eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 2/4

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
1999
24 Dronsch Strecker Vogel

»Petrus und Jakobus, der Gerechte« - Gedanken zur Rolle der beiden Säulenapostel in der Geschichte des frühen Christentums

121
1999
Roman Heiligenthal
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Roman Heiligenthal »Petrus und Jakobus, der Gerechte« Gedanken zur Rolle der beiden Säulenapostel in der Geschichte des frühen Christentums Meinem Sohn Johannes Martin gewidmet Der »Jesusboom« der vergangenen Jahre zeigt, daß Geschichte, die sich in Lebensbildern konkretisiert, auf erstaunlich großes Interesse auch im theologischen Bereich stößt. Besonders in der Religionspädagogik gibt es seit einigen Jahren einen Trend, theologische und historische Inhalte mit Hilfe biographischer Skizzen transparent und verständlich zu vermitteln. Dieser Ansatz soll mit der folgenden Untersuchung zu Jakobus und Petrus aufgegriffen werden. Daneben kann sie auch deutlich machen, daß unsere Neigung, geschichtliche und aktuelle Entwicklungen im kirchlichen Bereich als Konfliktgeschichte zu interpretieren, nicht immer angemessen ist. Es hat bereits in der frühesten Kirchengeschichte durchaus Toleranz, Offenheit für die Positionen anderer und funktionale, nicht ideologisch überhöhte Aufgabenteilung gegeben. Petrus und der Herrenbruder Jakobus geben uns hierfür ein Beispiel. 1. Methodische und forschungsgeschichtliche Überlegungen Aus der Feder des Hieronymus stammt eine erste »Petrusbiographie« 1: 32 »Simon Petrus, der Sohn des Johannes stammt aus dem Dorf Bethsaida. Er ist der Bruder des Apostels Andreas und der Erste unter den Jüngern. Nachdem er Bischof der Kirche von Antiochien gewesen war und gepredigt hatte in der Diaspora den Anhängern der Beschneidung in Pontus, Galatia, Kappadozien, Asia und Bithynien, zog er im zweiten Jahr der Regentschaft des Claudius weiter nach Rom, um Simon Magus zu besiegen. Dort saß er 25 Jahre auf dem heiligen Stuhl bis zu seinem letzten Jahr, dem vierzehnten Jahr der Regierungszeit des Nero. Aus dessen Händen empfing er die Märtyrerkrone, indem er an das Kreuz mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben geschlagen wurde, da er versicherte, er wäre unwürdig in derselben Weise wie sein Herr gekreuzigt zu werden. Er schrieb zwei Briefe, die >katholisch, genannt werden, deren zweiter wegen seiner Unterschiede vom ersten bezüglich des Stils von vielen als nicht von ihm geschrieben angesehen wird. Auch das Evangelium nach Markus, der sein Schüler und Interpret war, wird ihm zugeschrieben. Auf der anderen Seite werden die folgenden Bücher, die seinen Namen tragen, als apokryph verworfen: Petrusakten, Petrusevangelium, Petruspredigt, die Petrusoffenbarung und die Lehre des Petrus.« 2 Hieronymus beschreibt Petrus als einen Apostelfürsten, der besonders in den 1. Petr 1,1 genannten kleinasiatischen Provinzen missionarisch wirkte, in Antiochien Bischof gewesen war, um dann später als erster Bischof Roms dort mit dem Kopf nach unten gekreuzigt und begraben worden zu sein. Er habe zwei Briefe geschrieben, von denen der zweite wahrscheinlich pseudepigraph sei, auch das Markusevangelium gehe auf seine Predigten zurück. Daneben habe man ihm fälschlicherweise eine Reihe weiterer Schriften zugeschrieben. Hieronymus schrieb diese knappe Lebensbeschreibung 392/ 93 für seine Literaturgeschichte »De viribus illustribus« 3 in Bethlehem, nachdem er sich zuvor in Syrien und Rom aufgehalten hatte. Er dürfte also mit den umlaufenden Petrustraditionen seiner Zeit vertraut gewesen sein. Spätestens Ende des 4.Jahrhunderts hatte sich also jenseits aller Sondertraditionen und Legenden die großkirchliche Anschauung des Lebensweges Petri in seinen wesentlichen Punkten zu einer gültigen Tradition verfestigt. Es fällt allerdings auf, daß in dieser »Kurzbiographie« die Rolle, die Petrus in Jerusalem spielte, nicht erwähnt wird. Im zweiten Kapitel von »De viribus illustribis« ist es der Herrenbruder Jakobus, der das »Haupt der Kirche in Jerusalem« gewesen war. Der an dieser Stelle von Hieronymus zitierte Hegesipp steht in einer judenchristlichen Tradition, die Jakobus immer stärker zur dominierenden Gestalt der frühen Kirche überhaupt werden ließ. 4 Wenn wir in dieser Studie ca. 1600 Jahre später nach dem Verhältnis von Petrus und Jakobus in der J erusalemer U rgemeinde fragen, können wir diese Eckdaten kirchlicher Tradition nicht mehr unkritisch als Tatsachen übernehmen, allerdings ZNT 4 (2.Jg. 1999) Roman H eiligenthal Professor Dr. Roman Heiligenthal, Jahrgang 1953, Studium der Evangelischen Theologie in Bonn und Heidelberg. Promotion 1982, Habilitation 1990, seit 1992 Universitätsprofessor für Biblische Wissenschaften an der Universität Koblenz-Landau, Abt! . Landau/ Pfalz. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: Der Lebensweg Jesu von Nazareth. Eine Spurensicherung. Stuttgart 1994; Der verfälschte Jesus. Eine Kritik moderner Jesusbilder. 