ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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1998
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Dronsch Strecker VogelNeue Trends in der Jesusforschung
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1998
Peter Müller
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Peter Müller Neue Trends in der Jesusforschung Die Frage »Wer ist Jesus? « begleitet den christlichen Glauben und die Theologie von Anfang an. In Mk 8,27 fragt Jesus seine Jünger: »Wer sagen die Leute, daß ich bin? « »Die Leute« geben verschiedene Antworten: Einige sagen, er sei ein Prophet; andere sehen in ihm den für die Endzeit erwarteten Vorläufer Gottes; wieder andere halten ihn für den auferstandenen Täufer. Aber nicht nur bei den Außenstehenden gibt es verschiedene Auffassungen über Jesus. Die neutestamentlichen Schriften selbst porträtieren ihn auf unterschiedliche Weise, wie schon die verschiedenen Titel zeigen, die ihm beigelegt, oder die Geschichten, die von ihm erzählt werden. Wer Jesus »wirklich« ist, ist eine Frage bereits der ältesten Überlieferung von ihm. Bis in die Gegenwart hinein ist das so geblieben. Im Mai 1995 überschreibt der »Spiegel« seine Titelgeschichte mit: »Gesucht: Ein Mensch namens Jesus«. 1 Das »Time Magazine« geht im Dezember des gleichen Jahres auf »The Search for Jesus«.2 Das Nachrichtenmagazin »Focus« fragt auf seiner Titelseite am 29. März 1997: »Neuer Streit 2 in der Forschung: Glauben wir an den richtigen Heiland? « Und wer in einer der gängigen Suchmaschinen im Internet nach Jesus sucht, sieht sich mit einer geradezu überwältigenden Fülle von Einträgen konfrontiert (z.B. http: / / www.yahoo.com, 832 Web-Sites am 12.9.1997): Jesus in vielfältigen Variationen, manchmal in scharfer Pointierung, manchmal eher konturenlos. 3 Bei dem Streit in der Forschung, auf den der Focus-Titel anspielt, geht es um eine »neue Runde« in der Frage nach dem historischen Jesus. Diese neue Runde schlägt sich in einer großen Zahl von J esusbüchern nieder, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind. Ich nenne nur einige davon, 4 die schon im Titel eine bestimmte Fragerichtung andeuten: John Dominic Crossan: Der historische Jesus; Ed Parish Sanders: Sohn Gottes. Eine historische Biographie; Gerd Theißen/ Annette Merz: Der historische Jesus; Geza Vermes: Jesus d~r Jude. Ein Historiker liest die Evangelien. Offensichtlich geht es in diesen und vielen anderen Büchern um historisch über- ZNT 1 (1998) prüfbare Erkenntnisse zu Jesus. Hinzu kommt eine kaum zu übersehende Anzahl allgemein verständlicher Jesus bücher, die teils versuchen, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu vermitteln,5 teils aber auch sehr eigenwillige Wege gehen und dabei mit erstaunlicher Sicherheit ihren >tatsächlichen< Jesus vorstellen: Jesus als erster neuer Mann oder als Macho, als Essener oder buddhistischer Philosoph, als Sozialrevolutionär oder Drückeberger - und so weiter. 6 Von Markus ins Internet: Dieses andauernde und immer wieder neu aufbrechende Interesse an Jesus ist schon erstaunlich; und ebenfalls erstaunlich ist, welche exotischen Blüten dieses Interesse bisweilen hervorbringt. Im vorliegenden Aufsatz geht es nicht darum, in knapper Form darzustellen, was man über den historischen Jesus heute sagt. Dargestellt werden vielmehr bestimmte Trends und Fragerichtungen, die gegenwärtig in der Jesusforschung zu erkennen sind, sowie verschiedene Probleme und Perspektiven, die sich im Zusammenhang mit ihnen ergeben. 1. Von der ersten zur dritten Runde In der wissenschaftlichen Jesusforschung kann man verschiedene Phasen unterscheiden: Die Leben-J esu-Forschung des 19. Jahrhunderts, die »neue Frage« nach Jesus ab der Mitte der S0er Jahre und die »dritte Fragerunde« etwa seit dem Beginn der 80er Jahre. Einen wichtigen Beitrag leistet auch die jüdische Jesusforschung, die vor allem in der »dritten Fragerunde« aufgenommen und vorausgesetzt wird. Unser gegenwärtiger Standpunkt befindet sich mitten in der »dritten Fragerunde«, und die »neuen Trends« im Titel des Aufsatzes beziehen sich hierauf. Aber um sie zu verstehen, muß man die wesentlichen Fragestellungen und methodischen Voraussetzungen der vorangegangen Phasen kennen. 1.1 Die Leben-Jesu-Forschung des 19.Jahrhunderts versuchte, das traditionelle J esusbild von der jahrhundertelangen kirchlich-dogmatischen Übermalung zu befreien, zum wirklichen, historischen Jesus vorzudringen und ihn als Vorbild für das eigene Leben vor Augen zu stellen. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Frage nach den zur Ver- ZNT 1 (1998) Peter Müller Peter Müller, Jahrgang 1950, seit 1978 ? farrer der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. 1987 Promotion. 1991 Habilitation. Seit 1993 Professor für Ev. Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe. fügung stehenden Quellen. Dabei waren zwei Entwicklungen wichtig: Der Quellenwert des Johannesevangeliums trat zugunsten der Synoptiker in den Hintergrund, und innerhalb der synoptischen Evangelien gewann die Markuspriorität die Oberhand. Auf diesem Hintergrund wurde die Zwei- Quellen-Theorie (also das Markusevangelium und die aus Matthäus und Lukas erschlossene Spruchquelle Q als früheste Quellen) entwickelt, die bis heute im wesentlichen in Geltung ist. Eine Rekonstruktion des Lebens Jesu hatte sich demnach vor allem auf das Markusevangelium als (methodisch abgesicherter) ältester Quelle zu stützen. Bei der Rekonstruktion selbst wurden verschiedene Wege eingeschlagen. Der Rationalismus unternahm besonders den Versuch, die Wundererzählungen von Jesus vor dem Forum der kritischen Vernunft zu klären. 7 David Friedrich Strauß machte sich daran, die starke mythische Übermalung der Jesusgeschichten zu entfernen, in der Überzeugung, daß deren radikale Destruktion das »Ewig-Wirkliche« an Jesus, die Idee der Gottmenschlichkeit, gar nicht berühre. 8 Eine populäre Wendung nahm die Leben-Jesu-Forschung mit verschiedenen romanhaften J esusdarstellungen, unter denen das Buch von Ernest Renan 9 den größten Eindruck machte: Jesus, von liebenswürdigem Charakter und zugleich hinreißender Schönheit, predigt »eine köstliche Theologie der 3 Liebe« und verbreitet damit einen »unendlichen Zauber«, dem sich niemand entziehen könne. Das Ende des 19. Jahrhunderts schrieb die Biographie eines »liberalen Jesus«, rekonstruiert aus dem Markusevangelium und der Spruchquelle, eines Jesus, der zur religiösen Erhebung und zu einem ethisch verantworteten Leben des Einzelnen vor Gott rief, in dem das Gottesreich sich fortschreitend Gestalt entwickele. 10 Das Ende dieser Leben- Jesu-Forschung ist besonders mit den Namen Johannes Weiß, William Wrede und Albert Schweitzer verbunden. 11 Weiß rückte die Predigt Jesu vom nahen Weltende und vom bevorstehenden Reich Gottes ins Zentrum seiner Arbeit und stellte damit die Vorstellung vom geistigen und innerlichen Gottesreich an einem zentralen Punkt in Frage. Wrede hob mit seiner Arbeit über das Messiasgeheimnis bei Markus den gemeindetheologischen Charakter des Evangeliums hervor und untergrub damit das Zutrauen in sein Verständnis als verläßlicher historischer Quelle für das Leben Jesu. Und Schweitzer legte in einem gewaltigen Werk dar, daß und wie sich die Jesusdarstellungen der liberalen Leben-Jesu-Forschung ihren jeweils eigenen Jesus schufen und sich dabei vor allem an den ethischen Idealen der jeweiligen Verfasser orientierten. 4 1.2 Die grundlegende Kritik am liberalen Jesusverständnis und die tiefe Verunsicherung des 1. Weltkrieges erforderten ein neues theologisches Nachdenken und einen andere Zugang zu Jesus. Die Leitlinie wurde von Rudolf Bultmann vorgegeben: »Denn freilich bin ich der Meinung, daß wir vom Leben und der Persönlichkeit J esu so gut wie nichts mehr wissen können, da die christlichen Quellen sich dafür nicht interessiert haben, außerdem sehr fragmentarisch und von der Legende überwuchert sind, und da andere Quellen über Jesus nicht existieren«. 