ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelIst vom Neuen Testament her ein christlich-islamischer Dialog möglich?
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Hans-Christoph Goßmann
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Hans-Christoph Goßmann Ist vom Neuen Testament her ein christlich-islamischer Dialog möglich? Die Frage, mit der dieser Beitrag überschrieben ist, hat ihren Sitz im Leben in der aktuellen gesellschaftlichen Realität. Wir leben schon seit langem mit Menschen anderer kultureller und religiöser Zugehörigkeit zusammen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das >Lexikon der Hamburger Religionsgemeinschaften,1 weist in seiner zweiten Auflage (1995) 105 Religionsgemeinschaften in Hamburg auf. Diese Zahl macht deutlich, daß die Zeiten religiöser Homogenität der Vergangenheit angehören und daß diejenigen, die in Städten wie Hamburg leben, sich mit dieser Vielfalt auseinanderzusetzen haben, weil sie ihr im alltäglichen Leben auf Schritt und Tritt begegnen. Aus kirchlicher Perspektive betrachtet mag diese Auseinandersetzung durchaus auch schmerzliche Züge tragen ist sie doch mit der Erkenntnis verbunden, daß die Kirche ihr Monopol in bezug auf Religion und Religiosität verloren hat. Die Frage >Religiöser Pluralismus oder christliches Abendland? " mit der Reinhart Hummel seine 1994 erschienene Monographie 2 überschrieben hat, scheint somit eindeutig beantwortet. Mit dieser Frage stellt sich für die christliche Theologie noch eine weitere: die nach der Wertung der anderen Religionen. Kann diese zweite Frage auf der Grundlage biblischer Aussagen beantwortet werden? In bezug auf das Verhältnis zum Judentum ist diese Frage so alt wie das Christentum selbst. In der Diskussion um diese Frage, die im evangelischen Kontext in Deutschland geführt wird, ist die erste Studie >Christen und Juden< des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahr 1975 3 von entscheidender Bedeutung. Denn sie hat in unterschiedlichen Gliedkirchen der EKD Diskussionen über das christlich-jüdische Verhältnis ausgelöst, die mittlerweile in vielen kirchlichen Verlautbarungen ihren Niederschlag gefunden haben. So bezog sich die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) in ihrem sehr kontrovers diskutierten >Synodalbeschluß zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, vom 11. Januar 1980 direkt auf die EKD-Studie von 1975. Diese Studie ZNT 5 (3. Jg. 2000) ist in drei Teile untergliedert: >l. Gemeinsame Wurzeln" >II. Das Auseinandergehen der Wege, und >III. Juden und Christen heute<. Im ersten Teil wird deutlich, daß das Christentum mit dem Judentum durch Gemeinsamkeiten verbunden ist, die es mit keiner anderen Religion teilt. So beginnt der Teil I. mit den Sätzen: »Die christliche Gemeinde hat ihre Wurzeln im Judentum. Jesus lebte und lehrte innerhalb des jüdischen Volkes. Er selbst wie auch seine Jünger und die Apostel waren Juden; sie hatten teil am Glauben und an der Geschichte ihres Volkes.« 4 Daß dieser Teil I. unter das Wort aus dem Römerbrief gestellt ist: »Du sollst wissen, daß nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich« (Röm 11,18), bedarf keiner weiteren Erklärung. Auch die Lutherische Europäische Kommission Kirche und Judentum (LEKKJ) betont in ihrer >Erklärung zur Begegnung zwischen lutherischen Christen und Juden, vom 8. Mai 1990 diese Gemeinsamkeiten und zieht aus ihnen folgende Konsequenzen: »Weil Jesus aus dem jüdischen Volk kommt und sich von ihm nicht losgesagt hat und weil das Alte Testament die Bibel J esu und der Urkirche war, sind Christen durch ihr Bekenntnis zu Jesus Christus in ein einzigartiges Verhältnis zu Juden und ihrem Glauben gebracht, das sich vom Verhältnis zu anderen Religionen unterschiedet.