eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 1/1

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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1998
11 Dronsch Strecker Vogel

E. P. Sanders: Sohn Gottes - Eine historische Biographie Jesu - Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Stuttgart (Klett-Cotta) 1996, 452 S., gebunden, 48,- DM

61
1998
Peter Busch
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E. P. Sanders Sohn Gottes Eine historische Biographie J esu Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Stuttgart (Klett-Cotta) 1996, 452 S. gebunden, 48,- DM Der moderne Sir Parzival der neutestamentlichen Wissenschaft hat als Gegenstand seiner Queste nicht den Heiligen Gral, sondern dessen Erstbenutzer: Jesus von Nazareth. Viele Suchende zuvorderst in der neuen, nun auch verstärkt in der alten Welt versuchen ihn neu zu entdecken, den Historischen Jesus. Die Suchenden führt der Weg durch weite Flur. Während einige in neue Gefilde vorstoßen und dabei neuer apokrypher Kunde lauschen, vollziehen andere die bewährten Wege neu nach und schöpfen vornehmlich aus bekannter Quelle. Einer der letzteren ist E. P. Sanders von der Duke-University in North- Carolina; über seine Suche hat er schon mehrfach ausführlich berichtet. Zu nennen ist hier vor allem sein Buch »Jesus and Judaism« von 1985, in dem er seine Wegbeschreibung zum Historischen Jesus dem akademischen Fachpublikum vorstellte. Acht Jahre später hat er in »The Historical Figure of Jesus« diesen Weg nochmals für eine breite interessierte Öffentlichkeit aufbereitet. Um die deutsche Übersetzung des letztgenannten Buches geht es hier. Zur Darstellung: Mit flüssigem Stil und weitgehendem Verzicht auf detaillierte Fachdiskussionen (hier verweist er meist auf eigene exegetische Vorarbeiten) trägt Sanders seinem Bemühen um ein breites Publikum Rechnung. Der deutsch- 78 sprachigen Leserschaft wird das anglo-amerikanische Kolorit der zur Erhellung herangezogenen Beispiele wohl etwas fremd sein (so die Biographien Churchills und Jeffersons, S. 16 oder die mittelalterliche englische Königsgeschichte, S. 134); dennoch erfüllen auch diese Passagen ihren Zweck, die Schwelle für die Leserinnen und Leser niedrig zu halten. Soweit zur Darstellung; nun zur Methode, die hauptsächlich im ersten Drittel des Buches ausgeführt wird. Sanders Suchstrategie gleicht der eines erfahrenen Puzzlespielers: Zuerst werden unverwechselbare Randstücke gesucht, deren Zwischenräume danach sukzessive gefüllt. Die Randstücke des Puzzles werden gebildet von einer Liste historisch unumstrittener Facts über die Biographie J esu von der Geburt bis zum Tod und über die unmittelbar darauf folgenden Ereignisse (S. 27f). Die Biographie Jesu wie im Untertitel der deutschen Ausgabe vermerkt steht also im Zentrum der Suche; das ist gewiß nichts Neues in der einschlägigen Literatur, und doch ist hier schon eine Grundrichtung erkennbar. Es geht nicht um die echten Worte des Historischen Jesus, über die, parallel zu Sanders, seine Kollegen vom Jesus- Seminar diskutieren. Es geht ihm auch nicht primär um das jesuanische Selbstverständnis dererlei Themen werden zwar diskutiert und eingeordnet, bilden aber nicht die Suchstrategie. Die Zwischenräume der historischen Facts sind dann Thema der weiteren gut 400 Buchseiten; dort entfaltet Sanders diese Facts ausführlich, präzisiert sie und füllt Lücken dazwischen aus (so S. 124). Dabei ist er bemüht, seine »Basisinformationen über Jesus« (S. 125) aus einem tendentiell begrenzten, engen Terrain zusammenzusuchen. Seine Quellenbasis ist eindeutig auf die synoptischen Evangelien konzentriert. Den historischen Informationen aus dem Johannesevangelium mißtraut er in der Regel, das Thomasevangelium wird nicht zitiert und die historische Verwendbarkeit der apokryphen Evangelien in summa wird angezweifelt (S. 108f.). Kurz, Sanders gehört genau zu den Forschern, denen Weggefährten bei der Suche nach dem Historischen Jesus eine »Tyrannei des synoptischen Jesus« vorgeworfen haben. Er entscheidet sich bei der Informationensuche für die vergleichweise schmalste, die