2. erw. Aufl. Darmstadt 1999; Einführung in das Studium der Evangelischen Theologie. Stuttgart 1999. bestimmen sie bis heute nicht nur das volksreligiöse Bild von Petrus und J akobus, sondern auch zumeist in kritischer Abgrenzung die wissenschaftliche Diskussion. Es soll in dieser Untersuchung vornehmlich um die Rolle der beiden Apostel innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde bis zur Verfolgung des Petrus durch Herodes Agrippa 1. gehen, der im Frühjahr 41 n. Chr. den Zebedaiden Johannes mit dem Schwert hinrichten und wohl auch Petrus inhaftieren ließ. 5 Allerdings sind diese ersten elf Jahre, in denen Petrus -auf welche Weise auch immermit Jakobus maßgebend die Geschicke der frühen Gemeinde bestimmte, von zentraler Bedeutung für die Beurteilung des Apostels insgesamt. Das Interesse an dem »historischen Petrus« und dem »historischen Jakobus« stellt uns grundsätzlich vor dieselben methodischen Probleme und Vorentscheidungen wie die Frage nach dem »historischen Jesus«. Mit Sicherheit werden wir nicht sagen können, es ließe sich eine biographische Studie über neutestamentliche Personen im modernen Sinn erstellen. Hierzu fehlt sowohl das Material als auch das methodische Instrumentarium, das es uns in jedem Falle erlauben würde, zwischen der Rezeption in frühchristlichen Tradi- ZNT 4 (2. Jg. 1999) Roman Heiligenthal »Petrus und Jakobus, der Gernchte« tionen und dem historischen Hintergrund einer Personendarstellung exakt unterscheiden zu können. Dennoch lassen sich individuelle und typische Züge einzelner urchristlicher Gestalten durchaus noch erkennen. Im Wissen um die Schwierigkeiten einer historischen Rekonstruktion möchte ich lieber von einer prosopographischen Skizze sprechen. 6 Es kann also nicht das individuelle Leben im Vordergrund der Betrachtung stehen, sondern es muß um beide Gestalten hinsichtlich ihrer Stellung in der Geschichte des Urchristentums gehen. Eine solche an der Person ausgerichtete Perspektive schützt vor einem allzu schematischen Bild des frühen Christentums und »fungiert als methodischer Vorbehalt, als eine Art Bollwerk gegen jede Schematisierung frühchristlicher Geschichte und Theologie, oder positiv gewendet: als stete Aufforderung, Widersprüche, Ungereimtheiten, Brüche, Spannungen als Elemente einer sie umfassenden individuellen Einheit zu verstehen.« 7 Dieser Vorbehalt kommt besonders mit Blick auf Petrus und Jakobus zum Tragen, da ihre Einschätzung bis heute durch die auch konfessionell bedingte 8 These eines Gegensatzes zwischen paulinischen und petrinischem/ jakobinischem Christentum verstellt werden kann. 9 Mit dem Aufkommen der formgeschichtlichen Methode und der mit ihr verbundenen historischen Skepsis stellte sich für die Petrus- und Jakobusforschung das bis heute umstrittene Problem des historischen Quellenwertes der Apostelgeschichte. Man betrachtete die Apostelgeschichte als einen fiktiven geschichtstheologischen Entwurf10 und sah in Lukas eher einen Apostelromanschreiber mit gewissen abwegigen theologischen Tendenzen. 11 Zu Recht wird heute auch in Deutschland darauf hingewiesen, daß die redaktionsgeschichtliche Sicht der Apg ebenso zu gewagten historischen Rekonstruktionen führte, allerdings zumeist gegen den Text der Apostelgeschichte. Es scheint sich mittlerweile trotz aller gebotenen Vorsicht die Einsicht Weg zu bahnen, daß der Apostelgeschichte ein historischer Gehalt nicht abzusprechen ist. 12 Was das Verhältnis zwischen Petrus und Jakobus betrifft, ist die heutige Forschungsdiskussion ausdifferenziert und hat sich teilweise von dem Baur'schen Geschichtsschema gelöst. Jakobus wird durchaus nicht in allen Untersuchungen einseitig auf die Seite des Petrus gestellt. Es gibt Forscher, die meinen nachweisen zu können, Jakobus habe Paulus näher gestanden als Petrus. 13 Ethel- 33 bert Stauffer meinte hingegen, Jakobus habe mit diplomatischem Geschick Paulus in Jerusalem geradezu ans Messer geliefert und M. Goguel meinte, Jakobus habe durch absichtliches Schweigen Paulus seinem Schicksal überlassen. Nicht durchgängig geht man von einem anfänglichen Primat des Petrus in der Jerusalemer Urgemeinde aus. Statt dessen sieht man ihn in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zu J akobus von Beginn an stehen. 14 Dessen Führerschaft in Jerusalem von Anfang an vertritt umfassend H. J. Schoeps 15 , der aufgrund nicht unumstrittener Quellenrekonstruktionen in Jakobus von Anbeginn die leitende Gestalt der Urgemeinde sieht. Vorherrschend ist heute die Sicht einer allmählichen Ablösung des Petrus in der Leitungsbzw. Führungsrolle durch Jakobus. Diese Grundthese wird mit unterschiedlichen Akzentsetzungen vertreten. Noch ganz in der Denktraditon Ferdinand Christian Baurs sah Eduard Meyer bereits einen vorpaulinischen Riß zwischen der Petruspartei (»den Zwölf«) und der Jakobuspartei. Er glaubt, die Berichte über die Distanz der Herrenbrüder zu Jesus (Mk 3,31.31-35; Joh 7,5) als Reste einer Polemik der Petrusleute gegen Jakobus interpretieren zu können. Wie »Hund und Katze« seien die Mitglieder der Urgemeinde gegeneinander gewesen und die heutige neutestamentliche Quellenlage sei »vermittlungstheologisch vernebelt«. 