«5 Diese Auffassung zieht sich wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen christlichtheologischen Verhältnisbestimmungen zum Judentum, und so ist es nicht erstaunlich, daß dieser Satz aus dem LEKKJ-Erklärung in der Präambel der Erklärung >Christen und Juden< der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 24. November 1998 zitiert ist. 6 Bereits in flüchtiger Blick in die Schriften des Neuen Testamentes zeigt, daß sich in ihnen eine Vielzahl von Aussagen findet, auf die im Rahmeneiner christlich-theologischen Verhältnisbestimmung zum Judentum eingegangen werden kann. Bei der o.g. Frage nach der Wertung anderer Religionen haben wir in bezug auf das Judentum folglich eine vollkommen andere Ausgangslage als hinsichtlich anderer Religionen insbesondere hinsichtlich 21 nachchristlicher Religionen, zu deren Wertung sich im Neuen Testament keine Aussagen finden können. Aber ist aus diesem Befund die Konsequenz zu ziehen, daß keine andere Religion mit dem Christentum so eng verbunden ist wie das Judentum? Die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Judentum, die in den eingangs zitierten kirchlichen Verlautbarungen zur Sprache kommen, verbinden in der Tat das Christentum mit dem Judentum - und mit keiner anderen Religion. Aber ist damit bereits gesagt, daß es keine Gemeinsamkeiten zwischen dem Christentum und einer anderen Religion gibt, die es zwischen Christentum und Judentum nicht gibt? Im folgenden wird diese Frage anhand des Islams, also einer religionsgeschichtlich gesehen nachchristlichen Religion thematisiert. Allein die Tatsache, daß der Islam eine nachchristliche Religion ist, hat bereits zu massiver Ablehnung durch christliche Theologen geführt. Diese Ablehnung richtete sich in der Regel gegen Muhammad. Monika Tworuschka hat in der Einleitung des von ihr herausgegebenen Bandes >Der Prophet Gottes: Mohammed/ einen kurzen Überblick über christliche Muhammadbilder gegeben. 8 Sie legt dar, daß bis zur Zeit der Aufklärung Muhammad und damit auch der Islam ausschließlich negativ beurteilt worden sind. Muhammad wurde als falscher Prophet gesehen, der sich in seiner Verkündigung nicht legitimerweise auf eine Offenbarung Gottes berufen könne. Trotz einiger neuerer Ansätze in der Beurteilung Muhammads 9 und des von ihm verkündigten Glaubens ist diese negativ Sichtweise nach wie vor prägend. So sieht um nur ein Beispiel zu nennen - Eberhard Troeger in seinem Beitrag ,Der Islam in christlicher Sicht< 10 im Islam »das Ergebnis christlichen Versagens und deshalb einen Ruf zur Umkehr« 11 und »das Ergebnis eines Irrtums« 12 . Daß der Islam das Ergebnis christlichen Versagens sei, begründet Troeger mit den Hinweis darauf, daß Muhammad »ein Zerrbild von Christentum« 13 kennengelernt habe, so daß er nicht hat »begreifen können, daß das Evangelium seinem Volk gilt.« 14 Aus seiner These, »daß die Christenheit für das Entstehen der islamischen Irrtümer verantwortlich ist« 15 , folgert Troeger: »Der Islam ist ein Irrtum.« 16 Aufgrund der inhaltlichen Differenzen zwischen Bibel und Koran sieht Troeger im Islam schließlich »eine nachbiblische und damit antibiblische, endzeitliche Erscheinung« 17. 22 Die von Troeger vollzogene Gleichsetzung von »nachbiblisch« und »antibiblisch« macht deutlich, daß es für ihn eine Offenbarung Gottes nach der Offenbarung in Jesus Christus nicht geben kann. Ist eine solche Auffassung mit neutestamentlichen Aussagen zu belegen? In diesem Zusammenhang wird oft auf die Aussage in Hebr 9,1 lf. hingewiesen, daß Christus »ein für allemal« in das Heiligtum hineingegangen sei und auf diese Weise »eine ewige Erlösung« erlangt habe. Aus der Formulierung »ein für allemal« wird gefolgert, daß Gott sich kein weiteres Mal offenbaren werde. Jeder nachbiblischen Religion also auch dem Islam -wird damit der Anspruch bestritten, auf göttlicher Offenbarung zu basieren. Ist durch diese neutestamentliche Aussage dem Islam die Legitimität als Offenbarungsreligion abgesprochen? Wer dies bejaht, wird die eingangs gestellte Frage, ob vom Neuen Testament her ein christlichislamischer Dialog möglich sei, verneinen. Denn ein interreligiöser Dialog ist nur dann möglich, wenn sich die an ihm Beteiligten gegenseitig als Gläubige akzeptieren und respektieren. Wer wie Eberhard Troeger im Islam ein nachbiblisches und damit antibiblisches Phänomen sieht, kann die Offenbarungen, auf die Muhammad sich beruft, auch als ein antichristliches Phänomen sehen. So vertritt Jürgen Kuberski in seinem Band >Mohammed und das Christentum.