ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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1998
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Dronsch Strecker VogelDer wahre Jesus? Der historische Jesus im Spruchevangelium Q
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1998
James M. Robinson
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James M. Robinson Der wahre Jesus? Der historische Jesus im Spruchevangelium Q Das Thema »Der wahre Jesus« gab es bis zur Aufklärung überhaupt nicht, es sei denn, man wollte (als Monophysit oder Arianer oder Adoptionist) längst veraltete Häresien wieder auffrischen. Aber mit der Aufklärung, eigentlich mit dem Historizismus des 19. Jahrhunderts, stellte sich die Frage nach dem wahren Jesus als Frage nach dem historischen Jesus, d.h. als Frage nach einem neuen Zugang zu Jesus, eröffnet durch objektiv-historische Forschung statt nur durch Glaubensbekenntnisse. Wir kennen ja alle, sogar auswendig, den Jesus etwa des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Aber hier wird die Geschichte J esu, das, was er während seines Lebens gesagt und getan hat, völlig übergangen. Als entscheidend und heilsbedeutend wird nur angeboten: von der Jungfrau Maria geboren, unter Pontius Pilatus gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben. Was aber liegt dazwischen? Ist das nicht auch von Bedeutung? Hat nicht Jesus selbst gemeint, daß das, was er sagte und tat, Heilsbedeutung hatte? Hat das hinter dem Apostolikum stehende Kerygma von Kreuz und Auferstehung wirklich schon alles gesagt, was wir von der Bedeutung Jesu wissen wollen? Allerdings haben die Evangelisten selbst ihre Erzählungen von J esu Reden und Heilungen so auf das Kerygma hin zugeschnitten, daß die Botschaft von Kreuz und Auferstehung als Quintessenz des ganzen Auftretens J esu zu verstehen ist. Kann man sich die in den Evangelien doch bezeugten Einzelheiten also ersparen? Für die Modeme ist eine Gestalt, die historisch unzugänglich bleibt, irgendwie unwirklich. Es wäre eine Art moderner Doketismus, aus Ehrfurcht vor der Erhabenheit Jesu seine historische Wirklichkeit für unerforschlich zu erklären. So gab es im letzten Jahrhundert die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung von Reimarus bis zu Wrede, wovon Albert Schweitzer 1 so spannend geschrieben hat. Als man vor mehr als einem Jahrhundert dabei war, Jesus neu zu entdecken, mag es kein Zufall gewesen sein, daß man hinter den kanonischen Evangelien Matthäus und Lukas eine verschollene Spruch- ZNT 1 (1998) quelle entdeckte, die eben nicht so vom Kerygma von Kreuz und Auferstehung übermalt war, daß der historische Jesus zwar darin eingebettet, aber zugleich zugedeckt wurde. Vielmehr fand man in dieser Quelle, die wir abgekürzt Q nennen, die Sprüche Jesu ohne kerygmatische Übermalung. Hier kam der historische Jesus wirklich zur Sprache. Was hatte er also zu sagen? Diese Frage ist in unserer Zeit wieder akut geworden. In meinem allerdings nur vorläufigen Bericht beschränke ich mich auf die Spruchquelle Q, weil ich an deren kritischer Ausgabe z. Z. intensiv arbeite.2 Die erste Fassung eines kritischen Textes hat ein internationales Team von mehr als 40 Kollegen in den letzten 10 Jahren ausgearbeitet und in dem Journal of Biblical Literature Jahr für Jahr publiziert. 3 Wir haben eine enorme Datenbasis von wissenschaftlichen Meinungen zum Urtext der Spruchquelle, seit ihrer Entdeckung in Leipzig 1838, 4 gesammelt, sortiert und begutachtet. Diese Datenbasis, die schon jetzt auf Computer zugänglich ist, wird in einer Monographienreihe von etwa 31 Bänden bei Peeters in Leuven publiziert. Der erste Band erschien 1996, ein zweiter ist schon 1997 erschienen und drei weitere Bände sollen in Kürze folgen. 5 Daher verzichte ich hier auf Auseinandersetzungen mit solcher Literatur. Statt dessen biete ich sozusagen das vorläufige Ergebnis, so wie ich es sehe. In der nun folgenden Darstellung der Ergebnisse der Analyse von Q ist die im Entstehen begriffene einbändige editio critica zugrunde gelegt. Ich zitiere Q entsprechend der neuen kritischen Ausgabe nach lukanischen Kapitel- und Vers- Nummern.6 So muß ich auf den erzählenden Teil der Biographie J esu weitgehend verzichten, d. h. auf die Geburts-, Wunder-, Leidens- und Ostergeschichten, die in Q, wenn überhaupt, nur vereinzelt und nebenbei vorkommen, jedenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Doch ich beschränke mich auf Q in der Meinung, daß wir hier den sichersten Zugang haben zur Mitte dessen, was Jesus eigentlich wollte. 17 Nachdem die Q-Sprüche Jesu, die hinter der Redaktion des Matthäus und Lukas, ja sogar hinter der Redaktion des Spruchevangeliums selbst versteckt liegen, jetzt Wort für Wort wiederhergestellt worden sind, hat man den Eindruck, als könne man nun von Spruch zu Spruch gleichsam dem DenkenJesu folgen. Wenn wir die Evangelien lesen, wie sie uns vorliegen, sind die Sprüche Jesu so mit den Gedanken der Evangelisten selbst durchwirkt, daß man leicht Jesu »Faden« verliert. Selbstverständlich will ich nicht unkritisch übertreiben. Die ganze Problematik des Themas Historischer Jesus, die wir seit William Wrede und der Formgeschichte kennen, bleibt bestehen. Aber wie Bultmann in seinem Jesusbuch schon sagte, kann man mit Recht die älteste Schicht der Spruchüberlieferung mit dem Namen Jesus verbinden. 