12 Bultmann ist nicht am Biographischen, sondern an Jesu Verkündigung interessiert, und zwar nicht im Sinne eines Lehrsystems, sondern im Sinne der Anrede, 13 des Kerygmas, wobei vor allem die Eschatologie und die Ethik Jesu im Sinne eines Rufes zur Entscheidung14 in den Mittelpunkt treten. Methodisch bedient sich Bultmann dabei im wesentlichen der Formgeschichte, mit deren Hilfe er hinter die Texte zurückfragt nach den kleinen Einheiten der mündlichen Überlieferung. Diese beeindruckende Konzeption brachte die Frage nach dem historischen Jesus für 30 Jahre zum Verstummen. Der Einspruch kam aus der Bultmannschule selbst. Er steht in Zusammenhang mit einem neuen methodischen Schritt der Evangelienexegese, nämlich der Redaktionskritik. Diese erkannte, daß die Evangelisten zwar durchaus Sammler und Tradenten von überliefertem Material waren, aber eben auch theologisch eigenständige Autoren, die ihr Material in unterschiedlicher Weise komponierten und auf diese Weise verschiedene, deutlich akzentuierte J esusdarstellungen schufen. Angesichts der Vielfalt der Darstellungen erwies sich die Frage nach der Beziehung zum irdischen Jesus aber als unausweichlich, und Ernst Käsemann formulierte: »Die Frage nach dem historischen Jesus ist legitim die Frage nach der Kontinuität des Evangeliums in der Diskontinuität der Zeiten und der Variation des Kerygmas«. 15 Sachlich ging es also darum, die Verbindung zwischen der Christusverkündigung der Gemeinde und der eigenen VerkündigungJesu herauszuarbeiten. Auch wenn sich der liberale Versuch, ein Leben Jesu zu rekonstruieren, endgültig als gescheitert erwies: »die kritische Bemühung, vor allem die Lehre Jesu herauszuarbeiten und darzustellen, geht weiter«. 16 Für diese Bemühung waren Methoden und Kriterien notwendig. Was sich mit Hilfe formgeschichtlicher und redak- ZNT 1 (1998) tionskritischer Arbeitsschritte als möglicherweise echtes J esusgut erwies, wurde einem traditionsbzw. religionsgeschichtlichen Vergleich unterzogen. Käsemann selbst formulierte dazu das sogenannte Differenzkriterium (auch Unähnlichkeitsbzw. U nableitbarkeitskriterium): Einigermaßen festen historischen Boden unter den Füßen haben wir nur, wenn sich eine bestimmte Jesustradition weder aus dem Judentum noch aus dem frühen Christentum ableiten läßt.17 Die Problematik dieses Kriteriums wurde erst später erkannt: Unausgesprochen setzt es nämlich Jesus eindeutig sowohl vom Judentum (als auch vom frühen Christentum) ab und nimmt ihn dadurch aus seinem historischen Umfeld heraus. »Jesus ist dann kein Jude mehr oder bestenfalls marginal jüdisch. Kurz: Das Differenz-Kriterium ist verkappte Dogmatik«. 18 1.3 Die moderne jüdische J esusforschung versucht demgegenüber, Jesus im Rahmen des Judentums zu verstehen. Wichtige Arbeiten erschienen bereits in der ersten Hälfte dieses J ahrhunderts. 19 Von den neueren Vertretern sind in Deutschland vor allem die Arbeiten von David Flusser, Schalom Ben Chorin und Pinchas Lapide einem breiteren Publikum bekannt geworden. Fluss er stellt Jesus als gesetzestreuen Juden dar, dessen Denken vom Liebesgebot, von der Überwindung des Vergeltungsgedankens und der Erwartung des Gottesreiches und damit insgesamt von jüdischen Traditionen bestimmt waren. 20 Ben Chorin spricht in persönlich sehr überzeugender Weise von dem »Bruder Jesus« und stellt ihn in die Nähe der Pharisäer.21 Auch Lapide sieht Jesus ganz im Zusammenhang jüdischer Traditionen und jüdischen Denkens und betreibt auf diesem Hintergrund »jüdische Evangelienauslegung«. 22 Auch wenn man bei diesen Arbeiten im einzelnen durchaus Kritik anmelden kann, 23 stellen sie doch insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Jesusforschung dar. Sie leiten nicht nur zu einer sachgemäßen Darstellung Jesu im Rahmen der jüdischen Religionsgeschichte an, 24 sondern haben auch intensiv auf die christlichen J esusdarstellungen eingewirkt und damit zu einer neuen Phase des Fragens nach dem historischen Jesus beigetragen. Daß Jesus Jude war und im Rahmen des zeitgenössischen Judentums betrachtet werden muß, gehört heute zu den Grunderkenntnissen der Rückfrage nach Jesus. ZNT 1 (1998) Hier hat sich ein wirklicher und erfreulicher Konsens ergeben. 2. Trendsetter Von diesem Konsens geht die neueste Fragerunde zum historischen Jesus aus, die seit etwa 20 Jahren im Gang ist. Allerdings sind die Übereinstimmungen damit auch schon fast aufgezählt. Denn die Versuche, Jesus im Rahmen des Judentums seiner Zeit zu verstehen, sind in sehr unterschiedlicher Richtung ausgeführt worden und haben zu stark differierenden Ergebnissen geführt. Anhand einiger wichtiger Jesusbücher der letzten Jahre kann man sich die unterschiedlichen Auffassungen gut verdeutlichen. Ich greife dazu etwas ausführlicher vier Arbeiten heraus, die mit wissenschaftlichem Anspruch geschrieben sind und die Diskussion nicht unwesentlich mit beeinflußt haben, nämlich die Bücher von Vermes, Crossan, Borg und Sanders. Sie vertreten jeweils einen eigenen Trend in der neueren Jesusforschung. Daß es sich dabei ursprünglich um in den Vereinigten Staaten und England veröffentliche Bücher handelt, ist kein Zufall. »The third quest« nach dem historischen Jesus hat ihren Anfang vor allem im englischsprachigen Raum genommen. 2.1 Der jüdische Gelehrte Geza Vermes vertritt in seinem Buch »Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien« 25 die Auffassung, daß Jesus nur vor dem galiläischen Hintergrund des ersten Jahrhunderts verstanden werden könne. »In seinem Herzen war er ein echter Landmensch« (S. 36) und damit ein echter Galiläer. Die Städte habe er gemieden, insbesondere Sepphoris, die Hauptstadt, und die anderen regionalen Zentren (S. 35). Charakteristisch für Galiläa ist nach Vermes ein unbändiges Judentum (S. 33), das gelegentlich zum Chauvinismus neigte (S. 271) und das die zelotische Bewegung ebenso hervorbrachte wie heilige Männer vom Typ des charismatischen Frommen (S. 66). »Alle Fäden die Untersuchung Galiläas im ersten Jahrhundert, die des charismatischen Judentums sowie der Titel J esu und ihrer Entwicklung laufen in dem einen Punkt zusammen, der Jesus einen Platz in der ehrwürdigen Gesellschaft der Frommen, der alten Chassidim, zuweist. ( ... ) Jesus ( ... ) gibt sich als 5 einer der heiligen Wundertäter Galiläas zu erkennen« (S. 205). Als solcher gehöre er in eine Reihe mit anderen charismatischen Wundertätern, wie besonders Choni und Chanina ben Dosa. Von diesen sei er freilich durch seine »unvergleichliche(n) Überlegenheit« auch unterschieden: »Die existentielle Beziehung des Menschen zum Menschen und des Menschen zu Gott« habe er auf unvergleichliche Weise zum Ausdruck gebracht (S. 206). Neben Jesu Wirken als Heiler und Exorzist geht Vermes deshalb auch im besonderen auf die Botschaft Jesu von Gott als dem Vater und dem König ein (S. 232 ff.236 ). Zentral sei für Jesus dabei die Vorstellung von der Umkehr zu Gott. Diese Umkehr stehe im Zentrum seiner Verkündigung, nicht dagegen die Frage nach einem bestimmten Zeitpunkt für das Kommen des Gottesreiches. Worauf es ankomme, sei vielmehr die Hinwendung zu Gott und die »Übereignung der Person an Gott und seinen Willen« (S. 245). 