ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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1999
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Dronsch Strecker VogelWohin steuert die Gleichnisforschung?
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1999
Kurt Erlemann
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Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung? Nicht von ungefähr ist die Betrachtung der synoptischen Gleichnisse seit jeher fester Bestandteil von Perikopenreihen und Unterrichtsplänen. Auch in der Exegese des Neuen Testaments bilden die Gleichnisse und die Frage nach ihrer (Be-) Deutung ein Kernstück. Denn die Gleichnisse gelten aufgrund ihrer Kürze und Geschlossenheit als »Urgestein« der Jesusüberlieferung, von ihrer Auslegung erhofft man sich den Zugang zum historischen Jesus. Die moderne Gleichnisauslegung nahm ihren Anfang mit dem bahnbrechenden Doppelband »Die Gleichnisreden Jesu«, Bde. I/ II, Tübingen 1886/ 1899 (21910) von Adolf Jülicher. 1 Seither hat sich nahezu ein Jahrhundert Forschung an diesem Thema in Auseinandersetzung mit Jülicher abgespielt. Das Jubiläumsjahr 1999 bietet Anlaß, eine kritische Standortbestimmung vorzunehmen und gleichzeitig nach richtungweisenden Trends zu fragen. 2 1. Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher Das Werk Jülichers läßt sich am besten in seiner Frontstellung gegen die bis dato übliche, allegorische Auslegung der Gleichnisse verstehen. »Allegorisch« meint dabei jegliche Form des Verständnisses, das von einem zu erschließenden, gewissermaßen »hinter« dem wörtlichen Verständnis versteckten, Sinn der Gleichnisse ausgeht. 3 Jülichers Arbeit ist dagegen ein Plädoyer für ein direktes, wörtliches Verständnis der Gleichnisse. Dabei wird er vom Bild des einfachen, schlichten Redners Jesus geleitet, dessen Gleichnisse schlechthin nicht mißverständlich sein konnten im Gegensatz zur (mangelhaft) überlieferten und verfälschten Form der schriftlich fixierten Gleichnisse. 4 Seinen methodischen Ansatzpunkt sieht Jülicher in der gattungsmäßigen Unterscheidung von »eigentlicher« und »uneigentlicher« Rede, von »Gleichnissen« mit dem Vergleich als Grundbaustein auf der einen und »Allegorien« mit der Metapher als Grundbaustein auf der anderen Seite. 5 Allegorien gelten als »uneigentliche«, zu entschlüsselnde Rätselreden, deren sich Jesus nicht ZNT 3 (2.Jg. 1999) bedient hat. Anders der Idealtyp der Gleichnisse im Munde Jesu: Sie haben pädagogische und rhetorisch-verdeutlichende Funktion, ihre Markenzeichen sind Präzision und Kürze (»simplex sigillum veri« 6 ). Überschießende, schwer verständliche Elemente stellt er für den historischen Jesus in Abrede. 7 Zwischen »Bildhälfte« und »Sachhälfte« gibt es nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis). Jülicher definiert das Gleichnis als »diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes«. 8 Ein Gedanke, genauer eine religiös-sittliche Wahrheit von dauerhafter Gültigkeit, ist denn auch das »tertium« des Gleichnisses, das es herauszufinden gilt. 9 Ist es herausgefunden, hat das Gleichnis seine Wirkung erreicht. Nach Form und Inhalt sind die Gleichnisse Jesu schlechthin unvergleichlich. »Jesus hat in seinen Parabeln >Meisterwerke volkstümlicher Beredtsamkeit< uns hinterlassen. Als Meister bewährt er sich hier auch im Sinne der Kunst; soweit wir bisher wissen, ist Höheres und Vollendeteres auf diesem Gebiete nicht geleistet worden. Allen Ansprüchen, die sich aus Wesen und Zweck der Parabel ergeben, genügt er aufs beste.« 10 Der religionsgeschichtliche Vergleich kann dies für Jülicher nur bestätigen. Mit der Position Jülichers sind die Grundparameter der Gleichnisforschung seither vorgegeben: Erstens, die Frage nach dem Verhältnis von Gleichnis und Allegorie, zweitens, die Frage nach dem Wesen der Metapher, drittens, die Frage nach der »Auslegbarkeit« der Gleichnisse, viertens, die Frage nach religionsgeschichtlicher Vergleichbarkeit und fünftens, die Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Gleichnisse. 2. Gleichnisse als eschatologische Botschaft Nahezu zeitgleich mit Jülichers »Gleichnisreden« erschien Johannes Weiß, epochemachendes Buch 2 Kurt Erlemann Professor Dr. Kurt Erlemann, Jahrgang 1958, Studium der Evangelischen Theologie in München, Zürich und Heidelberg. Promotion 1986, Habilitation 1994, seit 1996 Universitätsprofessor für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte an der Universität Wuppertal. »Die Predigt J esu vom Reiche Gottes« (Göttingen 1892), in welchem Weiß den grundsätzlich eschatologischen Charakter der Botschaft J esu herausstellte. Während Jülicher den Neuansatz von Weiß noch nicht verarbeitete, fiel dessen Ansatz im Gleichnisbuch des Engländers Charles Harold Dodd (»The Parables of the Kingdom«, London 1935) auf fruchtbaren Boden. Damit war die Kritik an Jülichers »allgemeinen Satzwahrheiten« als Inhalt der Gleichnisse auch in der deutschsprachigen Gleichnisforschung vorprogrammiert. Dodd und nach ihmJoachimJeremias (»Die Gleichnisse Jesu«, 1 1947) sehen den Inhalt der Gleichnisse Jesu in einer eschatologischen Botschaft, nämlich der Ankündigung der anbrechenden Gottesherrschaft; sie werde in ihren soteriologischen und ethischen Konsequenzen dargestellt. Konkret würden in den Gleichnissen die Gegenwart des Heils, Gottes Erbarmen mit den Verschuldeten, die große Zuversicht, die Forderung der Stunde, das drohende Zuspät, der Ruf zur Buße usw. thematisiert. Im Unterschied zu Jülicher geht es damit nicht primär um kognitiv erfaßbare »Wahrheiten«, sondern um eine Verhaltensänderung: Ihren Zweck, so Jeremias, haben die Gleichnisse im Ruf zur Entscheidung für oder gegen die Gottesherrschaft. »Alle Gleichnisse J esu zwingen den Hörer, zu Seiner Person und Seiner Sendung Stellung zu nehmen.