ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
1999
23
Dronsch Strecker VogelLiebe zwischen Frauen im frühen Christentum
61
1999
Benadette J. Brooten
znt230031
Bernadette J. Brooten Liebe zwischen Frauen im frühen Christentum 1 1. Der kulturelle Rahmen frühchristlicher Diskurse über gleichgeschlechtliche Liebe In christlichen wie auch in nicht-christlichen Quellen findet sich die Vorstellung von Sexualität, die in der römischen Welt herrschte. Nach dieser Vorstellung ist der Phallus zentral und sexueller Kontakt findet immer zwischen zwei Beteiligten statt, die nicht nur verschieden, sondern auch ungleich sind. Schriftsteller der römischen Epoche stellen diejenigen sexuellen Beziehungen als normativ dar, die eine soziale Rangordnung zwischen Menschen ausdrücken. Die wichtigsten Kategorien dieser Rangordnung sind aktiv/ passiv, die für diese Autoren noch grundlegender sind als die Kategorie Geschlecht. Nach ihrer Überzeugung gibt es unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten bei jeder sexuellen Begegnung einen aktiven und einen passiven Teil, obwohl diese Kategorien kulturell mit den Geschlechtern verbunden wurden (männlich heißt aktiv und weiblich heißt passiv). Darum werden »passive«, d. h. penetrierte Männer häufig als verweiblicht definiert. Bedeutsam ist dabei, daß Männer sowohl aktiv, wie auch passiv ( z.B. als Jungen oder Sklaven) sein können, während Frauen immer passiv sein sollen. Die Unterscheidung zwischen passiv und aktiv ist daher keine biologische, obwohl Autoren wie Seneca der Jüngere (ein Zeitgenosse des Paulus aus dem 1.Jhd.) die Unterscheidung biologisiert, indem er Frauen beschreibt als »dazu geboren, passiv zu sein« (pati natae). Nach diesen kulturbestimmten Vorstellungen stellen Frauen in einer Frauenbeziehung ein Problem dar. Wie können diese Schriftsteller eine Frauenbeziehung verstehen, wenn alle Frauen passiv und alle sexuellen Begegnungen zwischen Aktiven und Passiven stattfinden? Diese Autoren wenden das vorherrschende kulturelle Schema von aktiv/ passiv auf Frauenbeziehungen an, indem sie eine der Partnerinnen als aktiv und damit als >widernatürlich, definieren. Manchmal heißt es gar, eine solche Frau verhalte sich wie ein Mann. Autoren der römischen Antike beschreiben somit 31 weibliche Homoerotik als Nachahmung phallozentrischer Sexualität. Diese Schriftsteller betrachten nämlich weibliche Homoerotik anders als männliche Homoerotik. Ich bin durch zwei Beobachtungen zu diesem Ergebnis gekommen. Erstens durch die Quellenlage: es gibt zwar einige Schriftsteller, die sexuelle Beziehungen zwischen Männern gutheißen, aber fast keine der erhaltenen Quellen akzeptiert weibliche Homoerotik. Zweitens durch den Sprachgebrauch: Autoren der römischen Antike benutzen das Wort tribas, den im Griechischen und Lateinischen gebräuchlichen Begriff für eine Frau, diesexuelle Kontakte mit anderen Frauen hat, nicht eindeutig. Einerseits scheint tribas nur die aktive Partnerin in einer Frauenbeziehung zu bezeichnen. So gebraucht der römische Dichter Martial aus dem 1.Jhd. den Begriff tribas, um eine Frau Namens Philaenis zu beschreiben, die sowohl Jungen wie Mädchen penetrierte. Auch für den Astrologen Ptolemaios aus dem 2. Jhd. scheint tribas ausschließlich die ,aktive< Frau in einer Frauenbeziehung zu sein. Andererseits scheinen einige Autoren anzunehmen, daß beide Frauen in einer Frauenbeziehung >widernatürlich, handeln. So benutzt der ältere Seneca, ein älterer Zeitgenosse des Paulus, tribades für ein Frauenpaar. Ebenso bezeichnet eine Randnotiz zum Asklepiades, einem hellenistischen Epigrammendichter zwei Frauen, nämlich Bitto und Nannion, als tribades, weil beide nicht dem Gesetz der Aphrodite folgten. In früherer Zeit hatte bereits Platon alle Frauen, die ein erotisches Interesse an anderen Frauen hatten, mit einem Begriff bezeichnet: hetairistria. Auch innerhalb des Judentums wurden beide Partnerinnen gleich behandelt. So dokumentiert der Jerusalemer Talmud eine Debatte zwischen der Schule des Hillel und der Schule des Schammai darüber, ob Frauen, die gleichgeschlechtliche Liebe lebten, am Essen der priesterlichen Abgaben teilnehmen durften oder zur Ehe mit einem Priester tauglich waren. Dabei steht das Vergehen beider Frauen zur Debatte. Der christliche Schriftsteller Klemens von Alexandrien definiert Frauen als widernatürlich, die entweder ZNT3 (2.Jg. 1999) Bernadette ]. Brooten Bernadette J. Brooten, zur Zeit Fulbright Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Oslo in Norwegen, ist Robert and Myra Kraft and Jacob Hiatt Professor of Christian Studies an der Brandeis Universität in Waltham, Massachusetts, USA, eine vom amerikanischen Judentum geförderte Universität. Für ihr neuestes Buch, Love between Warnen, erhielt sie drei Preise, und sie ist neuerdings zum MacArthur Fellow ernannt worden. Sie stellt sich eine Kirche vor, die gegen den sexuellen Mißbrauch auch innerhalb der Familie und innerhalb der Kirche arbeitet, statt gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle. (Foto© Brandeis News Bureau) die aktive oder die passive Rolle bei der Ehe