2.2 Im »Epilog« des Buches »Der historische Jesus« von John Dominic Crossan 26 (S. 548-559) findet man in komprimierter Form eine gänzlich andere Jesusdarstellung. Das Judentum zur Zeit Jesu war nach Crossan ein ganz und gar hellenistisches Judentum. Im nahe bei Nazareth gelegenen Sepphoris habe Jesus hellenistisches Denken kennengelernt, hellenistische Lebensart, Kultur und Philosophie und insbesondere das Denken der Kyniker.Jesus sei »ein Vertreter jener bäuerlichen, volkstümlichen, mündlichen philosophischen Praxis, die man als jüdischen Kynismus (oder kynisches Judentum) bezeichnen könnte« (S. 553). Dieser Kynismus sei insgesamt eher Lebensform als Philosophie gewesen, »Widerstand gegen die Zwänge der mediterranen Kultur, gegen die Herrschaft von Ehre und Schande, von Patronat und Klientenwesen, und zwar weniger in der Theorie als in der Praxis eines Lebensstils, im Aussehen, in der Kleidung, beim Essen, in der ganzen Lebensführung. Diese Kyniker waren sozusagen Hippies in einer Welt augusteischer Yuppies« (S. 553). Deshalb sei Jesus nicht in die Städte, sondern in die Dörfer Galiläas gegangen. Mit den Mitteln der Magie und des gemeinsames Essens habe er gewirkt. Elitäres Gelehrtentum sei seine Sache nicht gewesen, sondern er habe einen religiösen und ökonomischen Egalitarismus vertreten, mit dem er die hierarchische und patronale Normalität so- 6 wohl der jüdischen Religion als auch der römischen Machthaber in Frage stellte (S. 554). So vertrat Jesus nach Crossan ein inklusives hellenistisches Judentum, 27 das gerade wegen seiner gelebten Inklusivität auch auf Makler und Mittler zwischen Gott und den Menschen verzichtete. Jesus »verkündete, mit einem Wort, das keines Vermittlers bedürftige, unmittelbar gegebene Reich Gottes« (S. 554 ). 2.3 Das Buch von Ed Parish Sanders, zuerst 1993 unter dem Titel »The Historical Figure of Jesus«, wurde 1996 von Klett-Cotta auf deutsch herausgegeben: »Sohn Gottes. Eine historische Biographie« (s. Buchreport). Für Sanders war Jesus »ein charismatischer und autonomer Prophet« (S. 348), ein eschatologischer Prophet, ein »radikaler Eschatologe«: »Er erwartete einen entscheidenden Eingriff Gottes, durch den sich die Verhältnisse von Grund auf ändern würden« (S. 383). In symbolischen Handlungen habe er auf dieses Eingreifen Gottes hingewiesen (S. 370ff.): Der Einzug auf einem Esel nach Jerusalem erfülle die Verheißung aus Sach 9,9; die Tempelreinigung verbinde er mit einem Ausspruch über die bevorstehende Zerstörung des Tempels; mit dem Abendmahl weise er hin auf das nahe bevorstehende Gottesreich und seinen Anteil daran. »Die drei symbolischen Handlungen weisen demnach alle voraus auf das kommende Reich und auf die Rolle, die Jesus darin spielen würde« (S. 386). Im gleichen Zusammenhang seien auch die Verwendung der Zahl zwölf bei den Jüngern wie auch seine Wunder zu verstehen, besonders die Dämonenaustreibungen: symbolische Handlungen, die auf die Ankunft des Reiches Gottes hinweisen (S. 371). Für Sanders ist Jesus also ein ganz und gar eschatologischer, apokalyptischer Prophet. »Er sah sich als uneingeschränkt bevollmächtigt, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln« (S. 348). Und sich selbst habe er als »Statthalter« Gottes gesehen: »Gott war König, aber Jesus war sein Statthalter und würde das auch im kommenden Reiche Gottes sein« (S. 263). 28 2.4 Marcus J. Borg will in seinem Buch »Jesus. Der neue Mensch« 29 »in aller Kürze ein Bild (zu) skizzieren, wer Jesus als geschichtliche Gestalt vor seinem Tode gewesen ist« (S. 9). Dies sei möglich, weil mit relativer Sicherheit sowohl die wichtig- ZNT 1 (1998) sten Themen und die Stoßrichtung seiner Lehre, grundlegende Merkmale seines Handelns und wesentliche Aspekte seiner Persönlichkeit zu erkennen seien. Die Sicherheit ergebe sich durch die Ordnungsprinzipien von »Geist« und »Kultur«, wobei »Geist« für jene »andere Wirklichkeit« stehe, »die man bisweilen geistlich oder heilig nennt und als die >andere Welt< oder einfach als >Gott< bezeichnet«, während »Kultur« die Einbindung J esu in das geschichtliche Leben und soziale Gefüge seines Volkes meine (S. 35 f.). Darüber hinaus gebe es »religiöse Persönlichkeitstypen«, »die man in sämtlichen Kulturen ebenso kenne wie in der Geschichte Israels. In Anlehnung an diese Typen sei Jesus verstehbar als »ein Charismatiker, der Kranke heilte, ein Weiser, ein Prophet und der Gründer einer Bewegung, die neues Leben stiftete« (S. 35 ). Ganz zentral bezeuge er die Existenz des Geistes und gebe ein eindrucksvolles Bild für das Leben im Geist: »Da sind zum einen natürlich die ungewöhnlichen Kräfte des Geistes, die ihn bei seinen Wundertaten durchströmten«. Andere Eigenschaften kommen hinzu: »Er war ein bemerkenswert freier Mensch. Frei von Furcht und ängstlichen Vorurteilen, war er frei, zu verstehen und zu lieben. Seine Freiheit gründete sich auf den Geist, aus dem auch die anderen wesentlichen Merkmale seines Lebens hervorgingen: Mut, Ein- ZNT 1 (1998) sieht, Freude und vor allem Barmherzigkeit. Sie alle bringt der Geist hervor« (S. 214). Dieser unangepaßte, charismatische Weisheitslehrer und Erneuerer Jesus sei deshalb zugleich eine Herausforderung unserer eigenen Sicht der Wirklichkeit (S. 226 ). 3. Hintergründe Wenn man diese Arbeiten liest, begegnet Jesus einem also in sehr unterschiedlicher Weise als Frommer Israels und als Charismatiker als wandernder Kyniker als eschatologischer Prophet als geistvoll-unangepaßter Weisheitslehrer. Alle vier Entwürfe sind sehr pointiert und erheben den Anspruch historisch nachvollziehbarer Rekonstruktion. Wie kommt es dennoch zu diesen großen Unterschieden? Vier Fragen sind dabei besonders wichtig: Welche Quellen werden jeweils benutzt? Mit Hilfe welcher Methoden und Kriterien werden die Quellen ausgewertet? Welche zentralen Inhalte werden vorgestellt? Und welche hermeneutischen Voraussetzungen sind wirksam? 3.1 Alle vier Arbeiten ziehen die synoptischen Evangelien als Quellen heran. Aber sie tun dies auf unterschiedliche Weise. Für Sanders sind die Evangelien des Neuen Testaments die Hauptquellen für unsere Kenntnisse über Jesus. 30 Da sie aus ursprünglich kleinen Einheiten zusammengesetzt seien, bestehe die Aufgabe darin, diese Einheiten zunächst zu isolieren und auf ihre Historizität zu befragen, um sie sodann »möglichst passend miteinander zu verbinden und sie mit den damaligen Zeitumständen in Einklang zu bringen. Wenn uns das gelingt, werden wir über Jesus eine ganze Menge in Erfahrung gebracht haben«. 31 Auch für Vermes spielen die Synoptiker als Quellen eine wesentliche Rolle. Und daß er daneben noch andere Quellen heranzieht, nämlich »die Apokryphen und Pseudepigraphen, die Werke des Philo und des Flavius Josephus, jüdische Inschriften, die Texte vom Toten Meer sowie frühe rabbinische Schriften«, unterscheidet ihn noch nicht von Sanders. »Diese Quellen sollen jedoch nicht als Kulissen verwendet werden, sondern als Zeugen«, sie »sollen unabhängige Aussagen liefern und werden, 7 zumindest bisweilen, die Richtung der Untersuchung bestimmen«. 32 Das heißt: Die jüdischen Schriften sind selbständige, unabhängige und deswegen besonders richtungweisende Zeugen zur Beantwortung der Frage nach dem historischen Jesus. Für Crossan stellt sich die Quellenlage wiederum anders dar. Er unterscheidet verschiedene Quellenschichten, die in verschiedene Perioden zwischen 30 und 150 n. Chr. gehören. Zur ältesten und für die Frage nach dem historischen Jesus wichtigsten Quellenschicht zählen seiner Auffassung nach vor allem das Thomasevangelium, das Hebräerevangelium, die Spruchquelle Q, ein Sammlung von Wundererzählungen und das im Petrusevangelium überlieferte »Kreuzevangelium«. 33 Die Evangelien in ihrer gegenwärtigen Gestalt gehören erst zur zweiten (Markus) bzw. dritten Quellenschicht (Matthäus und Lukas). Die Hauptquellen für den historischen Jesus sind nach Crossan also verschiedene apokryphe Texte und solche Quellen, die aus den kanonischen Evangelien erst rekonstruiert werden müssen. Crossan steht damit nicht allein; besonders diejenigen amerikanischen Exegeten, die in dem sogenannten »Jesus-Seminar« mitarbeiten, 34 gehen von dem hohen Quellenwert vor allem des Thomasevangeliums aus. Für Borg schließlich geht es bei der Rückfrage nach Jesus nicht in erster Linie um das, was er gesagt oder was er getan hat, sondern um das, was er war, »nämlich ein geisterfüllter Mensch in der charismatischen Strömung des Judentums. 