7 Vor einer Generation vertrat ich die Meinung der Schüler Bultmanns, wenigstens Jesu Existenzverständnis sei der existentialen Interpretation zugänglich. 8 Diese existentialistische Theologie ist heute vorbei, aber die Frage nach dem historischen Jesus besteht weiter. Doch mit dem Spruchevangelium können wir ganz unmittelbar auf Jesu Ideen stoßen. Diese Möglichkeit ist so aufregend, daß sich eine eingehende Beschäftigung damit auf jeden Fall lohnt. Jesus ist in Galiläa aufgewachsen, in einer kleineren Ortschaft, Nazara genannt. In Q 4,16 taucht die Schreibung Nazara auf, fast zum einzigen Mal in der ganzen Literatur der Antike. Doch es ist vielleicht in der Tat verständlicher, das Adjektiv Nazarenos von Nazara abzuleiten anstatt von Nazareth, das immer mit Theta oder Tau geschrieben wird. Die beste Analogie haben wir in der Ableitung Magdalena von Magdala und Gadarenoi von Gadara; so also Nazarenos von Nazara. Nachdem Jesus sich der apokalyptischen Botschaft des Johannes durch den Taufritus angeschlossen hatte, zog er von Nazara nach Kapharnaum um, wo er, wohl mit Hilfe anderer Anhänger des Johannes, sein Hauptquartier aufschlug. Hier fing er an, seine eigene Botschaft zu verkündigen, die sich weniger auf die apokalyptische Enderwartung des Johannes als auf die gegenwärtigen Früchte der Buße konzentrierte. Denn abgesehen von der Rede von den guten Früchten (Q 6,43), die bei Johannes apokalyptisch, bei Jesus aber weisheitlich verwendet wird, gibt es keine 18 James M. Robinson Prof. Dr. Dr.James M. Robinson, Jahrgang 1924, seit 1964 Professor für Religionswissenschaft an der kalifornischen Claremont Graduate University und Direktor des dortigen von ihm begründeten Institute for Antiquity and Christianity. Zur Zeit leitet er das International Q Project, dessen einbändige »Critical Edition of Q« 1m Jahr 2000 erwartet wird. Belegstelle, wo Jesus die Begrifflichkeit des J ohannes aufzunehmen scheint. Die Worte Jesu sind vor allem Anrede. Preßt man sie in theologische Sätze, werden sie automatisch umfunktioniert, um sie unserer Wissenschaftlichkeit, die wir für allein objektiv halten, anzupassen. So wird Jesus gezwungen, an uns persönlich vorbeizureden. Deshalb möchte ich in der folgenden Darstellung diese Art wissenschaftlicher Objektivität zunächst scheinbar beiseite lassen, nicht um sie preiszugeben, sondern um sie auf neue Art zum Tragen zu bringen. Was hat also Jesus selbst uns zu sagen? Q 12,22-31: Man soll sich nicht um sein eigenes Leben kümmern. Nehmt's von den Raben! Sie arbeiten nicht auf den Feldern und speichern nicht die Ernte in Scheunen, um im Winter noch genug zu essen zu haben. Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern, weil Gott für ihre Erhaltung sorgt. Ähnlich steht es mit den Lilien, die ihre Bekleidung nicht am Webstuhl zu produzieren brauchen,9 die aber doch an Pracht die glorreiche Bekleidung eines Königs Salomo weit übertreffen, weil Gott für ihre Bekleidung sorgt. Gott weiß ja schon, was ihr nötig habt! Ihr sollt euch genau so ZNT 1 (1998) auf Gott verlassen, sorglos ihm vertrauen. Das, was man normalerweise Gottesglaube nennt, ist nur kleingläubig, kaum besser, als was die Heiden an Religion haben. Mit den größten Anstrengungen werdet ihr sowieso euren Tod nicht hinausschieben können. So ist es vernünftiger, sich auf die Verwirklichung der Gottesherrschaft einzulassen, als sich um die eigene Lebenserhaltung zu kümmern. Was hieß es eigentlich, die Gottesherrschaft zu suchen? Matthäus legt die Gottesherrschaft hier so aus, daß er, als eine Art Glosse, »Gottesgerechtigkeit« hinzufügt (Mt 6,33). So spricht man von dem moralischen Interesse des Matthäus, wobei aber noch offen bleibt, ob ein solches Verständnis Jesus richtig bzw. vollständig ausgelegt hat. An einer anderen Stelle des Spruchevangeliums kommt fast dasselbe wie bei den Raben und Lilien noch einmal vor, eine Stelle, die man also als Auslegungshilfe heranziehen kann, nämlich Q 11,2-4, das Vaterunser. Dort wird die Bitte: »Dein Reich komme! « durch die Erweiterung der matthäischen Gemeinde noch einmal verständlich gemacht: »Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel«. Nun wird aber hier klar, daß das sogenannte moralische Interesse des Matthäus gerade nicht in einer moralischen Aufforderung an die Gemeinde zur Sprache kommt, sondern in einer an Gott gerichteten Bitte. Er soll seinen Willen auf Erden aufrichten! Die Gottesherrschaft ist es, die Gottes Willen, also seine Gerechtigkeit, auf die Erde bringt. Um diese können wir ihn nur bitten. Sicherlich wird er sie nicht errichten, solange die Menschen unter sich ungerecht handeln, aber davon ist zunächst nicht die Rede. Gott selbst soll seinen gerechten Willen durchsetzen. Die Auslegung der ersten Bitte, »Dein Reich komme! «, hatte in der Spruchquelle selbst mit dem Geben von Brot zu tun: Gib uns heute unser tägliches Brot. Hat dann das Reich Gottes vor allem mit Essen zu tun? Diese nicht nur für uns, sondern schon für Matthäus anstößige Frage hat ihn veranlaßt, am Anfang der Bergpredigt die Seligpreisungen der Armen und Hungrigen vor einer solchen materialistischen Auslegung abzuschirmen, indem er hinzufügt, es gehe um die geistlich Armen, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, nicht einfach um Bettler, ptochoi im vulgären Sinne. An diesem Punkt hat die Befreiungstheologie, die den Sitz im Leben seiner Worte ZNT 1 (1998) inmitten der Armen und Unterdrückten Südamerikas sah, den historischen Jesus ·besser verstanden. 