der jüdischen Enzyklopädie voraussetzt, eignet sich aufgrund ihrer fehlenden Determinierung zu dieser Neukonstruktion, die einzelne Aspekte der Tradition aufnehmen und verbinden, aber auch andere ignorieren kann. Das Motiv vom Satanssturz in der Jesustradition könnte als Katalysator für diese Neukonstruktion ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die dem post-modernen Denken zu Recht suspekte Figur des Satans ist vor diesem Hintergrund als literarisches Konzept zu lesen, in dem die Gefährdung in einer als gegengöttlich verstandenen, absolute Macht beanspruchenden Gesellschaft mit göttlichem Schutz zusammengedacht wird. Die Probleme dieses Konzeptes sind mit Blick auf die Wirkungsgeschichte zu beachten. Die im Erzähltext vorgenommenen »Verteufelungen« verschiedener Charaktere sind narrative Konstruktionen, durch die die Welt der Leser und Leserinnen neu interpretiert wird. Sie sollen sich und ihre Lebenswirklichkeit im Lektürevollzug neu verstehen; die Konstruktion der Textwelt in ihrem Modell aus Welt und Gegenwelt, Gut und Böse, zielt auf Zustimmung der Lesenden für das religiöse und ethische Programm der Schrift. Doch bilden diese »Verteufelungen« aus ihrem historischen Kontext gerissen, in dem sie eine subversive Erzählstrategie abbilden und das scheinbar übermächtige römische Herrschaftsmodell als Gott unterlegene Macht darstellen, ein wichtiges Problem der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte der Johannesoffenbarung. 33 Sie eröffnen die Gefahr, dass Leser und Leserinnen die aus der Perspektive der Unterlegenen gemachten und durch eine dualistisch-rhetorische Strategie geprägten Aussagen ontologisch werten oder als grundsätzliche Wahrheiten betrachten. Dies kann »Verteufelungen« der eigenen jeweiligen Mitwelt (z. B. in sektiererischem Welthass) oder aber Antisemitismus (»Synagoge des Satans«) Vorschub leisten. Die Nachzeichnung der subversiv-narrativen Strategie der Johannesoffenbarung darf dieses Wirkungspotential nicht übersehen. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 41 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 41 Michael Labahn Teufelsgeschichten Anmerkungen 1 Der Beitrag greift auf Überlegungen meines Habilitationsvortrags an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg von Juni 2009 zurück; s. a. M. Labahn, The Dangerous Loser. The Narrative and Rhetorical Function of the Devil as Character in the Book of Revelation, in: I. Fröhlich/ E. Koskenniemi (Hgg.), The Evil and the Devil, London 2012 (in Vorbereitung). 2 Vgl. D. Rustemeyer, Welt im Text? Kurt Röttgers Theorie kommunikativer Texte und die Lineatur der Geschichte, Journal für Phänomenologie 14 (2000), 52-58: 58: »Subversiv sind Erzählungen, wenn sie den Raum möglicher Bedeutungen im Blick auf soziale Differenzen, symbolische Darstellungsmöglichkeiten und zeitliche Erfahrungen differenzieren, um vermeintlich Selbstverständliches in den Lichtkegel der Kontingenz zu tauchen.« 3 D. A. deSilva, Seeing Things John’s Way. The Rhetoric of the Book of Revelation, Louisville, KY 2009. 4 Vgl. R. L. Thomas, Magical Motifs in the Book of Revelation (LNTS 416), London/ New York 2010, 46 f.: »John finds that his proclamation conflicts with the statements brought by others, who claim to be prophets or who are working in such guise, prophets whom John considers to be false. It appears that John envisions the conflict […] as evocative of the conflict between the forces of good and evil«. 5 K. Backhaus, Apokalyptische Bilder? Die Vernunft der Vision in der Johannesoffenbarung, EvTh 64 (2004), 421- 437: 424 (»[…] dem Lesenden […] Sinngründe transparent [machen], aus denen er leben kann«). 6 Zur zentralen Stellung von Offb 12 im Aufbau der Johannesoffenbarung z. B. M. Gielen, Satanssturz und Gottesherrschaft (Offb 12). Das Verhältnis von Macht und Religion in der pragmatischen Konzeption der Johannesoffenbarung, in: dies./ J. Kügler (Hgg.), Liebe, Macht und Religion. Interdisziplinäre Studien zu Grunddimensionen menschlicher Existenz. FS H. Merklein, Stuttgart 2003, 163-183: 175.176. 7 Zu Offb 12 vgl. jetzt bes. J. Dochhorn, Schriftgelehrte Prophetie. Der eschatologische Teufelsfall in Apc Joh 12 und seine Bedeutung für das Verständnis der Johannesoffenbarung (WUNT 268), Tübingen 2011. 8 J. U. Kalms, Der Sturz des Gottesfeindes. Traditionsgeschichtliche Studien zu Apokalypse 12 (WMANT 93), Neukirchen-Vluyn 2001, 125. Auch H. Omerzu, Die Himmelsfrau in Apk 12. Ein polemischer Reflex des römischen Kaiserkults, in: M. Becker/ M. Öhler (Hgg.), Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie (WUNT 2/ 214), Tübingen 2006, 167-194: 170, erkennt, dass »der Verfasser [… sich] einer Vielzahl von Motiven und Vorstellungen unterschiedlicher Provenienz bedient und sie nach Art eines Mosaiks zu einer neuen Einheit zusammenschließt«, wobei er eine herrscherkritische Spitze entwickelt. 9 Hierzu M. Labahn, Apokalyptische Geographie. Einführende Überlegungen zu einer Toponomie der Johannesoffenbarung, in: ders./ O. Lehtipuu (Hgg.), Imagery in the Book of Revelation (CBET 60), Leuven u. a. 2011, 107-143. 10 Der römische Kaiser beansprucht »Herr über die ganze Welt« zu sein: SIG 3 814 (Nero); zitiert in: U. Schnelle/ M. Labahn/ M. Lang (Hgg.), Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Band I/ 2. Texte zum Johannesevangelium, Berlin/ New York 2001, 249. 11 Gielen, Satanssturz, 180. 12 Gielen, Satanssturz, 182, gegen Kalms, Sturz, 20, der den Satanssturz nur als ein »vorläufiges« Geschehen deutet. 13 Gielen, Satanssturz, 181. 14 Zum Konzept vgl. H. Ulland, Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes (TANZ 21), Tübingen 1997; zur historisch-politischen Situation, die durch die Johannesoffenbarung radikalisierend neu konstruiert wird, z. B. K. Backhaus, Die Vision vom ganz Anderen. Geschichtlicher Ort und theologische Mitte der Johannes-Offenbarung, in: ders. (Hg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung (SBS 191), Stuttgart 2001, 10-53; B. Kowalski, Das Verhältnis von Theologie und Zeitgeschichte in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung, in: K. Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 54-76; eine Verfolgungssituation mit zahlreichen Todesopfern ist nicht vorauszusetzen, sondern Produkt der narrativen Neukonstruktion der textexternen Welt; vgl. z. B. J. Ulrich, Euseb, HistEccl III,14-20 und die Frage nach der Christenverfolgung unter Domitian, ZNW 87 (1996), 269-289; J. Molthagen, Die Lage der Christen im römischen Reich nach dem 1. Petrusbrief. Zum Problem einer domitianischen Verfolgung, Hist 44 (1995), 422-458; ders., »Cognitionibus de Christianis interfui numquam«. Das Nichtwissen des Plinius und die Anfänge der Christenprozesse, Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 9 (2004), 112-140. 15 S. a. Gielen, Satanssturz, 163: »Durch die Verknüpfung des Bekennertodes mit der Anteilhabe am Sieg über Satan dient er pragmatisch der Motivation der Adressaten trotz Gefährdung ihres Lebens sich vom heidnischen Staat und Ansprüchen abzugrenzen«. 16 Zur Bedeutung des Gerechtigkeitsmotivs in der Theologie der Offenbarung vgl. T. Söding, Gott und das Lamm. Theozentrik und Christologie in der Johannesapokalypse, in: Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 77-120: 82-85. 17 Mastema steht an der Stelle Satans und wird für fünf Tage daran gehindert, Israel zu verklagen. Seine erneute Freilassung bedroht Israel durch die Ägypter, was dem Plan Gottes, die Ägypter im Roten Meer zu vernichten, in die Hände spielt (Jub 48,16 f.). 18 Hierzu bes. J. Frey, Das apokalyptische Millennium, in: Millennium. Informationen zum christlichen Mythos der Jahrtausendwende, mit Beiträgen von C. Bochinger, J.-Frey, E. Hauschildt, T. Kaufmann und H. Timm (KT 171), Gütersloh 1999, 10-72. 19 Zu dieser Interpretation von Offb 6,10 M. Labahn, Erfahrungen von Krieg und Zerstörung als Rezeptionsimpuls und die Frage nach der Möglichkeit von Hoffnung. Die Darstellung der apokalyptischen Reiter aus Offb 6 bei Frans Masereel und Basil Wolverton, in: M. Lang (Hg.), Worte und Bilder. Beiträge zur Theologie, Christlichen Archäologie und Kirchlichen Kunst. Zum Gedenken an Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 42 - 3. Korrektur 42 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Zum Thema A. Zimmermann (Theologie-- Kultur-- Hermeneutik 13), Leipzig 2011, 23-56: 35 f. 20 Z. B. Kowalski, Verhältnis, 61 ff.; C.J. Hemer, The Letters to the Seven Churches of Asia in their Local Setting (JSNT.SS 11), Sheffield 1986; zu den Referenzen auf den Kaiserkult: S. Friesen, Imperial Cults and the Apocalypse of John. Reading Revelation in the Ruins, Oxford 2001. 21 Vgl. mustergültig H. -J. Klauck, Das Sendschreiben nach Pergamon und der Kaiserkult in der Johannesoffenbarung, Bib 73 (1992), 153-182: 161. 22 Mit kurzer Erläuterung und Übersetzung abgedruckt in P. Guyot/ R. Klein (Hgg.), Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation, Darmstadt 1997, 36 f.319 f. 23 Z. B. D. E. Aune, Revelation 6-16 (WBC 52B), Dallas, TX, 1998, 756; Klauck, Sendschreiben, 173. 24 Vgl. die eindrückliche Interpretation des »Hinterhersehens« von Offb 13,3b als Ausdruck der Faszination, die vom Tier ausgeübt wird, durch D. Pezzoli-Olgiati, Between Fascination and Destruction. Considerations on the Power of the Beast in Rev 13: 1-10, in: M. Labahn/ J. Zangenberg (Hgg.), Zwischen den Reichen. Neues Testament und Römische Herrschaft (TANZ 36), Tübingen/ Basel 2002, 229-237. 25 Vgl. z. B. D. Pezzoli Olgiati, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung (FRLANT 175), Göttingen 1997, 128, zu Offb 13,3. 26 U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 2007, 720. 27 Hierzu T. Nicklas, Apokalypse und Antisemitismus. Die Offenbarung des Johannes bei Auslegern im Umfeld des Nationalsozialismus, in: M. Labahn/ M. Karrer (Hgg.), Die Johannesoffenbarung-- ihr Text und ihre Auslegung (ABG 38), Leipzig 2011 (in Vorbereitung). 28 Den Zusammenhang zwischen der Tötung des »treuen Zeugen« Antipas und der Schilderung des römischen Umgangs mit angezeigten Christen nach dem Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan arbeitet Klauck, Sendschreiben, 161-163, mustergültig heraus: »Nach diesem Modell dürfen wir uns das Schicksal des Antipas am ehesten vorstellen. Er war sozial auffällig geworden aufgrund seiner neuen, vom Glauben bestimmten Lebenspraxis und hatte eine Anzeige provoziert. Im Gerichtsverfahren verweigerte er das Opfer vor Götter- und Kaiserbild, er bekannte sich weiter zu Jesus als seinem Herrn, anstatt ihn, wie es Plinius forderte, zu verfluchen. Das kostete ihn das Leben.«. 29 Z. B. A. Satake, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 173. 30 S. a. Kalms, Sturz, 25, der den Anspruch ebenfalls in einer Linie zur paulinischen Tradition stellt: »Dies nimmt vermutlich den mit I Kor 2,10 formulierten eigenen Anspruch der Irrlehrer auf, ›die Tiefen Gottes‹ erkannt zu haben«. 31 Vgl. K. Scholtissek, »Mitteilhaber an der Bedrängnis, der Königsherrschaft und der Ausdauer in Jesus« (Offb 1,9). Partizipatorische Ethik in der Offenbarung des Johannes, in: Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 172-207. 32 Aune, Revelation, 534; anders H. Giesen, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 220: eine dämonische Figur. 33 E. Schüssler Fiorenza, The Words of Prophecy: Reading the Apocalypse Theologically, in: S. Moyise (Hg.), Studies in the Book of Revelation, Edinburgh/ New York 2001, 1-19: 17 f. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 43 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 43 Einleitung zur Kontroverse »Der Böse oder Das Böse« Die beiden folgenden Kontroversbeiträge unterscheiden sich schon rein äußerlich stark voneinander: Die Pro- Position (»der Böse«) ist eine kurz und knapp, aber äußerst eindrücklich formulierte Schilderung eigener seelsorgerlicher Erfahrungen des Verfassers mit einigen Überlegungen zu den Konsequenzen, die sich für ihn daraus ergeben. Die Frage »der oder das Böse« hält Peter Busch für eher »akademisch« angesichts der heute real existierenden Weltbilder und ebenso real existierender »obskurer« Erfahrungen von Menschen. Die Contra- Position (»das Böse«) versucht eben genau die »akademische« Antwort auf diese akademische Frage zu geben und ist deshalb mehr als dreimal so lang! Manuel Vogel sammelt exegetische Beobachtungen dazu, warum die scheinbar allgegenwärtige Vorstellung vom personalen Bösen und seiner Bekämpfung eben doch nicht so selbstverständlich ist. Einig sind sich beide Kontroverspartner darin, dass die Rede vom Teufel und seinen Dämonen ihren legitimen Ort in der Sprache der Poesie und der Liturgie besitzt und (mit Schleiermacher) aus unserem christlichen Liederschatz nicht verdrängt werden sollte. Einig sind sie sich auch darin, dass der neutestamentlichen Exegese eine wichtige Aufgabe für den Umgang mit exorzistischen und dämonologischen Vorstellungen zukommt, dass ihre Ergebnisse also auch seelsorgerliche Relevanz besitzen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Gemeinsamkeit, die man beim Lesen der beiden so unterschiedlichen Beiträge leicht übersehen kann. Nicht einig sind sich die beiden darin- - und hier spitzt sich die Kontroverse zu einem wirklichen Gegensatz zu--, ob die Rede von einem personalen Bösen heute noch poimenisch (d. h. in Lehre und Praxis der Seelsorge) legitim und tragfähig, ja notwendig sei. Peter Busch kann hier auf Praxiserfahrungen verweisen, aus denen sich für ihn bestimmte theologische Ausbildungserfordernisse ergeben. Manuel Vogel geht nun nicht so vor, dass er einfach exegetischen Befund und heutige Tragfähigkeit voneinander scheidet, nach dem Motto: In der Bibel treiben selbstverständlich Teufel und Dämonen ihr Unwesen, aber unser aufgeklärtes physikalisches Weltbild kann damit nichts mehr anfangen. Ersteres ist zwar unbestritten, aber es gibt auch noch eine andere Linie im Neuen Testament. Vogel verweist auf die Vielfalt des/ der neutestamentlichen Zeugnisses/ Zeugen und sucht bereits in den neutestamentlichen Schriften nach theologischen Tendenzen, die Personalität des Teufels abzuwerten und seine Entmachtung und »Irrelevanz« für den christusgläubigen Menschen herauszustellen. Dazu mustert er wichtige Bereiche des Neuen Testaments durch (Evangelien, Paulusbriefe, Deuteropaulinen) und zeigt, wie zurückhaltend sie aufs Ganze gesehen-- etwa im Unterschied zu dem zitierten Qumran-Fragment-- vom Teufel und bösen Geistern reden (deren Existenz und Wirkungsmöglichkeit als solche nicht bestritten wird). Dabei wird deutlich, dass »das Böse« nicht etwa inhaltsleer oder gar verharmlost, sondern durch anthropologische Kategorien beschrieben und durch Erfahrungen von Erlösung und Heil überwunden wird; nicht dämonologische, sondern theologische, christologische und soteriologisch-anthropologische Aussagen stehen im Vordergrund. Gerade bei Paulus wird deutlich, dass »Entmythologisierung« nicht Wirklichkeitsverlust bedeuten muss, sondern auch Neubeschreibung von Wirklichkeit bedeuten kann, die existenziell und seelsorgerlich genauso bedeutsam sein kann wie mythologische oder magische Vorstellungen. Mit dem Stichwort »Wirklichkeitserfahrung« ist m. E. diejenige Ebene betreten, auf der sich die vorliegende Kontroverse entscheiden muss. Die Frage lautet: Ist das personale Böse, ist der Teufel nur eine uneigentliche Redeweise in bestimmten religiösen oder literarischen Sprachwelten, oder vermag diese Vorstellung auch heute bestimmte Erfahrungen von Wirklichkeit gültig und authentisch zu beschreiben-- und sei es auch zu deren Überwindung? Eine gültige und authentische Beschreibung könnte auch dann