35 Und die Hauptquellen sind für Borg deshalb die Evangelien insofern, als sie »die Welt des Geistes« sichtbar und erfahrbar werden lassen. Im Blick auf die Quellen kann man also festhalten: Die vier Autoren verwenden teilweise unterschiedliche Quellen, und wenn sie dieselben Quellen verwenden, dann auf unterschiedliche Weise. 3.2 Auch bei den Methoden und Kriterien, die zur Auslegung der Quellen herangezogen werden, zeigen sich Unterschiede. Vermes erhebt im ersten Teil seines Buches aus den Evangelien auf eher unkritische Weise bestimmte, wiederholt genannte MerkmaleJesu (z.B. Zimmermann, Exorzist, Heiler, Lehrer) und verbindet diese mit Zeugnissen für ein charismatisch geprägtes Judentum in Galiläa. Seine Methode ist also im Grund ein religionsgeschichtlicher Vergleich mit dem zeitgenössischen Judentum. Crossan's methodisches Instru- 8 mentarium ist breit gefächert. 36 Er unterscheidet kulturübergreifende und epochenüberschreitende Fragestellungen der Sozialanthropologie (makrokosmische Ebene; beispielsweise Ehre und Schande als grundlegende Werte der antiken Welt), grundlegende historische Fragestellungen zur hellenistischen und griechisch-römischen Geschichte (mesokosmische Ebene) und literarische Fragestellungen zur schriftlich fixierten Überlieferung von Jesus (mikrokosmische Ebene). Bei dem literarischen Methodenkomplex bleibt Crossan in der Spur der »neuen Frage« nach Jesus, indem er besonders von der Wortüberlieferung Aufschlüsse über den historischen Jesus erwartet. 37 Insgesamt aber legt er größten Wert auf die Gleichberechtigung der methodischen Zugänge, die sich zudem gegenseitig unterstützen müssen, wenn ihre Ergebnisse Bestand haben sollen. Das Methodeninventar wird somit ausgeweitet in Richtung auf die Kultur- und Sozialanthropologie, und die Frage nach dem historischen Jesus wird zu einer interdisziplinären Frage. Sanders wendet die grundlegenden Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode an, isoliert kleine, ursprüngliche Einheiten, die er zu einem historischen überzeugenden Gesamtbild zusammenzufügen versucht. 38 Seiner Auffassung nach ist auf die Wortüberlieferung jedoch nur wenig Verlaß. 39 Deshalb konzentriert er sich sehr viel stärker auf Jesu Handlungen und auf andere Fakten aus seinem Leben. Einerseits habe Jesus die eschatologische Botschaft des Täufers akzeptiert und andererseits sie bei den Nachfolgern Jesu schon bald nach seinem Tod die Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Kommens Gottes nachweisbar. 40 In diesen Zusammenhang füge Jesus sich zwangsläufig ein, wie gerade seine symbolischen Handlungen (und insbesondere die Tempelreinigung) zeigten. 41 Von der Wortüberlieferung nimmt Sanders dementsprechend vor allem diejenigen Teile auf, die mit dieser Zeichenhandlung in Einklang stehen und die eschatologische Botschaft J esu akzentuieren. Borg schließlich kombiniert die verschiedenen Möglichkeiten und geht davon aus, daß wir relativ sichere Aussagen sowohl über die Worte Jesu als auch über die Art seiner Taten machen können. Da er überdies eine allgemeine Charakteristik geisterfüllter Personen zugrundelegt, sieht er auch im Blick auf die Persönlichkeit J esu Erkenntnismöglichkeiten gegeben: »Wenn wir uns dies alles zu eigen machen ZNT 1 (1998) und uns nicht selbst mit der Frage in die Quere kommen, ob Jesus auch wirklich genau die Worte gesagt hat, die ihm zugeschrieben werden, dann können wir ein nahezu vollständiges und historisch vertretbares Bild von Jesus gewinnen.« 42 3.3 Wenn teilweise verschiedene Quellen mit unterschiedlichen Methoden ausgewertet werden, ist es nicht verwunderlich, daß auch die zentralen Inhalte der Botschaft J esu differieren. Besonders deutlich wird dies bei der Eschatologie und der Gottesherrschaft. Ein gänzlich uneschatologischer Jesus kommt in Crossans Buch zum Vorschein. Er habe die Verwirklichung des Reiches Gottes im »Jetzt und Hier« verkündet. 43 Zugang zum Reich Gottes gewinne man durch ein neues Handeln, das bestehende Herrschaftsverhältnisse überwinde und vor allem im Blick auf die Familien und die politischen Verhältnisse beschrieben wird, 44 Das Reich Gottes ist somit für Crossan das »ewig gegenwärtige Reich der Weisheit«, 45 das jedem in der eigenen Gegenwart offenstehe. Auch nach Borg sprach Jesus vom Gottesreich als einer gegenwärtigen Größe und Gemeinschaft. Er sieht im Reich Gottes ein Sprachsymbol, das es Jesus ermöglicht habe »über die Kraft des Geistes und das neue Leben, das er erschaffe, zu reden.( ... ) Leben im Geiste ist wirkliches Leben im Reich Gottes«. 46 Umschrieben wird dieses Leben im Geist mit Güte, Erbarmen, Solidarität, menschenfreundlicher Politik: »Genau dieses Anliegen sahen wir beim historischen Jesus: Barmherzigkeit, die Frucht des Geistes, sollte im weiten Raum der Gesellschaft verwirklicht werden.« 47 Für Vermes ist die Frage nach dem Zeitpunkt der Reich-Gottes-Erwartung Jesu unerheblich und geht sogar an Jesu eigener Vorstellung vorbei. Für Jesus stehe der Gedanke der Umkehr im Zentrum, seiner eigenen Umkehr (durch den Ruf des Täufers zur Buße bewirkt) und der Umkehr derer, die ihm nachfolgten. »Indem sie ihre Wahl dergestalt treffen, kommt Gottes Reich, und sie treten in es ein. Eine neue Ära oder vielmehr: ein neuer Äon nimmt für sie seinen Anfang. ( ... ) In der Übereignung der Person an Gott und seinen Willen realisiert sich seine Herrschaft auf Erden.« 48 So unterschiedlich die Jesusdarstellungen dieser drei Autoren im einzelnen auch sind, so stimmen sie doch darin überein, daß das Reich Gottes in der Gegenwart offen steht und daß man durch sein Verhalten den Zugang ge- ZNT 1 (1998) winnt. Wenn man mit dem Ende der liberalen Leben-Jesu-Forschung zur Jahrhundertwende vertraut ist, erwartet man angesichts dieser Übereinstimmung geradezu den eschatologischen Einspruch. Er findet sich bei Sanders: Hier ist Jesus der »Eschatologe«, der charismatische und apokalyptische Prophet, der mit seinen Handlungen immer wieder auf das bevorstehende Eingreifen Gottes hinweist. 3.4 Schließlich ist noch die Frage nach den hermeneutischen Voraussetzungen zu stellen. Borg gibt seinen hermeneutischen Standpunkt recht deutlich zu erkennen: »Ich habe ein doppeltes Anliegen. Zunächst möchte ich einen Gesamtentwurf moderner Jüngerschaft J esu vorlegen, der dem Leser allgemein zugänglich ist, sei er ein Christ oder ein aufgeschlossen Suchender. Gleichzeitig will ich gewichtige wissenschaftliche Gründe für ein eigenes Bild des historischen Jesus vorbringen, das dem herrschenden wissenschaftlichen Bild erheblich widerspricht ( ... )« 49 Jesus für unsere Zeit das ist das Anliegen Borgs, zu dem er eine Darstellung des historischen Jesus entwirft, der als Quelle der Erneuerung in seiner Zeit auch für unsere Zeit Impulse setzen kann. So kommt es bei Borg zu einem Hin- und Hergehen zwischen gegenwärtigen und historischen Fragestellungen, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der »Jesus für heute« die Leitlinie für das Verstehen des historischen Jesus abgibt. Die anderen hier behandelten Autoren verstehen ihre Arbeit als diejenige des Historikers, bringen dies schon in den Titeln ihrer Werke zum Ausdruck und arbeiten mit einer zum Teil sehr breit dargelegten Methodologie. Aber auch eine noch so ausgefeilte methodische Grundlegung wie bei Crossan ist vor methodenfremden Voraussetzungen nicht gefeit, wie schon der Satz, daß die Kyniker, wie Crossan sie sich vorstellt, »sozusagen Hippies in einer Welt augusteischer Yuppies« gewesen seien, 50 zeigt. Die kritische Bemerkung von Theißen/ Merz, der so vorgestellte Jesus trage mehr kalifornisches als galiläisches Lokalkolorit, trifft den Nagel auf den Kopf. 51 Und wenn Geza Vermes' Buch zwar den Untertitel »Ein Historiker liest die Evangelien« trägt, jedoch weder der Titel noch das ganze Buch an irgendeiner Stelle erkennen lassen, daß es sich um einen jüdischen Historiker handelt, der sehr deutlich in der Tradition jüdischer Evangelienaus- 9 legung steht, so ist auch hier der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß mit dem Etikett »Historiker« ein Anschein von Objektivität vermittelt werden soll, der weder dem Etikett noch dem Buch angemessen ist. Und Sanders? Er entspricht von den hier näher vorgestellten Autoren wohl am ehesten dem Bild des Historikers, und es ist nicht verwunderlich, daß sein Jesus wohl der fremdeste von den vieren ist (das ist eine interessante Parallele zur Jesusdarstellung von Albert Schweitzer zur Jahrhundertwende). Umstritten ist diese J esusdarstellung allerdings auch; denn eine theologisch so bedeutende Szene wie die Tempelreinigung zum Fundament einer historischen Rekonstruktion zu machen, wird gerade unter historisch-kritisch arbeitenden Exegetinnen und Exegeten äußerst kritisch betrachtet. 