zwischen Frauen einnehmen. Dieser Widerspruch zwischen der ausschließlichen Konzentration auf die sogenannte ,aktive< Partnerin in einer Frauenbeziehung einerseits und der Verurteilung beider Partnerinnen andererseits verdeutlicht die Schwierigkeiten der antiken Autoren, erotische Liebe zwischen Frauen überhaupt zu verstehen. Da gibt es diejenigen, die weibliche Homoerotik in das phallozentrische Konzept von aktivem und passivem Geschlechtsverkehr einpassen, einschließlich eines anatomischen oder künstlichen Penetrationsorgans. Und dann sind da die anderen Autoren, für die alle Frauen eine Gruppe bilden, die sich weigern, von einem Mann penetriert zu werden oder einfach eine Frauenbeziehung leben, egal ob sie dabei eine aktive oder passive Rolle spielen. Dieser Widerspruch veranschaulicht, daß Frauenbeziehungen sich nicht problemlos in das antike Verständnis sexueller Beziehungen als wesensmäßig ungleich einfügen ließen. ZNT 3 (2.Jg. 1999) 2. Die paulinische Verurteilung von sexuellen Beziehungen zwischen Frauen Die frühchristlichen Schriftsteller gingen von den in ihrer Welt allgemeingültigen Annahmen über sexuelle Beziehungen und Geschlechterrollen aus. Daher lehnten sie die weibliche Homoerotik ab, und zwar aus denselben Gründen wie ihre Zeitgenossen. In seinem Brief an die Römer schreibt der Apostel Paulus in Kap 1 über Menschen, die sich von Gott abgewandt hatten und Götzen anbeteten. Wie andere jüdische Autoren der antiken Welt sah Paulus Vielgötterei als die Ursache sexueller Abweichungen an: »24 Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, so daß sie ihren eigenen Leib durch ihr eigenes Tun entehren. 25 Sie vertauschen die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beten das Geschöpf an und verehren es an Stelle des Schöpfers gepriesen sei er in Ewigkeit! Amen. 26 Darum liefert Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; 27 ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde füreinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung [... ] 32 Sie kennen Gottes Ordnung, daß, die solches tun, den Tod verdienen. Trotzdem tun sie es nicht nur selber, sie stimmen auch denen zu, die so handeln.« Paulus verurteilt hier ganz explizit sexuelle Beziehungen zwischen Männern, aber einige Wissenschaftler meinen, daß die hier erwähnten Frauen dadurch widernatürlich handelten, daß sie analen Verkehr oder Fellatio mit Männern hatten. Dagegen gehe ich davon aus, daß »widernatürlicher Verkehr« sich doch auf Beziehungen zwischen Frauen bezieht, und zwar aus folgenden Gründen: 1. »Ebenso« (homoios) in Röm 1,27 dient dazu, die Bedeutung von Röm 1,26 genauer zu beschreiben. 2. Andere antike Quellen schildern sexuelle Beziehungen zwischen Frauen als widernatürlich (Platon, Seneca der Ältere, Martial, Ovid, Ptolemaios, Artemidor, wahrscheinlich Dorotheos von Sidon). Wie sollen wir also die paulinische Verurteilung von sexuellen Beziehungen zwischen Frauen verstehen? Paulus war ein Mann seiner Zeit, ein Autor, der die Begriffe »Unreinheit«, »entehren«, »austauschen«, »natürlich«, »widernatürlich« und 32 »schamlos« in den Bedeutungen benutzte, wie auch andere Schriftsteller seiner Zeit. Wie wir sehen werden, haben seine frühesten Leser, nämlich die frühen Kirchenväter, Paulus als einen Mann seiner Zeit gelesen. Sie legten Paulus so aus, als verurteile er Homoerotik aus den gleichen Gründen wie andere seiner Zeit. Ich fasse hier »Unreinheit« (akatharsia) als eine Verwischung von Grenzen auf, in diesem Fall der Grenzen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Genauso wie gemäß dem Buch Levitikus als unreine Tiere solche Tiere bezeichnet werden, die nicht mit bestimmten Kategorien übereinstimmen, so haben die von Paulus beschriebenen Menschen keine klaren Geschlechterunterscheidungen, die notwendig für eine spezifische soziale Ordnung waren. Wenn wir daher die paulinische Beschreibung von Homoerotik als »Unreinheit« ernst nehmen, hilft es uns, dies eher als ein soziales Anliegen und nicht so sehr als reines Privatanliegen zu verstehen. Mit dem Begriff »entehren« (atimazo; cf. atimia ), übernimmt Paulus das Konzept von Ehre und Schande der antiken Mittelmeerwelt. In Vers 27 beschreibt Paulus Männer, die »Unzucht« oder »schamlose Taten« (aschemosyne) mit Männern begehen. Dies ist ein Konzept, das mit »entehren« (V. 24) und »entehrend« (V. 26) in Verbindung steht. Für Paulus sollte der Umgang mit weiblichen und männlichen Körpern unterschiedlich sein, besonders in Bezug auf Ehre. Paulus fragt in I Kor 11, 14: »Lehrt euch nicht die Natur selbst, daß wenn ein Mann langes Haar trägt, dies entehrend für ihn ist? « Diese vorgeschriebene Geschlechterunterscheidung durch die Länge der Haare weist auf körperliche, äußere Erscheinung als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Frau und Mann hin. Nach der theologischen Anthropologie in I Kor 11,3 gilt der Mann als Haupt der Frau. Kurzes Haar ohne Schleier bezeichnet einen männlichen Körper als Gottes Ebenbild und Ruhm (I Kor 11,7); das Gegenteil, langes Haar und Schleier kennzeichnen den weiblichen Körper und bedeuten zugleich den untergeordneten Status der Frau als Ruhm des Mannes (I Kor 11,7). In diesem hierarchisch geprägten Rahmen bringt eine Frau, die sich nicht unterordnet, Schande über ihren Ehemann (I Kor 11,5, kataischyno ). Paulus jedoch scheint den Begriff atimazo (entehren) sowohl für Frauen als auch für Männer zu benutzen, als ob auch Frauen Ehre zu verlieren hätten. Meint Paulus etwa, daß die Frauen in Röm 1,26 ihre Ehre verloren haben, oder 33 Bernad1t? tte J. Brooten Lie-be zwischen Frauen im frühen Christentum mehr noch, daß sie Schande über die Männer gebracht haben? Paulus schreibt, daß gewisse Menschen »den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen vertauscht haben.