vorliegen, wenn über den letzten ontologischen Status dieser Wirklichkeit damit nicht entschieden ist. Diese Frage werden die beiden Kontroverspartner unterschiedlich beantworten-- aber nicht, weil sie exegetisch unterschiedlicher Meinung wären (oder sein Kontroverse Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 44 - 3. Korrektur 44 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse müssten, der Beitrag von Peter Busch gibt darüber keinen Aufschluss), sondern weil sie-- und das ist eine Frage der Hermeneutik-- die heutige Legitimität und Plausibilität der Rede von einem personalen Bösen unterschiedlich einschätzen. Noch schärfer gesagt: Weil sie ihren eigenen Standort und die Notwendigkeiten und Herausforderungen im Umgang mit heutigen exorzistischen, dämonischen und magischen Praktiken und Erfahrungen unterschiedlich einschätzen. Also doch: eine »akademische« Frage-- oder jedenfalls eine, die sich exegetisch nicht entscheiden lässt? Günter Röhser NEUERSCHEINUNG Die paulinische Rede von Gott steht in vielfältigen Bezügen zu anderen Texten und lässt sich meist nur im intertextuellen Zusammenspiel mit diesen angemessen erheben. Diese Studie untersucht daher die Rede von Gott bei Paulus am Beispiel des 1. Korintherbriefes und diskutiert weiterhin den besonderen Ertrag biblischer Intertextualitätsforschung für dieses Thema. Michael Schneider analysiert literaturwissenschaftliche und bibelwissenschaftliche Implikationen verschiedener Intertextualitätskonzepte und zeigt in exegetischen Studien zu 1Kor 8, 1Kor 10 und 1Kor 15 die Tragfähigkeit dieser Entwürfe für die Erhebung einer paulinischen Gottesrede. Michael Schneider Gottes Gegenwart in der Schrift Intertextuelle Lektüren zur Geschichte Gottes in 1Kor Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 17 2011, 335 Seiten, €[D] 58,00/ SFr 81,90 ISBN 978-3-7720-8379-2 A. Francke Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 45 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 45 Kontroverse Ich möchte diese Kontroverse mit einer Anekdote beginnen. Vor Jahren, ich war damals als Pfarrer in einer Studierendengemeinde tätig, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab und bekam dort von einer mir fremden Anruferin eine absonderliche Geschichte zu hören, die ich hier aus dem Gedächtnis wiedergebe: »Herr Pfarrer, bitte helfen Sie mir. Mir ist gestern ein Ritual daneben gegangen, und jetzt habe ich mir einen Dämon eingefangen. Was soll ich tun? «. Ich hielt dies zunächst für einen Scherz, wurde aber nach mehrmaligem Abhören dieser verzweifelten Stimme und darauffolgenden Rückruf eines Besseren belehrt. Ich hatte mit einer Frau zu tun, die ein dringendes seelsorgerliches Problem hatte: Ein böses, übelwollendes, wirkmächtiges Wesen war, so war sie überzeugt, in ihr Leben eingebrochen-- und sie bekam es nicht mehr los. Angesichts dieser Episode (sie war in meiner Zeit als Pfarrer nicht die einzige dieser Art) kommt mir das Thema dieser Kontroverse recht akademisch vor: Sollen wir heutzutage theologisch von einer »personalen Macht des Bösen« reden? Was heißt hier: »Sollen wir…«? Ich stelle fest: Die Menschen tun dies. Sie fragen uns dabei nicht. Sie benutzen-- um gegen Bultmanns berühmtes bon mot zu polemisieren-- ihren Radioapparat und glauben dabei gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments. Das rein physikalische Weltbild ist in unserem Milieu des anbrechenden dritten Jahrtausends alles andere als einzigartig, es scheint von vielen anderen Weltbildern flankiert zu sein. Man kann dies als ungelungen ansprechen, wenn beispielsweise in der Einführung zu einem einschlägigen Band der EZW-Texte formuliert wird: »Der modernen, naturwissenschaftlich und rational orientierten Weltauffassung ist es nicht gelungen, eine magische Weltsicht zu überwinden«. 1 Doch Fakt ist: Als Theologinnen und Theologen haben wir mit einer Vielfalt kontroverser und gleichzeitig aktueller Weltbilder zu rechnen-- und in so manches fügen sich personal gedachte »Mächte des Bösen« nahtlos ein. Was mir seinerzeit bei oben skizziertem Anruf zu denken gab: Ich wusste nicht, wie ich dieser Frau helfen konnte. Ich hatte in meiner Ausbildung zum Pfarrer, in Universität und Predigerseminar, kein hinreichendes Handwerkszeug erhalten, mit dem ich auf die »Welt« besagter Dame reagieren konnte. Mir wurde nur eines recht schnell klar: Mit einem entmythologisierenden »Dämonen gibt es nicht, gnädige Frau« kam ich nicht weit. Hier stieß ein Weltbild auf ein anderes, gedeihliche Kommunikation war nicht möglich. Ich musste in die Welt der Anruferin eintauchen, um mit ihr reden zu können. Ich plädiere darum an dieser Stelle dafür, sich theologisch auf die mythische Sprache von einer personal gedachten Macht des Bösen einzulassen. Zum besseren Verständnis-- und vor allem um meinem geschätzten Partner in dieser Kontroverse mehr Angriffspunkte zu liefern--, möchte ich zunächst beschreiben, was ich mit der »personal gedachten Macht des Bösen« meine und dann, was ich unter »sich einlassen« verstehe. Eine »personal gedachte Macht des Bösen« ist Teil einer Weltauffassung, die ich hier (analog zum o. a. Zitat der EZW-Texte) mythisch nennen möchte. Diese Macht hat es, so ich mich in dieser Denkwelt bewege, persönlich auf mich abgesehen. Sie eifert, wendet Energie auf, meint mich ganz persönlich und niemand anderen. So, wie der Versucher in Mt 4 und Lk 4 Jesus und nur ihn angreift und so, wie der böse Drache in Offb 12 seinen Zorn auf die Frau dort ganz persönlich richtet. Wenn mir ein Unglück widerfährt, so ist dies direkt an mich adressiert und an niemanden sonst; und dies kommt von einer Macht, der ich Personenhaftigkeit zusprechen muss, weil ich mein Unglück persönlich nehme. Das Böse wie oben skizziert zu begreifen, liegt den Autoren der einschlägigen antiken Texte sehr nahe, seien es biblische Passagen oder etwa die paganen Dämonologien aus neutestamentlicher Zeit von Plutarch oder Apuleius. Das Gegenteil dieser Weltsicht trägt einer modern-rationalen physikalischen Weltauffassung Peter Busch Personale Erfahrungen des Bösen »Fakt ist: Als Theologinnen und Theologen haben wir mit einer Vielfalt kontroverser und gleichzeitig aktueller Weltbilder zu rechnen-- und in so manches fügen sich personal gedachte ›Mächte des Bösen‹ nahtlos ein.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 46 - 3. Korrektur 46 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse eher Rechnung und wäre als eine Art »shit happens«- Einstellung zu bezeichnen: Mein Unglück ist ein Kollateralschaden in einem größeren Zusammenhang. Ich bin nicht gemeint, war vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder ich bin eben betroffen von der allgemeinen Kontingenz des Weltenlaufs, wie es jeder andere auch ist. Katastrophen und Krebszellen, Todesfälle und Tsunamis lassen sich so recht gut deuten: shit happens. Was bedeutet nun meine Forderung, sich auf die eben skizzierte mythische Weltsicht »einzulassen«? Ich meine damit-- eindeutig gegen Bultmanns Postulat eines »entweder-oder« -- die Kompetenz, auch mit Vertretern der mythischen Weltauffassung in ihrer Sprache reden zu können. Dies sollte für einen aufgeklärten theologisch denkenden Menschen des anbrechenden dritten Jahrtausends, der problemlos mit der Trias »Darwin, Gott und Urknall« rechnet, eigentlich keine Zumutung sein: Es wäre im Gegenteil Ausdruck seiner religiösen Vielsprachlichkeit, durch die er (oder sie) einen massiven Zugewinn an religiöser kommunikativer Kompetenz zu verzeichnen hätte. Um meinem geschätzten Kontroverspartner nun vollends die eigene Brust zu entblößen, möchte ich zwei Bereiche nennen, in denen die mythische Redeweise vom personal gedachten Bösen unumgänglich ist. Der erste Bereich ist schon angeklungen und soll daher nicht weiter ausgeführt werden, es ist die poimenische Disziplin der Theologie. Gerade in der Seelsorge kommen wir mit Menschen in Kontakt, die ihr eigenes Unglück persönlich nehmen. Der religiös polyglotte Seelsorger kann hier mitreden und begleiten. Der zweite Bereich betrifft unsere reichhaltige liturgische Ausdrucksform. Man stelle sich vor, bei einer Taufe zugegen zu sein (vielleicht sogar in leitender Funktion), und es klingt im »Evangelischen Gesangbuch« die dritte Strophe von Lied 200 an: »hingegen sag ich bis ins Grab des Satans schnöden Werken ab«. Wem angesichts dieser Reminiszenz an den altkirchlichen Taufexorzismus das entmythologisierte Gewissen gar zu sehr zusetzt, bleibt nur das Schweigen-- der allseits bekannte siebte Satz aus Wittgensteins »tractatus« ist die letzte Konsequenz der bedingungslosen Ablehnung einer personal gedachten Redeweise vom Bösen in liturgischen Dingen. Der religiös Polyglotte hingegen singt dieses Lied ungebrochen weiter und kann auch Luthers Morgen- und Abendsegen laut mitsprechen (»Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde«). Neben diesen beiden Bereichen möchte ich noch ein drittes Feld ansprechen, dem eine Redeweise vom personal gedachten Bösen gut anstünde, und dies ist das Feld der neutestamentlichen Exegese an den Universitäten. Wenn auch Karl Barths Axiom, die Theologie sei eine Funktion der Kirche, so bedingungslos nicht stehen gelassen werden muss, übernimmt doch die Theologie und eben auch die Exegese Dienstleistungen für die kirchliche Arbeit: Wir bilden in den exegetischen Veranstaltungen Menschen aus, die auch in den beiden von mir zuerst genannten Bereichen professionell tätig sein sollen. Ich meine, diese Menschen sollten in die mythische Denkwelt vom personal gedachten Bösen in neutestamentlicher Zeit empathisch eingeführt und in ihrer Ausdruckskompetenz bezüglich dieser Welt gefördert werden. Es steht der neutestamentlichen Exegese gut an, nicht nur bezüglich des Altgriechischen, sondern auch bezüglich alternativer Denkwelten religiöse Polyglottie zu vermitteln. Ich halte es darum für äußerst wünschenswert, dass Studierende wie auch Dozierende nicht nur über »das Böse«, sondern auch über »den Bösen« reden können. Anmerkungen 1 A. Kick/ H. Hemminger, Geister, Mächte, Engel, Dämonen. Zum christlichen Umgang mit dem modernen Okkultismus (EZW-Texte 171), Berlin 2003, 3. »Gerade in der Seelsorge kommen wir mit Menschen in Kontakt, die ihr eigenes Unglück persönlich nehmen. Der religiös polyglotte Seelsorger kann hier mitreden und begleiten.« Prof. Dr. Peter Busch, geb. 1965, z. Z. apl. Prof. für Neues Testament in Heidelberg. Peter Busch Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 47 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 47 1. Erste Vorüberlegung: »Ist da wer? « In die Dunkelheit hinein gefragt, geht das nicht ohne Herzklopfen. Beruhigend ist, wenn niemand antwortet, wenn das Knarren bloß von den alten Dielen, das Heulen allein vom Wind kam, wenn der nächtens unheimliche Raum, bei Tageslicht und Vogelgezwitscher durchstreift, sich freundlich und hell zeigt, als Alltagsding in seiner Selbigkeit und Brauchbarkeit. Die alten Griechen nannten diese Vertrautheit mit der Umwelt pistis; das Wort, das wir im christlichen Kontext mit »Glaube« zu übersetzen pflegen. In einem Haus sind wir zuhause, wenn wir uns auch bei Dunkelheit ohne Angst darin bewegen. Ein wenig Nervenkitzel darf freilich dann und wann sein-- das beliebte Spiel auf Nachtwanderungen etwa: Man geht zu acht los, zählt nach einer Stunde Nachtmarsch zur Kontrolle durch, und wenn alle acht sich zu Wort gemeldet haben, sagt einer mit verstellter Stimme: »neun«. Dann kreischen die Mädchen und die Jungs haben ihre Chance, Beschützer zu spielen und den sich stark gebenden Arm um eine weibliche Schulter zu legen. In Zeiten, da Jugendgruppen keine Nachtwanderungen mehr veranstalten, besorgt jenen Kitzel die Filmindustrie. Das Okkulte hält geduldig her, um den Kinos und Videotheken ihre Kundschaft zu sichern, zuletzt etwa in »Das Ritual« mit Anthony Hopkins in einer der Hauptrollen: Ein aufgeklärt denkender Priester wird von seinem Bischof dazu verdonnert, im Vatikan eine Exorzisten-Ausbildung zu machen. Sein gut fundiertes rationalistisches Weltbild bröckelt in dem Maß, wie der Kinozuschauer sich gruseln soll. Eine Szene: Der Priester insistiert, das Mädchen sei nicht besessen, sondern krank, und kaum, dass er das gesagt hat, geht ihm die Patientin mit böse verzerrtem Gesicht und übermenschlicher Kraft an die Gurgel. Auch dieser Kinostoff nutzt sich freilich ab: Eine im Internetforum notierte Äußerung aus dem Publikum lautet, der Film sei langweilig. Intelligenter ist die Produktion »Fall 39« mit Renée Zellweger in der Rolle einer Sozialarbeiterin, die sich eines schüchternen kleinen Mädchens annimmt, das von seinen Eltern augenscheinlich arg vernachlässigt wird. Das Böse, das in diesem Mädchen steckt, agiert zunächst unerkannt: Sie fragt Menschen ihrer Umgebung nach ihren geheimen Ängsten aus, lässt sie dann durch Telepathie diese Ängste erleben und daran im Schock sterben. Die Sozialarbeiterin merkt, mit wem sie es zu tun hat, als das Mädchen mit Satansfratze, tiefer Stimme und behaarter Faust die Zimmertür zertrümmert, hinter der sie sich verbarrikadiert hat. Der showdown geht dann so: Die Sozialarbeiterin ist mit dem Mädchen in rasender Fahrt im Auto unterwegs, plötzlich eine Rückblende zu einem Autounfall, den sie in ihrer Kindheit erlebt hat und den sie jetzt erst dadurch verarbeitet, dass sie selbst am Steuer sitzt und mit durchgedrücktem Gaspedal ihrer Angst trotzt. Der teuflische Bann ist damit gebrochen: »Hast du Angst? «, fragt die Heldin das Mädchen auf dem Beifahrersitz herausfordernd, und setzt hinzu: »Ich nicht! «. Dann eine scharfe Rechtskurve, das Auto schießt über die Kaimauer ins Hafenbecken, noch ein fight zwischen Mensch und Dämon unter Wasser, der Dämon ersäuft, die Heldin befreit sich in letzter Sekunde aus dem sinkenden Auto, taucht auf, hat ihre Angst bezwungen und damit (damit! ) auch den Teufel. 2. Zweite Vorüberlegung: Wer oder was? Die bekannte grammatische Testfrage zur Kasusbestimmung steht in dieser Kontroverse mit ausschließenddisjunktivem »oder« als Frage nach dem Wesen des Bösen zur Entscheidung. Um falschen erkenntnistheoretischen Sicherheiten vorzubeugen, muss zunächst aber historisch-anthropologisch etwas weiter ausgeholt werden, denn personale wie apersonale Konzepte des transhumanen Bösen hängen mit Vorannahmen über personale Ich-Identität zusammen, die wenigstens kurz zu problematisieren sind. Mit G. Theißen kann für die Antike eine Entwicklung angenommen werden, die im Zuge einer »psychologischen Wende« von einer externen Lokalisierung des Seelischen zur Binnenlokalisierung der Außenseele sowie zur Zentrierung der Binnenseele führte. 