synoptische, Basis. Doch dort sucht er um so gründlicher. Nicht umsonst hält er die Exegese an den Synoptikern schon im Vorwort für »Schwerstarbeit« (S. 11 ). Auch die beiden Zusammenhänge (oder besser Kontexte, um näher am englischen Original zu bleiben), aus deren Hintergrund die Aussagen von und über Jesus verständlich werden, sind im Vergleich zum breiten Spektrum der gängigen Vorschläge moderner Forschung eng gewählt. Bei der Kontextbestimmung des historischen verharrt er ausschließlich im Bereich des palästinischen Judentums: Im weiteren, theologischen Kontext bildet der Begriff der jüdischen »Heilsgeschichte«, im engeren Kontext direkt um die Wirkperiode Jesu die Person des Täufers den Boden, auf dem Sanders' Jesus Kontur gewinnt. Pagane ZNT 1 (1998) Analogien werden an dieser Stelle nicht thematisiert. Diese methodische Anbindung an das palästinische Judentum wird implizit vom Kontext eines »common judaism« getragen, das Sanders in früheren Arbeiten schon durch bestimmte Grundkategorien zu skizzieren versuchte (vgl. auch S. 62ff. im vorliegenden Buch). In dieses wird Jesus eingepaßt. Als Folge davon ist eine Abgrenzung von der griechisch-römischen Umwelt deutlich erkennbar, und das drückt sich auch in Detailfragen aus: Etwa S. 164ff. werden das urbane galiläische Zentrum Sepphoris und die Dekapolis als direkte Kontexte zu Jesus nicht akzeptiert; das vieldiskutierte Fehlen der jesuanischen Scheltworte gegen die (gemischtjüdischen) Städte Sepphoris, Tiberias und Scythopolis in den Evangelien wird S. 168 dadurch begründet, daß Jesus selbst sie nicht würdigte. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu nennen, daß die beiden heidenfreundlichen Äußerungen Mt 8,10; 15,28 nach Sanders' Auffassung nicht jesuanisch sind. Alles in allem fallen bei Sanders' Suchstrategie die Strukturälmlichkeiten des methodischen Ansatzes mit den von ihm bevorzugten Quellen auf: Wie deutlich spiegelt sich das biographische Interesse des Exegeten in dessen bevorzugten Quellen, den Synoptikern, wider! Auch schickt sich nicht nur der Exeget Sanders an, einen vorgegebenen Rahmen mit speziellen Inhalten zu puzzeln, sondern es ist nach Sanders' Analyse auch das Tagwerk eines synoptischen Evangelisten und bestimmt nach der Meinung des Exegeten Sanders genauso die Weltsicht Jesu (S. 153). Der Verdacht eines hermeneutischen Zirkels läßt sich hier nicht vollständig auflösen: Ob Sanders methodische Anleihen von seinen Quellen macht, oder ob er eigene ZNT 1 (1998) Ansätze in sie hineindeutet, bleibt trotz der vorbildlichen methodischen Explizitheit der vorliegenden Darstellung nicht ganz geklärt. Nun aber zu Sanders' Jesusbild, das in den weiteren zwei Dritteln des Buches entfaltet wird. Auf einen Nenner gebracht: Der Jesus von E. P. Sanders ist in der Hauptsache ein eschatologischer Prophet, und dies macht der Autor von vielen Richtungen her deutlich (vgl. z.B. S. 231; 248; 381). Zentral für Jesu Verkündigung skizzierte Sanders in einigen Kapiteln den Begriff vom »Reich Gottes«. Die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten dieses Begriffes, etwa ob zukünftig oder gegenwärtig, transzendent oder gerade anbrechend, werden sorgfältig analysiert (S. 257ff.), und Jesus wird auch keine dieser verschiedenen Verwendungen abgesprochen (vgl. S. 267). Doch die »am zuverlässigsten bezeugte Überlieferung« für das, was Jesus wirklich dachte (so S. 273), ist von einer eschatologischen Naherwartung geprägt: Gott wird in naher Zukunft die Geschichte entscheidend verändern (so S. 153; 273). Dieser Kernpunkt der jesuanischen Verkündigung, in früheren Arbeiten von Sanders noch mit dem Begriff der »Restauration« (Wiederherstellung Israels) emheitlich gefaßt, bleibt in der vorliegenden Darstellung ohne scharfe Konturen. Die Restaurationsthese (»Jesus intended Jewish restoration«), die in »Jesus and Judaism« als eschatologische Hoffnung J esu breit entfaltet wurde, spielt im vorliegenden Buch eine marginale Rolle. Ihr ist kein zentrales Kapitel gewidmet, und einige Themenblöcke sind nicht mehr in ihrem Zusammenhang interpretiert worden; beispielsweise die Tempelreinigung, in »Jesus