« Wenn wir Röm 1,26f. im Licht einer breiten Vielfalt von antiken Quellen über Sexualität und Geschlechterrollen lesen, so bedeutet »natürlicher« Geschlechtsverkehr das Eindringen einer übergeordneten Person in eine untergeordnete Person. Erotische Beziehungen zwischen Frauen brachten die sozialen Kategorien der Geschlechter durcheinander: nach diesen Kategorien galten alle Frauen als passive, untergeordnete Empfängerinnen von Penetration. Wie ich vorhin ausgeführt habe, galten in diesem Rahmen sämtliche sexuellen Beziehungen von Frau zu Frau von Grund auf als widernatürlich. Autoren der römischen Zeit (z.B. Seneca, Martial, Soran, Lukian) beschrieben Frauen, die erotische Beziehungen mit anderen Frauen hatten, so, als wären diese zu Männern geworden, d. h. als ob diese versuchten, die passive, untergeordnete Rolle, die ihnen von Natur aus gegeben sei, zu überschreiten und eine dominante, penetrierende Rolle anzunehmen. Zwei Texte, die zeigen, daß Paulus diese Auffassungen teilte, sind Röm 7,2, wo Paulus von einer verheirateten Frau als »unter einem Mann« spricht, und I Kor 11,3, wo Paulus den Mann als das »Haupt der Frau« bezeichnet. Paulus benutzt m. E. das Wort »vertauschen« um anzuzeigen, daß die Menschen die natürliche sexuelle Ordnung des Weltalls kannten und sie hinter sich ließen. Paulus benutzt den Plural im ganzen Abschnitt Röm 1,18-32 und zeigt so den gemeinschaftlichen Aspekt des Verhaltens: Als ein Volk unterdrückten sie die Wahrheit über Gott, und als ein Volk änderten sie die Form von sexuellem Verhalten. Mit anderen Worten sehe ich Paulus alle Formen von Homoerotik verurteilen als das widernatürliche Verhalten derer, die sich von Gott abgewandt hatten. Heißt »natürlicher Verkehr« (physike chresis) hier heterosexueller Verkehr? Falls dies der Fall ist, schließt das alle Arten von heterosexuellen Beziehungen ein? Sind sexuelle Praktiken, Alter und Zustimmung wichtige Kategorien? Meine Forschungen haben ergeben, daß die Leitfiguren in der Kulturwelt des Paulus jede Art von vaginalem Verkehr, egal ob es mit Zustimmung oder ob es gewaltsam war, als natürlich ansahen auch wenn sie bestimmte Formen von vaginalem Verkehr als sündhaft, unsittlich oder illegal klassifizierten. Als natürlich galt z.B. der vaginale Verkehr zwischen ZNT3 (2.Jg. 1999) einem erwachsenen Mann und einer Frau, die miteinander verheiratet sind, oder zwischen einem erwachsenen Mann und einer freien Frau, die nicht miteinander verheiratet sind, oder einem erwachsenen Mann und einer Sklavin, d. h. auch mit einem Sklavenmädchen, oder einem erwachsenen Mann und seiner Tochter, oder einer erwachsenen Frau und ihrem Sohn. Die >natürlichen Beziehungen<, die die Frauen aufgaben, schließen daher auch eine große Vielzahl von heterosexuellen Beziehungen wie Ehe, Ehebruch, Vergewaltigung, Inzest, Prostitution und sexuelle Beziehungen zwischen einem erwachsenen Mann und einem minderjährigen Mädchen ein. Paulus hat dieses Konzept des >natürlichen Verkehrs, nicht erfunden, sondern es eher von seiner damaligen Umwelt übernommen und ihm theologische Untermauerung gegeben. Dieses Verständnis von >natürlichem Verkehr< entstammt dem antiken Verständnis von Natur im allgemeinen. Paulus standen zwei grundsätzliche Konzepte von Natur zur Verfügung. 2 Erstens konnte Natur sich auf die Schöpfungsordnung beziehen. Röm 1 gibt die Schöpfungssprache aus Genesis wieder. Erinnern wir uns doch, daß in I Kor 11,2-16 Paulus sich ausdrücklich auf die zweite Schöpfungsgeschichte der Genesis bezieht, um seinen Ruf nach einer unterschiedlichen äußerlichen Geschlechterunterscheidung zu untermauern. Wenn wir die Natur als Schöpfungsordnung in Röm 1 lesen, könnte sich Natur auf das Fehlen von gleichgeschlechtlicher Paarung unter den Tieren beziehen (obwohl einige antike Autoren die Existenz von gleichgeschlechtlicher Paarung unter den Tieren beschreiben), oder auf die Natürlichkeit der Ehe zwischen Frau und Mann beziehen, die auf der Erschaffung der Frau aus dem Mann basiert. Oder aber Natur könnte zweitens ausdrücklich auf die besondere Natur des Mannes und die besondere Natur der Frau verweisen. Daher, würde »widernatürlich«, »wider ihre Natur als Frau« bedeuten. Einige Autoren der Antike schildern die Frau tatsächlich mit einer vom Mann verschiedenen Natur. Z.B. las der Kirchenvater Johannes Chrysostomus im 4. Jh. Röm 1 unter dem Gesichtspunkt seines Arguments, Frauen und Männer hätten nicht