1 Die archaische Vorstellung einer externen Seele außerhalb des Körpers als (temporär oder permanent) »dissoziatives Selbst«, wie Kontroverse Manuel Vogel Das Böse ist böse genug Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 48 - 3. Korrektur 48 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse sie griechisch im daimōn und römisch im genius noch greifbar ist, geht in Ägypten und Griechenland im Laufe der Entwicklung über in die Anschauung von im Inneren des Menschen lokalisierten Seelenteilen, freilich zunächst dezentral als Organseelen, die dissoziativ im Körper wirksam sind. Erst die Ausrichtung der Organseelen auf ein Zentrum und dann die Zentrierung der Seele wahlweise im Gehirn oder im Herz schafft die Voraussetzung für die Ich-Einheit, wie sie dem modernen Personbegriff zugrunde liegt. »Der Schritt zur Einheit des Ich wird […] dort vollzogen, wo die vereinheitlichte Außenseele nach innen verlagert wird und die plurale Seele im Innern ein Zentrum erhält, so dass sich Grenzen nach außen und innen hin bilden« 2 . Erst dort, wo diese Grenzen bestehen, sind sie gefährdet und müssen verteidigt werden. Die Vorstellung einer Fremdbestimmung durch Dämonen bezieht ihr Bedrohliches daher nicht erst aus der angenommenen dämonischen Bosheit, sondern bereits aus dem ganz äußerlichen Umstand, dass »Besessenheit« dem Ideal autonomer Selbststeuerung zuwider läuft. Ist die Interaktion zwischen Seele und Außenwelt anders strukturiert, kann die Vorstellung von Geistern jeder Couleur (guter wie böser) ganz selbstverständlich Teil einer entsprechenden Weltauffassung sein. Der nachfolgend zu entfaltende Widerspruch gegen die geforderte Wiederzulassung des Geisterglaubens, gar mit akademischem Gütesiegel und exegetischer Methode, weiß sich also durchaus kulturell gebunden. Er fällt deshalb allerdings nicht weniger bestimmt aus und bewegt sich auch nicht auf dem von meinem-- ebenfalls geschätzten! -- Kontroverspartner gelegten Gleis der Sprachkompetenz. Denn weder ist dem Problem durch das Mitspielen von Sprachspielen beizukommen noch steht in der Moderne poetische und liturgische Sprache notwendig dort zur Disposition, wo es um den Teufel geht. Selbst Schleiermacher, dem jeder Teufelsglaube ein Graus war, hat den Teufel auf dem Felde der Poesie und des kirchlichen Liedgutes nachgerade unter Artenschutz gestellt. Die beiden mit dem Thema befassten Paragraphen der Glaubenslehre (§§ 44-45) lassen bereits im ersten Satz an Klarheit nichts zu wünschen übrig: »Die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich unter uns ausgebildet hat, ist so haltungslos, dass man eine Überzeugung von ihrer Wahrheit niemandem zumuten kann.« 3 Die Schlusssätze des § 45 lauten dann aber wie folgt: »Am freiesten ist daher und auch am unbedenklichsten der dichterische Gebrauch; denn in der Poesie ist die Personifikation ganz an ihrer Stelle, und daher kann aus einem kräftigen Gebrauch dieser Vorstellung in frommen Gesinnungen an und für sich nicht leicht ein Nachteil zu besorgen sein. Es wäre daher nicht nur unzweckmäßig, sondern möchte in mancher Hinsicht nicht leicht zu verantworten sein, wenn jemand auch aus unserm christlichen Liederschatz die Vorstellung des Teufels verdrängen wollte.« 4 Luthers Abendsegen ist also nicht gefährdet, auch nicht die gesungene Absage an des Satans »schnöde Werke«, letzteres schon deshalb nicht, weil es ja nur mittelbar um den Satan geht, unmittelbar dagegen um seine »Werke«. Nur mit diesen bekommt man es, so der Liederdichter, im Laufe eines Christenlebens zu tun. Übrigens gebe ich gern zu, dass mir der zitierte Liedvers v. a. wegen des wunderbar geschraubten »hingegen« und des Adjektivs »schnöd« lieb und wert ist. 3. Dritte Vorüberlegung: Wer ist wie gemeint? Wie steht es mit dem Argument, der persönliche Charakter von Leiderfahrungen fordere ein personales Gegenstück auf Seiten der Kräfte, die Leid verursachen? Impliziert die persönliche Unglücksadresse einen personalen Absender? Biblisch geht das jedenfalls auch ohne dämonologischen Umweg in direkter Hinwendung zu Prof. Dr. Manuel Vogel, geb. 1964 in Frankfurt/ Main, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Frankfurt, 1994-1996 Vikariat in Bayern, 1995 Promotion in Heidelberg, 1996-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster, 2003 Habilitation in Münster, 2003-2006 Pfarramt in Hessen-Nassau, 2006-2008 Pfarrer im Hochschuldienst an der Goethe-Universität Frankfurt, seit 2009 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Veröffentlichungen u. a. zu Paulus, Josephus und zum Hellenistischen Judentum. Manuel Vogel Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 49 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 49 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug Gott: Die Psalmen sind voll von Verzweiflungsrufen und Vertrauensäußerungen von Menschen im Leid, die sich an Gott wenden und der Mithilfe von Dämonen nicht bedürfen, um mit dem eigenen Leid (mal besser, mal schlechter) klarzukommen. Das Wort Jesu von den Spatzen und von den Haaren auf dem Haupt (Mt 10,29 f.) weist in dieselbe Richtung, und wenn unmittelbar vorher (Mt 10,28) von der notwendigen »Furcht vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle« die Rede ist, dann ist Gott gemeint, nicht der Teufel, 5 und die verordnete »Furcht« vor Gott ist durch den Kontext ausgewiesen als das einzig wirksame Mittel gegen Menschenfurcht. Sodann ist die abgeklärte Deutung eigenen Leides als Widerfahrnis im allgemeinen Weltenlauf keine Erfindung der Moderne. Schon die Stoa, zumal die späte, hat so gedacht: Das kleine Leben hat in Freud und Leid seinen Platz und seinen Sinn im großen Ganzen. Des ungeachtet macht der Teufel bis heute von sich reden, auch unter Akademikern. Auf dem XIV. Europäischen Kongress für Theologie, der im September dieses Jahres zum Thema »Gott-- Götter-- Götzen« in Zürich stattfand, befasste man sich in der Sektion Praktische Theologie in ökumenischer Perspektive mit dem Thema »Zwischen Aberglaube und Besessenheit. Der Teufel, die Dämonen und das Böse in uns nach der Aufklärung«. Zwei Vorträge waren vorgesehen: »›Dem Teufel entsagen.‹ Die katholische Lehre vom Exorzismus in liturgischer und psychologischer Perspektive« und: »›Jesus ist Sieger! ‹ Dämonenaustreibung und Krankenheilung in evangelischer Sicht«. Eine Neuerscheinung zum Thema ist im Verlag F. Pustet angezeigt: Monika Scala, Der Exorzismus der Katholischen Kirche. Ein liturgisches Ritual zwischen Film, Mythos und Realität (Studien zur Pastoraltheologie 29), Regensburg 2011. Wir prügeln in dieser Kontroverse also keinen toten Hund. 4. Das Neue Testament und die Dämonen: Ein Stich ins Wespennest? Wenn nachfolgend das neutestamentliche Zeugnis aufgerufen wird, steht die hier vertretene Position allem Anschein nach von vornherein auf verlorenem Posten, denn im Neuen Testament wimmelt es von Dämonen, und exorziert wird allenthalben. Kann man darüber hinwegsehen, es sei denn, man lässt sich in unverantwortlicher Weise vom eigenen Erkenntnisinteresse (ver-) leiten? Hierzu sei zweierlei vorausgeschickt: Erstens ist die Rede vom »neutestamentlichen Zeugnis« insofern zu präzisieren, als die folgenden Überlegungen nicht auf einer (wie der Singular »Zeugnis« nahe legen könnte) synthetischen Lektüre des NT fußen. Das NT ist als Dokument des Anfangs und als zweiter Teil des christlichen Bibelkanons gerade deshalb von Interesse, weil es eine anfängliche Vielfalt dokumentiert, die gar nicht differenziert genug wahrgenommen werden kann. Die historische Analyse erschließt die neutestamentlichen Texte als Niederschlag einer Vielzahl von Glaubensweisen, die zu Anfang für sich standen und als solche genügten, und sei es nur für ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Oder aber sie bekämpften sich in intensiver Fühlung und entschiedener Abgrenzung gegenseitig, was für die Biodiversität des frühen Jesusglaubens auf dasselbe hinaus läuft. Die Ironie der Kanongeschichte besteht nun darin, dass der Kanon diese in vieler Hinsicht unausgeglichene und nicht harmonisierbare Vielfalt in allen ihren Teilen als gültig setzt. Wenn es »das« Zeugnis des NT gibt, dann lautet es: Man konnte in der Zeit des Anfangs, an der die Kirche bis heute Maß nimmt, auf sehr unterschiedliche Weise Christ sein. Wenn der kritisch geschulte Blick der Exegese diese Unterschiede herauspräpariert, dann nicht in destruktiver Absicht, sondern in einer Art ökumenischen Bewusstseins, das sich selbst und möglichst vielen (nicht: beliebig vielen) anderen Brüdern und Schwestern ein Bleiberecht in einem Haus mit vielen Wohnungen zubilligen möchte. Zweitens: Das erkenntnisleitende Interesse, welches darin besteht, die neutrische Rede vom Bösen neutestamentlich zu plausibilisieren, liegt schon allein durch den Part, den dieser Beitrag in der aktuellen Kontroverse spielt, klar zutage. Ist es aber dergestalt expliziert, ist es kontrollierbar und damit zulässig. Untersucht werden soll, ob sich eine Weltauffassung, die ohne Teufel und Dämonen auskommt, im Neuen Testament, das weithin beides selbstverständlich voraussetzt, häuslich einrichten kann. Kann man die Texte nehmen, wie sie sind, und sie auch lassen, wie sie sind, sie also nicht kulturrelativistisch oder rationalistisch erledigen, darin aber gleichwohl Anknüpfungspunkte für eine Position finden, die das personifizierte Böse dem Inventar biblischer Sprachbilder zuschlägt und damit zu jeglichem Geisterglauben auf Distanz geht? Folgende Überlegungen sollen dazu angestellt werden: (1) Für den Bereich der synoptischen Evangelien wird die These durchgespielt, dass die Darstellung der Exorzismen Jesu so konzipiert ist, dass eine stärker von Gebet und Heilungen bestimmte Praxis der frühen Gemeinden in deren legitimer Nachfolge steht. (2) Im Johannesevangelium soll gezeigt werden, dass die »konsequente Christologie« des johanneischen Denkens es nicht zulässt, dass sich die Gläubigen über- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 50 - 3. Korrektur 50 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse haupt ›separat‹ mit dem Teufel beschäftigen. (3) Es folgen drei Beobachtungen zum Matthäusevangelium, nämlich zur Vaterunserbitte um Erlösung von dem Bösen, zum Satanswort wider Petrus und zum Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. (4) Im Blick auf die paulinischen Gemeinden ist festzustellen, dass deren charismatische Grundausstattung, wie sie namentlich in Korinth sichtbar wird, nirgends so etwas wie Dämonenabwehr oder -bekämpfung vorsieht. Entgegen dem ersten Augenschein gilt das auch für die »geistliche Waffenrüstung« im Epheserbrief. (5) Abschließend kommt nochmals Paulus zu Wort: Bemerkenswert ist, dass dort, wo er die großen Linien im Drama von Schöpfung und Erlösung auszieht, vom Teufel nicht die Rede ist. Das skizzierte Erkenntnisinteresse ist bei diesen Textbeobachtungen durchweg leitend. Ob und in welchem Maße es den Texten gerecht wird oder ihnen Gewalt antut, ist durch sein bloßes Vorhandensein noch nicht entschieden. Die Lesenden mögen selber urteilen. 5. Die synoptischen Evangelien: Exorzismen und Heilungen Die drei Synoptiker sehen nicht nur in Jesus einen Exorzisten, er gibt seine exorzistische Vollmacht auch ausdrücklich an seine Jünger weiter: »Er gab ihnen Macht über die unreinen Geister«, so Mk 6,7 im Zusammenhang der Aussendung der Zwölf (Mk 6,7-13). Damit greift der Evangelist auf Mk 3,14 zurück: Jesus hat die Zwölf berufen, »damit sie um ihn wären und damit er sie aussenden könnte zum Verkündigen und mit der Macht Dämonen auszutreiben«. Summarisch notiert dann 6,12 f. über deren Wirken: »Da zogen sie aus und verkündigten, man solle Buße tun, und trieben viele Dämonen aus, salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie«. Mt und Lk übernehmen die Aussendungsrede Jesu, verarbeiten aber allem Anschein nach außerdem eine parallele Tradition der Logienquelle. Bei beiden gehört der Exorzismus ebenso zum Repertoire wie bei Markus (Mt 10,8; Lk 9,1). Lukas ergänzt zur Berufung der Zwölf diejenige der Zweiundziebzig. Exorzismen spielen zunächst keine Rolle, sie werden in der Szene der Rückkehr der Ausgesandten (Lk 10,17-20) aber zum beherrschenden Thema: Der überwältigende Erfolg ihrer Mission bemisst sich, sagen die Zweiundsiebzig, daran, dass »uns sogar die Dämonen untertan sind in deinem Namen«, und dies, obwohl bei Lk gar nicht sie, sondern die Zwölf exorzistische Vollmacht erhalten haben. Der in 10,18-20 anschließende Kommentar Jesu klingt zunächst nicht minder euphorisch, bringt dann jedoch eine leise Korrektur an: Nicht über den exorzistischen Erfolg sollen sie sich freuen, sondern darüber, dass ihre Namen im Himmel angeschrieben sind (V. 20). Möglicherweise ist hier ein Vergleich mit Joh 21,29 nicht ganz abwegig: Thomas darf seine Finger in Jesu Wundmale legen, doch »selig sind, die nicht sehen und doch glauben«. Analog wäre dann mit Lk 10,20 einem etwaigen (und in einem zweiten Schritt für die Adressaten des LkEv anzunehmenden) Ausbleiben exorzistischer Evidenzerfahrungen vorgebeugt: Entscheidend ist allein der eigene Heilsstand, mit den Dämonen mag es sich verhalten, wie es will. Deutlicher lässt Mk 9,29 die Grenzen der frühchristlichen Praxis erkennen: Die Jünger, die erfolglos mit der Austreibung eines Dämons befasst waren, werden von Jesus belehrt, »diese Art« könne »durch nichts ausgetrieben werden außer durch Gebet«. Spätere Handschriften ergänzen zum Gebet das Fasten. Das heißt: Wo das gegen das Böse gerichtete verbale Performativ des Exorzismus nichts mehr ausrichten kann, nimmt die an Gott selbst gerichtete Sprache des Gebets (ggf. durch Fasten als Teil einer strukturierten praxis pietatis ausgewiesen) seinen Platz ein. Die Vertreibung des Bösen wird zum Nebeneffekt der Gottesbeziehung bzw. des gottesdienstlichen Gebets der Gemeinde. Die Exorzismen Jesu sind dann primär als Bestandteil der Jesus-Erzählung zu verstehen, in deren Verlauf die Erzählfigur Jesus als Akteur im Drama der anbrechenden Basileia aufgebaut wird. Auch die von Jesus ausgesandten Jünger repräsentieren nicht einfach die frühchristlichen Verhältnisse. Zwar scheint gerade in der Aussendungsrede frühchristliche Missionspraxis durch, doch kann die Szene nicht in allen ihren Teilen so gelesen werden, als solle sie »zeigen, was für ein Verhalten der Herr seinen Boten, damals und für die ganze Zukunft, vorgeschrieben hat« 6 . Vielmehr dürfte, was für den Wanderradikalismus der Zwölf gilt, auch für ihre exorzistische Vollmacht zutreffen: Sie sind darin in erster Linie Gestalten der Anfangszeit, Akteure der Reich-Gottes-Botschaft, von Jesus in seinen Erdentagen berufen, »damit sie um ihn wären« (Mk 3,14). Was aber ist mit denen, für die die Zeit des Erdenwirkens Jesu schon Jahrzehnte zurück liegt? Über Lk 10,20 und Mk 9,29 hinaus verdienen zwei weitere Stellen nähere Beachtung: (a) Die bereits zitierte summarische Notiz Mk 6,12 f. erwähnt die Dämonenaustreibungen in einem Atemzug mit Krankensalbungen. Damit stehen Exorzismus und Salbung als zwei mögliche »Therapieformen« neben einander. Während der Exorzismus eine eindeutige Diagnose voraussetzt (dämonische Verursachung von Krankheit), lässt sich der Ölgebrauch im antiken Kontext nicht eindeutig einem dämonischen oder »medizi- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 51 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 51 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug nischen« Hintergrund zuordnen. Blicken wir von hier aus zu Jak 5,14 (außer Mk 6,13 der einzige Beleg für die Ölsalbung Kranker im NT), ist vom exorzistischen Aspekt explizit nicht mehr die Rede. Das Beten »über« dem Kranken (d. h. unter Handauflegung) und die Ölsalbung »im Namen des Herrn« lässt für den religionsgeschichtlich geschulten Blick exorzistische Motive erkennen, ob diese den Adressaten des Jak (noch) geläufig waren, ist aber bereits zweifelhaft. Wir bewegen uns an dieser Stelle in einem Bezugsfeld mit exorzistischen, medizinischen und sakramentalen Elementen, in welchem jedenfalls der exorzistische Aspekt nicht dominiert. (b) Nicht unwichtig ist vielleicht auch Lk 9,1f.: Die »Kraft und Vollmacht über die Dämonen« gehört zur Grundausstattung der Zwölf, nicht aber explizit zu ihrem Auftrag, der in Reich-Gottes- Verkündigung und Krankenheilung besteht. Dies kann eine absichtsvolle Nuance sein: Exorzistisch Begabte betätigen sich als Heiler. Entsprechend heißt es in Apg 10,38 von Jesus, dass er »alle heilte (griech. iaomai), die vom Teufel beherrscht waren«. Terminologisch tut Jesus das, was auch ein Arzt tut (nämlich heilen), die Kausalattribution von Krankheit an den Teufel unbenommen. Über die Heilmethoden ist dann gesondert zu befinden, wobei der Übergang zwischen Medizin, Magie und Aberglauben in der Antike fließend war. Einen kräftigen Eindruck hiervon erhält man zu Beginn des 28. Buches der Naturgeschichte des Plinius, das den »Arzneimitteln von Tieren« gewidmet ist, zunächst aber ausführlich und material- und belegreich die heilende Wirkung von »Worten und Zauberformeln« abhandelt. Wichtig ist allein der mögliche oder nach Plinius’ Urteil jedenfalls nicht mit Sicherheit auszuschließende therapeutische Effekt. Gut ist, was hilft, Theorien zur Genese von Krankheit sind in diesem Zusammenhang uninteressant. Verwischt Lukas also mit Bedacht die Grenzen zwischen Besessenheit, deren Überwindung Signatur der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und seiner Jünger ist, und einem weiteren Feld unterschiedlichster Krankheitsphänomene, Krankheitsursachen und Heilungsmethoden? Aus den voranstehenden Beobachtungen lässt sich gewiss keine gemein-urchristliche Tendenz ableiten, die beim Exorzismus beginnt und beim Arztbesuch endet. Doch bleibt als Fazit festzuhalten, dass die Darstellung der Überwindung von Besessenheit im Wirken Jesu Spuren zu einer frühchristlichen therapeutischen Praxis legt, die keinen explizit exorzistischen Charakter mehr erkennen lässt. 