ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelDie Apokalyptik vor der Wahrheitsfrage - Gedanken eines Lesers zum vorstehenden Artikel von Klaus Koch
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Folker Siegert
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Folker Siegert Die Apokalyptik vor der Wahrheitsfrage - Gedanken eines Lesers zum vorstehenden Artikel von Klaus Koch 1. Es gibt exegetische Richtigkeiten, und es gibt theologische Wahrheiten (oder Wahrheit). Erstere zusammenzutragen, ist Zweck eines Sammelwerkes wie JSHRZ; auch viele neutestamentliche Kommentarreihen erschöpfen sich darin. In Person und Anspruch Jesu jedoch bündelt sich beides. So möchte ich es mir erlauben, von den Richtigkeiten eine Brücke zu schlagen zur Wahrheitsfrage. Klaus Kochs nicht selten polemische Korrekturen an der exegetical correctness unseres Jahrhunderts bleiben insofern innerhalb ihrer, als sie apokalyptisches Denken allgemein nicht aber konkrete apokalyptische Aussagen als Bezugsrahmen Jesu erweisen. Daß hier insbesondere aramäische Texte einschlägig sind, leuchtet natürlich ein. Der Tag, wo man zum ersten Mal den Ausdruck >Sohn Gottes< in einem Qumran-Fragment aramäisch las, ging durch die Weltpresse. Ein Problem erwächst aus apokalyptischem Denken da, wo ein Visionär sich vermißt, ein Prophet zu sein (vgl. schon Jer 23, 27f.). Welcher Apokalyptiker seit »Daniel« hätte etwas Wahres oder wenigstens Richtungweisendes über die vor ihm liegende Zukunft zu sagen gewußt so wie Israels Gang ins Exil und die Rückkehr aus dem Exil ihre Propheten hatten? Es gibt schon Gründe, warum das rabbinische Judentum nach der Katastrophe Jerusalems die von keiner Fortschreibung des Danielbuches vorausgesehen oder gar verhindert worden war bei der These blieb, mit Haggai, Sacharja und Maleachi ende die Prophetie. Man hatte gekämpft und war gestorben im Vertrauen auf falsche Propheten. Der Trost, den die jüdischen Apokalypsen bereithalten von ps.-Daniels Erwartung eines Sturzes der Seleukidenherrschaft bis zum slavischen Henoch, der das Heil Jerusalems für eine Zeit zu erwarten gibt, in der dann ausgerechnet Hadrian herrscht besteht im jeweiligen Verweis auf eine nahe Zukunft, die, endlich gekommen, sich als ZNT 3 (2.Jg. 1999) schlimmer erweist als die bisher schon als unerträglich empfundene Lage. Das »hermeneutische« Multiplizieren von Jahren zu J ahrwochen usw. mochte sodann in der Wirkungsgeschichte dieser Texte die Atempause verlängern doch um den Preis, daß ein Pseudo-Wissen über den vorgesehenen Ablauf der Weltgeschichte entstand. Auch für dieses ist jede Bestätigung ausgeblieben; statt ihrer erhielten wir Geschichtsphilosophien und Ideologien, deren Wirksamkeit ebenso unbestritten ist, wie sie der westlichen Welt zunehmend fatal wurden. Bleiben wir in der großen geschichtlichen Perspektive! Gegen das Ende dieses 20. Jahrhunderts können wir doch feststellen: Die Erwartungen eines Staatswesens »mit menschlichem Angesicht«, die von der Menschensohn- Vision in Dan 7 geweckt wird (und von der Abschnitt 4 recht sympathisch spricht), hat sich bisher am ehesten in solchen Gesellschaften verwirklicht, deren politische Agenten sich nicht als Erfüller eines Weltplanes verstanden. Die einzige Wahrheit, die den apokalyptischen Schriften eignet, ist die des Protestes, also der Negation. Hinter ihr stehen die »Zukurzgekommenen der Geschichte«. Darum vermag jede Theologie, die Katastrophen bewältigt, ihnen Sympathie entgegenzubringen. Es sei ihrer gedacht im Sinne von J. B. Metz als der Opfer von Gewalt und menschlichem Hochmut. Man lese sie als Gegenmittel gegen ein theologia gloriae. 