10 Nicht weil sie besser oder würdiger sind, gelten ihnen die Seligpreisungen, sondern weil ihre Not größer ist. Wider allen äußeren Anschein sind sie die Seligen, in der Zuversicht, daß Gott für sie sorgt. Dem Vaterunser folgt unmittelbar eine Auslegung in Q selbst ( Q 11,9-13 ). Sogar ein irdischer Vater wird seinem Sohn weder einen Stein geben, wenn er um Brot bittet, noch eine Schlange, wenn er um Fisch bittet. Wieviel mehr dann der Vater vom Himmel! Ihr braucht ihn nur zu bitten, so wird, was ihr nötig habt, euch gegeben werden. Dieses Vertrauen ist es, was Jesus unter Glauben verstand. Dieses Mal ist es Lukas, der spiritualisiert: Gott wird den Heiligen Geist geben. Jesus aber hat versprochen, daß der Vater vom Himmel Brot und Fisch gibt. Dem Lebensstil J esu kommt man etwas näher, wenn man die Aussendungsrede genauer betrachtet. Hier geht es um die aktivsten Jünger Jesu. Diese, heute »Wanderradikale« genannt, 11 haben keinen Pfennig in der Tasche. Geldbeutel und Rucksack brauchen sie nicht, weil sie weder Geld noch Proviant mitnehmen (Q 10,4). Sie leben wie die Raben und Lilien auf dem Feld, oder wie die spottbilligen Sperlinge, die nie zur Erde fallen, ohne daß Gott es weiß (Q 12,7). Diese Jünger verlassen sich völlig ungeschützt auf Gott. Sie tragen keine Sandalen ( Q 10,4), vielleicht als Zeichen der Buße, vielleicht nur um zu bezeugen, daß sie schutzlos durchkommen. Sie sind nicht einmal mit einem Stock gegen wilde Hunde oder Räuber ausgerüstet. Sie gehen als Lämmer mitten unter die Wölfe (Q 10,3). Man soll keinen Widerstand leisten (Q 6, 29-30). Wenn euch einer auf die Wange schlägt, sollt ihr ihm auch die andere darbieten. Sogar der Dieb, der den Mantel wegreißt, soll auch das Hemd als Geschenk bekommen. Dem Bittenden gebt, was er nötig hat, und von dem, der borgt, verlangt nichts zurück. Gott wird nicht nur gebeten, uns zu vergeben, sondern auch wir sollen unseren Schuldnern die Schuld vergeben. Man soll die Feinde lieben, sogar für Verfolger beten (Q 6,27-28). Normalerweise ist man solchen Leuten gegenüber gütig, die einem notfalls mit Gegengaben helfen könnten. Aber ihr sollt euch nicht auf diese Weise Zöllnern und Heiden 19 angleichen, vielmehr sollt ihr Gott nachahmen, der regnen läßt und seine Sonne scheinen läßt auf Böse ebenso wie auf Gute. Auf diese Weise wird man Gottes Kind. Mit einem solchen Lebensstil scheint man im Alltag kaum Chancen zu haben. Allerdings stellte sich nachträglich heraus, daß z.B. im KZ gerade solche Leute bessere Chancen hatten, die sich zu kleineren Kreisen selbstloser Menschen zusammenschlossen. Wir agieren aber meist nicht als Hilfe des Nächsten, sondern als sein Schicksal, wie er auch unser Schicksal ist. Er hat nichts zu essen, weil ich mir das zusätzliche Brot aufgespeichert habe. Ich friere, weil er einen zusätzlichen Mantel im Rucksack verbirgt. Er hat keinen Pfennig, weil ich das Geld in meinem Geldbeutel für mich aufbewahre. Wir sind alle das Werkzeug des Bösen, wodurch das Leben für uns alle verdorben wird. Im extremen Falle der Blutrache, die zwischen Familien oder Ortschaften auch heute noch in manchen Teilen der Welt vorkommt, stimmen wir im allgemeinen darin überein, daß so etwas allen beiden Parteien nur schaden kann und also mit allen Mitteln verhindert werden muß. Doch in den weniger spektakulären Fällen, die unter normalen Umständen vor sich gehen, ist die entsprechende Selbstsucht, das Handeln im eigenen Interesse egal, was für Schaden dem Anderen dadurch zugefügt wird immer noch salonfähig in unserer ach so »zivilisierten« Kultur. Die Gottesherrschaft ist aber ganz anders. Ihr wollte Jesus mit seinem Kreis den Weg bahnen. Wie das in der Praxis zuging, ist verhältnismäßig eingehend in der Aussendungsrede beschrieben: Am Anfang, ehe es noch Sympathisanten oder gar Haus-Gemeinden gegeben hat, wo man mit Zuversicht einkehren konnte, sind die Q-Leute (und wohl Jesus selbst) barfuß und ohne Proviant von Ort zu Ort gegangen. Man klopfte an einer unbekannten Tür und sagte, falls die Tür überhaupt aufgemacht wurde, Schalom! (Q 10,5-6). Der Gruß war nicht gehaltlos gemeint, wie wir Guten Tag sagen, ohne eigentlich irgendein Interesse am Tag des Angesprochenen zu haben, und wie man damals und heute auch Schalom völlig gedankenlos sagen kann. Vielmehr, falls man Aufnahme fand, wurde der Hausherr »Sohn des Friedens« genannt, d. h. der in dem Schalom ursprünglich implizierte Segen ging auf ihn über. Wurde man 20 aber abgewiesen, kam der Segen auf den Anklopfenden zurück, der dann weiterziehen mußte, bis er irgendwo mit seinem Schalom empfangen wurde. Man aß, was einem vorgelegt wurde, sei es bescheiden, sei es reichhaltig. Asketen im technischen Sinne waren die Jesus- Leute nicht.Johannes verwendete als Bekleidung und Verpflegung nur das, was sozusagen direkt von der Natur geboten wurde, wie Mk 1,6 es beschreibt. Deswegen wurde er für verrückt, für besessen gehalten. Weder aß er Brot, noch trank er Wein (Q 7,33), im Unterschied zu Jesus (Q 7,34), der mit Weltkindern wie Zöllnern und Sündern am Tische saß. Als Fresser und Weinsäufer wurde er aber gleichfalls abgelehnt. Jesus lebte, was Bekleidung und Verpflegung betrifft, von dem, was Menschen, besonders Frauen, für ihn herstellten. Die Auslegung der Bitte »Dein Reich komme! « im Vaterunser selbst, nämlich: »Gib uns heute eine Tagesration Brot! «, wurde nicht durch von Himmel