16 Noch 1970 nimmt Felix Christ aufgrund der paulinischen Wertung in Gal 2,12 (» ... weil er die aus dem Judentum fürchtete«) an, Petrus habe Angst vor der Macht des Jakobus gehabt.17 Die bis heute in ihrem Kernbestand immer wieder vorgebrachten Argumente für die These eines allmählichen Machtverlusts Petri in Jerusalem faßt Dietfried Gewalt zusammen: »Spätestens in der Verfolgung durch Agrippa wird der U rgemeinde klar, daß sie nicht mehr als legitime Richtung innerhalb des Judentums akzeptiert wird. So wurde eine grundsätzliche Neuregelung des Verhältnisses zum Judentum notwendig, in die sich Jakobus am ehesten gefunden hat. Dafür spricht als primäres Zeugnis Gal 2,12, sekundär die judenchristliche Tradition, die ihm zum exemplarischen jüdischen Frommen macht. Dies allein erklärt noch nicht, weshalb Jakobus die Führung übernahm und Petrus zurückdrängte. Jakobus scheint sich nicht nennenswert von Jerusalem entfernt zu haben. So zeigt sich zweierlei: 1.) Petrus zeigt früh Interesse an Missionsreisen und unterscheidet sich dadurch von dem ortsfesten J akobus, der so auch in Abwesenheit Petri seinen Einfluß geltend machen kann. 34 2.) Petrus hat es schwer, sich bei zunehmenden jüdischen Druck mit einer strengen Gesetzesauslegung zu arrangieren, was J akobus leicht gelang. Petrus schwankt noch in Antiochia. So zeigen sich auch hier Ansätze für den Auf stieg des Jakobus. Dieser wurde begünstigt, als durch den Tod des J akobus Zebedäi die ebenfalls um die Führung ringenden Zebedaiden geschwächt wurden (Act 12 als entscheidender Wendepunkt). Als drittes Moment in diesem Zusammenhang ist das dynastische Denken des Urchristentums zu beachten ... « 18 Die Stellung der einzelnen urchristlichen Exponenten zur Tora ist der entscheidende Interpretationsschlüssel, mit dem diese These in all ihren Varianten arbeitet. Jakobus ist dann derjenige, der aufgrund größeren diplomatischen Geschicks oder tieferer Verwurzelung im Judentum durch ein strenges gesetzesgläubiges Judenchristentum den zunehmenden äußeren Druck der religiösen Umwelt in Jerusalem am besten standhalten konnte und so das überleben der aramäisch sprechenden Christen bis zu seiner Hinrichtung im Jahre 62 n. Chr. gewährleistete. Hierbei wird vorausgesetzt, Petrus habe eine »laxere« Einstellung zum Gesetz gehabt, die seine Position in Jerusalem langfristig untergrub, ja ihn physisch gefährdete. Die theologischen Positionen der beiden Apostel hätten sich somit zumindest graduell und für die jüdische Außenwelt wahrnehmbar unterschieden. So einleuchtend und notwendig der Versuch ist, die Stellung des Jakobus in der Geschichte des frühen Christentums auf dem Hintergrund seiner Haltung zur Tora zu beleuchten, so schwierig erscheint mir, die Gesetzesfrage zum Schlüssel für die Beschreibung seines Binnenverhältnisses zu Petrus in der Zeit des gemeinsamen Wirkens unter den Jerusalemer Christen zu machen. In der Frühzeit der Jerusalemer Gemeinde nimmt Petrus unzweifelhaft eine führende Stellung ein. Nicht nur Paulus sieht in ihm den Repräsentanten der J erusalemer Gemeinde und hält sich fünfzehn Tage im Hause des Apostels auf, sondern auch die ersten 12 Kapitel der Apostelgeschichte berichten von der hervorgehobenen Rolle, die Petrus in dieser frühen Zeit in Jerusalem spielt: In der Elferliste (Apg 1,13) wird Petrus als Erster der Jünger genannt. 19 Er ist derjenige, der den Kreis der »Zwölf« repräsentiert. Auch die Nachwahl des zwölften Jüngers geschieht daher aufgrund einer Initiative des Petrus (Apg 1,15- 26). Petrus ist derjenige, der in der Erzählung von Ananias und Saphira charismatische Gemeinde- ZNT4(2.Jg.1999) zucht übt (Apg 5,1-11) und bei der Verhaftung aller Apostel die Rolle des Sprechers gegenüber der Jerusalemer Tempelaristokratie wahrnimmt. Auch die Tradition des Befreiungswunders am Ende seiner Jerusalemer Wirksamkeit (Apg 12,3-19) unterstreicht nochmals die hervorgehobene Stellung, die Lukas Petrus zuschreibt. Diese unbestrittene Autorität des Petrus in Jerusalem gründet sich darauf, daß Petrus dem engsten Jüngerkreis angehörte und dort eine hervorgehobene Stellung als deren Sprecher gehabt hat. Als jemand der Jesus nahestand war er auch unter den jüdischen Autoritäten im nachösterlichen Jerusalem bekannt (Apg 4,13). Das Ansehen von J akobus beruhte nicht auf dem gemeinsamen Wirken mit Jesus als charismatischer Wandermissionar, sondern auf einer Vision des Auferstandenen (I Kor 15,7) 20 , seiner Stellung als des ältesten Herrenbruders (Gal 1,19; Jos ant XX, 200) sowie der Anerkennung, die er offensichtlich unter den gesetzestreuen und frommen Kreisen der Jerusalemer Juden genoß. Er erwies sich damit als idealer Vermittler zwischen den jüdischen Messiasbekennern und ihrer jüdischen Umwelt in Jerusalem. 21 Jakobus befand sich wahrscheinlich schon sehr früh nach J esu Hinrichtung im inneren Kreis der Christusgläubigen (Apg 1,14). In Gal 1,19 wird erwähnt, daß Paulus anläßlich seines ersten Jerusalembesuchs nach seiner Christuserscheinung neben Petrus, bei dem er wohnte nur nochJakobus traf (ca. 38 n.Chr.). Als Petrus wegen der Verfolgung unter Agrippa I. 44 n. Chr. aus Jerusalem fliehen mußte, bittet er die im Haus der Maria anwesenden Christen, seine Flucht dem Jakobus mitzuteilen (Apg 12,1-17). Zur Zeit des sogn. Apostelkonzils (ca. 48 n. Chr.) gehört Jakobus unter die »Angesehenen«. Von der als »drei Säulen« bezeichneten Dreiergruppe wird er vor Johannes und Petrus an erster Stelle genannt (Act 15,1-29). Als dann schließlich Paulus um 58 n.Chr. nach Jerusalem kam, um eine Kollekte zu überbringen, traf er auf Jakobus, der offensichtlich einem Kreis von Ältesten gemeindeleitend vorstand (Apg 21,18). Doch läßt sich aus diesen Beobachtungen schließen, daß Petrus der erste Gemeindeleiter der christlichen Gemeinde in einem rechtlich-organisatorischen Sinn gewesen ist und in dieser Funktion durch J akobus abgelöst wurde? Die These von der Gemeindeleitung des Petrus wird in der Forschung in unterschiedlichen Nuancen vertreten. Die klassische katholische Auslegung geht davon aus, daß Petrus in das Hirtenamt ZNT4(2.Jg.1999) von Jesus eingesetzt wurde 22 und er seine leitende Funktion allmählich über Jerusalem hinaus universal ausweitete. 