« 11 Jesus ist dabei nicht der Künder sittlich-religiöser Wahrheiten, sondern der Gottesherrschaft und der Punkt der Entscheidung (gr. krisis). 12 3 l<urt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisforschung7 WasJeremias mitJülicherverbindet, ist die Auffassung vom rhetorisch-argumentativen Zweck bzw. vom Situationsbezug der Gleichnisse, die Annahme eines »Idealtyps« von Gleichnis sowie die Annahme ihrer Unvergleichlichkeit. Alles zur Eigenart der Gleichnisse Gesagte ist streng auf die mündlich vorgetragene Gleichnisrede Jesu zu beziehen, die synoptischen Gleichnisse seien Produkt einer erheblichen Transformierung. So stellt Jeremias die Fragen nach der »vox ipsissima« Jesu, nach der Entstehungssituation 13 und nach den Gesetzmäßigkeiten, die im Verlauf der Verschriftlichung zur Umformung der Gleichnisse geführt haben, in den Mittelpunkt seiner Analysen. Der Idealtyp J eremias' unterscheidet sich von dem Jülichers nur wenig. Einfachheit, Anschaulichkeit, Realistik usw. entsprechen auch für ihn der rhetorisch-argumentativen Abzweckung der Gleichnisrede. Erheblich differenzierter beurteilt Jeremias indes die Frage der Umformung der Gleichnisse. Insgesamt zehn Umformungsgesetze arbeitet er heraus (Übersetzung ins Griechische, Wandlung des Anschauungsmaterials, Ausschmückungen, Einwirkungen des Alten Testaments und volkstümlicher Erzählungsmotive, Wechsel der Hörerschaft, Verwendung der kirchlichen Paränese, Einwirkung der Lage der Kirche, Allegorisierung, Sammlung und Fusion von Gleichnissen, sekundäre Rahmung). J eremias knüpft hier an den formgeschichtlichen Ansatz von Martin Dibelius und Rudolf Buhmann an. 14 Wie Jülicher erachtet Jeremias dementsprechend auch die Einleitungsformeln der Gleichnisse (»Das Reich Gottes ist wie ... « u.ä.) als sekundäre Bildungen. 3. Gleichnisse als Metaphern Ab Beginn der sechziger Jahre bahnt sich in der Gleichnis- und Metapherntheorie eine Wende an, die zu einem neuen, weitreichenden Konsens über die Bewertung der Gleichnisse Jesu als Metaphern führen sollte. Im erklärten Gegenzug gegen die ältere, »rhetorische« Position erfolgt eine »Rehabilitierung« der Metapher. Die Grundlage formen Sprachwissenschaftler wie Ivor Armstrong Richards, Max Black, Robert Funk und Harald Weinrich. 15 Die Metapher wird als nicht ersetzbare, da im Vergleich zu »direkter«, begrifflicher Sprache bessere und präzisere Redeweise, angesehen und aufgewertet. 16 Linguistisch ausgedrückt kommen die Metaphern als semantische Phäno- ZNT 3 (2. Jg. 1999) mene in den Blick, die im Unterschied zu einzelnen Begriffen nicht einfach substituierbar sind. Im Gegenteil, die Eigenart der Metapher bestehe in einem besonderen syntaktischen und logischen Verhältnis zu ihrem Kontext, was eine vollständige Ersetzung der Redefigur verunmögliche. Nicht würden einzelne Vokabeln ersetzt, vielmehr finde ein Prioritätenwechsel statt: Bedeutungsassoziationen »niedrigerer Priorität« gelangten zu höherer Prominenz. 17 Die erkenntnistheoretische Seite des Neueinsatzes liegt in der Entdeckung der metaphorischen Grundstruktur von (religiöser) Sprache überhaupt, die es allererst ermöglicht, Beziehungen zwischen verschiedenen Sektoren von Wirklichkeit zu entdecken bzw. herzustellen. 18 Theologen wie Eberhard Jüngel, Hans Weder und Wolfgang Harnisch 19 greifen die sprachwissenschaftlichen Überlegungen auf und übertragen sie auf die Gleichnisauslegung. Gleichnisse gelten hinfort so der neue Konsens als »erweiterte Metaphern«. 20 Übereinstimmend wird die Metapher als ein Phänomen der Bedeutungsübertragung angesehen. Übertragen werden Bedeutungsanteile von einem Bildspender auf einen Bildempfänger (H.Weinrich). Beispiel: Bei der Metapher »der Mensch ist ein Wolf« ist die Tierwelt der bildspendende Bereich, »Mensch« der bildempfangende. Deutlich ist, daß mehrere Vergleichspunkte (tertia comparationis) denkbar sind, da keine Festlegung (» ... so gefräßig wie ... « o. ä.) vorliegt. Das Beispiel macht auch deutlich, daß die Metapher ein semantisches, nicht ein lexikalisches Phänomen ist. 21 Ausschlaggebend für das Verständnis der Metapher sind der situative bzw. der literarische Kontext sowie die Erwartung seitens der Hörer-/ Leserschaft. 22 Das Verhältnis zwischen Metapher und Kontext ist das der Spannung bzw. der Konterdetermination 23 : Gegen die Erwartung sprachlich-lexikalischer Konvention werden zwei Bereiche (Mensch/ Tier) miteinander in Beziehung gesetzt, die von Haus aus unvereinbar sind: Der Mensch ist kein Tier. Und doch legt der situative oder literarische Kontext es nahe, dem eigentlich Unsinnigen eine sinnvolle Bedeutung abzugewinnen. 