2. Bleibt die Wahrheitsfrage angesichts von Texten, die uns als kanonisch überliefert werden. Erfahren wir aus ihnen Gültiges, was nicht Menschen sich selber, sondern Gott den Menschen sagt? Es sei R. Bultmann zugute gehalten, daß er als Religionsgeschichtler, der er zeitlebens war nie von einem, wenn auch punktuellen, offenbarungstheologischen Ansatz abgelassen hat. Mit ihm der Käsemanns These bekanntlich nicht geteilt hat 1 fragen wir: wo ist hier ein Gotteswort? 50 Folker Siegert Professor Dr. theol. Folker Siegert, geb. 1947, derzeit ordentlicher Professor für Judaistik und Neues Testament und Leiter des Institutum Delitzschianum in Münster. Zahlreiche Studien zu Philo von Alexandrien, zum antiken Judentum und zur neutestamentlichen Theologie. Am wenigsten, scheint mir, in den als besonders alt und authentisch angesehenen apokalyptischen Äußerungen Jesu. Auch sie wurden, je konkreter, umso irriger: »Amen, amen, ich sage euch: dieses Geschlecht wird nicht vergehen [... ].« Inzwischen sind viele Geschlechter vergangen. Es gibt keine bessere Antwort auf diese Verlegenheiten, als mit dem Kerygma, mit dem Johannesprolog, mit vielen anderen, mit Buhmann zu sagen: Jesus Christus selber ist das Wort Gottes. Dieses spricht uns an als Wort der Versöhnung (II Kor 5, 19). Ein Wissen aber teilt es uns nicht mit, weder über Gott noch über die Welt. Dieses Wort bringt uns in einen Kontakt mit Gott einen heilsamen Kontakt -, den man mit vielen Begriffen und Metaphern, auch, wenn man will, mit dem Ausdruck Gottesreich bezeichnen kann (so auch Paulus in Röm 14, 17). Dann liefern die apokalyptischen Texte, wie im 4. Abschnitt des Artikels angedeutet, gerade in ihrer diachronen Entwicklung Farben für die Ikone einer »Heilandsgestalt«. Diese ist mir selber freilich weniger wichtig als das aufregende, wenn auch wiederum nicht alles entscheidende - Bild das irdischen Jesus, wie es etwa aus der Quelle Q resultiert. Wie weit aber und inwiefern das Gottesreich für mich, für uns heute eine räumliche und/ oder eine zeitliche Dimension hat, darüber ist von keinem Apokalyptiker etwas zu erfahren außer der Forderung als solcher. Daß die Apokalyptiker 51 selbst in der Regel das Heil in zwei Stufen erwarteten - Punkt 4 am Ende schließt hier Jesus ein -, mag immerhin entlastend wirken angesichts der Anfragen an die Kirche: wo sieht man etwas vom Heil? Auch geht die Theologie in der christlichjüdischen Verständigung jetzt verstärkt auf die Zweistufigkeit von Röm 11 ein, im Verlassen bisheriger Geschichtsentwürfe. 3. Nach Abschnitt 5 hat Jesu Polemik gegen den Zweiten Tempel einen weiten apokalyptischen Hintergrund (und Jesus erweist sich einmal mehr als radikaler als die Pharisäer). Dieser Hintergrund verblaßt für mich aber vor der friedlichen Art, mit der wenigstens hier die Christen ihren eigenen Gottesdienst und ihr Herrenmahl einrichten, ohne die religiösen Übungen anderer zu stören. Nicht einmal der Hebräerbrief hat es nötig, auf das gewaltsame Ende des Jerusalemer Opferkults hinzuweisen. Darauf hat erst späterer Triumphalismus Wert gelegt. Wenn wir schon die apokalyptische Realität von damals nicht übernehmen, so auch nicht die Haltung des irdischen Jesus, die, als prophetische Geste mit alsbaldiger Erfüllung, in seinem Tod aufgehoben ist. Was vorher Apokalyptik war, wird Christologie. Muß das den Exegeten stören? 4. Dem 6. Abschnitt könnte ich am meisten zustimmen, finde ihn jedoch einer Ergänzung bedürftig, die nochmals bei der Richtigkeit einsetzt und sich von dort durchfragt zur Wahrheit. Die Erwartung einer Totenauferweckung in verschiedenen Formen zum Guten, auch zur Strafe (Platons Staat) ist zu J esu Zeiten Gemeingut der Menschheit gewesen. Sie gehört zur Religion als menschlichem Fragen nach Gott. Die Inder hatten sie früher als die Griechen, und die Griechen früher als die Juden. Die Apokalyptiker haben sie nicht aufgebracht, sondern zu ihrer Popularisierung im Judentum beigetragen. Das mag ihr Verdienst sein; nur eben: bis zu ihnen hin