6. Der Teufel im Johannesevangelium Blickt man von den Synoptikern zu Johannes hinüber, ändert sich die Szenerie grundlegend: Der johanneische Jesus exorziert überhaupt nicht. Dass ein Mensch einen Dämon haben könnte, sagt der Volksmund (8,48 f.52; 10,20, stets mit Bezug auf Jesus), nicht der Evangelist. Dass der Teufel in Judas fährt (13,27), ist ein singulärer Fall, denn Judas ist ein Akteur im Geschehen der Erhöhung und Verherrlichung Christi, in dessen Verlauf der Teufel seinen ultimativen Platzverweis erhält. Was an und durch Judas geschieht, ist strikt von dorther zu verstehen. Auch sonst wird die Figur des Teufels (im JohEv auch »Satan« und »Fürst dieser Welt«) ganz auf die Christologie hin zentriert bzw. von dorther neu verstanden. Sein »Kommen« in 14,31 meint, dass er nun (durch Judas) seinen Part in der Passionsgeschichte zu spielen hat, und zugleich ergeht in der Passion/ Erhöhung Jesu über ihn das Gericht (12,31; 16,11). Sofern er den Kosmos beherrscht, steht er für einen universalen Verblendungszusammenhang (Stichwort »Lüge«: 8,44), der durch Jesu Offenbarung durchbrochen wird. Die Bitte Jesu an den Vater, die Seinen »zu bewahren vor dem Bösen«, ist eine Bedingung ihres Seins in der Welt (17,15). Die Welt ist ihrerseits vom »Fürst dieser Welt« beherrscht, ihm aber nicht verfallen und auch nicht wesenhaft böse, denn sonst könnte sie nicht bleibend Adressatin der Offenbarung Jesu sein (Joh 3,16). Johanneisch gedacht, bekommen es die Glaubenden im Einzelnen oder als Einzelne überhaupt nicht mit dem Bösen zu tun, denn über den Teufel ist durch Jesu Passion letztgültig entschieden (Auf Hebr 2,14 f. sei »Terminologisch tut Jesus das, was auch ein Arzt tut (nämlich heilen), die Kausalattribution von Krankheit an den Teufel unbenommen. Über die Heilmethoden ist dann gesondert zu befinden, wobei der Übergang zwischen Medizin, Magie und Aberglauben in der Antike fließend war. […] Gut ist, was hilft, Theorien zur Genese von Krankheit sind in diesem Zusammenhang uninteressant.« »Johanneisch gedacht, bekommen es die Glaubenden im Einzelnen oder als Einzelne überhaupt nicht mit dem Bösen zu tun, denn über den Teufel ist durch Jesu Passion letztgültig entschieden.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 52 - 3. Korrektur 52 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse wenigstens verwiesen: Durch Jesu Tod ist der Teufel und mit ihm die Todesfurcht überwunden. Für die Glaubenden ist er damit eine Figur der Vergangenheit). Im JohEv wird den Glaubenden dementsprechend die Bitte um die Bewahrung vor dem Bösen abgenommen: Der Sohn hat sie dem Vater bereits hinterbracht. Liest man das JohEv als eigenständige Stimme, die den Christusglauben auf sein Wesentliches zuzuspitzen beansprucht, kann man so formulieren: Die Bestimmung der Glaubenden ist allein das »Bleiben in Christus«, ihre Teilhabe an der Beziehung des Sohnes zum Vater. Ein irgendwie geartetes Befasstsein mit dem Teufel, das aus ihm mehr machte als eine Nebenrolle im Drama der Offenbarung des Vaters durch den Sohn, könnte diese Bestimmung nur kompromittieren. Im Blick auf den von Christus überwundenen Gegenspieler gibt es, mit der Hirtenrede Joh 10 gesprochen, nur ein »Nichtkennen« seiner Stimme, eine »Nicht-Kommunikation«. 7. Vaterunser, Satanswort, Unkraut im Weizen Aus der Perspektive des JohEv bedeutet die letzte Vaterunser-Bitte um »Erlösung von dem Bösen« einen gewissen Rückschritt: Worum Jesus in Joh 17,15 einmalig den Vater bittet, ist den Christen in Mt 6,13 als ständiges Gebet aufgetragen. Kann johanneisch die Bitte Jesu als erhört gelten, ist die Erlösung vom Bösen im Vaterunser so wenig selbstverständlich wie das tägliche Brot. Das oder der Böse ist bei Matthäus nicht in der Weise durch das Christusgeschehen erledigt wie im JohEv. Aber auch hier gilt entscheidend: Auch im Vaterunser gibt es keine direkte Konfrontation mit dem Bösen, sondern wiederum allein die Beziehung zu Gott als Vater, in die das Gebet des Herrn die Christen einweist. Personaler Natur ist kraft der Anrede Gottes im Vaterunser allein die Gottesbeziehung. Der Teufel wird (wenn er denn gemeint ist) in der Objektstellung der Bitte unkenntlich, wird der Möglichkeit der grammatischen und sachlichen Neutralisierung preisgegeben. Wir bleiben noch bei Matthäus, nämlich bei Jesu Satanswort an Petrus (Mt 16,23), als dieser ihm gut zureden und ihn von seinem Weg ins Leiden abbringen will. Die Schelte Jesu wiegt schwer, weil vom »Satan« im Matthäusevangelium (mit Mk übereinstimmend) zuletzt die Rede war, als die Leute Jesus mit dem Teufel im Bunde wähnen (12,26), und davor in der Versuchungsszene (4,1-11). Ist Petrus also plötzlich ein Agent des Leibhaftigen? Das Scheltwort an Petrus lässt eine bemerkenswerte Asymmetrie zwischen Gott und dem Satan erkennen: Petrus ist ein »Satan«, weil er das Göttliche nicht in Richtung auf das Teuflische oder Böse, sondern auf das Menschliche verfehlt: »Du meinst, was menschlich ist«. Nimmt man das beim Wort, hat das Böse neben bzw. außerhalb der Beziehung von Gott und Mensch keinen eigenen Wirklichkeitsbereich. Konkret geht es darum, ob Jesus seine göttliche Sendung erfüllt oder verfehlt. Der »Satan« Petrus wird dadurch bezwungen, dass er erneut in die Nachfolge gerufen wird. In diesem Sinne ist wohl der Befehl »weiche hinter mich (gr. hopisō mou)« zu verstehen, der im folgenden Abschnitt über die Nachfolge (wörtlich »hinter mir [d. h. Jesus] hergehen«, gr. hopisō mou elthein) terminologisch aufgenommen wird. Eine dritte Beobachtung zum MtEv: Die Parabel vom Unkraut unter dem Weizen Mt 13,24-30 erzählt von einem »Feind«, der giftiges Unkraut auf ein Weizenfeld sät. Während dieser Feind in der Parabel selbst unbestimmt bleibt, wird das gesamte Bildfeld in der anschließenden Deutung (13,36-43) allegorisiert. Vom Feind erfährt man nun: Er ist der Teufel, seine Saat sind die »Söhne des Bösen« (13,38 f.). Damit aber erhält die Anweisung des Hausvaters, das Unkraut nicht auszureißen, das größtmögliche Gewicht, geht es doch um nichts Geringeres, als den Teufel inmitten von Gottes Acker gewähren zu lassen (wie auch immer dieser Acker zu vermessen und wo er zu lokalisieren ist). Die eigentliche Gefahr geht nicht vom Bösen aus, sondern vom Versuch, es oder ihn dingfest zu machen und zu beseitigen. Auch hier gilt wieder: Eine direkte Interaktion mit dem Bösen ist nicht Sache der Gläubigen, die im Guten wie im Bösen allein auf Gott verwiesen sind. 8. Paulus, Deuteropaulinen Unter den Paulusbriefen ist für unser Thema besonders der 1. Korintherbrief von Interesse: Weder hatte Paulus Probleme mit Fleisch aus paganer kultischer Schlachtung (gr. eidōlothyta) noch hat er Kultbildern (gr. eidōla) eine magische Qualität zuerkannt (1Kor 10,19). Für »Paulus steht also auf der Grenze zwischen einem dämonologischen und einem (so würden wir es nennen) aufgeklärt monotheistischen Weltbild. [...] Anzumerken ist, dass von »Dämonen« bei Paulus nur an der genannten Stelle [sc. 1Kor 10,20f.] die Rede ist. Ansonsten leben Paulus und seine Gemeinden augenscheinlich nicht in ständiger Dämonenfurcht.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 53 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 53 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug gefährlich hielt er allerdings die Teilnahme an paganen Kulthandlungen (gr. eidōlolatria, 10,14). Kultbild und Opferfleisch sind ungefährlich, weil es die Gottheit, der sie gewidmet sind, gar nicht gibt (8,5 f.). Mit der Teilnahme an paganen Kulten verhält es sich anders, und zwar deshalb, weil Paulus neben dem einen Gott (der ist) und den Göttern (die nicht sind) mit einer dritten Größe rechnet, nämlich mit den Dämonen (gr. daimonia, 10,20 f.). Wer an solchen Kulthandlungen teilnimmt, geht eine »Gemeinschaft« (gr. koinōnia) mit ihnen ein. Paulus steht also auf der Grenze zwischen einem dämonologischen und einem (so würden wir es nennen) konsequent monotheistischen Weltbild. Das macht seine Position für unser Thema interessant. Anzumerken ist, dass von »Dämonen« bei Paulus nur an der genannten Stelle die Rede ist. Ansonsten leben Paulus und seine Gemeinden augenscheinlich nicht in ständiger Dämonenfurcht. Das wird vor allem daran deutlich, dass es unter den reichhaltigen Geistesgaben (gr. pneumatika, charismata), mit denen sich Paulus in 1Kor 12-14 befasst, keine Techniken der Teufels- oder Dämonenabwehr gibt. Zwar sind in der charismatischen Gemeinde nach 1Kor 12,10 »Geister« (gr. pneumata) Gegenstand von »Beurteilung« (gr. diakrisis), es werden aber nicht böse Geister oder Dämonen ausgetrieben. Paulus hat sich die Gemeinde allem Anschein nach als einen geschützten Binnenraum vorgestellt, als ein pneumatisches Immunsystem, das sich nach 1Kor 7,14 sogar auf nichtchristliche Ehepartner und die gemeinsamen Kinder erstreckt. So sonderlich beunruhigt scheint Paulus angesichts der Teilnahme einiger Gemeindeglieder an paganen Kulthandlungen übrigens gar nicht zu sein (Will man einen ernstlich alarmierten Paulus hören, muss man Gal 1,6- 9 lesen). In 1Kor 10,14-22 wird etwas zurechtgerückt, eine schlechte Praxis unterbunden, mehr nicht. Gravierender ist da schon der Ausschluss des Unzüchtigen per Übereignung an den Satan in 1Kor 5,4 f. Dass sich dieser Vorgang jenseits jeglicher Routine bewegt, mithin einen Sonderfall darstellt, wird schon daran deutlich, dass Paulus für dieses Ausschluss-Ritual extra anreisen zu müssen meint. Aber wird denn die Gemeinde durch die Liaison eines Christen mit der »Frau des Vaters« (5,1), d. h. mit der Stiefmutter-- vielleicht ist der leibliche Vater schon gestorben und die Stiefmutter kaum älter als der erwachsene Sohn! -- mehr geschädigt als durch die Teilnahme anderer Christen an paganen Kulthandlungen? Meine Vermutung ist, gestützt auf 5,6a (»euer Rühmen ist nicht fein«), folgende: Paulus will ein Exempel statuieren gegen ein allzu forsches pneumatisches Selbstbewusstsein einiger Gemeindeglieder. Das würde bedeuten, dass die performative Dramatik des Vorgangs in keinem Verhältnis zu seinem Gefahrenpotential steht. Paulus will nicht den Teufel in die Schranken weisen, sondern die Indifferenz von Pneumatikern gegenüber ihrer eigenen Konstitution als leibliche Beziehungswesen erschüttern. Der inszenierte Ausschluss des Unzüchtigen soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es Grenzen des Erlaubten gibt. Die geschürte Höllenangst wäre dann pädagogischer Natur, wobei man mit Paulus über die Verhältnismäßigkeit der Mittel streiten könnte. Im Bereich der Deuteropaulinen fällt der Blick sogleich auf die berühmte »geistliche Waffenrüstung« in Eph 6. Mit dieser »Rüstung« (griech. panoplia) gilt es, der »Arglist des Teufels« zu widerstehen und (in kurioser Spannung zum Bild der Rüstung) einen »Ringkampf« zu kämpfen (gerungen wurde nämlich nackt) mit allerlei bösen Geistern, Mächten und Gewalten, die sich in den unteren Himmelsregionen tummeln (Eph 6,11 f.). Deutlicher als an dieser Stelle kann die für das NT weithin maßgebliche dämonologische Weltauffassung kaum zur Geltung kommen. Allerdings: Der in 6,14- 17 anschließende Katalog mit den Einzelteilen dieser Kampfmontur unterscheidet sich so gar nicht vom dem, was man auch sonst zur Grundausstattung eines Christenlebens zählen würde: Wahrheit, Gerechtigkeit, Bereitschaft zur Ausbreitung des Friedensevangeliums 7 , Glaube, Heil(sgewissheit) und heiliger Geist, der im Wort Gottes wirkt. In der Summe soll man, in aller Einfalt gesagt, ein guter Christ sein, dann hat nichts und niemand Böses etwas zu wollen. Gerade dieser Glaube, der von Dämonen förmlich umzingelt ist, wird nicht antidämonisch supplementiert, vielmehr wird ihm insgesamt eine suffiziente Wirksamkeit gegen das Böse zugeschrieben. Lebt man diesen Glauben, darf man sich, so möchte ich behaupten, die Freiheit nehmen, vom Bösen in der Art Schleiermachers zu denken und zu sprechen. Sollte das ein Denk- und Sprachfehler sein, wird einem gleichwohl nichts Böse widerfahren. An dieser Stelle sei auf 4Q286 Frg. 7 verwiesen, ein Text, der die liturgische Verfluchung böser Geister als jüdische Praxis belegt und die bei Paulus und im Epheserbrief beobachtete Leerstelle zusätzlich bedeutsam erscheinen lässt 8 : (1) (des Rat(es) der Einung sagen sie alle zusammen: »Amen, Amen! « [(leer)] Und danach verdammen sie Belial (2) und das ganze Los seiner Schuld und heben an und sprechen: »Verflucht ist B[e]lial im [De]nken seiner Anfeindung (3) und verdammt ist er in der Herrschaft seiner Schuld, und verflucht sind alle Gei[ster] seines [Lo]ses Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 54 - 3. Korrektur 54 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse im Denken ihres Frevels, (4) und verdammt sind sie in den Gedanken ihrer [U]nreinheit, denn [sie sind ein] Finsternis-[Lo]s und ihre Heimsuchung erfolgt (5) zu ewigem Verderben. Amen, Amen! [(leer)] Und verflucht der Frev[ler…….] seiner Herrschaftsbereiche und verdammt sind (6) alle Beli[als]-- Söhne in allen Verschuldungen ihres Standortes bis aufs Vertilgen [auf immer. Amen, Amen (? )«][(leer)] (7) Und [sie fahren fort und sprechen: »Verflucht bist du, Enge]1 des Verderbens und Gei[st des Abg]runds, in al[1] dem Denken des Sinnes (8) [, deiner] Sch[uld und in ……..].. und Rat [deines] Frevels, und verdammt bist du in der Wa[cht deiner/ s …] (9) […..]. mit allen […….]. und m[it……….]. (10) [und mit Schan]den von Vernichtung oh[ne Vergebungen] …im Zorn des Grimmes [Gottes für al]le [Zeiten von Ewigkeit]en. Amen, Amen! « Eine solche Praxis sieht 1Kor und Eph nirgends vor. Es gibt paulinisch trotz aller charismatischen Vollmacht kein verbales Angehen von bösen Geistern in der Art dieses Qumrantextes. Will man in dieser Richtung innerhalb des NT fündig werden, ist man an die Gegner des Judasbriefes verwiesen, die augenscheinlich ähnliches taten wie der »Rat der Einung« in 4Q286. Der Verfasser des Judasbriefes hält dieses Treiben für hochgradig gefährlich und verweist auf das Beispiel des Erzengels Michael: Sogar der ließ in der Wahl seiner Worte wider den Satan größere Vorsicht walten und stellte die Bestrafung des Teufels Gott anheim. 