eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 1/1

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
1998
11 Dronsch Strecker Vogel

Echte Jesusworte?

61
1998
Roman Heiligenthal
znt110048
Echte J esusworte? Eine Einführung zur Kontroverse Klaus Berger versus Walter Sehmithals Die Frage, ob es uns heute noch möglich ist, zwischen authentischen Worten Jesu und späteren Gemeindetraditionen methodisch begründet unterscheiden zu können, gehört zu den spannendsten Fragen, die in der neutestamentlichen Wissenschaft diskutiert werden. Denn es geht im Kern darum, ob wir heute noch ein Bild des Menschen Jesus von Nazareth zeichnen können, das sich der historischen Realität annähert. In dieser Diskussion steht spätestens seit Rudolf Bultmann die theologische Grundsatzentscheidung im Hintergrund, ob die methodisch kontrollierte Rückfrage nach dem historischen Jesus überhaupt Gegenstand christlicher Theologie sein kann, oder aber ob der Mensch Jesus von Nazareth lediglich zu den Voraussetzungen christlicher Theologie gehört. Zur Information des Lesers möchte ich einleitend Argumente vorstellen, die für die theologische und historische Notwendigkeit eines Rückbezugs auf den historischen Jesus sprechen: a. Das wirkungsgeschichtliche Argument: Das Christentum wurde durch seine gesamte Geschichte besonders auch an entscheidenden Schnittstellen durch die Lebensspuren des historischen Jesus beeinflußt, ja geprägt. Die »Imitatio Christi« war immer auch zu großen Teilen eine »Imitatio Jesu«. Auch wir stehen in der Wirkungsgeschichte des historischen Jesus. Sie und die Tradition sperren sich gegen eine historische und theologische Ausblendung des historischen Jesus. b. Das Ursprungsargument: Der Ursprung des Christentums ist nicht ein Kerygma der Gemeinde, sondern ein konkret faßbares historisches Ereignis: das Wirken und Sterben des Menschen Jesus von Nazareth. c. Das Verarmungsargument: Die Vielfalt neutestamentlicher Aussagen, Theologien und Lebenswirklichkeiten werden mit der Reduktion auf Bekenntnissätze nicht erfaßt. Der historische Jesus schützt vor einem »Kanon im Kanon«. d. Das Quellenargument: dieses Argument hat zwei Aspekte: das Selbstverständnis der Quellen und ihre heutige Beurteilung aus wissenschaftlicher Perspektive. Martin Hengel hat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß der von Karl Ludwig 48 Schmidt gezogene Graben zwischen antiker Biographie und den Evangelien wohl zu tief gezogen ist. 1 Die Evangelien, nicht nur Lukas, hatten ein gemeinsames Interesse, die Geschichtlichkeit der Botschaft von der Erlösung im Lebensweg Jesu von N azareth zu manifestieren. Dies zeigt schon der recht große, wenn auch in Einzelheiten variierte Grundbestand an historischen Begebenheiten in den Evangelien. e. Das Argument personaler Kontinuität: Es ist ein unbestreitbares Faktum, daß die Jünger Jesus, insbesondere natürlich die Apostel, in persönlichem Kontakt zu Jesus standen. Sie sind die historischen Garanten für eine eigenständige Jesusüberlieferung. Jesus teilte mit ihnen seine messianische Hoheit. »Nach den Basileia-Aussagen der Jesusüberlieferung hat die Gottesherrschaft nicht nur in einem einzelnen ihren Repräsentanten, sondern in mehreren. Jesus versteht sich nicht exklusiv als der, der die Königsherrschaft Gottes bringt, sondern teilt seine Vollmacht anderen mit. Die Berufungs- und Aussendungsüberlieferungen bringen das zum Ausdruck. «2 Jesus läßt seine von ihm berufenen Nachfolger an seinem Messianismus partizipieren. 3 Das Israellogion in Mt 19,28/ Lk 22,28-30 spricht sogar von der Inthronisation der Jünger im eschatologischen Gericht. Gerd Theißen kann in diesem »Gruppenmessianismus« den Ursprung der Kirche im Jüngerkreis sehen. 