handelt es sich um unbestätigte Erwartungen; und der Wunsch ist Vater des Gedankens. Nichts verbürgt eine individualisierende relecture von Ez 37. Hier darf man naturgemäß eine Bestätigung durch nachprüfbare Sachverhalte nicht verlangen ZNT3 (2.Jg.1999) (auch nicht in der Form von Mt 27, 62-66), so wahr es um den Übergang in einen »anderen Aeon « gehen soll. (Darum gehören, streng genommen, auch die Totenauferweckungen des irdischen Jesus nicht hierher.) Die biblische - und apokalyptische - Sprache hilft immerhin, die Erwartung zu präzisieren und der griechischen letztlich animistischen - These von der Unsterblichkeit der Seelen die Ankündigung einer Neuschöpfung (Röm 8; II Kor 5) entgegenzusetzen. Abschnitt 6 geht aber in eine andere Richtung mit seiner These, daß auch die Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen einzige »Bestätigung« dessen, was wir oben einen Wunschgedanken nannten sich dem apokalyptischen Denken verdanken. Das ist richtig, tant bien que mal. Ein Unwohlsein bleibt, denn die allgemeine Erwartung der Menschheit (die Mehrheit des Judentums inbegriffen) macht die visionäre Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen nicht plausibler, als diese jene. Der Glaube darauf läuft nun mein Plädoyer hinaus nährt sich nicht aus visionären Ereignissen, sondern aus der im Wort der Versöhnung erfahrenen Gotteskindschaft. Sie erhält in den Schriften des Neuen Testaments einen vielfältigen, vielstimmigen Ausdruck, dessen Grundstimmung auch »kontrafaktisch« durchgehalten die Freude ist. Demgegenüber eine letzte Bemerkung, die nochmals ein Unwohlsein aufgreift: Es ist menschlich verständlich, aber theologisch nicht weiterführend, wenn der einzige Apokalyptiker, der mit einer eigenen Schrift in unserem Neuen Testamtent auftritt, einen rächenden Christus verlangt (Apk 6, 10). Ich meine also: den Einfluß der antiken und jüdischen Apokalyptik auf Jesus, auf die Kirche und auf die Christenheit gilt es ebenso klar zu sehen - Ziel des Artikels wie zu begrenzen - Ziel dieser Antwort. Anmerkung 1 Siehe seine Exegetica, Tübingen 1967, 476-482. ZNT 3 (2.Jg. 1999) Das Grundthema der Gottesfrage Olav Hanssen Gott alles in allem Exegetische Einblicke in das Neue Testament. Mit einem Geleitwort herausgegeben von Christoph Burchard. 1999. 95 Seiten, kartoniert DM 28,- / öS 204,- / SFr 27,20 ISBN 3-525-53646-1 Der erste Aufsatz dieser Sammlung war eine der Ola>,HaM-sen Gott alles in allem ~>- .. ln~N<M>T~t ""! <-~"°" c--frühesten Arbeiten über die Bergpredigt, die sie als theologische Leistung des Evangelisten Matthäus zu erfassen suchte, und gehört damit zu den Pioniertaten moderner Evangelienauslegung. Diese, wie auch die folgenden exegetisch-homiletischen Auslegungen zu Predigttexten sind aber auch Muster geistlicher Schriftdeutung, die sich weder vor den intellektuellen und moralischen Zumutungen der Modeme in wissenschaftslosen Biblizismus rettet, noch die Bibel so religionslos interpretiert, daß sie dasselbe sagt wie der Zeitgeist. Es geht hier um das Grundthema der Gottesfrage. Weil diese das theoretische und praktische Lebensproblem der Menschheit ist, aber allein Gott sie in der Begegnung mit dem Menschen lösen kann, liest und deutet Olav Haussen die Bibel mit der hermeneutischen Vorgabe, daß sie die Offenbarung Gottes bezeugt. Deren konkrete Züge arbeitet er besonders aus dem Neuen Testament heraus. Für ihn ist dabei philologisch-historische und weil historisch, auch kritische Exegese eine theologische Notwendigkeit, der er nüchtern nachkommt, um dann zum Gegenstand von Predigt und Seelsorge das zu erheben, was dazu hilft, der Gottesfrage zu begegnen (Weihnachten, Ostern, Sendung, Gottes gute Gaben, Gemeinde in der Welt und Gebet). Weitere Informationen: Vandenhoeck Et Ruprecht, Theologie, 37070 Göttingen V&R Vandenhoeck &Ruprecht 52