23 Jakobus habe dann quasi in Stellvertretung Petri die Leitung der Jerusalemer Gemeinde übernommen. Die heute übliche Sicht vertritt beispielhaft Rudolf Pesch, der von einem schleichenden Autoritätsverlust Petri in Jerusalem ausgeht und feststellt, daß bereits vor der Inhaftierung des Apostels unter Herodes Agrippa I. die Gemeindeleitung an den Herrenbruder Jakobus gefallen sei. 24 Inhaltlich begründet diese Entwicklung Martin Hengel mit der »laxeren« Haltung Petri gegenüber der Tora, die sich unter den Jerusalemer Messiasbekennern nicht habe durchsetzen können. 25 Teile der altkirchlichen Tradition gehen ebenfalls von einer frühen institutionellen Dominanz von Jakobus, dem Gerechten, in der Urgemeinde aus. Hegesipp beispielsweise meint, daß Jakobus als erster Bischof Petrus vorgeordnet war, 26 und Clemens von Alexandrien weiß zu berichten, daß Petrus und die beiden Zebedaiden ohne Streit Jakobus zum ersten Bischof Jerusalems wählten. 27 In judenchristlichen Traditionen wird die herausragende Stellung des Jakobus noch stärker betont. Nach dem Hebräerevangelium war Jakobus nicht nur in hervorgehobener Stellung beim letzten Mahl zugegen, sondern er war auch derjenige, dem der Herr zuerst erschien: »Als aber der Herr das Leintuch dem Knecht des Priesters gegeben hatte, ging er zu Jakobus und erschien ihm. Jakobus hatte nämlich geschworen, er werde kein Brot mehr essen von jener Stunde an, in der er den Kelch des Herrn getrunken hatte, bis er ihn von den Entschlafenen auferstanden sähe ... « 28 Die altkirchlichen Traditionen über Petrus und Jakobus belegen, daß Jakobus als Repräsentant eines sich in Palästina entwickelnden Judenchristentums angesehen wurde, während Petrus für die sich in der Mission öffnende heidenchristliche Kirche stehen konnte. Beide boten sich hierfür aufgrund ihrer Autorität und ihrer unterschiedlichen je auf besondere Weise prägenden Funktionen innerhalb des Frühchristentums an. Dabei sollte man nicht in Kategorien der Konkurrenz bzw. des Kampfes um Macht und Einfluß denken. Petrus und Jakobus lebten nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern sie repräsentierten zwei unterschiedliche Varianten des frühen Christentums, die in Jerusalem über längere Zeit durchaus fruchtbar und sich gegenseitig stützend zusammen existierten. 35 2. Petrus und Jakobus zwei Konkurrenten um die Leitung der Urgemeinde? Sowohl Petrus als auch J akobus nahmen in der Jerusalemer Urgemeinde eine Sonderstellung ein. Die Autorität beider wurde offensichtlich anerkannt, doch beruhte sie nicht nur auf Gemeinsamkeiten, sondern auch auf typischen Unterschieden. Gemeinsam war beiden die Erfahrung einer Christusoffenbarung, die als Legitimationsgrundlage breite Anerkennung gefunden hat. Paulus hätte sonst hierüber nicht als ihm vorgegebene Überlieferung berichten können (I Kor 15,5-7). Petrus und Jakobus werden hier als einzige namentlich genannt und dadurch besonders hervorgehoben. Die Reihenfolge der Erscheinungen ist im vorliegenden Text chronologisch angeordnet; Petrus und Jakobus sind jeweils einer Gruppe zugeordnet. Adolf v. Harnack 29 sah in diesen beiden parallel konstruierten Notizen Rivalitätsformeln, die auf einen Streit um die Ersterscheinung zwischen den Anhängern des Petrus und dem Kreis um Jakobus schließen ließen. Auch Wilhelm Pratscher, der die Entstehung der Formel in I Kor 15,7 in die Mitte der dreißiger Jahre n. Chr. datiert,30 schließt sich im Kern dieser These an, indem er behauptet, »daß die Person des Jakobus auf Kosten des Petrus in den Vordergrund gerückt wurde« 31 . Diese These erscheint mir eher durch eine grundsätzliche Sicht des frühen Christentums als einer Konfliktgeschichte evoziert als durch den Textbefund. Denn der Text hat in seiner Aussageabsicht keinerlei polemischen, sondern legitimatorischen Charakter. Sowohl Petrus als auch Jakobus als dann schließlich auch Paulus sollen für ihre jeweilige Funktion durch eine Christusvision legitimiert werden. Die zeitliche Rangfolge, die Petrus die Protovision zugesteht, beruht höchstwahrscheinlich auf historischen Tatsachen. Auch Ulrich Wilckens, der zu Recht in I Kor 15,5-7 Legitimationsformeln sieht und den Text als Beleg für eine durchaus harmonisch sich vollziehende Einflußverschiebung von Petrus zu Jakobus interpretiert, 32 fragt nicht nach der funktionellen Ausrichtung der Legitimation oder anders formuliert: Er fragt nicht danach, für welche Aufgabe Jakobus und Petrus legitimiert wurden (s. u.). Auch die Notiz in Gal 1,19 sagt weder etwas über eine Konkurrenz zwischen Petrus und Jakobus noch etwas über eine Rangfolge aus. Aus der kurzen paulinischen Notiz kann man schließen, 36 daß Paulus ein primäres Interesse daran hatte, Petrus zu treffen und daß Jakobus zu einer relativ frühen Zeit eine so wichtige Rolle in Jerusalem spielte, daß auch er mit Paulus zusammentraf. Mehr gibt der Text nicht her. Auf dem sogn. Apostelkonzil läuft die Konfliktlinie ebenfalls nicht zwischen Petrus und J akobus, sondern zwischen den beiden Säulenaposteln und gläubig gewordenen Pharisäern, die an der Beschneidung festhalten wollen (Apg 15,5). 