< 18 unter Berufung auf II Kor 11,14 und Gal 1,8 die Auffassung, »daß der Gegenspieler Gottes diese Erscheinungen direkt oder indirekt dazu benutzt hat, Mohammeds Irrtümer zu bestärken.« 19 Daß diese negativen Wertungen Muhammads und des Islams mit Zitaten aus dem Neuen Testament begründet werden, wirft die Frage auf, ob dies eine theologisch zu vertretende Interpretation der zitierten Bibelstellen ist. Wenn auch hinsichtlich der beiden von Jürgen Kuberski herangezogenen Paulus-Stellen deutlich ist, daß diese nicht im Rahmen einer Exegese ausgelegt, sondern in Form einer Eisegese als Projektionsflächen für eine Begründung der Ablehnung der Islams instrumentalisiert werden, die mit der jeweils ursprünglichen Intention dieser Stellen nichts gemeinsam hat, so gestaltet sich die Beantwortung dieser Frage in Hinblick auf die o.g. Stelle aus dem Hebräerbrief ungleich komplexer. Denn wenn die Möglichkeit einer nachchristlichen Offenbarung grundsätzlich ausgeschlossen wird, dann lautet unter Bezug- ZNT 5 (3. Jg. 2000) Hans-Christoph Goßmann Pastor Hans-Christoph Goßmann, geb. 1959, Studium in München, Kiel, Jerusalem, Münster und Tunis, ist Theologischer Referent für christlichislamischen Dialog am Nordelbischen Zentrum für Weltmission und Kirchlichen Weltdienst (NMZ) in Hamburg und Lehrbeauftragter am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg (Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft) Zahlreiche Veröffentlichungen zur hebräischen Sprache und ihrer Didaktik sowie zum interreligiösen Dialog mit dem Judentum und dem Islam. nahme auf Hebr 9,1 lf. die Antwort auf die Frage, ob vom Neuen Testament her ein christlich-islamischer Dialog möglich ist: Nein. Wie ist die Aussage von Hebr 9,1 lf. zu verstehen? Um diese Frage beantworten zu können, ist der Kontext zu berücksichtigen, in dem dieser Vers steht. Hans-Friedrich Weiß schreibt in seinem Kommentar >Der Brief an die Hebräer< 20 über Hebr 9,1-10, also den Abschnitt, der den in diesem Zusammenhang relevanten Versen unmittelbar vorausgeht: »Im Kontext der Kapitel 8 und 9 ist die nunmehr folgende Beschreibung des irdischen Heiligtums und seines Priesterdienstes von vornherein auf die Gegenüberstellung zum neuen und endgültigen Priesterdienst des >Christus< (9,1 Hf.) ausgerichtet.« 21 In Vers 9,11 wird diese Gegenüberstellung ausgeführt: »Dem irdischen Hohenpriester der alten Kultordnung (V.7.) wird nunmehr >Christus< gegenübergestellt« 22 , es geht also um »die Überbietung des irdischen Hohenpriestertums«23. Worin diese Überbietung besteht, wird in Vers 12 ausgeführt: »In welchem Maße die Gegenüberstellung von irdischem und himmlischem Heiligtum, wie sie zunächst für V.11 bestimmend gewesen ist, ihrerseits wiederum in unserem Abschnitt in den soteriologisch ausgerichteten Kontext integriert ist, zeigt sich jedenfalls ZNT 5 (3. Jg. 2000) Hans-Cluistoph Goßmann Neues Testament und christ! ich-is! amischer Dialog vor allem in V.12: Hier wird nunmehr über alle räumlich-dualistischen Kategorien und alle Andeutungen einer himmlischen Topographie hinaus der entscheidende Unterschied zwischen der alten und der neuen Heilsordnung benannt. Er besteht in der Art und Weise der Vermittlung von Heil und Erlösung, was in den hier die Argumentation bestimmenden kultischen Kategorien heißt: im Vollzug des Opfers.