24 Und die Rezipienten lernen, die Wirklichkeit des Menschen mit anderen Augen zu sehen, Analogien zwischen vordergründig disparaten Bereichen zu entdecken. Die Metapher ermöglicht somit einen Zugewinn an Wirklichkeitserkenntnis, der mit Hilfe nicht-metaphorischer Sprache nicht möglich wäre. Diese Eigenschaft der Metapher wird in der Theologie auf die Gleichnisform übertragen: Auch sie verbinde zwei Bereiche etwa Gottesherrschaft als »Bildempfänger« und eine alltäglich-profane Erzählung als »Bildspender« miteinander. Das Modell ZNT 3 (2.Jg. 1999) der Konterdetermination stehe auch im Gleichnis Pate: Die Erzählung resp. der »Bildspender« handle nicht von dem, was er eigentlich verdeutlichen will und erreiche gerade so die Verstrickung des Hörers, der Hörerin in den »metaphorischen Prozeß«. Im Verlauf dieses Prozesses werde die Erzählung transparent für den »Bildempfänger«, die theologische Referenzebene. Diese bestehe in der Gottesherrschaft (gr. basileia tou theou) als Gegenwirklichkeit, die zu einer neuen, alternativen Existenzweise einlade. Das Gleichnis als erweiterte Metapher hat nach dieser Konzeption »performativen« bzw. »poietischen« Charakter, es ist der Ästhetik und Poetik, nicht der Rhetorik zuzuordnen. Insofern es als »eigentliche« Redeform sui generis zu gelten hat, das seinen Gegenstand allererst in Szene setzt, ist es auch nicht durch andere Sprachformen zu ersetzen oder zu »übersetzen«. - Graduelle Unterschiede gibt es bei der Frage der »Sprachkraft« der Metapher: Die moderatere Meinung spricht ihr die Fähigkeit, neue Sinnbezüge herzustellen bzw. die Wirklichkeit neu zu verstehen, neue Aspekte der vorfindlichen Wirklichkeit zu entdecken, zu. 25 Weiter gehen diejenigen, die der Metapher die Fähigkeit zuschreiben, Analogien allererst herzustellen bzw. neue Wirklichkeit zu konstituieren. 26 Gleichnisse werden dementsprechend als »Sprachereignis« bezeichnet, als Ereignis, das die basileia tou theou zur Sprache und damit zur Wirklichkeit bringe. Dem entspricht die erkenntnistheoretische Bewertung der Metapher als Medium, in dem sich Wirklichkeit konstituiert und als Methode allen menschlichen Erkennens.27 Sah die ältere Gleichnisforschung das Besondere an den Gleichnissen Jesu in ihrer argumentativen Überzeugungskraft, in ihrer Fähigkeit, sittlich-religiöse Ideale zu verdeutlichen Qülicher) bzw. Menschen zur Entscheidung für die Gottesherrschaft zu bewegen Qeremias), so lenkt die »metaphorische Theologie« das Augenmerk auf die einzigartige, Wirklichkeit und Sinn stiftende Sprachkraft der Gleichnisse und auf Jesus als den, der mithilfe von Metaphern und Gleichnissen »Sprachereignisse« inszeniert. In seiner Gleichnisverkündigung werde eine neue (Heils-)Wirklichkeit offenbar und die Möglichkeit einer neuen Existenzweise eröffnet. In einem einzigartigen metaphorischen Prozeß werde der Hörer in eine fiktive Erzählwelt verstrickt und, sofern das Gleichnis seine beabsichtigte Wirkung erzielt, zur Übernahme der neuen Wirklichkeitssicht bzw. Existenzmöglichkeit bewegt. 28 Dezidiert gelten diese Charakteristika nach Wolfgang Harnisch nur für die Verkündigung des historischen Jesus. Denn hier sei als Merkmal der mündlich vorgetragenen Gleichnisrede die 4 Hörerschaft, was den Sinn der Gleichnisrede angeht, noch unvoreingenommen. Unvoreingenommenheit aber sei unabdingbare Voraussetzung, daß der metaphorische Prozeß in Gang kommen kann und das Spiel gelingt. Keine Einleitungsformel, kein auch noch so geringer Hinweis auf einen externen Referenzrahmen wie »basileia tou theou« lenke die Hörer in Jesu Gleichnisrede ab. Dieser Transfer bleibe den Hörern überlassen. Anders die schriftlich fixierten Gleichnisse: Ihre Einbindung in einen literarischen Kontext, zum Teil mit expliziter Angabe dessen, worum es geht, verunmöglicht nach Harnisch dieses Spiel und führt zu einem »Sprachverlust«. Jetzt erst sei vom argumentativen Charakter der Gleichnisse zu sprechen. Jülichers Theorie vom Mißverständnis der Evangelisten findet hier eine modifizierte Fortsetzung. Dagegen werden Rhetorik und Argumentation zugunsten von Poietik (wörtlich, von gr. poiein: schaffen, machen) und Ästhetik negativ bewertet. Der theologische und hermeneutische Gewinn dieses »Paradigmenwechsels« ist deutlich: Nicht sind es mehr irgendwelche »Ideen«, die Jesu Verkündigung mehr oder weniger vor anderen auszeichnen, sondern es ist seine Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, die ihn einzig dastehen läßt. Außerdem wird die bis dato eher als problematisch empfundene Metaphorizität seiner Sprache hermeneutisch fruchtbar gemacht. Die metaphorische Sprache gilt als Medium der Selbstoffenbarung Gottes. Gleichnisform und eschatologischer Inhalt werden als unlösliche Einheit gesehen. »Die basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.«29 Die den Metaphern und den Gleichnissen als erweiterten Metaphern so zugeschriebene performative bzw. poietische Funktion verleiht ihnen Offenbarungsqualität mit soteriologischem Charakter.30 4. Zurück zur Rhetorik? Die »metaphorische Theologie«, die bis heute den »mainstream« der Gleichnisforschung prägt, ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Schon seit Ende der siebziger Jahre mehren sich die kritischen Stimmen. Die Trendwende in der US-amerikanischen Forschung wird durch das Symposium »Metaphor: The conceptual leap«, Chicago 1978, markiert. 