33 Bemerkenswert ist hier, daß sowohl Petrus als auch Jakobus die beschneidungsfreie Heidenmission befürworteten. Ob Jakobus anläßlich des Apostelkonzils bereits die sog. Jakobusklauseln als einen Minimalkonsens für das Zusammenleben von Heiden- und Judenchristen ins Gespräch brachte, wie es die Apg darstellt (Apg 15,20), führt uns direkt zu der Frage, ob der in Gal 2,11-14 erwähnte »antiochenische Konflikt« ein Hinweis auf eine Führungsstellung des Jakobus ist, der sich auch Petrus und Barnabas unterordnen mußten. Die Beurteilung des antiochenischen Zwischenfalls wird durch die umstrittene Datierung des Ereignisses und durch seine subjektive und hoch emotionale Darstellung durch Paulus erschwert. Wenn man Paulus nicht eine bewußt falsche Darstellung der Ergebnisse des Apostelkonzils unterstellen will, sollte man davon ausgehen, daß die im sogn. »Aposteldekret« (Apg 15,22-29) festgeschriebenen Jakobusklauseln eine Reaktion auf den antiochenischen Konflikt gewesen sind. 34 Dies schließt allerdings nicht aus, daß bereits vorher diese Form eines Zusammenlebens von J akobus intendiert gewesen war. Paulus unterstellt Petrus, er sei nicht aus Einsicht, sondern »aus Furcht« (Gal 2,12) auf die Forderungen der Leute aus dem Jakobuskreis eingegangen, doch scheint diese Unterstellung den Kern nicht zu treffen und ist eher auf die Erregung des Paulus zu verrechnen. Schon der Umstand, daß nicht nur Petrus, sondern auch die anderen Judenchristen sich der Meinung der Jakobus nahestehenden J erusalemer anschlossen, läßt darauf schließen, daß mehr als »Druck« ihr Verhalten motivierte. Auch ist schwer vorstellbar, welche furchterzeugenden Druckmittel Jakobus zur Hand gehabt haben soll. Offensichtlich lag den antiochenischen Judenchristen viel daran, ein Einvernehmen mit J akobus, der sich wie auf dem Apostelkonzil geschehen seinerseits kompromißbereit gezeigt hatte, aufrechtzuerhalten. Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Petrus und Jakobus läßt sich folglich auch aus dem »antiochenischen Konflikt« nicht herleiten. Er ist eher ZNT 4 (2. Jg. 1999) ein Hinweis auf die unterschiedlichen, funktional bedingten Erfahrungshorizonte, die Petrus und Jakobus immer stärker prägten. 3. Charismatischer Wandermissionar und ortsfester Gemeindeleiter Das Wirken Petri läßt sich begreifen als das eines charismatisch begabten Repräsentanten J esu Christi, der durch seine besondere Nähe zu Jesus und seine hervorgehobene Stellung im Jüngerkreis von Beginn an im Kreis der J erusalemer Christen natürliche Autorität besaß. So ist auch der Zwölferkreis weniger als frühes Leitungsgremium der Urgemeinde zu verstehen, sondern eher als derjenige Kreis, mit dem bereits Jesus seinen eschatologischen Anspruch und seine Mission unter den zwölf Stämmen Israels zum Ausdruck gebracht hat (Mt 19,28/ Lk 22,29f.). 35 Der Zwölferkreis war schon durch seine Symbolik auf ganz Palästina und nicht allein auf Jerusalem bezogen. Seine Mitglieder stellte man sich deshalb auch als Wandermissionare vor. Man kann davon ausgehen, daß Petrus schon sehr früh auf Missionsreisen innerhalb Palästinas unterwegs war. 36 Die Bedingungen, die Matthias zu erfüllen hatte, um als Nachrücker für den Zwölferkreis wählbar zu sein, unterstreichen dies nachhaltig (Apg 1,15-26). Petrus tritt in dieser Szene nicht als früher Leiter der Urgemeinde auf, sondern als derjenige, der stellvertretend ein Gottesurteil initiiert. Auch der vierzehntägige Besuch des Paulus bei Petrus war weder ein Höflichkeitsbesuch noch ein Antrittsbesuch bei dem maßgeblichen Gemeindeleiter, sondern könnte eher durch das missionarische Interesse des Paulus motiviert gewesen sein. Paulus besuchte Petrus, weil dieser bereits durch Jesus an vorrangiger Stelle zur Mission unter den zwölf Stämmen Israels berufen war. 37 Von Beginn an wird Petrus als charismatisch begabter Repräsentant Christi in der Apg gezeichnet, der »im Namen Jesu Christi von Nazareth« (Apg 3,6) als vollmächtiger Exorzist und Therapeut in J erusa lern und darüber hinaus wirkte. Dabei müssen sich magisches Wirken und Predigt nicht ausschließen (Apg 3,1-26). Beide tragen in sich einen deutlichen Verweischarakter auf die Wirksamkeit Jesu, in dessen repräsentativer Kontinuität Petrus stand. Die Erinnerung an die charismatisch magische Seite der Wirksamkeit Petri, die für die theologische Konzeption des Lukas von keiner Bedeutung ist, blieb vielfältig erhalten, besonders ZNT4(2.Jg.1999) Roman Heiligenthal »Petrus und Jakobus, der Gerechte« drastisch in Apg 5,15: Dort wird dem »Schatten des Petrus« wunderheilende Kraft zugesprochen. »Das nach Apg 4,17f. vom Hohen Rat Petrus und Johannes gegenüber ausgesprochene Verbot hinfort zu keinem Menschen in diesem Namen zu reden (V.17), bzw. keinesfalls zu reden oder zu lehren in dem Namen Jesu (V. 18), bezieht sich auf die wunderbare Heilung des Gelähmten (3,1 ff.) im Namen Jesu. Das Verhör der beiden Apostel zeigt, daß diese Wunderheilung im Namen Jesu der zentrale Punkt der Anklage ist ... J esu Namen verkündigen und in seinem Namen Dämonen austreiben und Lahme auf die Beine zu stellen sind offenbar nichts grundsätzlich Verschiedenes, sondern zwei Seiten einer Medaille: Wenn Jesu Name verkündigt wird, dann erweist er sich als mächtig, dann fliehen die Dämonen und Niedergeworfene werden aufgerichtet.