die gleiche Natur. Wir sehen, beide Vorstellungen von Natur entweder als die Schöpfungsordnung, oder als die Natur der Frau im Gegensatz zur Natur des Mannes bringen eine Hierarchie der Geschlechter mit sich. Zu beachten ist, daß Paulus nie die Fortpflan- ZNT3 (2.Jg.1999) zung als ein Argument gegen irgendeine Art von sexuellem Verhalten benutzt, auch nicht gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Paulus gleicht auch darin antiken Schriftstellern über weibliche Homoerotik, die normalerweise Frauen, die in Beziehung mit anderen Frauen stehen, nicht deswegen angreifen, weil sie keine Kinder gebären, sondern weil deren Leben schandhaft, unrein, widernatürlich und abscheulich seien. Paulus verurteilt sexuelle Beziehungen zwischen Frauen als »widernatürlich« (para physin), weil er die weitverbreiteten kulturellen Ansichten teilt, daß Frauen von Natur aus passiv sind und daher auch in ihren sexuellen Beziehungen passiv bleiben sollten. So wie antike medizinische Schriftsteller, Astrologen und viele andere Schriftsteller, über die ich in meinem Buch Love Between Women 3 schreibe, sieht Paulus sexuelle Beziehungen als asymmetrisch an, so daß jeder sexuelle Kontakt notwendigerweise einen aktiven Partner und eine passive Partnerin voraussetzt. Ebenbürtige, gegenseitige Beziehungen gehörten nicht zum vorherrschenden kulturellen Diskurs der damaligen Zeit. Dieser Literatur zufolge kann keine Frau der Natur gemäß eine aktive Rolle übernehmen und von daher sind alle sexuellen Beziehungen zwischen Frauen unmöglich. Weit davon entfernt, das Ergebnis von umsichtigen Philosophen zu sein, die sich darum sorgten, sexuelle Beziehungen zu unterstützen, die die volle Menschlichkeit jedes Partners und jeder Partnerin würdigten, erwuchs der Widerstand der römischen Zeit gegenüber sexueller Liebe zwischen Frauen aus dem Verständnis, Frauen seien weniger wert, zum Herrschen ungeeignet, passiv und schwach. Die paulinische Verurteilung von weiblicher Homoerotik hat dazu beigetragen, diese Auffassung aufrecht zu erhalten. Das zentrale Anliegen des Paulus während seiner Missionstätigkeit war es, die Grenzen zwischen jüdischen und heidnischen Menschen abzubauen. In seinen Briefen behandelt Paulus oft und leidenschaftlich solche Hindernisse zum Zusammenleben von Juden und Jüdinnen und Heiden und Heidinnen wie Beschneidung, Speisegebote und das jüdische Gesetz im Ganzen. Paulus vertrat jedoch keine radikalen Veränderungen in solchen Bereichen wie Sklaverei und den Status von Frauen. Ich gehe davon aus, daß Paulus an die christliche Gemeinde in Rom schrieb, weil er glaubte, daß jüdische und heidnische Menschen vor dem Gott J esu Christi gleichberechtigt seien und gleicherweise durch den Glauben an Jesus 34 Christus gerechtfertigt werden konnten, und weil er sich erhoffte, die christlichen Gemeinden würden diesen Grundsatz übernehmen. Der Einsatz des Paulus für die Aufrechterhaltung der traditionellen Geschlechterwerte der römischen Welt durch seine Verurteilung der gleichgeschlechtlichen Liebe steht in schroffem Gegensatz zu seinem angsterregenden Verwischen von Grenzen zwischen jüdischen und heidnischen Menschen. So entschieden wie er darauf besteht, daß jede/ r die/ der gleichgeschlechtlichen Verkehr ausübt, den Tod verdient, so besteht er auch darauf, daß jüdisch-heidnisches Zusammenleben dem Leben der Gemeinde in Christus bekommt. An anderen Stellen in seinen Schriften reagierte Paulus selbstverständlich anders auf Frauen. Er arbeitete eng mit weiblichen Kolleginnen zusammen, wie z.B. der Lehrerin Prisca, der weiblichen Apostelin Junia, seinen Mitarbeiterinnen Euhodia und Syntyche, Tryphaina, Tryphosa und Persis, sowie Phöbe, die Amtsträgerin in der Kirche von Kenchraia war, und vielen anderen. Paulus würdigte die Arbeit und die Führungsqualitäten dieser Frauen in der Kirche, was mit seinem Ideal über das Einssein von Frauen und Männern in Christus übereinstimmt. Weiterhin erinnert Paulus verheiratete Paare an deren beiderseitiges Recht auf Geschlechtsverkehr. Er geht sogar einen Schritt weiter und spricht über die Verfügungsgewalt (exousiazo) der Frau über den Körper ihres Ehemannes, obwohl aus sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gründen die Frauen in Wirklichkeit sehr viel weniger Macht hatten, solche Verfügungsgewalt auszuüben. Aber alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die paulinische Verurteilung von weiblicher Homoerotik doch dem eher konservativen Teil seines Denkens zuzuordnen ist. Für Paulus ist in Röm 1 Homoerotik eine Sünde gegen die von Gott in der Schöpfung erstellte soziale Ordnung, und nicht nur eine Privatsünde gegen das System von privater Moralität, wie zeitgenössische Christen und Christinnen es verstehen mögen. Jene, die sich nicht selbst auf die von Natur aus gegebenen und von Gott abgesegneten Geschlechtsgrenzen beschränken, lösen die notwendige Geschlechterpolarität und die Geschlechterunterscheidungen auf, und diese Menschen werden dadurch unrein. Daher handelt eine Frau oder ein Mann, die/ der körperliche Liebe oder Zuneigung zu einer Person desselben