31 Die Kritik macht sich an mehreren 5 l<urt Edernar; n Wohin steumt die Glelclrnisforsc: hung? Punkten fest: Erstens, an der Gleichsetzung von Metapher und Gleichnis; zweitens, an der »Sprachkraft« von Metapher und Gleichniserzählung; drittens, an der einseitigen Ausrichtung der Metapherntheorie auf Semantik und Poetik; viertens, am nach wie vor feststellbaren anti-allegorischen Affekt. 1. Kritik an der Gleichsetzung von Gleichnis und Metapher: Von verschiedenen Seiten wird daran Kritik geübt, daß unreflektiert Merkmale der Metapher auf die Form der Gleichnisse übertragen werden. So weist Klaus Berger unter anderem auf die zeitliche (szenische) Differenzierung bei Gleichnissen hin, die bei Metaphern fehle. Die Metapher sei allenfalls ein Baustein der Gleichnisse. 32 Eine doppelte Inkompatibilität sieht Peter Dschulnigg in seinem Forschungsbericht: »Wird das Metaphernphänomen der Lyrik auf Gleichnisse übertragen, muss dies fast notwendig zu Verkürzungen im Gleichnisverständnis führen, da hier gleich zwei Grenzen überspielt werden: die Grenze vom Satz zur Erzählung und diejenige von der Gattung Gedicht zur Gattung Gleichnis.« 33 Eckhard Rau beschreibt das Verhältnis zwischen Metapher und Gleichnis so: Gleichnisse haben zwar eine »metaphorische Dimension«, sind aber eine Form der Erzählung bzw. Besprechung und sind daher nicht monokausal aus der Metapher abzuleiten. 34 - Ein weiterer Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis ist darin zu sehen, daß Metaphern lediglich Analogien feststellen können, während Gleichnisse auch die Differenzen zwischen Bildspender (Welt, Alltag) und Bildempfänger (Gottesherrschaft) zum Ausdruck bringen könnten. 35 Beispiel: Gott ist eben nicht so wie der unwillige Richter in Lk 18,1-8, und er ist anders als ein weltlicher Arbeitgeber, der gewiß anders verfahren wäre als der »Herr des Weinbergs« im Weinberggleichnis Mt 20,1-16. 2. Kritik an der »Sprachkraft« von Metapher und Gleichniserzählung: Zurückhaltend wird die po(i)etische Funktion der Metapher beurteilt: Wohl könnten per Metapher Analogien entdeckt, jedoch nicht neu hergestellt werden. 36 Erst recht wird die Verabsolutierung der Metapher als Grundphänomen von Sprache zurückgewiesen, da sie zu einer Sinnentleerung dessen, was »Metaphern« sind, führe. 37 - Im Blick auf die Gleichniserzählungen wird eingewandt: Ihr erzählerischer Charakter sei zwar erheblich ZNT 3 (2.Jg. 1999) höher zu veranschlagen als bei Jülicher, doch seien sie keine »Sprachereignisse«, die unabhängig von seinem historischen oder literarischen Kontext seine Wirkung entfalten. Mary Ann Tolbert bringt die Kritik auf den Punkt: » lt would be difficult to document cases of people who in reading a parable or having it read to them experienced in that moment their lives being >torn apart<. 38 Im Gegenzug wird der grundsätzliche Kontextbezug von Gleichniserzählung und Metapher hervorgehoben. Wenn auch die konkrete Entstehungssituation der Gleichnisse J esu prinzipiell unzugänglich sei, sei der schriftliche Kontext als »typisierte Situation« nach der Sachebene hin abzuklopfen.39 3. Kritik an der einseitigen Ausrichtung der Metapherntheorie auf Semantik und Poetik: Gegen den Trend, die Semantik der Metapher zu verabsolutieren und ihre po(i)etische Dimension auszuleuchten, wird in der neueren Forschung wieder vermehrt auf die rhetorische Funktion der Metapher hingewiesen. Programmatisch formuliert William F. Brosend II: »What is needed is an understanding of metaphor that acknowledges its rhetorical power but recognizes its limits, and places it accurately in an understanding of parable and allegory.«40 Die Kritik erfolgt unter Rückgriff auf die Metapherntheorie Quintilians, der die rhetorische Abzweckung der Metapher mehrdimensional beschreibt: Sie soll zugleich Emotionen wecken bzw. verändern sowie Dinge exakt beschreiben und sie lebendig vor Augen halten. 41 In der Konsequenz untersucht Edmund Arens die metaphorische Redeweise als Bestandteil eines Kommunikationsgeschehens. 42 Nicht poetische Inszenierung neuer Wirklichkeit oder kognitiver Erkenntniszugewinn, sondern die rhetorische Überzeugung der Hörerschaft sowie die Beeinflussung seiner Emotionen und Verhaltensweisen werden in den Blick genommen. Im gleichen Zusammenhang wird die These, Metaphern und Gleichnisse seien generell unübersetzbar, relativiert. Jede Auslegung zeigt, daß es etwas übersetzbares gibt. Allenfalls sei von graduellen Unterschieden, was die »Übersetzbarkeit« angeht, zu sprechen. Auch auf die Gefahr eines möglichen Sinnverlustes hin sollte der Versuch gemacht werden, metaphorische Redeweise wenigstens zu paraphrasieren. 43 Wie entscheidend das Wissen um die Wortbedeutungen bei der Metaphernproduk- ZNT 3 (2. Jg. 1999) tion ist, hat jüngst der Linguist Werner Abraham herausgestellt. 44 Allerdings wird eingeräumt, daß anders als Jülicher angenommen hatte - Metaphern nicht ersetzbar sind. Die metaphorische Redeweise zeichne sich durch einen Sinn- oder Kommunikationszugewinn aus, der anders nicht zu erreichen sei. 45 Nicht sei Metapher versus wörtliche Rede die Alternative, sondern Metaphern versus rhetorisch weniger überzeugende Aussagen. 