« 38 Das Wenige, was wir über Jakobus aus dem NTwissen (I Kor 15,7; Apg 1,14; 12,17; 15,13-21; 21,17; Gal 1,19, 2,2-10) vermittelt uns ein gänzlich anderes Bild: Jakobus hat offensichtlich nie mit missionarischem Ziel Jerusalem verlassen. Von ihm werden keine Wundertaten überliefert, auch. gehörte er zu keiner Zeit dem Zwölferkreis an. Jakobus legitimiert durch seine Blutsverwandtschaft mit Jesus und seine Christusvision war offenbar der herausragende Vertreter einer ortsfesten Jerusalemer Gemeindeleitung. Eine auf Hegesipp zurückgehende Personallegende 39 beschreibt in ihrem Kern sicher historisch zutreffend einen weiteren Aspekt, der die Bedeutung des Apostels für die Jerusalemer Gemeinde zu erklären vermag: »Schon von Mutterleib an war er heilig. Wein und geistige Getränke nahm er nicht zu sich, auch aß er kein Fleisch. Eine Schere berührte nie sein Haupt, noch salbte er sich mit Öl oder nahm er ein Bad. Jakobus allein war es gestattet, das Heiligtum zu betreten, denn er trug kein wollenes, sondern ein leinenes Gewand. Allein pflegte er in den Tempel zu gehen, und man fand ihn auf den Knien liegend und für das Volk um Verzeihung flehend. Seine Knie wurden hart wie die eines Kamels, da er ständig auf den Knien lag, um zu Gott zu beten und ihn um Verzeihung für sein Volk zu bitten. Wegen seiner hervorragenden Gerechtigkeit wurde er der Gerechte genannt; er war ein Oblias, was im Griechischen Stütze und Halt des Volkes heißt, und war die Gerechtigkeit, von welcher die Propheten sprechen.« Jakobus genoß in den religiösen Kreisen des Jerusalemer Judentums hohes Ansehen, das ihn zu einer vermittelnden Rolle geradezu prädestinierte. 37 Eine Rolle, die diejenige des Petrus als charismatischer Wandermissionar ideal ergänzte. Daß beide unter die »Säulen« innerhalb der Jerusalemer Gemeinde gerechnet wurden, zeigt diese Nähe bei unterschiedlichen Aufgaben. Beide standen daneben durch ihre praxis judaica (vgl. für Petrus Apg 3,1; 11,8), durch ihre Christusvision, ihre palästinische Herkunft und ihre Verbundenheit mit Jerusalem auf einem gemeinsamen tragenden Grund. So kann es nicht verwundern, daß auch die anfängliche petrinische Missionspraxis stark mit der J erusalemer Ortsgemeinde verknüpft war; Petrus blieb auch als Missionar ein Vertreter der J erusalemer Tradition. Dies wird deutlich, wenn wir einen Vergleich zwischen der Samariamission des Philippus (Apg 8,4-13) und derjenigen des Petrus (Apg 8,14-25) vornehmen. 40 Der historische Hintergrund der Samariamission wurde von Axel von Dobbeler aus meiner Sicht überzeugend neu gezeichnet: Er konnte wahrscheinlich machen, daß hinter Apg 8 die Erinnerung an eine Auseinandersetzung mit einem frühen samaritanischen Christentum steht, dessen Protagonist Simon Magus war. Damit ist vorausgesetzt, daß Simon ursprünglich kein heidnischer Magier, sondern Vertreter eines »heterodoxen« Christentums gewesen ist. Das für unser Thema spannende Moment liegt nun in der Beobachtung, daß der aus dem Kreis der Hellenisten stammende Philippus anders mit diesem dissidenten Christentum umgeht als der Jerusalemer Petrus: Philippus löst den innerchristlichen Konflikt dadurch, daß er Simon Magus »heimholt«: Simon läßt sich taufen; er wird selbst von Philippus missioniert. Dieses Missionsmodell basiert auf Überzeugung; es ist integrativ angelegt. Im missionarischen Wirken des Petrus spiegelt sich stärker das exklusive Erwählungsbewußtsein der Jerusalemer (»Hebräer«): Petrus tritt Simon ausgrenzend gegenüber; er arbeitet mit Verfluchung und Ausschluß (Apg 8,21 f.). Allein die Buße könnte Simon eine Rückkehr ermöglichen (Apg 8,22). Während Philippus ganz offensichtlich zwar selbst den Geist besitzt, ihn aber nicht weitergeben kann, tritt Petrus als Pneumatiker auf, an den als Vertreter des Zwölferkreises exklusiv die Vermittlung des Geistes gebunden scheint (Apg 8,14-17). Die Autorität der Jerusalemer um Petrus und Jakobus wirkte also auch auf dem Missionsfeld in einem ursprünglich exklusivem, integrationsunfähigen Modell der Repräsentation Christi. Entscheidend für die Entwicklung des frühen Christentums ist aber nun, daß sowohl Petrus als auch J akobus sich schon bald einem 38 sehr viel stärker integrativen Modell öffneten, das im Zurücktreten des »Zwölferkreises« und in den Vereinbarungen des Apostelkonzils seinen Niederschlag fand. Man kann auch sagen, daß sich die »Hebräer« den »Hellenisten« annäherten und damit Petrus und Jakobus zu Vermittlern zwischen Heiden- und Judenchristentum wurden. 4. Petrus und Jakobus - Vermittler zwischen Juden- und Heidenchristentum Ein Schlaglicht auf den Prozeß der langsamen Öffnung der J erusalemer gegenüber einer heidenchristlichen Mission wirft die Kornelius-Perikope und die anschließende »Rechtfertigung« des Petrus vor den Jerusalemern (Apg 10,1-11,18). Ich gehe davon aus, daß die Perikope im Ganzen auf vorlukanische Tradition zurückgeht. 