9 9. Nochmals Paulus: Röm 5 und Röm 8 Mit der Adam-Christus-Typologie in Röm 5,12-21 und der Betrachtung zu Schöpfung und Erlösung in Röm 8,19-23 liegen zwei Passagen vor, die ich »Miniaturen des Ganzen« nennen möchte. Sie sind deshalb interessant, weil in beiden Texten ein Bogen vom Anfang zum Ende der Geschichte geschlagen wird, ohne dass der oder das Böse dabei zur Sprache und zu Ehren käme. In Röm 5,12-21 bilden Adam und Christus die inclusio um das Weltganze mit Adam als Verursacher von Sünde und Tod und Christus als Bringer von Gnade und Gerechtigkeit. Zwar »herrschen« Sünde und Tod als universale Mächte, sie werden damit aber ebenso wenig zu regelrechten personalen Größen wie deren Gegenspielerinnen Gnade und Gerechtigkeit. In Röm 8,19-23 ist wichtig, dass erstens Gott derjenige ist, der die Schöpfung der Nichtigkeit (gr. mataiotēs) unterwirft, und dass dieses Gotteshandeln zweitens noch nicht einmal etwas mit dem Sündenfall zu tun hat. Vielmehr wird die Vergänglichkeit der Schöpfung allem Anschein nach allein aus dem Grund zugemutet, um ihr eine Teleologie der Erlösung, eine inhärente Qualität von Hoffnung einzustiften. Die Pointe der Geschichte zeigt sich von ihrem Ende, nicht von ihrem Anfang her. An diesem Ende gibt es keine Vernichtung des Teufels, sondern einzig den Triumph der Gnade. Getrennt von einander finden sich paulinische Reflexionen zum Anfang und zum Ende der Geschichte in Röm 7 und 1Kor 15. Das Agieren der »Sünde« nach Röm 7,7-24 weist Anklänge an die Sündenfall-Erzählung auf, bewegt sich darin aber konsequent auf der Ebene anthropologischer Begriffe: Die Schlange aus Gen 3 wird in geradezu mustergültiger Weise entmythologisiert. Zu 1Kor 15,24ff ist anzumerken, dass der Parusie-Christus zwar allerhand Mächte und Gewalten bezwingt (ein Geschehen, das sich mit einer gewissen Unschärfe zwischen »Vernichtung« und »Unterwerfung« abspielt), dass an deren Spitze und Ende aber nicht der Satan steht, sondern der Tod: Wiederum wird der Mythos in Anthropologie übersetzt, denn der Tod ist-- mythologische Anklänge unbenommen 10 - - nicht der Dämonen Oberster, sondern eine Daseinsbedingung des Menschen. 10. Fazit Was würde ich also der Dame auf dem Anrufbeantworter erwidern? Ich würde ihr wohl in etwa so antworten: Schauen Sie, ich stehe jetzt im siebenundvierzigsten Jahr meines Lebens, und mir ist noch nie ein Geist erschienen außer in der Geisterbahn, und der war aus Pappmaché mit Glühbirnen in den Augenhöhlen. Ich weiß wohl, dass die Weltsicht, die sich vielfach im Neuen Testament niederschlägt, eine andere war: Die Leute glaubten damals tatsächlich, dass der Luftraum von lauter Geistern und Dämonen bevölkert ist, und dass man sich vor ihnen hüten müsse. Ich mag mir aber, so würde ich weiter antworten, diesen Glauben nicht zu eigen machen, einfach auf dem Hintergrund meines gewachsenen (und zugleich mühsam erworbenen) eigenen Bildes von der Welt. Von dieser Warte stelle ich fest, dass die Menschen, deren Glaube im Neuen Testament greifbar ist, Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 55 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 55 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug sich vergleichsweise wenig mit Teufel und Dämonen beschäftigt haben. Die Vaterunser-Bitte um Bewahrung vor dem Bösen bringt etwas zum Ausdruck, das man mit ein wenig Wagemut neutestamentlich verallgemeinern darf: Dass der schlichte Glaube, die Gottesbeziehung, die Du-Anrede Gottes im Gebet hinreicht, um sich das Böse vom Halse zu halten. Deshalb komme ich, wovon ich einige Textproben gegeben habe (die sich noch vermehren ließen), mit dem Neuen Testament ganz gut zurecht, und, so hoffe ich, das Neue Testament auch mit mir. Ich möchte es also dabei belassen: Eine Depression ist eine Depression, eine Krebszelle ist eine Krebszelle, ein Genozid ist ein Genozid, ein Spekulant ist ein Spekulant, eine Kernschmelze ist eine Kernschmelze, wie auch eine knarrende Bodendiele eine knarrende Bodendiele ist, nichts anderes, nicht weniger, nicht mehr. Das Böse ist böse genug. Es braucht dafür nicht noch den Teufel. Anmerkungen 1 Das Folgende nach G. Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007, 52-57. 2 A. a. O., 56. 3 F. D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, Berlin 7 1960, 211. 4 A. a. O., 223 f. 5 So votiert U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (EKK I,2), Neukirchen-Vluyn/ Zürich 1990, 127. 6 E. Haenchen, Der Weg Jesu, Berlin 1966, 221. 7 Vgl. dazu R. Schnackenburg, Der Brief an die Epheser (EKK X), Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1982, 284 f.: »Dem Eph-Autor kommt es in dieser Mahnrede zum Feststehen im Kampf gegen das Böse nicht so sehr auf die Ausbreitung des Evangeliums wie auf die Friedensbereitschaft an. Gerade sie ist paradoxer Weise eine Ausrüstung des Gottesstreiters. Angeregt durch Jes 52,7, meint ›Evangelium des Friedens‹ […] den Inhalt des Evangeliums, das Frieden und Heil ansagt, Friede, der in Christus verwirklicht ist (vgl. 2,17). Christus, unser Friede (2,14), wird zur Anforderung an den Gottesstreiter, den geschenkten Frieden zu bewahren. Verglichen mit den Kampfesschilderungen in Qumran, die auf Sieg und Rache an den Gottesfeinden gerichtet sind, zeigt sich hier die Besonderheit der christlichen Gemeinde, die sich in Christus schon als Sieger weiß und in der Welt mit ihren Kämpfen nur eine Friedensaufgabe im umfassenden Sinn zu erfüllen hat: den Frieden Gottes verkündigen und ausbreiten. Dazu gehört auch das Bemühen, den Frieden unter den Menschen zu fördern, aller in den menschlichen Konflikten und Kriegen aufbrechenden Gewalt des Bösen abzusagen und zu widerstehen.« 8 Zitiert aus: J. Maier, Die Qumran-Essener. Die Texte vom Toten Meer, Bd. 2, München 1995, 247 f. 9 Vgl. dazu K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 1995, 311-313. 10 Im Dictionary of Deities and Demons of the Bible wird der Tod unter seinem hebräischen Namen eines eigenen Artikels gewürdigt: J.F. Healey, Art. Mot, DDD, Leiden/ New York/ Köln 1995, 1122-1132. Aber schon für das AT gilt: »In O[ld] T[estament] Poetry Death is often personified (e. g. Hos 13: 14), so that there is frequently the possibility that there may be mythological overtones in texts which could, however, be read in a totally demythologised way. Plausible cases of Hebrew passages referring to Death with mythological overtones may number about a dozen« (1122 f.). Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 56 - 3. Korrektur 56 ZNT 28 (14. Jg. 2011) 1. Engel und Dämonen in der Welt von heute 1.1 Erledigt? »Man kann«, so Rudolf Bultmann in seinem berühmten Entmythologisierungsvortrag von 1941, »nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.« 1 Für Engel und Dämonen sei im modernen Weltbild einfach kein Platz mehr. »Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetz der Natur der Geister- und Dämonenglaube.« 2 Auch außerhalb Europas, z. B. im Orient, lasse sich beobachten, wie »in folge der modernen hygienischen und medizinischen Einrichtungen die mythische Religion abstirbt« 3 , und es sei schlicht unmöglich, das mythische Weltbild zu repristinieren, es sei denn bei Strafe intellektueller Unredlichkeit. 70 Jahre später scheint der Befund ganz anders zu lauten. Vom Absterben »mythischer Religion«, des Engel- und Dämonenglaubens kann keine Rede sein. Er hält sich keineswegs nur in den Nischen okkulter und satanischer Kulte. Das Nebeneinander von moderner westlicher Schulmedizin und traditioneller Medizin, von Mediziner und Medizinmann, von Pharmazie und Exorzismus gehört in afrikanischen und asiatischen Ländern ebenso wie in Südamerika zum Alltag und ist ein Thema interkultureller Medizin und Pflege. Auch in westlichen Ländern gedeihen Formen von esoterischer Komplementärmedizin, die an geheimnisvolle Kräfte und kosmische Energie glauben, die sich naturwissenschaftlich nicht nachweisen lassen. »Schulmedizin« ist in Teilen der Gesellschaft ein Schimpfwort, und die Unumstößlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und des auf ihnen fußenden modernen Weltbildes wird nicht nur von Fundamentalisten und evangelikalen Christen angezweifelt. In einer Welt, in der die darwinsche Evolutionstheorie angezweifelt und über »intelligent design« diskutiert wird, ist eben auch für Engel und Dämonen Platz. Und auch die Fantasy-Literatur ist von guten und bösen Wesen und Mächten bevölkert. Das Irrationale und die abgründigen Seiten menschlicher Existenz bilden die Nachtseite von Aufklärung und Moderne, die uns z. B. die schwarze Romantik oder die Bilder Francisco de Goyas zeigen. »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« lautet der Titel einer seiner bekanntesten Radierungen, wobei offen bleibt, ob die dargestellten fledermausartigen Ungeheuer von der künstlerischen Phantasie bewusst gestaltet werden und somit ebenfalls eine Hervorbringung der Vernunft sind oder nur entstehen können, wenn die Vernunft schläft und außer Kraft gesetzt ist. Vielleicht stellt Goyas düsteres Traumbild gerade so die Ambivalenz der Aufklärung dar, die von Horkheimer und Adorno als abgründige Dialektik beschrieben worden ist. 4 Der esoterische Buchmarkt floriert, und auch auf Kirchentagen haben Referenten großen Zulauf, die etwas über Schutzengel zu erzählen wissen. Wo es 50 Engel für das Jahr oder für die Seele gibt, 5 ist auch die Existenz von Dämonen nicht auszuschließen. Nicht nur charismatische Kirchen praktizieren Geistheilungen und Dämonenaustreibungen, auch die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen praktizieren bis heute exorzistische Rituale, die durch das kanonische Recht geregelt werden. 6 1.2 Kirchliche Positionen Wie der Katechismus der Katholischen Kirche ausführt, hat die Kirche ihren Auftrag und ihre Vollmacht, Exorzismen zu vollziehen, von Jesus selbst erhalten. In einfacher Form findet der Exorzismus bei jeder Taufe statt. Davon wird der sogenannte Große Exorzismus unterschieden, der nur auf Erlaubnis des Ortsbischofs und nur von einem Priester vorgenommen werden darf. Die katholische Kirche vollzieht dabei, wie sie selbst weiß, eine Gratwanderung. »Man muß dabei klug vorgehen und sich streng an die von der Kirche aufgestellten Regeln halten. Der Exorzismus dient dazu, Dämonen auszutreiben oder vom Einfluß von Dämonen zu befreien und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat. Etwas ganz anderes sind Krankheiten, vor allem psychischer Art; solche zu behandeln ist Sache der ärztlichen Heilkunde. Folglich ist Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Hermeneutik und Vermittlung Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 57 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 57 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen es wichtig, daß man bevor man einen Exorzismus feiert, sich Gewißheit darüber verschafft, daß es sich wirklich um die Gegenwart des bösen Feindes und nicht um eine Krankheit handelt.« 7 Die Existenz von Dämonen und Engeln wird also von der katholischen Kirche weiterhin selbstverständlich vorausgesetzt. Interessant ist nur die Aufspaltung der Welt in Krankheiten, die ganz natürliche Ursachen haben, und solche Phänomene, die auf die Einwirkung von Dämonen oder des Teufels höchstpersönlich zurückgeführt werden. Dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild wird insofern Tribut gezollt, als psychische Erkrankungen oder auch Epilepsie, die im Neuen Testament als Formen von Besessenheit, nun als natürlich zu erklärende Krankheit gelten. Dass die von Jesus in den Evangelien geschilderten Exorzismen sich auf eben solche Krankheitsbilder beziehen, wird offenbar gar nicht als Problem empfunden. Dass die katholische Kirche mit ihrem Festhalten am Großen Exorzismus die christliche Verkündigung im Sinne Bultmanns unverständlich und unmöglich macht, ist eine Kritik, die viele Menschen nicht verstehen werden. Engels-, Teufels- und Dämonenglaube gedeihen keineswegs nur in kirchlichen Randmilieus, religiösen Sondergemeinschaften und neuen religiösen Bewegungen. Laut einer Untersuchung aus den 1970er Jahren ist beinahe jeder vierte evangelische Pfarrer und fast jeder zweite katholische Geistliche davon überzeugt, dass es eine vom Teufel bewirkte Besessenheit gibt, die nicht psychologisch oder psychiatrisch erklärbar ist, und befürwortet in solchen Fällen das Mittel des Exorzismus. 8 Dass sich der Wunder- und Dämonenglaube längst erledigt habe, wie Bultmann überzeugt war, stimmt zumindest nicht empirisch, aber auch theologisch nicht. Das römisch-katholische Lehramt vertritt-- unter Berufung auf das biblische Zeugnis-- nach wie vor eine Engel- und Dämonenlehre. Demnach ist es »eine Glaubenswahrheit«, dass es Engel gibt, bei denen es sich um »geistige, körperlose Wesen« handelt. 9 »Als rein geistige Geschöpfe haben sie Verstand und Willen; sie sind personale und unsterbliche Wesen. Sie überragen alle sichtbaren Geschöpfe an Vollkommenheit. Der Glanz ihrer Herrlichkeit zeugt davon.« 10 Beim Teufel und den Dämonen handelt es sich nach offizieller katholischer Lehre um gefallene Engel, die ursprünglich von Gott gut erschaffen waren. »Wegen des unwiderruflichen Charakters ihrer Entscheidung und nicht wegen des Versagens des unendlichen göttlichen Erbarmens kann die Sünde der Engel nicht vergeben werden.« 11 Und so treiben diese bösen Engel, weil es von der göttlichen Vorsehung zugelassen wird, 12 in Geschichte und Gegenwart ihr Unwesen. Die evangelischen Kirchen äußern sich in dieser Frage weit zurückhaltender. Zwar kennt auch die reformatorische Taufpraxis den Ritus des Exorzismus in der Form einer Absage des Täuflings an den Teufel, sie ist aber in den deutschen lutherischen Kirchen (VELKD) und in den Kirchen der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) nur noch fakultativ bei Erwachsenentaufen vorgesehen. Exorzistische Gebete oder Gebet mit zumindest exorzistischen Motiven, die sich bis heute in zwei von drei Formularen der lutherischen Taufagende gehalten haben, werden liturgiewissenschaftlich für »unbewältigte Erblasten« gehalten. 13 Die neueste Ausgabe des Evangelischen Erwachsenenkatechismus der VELKD handelt wohl von »Mächten des Bösen«, 14 be- Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich H. J. Körtner, geb. 1957. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Bethel, Münster und Göttingen Assistentenzeit und Vikariat an der Kirchlichen Hochschule Bethel und in Bielefeld. 1982 Promotion, 1987 Habilitation an der Kirchlichen Hochschule Bethel. 1986-1990 Gemeindepfarrer in Bielefeld, 1990-1992 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Iserlohn. Seit 1992 Ordinarius und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Wien. Ulrich H. J. Körtner »Laut einer Untersuchung aus den 1970er Jahren ist beinahe jeder vierte evangelische Pfarrer und fast jeder zweite katholische Geistliche davon überzeugt, dass es eine vom Teufel bewirkte Besessenheit gibt, die nicht psychologisch oder psychiatrisch erklärbar ist, und befürwortet in solchen Fällen das Mittel des Exorzismus.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 58 - 3. Korrektur 58 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung hauptet aber nicht die Existenz von Dämonen, sondern spricht lediglich in metaphorischen Wendungen von Menschen, die sich dem Bösen »wie einer unheimlichen Macht« ausgesetzt sehen. 15 Die Rede vom Teufel meine »die Existenz einer bösen, zerstörerischen Macht, die sich gegen Gott und seine Schöpfung richtet und den Menschen versklaven kann.« Doch müsse man sich diese Macht nicht unbedingt personhaft vorstellen, sondern es sehe manchmal nur so aus, als ob hinter dem Bösen »ein zielgerichteter Wille, eine kalte Systematik der Vernichtung« stehe. 