46 Als höchst effizientes rhetorisches Stilmittel sei die metaphorische Redeweise schlechthin unersetzbar. 4. Kritik am anti-allegorischen Affekt: Bei diesem Kritikpunkt sind zwei Diskussionsebenen voneinander zu unterscheiden: Zum einen die Diskussion um »Mischformen« zwischen Gleichnis und Allegorie, zum anderen die Diskussion um das Wesen der Metapher. Die Rehabilitation der Metapher erfolgte im Zusammenhang der »metaphorischen Theologie« (vgl. Abschnitt 3). Ihre Neubewertung führte allerdings nicht zu einem Umdenken, was die »Allegorie« betrifft. Gleichwohl ist die Kritik am »anti-allegorischen Affekt« so alt wie die Gleichnistheorie Adolf Jülichers selbst. Regelmäßig führen Vergleiche mit rabbinischen Gleichnissen zum Ergebnis, daß die Annahme von »Idealtypen« ein theoretisches Konstrukt sei, das an der literarischen Wirklichkeit vorbeigeht. Vielmehr sei von Mischformen bzw. von einer formalen Vielfalt der Gleichnisse Jesu auszugehen. »Wirkliche Gleichnisse bewegen sich gerne im Raum zwischen diesen beiden Extremen.« 47 Schon Paul Fiebig hat unter Rückgriff auf rabbinisches Gleichnismaterial diesen Nach weis erbracht. 48 In der neueren Gleichnisforschung wurden diese Ansätze wiederholt aufgegriffen, jedoch ohne eine größere Breitenwirkung. 49 Hans-Josef Klauck 50 versucht, mit der Unterscheidung von Allegorie (keine Gattung, sondern eine literarische Verfahrensweise), Allegorese (exegetische Methode, mit der Texte als Allegorien gelesen weden) und Allegorisierung (nachträgliche »Anreicherung« von Texten mit Merkmalen der Allegorie) dem anti-allegorischen Affekt zu begegnen. Bekämpfenswert sei nicht die Allegorie an sich, sondern die Allegorese als unangemessenes Auslegungsverfahren. Der Unterschied zwischen Allegorie und Gleichnis wird heute mehr graduell oder im Sinne unterschiedlicher Rezeptionsmechanismen bestimmt. Nach W.Abraham (Linguistik, 259) liegt der Unterschied zwischen Gleichnis und Allegorie nicht in der »Eigentlichkeit« bzw. »Rätselhaftig- 6 keit«, beide seien vielmehr der uneigentlichen Rede zuzuordnen. Doch handle es sich um einen unterschiedlichen Typus der Produktions- und Interpretationsprozedur. Während im Gleichnis bestimmte Aussagen sowohl wörtlich wie metaphorisch gebraucht sein könnten, der metaphorische Charakter sich also punktuell manifestiere, bleibe in der Allegorie die metaphorische Bedeutung für die Dauer des gesamten Textes bestehen. Ich selbst sehe den Unterschied primär darin, ob die Erzählung von einem Zielgedanken her konstruiert und entsprechend auszulegen ist (Gleichnis, Gleichniserzählung) oder ob eine 1: 1 - Kodierung vorliegt (Allegorie). Vom Wesen der »Bausteine« her lassen sich die Formen m. E. nicht charakterisieren. 51 Die Feststellung fließender Übergänge zwischen Gleichnis und Allegorie und von Mischformen als »Normalfall« der Gleichnisse Jesu läßt auch Jülichers Postulat eines einzigen Vergleichspunktes (tertium comparationis) für die Gleichniserzählung (Parabel) obsolet erscheinen. 52 Die Beobachtung lexikalisierter Metaphern als Bausteine der Parabeln rechtfertigt den Versuch, diese in ihrer Bedeutung zu erschließen. Während von mehreren tertia comparationis auszugehen ist, ist am Postulat der einen Pointe als inhaltlichem Brennpunkt der Gesamterzählung festzuhalten. 53 5. Zwischenbilanz und Ausblick Hundert Jahre nach Jülicher ist die Frage zu stellen, welche Punkte inzwischen allgemeine, d. h. über die Grenzen der dargestellten Grundansätze wirksame, Zustimmung gefunden haben und welche nach wie vor kontrovers beurteilt werden. Daraus sind Anfragen an bzw. Aufgaben für die weitere Gleichnisforschung zu formulieren. Die Konsens- und Dissenspunkte sind: 1. Konsens ist: Die Gleichnisse haben eine metaphorische Dimension. Vieles von dem, was Jülicher einst dem Vergleich zuordnete, wird heute der Metapher zugeordnet. Strittig ist, worin die Gemeinsamkeiten zwischen Gleichnis und Metapher liegen, ob etwa das Gleichnis die Metapher als »Baustein« benutzt und bzw. oder ob es sich qua Eingebundensein in einen situativen oder literarischen Kontext als »metaphorische« Form der Erzählung zu erkennen gibt. 2. Konsens ist: Das Gleichnis ist, wie die Metapher, nicht »ersetzbar«, da seine Form eine an- 7 ders nicht zu erzielende Wirkung hat. Strittig ist, wie der unersetzbare Anteil inhaltlich gefüllt wird: Ist es das zur-Wirklichkeit-Kommen der Gottesherrschaft im Sinne eines »Sprachereignisses«, ist es ein bestimmter kognitiver Erkenntnisgewinn oder ist es eine mehrschichtige Wirkung auf Verstand, Emotionen und Verhalten? 3. Konsens ist: Die Gleichnisse zielen auf einen Hauptgedanken (»Pointe«) ab. Diese ist keine »Satzwahrheit«, sondern ein neuer Text. Strittig ist, ob es in Gleichniserzählungen (Parabeln) neben diesem Hauptgedanken weitere »tertia comparationis« gibt, die ohne Allegoreseverdacht zu erschließen sind. Dem korrespondiert: 4. Strittig ist, ob die Gleichnisse poetische oder rhetorische Formen sind. Damit zusammen hängt die Frage des Kontextbezugs der Gleichnisse: Ist die Interpretation der Gleichnisse in irgendeiner Hinsicht kontextabhängig oder haben wir es mit »autonomen Gebilden« zu tun? 5. Strittig ist, ob es einen »Idealtyp« des (mündlich vorgetragenen) Gleichnisses Jesu gibt, der frei von (»allegorischen«) Verweisen auf die externe »Sache« ist oder nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend am jeweiligen Jesusbild und an der Fragerichtung (Frage nach dem »Proprium« des Christlichen oder nach der religionsgeschichtlichen Einbettung von J esu Gleichnisrede). 