41 In dieser Erzählung geht es um die Legitimierung der Heidenmission, dargestellt an der ersten Bekehrung eines Nicht-Juden. Die Cornelius-Geschichte ist so konzipiert, daß die Initiative von Gott ausgeht: Gott steuert das gesamte Geschehen durch einen Engel (10,3.22.30; 11,12), durch seinen Geist (10,19; 11,12) und durch Vision und Audition (10,11.13.14.17.19; 11,7.9). Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Geistausgießung auf Cornelius durch Gott selbst, durch die jedes nur denkbare Taufhindernis beseitigt wird. Hierin liegt das entscheidende legitimatorische Argument: Wer den Geist empfangen hat, dem kann man die Wassertaufe nicht verwehren (Apg 10,47). Dieses Argument untermauert durch einen Visionsbericht (11,5-10) dient auch zur Legitimation der sozialen Folgen (konkret: Mahlgemeinschaft), die eine Bekehrung von Unbeschnittenen zur Folge hatte, vor den gläubig gewordenen Jerusalemer Juden (11,2): nämlich die Hinfälligkeit von Speisetabus. Petrus ist in dem gesamten Abschnitt als Pneumatiker gezeichnet. Die folgenden Beobachtungen erscheinen mir an dieser Stelle wichtig: - Die Öffnung hin zur Heidenmission hat einen charismatisch-pneumatologischen Hintergrund, der bei Petrus, nicht aber bei Jakobus, bereits seit seiner Zeit als Nachfolger Jesu angelegt ist. Das pneumatische Element verbindet Petrus mit den Hellenisten und wird offenbar auch in Jerusalem akzeptiert (11,17f.). ZNT 4 (2. Jg. 1999) Petrus praktiziert die Bekehrung Unbeschnittener offensichtlich nicht im Konflikt, sondern im Konsens mit großen Teilen der Jerusalemer. In Apg 11,1-18 spielt Jakobus keine Rolle; er wird namentlich nicht erwähnt. Petrus rechtfertigt sich pauschal vor den »gläubig gewordenen Juden« (11,1). - Jakobus fällt nun die Rolle zu, die Folgen dieser neuen Entwicklung für das Verhältnis der Judenchristen zur Tora zu klären. Die Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission und die im »Aposteldekret« festgelegten Regeln für ein Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen belegen, daß er zusammen mit Petrus einen konsensfähigen Kompromiß gefunden hat. Petrus und Jakobus unterscheiden sich nicht dadurch, daß Petrus ein »laxeres« Verständnis des Gesetzes hatte, sondern darin, daß Petrus die charismatisch-pneumatologische Seite des frühen Christentums im Kreis der J erusalemer Christen mit Autorität vertrat. Auch die Konflikte, die Petrus in Jerusalem bis hin zu seiner Verhaftung durchzustehen hatte, waren eher durch sein Auftreten als charismatischer Wundertäter und Prediger »im Namen Jesu Christi« evoziert als durch eine Auseinandersetzung um das Gesetz zwischen Judenchristen und Juden bzw. innerhalb des Jerusalemer Judenchristentums. Die These einer Einflußverlagerung von Petrus hin zu Jakobus läßt sich aus meiner Sicht nicht aufrecht erhalten. Einfluß verloren hatte ein exklusives Heilsverständnis, wie es sich in der ursprünglichen Konzeption des Zwölferkreises äußerte. Es ist das Verdienst des Petrus, daß er die Jerusalemer Judenchristen überzeugen konnte, daß die beschneidungsfreie Heidenmission Gottes Willen entspricht. Es ist das Verdienst des Jakobus, daß er neben anderen die Folgen dieses »neuen Denkens« für die Jerusalemer Gemeinde in einem vermittelnden Sinne so bewältigte, daß es zu keinem Bruch in dieser frühen Zeit gekommen ist. Anmerkungen 1 De Vir III.I. Die Übersetzung des Abschnittes ins Deutsche stammt von mir. 2 Es ist nicht klar, auf welche Schrift hier angespielt wird. 3 Es handelt sich bei dieser Schrift eigentlich mehr um einen Bibliothekskatalog, in dem Hieronymus 158 ZNT 4 (2. Jg. 1999) Autoren kurz biographisch porträtiert und die Titel ihrer Schriften nennt. Allerdings stützt sich Hieronymus nur bei den lateinischen Schriftstellern auf eigene Kenntnisse, alle anderen sind Exzerpte aus der Kirchengeschichte Eusebs. 4 Vgl. zur Wirkungsgeschichte des Jakobus in den unterschiedlichen Traditionsströmen der frühen Kirche die grundlegende Untersuchung: W. Pratscher, Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition (FRLANT 139), Göttingen 1987. 5 Zur Chronologie bemerkt Rudolf Pesch, Simon, 78f.: »Herodes Agrippa I., der 37 n.Chr. die frühere Tetrarchie des Philippus und das Gebiet von Abilene erhalten hatte, erhielt 41 n. Chr. von Claudius auch das frühere Gebiet des Archelaus: Judäa-Samaria. Da Agrippa am 10. März 44 n. Chr. starb, kommen für seine Aktion gegen die Führer der Urgmeinde, die Hinrichtung des Zebedaiden und die Inhaftierung des Petrus, die in eine Paschazeit gehörte, die Jahre 41, 42 oder 43 in Frage. Der Weggang des Petrus von Jerusalem kann also frühestens in der Paschazeit des Jahres 41, muß spätestens in der Paschazeit des Jahres 43 n. Chr. erfolgt sein. Die Gründe, die für das Jahr 41 n. Chr. sprechen, sind Folgende: 1. Agrippa mag sich mit seinen Aktionen gegen die Christen zu Beginn seiner Amtszeit in Judäa bei den Juden beliebt gemacht haben; 2. Die Frühdatierung läßt genügend Spielraum für eine ausführliche Missionstätigkeit. 6 Beispielhaft wurde der prosopographische Ansatz jüngst von A. v. Dobbeler, Der Evangelist Philippus in der Geschichte des Urchristentums. Eine prosopographische Skizze, Habil. masch. Heidelberg 1998, durchgeführt. 7 v. Dobbeler, Evangelist, 17. 