Geschlechts·ausdrückt, widernatürlich und verdient den Tod. Und der Gott, der sich unvoreingenom- 35 Bernad? .tt,? J. Brooten Liebe zwischen frnuen irn frühen Christentum men gegenüber Menschen zeigt, gleich ob sie jüdisch oder heidnisch sind, zeigt sich doch extrem voreingenommen gegenüber denen, die Menschen gleichen Geschlechtes lieben oder heiraten wollen. Ganz konkret bedeutet dies, daß eine jüdischchristliche Frau nicht einen beschnittenen Mann heiraten muß, aber wenn sie heiratet, muß sie einen Mann heiraten. Wenn man also die Grenzen, was die Beschneidung anbetrifft, überschreitet, gefährdet dies nicht mehr das Seelenheil, wenn man aber die Geschlechtergrenzen überschreitet, bringt das dieser Person den Tod. 3. Der jüdische Kontext der paulinischen Verurteilung gleichgeschlechtlicher Liebe Wir hören im Römerbrief auch den Widerhall jüdischen Rechtes, insbesondere des Buches Levitikus: Erstens benutzen Röm 1 und Lev 18; 20 ähnliche Begriffe, zweitens beinhalten beide eine gänzliche· Verurteilung von sexuellen Beziehungen unter Männern, und drittens beschreiben beide jene, die sich auf solche Praktiken einlassen, als des Todes würdig. Paulus erweitert das Levitikus- Verbot und schließt auch Frauen ein. Auch einige seiner jüdischen Zeitgenossen hatten die weibliche Homoerotik verboten. Die Abhandlung des jüdischen Philosophen Philon von Alexandrien, ein Zeitgenosse des Paulus, über die männliche gleichgeschlechtliche Liebe überschneidet sich in drei Punkten mit Röm 1,27: Erstens verurteilen Paulus und Philon solche Beziehungen gleichermaßen, zweitens bezeichnen beide solche Beziehungen als »widernatürlich« (para physin ), und drittens schildern beide eine physische Auswirkung solcher Beziehungen auf die Körper der Beteiligten. Weiterhin verbinden sowohl Philon als auch Paulus Geschlechterunterscheidungen mit Kleidung und Haartracht und Philon sagt, daß die Männer von Sodom, die Geschlechtsverkehr miteinander hatten, das Joch des Naturrechts abgelegt hätten. Auch dieser Vergleich mit Philon zeigt auf, daß sich Paulus innerhalb der jüdischen Gesetzesdiskussion bewegte. Wenn wir Röm 1 im Lichte des jüdischen Gesetzes lesen, hilft uns das, den theologischen Denkrahmen von Paulus zu Heiligkeit gegenüber Unreinheit zu verstehen ein theologischer Denkrahmen, der für die heutige Ethik nicht mehr geeignet ist. Das Konzept, daß bestimmte sexuelle Praktiken die Beteiligten entehren, dient ZNT 3 (2.Jg. 1999) als Grundlage für die Verbote solcher Handlungen in Levitikus. Daß eine bestimmte Art von Verkehr eine Abscheulichkeit darstellt, hat in diesem Konzept nichts mit Zustimmung oder Nötigung zu tun - Kategorien, die die heutige Ethik als zentral ansieht. Daher unterscheidet Lev 20,13 (»Wenn ein Mann mit einem anderen Mann wie mit einer Frau liegt, so haben beide eine Abscheulichkeit begangen: sie sollen daher getötet werden; deren Blut ist auf ihnen.«) nicht zwischen Verkehr zwischen zustimmenden erwachsenen Männern, zwischen Erwachsenen und Minderjährigen und zwischen einem Erwachsenen und einem nichtzustimmenden Erwachsenen. Gemäß Lev 20, 13 steht dem Opfer von homosexueller Vergewaltigung und dem kindlichen Opfer eines Kinderschänders die Todesstrafe zusammen mit den Tätern bevor. Philon von Alexandrien legt Lev 20,13 in genau dieser Weise aus. Er spricht den passiven, minderjährigen Jungen schuldig und betrachtet ihn als »gerecht verurteilt und des Todes würdig in den Augen derer, die das Gesetz beachten, das bestimmt, daß die Mann-Frau, die die Natur so beschmutzt, ungerächt vergehen solle und es nicht verdiene, einen Tag oder nicht einmal eine Stunde als Schande für sich selbst, sein Haus, seine Heimat und die ganze Menschheit zu leben.« In der gleichen Weise gelten die Strafen in Levitikus für Inzest, die den Tod zur Folge haben, nicht nur für zustimmende Erwachsene, sondern auch für kindliche Opfer zusammen mit deren erwachsenen Schändern. Alter und Zustimmung erscheinen nicht als entscheidende Kategorien in den levitischen Verboten von gleichgeschlechtlicher Paarung, Inzest und Geschlechtsverkehr mit Tieren. Alter und Zustimmung sind aber unverzichtbare Kategorien für unsere heutige Ethik. Ebenso tauchen die Kategorien Zustimmung und Nötigung in der paulinischen Verurteilung von Homoerotik nicht auf. Im levitischen Gesetz geht es um die Heiligkeit und Reinheit des israelitischen Volkes. In der gleichen Weise möchte Paulus die christliche Gemeinde als heilig wissen und die Unreinheit, die für heidnisches Leben steht, vermeiden. 4. Die Rezeption der paulinischen Verurteilung gleichgeschlechtlicher Liebe bei den Kirchenvätern Um meine Auslegung von Paulus zu überprüfen, habe ich die Kommentatoren von Paulus des ZNT 3 (2. Jg. 1999) 2.