gefallenes Manna erfüllt, sondern durch Frauen, die, nach dem Rezept von Q 13,21, Sauerteig unter drei Scheffel Mehl verbargen, bis es ganz durchsäuert war, um im Backofen in Brot verwandelt zu werden. Solche ausgesandten Jesusleute, die, wie er, von Haus zu Haus zogen, hießen zu einer Zeit, als es noch keine Ämter wie Priester und Bischöfe gab, Arbeiter (Q 10,2.7). Was die Arbeiter an Verpflegung und Unterkunft bekamen, hatten sie verdient, erarbeitet. Ihre Arbeit bestand in dem, was sie den Hausbewohnern zu bieten hatten. Die Gegengabe zu der empfangenen Gastfreundschaft war der angebotene Friede. Er bestand in der Krankenheilung der Notleidenden, die mit dem zuversichtlichen Spruch begleitet wurde (Q 10,9): »Gottes Herrschaft hat sich euch genähert! « Hier geschieht also das, was man, in Sorglosigkeit wie die Raben und Lilien, suchen soll, und dessen Kommen man im Vaterunser erbitten soll. Ja, man braucht nur zu bitten, so wird einem gegeben, zu suchen, so wird man finden, zu klopfen, so wird einem aufgetan (Q 11,9). Man kann sich auf Gott als himmlischen Vater verlassen, so glaubte, praktizierte und verkündigte Jesus. Krankheit ist nicht gottgewollt, nicht Teil der Herrschaft Gottes. Krankheit ist vom Übel. Wenn die Krankheit durch auffallende Gesten und Geschrei begleitet wird, wie bei mondsüchtigen Geisteskranken und Epileptikern, wird sie auf Dämo- ZNT 1 (1998) nen, unreine Geister, zurückgeführt. Gott greift gerade hier besonders bemerkbar ein. Es geschieht durch seinen Finger, daß Dämonen ausgetrieben werden (Q 11,20), egal, ob Jesus oder eure Söhne als Exorzisten 12 funktionieren (Q 11,21). Jesus hat (wie andere Exorzisten) Gewalt über Dämonen, nicht weil er wie Faust im Bündnis mit ihrem obersten Beelzebul steht (Q 11,15), sondern weil Gott hier und jetzt mit seinem Finger herrscht (Q 11,22). Es geht darum, daß Gott eingreift: Brot stiftet, Kranke heilt, also herrscht. Die Bitten des Vaterunsers werden im Hause des Sohnes des Friedens erfüllt. Die Wirklichkeit des Todes wird nicht illusorisch verneint. In Trostworten wird er realistisch vorausgesetzt. Das Gras auf dem Feld, so schön es heute auch ist, wird morgen in den Ofen geworfen (Q 12,28). Die Sperlinge, die von Gott nie vergessen werden, fallen trotzdem zur Erde. Man wird ermuntert, sich vor dem leiblichen Tode nicht zu fürchten, damit man nicht vor lauter Angst sich selbst als Mensch verliert (Q 12,4), die größte Gefahr inmitten von Gewalt und Diktatur. Die Rede davon, daß man sein Kreuz auf sich nehmen muß (Q 14,27), setzt vielleicht den Tod Jesu voraus, der sonst in Q nicht ausdrücklich erwähnt wird. Aber die zwei anderen Sprüche derselben Spruchgruppe (bei Mt 10,37-39 noch zusammen) gehen eher auf Jesus selbst zurück: Man muß die eigene Familie hinter sich lassen, um die Sache J esu mitzumachen (Q 14,26). Nur wer sein Leben umJesu willen verliert, wird es wirklich retten (Q 17,33). Auch wenn Jesus seinen Tod wohl nicht im voraus prophezeit, wie es die als vaticinia ex eventu zu verstehenden wiederholten Leidensankündigungen des Markusevangeliums darstellen, kann man schwerlich annehmen, Jesus hätte nie an die Möglichkeit seiner Verfolgung oder sogar seiner Ermordung gedacht, obwohl das Spruchevangelium keine Leidensankündigungen bietet. Er war sicherlich innerlich bereit, den Tod auf sich zu nehmen. Wie geht das Spruchevangelium mit Jesu Tod um? Obwohl es in Q keine Leidens- oder Auferstehungsgeschichte gibt, führt diese Beobachtung doch nicht notwendigerweise zu dem Schluß, die Q-Leute hätten nichts von Jesu Schicksal gewußt ZNT 1 (1998) oder nie darüber nachgedacht. Es ist wohl kaum anzunehmen, sein Tod sei nicht schnell unter seinen Anhängern auch in den entlegensten Winkeln Galiläas bekannt geworden. Wäre es also nicht das einzig Sinnvolle gewesen, nach seinem Tode die ganze Sache als gescheitert anzusehen und aufzugeben? Jesus hatte versichert, »der Vater vom Himmel gibt Gutes denen, die ihn bitten« (Q H,13) und doch war sein letztes Wort, wenigstens nach Mk 15,34: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich im Stich gelassen? « Was gab es noch zu verkündigen? Das Spruchevangelium ist, überspitzt gesagt, selbst das Osterwunder! Buhmann hat das berühmt-berüchtigte Wort geprägt, Jesus sei ins Kerygma auferstanden. 13 Wir sollten nun vielleicht besser sagen: Jesus ist in sein eigenes Wort auferstanden. Die Auferstehung ist in der Q-Gemeinde sachlich dadurch bezeugt, daß sein Wort wieder zur Sprache kommt, nicht als eine wehmütige Erinnerung an den gescheiterten Wunschtraum eines edlen, aber wahnsinnig naiven Menschen, sondern als das immer noch bestehende bzw. wieder auflebende Wort des Vertrauens auf den himmlischen Vater, der, wie im Himmel, in aller Gerechtigkeit auch auf Erden herrscht und herrschen wird. Es gibt einige Q-Sprüche, die von einem solchen Auferstehungsglauben her eher verständlich werden. So heißt es (Q 12,3/ Mt 10,27): »Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was ihr hört im Ohr, das predigt auf den Dächern«. Hier scheint es, als hätte Jesus seine Verkündigung eher heimlich geflüstert, und die Propagierung seinen Jüngern überlassen. Wir würden es gerade umgekehrt erwarten! Vielleicht birgt ein solcher Spruch die Erinnerung, daß seine Botschaft gewalttätig unterdrückt und verdunkelt wurde, dann aber umso heller und lauter als Wirklichkeit zur Verkündigung kam. Ebenso steht es mit dem bald