and Judaism« ein tragendes Beispiel für die Wiederherstellung Israels, wird im vorliegenden Buch S. 372-383 ohne den Begriff »Wiederherstellung« oder »Restauration« behandelt; sie wird mit dem Logion von Zerstörung und Wiederaufbau des Tempels als Indiz für eine »radikale Eschatologie« gesehen, bei der die grundlegende Veränderung von Gott bewirkt wird, nicht von Menschen. Von der Wiederherstellung Israels ist nur noch im Zusammenhang mit den» 12 Jüngern« die Rede (S. 186; 275). Die eschatologische Botschaft vom kommenden Eingriff Gottes in die Welt ist also zentral für Sanders' Jesus, und an diesem Punkt werden andere Facetten zweitrangig, beispielsweise die Wunder. Explizit wird das von anderer Seite vorgeschlagene Attribut »the magican« als primäre Bestimmung für Jesus abgelehnt (S. 231). Die charismatische Komponente J esu wird der prophetischen deutlich untergeordnet. Wunder unterstreichen weder Jesu Taten noch sind sie Beweise seiner göttlichen Natur (vgl. S. 205; 242), sondern sie unterstreichen Jesu eschatologische Botschaft (vgl.S. 253). So ist also am Ende der Suche nach dem Historischen Jesus die Skizze eines eschatologischen Propheten entstanden. Auf der Basis von Sanders Grundannahmen ist dieses Bild stimmig und die Darstellung ist durchaus gelungen. Es ist zu wünschen, daß eine breite deutschsprachige Leserschaft dieser Suche nach dem Historischen Jesus kritisch und nachdenklich folgt; und vielleicht ist die Prognose möglich, daß dieses Buch bei uns eher gewürdigt als verrissen wird. Denn Sanders tut mit seinen harmlosen Thesen niemandem weh. Wer seiner Suche folgt, der darf sich auf vertrauten Pfaden der Jesusforschung bewegen; der ist von vorne herein vor steilen Thesen behütet und der ist letztlich vor der Überraschung geschützt, mit 79 einem völlig neuen Jesusbild leben zu müssen. Gerade die deutschsprachige Leserschaft wird nach der Lektüre dieses Buches bei dem »eschatologischen Propheten« E. P. Sanders den »apokalyptischen Propheten« A. Schweitzers mitassoziieren können, wird dabei vertraute Strukturen entdecken, die neu und differenziert dargeboten sind und dadurch auf Zustimmung stoßen dürften. Nach der Lektüre des vorliegenden Buches können sich Leserinnen und Leser in der beruhigenden Sicherheit wiegen, daß auch bei der aktuellen Suche nach Jesus von N azareth im Grunde alles beim Alten geblieben ist. 80 Peter Busch Perspektiven einer Theologie für die Gegenwart. Jean-Pierre Wils (Hrsg.) Warum denn Theologie? Versuche wider die Resignation. 185 Seiten, br. 34,- DM/ 248,öS / 31,50 sfr ISBN 3-89308-238-7 Mit Beiträgen von Alfons Maurer, Urs Baumann, Herbert Niehr, Karl- Josef Kuschel, Hermann-Josef Stipp und Jean-Pierre Wils. »Eine schonungslose Analyse der Sklerosetendenz in Gesellschaft, Theologie und Kirche.« Süddeutsche Zeitung Attempto Verlag Tübingen Vorschau auf Heft 2 Folgende Beiträge sind bisher geplant: Uwe Glessmer Zum gegenwärtigen Stand der Qumran- Forschung Holger Tiedemann Sexualität bei Paulus Mirjam und Ruben Zimmermann Zu Johannes 4 Dirk Frickenschmidt Evangelium als Biographie Die Kontroverse führen Rainer Stuhlmann und Wolfgang Stegemann zum Thema: Gleichgeschlechtliche Liebe und das Neue Testament David Brakkee Cultural Theory. Ein neues Paradigma US-amerikanischer Exegese? Stefan Alkier Elisabeth Schüssler-Fiorenza: Jesus - Mirjams Kind, Sophias Prophet Heft2 erscheint im Oktober 1998 Die Geschichte Israels Von Abraham bis Bar-Kochba Überblick über fast zweitausend Jahre Geschichte Israels. 12 x 18 cm, 200 Seiten. Kartoniert ISBN 3-438-06206-2 DM 19,80/ öS 145,00/ sFr 19,80 Die Schriften der Bibel Entstehung und Botschaft Der Band informiert für jede der biblischen Schriften über Entstehung, Botschaft und Verfasserschaft. 12 x 18 cm, 240 Seiten. Kartoniert ISBN 3-438-06207-0 DM 19,80/ öS 145,00/ sFr 19,80 Bibelkunde im Überblick Inhaltsangaben und Übersichten Eine wertvolle Hilfe, um die Botschaft der biblischen Bücher zu erschließen und einzuprägen. 12 x 18 cm, 206 Seiten. Kartoniert ISBN 3-438-06205-4 DM 19,80/ öS 145,00/ sFr 19,80 88 Deutsche Bibelgesellschaft Postfach 81 03 40 • 70520 Stuttgart