-5. Jahrhunderts untersucht. Dieses frühchristliche Schrifttum bestätigt die Richtigkeit sowohl meiner Methode, als auch meiner Forschungsergebnisse, d. h.: die frühesten Leser haben Paulus in demselben kulturellen und intellektuellen Rahmen gelesen, wie ich es getan habe. Frühchristliche Schilderungen von homoerotischen Frauen, die in der Hölle für ihre Sünden bestraft werden, spiegeln die Ansicht des Paulus wider, daß solche Frauen nach Gottes Urteil den Tod verdienen. Wie in Röm 1 klassifizieren solche Behauptungen homoerotische Frauen und Männer als zwei relativ parallele Gruppen, was in der römischen Welt unüblich war. Frühchristliche Schriftsteller schildern nämlich weibliche Homoerotik als Geschlechterüberschreitung und bestehen darauf, daß beide weibliche Partnerinnen schuldig sind. Geschlechtergrenzen, die durch Kleidungsvorschriften verstärkt werden unter ausdrücklicher Berufung auf I Kor 11,2-16 sowie ein geschlechterspezifisches Verständnis von der Natur selbst, bilden einen wichtigen Rahmen für diese frühchristlichen Diskussionen über sexuelle Liebe zwischen Frauen. Schließlich sehen auch die frühen Kirchenväter eine Verbindung zwischen Paulus und dem levitischen Gesetz. Verschiedene apokalyptische Texte beschreiben in grellen Farben ein Bild der Lehren, die wir im Römerbrief des Paulus fanden: daß nämlich Frauen und Männer, die die Geschlechtergrenzen in ihren sexuellen Praktiken überschreiten, eine extreme Form der Bestrafung verdienen, da sie ein schweres Vergehen gegen das Gesetz Gottes begangen haben. In erzählender Art und Weise schildern diese apokalyptischen Texte, wie sich frühchristliche Leserinnen und Leser von Paulus das Ergebnis dieses göttlichen Urteils und die endzeitlichen Auswirkungen von Gottes Zorn vorgestellt haben. Obwohl Paulus das Jüngste Gericht oder das menschliche Leiden in der Hölle nicht ausdrücklich beschrieben hat, war sein Denken doch apokalyptisch in seiner Orientierung an einem zukünftigen Gericht und einer Wiederkunft Christi. Die Apokalypsen weisen eine gewisse Vereinbarkeit mit dem Römerbrief auf. Aber wo Paulus auf den »Zorn Gottes« und auf diese todeswürdigen Menschen nur dunkel verweist, schildern die frühchristlichen apokalyptischen Visionen ganz genau und sehr präzise diese Strafen nach dem Tod. Diese grauenvollen Details bezeichnen die relative Schwere der Sünde in den Augen der Autoren oder Autorinnen der apokalyptischen Be- 36 schreibungen und lassen vermuten, wie diese die weibliche Homoerotik gesehen haben. So werden z.B. in der Petrusapokalypse, die in der alten Kirche weite Verbreitung fand und die älteste der uns erhaltenen frühchristlichen Schriften dieser Gattung ist, gleichgeschlechtlich liebende Frauen und Männer beschrieben, die sich nun in der Hölle von einer hohen Klippe herabstürzen müssen, nur um kurz darauf wieder von ihren Peinigern auf die Klippe getrieben zu werden, um sich dann erneut herabzustürzen. Diese Apokalypse beschreibt die Männer, die auf diese Weise gepeinigt werden, als »solche, die ihre Körper entwürdigen, indem sie sich wie Frauen benehmen«, und Frauen unter ihnen als »solche, die Geschlechtsverkehr miteinander haben, wie ein Mann mit einer Frau«. Weil die Petrusapokalypse jede Strafe als dem Vergehen angemessen darstellt, interpretiere ich die Szene so, daß diese Bestrafung bedeutet, daß diese Frauen und Männer während ihres Lebens ihre angemessenen Rollen auf den Kopf gestellt haben, und dementsprechend müssen sie nun hinaufgehen und sich kopfüber herunterstürzen, weil sie die Rollen der Gesellschaft auf den Kopf gestellt haben. In der Petrusapokalypse finden sich nur passive männliche homosexuelle Partner in der Hölle wieder, nicht deren aktive männliche Partner (denn nur passive Männer handeln >wie Frauen,). Aber beide weibliche Partnerinnen, passive und aktive, verdienen offensichtlich die gleiche ewige Bestrafung, weil beide Frauen als Sünderinnen angesehen werden. Wir wissen zwar nicht, ob die Petrusapokalypse Paulus direkt kennt, denn im Text finden sich ja keine Indizien dafür, aber sie veranschaulicht auf jeden Fall den kulturellen Rahmen der frühesten Leser und Leserinnen des Paulus, sowohl innerhalb des römischen Reiches allgemein, als auch innerhalb des apokalyptischen Denkens. Im späten 2. Jh. reagierte der Kirchenvater Klemens von Alexandrien ausdrücklich sowohl auf Röm 1, als auch auf die Ehe zwischen Frauen (wie auch andere Zeitgenossen, so z.B. die rabbinischen Gelehrten in dem Levitikuskommentar, die Sifra, die in Lev 18,3 ein Verbot für die Ehe zwischen Frauen finden). Klemens befürwortete die traditionelle Ehe mit deren geschlechtsspezifischen Unterscheidungen und wandte sich gegen jegliche radikale Ideen von der Gleichheit aller Menschen, die er mit sexueller Freizügigkeit in Verbindung brachte. Z.B. forderte eine christliche 37 Bernadette J. Brooten Uabe zwischen Frauen im frühen Christ.m1tum Gruppe, nämlich die Karpokratianer / innen, solche Gleichheit, und Klemens griff sie äußerst heftig wegen ihrer angeblichen sexuellen Verworfenheit an. Er griff besonders Epiphanes an, der in seinem Werk mit dem Titel Über die Gerechtigkeit die Gleichheit aller irdischen Wesen, aller Wesen, auf die die Sonne in gleicher Weise scheint, behauptet. Karpokrates »unterscheidet nicht zwischen reich und arm, Volk und Herrscher, dumm und weise, Frauen und Männern, Freien und Sklaven.