darauf folgenden Spruch über die unvergebbare Sünde (Q 12,10). Das Wort wird gewöhnlich so verstanden, daß, selbst wer den irdischen, vorösterlichen Jesus abgelehnt hat, noch nicht endgültig verworfen ist, da ihm eine neue Möglichkeit der Rettung durch die Verkündigung der mit dem Geist begabten Jünger der Q-Gemeinde geboten wird. In beiden Sprüchen wird die Verkündigung nach Jesu Tod für wirksamer und mehr bevollmächtigt gehalten als 21 die Verkündigung durch Jesus selbst. Hier kommt ein Osterglaube besonderer Art zur Sprache. Der Osterglaube des Spruchevangeliums hat also zunächst vor allem mit der Vollmacht der Sprüche Jesu zu tun, die nach seinem Tode nicht entwertet wurden, sondern erst recht in Kraft getreten sind. In dieser Hochschätzung der Sprüche liegt die »Christologie« des Spruchevangeliums. Darum bedarf es keiner christologischen Titulaturen, die uns unterdessen so unentbehrlich scheinen. »Warum nennt ihr mich Herr, Herr! und tut nicht, was ich euch sage? « Damit wird der Schluß der Inaugural-Rede in Q (Q 6,46) eingeleitet. Darauf folgt das Doppel-Gleichnis vom Haus, das auf einem guten bzw. schlechten Fundament gebaut wird (Q 6,47-49). Jeder, der meine Worte hört und sie tut, wird im Endgericht bestehen! Nicht der Hohepriester im Tempel zu Jerusalem oder die Taufe des Johannes im Jordan-Fluß bringen das endgültige Heil, sondern die Beibehaltung der Worte Jesu, wie sie im Spruchevangelium aufbewahrt sind allerdings unter der Bedingung, daß sie wirklich eingehalten werden! Die Eschatologie des Spruchevangeliums besteht wesentlich darin, daß in der allgemeinen Auferstehung ein jeder nach seinen Werken beurteilt werden wird, wie es in der Antike und im Judentum allgemein angenommen wurde, sogar von Paulus (II Kor 5,10). Weil alle gleichzeitig auferstehen, wird der eine die Beurteilung des andern anhören und gegebenenfalls sogar beeinflussen (Q 11,31-32): »Die Königin des Südens wird auftreten vor Gericht mit den Menschen dieses Geschlechts und sie verdammen; denn sie kam von der Welt Ende zu hören die Weisheit Salomos. Und siehe, hier ist mehr als Salomo. Die Leute von Ninive werden auftreten vor Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jonas. Und siehe, hier ist mehr als Jonas.« Eure Söhne, die Exorzisten sind, werden eure Richter werden (Q 11,19). Diejenigen, die Jesus gefolgt sind, werden die zwölf Stämme Israels richten (Q 20,30). So werden sich Leute zu ihrer Verteidigung vor Gericht auf ihre Verbindung mit Jesus berufen und versuchen, ihn für ihre Rettung in Anspruch zu nehmen (Q 13,26-27): »Wir haben mit dir gegessen und getrunken, und auf unseren Straßen hast du gelehrt. Doch er wird sagen: Ich weiß 22 nicht, woher ihr seid. Weichet alle von mir, ihr Übeltäter! « Hier haben wir es nicht mit dem Menschensohn als Richter im Endgericht zu tun, sondern mit Jesus als dem entscheidenden Zeugen. Er legt Zeugnis ab für bzw. gegen Leute, die sich auf ihn berufen. Doch sichert er immerhin zu (Q 12, 8-9): »Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Sohn des Menschen bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.« Auch hier ist Jesus selbst nicht Richter, sondern Zeuge. Richter sind bei Lukas (12,8-9) die Engel; bei Matthäus (10,32-33) ist es der himmlische Vater. Die Bedeutung der Christologie des Spruchevangeliums für uns ist von dieser eschatologischen Aussage her zu beurteilen. Wenn das Zeugnis J esu mein Schicksal entscheidet, weil weder Gott noch die Engel sein Zeugnis ablehnen werden, dann ist es wirklich belanglos, unter welchem Titel - oder mit welcher Titellosigkeit das geschieht. Entschieden ist entschieden! Im Verlaufe der christologischen Entwicklung wird dann allerdings Jesus selbst als Richter verstanden. Indem sein existentielles Zeugnis verobjektiviert wird, vertritt oder ersetzt er Gott bzw. die Engel. Im Spruchevangelium ist diese Entwicklung höchstens angedeutet, wenn Jesus am Ende von Q denen, die ihm gefolgt sind, zusagt, daß sie auf Thronen sitzend die zwölf Stämme Israels richten werden (Q 22,30). Doch ist damit immer noch die Nicht-Exklusivität seiner Rolle als Richter vorausgesetzt. Die Spuren der späteren Christologie sind schon vorgezeichnet, aber noch nicht ausgesprochen. Darum ist das Spruchevangelium so spannend, sowohl für Laien, als auch für Theologen! Gibt es einen Weg vom Jesus des Spruchevangeliums zu uns? Wenn das Spruchevangelium uns einen Einblick in das Handeln und Denken J esu ermöglicht, wie kann das in unserem Leben zum Tragen gebracht werden? Q ist als lesbares Dokument längst verschollen. Seit dem ersten Jahrhundert hat man diesen Text nicht mehr in der Hand gehabt. Ist nicht der wahre Jesus damit auch vergangen? Der historische Jesus, so wie ich ihn anhand des Spruchevangeliums darzustellen versucht habe, ZNT 1 (1998) war nicht nur in einer gewissen Weise weltfremd er ist uns immer noch fremd! Wir wollen uns doch aber als seine Jünger verstehen dürfen, als seine Kirche; wir wollen ihn als unseren Herrn anerkennen. Die immer wieder unternommenen Versuche, einen Bogen von Jesus zu Paulus, und von da zu unserer kirchlichen Wirklichkeit zu spannen, sind mehr oder weniger gescheitert. Vielleicht liegt das daran, daß Paulus eigentlich der am wenigsten Geeignete ist, uns Jesus selbst nahezubringen, denn er hat ihn nicht gekannt. Es gibt aber durchaus einen geeigneten Weg, einen, den das Frühchristentum auch gegangen ist: Ich meine den