8 Ein Beispiel hierfür ist die Studie von P. Gaechter, Petrus und seine Zeit, Innsbruck u. a. 1958, in der Petrus ganz dem institutionell-juridischen und Paulus dem pneumatologisch-theologischen Bereich zugeordnet wird. 9 R. Heiligenthal, Methodische Erwägungen zur Analyse neutestamentlicher Gemeindekonflikte, ZRGG 48 (1996) 97-113. 10 Vgl. bes. die Arbeiten von Martin Dibelius, Hans Conzelmann und Ernst Haenchen, die für die deutschsprachige Actaforschung der vergangenen Jahrzehnte bestimmend wurden. 11 Dies wird mit recht kritisiert von Martin Hengel: M. Hengel/ A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels (WUNT 108), Tübingen 1998, 226. 12 Vgl. hierzu: M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 2 1984. 13 So: W. Sehmithals, Paulus und Jakobus (FRLANT 85), Göttingen 1963. 14 So etwa in seinem bekannten Petrusbuch 0. Cullmann, Petrus. Jünger-Apostel-Märtyrer, Zürich/ Stuttgart 2 1960. Die dezidiert katholische Gegenpositon vertritt P. Gaechter, Jakobus von Jerusalem, ZThK 76 (1954) 130-169. 39 15 H. J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen 1949. 16 E. Meyer, Ursprünge und Anfänge des Christentums Bd. III, Tübingen 1923, 285. 17 F. Christ, Das Petrusamt 1m Neuen Testament, Stuttgart 1970, 42. 18 D. Gewalt, Petrus. Studien zur Geschichte und Tradition des frühen Christentums, Diss. masch. Heidelberg 1966, 97 f. 19 Bei einem Vergleich aller überlieferten Jüngerlisten zeigt sich, daß nur drei Positionen durchgängig übereinstimmen; Petrus jedoch immer an erster Stelle genannt wird. Diese Stabilität in unterschiedlichen Überlieferungssträngen spricht für eine hohe historische Glaubwürdigkeit der Führungsrolle Petri unter den Jüngern. 20 Zu Lebzeiten Jesu verhielt sich seine Verwandtschaft offensichtlich distanziert zu ihm: Mk 3,21- 31-35; Joh 7,1-10. 21 Die durch den Hohepriester Ananas II. initiierte Hinrichtung des Jakobus um 61/ 62 n. Chr. stieß nicht ohne Grund auf heftige Kritik in pharisäischen Kreisen: Jos ant XX, 199 f. 22 Gaechter, Petrus, 30: Jesus habe eine Kirche mit Rechtsnormen gestiftet und die Leitung Petrus in einem »feierlichen Akt der Rechtsübertragung« für die Zeit nach seinem Tod stellvertretend übergeben. Als biblischer Beleg dient Gaechter Joh 21,15-17. 23 Vgl. Gaechter, Petrus, 269f.: »Für Petrus bedeutete das (sc. die Samariamission) eine wesentliche Mehrung seiner Hirtenaufgabe. Die weitere Entwicklung war zwangsläufig gegeben: Er mußte die unmittelbare Leitung der Urgemeinde abgeben, um sich der universaleren Aufgabe widmen zu können.« 24 R. Pesch, Simon Petrus. Geschichte und geschichtliche Bedeutung des ersten Jüngers Jesu Christi, Stuttgart 1980 (Päpste und Papsttum 15) 62. 25 M. Bengel, Petrus und die Heidenmission, in: C. P. Thiede (Hg.), Das Petrusbild in der neueren Forschung, Wuppertal 1987, 168. 26 Euseb, h. e. II 23,4. 21 Euseb, h. e. II 1,3. Klaus Berger 28 Hieronymus, vir.ill. 2. 29 A. v. Harnack, Die Verklärungsgeschichte Jesu, der Bericht des Paulus (1 Kor 15,3 ff.) und die beiden Christusvisionen des Petrus, SAB.PH (1922) 62-80: 66ff. 30 W. Pratscher, Herrenbruder, 46. 31 A.a. 0., 45. 32 U. Wilckens, Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse von I Kor 15,1-11, in: W. Joest/ W. Pannenberg (Hgg.), Dogma und Denkstrukturen, Göttingen 1963, 56-95. 33 Aus der auf dem Konvent beschlossenen Kollekte läßt sich kein kirchenleitendes Aufsichtsrecht des Jakobus über die Gesamtkirche herleiten; seine Stellung zur Zeit des Konvents kommt darin zum Ausdruck, daß er zusammen mit Petrus und Johannes ein Säulenkollegium bildet, innerhalb dessen keine hierarchischen Abstufungen zu erkennen sind; vgl. Pratscher, Herrenbruder, 63-66. 34 Vgl. zur Forschungsgeschichte: A. Wechsler, Geschichtsbild und Apostelstreit (BZNW 62), Berlin/ New York 1991. 35 R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie (WUNT 71), Tübingen 1994, 107. 36 Vgl. G. Theißen, Hellenisten und Hebräer. Gab es eine Spaltung in der Urgemeinde? (Apg 6,1-6); in: H. Cancik / H. Lichtenberger / P. Schäfer (Hgg. ), Geschichte-Tradition-Reflexion, FS Martin Bengel, Bd. III, Tübingen 1996, 323-343. 37 Vgl. Hengel/ Schwemer, Paulus, 232ff. 38 v. Dobbeler, Evangelist, 64. 39 Euseb, h. e. II 23,5-7. 40 v. Dobbeler, Evangelist, 32-44, konnte überzeugend nachweisen, daß in Apg 8 zwei miteinander konkurrierende Berichte über die Missionstätigkeit des Philippus und des Petrus in Samaria vorliegen, die von Lukas harmonisierend miteinander verbunden wurden. 41 Vgl. R. Pesch, Die Apostelgeschichte (Apg 1-12) (EKK V/ 1), Zürich/ Einsiedeln/ Köln 1986, 333 ff. Hermeneutik des Neuen Testaments daß sich gerade von jüdischen Philosophen lernen läßt, wie die gesuchten Kriterien aussehen könnten. Der Versuch, historische Auslegung und zeitgenössische Neuanwendung auseinanderzuhalten, lehrt vor allem, methodisch nachdenklicher zu werden und Klarheit zu gewinnen. 40 UTE 2035, 1999, X, 227 Seiten, DM 29,80/ ÖS 218,-/ SFr 27,50 UTE-ISBN 3-8252-2035-4 Klaus Berger geht es im vorliegenden Band um die Erstellung von Kriterien für die inhaltliche Schriftauslegung. Neben der grundlegenden systematischen Reflexion über das, was in der Exegese der Schrift geschieht, stehen konkrete Regeln der Umsetzung und Applikation heute. Beide Aspekte werden eher pragmatisch beantwortet. Der Horizont der deutschen idealistischen Philosophie wird verlassen. Statt dessen zeigt Berger, 1~1-----F-r_a_n_c_l_<e- ZNT4(2.Jg.1999)