4. Orientierungen Die hier etwas näher vorgestellten Arbeiten deuten jeweils einen bestimmten Forschungstrend an. Alle vier Bücher stellen Jesus in den Rahmen des zeitgenössischen Judentums. Für Vermes bedeutet dies freilich, daß Jesus im Judentum völlig aufgeht, und so ist es denn kein Wunder, daß Jesus und das Christentum im Grunde durch Welten voneinander getrennt sind. 52 Borg sieht wie Vermes in Jesus den Charismatiker, der für ihn aber eher einen besonderen Typus des Menschen darstellt, der mit der Welt des Geistes in enger Verbindung steht und sich deshalb der Welt der Kultur nicht anpaßt. Jesus repräsentiert so eine besondere Gestalt des Menschseins, der es gerade in unserer Gegenwart nachzueifern gilt. Diese Verbindung von historischen und aktuellen Fragestellungen ist für Borg's Buch charakteristisch. Unangepaßt ist auch Crossans Jesus. Geprägt ist er von der kynischen Philosophie, und am ehesten kann man ihn als Weisheitslehrer bezeichnen, auch dies ein Trend, der sich in einer ganzen Reihe von Jesusbüchern ablesen läßt. Auch dieser Jesus würde mit seiner Gesellschaftskritik gut in unsere Gegenwart passen. Gemeinsam repräsentieren diese drei Autoren den weiteren Trend in der Jesusforschung, den historischen Jesus uneschatologisch zu verstehen. Sanders repräsentiert eine gegenläufige Forschungsrichtung: Jesus ist überhaupt nicht zu verstehen, wenn man ihn nicht eschatologisch versteht. Er 10 steht damit in Kontinuität zur Kritik an der Leben-Jesu-Forschung und zur »zweiten Frage« nach Jesus, begründet seine eschatologische Jesus- Darstellung aber anders als diese Vorgänger. Nun sind Trends ja nicht notwendigerweise etwas Schlechtes. Aber es ist bezeichnend, daß diese voneinander abweichenden Perspektiven bei der Betrachtung Jesu zustande kommen durch die Auswertung unterschiedlich gewichteter Quellen mit Hilfe verschiedener Methoden auf der Grundlage eines jeweils eigenen hermeneutischen Verständnisses. Aus diesem Grund halte ich die vorgestellten Arbeiten zwar alle für interessant; sie bieten, jedes auf seine Weise, erhellende Einblicke in die Umwelt J esu, sehr lesenswerte Einzelanalysen und jeweils eine Fülle wichtiger Details. Allerdings sehe ich in ihren J esusdarstellungen jeweils auch einen »trendy Jesus« (und sei es auch nur in dem Sinn, daß er sich von allen übrigen Jesusdarstellungen abgrenzen muß 53 ); und daß Jesus auch vom »historischsten« Historiker immer durch die eigene Brille gesehen wird, dafür bieten gerade diese vier Beispiele einen erneuten Beleg. Wenn nun anhand verschiedener Quellen und mit Hilfe unterschiedlicher Methoden so differierende Vorstellungen zustanden kommen, muß man da nicht resignieren bei der Rückfrage nach dem historischen Jesus? Gibt es nur divergierende Forschungstrends oder ist Orientierung möglich? Warum fragen wir überhaupt nach dem historischen Jesus? Ist die Frage wichtig? Kann man sie überhaupt beantworten, und wenn ja, mit Hilfe welcher Methoden? Ich denke, daß Orientierung möglich ist - und beziehe mich dabei wiederum auf Literatur, die ich nun zwar nicht mehr ausführlich zitieren kann, die ich aber nennen will. Die genannten Bücher gehören ebenfalls in den Rahmen der »dritten Fragerunde« nach Jesus hinein, sie hüten sich aber vor Einseitigkeiten und versuchen, ihre Methoden und hermeneutischen Voraussetzungen möglichst genau zu klären. Hilfreich finde ich in diesem Zusammenhang vor allem die Bücher von Becker, 54 Theißen/ Merz 55 und Schweizer. 56 Was sie über den historischen Jesus an Erkenntnissen zusammentragen, empfehle ich dort jeweils selbst nachzulesen. In diesem Aufsatz kann es nur darum gehen, einige grundlegende Fragestellungen noch näher zu präzisieren. ZNT 1 (1998) 4.1 Die Rückfrage nach Jesus ist sowohl für die Theologie als Wissenschaft als auch für Kirche und Gesellschaft unaufgebbar. In der Öffentlichkeit gibt es offenbar verschiedene Gründe für das anhaltende Interesse an Jesus: Trotz eines nicht zu übersehenden Traditionsabbruchs ist unsere Gesellschaft nach wie vor christlich geprägt und die Zentralgestalt des Christentums ist allgemein bekannt. Daher ist es nicht verwunderlich, daß diese Zentralgestalt Vorstellungen und Projektionen auf sich zieht.Jesus wird von vielen als exemplarischer Mensch angesehen, auch von solchen, die dem Glauben ansonsten fernstehen. Die Frage nach Jesus hat dabei, wie schon in der Phase der Leben- Jesu-Forschung des 19.Jahrhunderts, auch heute einen kirchenkritischen Aspekt. Bei der Kritik insbesondere an der Institution Kirche beruft man sich immer wieder gerade auf Jesus als Kronzeugen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist der Name Jesus im Verlagsgeschäft offensichtlich immer wieder dazu in der Lage, aus Büchern Bestseller zu machen. Manche dieser Bücher sind zwar das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden. Auf der anderen Seite haben aber die Verlage manchmal anscheinend ein besseres Gespür dafür, daß Jesus auf Interesse stößt, als die Kirchen und die Theologie. Und ganz offensichtlich geht es bei den verschiedenen Vorstellungen von Jesus nicht lediglich um die Alternative »richtig oder falsch«. Es geht auch um die Frage der Tragfähigkeit und Lebendigkeit von Vorstellungen. Historisch unzutreffende Vorstellungen können unter Umständen viel wirksamer und lebendiger sein als noch so korrekte. Sie sind deshalb immer zugleich eine Anfrage an die Lebendigkeit und Tragfähigkeit der in Theologie und Kirche vertretenen Positionen. 4.2 Im Rahmen der neutestamentlichen Exegese und der Theologie insgesamt ist die Rückfrage nach dem historischen Jesus unaufgebbar. Das bloße »Daß des Gekommenseins Jesu« bei Buhmann war eine großartige theologische Konzeption und als Reaktion auf die liberale Leben-Jesu- Forschung verständlich. Sachgemäß, d. h. den Texten und dem wissenschaftlich-theologischen Fragehorizont angemessen, war sie jedoch letztlich nicht. Die historische Rückfrage ist erstens unaufgebbar, weil sie von den Texten selbst vorgegeben ist. Nicht nur für Paulus ist der auferstandene und gegenwärtige Christus mit dem gekreuzigten Jesus ZNT 1 (1998) identisch (I Kor 1,23); auch die Evangelien halten an dieser Kontinuität fest und insbesondere Markus umkreist in seinem Werk von Anfang bis Ende die Frage, wer dieser Mensch Jesus ist. Der »Anfang des Evangeliums« (Mk 1,1) und damit die Erzählungen von dem irdischen Jesus bleiben als Ursprungsgeschichte für die Gegenwart der Nachfolgerinnen und Nachfolger bestimmend. 