Zweig des Frühchristentums, der sich im Matthäus-Evangelium widerspiegelt. In neuerer Zeit hat man empirisch gefragt, an welchen neutestamentlichen Schriften die frühchristlichen Gemeinden das größte Interesse hatten. Welches Buch wurde am meisten abgeschrieben und zitiert? Überraschenderweise ist es gerade das Matthäusevangelium, von dem die meisten alten Handschriften erhalten sind. Dieser Text hat zugleich auch die anderen Texte am meisten korrumpiert, weil die Abschreiber ihn am besten, ja fast auswendig kannten. Auch der in der patristischen Literatur am häufigsten zitierte Text ist das Matthäusevangelium. Das Christentum, das Schritt für Schritt das Römische Reich erobert hat, war der matthäische Zweig des Urchristentums, nicht der paulinische. Es war ein Christentum der Barmherzigkeit und Wohltätigkeit, das die einfachen Leute bekehrte, nicht ein Christentum der philosophisch ausgewiesenen neuplatonischen Theologie. Das Christentum ist zur Massenbewegung vor allem durch das Matthäusevangelium geworden. Es ist Aufgabe der Exegese, den Weg vom historischen Jesus zum kanonischen Matthäus- Evangelium verständlich zu machen, um den Weg von Jesus zu uns zu eröffnen. Hier stoßen wir aber auf Neuland. Die Kirchengeschichte ist immer den Weg über Paulus gegangen. Die Bewegung, die Jesus in Galiläa entzündet hat, wird schon seit der Apostelgeschichte weitgehend totgeschwiegen. Hier ist nur einmal nebenbei eine Kirche in Galiläa erwähnt (Apg 9,31). Paulus weiß fast nichts von J esu Worten und einer auf diesen Worten fussenden Religiosität - oder will nichts davon wissen. Auch in der Apostelgeschichte wird so etwas nicht vorausgesetzt. Jesus ist ja gen Himmel gefah- ZNT 1 (1998) ren, und der Heilige Geist leitet seit Pfingsten die Kirche. Die Kirche der Apostelgeschichte lebte nicht mehr von den Worten Jesu. Sie sind im Lukasevangelium begraben wie in einem Archiv. Die Berührungen des Matthäusevangeliums mit dem Spruchevangelium dagegen sind so auffällig, daß Ulrich Luz in seinem großangelegten vierbändigen Matthäus-Kommentar die These aufstellt, die matthäische Gemeinde sei ein Ausläufer der Q- Gemeinde.14 Es ist heute die Aufgabe, die geläufige paulinische Kirchengeschichte mit einer Kirchengeschichte zu ergänzen, die von Jesus über das Spruchevangelium zu Matthäus führt, d. h. von Galiläa bis nach Antiochien ohne den Umweg über Damaskus. Denn das wahrscheinlich aus der Umgebung von Antiochien stammende Matthäus- Evangelium ist wohl in einer Q-Gemeinde entstanden, die längere Zeit in Galiläa blieb (weil man nicht die Wege der Heiden, d.h. nicht in die Städte der Samaritaner, sondern nur zu den verlorenen Schafen Israels gehen sollte), dann aber doch, vielleicht erst im Rahmen des römischen Krieges der sechziger Jahre, nach Syrien (Mt 4,21) geflüchtet 1st. So möchte ich abschließend vier Stadien oder Schichten benennen, zwei im Spruchevangelium und zwei im Matthäusevangelium, die vom historischen Jesus zur neutestamentlichen Kirche des Matthäusevangeliums führen, 15 und dadurch zu uns hinüberleiten. 1. Schicht: Alte Sammlungen von Sprüchen Jesu, die seine Jünger schon vor Q zusammenstellten. 2. Schicht: Die Redaktion des noch judenchristlichen Spruchevangeliums selbst. 3. Schicht: Die erste, allerdings zurückhaltende Aufnahme des heidenchristlichen Markusevangeliums in das Spruchevangelium durch die Kapitel 3-11 des Matthäusevangeliums. 4. Schicht: Die vollständige Aufnahme des Markusevangeliums in das durch den Missionsbefehl des Auferstandenen heidenchristlich gewordene Matthäusevangelium, das der Jesus- Überlieferung in der Großkirche einen festen und bleibenden Platz gesichert hat. 23 Zur 1. Schicht: Die Sammlung von Jesussprüchen, die bei Lukas Feldrede, bei Matthäus Bergpredigt genannt wird, ist eine alte Sammlung, die ursprünglich als eine kleinere Einheit für sich komponiert wurde, mit Makarismen als Einführung und Ermahnungen, seine Worte auch zu tun, als Schluß. Dazwischen liegen die Feindesliebe, das Hinhalten der anderen Wange, das Wegschenken des Hemdes und die Vergebung der Schulden. Daneben gab es eine andere kleine Einheit mit Vaterunser und dem Gebets-Kommentar über den Vater, der dem bittenden Sohn weder Steine noch Schlangen gibt. Eine weitere kleine Gruppe bildeten die Raben und Lilien. Diese drei kleinen Sammlungen gehörten sachlich so eng zusammen, daß sie von Matthäus als Bergpredigt sekundär zusammengefügt wurden. Dann gab es die Aussendungsrede, mit den Verhaltensmaßregeln für die Mission der Q-Leute. Aus solchen ältesten Sammlungen ergibt sich also das Bild des historischen Jesus, das wir am Anfang beschrieben hatten. Zur 2. Schicht: Die Q- Redaktion hat das Spruchgut J esu, einschließlich dieser kleineren Sammlungen, in zwei Hinsichten ediert. Einmal hat sie das deuteronomistische Geschichtsverständnis des Alten Testaments aufgegriffen, wonach Gott die Zerstörung Jerusalems zuließ, nicht aus Untreue, sondern weil Israel Gottes Propheten abgelehnt, ja sogar getötet hatte, statt auf sie zu hören. Nach Ansicht der Q- Redaktion ist das jetzt wieder geschehen: Das Heilsangebot Jesu wurde weitgehend abgelehnt; also hat Gott sein Haus in Jerusalem verlassen und es den Römern übergeben (Q 13,35). Das Gericht wird wieder über »dieses Geschlecht« proklamiert (Q 7,31; 11,29-32.50-51). Die Q-Redaktion muß also zur Zeit der Belagerung Jerusalems in den sechziger Jahren angesetzt werden. 