16 Im Übrigen verweist der Katechismus darauf, dass weder das Apostolische Glaubensbekenntnis noch das Nicäno-Konstantinopolitanum vom Teufel sprechen. Der Teufel gehöre also nicht ins christliche Glaubensbekenntnis, und von Dämonen ist im Evangelischen Erwachsenkatechismus schon gar nicht die Rede. 2. Entdämonisierung Die Erklärungen, die der Evangelische Erwachsenenkatechismus bietet, entsprechen der allgemeinen volkskirchlichen Bewusstseinslage. Die kirchliche Verkündigung und Praxis hat sich aber auch an Menschen zu richten, zu deren Weltbild konkret-dingliche Satans- und Dämonenvorstellungen gehören. Unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten trifft Bultmanns Urteil durchaus zu, dass eine Lebenspraxis, die auf die Therapieangebote und Krankheitsdeutungen der modernen Medizin zurückgreift und gleichzeitig an krankmachende Dämonen und Wunderkräfte glaubt, selbstwidersprüchlich ist. Die Aufgabe einer kritischen und aufgeklärten Theologie kann auch nicht darin bestehen, satanologische oder dämonologische Vorstellungswelten zu stützen. Wer jedoch Menschen, die an die Existenz von Engeln und Dämonen glauben, nur das Bultmannsche »Erledigt« entgegenschleudert, verliert ihnen gegenüber seine Sprach- und Kommunikationsfähigkeit. Mögen einem vielleicht wie auch Bultmann die Geschichten von der Heilung der vermeintlich von Dämonen besessenen Gottliebin Dittus durch Pfarrer Johann Christoph Blumhardt ein Greuel sein, 17 bleibt doch zu fragen, welche seelsorgerlichen und liturgischen Angebote eine moderne Volkskirche Menschen zu bieten hat, für die die Welt der Engel und Dämonen keineswegs erledigt ist. Oder sollte für diese Menschen nur in charismatischen und fundamentalistischen Gemeinden Platz sein? Die Basis einer auf Engel- und Dämonenglauben eingehenden kirchlichen Praxis kann nach meiner Überzeugung freilich nur eine aufgeklärte, kritische Theorie sein. Das gilt für die Praktische Theologie ebenso wie für die Systematische Theologie. Insofern behalten Bultmanns radikale Aussagen über die Unmöglichkeit oder Unlauterkeit, ein vormodernes Weltbild zu repristinieren, ihr theologisches Recht. Man kann in gewisser Hinsicht Bultmanns eigenes Programm einer Entmythologisierung bzw. existentialen Interpretation des Neuen Testaments als Form des Exorzismus verstehen, nämlich als Exorzismus durch theologische Aufklärung und Sachkritik. Sie schließt die Kritik an solchen Formen von Exorzismus ein, die gerade durch die Art, wie sie gegen Dämonen kämpfen, den Teufels- und Dämonenglauben noch bestärken und ihn theologisch legitimieren. Heinz Streib bezeichnet die praktisch-theologische Aufgabe als »Entzauberung«. Der Tradition des Exorzismus könne die Praktische Theologie jedoch »nur gerecht werden, indem sie eine neue Auslegung von der Macht des Wortes angesichts der Verstrickungen des Menschen in die Mächte des Bösen, die als Teufel, Geister und Dämonen symbolisiert werden, expliziert«. 18 Auch abgesehen von der Einzelseelsorge tut Entmythologisierung oder Entzauberung not in einer Welt, die unterschiedlichste Formen der Dämonisierung kennt. Das Unverstandene oder Unvertraute kann zum Bösen erklärt werden. Man denke an die Dämonisierung der modernen Technik und das Bild vom Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr los wird, die er rief. Dämonisierung ist aber auch ein Phänomen im Bereich des Politischen. Der politische Gegner wird in der Fratze des Bösen oder des Teufels gezeichnet, gegnerische Mächte zur Achse des Bösen erklärt und das politische Weltbild in apokalyptischen Farben gemalt. Zwar ist es unsere Pflicht, das Böse beim Namen zu benennen, um ihm zu widerstehen. Doch wird es durch Personifikationen nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil können diese dem Bösen weiter Vorschub leisten. Denn von der Personifizierung des Bösen bis zur Eliminierung der mit ihm identifizierten Personen oder Menschengruppen ist es nur ein kleiner Schritt. »Auch abgesehen von der Einzelseelsorge tut Entmythologisierung oder Entzauberung not in einer Welt, die unterschiedlichste Formen der Dämonisierung kennt. Das Unverstandene oder Unvertraute kann zum Bösen erklärt werden […] Entzauberung oder Entdämonisierung bedeutet, Strategien der Dämonisierung zu durchkreuzen, ohne die Realität des Bösen als solche zu leugnen oder zu banalisieren.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 59 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 59 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Entzauberung oder Entdämonisierung bedeutet, Strategien der Dämonisierung zu durchkreuzen, ohne die Realität des Bösen als solche zu leugnen oder zu banalisieren. Dass man Hitler als Dämon beschrieben oder von einer hinter ihm stehenden dämonischen Macht gesprochen hat, ist angesichts der ungeheuerlichen Verbrechen, die er begangen hat, durchaus verständlich. Verständlich ist auch, dass sich Mittäter und Mitläufer auf diese Weise ihr eigenes Handeln zu erklären versucht haben, nämlich als Ergebnis teuflischer Verführung. Solche Erklärungsversuche stehen jedoch in der Gefahr, von eigener Schuld und Verantwortung abzulenken, so dass aus Tätern unter der Hand Opfer werden. Es gehört zur Wirklichkeit des Bösen, dass Menschen tatsächlich sowohl Täter als auch Opfer sind. Das Teuflische an dieser Ambivalenz zeigt sich aber dann, wenn sie als Argument missbraucht wird, alle Unterschiede zwischen Opfern und Tätern zu verwischen, so dass am Ende die Mörder nochmals über ihre Opfer triumphieren. 19 Dietrich Bonhoeffer hat das Dämonische in der Zeit des Nationalsozialismus als »Maskerade des Bösen« beschrieben, die »alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt« hat. »Daß das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.« 20 Entdämonisierung, wie sie hier theologisch beabsichtig ist, bedeutet nicht die Bestreitung des Bösen, sondern das Wagnis, angesichts der Verhüllung des Guten und des Bösen, das Gute und das Böse beim Namen zu nennen, um so die Macht des Letzteren zu bannen. 3. Das Dämonische in der Systematischen Theologie Die bedeutendsten systematisch-theologischen Vorschläge zur Neuinterpretation der biblischen Rede von Dämonen und bösen Geistern im 20. Jahrhundert stammen von Karl Barth und Paul Tillich. Sie bestimmen auch noch gegenwärtig den Diskurs. 3.1 Karl Barth Barth übt scharfe Kritik an der traditionellen Deutung von Teufel und Dämonen als gefallenen Engeln, die noch heute in der offiziellen römisch-katholischen Lehre anzutreffen ist, aber auch in der altprotestantischen Dogmatik üblich war. 21 Die vormoderne Theologie kannte eine allgemeine Engellehre, innerhalb derer zwischen guten und bösen Engeln unterschieden wurde. Nach Barth aber sind die Bereiche der Engel und der Dämonen strikt geschieden, da sie keinen gemeinsamen Seinsgrund haben. Während die Engel zum Seinsbereich Gottes gehören, sind die Dämonen ihrer Herkunft und Art nach Erscheinungen des Nichtigen. Als das Nichtige bezeichnet Barth das Böse, das sich nicht nur als Sünde des Menschen zeigt, sondern auch in der Gestalt herrenloser Mächte und Gewalten. 22 Zwar haben auch die Engel Barth zufolge kein eigenständiges Sein: »Ihnen fehlt die Eigenständigkeit der irdischen Kreatur.« 23 Sie sind reine Funktion, also nicht für sich existierende Zeugen, sondern reines, authentisches Zeugnis. Als Manifestationen des Handelns Gottes in Jesus Christus können sie auch streng genommen gar nicht Gegenstand einer eigenen Lehre von den Engeln sein. Die Engellehre hat nach Barth »keinen ihr eigenen Sinn und Inhalt« 24 , sondern sie ist lediglich ein »Annex zur Christologie« 25 . Im Unterschied zur Lehre von den Engeln kann es nach Barth jedoch überhaupt keine Dämonologie geben, da den Dämonen in keinem positiven Sinn ein Sein zugesprochen werden kann. Was man als biblische Lehre von den Dämonen bezeichnen könnte, ist »nur der negative Reflex der biblischen Christologie und Soteriologie« 26 . Zwar existieren sie in einem gewissen Sinne. »Wie man die eigenartige Existenz des Nichtigen nicht in Abrede stellen kann, so auch nicht die ihrige. Sie sind nichtig, aber darum nicht nichts. Sie sind aber nur so, wie es ihnen zukommen kann: sie sind nur uneigentlich.« 27 Eben darum kann es keine ausgebaute Dämonologie geben, und die Rede vom Glauben an Dämonen ist selbstwidersprüchlich, da sich Glaube im gehaltvollen Sinne des Wortes allein auf Gott richten kann. Statt sich also über die Dämonen und bösen Geister zu verbreiten, soll die Theologie lediglich einen kurzen, aber scharfen Blick auf sie richten. Um jede dualistische Weltsicht schon im Keim zu ersticken, erklärt Barth, dass Gott der Herr auch des »Die Rede vom Glauben an Dämonen ist selbstwidersprüchlich, da sich Glaube im gehaltvollen Sinne des Wortes allein auf Gott richten kann. Statt sich also über die Dämonen und bösen Geister zu verbreiten, soll die Theologie lediglich einen kurzen, aber scharfen Blick auf sie richten.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 60 - 3. Korrektur 60 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung dämonischen Bereichs ist und dass auch dieser ganz so wie das Nichtige von Gott her ist. Wie der Teufel laut Joh 8,44 der Vater der Lüge ist, so ist nach Barth das Nichtige als solches die Lüge. Die Dämonen sind die »tausendfache […] und tausendförmige […] Kraft und Kräfte der Lüge« 28 , wobei das Nichtige gern »sich selbst bagatellisiert und unsichtbar macht« 29 . Die Macht der Lüge zeigt sich als Versucher, als Ankläger, die die Menschen fälschlich beschuldigen, als Tyrannen, als Klagegeister, die Menschen fälschlicherweise in Trauer versetzen und ihnen den Humor nehmen, oder auch als Poltergeister, die Menschen in Alarm versetzen, wo sie doch in Wahrheit auf Gott vertrauen und Ruhe bewahren dürfen. 30 Wie vom Bösen als dem Nichtigen, so ist auch von den Dämonen nach Barth theologisch nur im Modus ihrer Entmächtigung zu reden. Nicht ihre Existenz, sondern ihre Überwindung ist zu bezeugen. Statt Scheu vor den Dämonen ist die Abscheu ihnen gegenüber zu bekunden, statt Respekt nur Zorn und Verachtung. Bemerkenswerterweise gebraucht Barth in diesem Zusammenhang den Begriff der Entmythologisierung, während er doch Bultmanns Hermeneutik ansonsten denkbar kritisch gegenübersteht. 31 Engel und Dämonen verhalten sich nach Barth zueinander »wie Kerygma und Mythus«, womit Barth auf die gleichnamige Reihe von Sammelbänden zu Bultmanns Entmythologisierungsprogramm anspielt. 32 Teufel und Dämonen sind nach Barth »der Mythus-- der Mythus aller Mythologie. Glauben an Gott und seine Engel heißt im Blick auf den Teufel und die Dämonen: Entmythologisierung.« 33 Von Bultmann grenzt sich Barth freilich sogleich ab. Denn während Bultmann den Dämonenglauben ganz im Sinne der Aufklärung für erledigt hält und einem obsoleten Weltbild zuordnet, erklärt Barth, der Mythos der Dämonen werde nicht von einem modernen Weltbild aus, sondern einzig vom christlichen Glauben aus »als die Grundlüge aller Lügen durchschaut« 34 . Entmythologisierung der Dämonen bedeutet im Sinne Barths daher nicht, ihre Existenz in Abrede zu stellen. Vielmehr müsse der »theologische Exorzismus […] ein Akt des im Glauben begründeten Unglaubens sein« 35 . Die Kritik der Aufklärung am Teufels- und Dämonenglauben sei dagegen fatal gewesen, weil es von der Kritik der Dämonen zur Bestreitung der Theologie nur ein kleiner Schritt war. Noch fataler sei es freilich gewesen, dass die altprotestantische Orthodoxie mit ihrer mythologischen Engel- und Dämonenlehre-- »eine von den bösen Träumen der alten Dogmatik« 36 -- zur radikalen Religions- und Theologiekritik allen Anlass geboten habe. 37 3.2 Paul Tillich Während Barth die biblisch-mythische Redeweise vom Teufel und den Dämonen beibehält, spricht Paul Tillich in neutrischer Form von dem Dämonischen. Unter dem Titel »Das Dämonische« veröffentlichte Tillich 1926 einen »Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte«, wie der Untertitel lautet. 38 Im selben Jahr erschien sein Aufsatz über den »Begriff des Dämonischen und seine Bedeutung für die Systematische Theologie« 39 . Seine Gedankenentwicklung lässt sich bis in sein theologisches Hauptwerk, die »Systematische Theologie«, verfolgen. 40 Der neutrische Begriff des Dämonischen findet sich bereits in Sören Kierkegaards Schrift »Der Begriff Angst« (1844). Kierkegaard definiert das Dämonische als die Angst vor dem Guten. Sobald die Sünde gesetzt ist, lassen sich zwei Erscheinungsformen der Angst unterscheiden: Die Angst des Guten vor dem Bösen und die Angst des Bösen vor dem Guten, eben das Dämonische: »Das Individuum befindet sich im Bösen und ängstigt sich vor dem Guten. Die Sündenknechtschaft ist ein unfreies Verhältnis zum Bösen, aber das Dämonische ist ein unfreies Verhältnis zum Guten.« 41 Das Dämonische ist bei Kierkegaard also eine psychologische bzw. eine anthropologische Kategorie. Rudolf Otto hat demgegenüber den Begriff des Dämonischen in enger Verbindung mit demjenigen des Numinosen verwendet. Das Tremendum und Fascinosum des Heiligen, das sich bei Luther in der Forderung zeige, Gott ebensowohl zu fürchten als zu lieben, äußere sich in der »Religion der Primitiven« auf elementare Weise in der Form der »dämonischen Scheu«. 42 Das Heilige ist das gleichermaßen grauenvolle wie lockende »Dämonisch-Göttliche«. 43 Auf dieser Linie liegt auch Tillichs Verständnis des Dämonischen, das er-- anders als Barth-- streng vom Satanischen abgrenzt. Beeinflusst von der Religionsphilosophie Schellings deutet Tillich das Dämonische als »gestaltwidriges Hervorbrechen des schöpferischen Grundes in den Dingen« 44 . Während es sich jedoch beim Satanischen um ein »absolut selbständiges Hervorbrechen des ›Abgrundes‹, ein bloßes Verzerren jeder Gestalt« handelt, ist dagegen im Dämonischen »immer noch das Göttliche, die Einheit von Grund und Abgrund, von Gestalt und Verzehren der Gestalt enthalten«. 45 Anders als bei Barth gehört das Dämonische also »In der zerstörerischen, chaotischen Macht des Dämonischen bricht freilich zugleich das Schöpferische hervor.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 61 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 61 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen nicht auf die Seite des Nichtigen, sondern es partizipiert auf pervertierte Weise an der Macht des Seins. Seine Perversion besteht in der »Erhebung eines Bedingten zur Unbedingtheit« 46 , welche die beständige Gefahr aller Religion ist. Das Gegenteil des Heiligen ist nicht etwa das Profane, sondern eben das Dämonische. »Das Dämonische widerstrebt nicht der Selbst-Transzendierung, wie es das Profane tut, sondern verfälscht die Selbst- Transzendierung, indem es einen bestimmten Träger der Heiligkeit mit dem Heiligen selbst identifiziert.« 47 Heiligkeit kann leicht in Besessenheit und Fanatismus umschlagen, wie auch alle Religion-- einschließlich des Christentums-- »das Geschöpf der Offenbarung und zugleich deren Verzerrung« ist. 48 Das Dämonische gehört daher zu den Zweideutigkeiten der Religionen als einer Grundgestalt der Selbsttranszendierung des Lebens. Einer zweibegrifflichen, dualistischen Weltanschauung stellt Tillich »eine dreibegriffliche Weltanschauung gegenüber, in welcher der dritte Begriff (Das Dämonische, das Zerstörerische, das Sinnwidrige usw.) nicht etwa die Antithese ist, die zur Synthese kommen soll, sondern der aktuelle Widerspruch, der schlechthin bekämpft werden muß.