6. Strittig ist dementsprechend, wie der Prozeß der Verschriftlichung der ursprünglich mündlich vorgetragenen Gleichnissen Jesu zu bewerten ist a) negativ im Sinne eines Mißverständnisses der Evangelisten mit der Folge eines schwerwiegenden Gattungswechsels oder b) positiv als Ermöglichung, die Gleichnisse in einer veränderten Situation überhaupt weiter zu tradieren. Erkennbar ist demnach ein »Minimalkonsens«, der trotz der Aufwertung der Metapher von den Kernansichten Jülichers nicht allzusehr abweicht. Über die Punkte, in denen Jülicher in der Vergangenheit zum Teil vehement widersprochen wurde, konnte bislang kein Konsens erreicht werden. Nur die Metapher hat dank der breit geführten sprachwissenschaftlichen Debatte eine allgemein anerkannte Aufwertung erfahren. Ich möchte mit einigen Beobachtungen schließen, die vielleicht dazu verhelfen könnten, die Diskussion konstruktiv weiterzuführen: 54 ZNT 3 (2. Jg. 1999) ad 1) Die Definition der Gleichnisse als »erweiterte Metaphern« legt die Diskussion auf einen Teilaspekt der Auslegung fest. Weiterführend könnte sein, die Definition offen zu halten, um so der Pluralität der gleichnishaften Formen und ihrer Charakteristika gerechter zu werden. 55 Andere Aspekte wie das Verhältnis von Fiktion, Dramaturgie und Emotionssteuerung könnten so mehr in den Blick kommen. ad 2) Zwischen Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft und deren Realisierung ist ebenso zu unterscheiden wie zwischen Exegese und Glaubensaussagen. 56 Im Rückgriff auf die antike Rhetorik (bes. Quintilian) ist der Gewinn metaphorischer Sprache »ganzheitlich« zu fassen. Doch bedeutet der Rekurs auf rhetorische Effizienz wiederum eine Engführung: Es geht nicht nur um die Überzeugung des Gegenübers, sondern um die Stimulation metaphorischen Sehens der Wirklichkeit und der eigenen Existenz, die in ihrer Konsequenz ermöglicht, sich das Zwingende, Plausible spielerisch und in der Freiheit der eigenen Entscheidung anzueignen. ad 3) Die besonders in Gleichniserzählungen (Parabeln) anzutreffenden lexikalisierten religiösen Metaphern und Sujets lösen, sofern diese die Sprachkonventionen des Autors teilen, Assoziationsketten bei den Adressaten aus. Wie bei allen Bildworten J esu lassen sich diese Sprachkonventionen mittels Konkordanzarbeit und Textvergleich mehr oder minder gut rekonstruieren. Das Ergebnis unterstützt die Interpretation des Gleichnisses und seiner Steuerungsmechanismen. Freilich ist dies kontrolliert zu leisten: Es ist möglichst eine Methodik der Pointenbestimmung zu entwickeln, die zwischen rein bildimmanent zu verstehenden Zügen und tertia comparationis unterscheidet sowie Zielaussage und Einzelelemente in ein adäquates Verhältnis setzt. ad 4) Gegenüber der Theorie des »Mißverständnisses« der Evangelisten ist zu fragen, ob von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Entstehungssituation und Situation der Verschriftlichung zu sprechen ist bzw. ob nicht die Evangelisten Veränderungen vornehmen mußten, um im Medium der Schriftlichkeit, und das heißt, jenseits des ursprünglichen Kommunikationsgesche- ZNT 3 (2. Jg. 1999) hens und im Rahmen eines Makrotextes die Eigenart der Gleichnisse J esu adäquat fortschreiben zu können. ad 5) Das Postulat eines »Idealtyps« der Gleichnisse Jesu ist die Kehrseite der Feststellung, daß sich die Gleichnisse und Bildworte Jesu, so wie sie in den Evangelien überliefert sind, ob ihrer Pluriformität einem systematischen Zugriff verweigern. Hilfreich könnte sein, prinzipiell von Pluriformität auszugehen, statt den hermeneutischen Wert eines Gleichnisses davon abhängig zu machen, ob es einer (postulierten) Urform entspricht oder nicht. Da auch Jesus sich in bestimmten Sprachkonventionen bewegte und ihm keine Weltfremdheit zu unterstellen ist, besteht kein Grund, ihm »allegorische« Züge a priori abzusprechen. ad 6) Wie in Punkt 2) bereits angedeutet, sind Rhetorik und Poetik keine sich ausschließenden Alternativen, im Gegenteil: Die »ganzheitliche« Dimension der Gleichnisse Jesu bzw. der Versuch, die Adressaten auf mehreren Ebenen gleichzeitig für die eigene Sache zu gewinnen, läßt die Grenzen zwischen beiden Bereichen verschwimmen. Gerade die Synthese von situationsgebundener Rhetorik und »zeitloser« Poetik, in der vielschichtige Erfahrungen gebündelt werden, macht die bleibende Faszination der Gleichnisse und des dahinter stehenden Gleichniserzählers Jesus aus. Anmerkungen 1 Was nicht heißen soll, daß nicht auch Jülicher auf zahlreiche Vorarbeiten Anderer, wie von Ferdinand Chr. Baur, Bernhard Weiß u. a., zurückgreifen konnte. 2 Vgl. auch meinen Beitrag »Adolf Jülicher in der Gleichnisforschung des 20. Jahrhunderts«, in: Die Gleichnisreden Jesu 1899-1999. Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher (BZNW), Berlin/ New York 1999. Gerade erschien auch der Forschungsüberblick von Christoph Kähler, Gleichnisse, Glauben und Lernen 13 (1998) 98-111. 3 Genauer ist mit Hans-Josef Klauck (Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (NA NF 13 ), Münster 1978) zwischen Allegorie und Allegorese zu unterscheiden: Allegorie ist literarische Verfahrensweise, die sich nur durch Codierung einzelner Bausteine (Symbole, Chiffren) auszeichnet. Allegorese bezeichnet das Auslegungsverfahren, das eine Erzählung wie eine Allegorie behandelt und die 8 einzelnen Elemente im Verhältnis 1: 1 dechiffriert (vgl. auch Gerhard Sellin, Allegorie und »Gleichnis«. Zur Formenlehre der synoptischen Gleichnisse, ZThK 75 (1978) 281-335: 300-313). 4 Die Gleichnisse in ihrer literarisch fixierten Gestalt sind nach Jülicher das Ergebnis schwerwiegender Mißverständnisse: Es ist »zu erklären, wie es so früh zu dem Mißverständnis kommen konnte, als habe Jesus hier schwer deutbare Allegorien vorgetragen und durch dies Mittel geradezu dem Volk die Wahrheit verheimlicht« Qülicher, Selbstdarstellung 1925/ 26, 186 (28). Außerdem sei die »Sachhälfte« im Überlieferungsprozeß verloren gegangen. - Jülicher überträgt damit die These von F. C. Baur, wonach Jesus von Paulus mißverstanden wurde, auf das Verhältnis von Jesus und den Evangelisten. Das Mißverständnis ist für Jülicher das Einfallstor allegorisierender, kirchlich-dogmatischer Fehldeutungen über die Jahrhunderte. 5 Gleichnisreden I, 58, im Rückgriff auf Aristoteles, Rhetorik III, 4 und II, 20 (Zitate hier wie im folgenden nach der 2. Auflage beider Bände 1910). 6 Im Anschluß an Gotthold Ephraim Lessing, Abhandlungen IV, Bd. 3, 322; vgl. auch Jülicher, Selbstdarstellung, 199 ( 41 ). 7 Der weithin spröden und schwer verständlichen Lehre des Protestantismus seiner Zeit hat Jülicher damit ein Gegengewicht gegeben. - Ausführlich dazu D. Schellong, Bürgertum und christliche Religion, München 1975, 17. 8 Gleichnisreden I, 80. 9 Ebd. 105.107. Lessing spricht von der »moralischen Wahrheit«, die in den Fabeln enthalten sei (Abhandlungen IV, 341.343 ff). 10 Gleichnisreden I, 182. 11 Gleichnisse Jesu, 227 (Zitate hier wie im folgenden nach der 10. Auflage, Göttingen 1984 ). 12 Ebd. 226. 13 Jeremias bezeichnet die Gleichnisse als »Streitwaffe« in oft unvorhergesehenen Situationen, die augenblickliche Antwort verlangen (Gleichnisse, 17f). Gegenüber Jülicher bedeutet dies eine erhebliche Reduktion der möglichen Anlässe (mit C. Kähler, Gleichnisse). 14 Martin Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 1919/ 1933 und Rudolf Buhmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 1921. 15 I. A. Richards, The Philosophy of Rhetoric, New York/ Oxford 1936 (1967); M. Black, Metaphor, in: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy, Ithaka 1962, 25-47; R. Funk, Language, Hermeneutic and the Word of God, New York 1966; H. Weinrich, unter anderem: Semantik der kühnen Metapher, in: Sprache in Texten, Stuttgart 1976, 295-316. 16 Zum Teil unter Rückgriff auf die antike Rhetorik (Quintilian). Eine besondere Frage ist, inwiefern Jülichers Rezeption antiker Rhetorik von seinen Kritikern sachgemäß eingeschätzt wird. Dazu Eckhard Rau, Reden in Vollmacht. Hintergrund, Form und 9 Kurt Erlemann Wohin steuert die Gleichnisfol'schung? Anliegen der Gleichnisse Jesu, (FRLANT 149), Göttingen 1990, bes. 53 ff. - Zur Diskussion vgl. meinen unter Anm. 2 genannten Beitrag. 17 Werner Abraham, Linguistik der uneigentlichen Rede. Analysen an den Rändern der Sprache, Tübingen 1998, 228. 18 Nach Gerhard Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 300, ist die Metapher »der deutlichste Ausdruck des analogischen Charakters der Sprache überhaupt, der menschlichen Fähigkeit, Beziehungen zu sehen, zu verbinden, zu interpretieren, Sinn zu erfassen.« - Ähnlich Hans-Josef Klauck (Allegorie und Allegorese, 140), Tullio Aurelio (Disclosures in den Gleichnissen Jesu. Eine Anwendung der disclosure- Theorie von I. T. Ramsey, der modernen Metaphorik und der Theorie der Sprechakte auf die Gleichnisse Jesu, Frankfurt/ M. u. a. 1977) und Paul Ricoeur (Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache, in: ders. / E. Jüngel (hgg.), Metapher (EvTh Sonderheft) 1974, 45-70); sowie A. Stock (Textentfaltungen. Semiotische Experimente mit einer biblischen Geschichte, 1978, 52). 19 E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen 4 1972 (11 962); ders., Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: ders., / Paul Ricoeur (hgg.), Metapher (EvTh Sonderheft) 1974, 71-122; H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (FRLANT 120), Göttingen 1978; W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung (UTB 1343), Göttingen 1985. 20 Im Anschluß an Harald Weinrich, Semantik, 295- 316. 21 W. Abraham, Linguistik, 263 f., beschreibt die Metapher als Resultat einer Verschmelzung zweier Bereiche bei gleichzeitiger Tilgung des expliziten wie-Satzes. 22 Bereits M. Black, Metaphor, bezeichnet die Metapher als ein »Kontextphänomen«. - Zuletzt W. Abraham, Linguistik, 237.254. 