« Karpokrates weigerte sich auch, Tiere in irgendeiner Weise anders zu behandeln als Menschen. Im Gegensatz dazu gilt dem geschlechterspezifischen Denksystem des Klemens die Ehe zwischen Frauen als widernatürlich, weil sie sich erstens Gott widersetzte, der die Frau aus dem Mann erschaffen habe, damit sie den Samen des Mannes empfange und ihm helfe. Zweitens verhindere die Frauenehe, daß der männliche Same ein ordnungsgemäßes Feld finde. Drittens riefen die Gebärmütter beider Frauen danach, mit männlichem Samen gefüllt zu werden. Viertens sollten Menschen nicht solchen wollüstigen Tieren wie den Hasen nacheifern. Schließlich habe Paulus die weibliche Homoerotik als widernatürlich erklärt. Diese kurze Verurteilung der Frauenehe von Klemens gewährt uns einen Einblick in sein theologisches Verständnis von Mannsein und Frausein. Nach der Theologie des Klemens hat Gott dem Mann eine größere körperliche Ähnlichkeit mit Christus gegeben und ihm gemäß Genesis eine Führerrolle zugeteilt, und aus diesem Grund läuft eine Frauenehe dem Plan Gottes für die Menschheit theologisch zuwider. Der Mangel eines männlichen Hauptes und das Fehlen von sich ziehmender weiblicher Passivität stellt die Frauenehe jenseits der Grenzen der Theologie des Klemens. Wenn Klemens von Alexandrien meine Auslegungen von Röm 1 bestätigt, so auch die vierte Predigt des Johannes Chrysostomus (4. Jh.) über den Römerbrief Die gesamte Struktur der Predigt des Chrysostomus spiegelt seine asymmetrische Konzeption der Geschlechter wider. Er verwendet sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf »die Gier von Männern nach Männern und Knaben« als auf die sexuellen Beziehungen zwischen Frauen und behauptet, daß im Vergleich zu männlicher Homoerotik es »weit entwürdigender ist, wenn sogar Frauen diese sexuellen Verbindungen suchten, weil sie doch mehr Scham empfinden sollten als ZNT 3 (2.Jg. 1999) die Männer.« Im Gegensatz zu Klemens von Alexandrien hätten Frauen nach Chrysostomus sogar eine vom Mann verschiedene Natur. Diese unterschiedlichen Naturen führten zu sehr verschiedenen sozialen Rollen. Indem er sich selbst auf die zweite Schöpfungsgeschichte bezieht, behauptet Chrysostomus, daß der Mann von Natur aus dazu bestellt sei, ein Lehrer der Frau, und die Frau dazu berufen sei, eine Helferin des Mannes zu sein. In den Augen des Chrysostomus hätten daher die »männliche Gier« und deren weibliche Entsprechung die natürliche Schöpfungsordnung, wie sie im Buch Genesis niedergelegt wurde, zerstört. Solche Frauen und Männer provozierten soziales Chaos und stürzten die soziale Ordnung um. In an die Petrusapokalypse erinnernder Weise formuliert Chrysostomus: »Wann immer Gott jemanden verläßt, so werden alle Dinge kopfüber gestürzt.« Er fragt: »Wieviele Höllen sind für diese Menschen nötig? «, und behauptet: »Es gibt nichts, das unsinniger und schlimmer ist als diese Greueltat«. Chrysostomus betrachtet Homoerotik als schwerwiegenderes Übel als Prostitution. Prostitution, obwohl widergesetzlich, sei zumindest natürlich. Die »männliche Gier« sei unsäglich »schlimmer als Unzucht«. Warum ist das schlimmer? Weil sich ein homoerotisch handelnder Mann selbst dadurch auf die Grenze von Männlichkeit und Weiblichkeit gestellt habe, aber nicht wirklich eine weibliche Natur angenommen habe, obwohl er seine männliche Natur verloren habe. Wegen seines zweideutigen Geschlechtes verdiene er es, wie in den Tagen von Levitikus »hinausgejagt und zu Tode gesteinigt zu werden von Männern und Frauen gleichermaßen.« Indem Chrysostomus beide Kategorien widergesetzlich und widernatürlich verbindet, betont er die soziale Dimension der Widernatürlichkeit. Widernatürlichkeit ist nach Chrysostomus kein privates Vergehen, sondern von öffentlichem Interesse, eine Sache von Gesetz und sozialen Gebräuchen. 5. Zusammenfassung Die Quellen, die ich oben besprochen und die ich in meinem Buch Love Between Woman ausführlicher untersucht habe, zeigen ein weitverbreitetes Bewußtsein in der römischen Welt von sexueller Liebe zwischen Frauen. Dieses Bewußtsein reichte von Schriftstellern der kulturellen Elite wie Martial über niedere städtische Provinzbe- ZNT 3 (2.Jg. 1999) wohner wie Paulus oder wie die Frauen, die erotische Zauberformeln in Auftrag gaben, und endlich bis hin zu den rabbinischen Gelehrten, die in der Sifra die Frauenehe erwähnen. Ungleich den Quellen über die männliche gleichgeschlechtliche Liebe, wovon einige solchen Verkehr befürworten und andere ihn verabscheuen, verurteilen die antiken Quellen fast einstimmig sexuelle Liebe zwischen Frauen. Entgegen der weitverbreiteten und heftigen Ablehnung der Frauenliebe bestätigen die Quellen zugleich, daß die sexuelle Liebe zwischen Frauen in verschiedenen Teilen des gesamten römischen Reichs praktiziert wurde. Als eine Gegenreaktion zeugt der heftige Widerstand doch gleichzeitig von einer gewissen Toleranz, die sich offensichtlich darauf erstreckte, daß Frauen ihre Partnerinnen sogar gelegentlich als »Ehefrauen« bezeichnet haben. Diese Praxis zwingt uns zu der Annahme, daß zumindest ein gewisses Maß an Toleranz bestand, denn jedwede Art von eheähnlicher Gemeinschaft benötigt zumindest ein Minimum an sozialer und wirtschaftlicher