0 hne Zweifel sprechen die Evangelien in ihre Gegenwart hinein; aber sie tun dies, indem sie die Vergangenheit wachhalten und bewahren. Die Rückfrage nach Jesus folgt dieser Spur der Texte. Sie ist zweitens unaufgebbar wegen unseres eigenen geistesgeschichtlichen Standortes. Die historische Frage ist uns mit der Aufklärung und der Modeme aufgegeben. »Sich aus der Diskussion der historischen Vernunft auszuklinken, ist kein gangbarer Weg«, 57 weil er unseren· eigenen Stand wissenschaftlichen Nachdenkens und Erkennens unberücksichtigt ließe. Drittens hat die Rückfrage nach Jesus auch eine wichtige Funktion als Korrektiv der diversen Jesusbilder, die immer, selbst wenn sie mit noch so großem historischem Anspruch auftreten, auch subjektive Züge tragen. Und schließlich ist es zwar zweifellos legitim, eigene und sehr persönliche Vorstellungen von Jesus zu haben. Wer jedoch in Verkündigung, Unterricht oder Lehre einen Anspruch über sich selbst hinaus vorträgt, muß redlicherweise die eigene Vorstellung an dem überprüfen, was mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit über Jesus gesagt werden kann. Letzten Endes geht es dabei um die Unterscheidung der Worte Jesu von den eigenen Worten.58 4.3 Um solche Wahrscheinlichkeit zu erreichen, muß die Rückfrage nach Jesus methodisch und im Blick auf die Quellen abgesichert werden. Bei den Quellen gilt, daß authentisches Jesusgut durchaus außerhalb der synoptischen Tradition aufbewahrt sein kann und deshalb auch in apokryphen Evangelien entdeckt werden kann. Daß die synoptischen Evangelien von Umfang und Inhalt her die gewichtigsten der zur Verfügung stehenden Quellen darstellen, darf nicht zu einer »Tyrannei des synoptischen J esus« 59 führen. Auf der anderen Seite ist jedoch auch eine »Tyrannei des apokryphen Jesus« nicht erstrebenswert. 60 Es ist ein Problem beispielsweise der Arbeit von Crossan, daß er seine Rekonstruktion des historischen Jesus vor 11 allem auf apokryphe bzw. auf nur rekonstruierte Quellen stützt, die zudem in der Diskussion sehr umstritten sind. Bei unserem derzeitigen Erkenntnisstand können die synoptischen Evangelien als Quellengrundlage durch die Hinzuziehung weiterer Quellen zwar ergänzt, keinesfalls aber ersetzt werden 4.4 Auch im Blick auf die Methoden ist eine Ergänzung des Methodeninventars prinzipiell möglich. Schon bei der Entwicklung der historischkritischen Methode sind immer wieder neue Fragestellungen hinzugekommen, von der Methodendiskussion der letzten zwanzig Jahre ganz zu schweigen. Die Frage nach den verwendeten Methoden ist also immer nur nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand zu beantworten. Wichtig ist aber, die Methodenfrage im Gesamtkontext historischer Fragestellungen zu beantworten. Dies bedeutet, daß historische Phänomene plausibel immer nur im Rahmen bestimmter Räume und Zeiten erklärt werden können. Die grundlegenden Kriterien »Geist« und »Kultur« und die allgemeine Charakteristik geisterfüllter Personen beispielsweise, die Borg zur Erfassung der Persönlichkeit J esu anwendet, sind eher dazu in der Lage, ein zeitunabhängiges Charismatikertum (falls es so etwas je gegeben hat) zu beschreiben als eine konkrete, historische Person. Wenn das Differenzkriterium Jesus letzten Endes kontextlos machte, so neigen die Fragestellungen der allgemeinen (Kultur-)Anthropologie dazu, Jesus im kulturellen Kontext oder in anthropologische Konstanten aufgehen zu lassen. 4.5 In der Kriteriendiskussion der »dritten Runde« wurde zunächst das Differenzkriterium, das faktisch auf eine dramatische Reduktion des authentischen J esusstoffes hinauslief, durch das sogenannte Kohärenzkriterium ergänzt. Die »unableitbaren« Elemente der Verkündigung Jesu wurden also in den größeren Zusammenhang seines Lehrens und Wirkens hineingestellt. Als authentisches J esusgut wurde demnach angesehen, was weder aus Judentum noch frühem Christentum herleitbar war, was sich aber im Gesamtkontext des Wirkens Jesu verorten ließ. Nun ist aber weder die Vorstellung von Widerspruchsfreiheit noch eine völlig abgerundete Einheitlichkeit der Lehre und des Handelns ein geeigneter Ausgangs- 12 punkt für die Frage nach dem historischenJesus. 61 Die Frage nach den Kriterien ist deshalb weitergeführt worden. Theißen und Merz schlagen ein sogenanntes »historisches Plausibilitätskriterium « vor; 62 historische Plausibilität käme dem überlieferten J esusgut demnach zu, wenn es sowohl die Einbindung J esu in einen jüdischen Kontext ernst nimmt als auch die die Wirkungen J esu auf das frühe Christentum zu erklären in der Lage ist. Das Kriterium der mehrfachen unabhängigen Bezeugung tritt unterstützend hinzu. Ich halte die Formulierung des Plausibilitätskriteriums für sehr erwägenswert, weil sie wirkungs- und rezeptionsgeschichtliche Prozesse anspricht, an denen die Texte teilhaben. Den historischen Jesus kann man unabhängig von den Texten nicht darstellen. Außerdem erweckt diese Formulierung nicht den Eindruck, als vermittele sie nun auf ewig unverrückbare Erkenntnisse. 4.6 Dies hat Auswirkungen beispielsweise auf die Eschatologie und das Verständnis der Gottesherrschaft bei Jesus. Die Vorstellung eines uneschatologischen Jesus, der in gegenwärtige Gottesreich ruft, müßte im Kontext des zeitgenössischen Judentums wie auch der frühchristlichen Verkündigung plausibel gemacht werden. Crossan beispielsweise versucht dies, indem er einerseits alle J esusworte vom kommenden Menschensohn einer späteren Traditionsschicht zuweist und andererseits den jüdischen Kontext Jesu als durchgehend hellenistisch geprägt vorstellt, oder aber Jesus sich abgrenzen sieht von der apokalyptischen Prophetie des Täufers. Ist aber mit einer solchen Theorie plausibel zu erklären, daß im Markusevangelium die Gottesherrschaft mit deutlichen futurischen Akzenten konturiert wird (von Paulus ganz zu schweigen). Die Konsequenz wäre in diesem Fall kaum von der Hand zu weisen, daß die Jesusnachfolger der zweiten Generation Jesus entweder ziemlich mißverstanden oder sich bewußt von ihm abgewandt haben. Ich halte es demgegenüber eher für plausibel, daß die futurische Akzentuierung der frühen christlichen Verkündigung sich eher in Kontinuität zu Jesus erklären läßt als in Diskontinuität. Ob man aus Jesus dann wie Sanders einen »radikalen Eschatologen« machen muß, steht freilich auf einem anderen Blatt. ZNT 1 (1998) 4.7 Die Frage, ob der Wort- oder der Erzählüberlieferung größere Bedeutung für die historische Rückfrage zuzugestehen sei, sollte nicht als Alternative verstanden werden. Worum es m. E. geht, ist die Reihenfolge der Arbeitsschritte. Beide Traditionsbereiche beziehen sich nämlich in unterschiedlicher Weise auf Jesus. Die Erzählungen sind von Anfang an als Erzählungen über ihn, die Worte dagegen als Worte von ihm überliefert. Deshalb können die Erzählungen als solche nicht auf ihn zurückgehen, die Worte jedoch durchaus. Aus diesem Grund muß der Ansatzpunkt für die historische Rückfrage bei der Wortüberlieferung liegen. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß ein großer Teil der Jesusüberlieferung (nämlich vor allem die kanonischen Evangelien) diese Worte nicht isoliert überliefert, sondern in Erzähl- Kontexte einbettet. Und ebenso deutlich ist, daß bestimmte Verhaltensweisen J esu, wie beispielsweise das gemeinsame Essen mit Randsiedlern der damaligen Gesellschaft, in der Erzählüberlieferung sehr breit und in verschiedener Variation vertreten sind. Man wird also unter Wahrung des Einsatzes bei der Wortüberlieferung darauf zu achten haben, wie die Elemente der Erzählüberlieferung mit der Wortüberlieferung korrelieren. 