« 24 Der Verfasser des Hebräerbriefes hatte somit also die bisherige Kultpraxis im Blick und setzt sich mit ihr kritisch auseinander, da er sie durch Gottes Heilshandeln in Jesus Christus für überholt hält. Die Entstehung einer oder mehrerer Religionen nach diesem göttlichen Heilshandeln lag außerhalb seines Horizontes. Somit enthält auch die Aussage von Hebr 9,1 lf. in ihrer ursprünglichen Intention nicht die Aussageabsicht, einer religionsgeschichtlich gesehen nachchristlichen Religion wie z.B. dem Islam die Legitimität als Off enbarungsreligion abzusprechen. Die o.g. Gleichsetzung von »nachbiblisch« und »antibiblisch« läßt sich also mit Hebr 9,1 lf. nicht begründen. Somit steht diese Bibelstelle einem christlich-islamischen Dialog nicht grundsätzlich entgegen. Die Ausgangsfrage, ob vom Neuen Testament her ein christlich-islamischer Dialog möglich ist, ist damit jedoch noch offen. Um sie zu beantworten, ist zu klären, was unter einem ,Dialog< zu verstehen ist: Der Begriff >Dialog< ist aus dem Griechischen übernommen. Das Substantiv >dialogos< ist ein Derivat des Verbes >dialegomai<, das gemäß dem >Griechisch-Deutschen Schul- und Handwörterbuch< von Wilhelm Gemoll 25 die Bedeutungen hat: >sich etw. im Nachdenken auseinanderlegen" >überdenken< und >erwägen, 26 . Bereits an diesen Bedeutungen wird deutlich, daß dieses Verb einen Prozeß beschreibt, in dem sich etwas klärt, in dem sich Auffassungen und Einstellungen verändern. Die dann darüber hinaus genannten Bedeutungen >sich unterreden<, >besprechen< sowie ganz allgemein: >sprechen<27 sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Das von dem Verb >dialegomai< abgeleitete Substantiv ,dialogos< bezeichnet dementsprechend keinen small talk, sondern ein kommunikatives Geschehen, das sich zwischen zwei oder mehreren Menschen vollzieht und bei dem die an ihm Beteiligten sich wirklich aufeinander einlassen. Ein christlich-islamischer Dialog ist also kein Dialog zwischen zwei abstrakten Größen na- 23 Mohammed im Gebet bei der Kaaba. Aus Ehrfurcht vor dem heiligen Geschehen bleibt das Gesicht des Propheten verhüllt. Aus: Hubertus Halbfas, Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I. Religionsbuch für das 5. und 6. Schuljahr, Düsseldorf 1989 (Patmos Verlag) mens ,Christentum< und ,Islam<, sondern eine Begegnung von Menschen, die in diesen Religionen auf ihre je eigene, unverwechselbare Art und Weise beheimatet sind. Einern solchen Dialog sind weder durch die beiden von Jürgen Kuberski zitierten Stellen aus den Briefen des Apostels Paulus noch durch Hebr 9,1 lf. Steine in den Weg gelegt. Im Neuen Testament begegnen vielmehr Aussagen, die zu einem solchen Dialog ermutigen und ermuntern. So heißt es in der Bergpredigt: »Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? « 28 Hier wird ausdrücklich dazu aufgefordert, sich den Anderen zuzuwenden denen, die nicht der eigenen Gemeinschaft angehören. Ein christlich-islamischer Dialog wird nur dann fruchtbar sein, wenn neben den Gemeinsamkeiten auch die Unterschiede in den Blick genommen werden. Musliminnen und Muslime sind für Christinnen und Christen Angehörige einer anderen, 24 nichtchristlichen Religionsgemeinschaft. Die dadurch markierte Grenze verhindert einen Dialog mit ihnen jedoch nicht ganz im Gegenteil: In Mt 5, 46f. werden Christinnen und Christen nachdrücklich dazu aufgefordert, sich Menschen jenseits aller Grenzen zuzuwenden. In Anbetracht dieses neutestamentlichen Befundes ist die eingangs gestellte Frage, ob vom Neuen Testament her ein christlich-islamischer Dialog möglich ist, eindeutig zu bejahen. Die Bergpredigt fordert nachdrücklich dazu auf, sich Menschen außerhalb der eigenen Gemeinschaft zuzuwenden - und somit auch Musliminnen und Muslimen-, und da sich aus den neutestamentlichen Schriften nicht ableiten läßt, daß dem Islam seine Legitimität als Offenbarungsreligion abzusprechen ist, werden durch sie diesem Dialog auch keine Steine in den Weg gelegt. Ganz im Gegenteil: Das Neue Testament bietet eine Vielzahl von Themen für diesen Dialog. Denn viele Erzählungen, die wir aus dem Neuen Testament kennen, begegnen auch im Koran wenn auch in anderer Form. Daß einerseits einander entsprechende Inhalte begegnen, die andererseits auf unterschiedliche Weise dargestellt