« 49 In der zerstörerischen, chaotischen Macht des Dämonischen bricht freilich zugleich das Schöpferische hervor. Das unterscheidet Tillichs Begriff des Dämonischen von Barths Verständnis der Dämonen. Ähnlich konnten schon die Romantik, Goethe und der Geniekult des 19. Jahrhunderts vom Dämonischen als schöpferischer Potenz im Menschen sprechen und dabei an die Rede vom Daimon bei Sokrates und Platon anknüpfen. Tillich unterscheidet zwischen individuellen und sozialen Erscheinungsweisen des Dämonischen. In beiden Fällen hat das Dämonische den Charakter einer überpersönlichen Macht, wie sie in dem Begriff der Besessenheit zum Ausdruck kommt. Hauptmerkmal des Dämonischen in all seinen Spielarten ist »der Zustand der Gespaltenheit«. Als Beispiele führt Tillich einerseits »die extrem pathologischen Fälle der Ichzerspaltung oder der radikalen Komplexverhaftung, also der Aufhebung bzw. Bindung des verantwortlichen Persönlichkeitszentrums« 50 , an, andererseits Phänomene von »Massendämonien« 51 , als da wären der Intellektualismus und der Ästhetizismus, der moderne Kapitalismus und der Nationalismus. 52 Tillichs Verständnis des Dämonischen führt die Theologie in das interdisziplinäre Gespräch mit Psychoanalyse, Religions- und Kunstgeschichte. Es handelt sich bei seinem Begriff des Dämonischen jedoch keineswegs nur um eine anthropologische oder ästhetische Kategorie, sondern letztlich um einen metaphysischen Begriff. »Dämonie ist metaphysische Perversion, nicht ethischer Mangel.« 53 Anders als bei Barth gehört das Dämonische als vom Satanischen unterschiedener Begriff nicht wie die Lehre vom Teufel in einen Appendix zur Sündenlehre. Es ist vielmehr nach Tillichs Auffassung ein unaufgebbarer Zentralbegriff systematischer Theologie, von der Religionsphilosophie über die Dogmatik zur Ethik. Dabei stellt Tillich jedoch klar, dass seine Theorie des Dämonischen nicht mit einer Lehre von vermeintlich existierenden Dämonen verwechselt werden darf. Dämonen innerhalb wie außerhalb der biblischen Tradition sind Symbolisierungen des Dämonischen. Tillichs Begriff des Dämonischen ist nicht nur für sein Religionsverständnis und seine Gotteslehre von Bedeutung, sondern ein Schlüsselbegriff seiner Geschichtstheologie und seiner Auffassung von den Zweideutigkeiten des Lebens. Außerdem führt er ins Zentrum von Tillichs Neuinterpretation der reformatorischen Rechtfertigungslehre. Der Besessenheit stellt Tillich nicht etwa die Freiheit, sondern »die Begnadetheit« gegenüber. 54 Im Widerfahrnis der Gnade bricht der Grund und Abgrund des Seins nicht als Macht der Zerstörung, sondern als Neuschöpfung hervor. So gesehen »bedeutet der Begriff des Dämonischen in seiner radikalen Anwendung auch auf das Christentum die vollkommene Durchführung des Prinzips der Rechtfertigung-- auch dem Erkennen gegenüber« 55 . 3.3 Gegenwärtige Dogmatik Barths Lehre von den Engeln und den Dämonen und seine grundlegende Korrektur gegenüber der altprotestantischen Dogmatik hat die weitere dogmatische Entwicklung stark beeinflusst. Als Beispiel sei das verbreitete Lehrbuch von Wilfried Härle angeführt. Angesichts des eingangs erwähnten Umstandes, dass Engel heutzutage auch im evangelischen Bereich wieder starke Beachtung finden, hält es auch Härle für wichtig, Engel und Dämonen, aber auch Engel und Gott klar voneinander zu unterscheiden. Wie Barth weist auch Härle die traditionelle Unterscheidung zwischen guten und bösen Engeln als theologisch unsachgemäß zurück. 56 Nicht nur Dämonen, sondern auch die Engel haben kein eigenständiges Sein. Sei schon die ontologische These abwegig, es gebe Engel wie Menschen und Tiere, so führe auch die darauf aufbauende Frage nach ihrem Wesen und ihren Eigenschaften in die Irre. Härle macht sich die Feststellung des Alttestamentlers Claus Westermann zu eigen: »Der Engel kommt ins Sein mit seinem Auftrag, er vergeht mit der Erfüllung seines Auftrags, denn seine Existenz ist seine Botschaft.« 57 Damit sei »in Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 62 - 3. Korrektur 62 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung nuce alles Wesentliche zur Angelologie gesagt« 58 . Engel sind nach Härle ein »Symbol, das auf Gott verweist« 59 . Daher sei die Kunst eher als die Dogmatik geeignet, Engel und Situationen, in denen sie uns begegnen können, darzustellen. Wie schon Barth weist Härle die Vorstellung eines Engelsturzes und somit eine Symmetrie zwischen Engellehre und Dämonologie zurück, »denn wenn Engel ihren Auftrag vergessen, verleugnen oder verkehren würden, dann würden sie sich damit nicht in Teufel verwandeln, sondern ihre Seinsweise als Engel verlieren« 60 . Auch sei die Existenz von Dämonen ontologisch zu bestreiten. »Wenn von den Engeln, so ist auch, ja erst recht von den bösen Geistern zu sagen: Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß sie als oder wie Geschöpfe Gottes existieren.« 61 Auch der Dämonisierung von Menschen und Menschengruppen müsse entschieden entgegengetreten werden, sei doch selbst unter der Annahme der Besessenheit zwischen der besitzergreifenden Macht des Bösen und dem menschlichen Opfer dieser Macht zu unterscheiden. Gleichwohl könne die Rede von Dämonen und bösen Geistern nicht einfach übergangen werden, reiche sie doch ins Zentrum der Jesusüberlieferung. Das Reden vom Teufel oder Dämonen habe insofern Anhalt an menschlicher Erfahrung, als dadurch die überindividuelle Machtförmigkeit der Sünde, die Eigendynamik des Bösen und seine Verführungskraft zum Ausdruck kommen. Allerdings weist Härle auf die Gefahr hin, dass das Reden von dunklen Mächten ihrer Faszination erliegen kann. Wie schon Barth möchte Härle dieser Gefahr dadurch begegnen, »daß die Begrenztheit dieser Mächte ernstgenommen wird, d. h. dadurch, daß von ihrer Überwindung gesprochen wird« 62 . Wolfhart Pannenberg hält Barths Angelologie für »die bedeutendste Erörterung des Themas in der neuen Theologie« 63 , kritisiert aber, dass Barth nicht auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe der biblischen Engelsvorstellungen eingegangen sei, die zum Teil auf die babylonische Astrologie und teilweise auf Vorstellungen von Naturkräften oder Elementen zurückgehen. Auch bemängelt Pannenberg, dass Barths funktionale Betrachtung der Engel, d. h. ihre Deutung rein von ihrer Botenfunktion her, die ontologische Frage nach ihrem Sein unbegründeterweise abschneide. Pannenbergs Engellehre setzt bei der Beschreibung der Engel als Geister (gr. pneumata) ein, welche die Frage nach ihrem Verhältnis zu Gott, dem Geist schlechthin (Joh 4,24), aufwerfe. 64 Mit einem Vergleich aus der Physik beschreibt Pannenberg den Geist als Feld und interpretiert dementsprechend auch das mit Engeln als Geistern Gemeinte »nicht in erster Linie als personale Gestalt, sondern als ›Macht‹« 65 . Personale Engelsvorstellungen seien gegenüber der Erfahrung göttlicher Machtwirkungen sekundär. Sie müssten keineswegs supranaturalistisch gedeutet werden, könnten sich doch naturwissenschaftliche und theologische Aussagen auf dasselbe Ereignis beziehen. »Warum also sollten die Naturkräfte nicht auch in den Formen, in denen die moderne Menschheit sie kennt, als Diener und Boten Gottes-- und also als ›Engel‹ aufgefaßt werden? « 66 Auch die Rede von Dämonen soll mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild in Einklang gebracht werden können, wie Pannenberg im Anschluss an Jürgen Moltmann argumentiert. Moltmann spricht von der Schöpfung als auf Gott und seine Zukunft hin offenem System. 67 Der Himmel im religiösen, nicht im astronomischen Sinne ist für Moltmann »das Reich der Energien, der Möglichkeiten und Potenzen Gottes« 68 . Letztere setzt Moltmann mit den Engeln gleich. 69 Zu dämonischen und widergöttlichen Mächten werden die Naturkräfte nach Pannenberg, »wenn sie sich der Zukunft Gottes, dem Reich seiner Möglichkeiten verschließen, also zu ›geschlossenen Systemen‹ werden.« Wie er hinzufügt, lasse es »sich nicht ausschließen, daß das Weltgeschehen wenigstens teilweise unter dem Einfluß solcher Machtzentren steht« 70 . Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, also das Entropiegesetz, ist für Pannenberg ein deutlicher Hinweis darauf. Doch bleiben die Mächte des Verderbens letztlich der Schöpfermacht Gottes unterworfen: »Wenn es richtig ist, daß das Prinzip der Entropievermehrung im Weltprozeß einen Aspekt dieser Verderbensmacht oder ihrer Wirkungsweise erkennen läßt […], so läßt sich daran allerdings auch veranschaulichen, daß sogar diese Verderbensmacht noch als Diener Gottes (Hi 1,6) und seines Schöpferwillens zu verstehen ist« 71 . Abgesehen davon, dass Pannenbergs Verhältnisbestimmung von theologischen und naturwissenschaftlichen Aussagen mit grundlegenden erkenntnistheoretischen Problemen behaftet ist, kehrt in seiner Deutung dämonischer Naturkräfte die alte Lehre vom Abfall der bösen Engel wieder, die Barth mit überzeugenden Gründen entkräftet hat. Anders als Pannenberg beharrt Edmund Schlink auf dem personalen Charakter widergöttlicher Verderbensmächte. 72 Tillichs Interpretation des Dämonischen repräsentiert für Schlink die seit der Aufklärung zu beobachtende Tendenz, das Böse zu verharmlosen. Eine »Entdämonisierung« der biblischen Texte und der modernen Welt »durch Bestreitung personaler dämonischer Wirklichkeit« ist für Schlink theologisch unzulässig. 73 Zwar kann er wie Barth sagen, die Enthüllung der Verderbensmächte sei zugleich ihre Entmächtigung. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 63 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 63 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Auch seien die dämonischen Mächte »kein Gegenstand der Wahrnehmung und Überprüfung wie Gegenstände der Welt« 74 . Doch werde das Problem der Entdämonisierung in der Neuzeit generell zu leicht genommen. »Sie geschieht nicht durch Leugnung dieser Mächte, sondern durch ihre Enthüllung und Austreibung. Durch rationale Umdeutung kann sich der Mensch von den Verderbensmächten nicht befreien.« 75 Die angemessenen theologischen Sprachformen für die dämonischen Mächte seien die Warnung vor ihnen, die Mahnung zum Gebet und die Absage an das Böse. Gemessen an den Interpretationsvorschlägen Barths und Tillichs- - so unterschiedlich diese im Einzelnen auch sind-- bedeutet Schlinks Erklärungsversuch für das Dämonische einen Rückschritt. Die Warnung vor der Verharmlosung oder Banalisierung des Bösen hat ihr gutes Recht. Doch bleibt bei Schlink zum einen ontologisch unklar, wie man sich die Existenz der Verderbensmächte vorzustellen hat, zum anderen droht durch die Art und Weise, in der Schlink von diesen Mächten spricht, das grundsätzlich geteilte Anliegen der Entdämonisierung unterlaufen zu werden. Es gibt eben Formen des Exorzismus oder der Entdämonisierung, die einem Dämonenglauben Vorschub leisten, den doch auch Schlink unterbinden will. 4. Schlussfolgerungen Tillichs Versuch, zwischen dem Dämonischen und dem Satanischen zu unterscheiden, kann angesichts des biblischen Gesamtbefundes nicht überzeugen, auch wenn seine Analysen dämonischer Phänomene im Einzelnen erhellend sind. Zwar kann Tillich für seine Argumentation ins Feld führen, dass sie eine Neuinterpretation der Rede Luthers vom Deus absconditus ist, der in seiner Verborgenheit und Abgründigkeit letztlich kein anderer als der Schöpfergott ist, der in Jesus Christus sein Wesen als Liebe offenbart. Aber bei dieser Neuinterpretation steht eher Schelling als das Neue Testament Pate. Überzeugender ist dagegen Barths Zugang, der Engel und Dämonen wie Kerygma und Mythos voneinander geschieden sieht und die theologische Aufgabe im Umgang mit dem Dämonischen als Entmythologisierung und Entzauberung bestimmt. Auch seine Kritik an der traditionellen Lehre von den gefallenen Engeln verdient Zustimmung. Problematisch ist aber die gegen Bultmann gerichtete Wendung, die Barth dem Begriff der Entmythologisierung gibt. Darauf kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, weil dies nichts Geringeres als eine detaillierte Rekonstruktion der Hermeneutik Bultmanns erfordern würde. Es sei in unserem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, dass Entmythologisierung bei Bultmann keineswegs die Eliminierung mythischer Rede im Neuen Testament, sondern ihre existentiale Interpretation bedeutet, dass aber zur theologischen Interpretation biblischer Texte auch das Element der Sachkritik gehört. Dass es sich bei der Rede vom Teufel und den Dämonen im Neuen Testament um mythische Redeweise handelt, lässt sich im Ernst nicht bestreiten. Darauf mit Nachdruck hinzuweisen, heißt keineswegs zwingend, die auf diese Weise zur Sprache gebrachten Phänomene und Erfahrungen des Bösen zu verharmlosen. Bultmanns existentiale Interpretation ist als Programm einer theologischen Aufklärung zu verstehen, die sich gegenüber reduktionistischen Tendenzen des neuzeitlichen Rationalismus kritisch verhält. Entmythologisierung als theologisches Programm ist aber Exorzismus im besten Sinne des Wortes. Wie sich auf der Linie Bultmanns verantwortlich vom Dämonischen reden lässt, ohne die Welt zur remythisieren, sei abschließend an den Dogmatiken von Gerhard Ebeling und Dietz Lange gezeigt. Ebeling spricht von der Verborgenheit der Herrschaft Gottes in den Machtverhältnissen der Welt. Das Gottwidrige zeigt sich nach Ebeling keineswegs nur dort, wo landläufig vom Bösen gesprochen wird. Es fällt darunter vielmehr »auch vieles, was nach menschlichem Urteil recht und gut zu sein scheint« 76 . Der Tiefe des Gegensatzes zwischen dem Gottgemäßen und dem Gottwidrigen, die erst im Licht der neutestamentlichen Heilsbotschaft zutage tritt, meint der christliche Glaube schließlich nur noch in einer dualistischen Sprache angemessenen Ausdruck verleihen zu können. So kommt es zur Vorstellung transsubjektiver Mächte, unter die sich der Mensch versklavt fühlt. »Diese dämonologisch-dualistische Sprache, die das ganze Neue Testament durchzieht, ist nicht ungefährlich« 77 , kann sie doch in einen metaphysischen Dualismus abgleiten. Nur wenn das Gottsein Gottes nicht in Frage gestellt wird, dürfe man sich dieser Sprache als Interpretament bedienen. »Genau genommen kann man nur rückblickend so reden im Wissen darum, daß es eigentlich schon erledigt, diese gottwidrige Herrschaft schon am Ende ist, die Stunde der Befreiung bereits geschlagen hat.« 78 Dietz Lange knüpft an die Interpretation der Sünde und des Dämonischen bei Kierkegaard an. Die Rede vom Teufel oder von Dämonen lässt sich demnach als Hypostasierung realer menschlicher Erfahrungen rekonstruieren, bei denen es sich im Kern um die Erfahrung von »Gottentfremdung« 79 , das heißt aber in gewisser Weise um eine Form der Selbsterfahrung, handelt. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 64 - 3. Korrektur 64 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung »Wenn man sich diese Beziehung auf die Selbsterfahrung klarmacht, dann erweist sich die scheinbar so primitive Vorstellung einer personifizierten Macht des Bösen als überraschend treffende Beschreibung menschlicher Grunderfahrung.« 80 Seine destruktive Macht entfaltet das Dämonische insbesondere dann, wenn seine Hypostasierungen als solche nicht mehr durchschaut werden. Wie nötig in solchen Fällen die Entmythologisierung des Dämonischen ist, sei abschließend an einem erschreckenden Beispiel aus Westafrika verdeutlicht. Ganz selbstverständlich glauben dort auch Christen noch an böse Geister und halten Menschen, die psychisch krank sind, für von Dämonen besessen. Wie Tiere werden Schizophrene, Manisch-Depressive oder auch Epileptiker zu Tausenden weggesperrt, aus Angst, die bösen Geister könnten auf die Gesunden überspringen. Man kettet sie an Bäumen an, wo sie Wind und Wetter ausgesetzt sind und kaum versorgt werden. 1991 gründete Gregoire Ahongbonon das Projekt St. Camille de Lellis, das sich für die Befreiung der sogenannten Kettenmenschen einsetzt und diese inzwischen in fünfzehn Zentren betreut und medizinisch behandelt. 