4.8 Wenn Borg in seiner Arbeit die historische Rückfrage nach Jesus in den Horizont aktueller Fragestellungen hineinstellt, so bringt er damit durchaus etwas zum Ausdruck, was in den Texten vorgegeben ist. Historie und Lebensbezug sind in ihnen ineinander verwoben und die Vergangenheit wird für die Gegenwart bedeutungsvoll. Da wir keinen anderen Zugang zu Jesus als über Texte haben, keinen anderen als einen literarischen Zugang, müssen wir diese Eigenart der Texte wahrnehmen und berücksichtigen. Den historischen Jesus kann man nicht anders als in den Texten erkennen, deren Mitteilungsabsicht jedoch keine rein historische ist. Von daher steht die Rückfrage nach dem historischen Jesus in einem hermeneutischen Spannungsfeld und damit immer in der Gefahr der Funktionalisierung. Dies ist der Grund für die vielen J esusbilder, die ihren Autoren oft sehr ähneln. Demgegenüber ist das Recht der historischen Analyse zu schützen. Auf der anderen Seite hat aber auch der gegenwärtige Christusglaube sein eigenes Recht und der historische Jesus ist für ihn ZNT 1 (1998) ein sehr wichtiger, aber nicht der alleinige Maßstab. Im Verhältnis zwischen historischem Jesus und geglaubtem Christus kann es deshalb nicht lediglich um Wiederholung, sondern wird es immer um Entfaltung gehen. 5. Voll im Trend oder quer zum Trend? Es ist keine neue Erkenntnis, daß die verschiedenen Jesusvorstellungen häufig Elemente der Selbstdarstellung ihrer Autoren enthalten. 63 Das stellte bereits Albert Schweitzer in seiner Kritik an der liberalen Jesusliteratur fest, und das gilt nicht minder für die seitdem weitergegangene Jesusforschung. Ist diese Erkenntnis auch nicht neu, so hat sie doch eine bleibend wichtige Bedeutung. Wer immer sich mit neuen Jesusdarstellungen und -büchern beschäftigt, kann sich von ihr mit der nötigen Portion Skepsis ausstatten lassen, Skepsis vor allem gegenüber J esusdarstellungen, die »voll im Trend« sind. Das ist keineswegs nur bei populärer Jesusliteratur so, sondern kann auch bei wissenschaftlichen Werken der Fall sein. Auch sie gehören in eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Umfeld hinein und haben bestimmte Verstehensvoraussetzungen. Daß die Mehrzahl der neuen Jesusbücher die eschatologische Botschaft J esu eher herunterspielt, ist ja kein Zufall, sondern paßt in eine Zeit, die die Botschaft J esu vom Reich Gottes stärker ethisch und mit ihren gesellschaftlichen Implikationen als eschatologisch zu verstehen bereit ist.Je deutlicher aber eine J esusdarstellung mit gängigen gesellschaftlichen Leitbildern aus der Zeit der jeweiligen Autoren korrespondiert, um so mehr ist Vorsicht geboten, und zwar weniger im Blick auf das ernsthafte Bemühen, die Botschaft J esu für die Gegenwart zu verstehen, als vielmehr im Blick auf die historische Rekonstruktion. Eingleisige Erklärungsmodelle empfehlen sich nicht, weder in der wissenschaftlichen Diskussion noch dann, wenn sie darüber hinaus Eingang finden in Predigtmeditationen oder Unterrichtsentwürfe. Die Jesusüberlieferung ist vielgestaltig und in verschiedener Weise sperrig. Diese Sperrigkeit macht aber zugleich ihre Besonderheit aus, denn sie ist es, die in er Auslegungsgeschichte immer neue Verstehensbemühungen herausforderte und sie bis in unsere Gegenwart hinein provoziert. Eingängige Jesusdarstellungen, die im Trend liegen, er- 13 freuen sich zwar großer Beliebtheit, sie veralten aber auch schnell. Daß die Botschaft J esu bis heute aber offensichtlich nicht veraltet ist, liegt wohl nicht zuletzt daran, daß sie sich mit ihrer Perspektive der Gottesherrschaft bisher noch jedem Trend entzogen hat. Anmerkungen 1 Nr. 22 vom 27. 5. 1995; der Artikel folgt auf 64 ff. 2 Vgl. die Ausgabe vom 18. 12. 1995. 3 Den Photomontagen liegt das Gemälde von Rosalba Carriera, Der segnende Christus, zugrunde. 4 Wer eine Übersicht will, erhält umfassende Information in dem Sammelband von W. G. Kümmel, Vierzig Jahre Jesusforschung (1950-1990), (BBB 91), Königstein 1994 (706 Seiten! ), oder in der Bibliographie von C. A. Evans, Life of Jesus Research. An Annotated Bibliography (NTTS XIII), Leiden 1989, mit über eintausend Titeln. 5 Ich kann hier nur einige nennen: R. Heiligenthal, Der Lebensweg Jesu von Nazareth. Eine Spurensicherung, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1994; H. C. Kee, Was wissen wir über Jesus? , Stuttgart 1993; E. Schweizer, Jesus, das Gleichnis Gottes. Was wissen wir wirklich vom Leben Jesu ? , Göttingen 1995. 6 Um diesen populären Jesusbücher-Boom geht es hier nicht. Wer dazu Informationen sucht, sei verwiesen auf J. Dirnbeck, Die J esusfälscher. Ein Original wird entstellt, München/ Zürich 1996, und R. Heiligenthal, Der verfälschte Jesus. Eine Kritik moderner J esusbilder, Darmstadt 1997. 7 So vor allem bei dem Hauptvertreter des Rationalismus, H. E. G. Paulus, Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentum, Heidelberg 1828. »Die Evangelisten haben Wunder erzählen wollen. Daran ist nicht zu zweifeln. Wer wollte leugnen, daß Wunder zu ihrer Zeit im Plan Gottes lagen, sofern nämlich durch unerklärliche Tatsachen die Gemüter erschüttert werden sollten? Diese Wirkung aber ist vollbracht. In den vom Wundersamen entfernteren Zeitaltern, beim Fortrücken der Verstandesbildung unter den zum Christentum aufgeregten Nationen, muß die Verständigkeit befriedigt werden, wenn die Gültigkeit der Sache fortdauern soll« (zitiert nach A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung I, München/ Hamburg 1966, 90). Im übrigen finden sich bei Paulus und Bahrdt bereits die meisten der heute in vielen populären Jesusdarstellungen wieder vorgetragenen Behauptun- 14 gen zuJesu Herkunft, Kindheit und Jugend sowie zu den Ereignissen während und nach der Kreuzigung. 8 D. F. Strauß, Leben Jesu, 1835/ 36. Von hier aus war der Weg zu B. Bauer's geschichtlichem Jesus als Gegenstand der schriftstellerischen Reflexion (vgl. vor allem Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, Band 1-3, Leipzig 1841-1842) und zu A. Drews' Christusmythe vorgezeichnet (Die Christusmythe, Jena 1909; Die Christusmythe. Zweiter Teil, Jena 1911). 9 La vie de Jesus, Paris 1863. Ein Textabschnitt aus Renan's Buch ist abgedruckt bei M. Baumotte (hg.), Die Frage nach dem historischen Jesus. Texte aus drei Jahrhunderten (Reader Theologie), Gütersloh 1984, 87f. 10 Vgl. A.v. Harnack, Das Wesen des Christentums. Mit einem Geleitwort von W. Trillhaas, Gütersloh 2 1985, 43: »Das Reich Gottes kommt, indem es zu den einzelnen kommt, Einzug in ihre Seele hält, und sie es ergreifen. Das Reich Gottes ist Gottesherrschaft, gewiß aber es ist die Herrschaft des heiligen Gottes in den einzelnen Herzen, es ist Gott selbst mit seiner Kraft«. 46: »Das, was den Kern in der Predigt vom Reiche gebildet hat, blieb bestehen. Es handelt sich um ein Dreifaches. Erstlich, daß dieses Reich etwas Überweltliches ist, eine Gabe von oben, nicht ein Produkt des natürlichen Lebens; zweitens, daß es ein rein religiöses Gut ist der innere Zusammenhang mit dem lebendigen Gott; drittens, daß es das Wichtigste, ja das Entscheidende ist, was der Mensch erleben kann, daß es die ganze Sphäre seines Daseins durchdringt und beherrscht, weil die Sünde vergeben und das Elend gebrochen ist«. 11 J. Weiss, Die Predigt vom Reiche Gottes, Göttingen 2 1900; W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901. 4 1969; zu Schweitzer vgl. Anm. 7. 12 R. Buhmann, Jesus, München/ Hamburg 4 1970 (11926), 10. 13 Vgl. das Nachwort von W. Sehmithals in Bultmanns Jesusbuch, 153: »Wie sehr dies Buch eine Wende bedeutete, macht die kuriose Tatsache deutlich, daß es in 1. und 2. Auflage als erster Band einer Reihe erschien, die ,Heroen< betitelt war und mit Lebensbildern großer Persönlichkeiten fortgeführt wurde; der Verleger hatte offensichtlich als selbstverständlich angenommen, daß eine sinnvolle Darstellung der Erscheinung J esu auch diesen nur als religiösen Heros schildern könne«. 14 Bultmann, Jesus, 14: Wer dabei >»Jesus, für sich immer in Anführungsstriche setzen und nur als abkürzende Bezeichnung für das geschichtliche Phänomen ZNT 1 (1998) gelten lassen will, um das wir uns bemühen, dem ist es unbenommen«. 