4 Es bedarf schon eines hohen Maßes argumentativen Aufwands zu belegen, daß die Apostel und Jünger ihre nachösterliche Glaubenserfahrung unter Absehung ihrer vorösterlichen Erfahrungen verstanden und überlieferten. Was konnte Petrus über seinen Auftrag sagen: »Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem« (Apg 10,39). Auch Paulus beanspruchte die Bevollmächtigung zu Zeichen, Wundern und Kräften als Kennzeichen des Apostels für sich (II Kor 12, 12) und stellt sich damit in eine hinter Ostern zurückreichende Kontinuität. f Das Argument der Einheit von Kerygma und Didache: Als Paulus nach Ephesus kam, traf er dort auf Apollos, »der unterwiesen war im Weg des Herrn« (Apg 18,25). Pris- ZNT 1 (1998) zilla und Aquila unterwiesen ihn hierin weiter (18,26). Aufgrund dieser Unterweisung konnte er dann Zeugnis davon ablegen, daß Jesus der Christus ist (Apg 18,28). Bereits Joachim Jeremias konnte mit Nachdruck darauf hinweisen, daß es zu keiner Zeit in der Urkirche ein Kerygma ohne Didache gegeben hat. 5 g. Das Argument der Kontinuität des Geistes: Es kann angenommen werden, daß Jesus bereits während seines Lebens Träger des Heiligen Geistes gewesen ist. Hierin begründet sich sein Vollmachtsanspruch und letztlich auch seine Fähigkeit, Wunder zu tun. Geza Vermes hat dies von jüdischer Seite nochmals nachhaltig betont. 6 In den Kontroversen um Jesu Vollmacht oder um die Qualität des von ihm beanspruchten Geistes, wurde die christologische Fragestellung bereits vor Ostern grundgelegt. Hierin könnte auch eine Brücke zu Paulus bestehen. Der Geist wahrt über Ostern hinweg die Kontinuität. h. Das Argument der paulinischen lmitatio Christi als Brücke zum historischen Jesus: Indem sich Paulus immer wieder seiner Schwachheit rühmt (II Kor 11,30; 12,9) entspricht er seinem Herrn, der in Schwachheit gekreuzigt wurde (IIKor 13,4). Paulus gewinnt sein eigenes Verständnis als Apostel in der Nachahmung Jesu: So gerät er immer wieder in Lebensgefahr (II Kor 1,9f.), erträgt Verfolgungen und Leiden, wird aber auch in letzter Minute regelmäßig errettet. Hierin wird er selbst zum lebendigen Evangelium. »Denn es geht immer um Tod und Leben. Der Tod, der an ihm sichtbar wird, ist Jesu Tod, das Leben, das Gott ihm neu schenkt, ist Leben J esu. So wird er selbst zur Botschaft.« 7 Dies kann so weit gehen, daß er als Apostel die Wundmale Christi trägt (Gal 6,17). Die Beauftragung durch Christus wird so bei Paulus auch körperlich sichtbar. Sein Apostolat umfaßt auch den Leib des Apostels, der damit in seinen Verletzungen zum Abbild Christi selbst wird. Deshalb nimmt die Gemeinde den Apostel nach Gal 4,14 auf wie »einen Boten des Herrn«, d. h. wie den Herrn selbst. 8 i. Das antidoketische Argument: Dieses häufig gebrauchte und mit der Inkarnationsvorstellung auf das engste verbundenen Argument ist bereits im 1. Joh geradezu klassisch formuliert: »Was von Anfang an war: was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir geschaut und (was) unsere Hände betastet haben, bezüglich des Wortes des Lebens - und das Leben ist erschienen.« ZNT 1 (1998) Die Kriteriendiskussion um Möglichkeiten der Unterscheidung zwischen sogenannten »echten« und »unechten« Worten und Taten Jesu schließt sich nun in zwei Statements an, die sich in ihren theologischen Ausgangspositionen grundsätzlich unterscheiden. Roman Heiligenthal Anmerkungen 1 M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 1979, 24. 2 G. Theißen, Gruppenmessianismus. Überlegungen zum Ursprung der Kirche im Jüngerkreis Jesu, in: Volk Gottes, Gemeinde und Gesellschaft QBTh 7), hgg. v: : m I. Baldermann u.a., Neukirchen-Vluyn 1992, 117. 3 So: M. Hengel, Die Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 (1971) 36. 4 Theißen, Gruppenmessianismus, 123. 5 J. Jeremias, Der gegenwärtige Stand der Debatte um den historischen Jesus, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, hgg. von H. Ristow/ K. Matthiae, Berlin 1960, 19. 6 G. Vermes, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn 1993. 7 K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1994, 437. 8 So Berger, Theologiegeschichte, 437. 49