81 Die Befreiung der Kettenmenschen in Westafrika ist eine ganz praktische Form von Entdämonisierung, eine Form der Entmythologisierung im besten Sinne des Wortes. Wer meint, dafür Verständnis aufbringen zu sollen, dass man sehr wohl elektrisches Licht, Computer und Internet benutzen und gleichzeitig an die Welt der Dämonen glauben könne, statt Menschen moderne medizinische Therapie anzubieten, der lasse sich durch das Elend der Kettenmenschen eines Besseren belehren. Anmerkungen 1 R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, hg. v. E. Jüngel (BEvTh 96), München 1988, 16. 2 Bultmann, Neues Testament, 15. 3 Bultmann, Neues Testament, 16, Anm. 16. 4 M. Horkheimer/ Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M. 13 2001. 5 A. Grün, 50 Engel für das Jahr. Ein Inspirationsbuch, Freiburg u. a. 2007; ders., 50 Engel für die Seele, Freiburg u. a. 2006. 6 Für die römisch-katholische Kirche siehe CIC, can. 1172. 7 Katechismus der Katholischen Kirche (KKK), München 1993, Nr. 1674 (448). 8 U. Rosin/ A.J. Hammers, Art. Parapsychologie, Okkultismus …, in: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. 15, 1979, 610-617, zitiert nach H. Streib, Art. Exorzismus III. Praktisch-theologisch, RGG 4 II, Tübingen 1999, 1829- 1830. 9 KKK, Nr. 328. 10 KKK, Nr. 330. 11 KKK, Nr. 393. 12 Vgl. KKK, Nr. 395. 13 A. Jilek, Die Taufe, in: H.-Chr. Schmidt-Lauber/ M. Meyer-Blanck/ K.-H. Bieritz (Hgg.), Handbuch der Liturgik, Göttingen 3 2003, 285-318: 311. 14 A. Brummer/ M. Kießig/ M. Rothgangel (Hgg.), Evangelischer Erwachsenenkatechismus. suchen-- glauben-- leben, Gütersloh 8 2010, 228 f. 15 Evangelischer Erwachsenenkatechismus, 228. 16 Ebd. 17 Vgl. R. Bultmann, Zu J. Schwiewinds Thesen, das Problem der Entmythologisierung betreffend, KuM I, Hamburg 1948, 135-153: 150. 18 Streib, Exorzismus, 1830. 19 Vgl. M. Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von H. Gumnior, Hamburg 2 1971, 62. 20 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Chr. Gremmels, E. Bethge u. R. Bethge, in Zusammenarbeit mit I. Tödt (DBW 8), Gütersloh 1998, 20. Das Zitat stammt aus dem Text »Nach zehn Jahren« aus dem Jahr 1943 (19-39). 21 Vgl. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik III/ 3, Zollikon- Zürich 1950, 608 ff. 22 Vgl. M. D. Wüthrich, Gott und das Nichtige. Eine Untersuchung zur Rede vom Nichtigen ausgehend von § 50 der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths, Zürich 2006. 23 Barth, KD III/ 3, 566 (kursive Wörter hier und in anderen Zitaten im Original gesperrt). 24 Barth, KD III/ 3, 428. 25 Barth, KD III/ 3, 586. 26 Barth, KD III/ 3, 621. 27 Barth, KD III/ 3, 613. 28 Barth, KD III/ 3, 619. 29 Barth, KD III/ 3, 617. 30 Vgl. Barth, KD III/ 3, 620 f. 31 Vgl. K. Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen (ThSt [B] 34), Zollikon-Zürich 2 1953. 32 H.W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos, 6 Bd. in mehreren Teilbänden, Hamburg 1948-1968. 33 Barth, KD III/ 3, 611. 34 Barth, KD III/ 3, 612. 35 Barth, KD III/ 3, 611. 36 Barth, KD III/ 3, 623. 37 Vgl. Barth, KD III/ 3, 613. 38 P. Tillich, Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (SGV 119), Tübingen 1926 (= ders., Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie [GW VI], Stuttgart 1963, 42-71). 39 P. Tillich, Der Begriff des Dämonischen und seine Bedeutung für die Systematische Theologie, in: ders., Offenbarung und Glaube. Schriften zur Theologie II (GW VIII), Stuttgart 1970, 285-291. 40 Siehe bes. P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1963, 124-130. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 65 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 65 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen 41 S. Kierkegaard, Der Begriff Angst (GW 11. Abt., hg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes), Gütersloh 1981, 123. 42 R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 3 1919, 17. 43 Otto, Das Heilige, 35. 44 Tillich, Das Dämonische, 47. 45 Ebd. 46 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 286. 47 Tillich. Systematische Theologie III, 125. 48 Tillich, Systematische Theologie III, 127. 49 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 287. 50 Ebd. 51 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 288. 52 Tillich, Das Dämonische, 67 ff. 53 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 287. 54 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 288. 55 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 290. 56 W. Härle, Dogmatik, Berlin/ New York 1995, 297. 57 C. Westermann, Gottes Engel brauchen keine Flügel, München 2 1968, 7. 58 Härle, Dogmatik, 299. 59 Ebd. 60 Härle, Dogmatik, 489. 61 Ebd. 62 Härle, Dogmatik, 492. 63 W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. II, Göttingen 1991, 125. 64 Pannenberg, Systematische Theologie II, 126. 65 Pannenberg, Systematische Theologie II, 127. 66 Pannenberg, Systematische Theologie II, 129. 67 J. Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 3 1987, 172. 68 Moltmann, Gott in der Schöpfung, 180. 69 Moltmann, Gott in der Schöpfung, 172. 70 Pannenberg, Systematische Theologie II, 131. 71 Ebd. 72 E. Schlink, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 2 1985, 180 ff. 73 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 182. 74 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 183. 75 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 184. 76 G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd, III, Tübingen 1979, 486. 77 Ebeling, Dogmatik III, 487. 78 Ebeling, Dogmatik III, 488. 79 D. Lange, Glaubenslehre, Bd. I, Tübingen 2001, 437. 80 Lange, Glaubenslehre I, 437. 81 Informationen unter »Freundeskreis St. Camille«, http: / / www.st-camille.com/ baa/ willkommen/ willkommen.htm (zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011). Siehe auch die Reportage in der Zeitschrift »Chrismon«, 20. 1. 2011 (im Internet abrufbar unter: http: / / chrismon.evangelisch.de/ artikel/ 2011/ der-retter-der-kettenmenschen-6818). Vorschau auf Heft 29 Hebräerbrief Mit Beiträgen von Stefan Alkier, Wilfried Eisele, Richard Hays, David Moffit, Karl-Heinrich Ostmeyer, Eckart Reinmuth und Manuel Vogel. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 66 - 3. Korrektur 66 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Buchreport Ingolf U. Dalferth Das Böse. Essay über die Denkform des Unbegreiflichen Mohr Siebeck Tübingen, 2. Aufl. 2010 ISBN 978-3-16-150 489-1 Preis: 24.00 Euro Das Böse selbst ist unbegreiflich und wird es immer sein. Nicht der Sinnlosigkeit des Bösen einen Sinn zu entlocken, das Unbegreifliche zu erklären, ist D.’s Ziel, sondern die Rede vom Bösen als eine kulturelle Denk- und Artikulationsform des Unbegreiflichen zu untersuchen. Der kulturelle Wert der Rede vom Bösen besteht gerade darin, dass sie nicht zu erklären sucht, was unerklärlich bleibt, sondern es ermöglicht, angesichts der Wirklichkeit des Bösen, angesichts des Einbruchs von Sinnlosigkeit in das Leben weiter zu leben. Die Rede vom Bösen dient dem Leben, nicht indem sie Unfassbares fassbar, handhabbar, begreiflich und damit beherrschbar machte, sondern indem sie nach Möglichkeiten sucht, Orientierung zu geben, wo Leben durch die Unbegreiflichkeit und Sinnlosigkeit des Bösen geschädigt oder zerstört wird. »Das Böse ist immer und überall« heißt es in einem Song der Ersten Allgemeinen Verunsicherung aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die unzweifelhafte Wirklichkeit des Bösen ist die Grundlage: »Es gibt nichts, wo es nicht auftreten könnte, und wo es auftreten könnte, da tritt es früher oder später auch auf« (XI). Dass Böses ist, ist evident. Evident ist auch seine Unbegreiflichkeit und Sinnlosigkeit. Das Nachdenken über die Wirklichkeit des Bösen und seine mannigfachen Erscheinungsformen zielt darauf, sagbar und bedenkbar zu machen, was sich dem Erklären und Begreifen dauerhaft entzieht. Was begriffen werden kann, ist nicht das unbegreiflich bleibende Böse, sondern »sich selbst und seine Welt angesichts des Unbegreiflichen neu zu begreifen« (VI) ist das Ziel: Die Rede vom Bösen ist als eine kulturelle Artikulations- und Denkform zu analysieren, die nicht als Erklärungskategorie, sondern als Kategorie der Lebensorientierung zu fassen ist, weil sie Wege zu einem neuen Welt- und Selbstverständnis eröffnet, wo das Leben und die Welt durch den Einbruch von unbegreiflichem und sinnlosem Bösen aus den Fugen geraten ist. Mit hoher analytischer Präzision, die seine Leser zu steter Aufmerksamkeit und zum Mitdenken einlädt, unternimmt D. seinen Versuch über die Denkform des Unbegreiflichen. Entlang des Leitfadens der beiden grundlegenden Unterscheidungen zwischen »gut« und »böse« und zwischen »böse« und »Gott« und ihrer historisch sich verändernden Zuordnungen zeigt D.’s Essay, »wie sich der Sinn von ›böse‹ im Lauf der Geschichte verändert hat und welche Problemverschiebungen sich darin spiegeln« (XII). Um »die Pointe des religiösen Umgangs mit Bösem im Rekurs auf Gott« nicht zu verfehlen, kommt es darauf an, die Differenzen zwischen »gut« und »Gott« offen zu halten, Religion und Moral weder in eins noch einander abstrakt entgegen zu setzen (ebd.). In der europäischen Geschichte des philosophischen und theologischen Nachdenkens über das Böse haben sich die Kontraste zwischen »böse« und »gut« und zwischen »böse« und »Gott« als Grundformen herausgebildet, in denen die hermeneutische Frage bedacht wird, »was die Sprache des Bösen zur Sprache bringt, die Begriffe des Unbegreiflichen begreifen und die Sinngestaltungen des Sinnwidrigen und Sinnlosen gestalten«, bzw. in methodisch reflexiver Form »wie vom Bösen zu sprechen ist, um zur Sprache zu bringen, wie von ihm gesprochen und wie es erfahren und erlebt wird« (33). In »korrekturresistente Denkweisen«, die in »praktischen Aporien« münden (34f.), führen dabei alle Versuche, die Unterscheidung von Moral und Religion zu verwischen, indem die beiden Grundkontraste nicht mehr in ihrer Bezogenheit aufeinander erkannt werden: Weder die radikale Entkoppelung von Moral und Religion (»Gott« und »gut« ohne Beziehung aufeinander) noch die areligiöse oder religiöse Verschmelzung beider (Moral als Religionsersatz bzw. Religion als Moralersatz) werden den Fragen gerecht, die durch die Wirklichkeit des Bösen sich stellen. Nur wo solche »Reduktion von ›gut‹, ›böse‹ und ›Gott‹ auf einen dualen Kontrast« (35) vermieden wird, bleibt kritisches Nachdenken möglich. Wird das hermeneutische Dreieck von »gut«, »böse« und »Gott« nicht in dualistische Systeme aufgelöst, ist eine Bestimmung der beiden Grundkontraste zwischen »gut« und »böse« und zwischen »böse« und »Gott« immer nur über den jeweils dritten Eckpunkt dieses Dreiecks möglich. Nur das aber entspricht der Komplexität der Herausforderungen, vor die die Wirklichkeit des Bösen stellt. Der Komplexität des Bösen entspricht es dabei, nicht nur jeder Versuchung zur systematisierenden Reduktion auf einen wie auch immer gearteten Dualismus zu widerstehen, sondern darüber hinaus die historisch wechselnden Erscheinungs- und Artikulationsformen des Bösen in Rechnung zu stellen und in eine Sinngeschichte der Denkform des Bösen einzuzeichnen. Im Schlusskapitel seines Essays lädt D. seine Leser dazu ein, die Sinngeschichte des Bösen in fünf Etappen abzuschreiten: Von der Antike, die den Kosmos als Ort des Guten identifizierte, über die mittelalterliche Bestimmung Gottes als Prinzip des Guten, die neuzeitliche Konzentration auf den Menschen als Täter des Guten und auf die Menschen als Herren des Guten in der Moderne bis hin zur Spät- und Nachmoderne (also unserer Gegenwart), in der Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 67 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 67 es zur Banalisierung des Guten kommt, für die nicht nur bezeichnend ist, dass »der Fokus der Unterscheidung von Gutem und Bösem […] konsequent weiter von dem Menschen über die Menschen zu […] Lebendigem überhaupt verlagert wird« (198), sondern absehbar auch »kalkulationspotentere und überlebensresistentere Informationssysteme« (199) als Bezugspunkte einbezogen werden. Die hier bestimmende Leitfrage »Warum eigentlich nicht? « lässt ein weiteres Fragen nach dem Guten oder Bösen mehr oder weniger sinnlos werden. So mündet die Sinngeschichte des Guten und des Bösen nach D. in der ernüchternden Einsicht, dass sich mit der Verlagerung des Bezugspunktes der Unterscheidung von Gutem und Bösem vom Kosmos über Gott, den Menschen, die Menschen bis hin zur Einbeziehung künstlicher Intelligenz eine fortschreitende Nivellierung ergibt »mit dem Erfolg, dass die Unterscheidung [sc. von Gutem und Bösem] immer bedeutungsloser und beliebiger wird und damit immer weniger zur Lebensorientierung austrägt. Wie die Rede von Wahrheit so umgibt auch die Rede vom Guten und Bösen der nostalgische Hauch einer vergangenen Zeit, und sich mit ihr zu befassen scheint wenig mehr als eine recherche du temps perdu« (200). Es gehört zu den Vorzügen des Essays, dass D. nach dieser Bilanz nicht der Versuchung erliegt, sich in (typisch deutscher? ) kulturpessimistischer Tristesse zu ergehen, sondern mit einer seiner Kernthesen einen Ansatzpunkt benennt, »von dem aus der Tendenz zur Banalisierung des Bösen entgegenzuwirken ist« (202): Dass nämlich die denkerische Auseinandersetzung mit dem Unbegreiflichen des Bösen das Ferment menschlicher Kultur bildet, »ohne das es so etwas wie eine Geschichte der Menschen überhaupt nicht gäbe« (27). Die Herausforderung, der sich zu stellen D. in seinem Schlussplädoyer aufruft, »ist nicht schon das Böse, das mein Leben betrifft, sondern das Hineingezogenwerden in das Leben anderer, die durch Böses betroffen werden« (202). Entgegen der Tendenz zur Banalisierung »die Wirklichkeit von Bösem auch im Denken ernst zu nehmen«, folgt die Einsicht, dass »die Unvermeidbarkeit des Unbegreiflichen im Leben und Denken […] kein Makel menschlichen Lebens, sondern ein wesentliches Merkmal seiner Menschlichkeit« ist (203). D.’s Versuch verlangt von seinen Lesern einige Bereitschaft zu geduldigem Mitdenken, besticht dabei aber durch seine analytische Schärfe und argumentative Brillanz. Dass D. die Theodizeefrage »mit Absicht« (V) ausklammert, ist aus meiner Sicht eher ein Vorzug als ein Mangel seiner Studie, ist die Theodizeefrage doch dazu angetan, schnell alle anderen Fragestellungen im Nachdenken über das Böse zu überlagern. Axel von Dobbeler NEUERSCHEINUNG Attempto Verlag • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@attempto-verlag.de • www.attempto-verlag.de Eve-Marie Engels, Oliver Betz, Heinz-R. Köhler, Thomas Potthast (Hg.) Charles Darwin und seine Bedeutung für die Wissenschaften 2011, 291 Seiten, € (D) 29,90/ SFr 41,90 ISBN 978-3-89308-415-9 Das vorliegende Buch vermittelt einen beeindruckenden Einblick in Darwins Bedeutung für die Wissenschaften vom 19. Jahrhundert bis heute. Namhafte Autorinnen und Autoren zeichnen aus der Perspektive ihrer Fächer ein Bild von der Vielseitigkeit des großen Denkers. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 68 - 3. Korrektur Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de NEUERSCHEINUNG JETZT BESTELLEN! Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 53 358 Seiten €[D] 68,00/ SFr 96,90 ISBN 978-3-7720-8411-9 Die vorliegende Arbeit bietet einen Beitrag zur Frage nach der Ämterentwicklung im frühen Christentum, wobei der Fokus auf den Episkopen und Presbytern in der frühchristlichen Literatur liegt. Insbesondere die Hausgemeindestruktur sowie die Synagogen werden als bedeutende Faktoren für die Ämterentwicklung untersucht. Die Untersuchung der Anfänge des christlichen Amtes ist insofern von besonderem Interesse, als die unterschiedliche Beantwortung der Ämterfrage ein zentrales Thema des ökumenischen Dialogs bildet. Dabei müssen die konfessionellen Positionen immer wieder mit den biblischen Texten ins Gespräch gebracht und von ihnen her begründet werden.