15 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 6 1970, 187-214, hier 213. Vgl. auch G. Bornkamm, Jesus von Nazareth (11956), hier zitiert nach der Auflage Stuttgart 1963, 2 lf.: »Vielmehr lassen sie, wenn auch in völlig anderer Art als Chroniken und Geschichtsdarstellungen sonst, die geschichtliche Gestalt Jesu in unmittelbarer Mächtigkeit vor uns sichtbar werden. Zu deutlich ist, was die Evangelien über Jesu Botschaft, seine Taten und seine Geschichte berichten, noch immer gekennzeichnet durch eine Echtheit, eine Frische und auch eine vom Osterglauben der Gemeinde nicht bewältigte Besonderheit, die unmittelbar auf die irdische GestaltJesu zurückweisen«. 16 H. Conzelmann/ A. Lindemann, Andreas, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 1977, 328. 17 Käsemann, Problem, 205. 18 G. Theißen, Der Schatten des Galiläers. Historische J esusforschung in erzählender Form, München 2 1987, 199. 19 C. G. Montefiore, The Synoptic Gospels, London 1909; J. Klausner, Jesus von N azareth, 1907 (deutsch Berlin 1934); R. Eisler, IHSOUS BASILEUS OU BA- SILEUSAS; Heidelberg 1929 / 30, L. Baeck, Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte, Berlin 1938. 20 D. Flusser, Jesus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1968. 21 Bruder Jesus. Der Nazarener m jüdischer Sicht, München 10 1987. 22 Er predigte in ihren Synagogen. Jüdische Evangelienauslegung, Gütersloh 1980 ( 4 1985); ders., Er wandelte nicht auf dem Meer. Ein jüdischer Theologe liest die Evangelien, Gütersloh 1984; ders., Wurde Gott Jude? Vom Menschsein Jesu, München 1987. 23 Vgl. hierzu die Rezensionen bei Kümmel (vgl. oben, Anm. 4), vor allem 119ff.126ff.236ff.561 ff. 24 Vgl. hierzu den Aufsatz von R. Heiligenthal, Die Wiederentdeckung der ethischen Predig Jesu. Anmerkungen zum jüdischen Jesusbild, in: Freiheit und Moral. Überlegungen zur verdrängten Verantwortlichkeit. Eine Freundesgabe für G. Altner und R. Borchert, hgg. R. Feldmeier, J. Kohn und T. M. Schneider, Neukirchen-Vluyn 1997, 41-55. 25 Neukirchen-Vluyn, 1993, 282 Seiten; der erste Teil des Buches erschien bereits 1973 in englischer Originalfassung. 26 München 2 1995, englische Originalausgabe 1991. 27 Vgl. 549: »Inklusiv nenne ich die( ... ) Tendenz, die ZNT 1 (1998) Sitten der Väter den hellenistischen so weit wie möglich anzupassen«. 28 Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang freilich der deutsche Titel des Werkes »Sohn Gottes«, der gänzlich andere Assoziationen weckt und zum Untertitel nicht recht paßt. Die englische Originalausgabe trägt übrigens sachgemäßer den Titel »The Historical Figure of Jesus«. 29 Herder, Freiburg 1993; Originalausgabe: Jesus a New Vision, San Francisco 1991. 30 Sanders, Sohn, 86. Andere Quellen, etwa die Schriften des J osephus, treten ergänzend hinzu. 3 1 Sanders, Sohn, 126. 32 Vermes,Jesus, 2. 33 Cross an, Jesus, 563-65. 34 Einen knappen Überblick über die Arbeit des sogenannten Jesus-Seminars gibt die Lektüre des Statements von R. W. Funk, Jesus befreien, in EvKomm 9/ 96, 512-515. Die charakteristische Veröffentlichung des Jesus-Seminars ist das von R. W. Funk, R. W. Hoover und dem Seminar herausgegebene Buch »The Five Gospels. The Search for the Authentie Words of Jesus«, New York: MacMillan 1993. Das »fünfte Evangelium« ist eben das Thomasevangelium. Neu ist dabei nicht der Rückgriff auf diese Schrift als solcher (bereits Joachim Jeremias hat sie für seine Gleichnisauslegung intensiv herangezogen: Die Gleichnisse Jesu, Göttingen, 10 1984(11947). Neu ist vielmehr die Auffassung des Jesus-Seminars, daß das Thomasevangelium früher anzusetzen sei (nämlich zwischen 50 und 60) als die kanonischen Evangelien und daß es deshalb als besonderer wertvolle Quelle für die Rekonstruktion der Lehre J esu heranzuziehen sei. 35 Borg, Jesus, 39. 36 Vgl. Crossan,Jesus, 27-35. 37 Anhand einer Durchsicht der ältesten Quellenschicht stellt er diejenigen Jesusworte seinem Werk voran, die seiner Auffassung nach Anspruch auf Authentizität haben (vgl. 12-26). 38 Sanders, Sohn, 98ff.124f. 39 »Die Evangelien überliefern Jesu Aussprüche und Taten in einer Sprache, die nicht seine eigene war ( ... ); jedes Stück Information wird von ihnen in einen Zusammenhang gestellt, der eine Erfindung seiner Anhänger ist( ... ) Selbst wenn wir wüßten, ob wir es mit seinen eigenen Worten zu tun haben, müßten wir doch immer noch befürchten, daß die Worte aus dem Kontext gerissen wurden« (Sohn, 20). 40 Sanders, Sohn, 152. 41 Vgl. ebd., 370ff. Bereits in Kapitel 2 »Das LebenJesu im Umriß« werden diese Ereignisse neben der Taufe 15 durch Johannes, der Sammlung von Jüngern und der Verkündigung des Königreiches Gottes eigens genannt. 42 Borg, Jesus, 35. 43 Cross an, Jesus, 317 ff. 44 Vgl. Crossan, Jesus, 351 ff.397 ff. 45 Crossan, Jesus, 387. 46 Borg, Jesus, 225. 47 Ebd., 222f. 48 49 50 51 52 53 Vermes, Jesus, 245. Borg, Jesus, 9. Crossan,Jesus, 553. G. Theißen/ A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen, 1996, 29. Vgl. Vermes,Jesus, 252. Borg will ein Bild des historischen Jesus vorbringen, das dem herrschenden wissenschaftlichen Bild erheblich widerspricht« (9). Crossan setzt sich mit seiner Methodik ausdrücklich von den den Zunftgenossinnen und -genossen ab, denen er methodisehe Schatzgräberei vorwirft (28). Vermes grenzt sich besonders vom christlichen Credo ab und will sich selbst mit der »einfachen, authentischen und historischen Bedeutung der Worte und Taten« Jesu beschäftigen (2). Und das Buch von Sanders bewegt sich »fern von modischen Spekulation und nahe den alten Quellen« (Klappentext). 54 J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/ New York 55 56 57 58 59 60 61 1996. Vgl. oben, Anm 50. Vgl. oben, Anm. 4. Becker, Jesus, 4. Vgl. Schweizer,Jesus, 10. Vgl. C. W. Hedrick, Thy Tyranny of the Synoptic Jesus, Semeia 44/ 1988, 1-8. Theißen/ Merz,Jesus, 70. Darauf macht mit Recht Klaus Berger aufmerksam: Wer war Jesus wirklich? , Stuttgart 2 1995, 19. 62 Theißen/ Merz,Jesus, 117. 63 Theißen / Merz, Jesus, 31. Theologie in QTB für Wissenschaft ' ' ' Kurt Erlemann Endzeiterwartungen im frühen Christentum UTB 1937, 1996, 204 S., DM 29,80/ ÖS 218,-/ SFr 27,50 UTE-ISBN 3-8252-1937-2 Der Band nimmt die neueste Apokalyptik-Welle zum Anlaß, grundsätzlich nach dem Informationsgehalt biblischer Endzeitaussagen zu fragen. Das umschließt unter anderem eine Funktionsanalyse sowie Überlegungen zum biblischen Zeitverständnis, zu den Rahmenbedingungen apokalyptischen Denkens und zu einem möglichen hermeneutischen Umgang mit apokalyptischen Texten. Kurz: Eine fundierte und längst überfällige Einführung in ein zentrales Thema frühchristlicher Verkündigung. GerfriedW. Hunold / ThomasLaubach(Hrsg.) Theologische Ethik Ein Werkbuch UTB 1966, 1998, ca. 350 S., ca. DM 36,80/ ÖS 269,-/ SFr 34,- UTB-ISBN 3-8252-1966-6 Wie ist christliches Handeln in einer weltlichen Welt möglich? Die Frage hat für alle Gewicht, denen das Christsein keine Belanglosigkeit bedeutet. Auseinandersetzungen, Standortsuche, Überzeugungsfindung sind angesagt. Das Buch will eine Arbeitshilfe auf diesem Weg sein. Es hat Werkcharakter. Dies bestimmt die theoretischen Einführungen und Überblicke ebenso wie die praktischen Anleitungen zum ethischen Argument. 16 Klaus Berger Theologiegeschichte des Urchristentums Theologie des Neuen Testaments UTB Große Reihe, 2., überarb. u, erw. Aufl. 1995, XXVI, 808 Seiten, geb. DM 78,-/ ÖS 569,-/ SFr 71,- UTB-ISBN 3-8252-8082-9 "Wer überhaupt die Frage stellt, was das Christentum einmal war, muß von nun an Bergers Buch durcharbeiten. Es ist durch Textnähe, Klarheit und Intelligenz ein Meilenstein in der Erforschung des frühen Christentums." Frankfurter Al/ gemeine Zeitung Franyois Vouga Geschichte des frühen Christentums UTB 1733, 1994, XIV, 287 S., DM 32,80/ ÖS 239,-/ SFr 30,50 UTE-ISBN 3-8252-1733- 7 "Der Verfasser hat mit seiner Geschichte des frühen Christentums eine beachtliche Leistung erbracht, die es verdient, daß sein Buch eine zahlreiche, es intensiv studierende Leserschaft findet." UTB FUR\v1SSEN SCHAFf Theologische Literaturzeitung Francke A. Francke Verlag· Postfach 2560 • D-72015 Tübingen ZNT 1 (1998)