16 Ein weiteres Anliegen der Q- Redaktion war das Bestreben, den Spruch des Johannes (Q 3,16) über den »Kommenden«, der Gericht halten wird, von Gott auf Jesus umzudeuten (Q 7,31). Der Redaktor hat den ersten Teil der Spruchquelle so organisiert, daß Johannes den Kommenden vorhersagt (Q 3,16), der Jesajazitate aufgreifend, die Kranken heilen und den Armen das Evangelium verkündigen wird (Q 7,22). Mit der dazwischen liegenden Bergpredigt (Q 6,20-49) und der Heilung des Sohnes des Hauptmanns von Kapharnaum (Q 7, 1-10), repräsentativ für alle anderen 24 Heilungen, tut Jesus genau das und erweist sich auf diese Weise überzeugend als der vorausgesagte Kommende (der als der zukünftig Kommende noch Q 13,35 erwähnt wird). Dieses so vervollständigte Spruch-Evangelium hat vielleicht einige Täuferjünger bekehrt, aber längst nicht die erhoffte Bekehrung Israels erwirkt. Das Spruchevangelium endet statt dessen mit der Zuversicht, daß die Jünger Jesu die zwölf Stämme Israels richten werden. Die Hoffnung auf die Bekehrung Israels wird stillschweigend aufgegeben. Dieses negative Urteil über Israel ist aber nicht das letzte Wort. Zur 3. Schicht: Die kleine Q-Gemeinde mußte sich irgendwie in Verbindung setzen mit der viel erfolgreicheren heidenchristlichen Kirche. Das geschah wohl, als der Überrest dieser judenchristlichen Gemeinde nach dem Kriege in Antiochien eine Verbindung mit der heidenchristlichen Gemeinde einging, die das Markus-Evangelium benutzte. Wie verzweifelt die Q-Gemeinde versuchte, in dieser Verbindung ihre judenchristliche Vergangenheit zu retten oder wenigstens zu rechtfertigen, davon legen die Kapitel 3-11 des Matthäusevangeliums Zeugnis ab. Zur 4. Schicht: Dieser Versuch ist letzten Endes aber doch gescheitert. So übernahm die Q-Gemeinde, die wir jetzt schon eher Matthäus-Gemeinde nennen sollten, das heidenchristliche Markus- Evangelium, wie Mt. 12-28 ausweist, und rechtfertigte diesen Übergang zum Heidenchristentum mit dem weltweiten Missionsbefehl des Auferstandenen. So hörte das Judenchristentum als selbständige Größe praktisch auf zu existieren, doch die beibehaltene judenchristliche Botschaft ging so in die paulinisch-markinische Großkirche ein. Damit bleiben für uns Jesu Worte trotz allem zugänglich, so daß die Kirche noch heute auf Jesus hören kann. Das aber gerade ist es, was sie nach meiner Meinung auch tun soll! Anmerkungen 1 Siehe meine (allerdings kritische) Einleitung in: A. Schweitzer, Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, München und Hamburg 1966, 7-24. 2 Um die Jahrtausendwende erscheint The Critical Edition of Q in a Synopsis Including the Gospels of Matthew and Luke, Mark and Thomas, with Eng- ZNT 1 (1998) lish, German and French Translations of Q and Thomas, hgg. von J. M. Robinson, P. Hoffmann und J. S. Kloppenborg (Volume Editor: M. C. Moreland), Leuven. 3 JBL 109 (1990) 499-501; 110 (1991) 494-498; 111 (1992) 500-508; 112 (1993) 500-506; 113 (1994) 495-499; 114(1995)475-485; 116(1997)521-525. 4 C.H. Weiße, Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet, 2 Bände, Leipzig. 5 Documenta Q: Reconstructions of Q Through Two Centuries of Gospel Research, Excerpted, Sorted and Evaluated, hgg. von J. M. Robinson, P. Hoffmann und J. S. Kloppenborg (General Editors). In 1996 sind die ersten beiden Bände dieser Reihe schon erschienen: Q 11: 26-4, The Lord's Prayer; und Q 4: 1-13,16, The Temptations of Jesus; Nazara. 1997 sind zwei Bände schon im Druck: Q 12: 49-59, Children against Parents; Judging the Time; Settling out of Court; und Q 12: 8-12, Confessing and Denying; Speaking against the Holy Spirit; Hearings before Synagogues. Auch noch für 1997 steht in Vorbereitung: Q 22: 28,30, Judging the Twelve Tribes of Israel. 6 Diese Verfahrensweise wurde zuerst von mir eingeführt: The Sermon on the Mount/ Plain: Work Sheets for the Reconstruction of Q, SBL.SP 22 (1983) 451-454. Sie hat sich mittlerweile weitgehend durchgesetzt. 7 R. Bultmann,Jesus, Tübingen 1926, 16: »Als der Träger dieser Gedanken wird uns von der Überlieferung Jesus genannt; nach überwiegender Wahrscheinlichkeit war er es wirklich. Sollte es anders gewesen sein, so ändert sich damit das, was in dieser Überlieferung gesagt ist, in keiner Weise. So sehe ich auch keinen Anlaß, der folgenden Darstellung nicht den Titel der Verkündigung Jesu zu geben und von Jesus als dem Verkünder zu reden. Wer dieses ,Jesus< für sich immer in Anführungsstriche setzen und nur als abkürzende Bezeichnung für das geschichtliche Phänomen gelten lassen will, um das wir uns bemühen, dem ist es unbenommen.« 8 J. M. Robinson, Kerygma und historischer Jesus, übersetzt von H.-D. Knigge, Zürich und Stuttgart 1960 (2., erweiterte Aufl. 1967). 9 Schon der Text von Q (» ... wie sie wachsen ... «) ist korrumpiert worden. Codex Sinaiticus''· las zu Mt 6,28 » ... weder krempeln ... «, eine Lesart, die auch durch das Thomas-Evangelium Spruch 36 (P. Oxy. 655) bestätigt wird: » ... Um vieles besser seid ihr als die Lilien, welche weder krempeln noch spinnen. Und kein Kleid habend, was werdet ihr euch anziehen ihr? Wer könnte zufügen eurem Lebensalter? Er selbst wird euch euer Kleid geben! « Die wohl ur- ZNT 1 (1998) sprüngliche Lesart »nicht krempeln« statt »wachsen« kann nur auf eine hinter Q liegende Urquelle zurückgehen, weil der korrumpierte Text auch bei Lk 12,27 vorkommt, also schon bei Q vorauszusetzen ist, wie im einzelnen ausgearbeitet worden ist in dem Aufsatz von J. M. Robinson und C. Heil, Zeugnisse eines schriftlichen, griechischen vorkanonischen Textes: Mt 6,286 t\ P. Oxy. 655 I,1-17 (EvTh 36) und Q 12,27, der wohl ZNW 89 (1998) erscheint. 