23 Philip Wheelwright, Metaphor and Reality, Bloomington 1962, spricht von »tensive language«. Weiter Weinrich, Semantik, und Sellin, Allegorie und »Gleichnis«. 24 W. Abraham, Linguistik, 241, sieht das Wesen der Metapher gerade in der Differenz zwischen »syntaktischer Nichtinterpretierbarkeit« und »metaphorischer« resp. »enzyklopädischer« Interpretierbarkeit. 25 So etwa Sellin, Allegorie und »Gleichnis« 318; Aurelio, Disclosures. 26 Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus, John D. Crossan, In Parables: The Challenge of the Historical Jesus, New York 1973. 27 Bruno Snell, Die Entstehung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den ZNT3 (2.Jg. 1999) Griechen' 4 1975; Sallie McFague, Speaking in Parables, Philadelphia 1975. 28 Dieser Prozeß hat ein spielerisches Moment, als durch die Fiktionalität der Erzählung den Rezipienten ein pragmatischer Freiraum gelassen wird (Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: Rainer Warning (hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, (UTE 303) München 2 1979, 228-252: 249. 29 Jüngel, Paulus und Jesus, 135. 30 So schon Dodd, Parables. 31 Die Hauptbeiträge sind im Sammelband »On Metaphor«, hg. von Sheldon Sacks, Chicago 1979, erschienen. Eine ausführliche Würdigung bietet William F. Brosend II, The Limits of Metaphor, in: Perspectives in Religious Studies (21), Richmond 1994, 23-41. 32 K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 44. 33 P. Dschulnigg, Positionen des Gleichnisverständnisses im 20. Jahrhundert, ThZ 45 (1989) 335-351: 348. 34 Rau, Reden in Vollmacht, 72. 35 Kurt Erlemann, Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen (BWANT 126 ), Stuttgart 1988, 27. - Entweder wird die Differenz in der »Anwendung« benannt oder sie wird durch die Extravaganz innerhalb der Bildebene deutlich. 36 Rau, Reden in Vollmacht, 61. 37 Wayne C. Booth, Metaphor as Rhetoric, in: On Metaphor, 51 f. 38 M. A. Tolbert, Perspectives on the Parables, Philadelphia 1979, 42f. 39 Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 314f. 40 Limits, 38. 41 Quintilian, Inst.Orat. III 8. 19. 42 E. Arens, Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie, Düsseldorf 1982. 43 Craig Blomberg, Interpreting the Parables, Downers Grove IL 1990. 44 Linguistik, 265. 45 Ted Cohen, Metaphor and the Cultivation of Intimacy (in: On Metaphor, 5) beschreibt das »Mehr an Kommunikation« als »achievement of intimacy«, als Herstellung geistig-emotionaler Nähe zwischen Au- Klaus Berger tor und Hörerschaft. Richtig daran ist, daß gemeinsame Sprachkonventionen und eine gemeinsame Erfahrungswelt zu den Voraussetzungen gelingender Metapherninterpretation gehören. 46 Booth, Metaphor as Rhetoric, 51 f. 47 Dschulnigg, Positionen, 348. 48 Paul Fiebig, Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse Jesu, 1904. Weiter Chr. A. Bugge, Die Haupt- Parabeln Jesu, 2 Bde. 1903; M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 3 1959; W.O.E. Oesterley: Die Gleichnisse der Evangelien im Lichte ihres jüdischen Hintergrundes (1936, in: W. Harnisch, Positionen 137-153) u. a. (Auflistung bei Rau, Reden in Vollmacht, 53). 49 Besonders zu nennen ist hier David Flusser, Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus (Teil I Bern/ Frankfurt/ Las Vegas 1981). Weiter P. Dschulnigg, »Rabbinische Gleichnisse und das Neue Testament« (1988). herausgestellt (vgl. IV.2). 50 H.J. Klauck, Allegorie und Allegorese, bes. 354.ff. 51 Anders G. Sellin, (Allegorie und »Gleichnis«, 284 ff.), der beide Formen weiterhin auf unterschiedliche Grundformen (Gleichnis: Metapher; Allegorie: Chiffre oder Symbol) zurückführt. Nicht Metapher und Gleichnis, wohl aber die Allegorie beruhe auf dem Substitutionsprinzip. Allerdings konzediert auch Sellin, daß es die »reine« Allegorie nicht gibt (ebd. 302). 52 Rau, Reden in Vollmacht, 53, weist darauf hin, daß in der Gleichnisexegese dieses Postulat de facto immer schon in Frage gestellt wurde (ausweislich Jeremias', Jüngels und anderer). Anders hält Sellin, Allegorie und »Gleichnis« am Postulat des einen Vergleichspunktes fest. 53 Erlemann, Bild Gottes, 28. 54 Einen ausführlicheren Versuch dazu werde ich in Kürze vorlegen (K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. [UTE]. Tübingen 1999). 55 Jülicher selbst bietet in Bd. II seiner »Gleichnisreden« eine weitaus größere Bandbreite an Gleichnisstoffen als die meisten seiner Nachfolger. 56 Mit Sellin, Allegorie und »Gleichnis«, 320. Hermeneutik des Neuen Testaments daß sich gerade von jüdischen Philosophen lernen läßt, wie die gesuchten Kriterien aussehen könnten. Der Versuch, historische Auslegung und zeitgenössische Neuanwendung auseinanderzuhalten, lehrt vor allem, methodisch nachdenklicher zu werden und Klarheit zu gewinnen. UTB 2035, 1999, 240 Seiten, DM 29,80/ ÖS 218,-/ SFr 27,50 UTB-ISBN 3-8252-2035-4 Klaus Berger geht es im vorliegenden Band um die Erstellung von Kriterien für die inhaltliche Schriftauslegung. Neben der grundlegenden systematischen Reflexion über das, was in der Exegese der Schrift geschieht, ZNT3 (2.Jg.1999) stehen konkrete Regeln der Umsetzung und Applikation heute. Beide Aspekte werden eher pragmatisch beantwortet. Der Horizont der deutschen idealistischen Philosophie wird verlassen. Statt dessen zeigt Berger, 10