Unterstützung. Überschreitungen von Geschlechterrollen tauchen als der am häufigsten erscheinende Grund für die Ablehnung von erotischen Beziehungen unter Frauen auf. Die kulturelle Elite ging von derselben Annahme aus wie Paulus, nämlich daß eine verheiratete Frau »unter einem Mann« sei, und sah homoerotische Frauen als die Natur dadurch überschreitend, daß sie, ohne unter einem Mann zu sein, sich dennoch Lustgewinn bereitet hatten. Für diese Elite waren solche Freuden sowohl gegen die Natur, als auch gegen den göttlichen Willen. Während sowohl christliche als auch nichtchristliche Autoren weibliche Homoerotik als eine Geschlechterrollenüberschreitung schilderten, hatten sie Schwierigkeiten, dies in die asymmetrischen, phallozentrischen kulturellen Vorstellungen der römischen Welt einzubauen. Das phallozentrische Modell von einem Eindringer und einem passiven Partner oder einer passiven Partnerin, in die eingedrungen wird, kann nicht ohne weiteres auf Handlungen zwischen Frauen angewandt werden. Diese Schwierigkeit führte zu verschiedenen Antworten darauf, ob beide Partnerinnen in einer erotischen Beziehung tribades genannt werden sollten, oder nur die >männliche, Partnerin, ob beide Partnerinnen schuldig seien, und schließlich ob eine Partnerin die andere penetrierte oder ob beide in anderer Form sich gegenseitig Lust bereiteten. Christliche wie nicht- 38 christliche Autoren versuchten immer wieder, sich erotische Frauenbeziehungen unter den Gesichtspunkten der strengen Unterscheidung von aktiven und passiven Rollen und der Vorherrschaft des Phallus vorzustellen, aber letztlich gelang ihnen das nicht. Es gab immer Ungenauigkeiten, Sperrigkeiten und Rückstände. Sie vermochten es doch nicht, die weibliche gleichgeschlechtliche Liebe mit der männlichen auf eine Linie zu setzen und haben es nie geschafft, die Erfahrungen von Frauen in männliche Begriffe zu fassen. Autoren der römischen Zeit schilderten weibliche Homoerotik zuerst und im besonderen als eme widernatürliche Geschlechterrollenüberschreitung. Gleichzeitig aber war ihr Verständnis von Geschlecht, Geschlechterrollen und Natur von ihren Vorstellungen über die soziale Rangordnung und der Ständegesellschaft geprägt. Die Aneinanderreihung in einigen Texten von tribades und Prostituierten mag Bilder von Sklavinnen heraufbeschworen haben, die dazu dienten, die Frauen der höheren Schichten daran zu erinnern, daß nur sie wahrhafte Frauen waren. Das implizite Ideal war die wahrhaft weibliche Frau einer höheren Schicht, die entweder ihrem Mann oder bei den gottgeweihten Jungfrauen und den Witwen der Kirchenleitung untergeben war. Während antike Schriftsteller fast jeder sexuellen Liebe zwischen Frauen widersprachen, unterschieden sie sich doch beträchtlich hinsichtlich der Frage ihrer Ursachen und Behandlung. Entgegen den unterschiedlichen Ursachenforschungen und Behandlungen zieht sich die Vorstellung von weiblicher Homoerotik als widernatürlich wie ein roter Faden insbesondere durch die griechischen Quellen, und zwar sowohl durch die christlichen als auch durch die nicht-christlichen. Durch den Römerbrief des Paulus und durch andere frühe Kirchenschriften sind diese und verwandte antike Vorstellungen maßgeblich für die 39 Bernadette J. Brooten Uebe zwischen Frauen im frühen Christentum westlichen Kulturen und zu einer Quelle für unsere Ethik geworden. Wenn wir in Kirche und Gesellschaft fortfahren, der heterosexuellen Ehe vor der Liebe zwischen Frauen Vorrang zu geben, werden wir alte Traditionen aufrechterhalten, die das Leben von Lesben, bisexuellen Frauen und in der Tat aller Frauen gemindert und herabgewürdigt haben. Indem wir unsere Vergangenheit verstehen, können wir auf eine menschlichere Zukunft zugehen eine Zukunft, in der wir Frauenliebe sogar als heilig betrachten können. Anmerkungen 1 Der Aufsatz geht auf Vorträge zurück, die ich vor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, der Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt, der Humboldt-Universität, Berlin und der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, gehalten habe. Ich nutze die Gelegenheit, nochmals für die Einladungen, für die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer und für die angeregten Diskussionen zu danken. Ich bedanke mich sowohl bei Frau Bettina Kleeberg und Frau Karin E. Grundler-Whitacre von der Brandeis Universität, als auch bei Frau Elisabeth Wolf, die die Erstfassung der Übersetzung erstellten, und Frau Marianne Bjelland Kartzow von der Universität Oslo, die mir bei der Abfertigung des Manuskriptes geholfen hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Stefan Alkier, Universität Hamburg, für seine großzügige und einfühlsame redaktionelle Arbeit, die weit über die Pflichten eines Herausgebers hinausging. 2 Vgl. dazu auch die Kontroverse von Martin Hasitschka und Wolfgang Stegemann über Homosexualität im Neuen Testament in ZNT 2 (1998), 53- 68. 3 B.J. Brooten, Love Between Women. Early Christian Responses to Female Homoeroticism Chicago/ London 1996. Eine deutsche Übersetzung dieses Buches ist zur Zeit in Arbeit. ZNT3 (2.Jg.1999)