10 J. M. Robinson, The Jesus of Q as Liberation Theologian, in: The Gospel Behind the Gospels: Current Studies on Q, hg. von R. A. Piper, Supplements to Novum Testamentum 75; Leiden, New York, Köln 1995. 259-274. 11 G. Theißen, Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worte Jesu im Urchristentum, ZThK 70 (1973) 245-271, Neudruck in ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums (WUNT 19) Tübingen 1979, 79-105. 12 H. Stegemann (Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus: Ein Sachbuch, Freiburg, Basel, Wien 1993 [ 3 1994], 327-328) will Jesus nicht unter die damaligen »Exorzisten« rechnen: »Für diese Arten von Wunder gab es keinerlei Technik, die Jesus von den Essenern oder anderen Zeitgenossen hätte erlernen können. ( ... ) Für Jesus waren die Ereignisse, daß Dämonen ohne jedwede Art von Exorzismus wichen, eindeutiges Zeichen dafür, daß Gott selbst wieder auf Erden wirkte. ( ... ) Wie sein Wort vom ,Finger Gottes< und die Wunderberichte der Evangelien zeigen, ging Jesus zwar davon aus, persönlich in dieses Gotteshandeln einbezogen zu sein, betrachtete es aber nicht als grundsätzlich an seine Person gebunden. Vielmehr war er dessen gewiß, daß allerorten im Heiligen Land Gleiches geschähe, nämlich daß ohne die Anwendung exorzistischer Praktiken Dämonen wichen.« Auch wenn exorzistische Praktiken ab und zu Jesus zugeschrieben wurden, hat Jesus das Austreiben der Dämonen nicht an seine Person gebunden verstanden, wie Q 11,21 zeigt. So bin ich mit der Darstellung Stegemanns einverstanden, im Unterschied zu den landläufigen Darstellungen, die die Dämonenaustreibungen gegen den offenkündigen Sinn dieser Stelle unbedingt christologisch auslegen wollen. Ob man Jesus die Bezeichnung »Exorzist« absprechen will, ist eher eine Geschmacksfrage. 13 R. Buhmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jahrgang 1960, 3. Abhandlung, Heidelberg 1960, 27: »Mehrfach und meist als Kritik wird gesagt, daß nach mei- 25 ner Interpretation des Kerygmas Jesus im Kerygma auferstanden sei. Ich akzeptiere diesen Satz. Er ist völlig richtig, vorausgesetzt daß er richtig verstanden wird. Er setzt voraus, daß das Kerygma selbst eschatologisches Geschehen ist; und er besagt, daß Jesus im Kerygma wirklich gegenwärtig ist, daß es sein Wort ist, das den Hörer im Kerygma trifft.« 14 U. Luz, Matthäus, EKK 1 / 1, 66: »Wir vertreten deshalb die These, daß das Matthäusevangelium aus einer Gemeinde stammt, die von den wandernden Boten und Propheten des Menschensohns der Logienquelle gegründet worden ist und weiter im engen Kontakt mit ihnen steht. Die Überlieferungen von Q spiegeln also für die Gemeinde Erfahrungen aus ihrer eigenen Geschichte. Sie sind ,eigene< Traditionen.« 15 J. M. Robinson, The Matthean Trajectory from Q to Mark, in The Bible and Culture: Ancient and Modem Perspectives, hg. von A. Y. Collins, SBL Symposium Series, Atlanta, erscheint 1998. 16 0. H. Steck (Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum (WMANT 23), Neukirchen-Vluyn 1967, 237-239) datiert Q 13,34-35 während des jüdischen Krieges 66-70. Aber diese Stelle wurde Q nicht zugerechnet, 283, Anm. 1, weil Steck Q früher datierte, wie es damals in Heidelberg üblich war. D. Lührmann, Die Redaktion der Spruchquelle (WMANT 38) Neukirchen-Vluyn 1969, 44, Anm. 5 hat diese Schlußfolgerung nicht akzeptiert, und (88) eine Datierung von Q in den SOer oder 60er Jahren zugestanden, wie heute oft angenommen wird. Diese Spätdatierung der Redaktion von Q habe ich weiter untermauert, The Sequence of Q: »The Lament over Jerusalem«, in: Von Jesus zum Christus - Christologische Studien für Paul Hoffmann, hgg. von U. Busse and R. Hoppe, Berlin und New York, erscheint 1998. Theologie- Neuerscheinungen ETHIK UND IDENTITÄT Thomas Laubach (Hrsg.) Ethik und Identität Festschrift für Gerfried W. Hunold zum 60. Geburtstag 1998, 270 S., DM 78,-/ ÖS 569,-/ SFr 74,- ISBN 3-7720-2188-3 Das zunehmende Interesse der Moralphilosophie wie der Theologischen Ethik an Fragen der Identität verdankt sich vielfachen Herausforderungen. Der Band greift diese auf und wendet sich drei Themenkomplexen zu: 1. der Grundfrage nach der Bedeutung der Identität für die Ethik, 2. den historischen und systematischen Grundlagen der Auseinandersetzung mit diesem Spannungsverhältnis und 3. ausgewählten Problembereichen der angewandten Ethik. Ulrich Bogun Darstellendes und wirksames Handeln bei Schleiermacher Zur Rezeption seines Predigtverständnisses bei F. Niebergall und W. Jetter 1998, 270 Seiten, DM 68,-/ ÖS 496,-/ SFr 65,- ISBN 3-7720-2189-1 Die Studie bietet einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte Schleiermachers (1768-1834) im Bereich der Homiletik. Sie verfolgt das Ziel, Schleiermachers Predigtkonzept für die Modeme fruchtbar zu machen und greift dazu auf die Predigtgeschichte zurück. Michael Haspel Politischer Protestantismus und gesellschaftliche Transformation Ein Vergleich der Rolle der evangelischen Kirchen in der DDR und der schwarzen Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung in den USA 1997, 376 Seiten, DM 96,-/ ÖS 701,-/ SFr 86,- ISBN 3-7720-2179-4 - A. Francke Verlag Tübingen und Basel• Postfach 2560 • D-72015 Tübingen 26 ZNT 1 (1998)