sind, lädt zu einem Dialog geradezu ein. Die einander entsprechenden Inhalte bilden als Gemeinsamkeiten die Grundlage für einen Dialog, und die Unterschiede in der Darstellung eröffnen den Weg zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über die Glaubensinhalte, die die Grenzen zwischen den beiden Religionen markieren. Dialoge auf einer solchen Grundlage können dazu beitragen, die jeweils Andersgläubigen in ihrer Andersartigkeit besser zu verstehen, d.h. besser zu verstehen, worin die theologischen Differenzen im einzelnen bestehen. Dies soll im folgenden anhand eines konkreten Beispieles verdeutlicht werden: anhand der Darstellung der Ankündigung der Geburt Jesu sowie der Geburt selbst. Im Koran werden die GeburtJesu und ihre Ankündigung in Sure 19, 16-36 beschrieben. Diese Sure stammt aus der mekkanischen Zeit und ist mit den Namen ,Maria (Maryam), überschrieben. Der Text hat folgenden Wortlaut: » 16 Und gedenke im Buch der Maria, als sie sich von ihren Angehörigen an einen östlichen Ort zurückzog. 17 Sie nahm sich einen Vorhang vor ihnen. Da sandten Wir unseren Geist zu ihr. Er erschien ihr im Bildnis eines wohlgestalteten Menschen. ZNT 5 (3. Jg. 2000) 18 Sie sagte: ,Ich suche beim Erbarmer Zuflucht vor dir, so du gottesfürchtig bist.< 19 Er sagte: ,Ich bin der Bote deines Herrn, um dir einen lauteren Knaben zu schenken.< 20 Sie sagte: ,Wie soll ich einen Knaben bekommen? Es hat mich doch kein Mensch berührt, und ich bin keine Hure.< 21 Er sagte: ,So wird es sein. Dein Herr spricht: Das ist Mir ein leichtes. Wir wollen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von Uns machen. Und es ist eine beschlossene Sache.< 22 So empfing sie ihn. Und sie zog sich mit ihm zu einem entlegenen Ort zurück. 23 Die Wehen ließen sie zum Stamm der Palme gehen. Sie sagte: ,O wäre ich doch vorher gestorben und ganz und gar in Vergessenheit geraten! , 24 Da rief er ihr von unten her zu: ,Sei nicht betrübt. Dein Herr hat unter dir Wasser fließen lassen. 25 Und schüttle den Stamm der Palme gegen dich, so läßt sie frische, reife Datteln auf dich herunterfallen. 26 Dann iß und trink und sei frohen Mutes. Und wenn du jemanden von den Menschen siehst, dann sag: Ich habe dem Erbarmer ein Fasten gelobt, so werde ich heute mit keinem Menschen reden.< 27 Dann kam sie mit ihm zu ihrem Volk, indem sie ihn trug. Sie sagten: ,O Maria, du hast eine unerhörte Sache begangen. 28 0 Schwester Aarons, nicht war dein Vater ein schlechter Mann, und nicht war deine Mutter eine Hure.< 29 Sie zeigte auf ihn. Sie sagten: ,Wie können wir mit dem reden, der noch ein Kind in der Wiege ist? < 30 Er sagte: ,Ich bin der Diener Gottes. Er ließ mir das Buch zukommen und machte mich zu einem Propheten. 31 Und Er machte mich gesegnet, wo immer ich bin. Und Er trug mir auf, das Gebet und die Abgabe (zu erfüllen), solange ich lebe, 32 und pietätvoll gegen meine Mutter zu sein. Und Er machte mich nicht zu einem unglückseligen Gewaltherrscher. 33 Und Friede sei über mir am Tag, da ich geboren wurde, und am Tag, da ich sterbe, und am Tag, da ich wieder zum Leben erweckt werde.< 34 Das ist Jesus, der Sohn Marias. Es ist das Wort der Wahrheit, woran sie zweifeln. 35 Es steht Gott nicht an, sich ein Kind zu nehmen. Preis sei Ihm! Wenn Er eine Sache beschlossen hat, sagt Er zu ihr: Sei! , und sie ist. 36 ,Und Gott ist mein Herr und euer Herr; so dienet Ihm. Das ist ein gerader Weg.<« 29 Ein synoptischer Vergleich dieses Textes mit Mt 1,18-25, Lk 1,26-38 und Lk 2,1-20 verdeutlicht sowohl die Gemeinsamkeiten wie auch die Unterschiede zwischen der neutestamentlichen ZNT 5 (3. Jg. 2000) i·fans-Cluistoph Goßmann NeuesTestament und christlic: h-islamischer Dialog Der Prophet auf dem Berge Hira. Aus: Hubertus Halbfas, Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I. Religionsbuch für das 5. und 6. Schuljahr, Düsseldorf 1989 (Patmos Verlag) und der koranischen Darstellung. Er zeigt die hohe Bedeutung, die Jesus auch im Koran hat, macht aber zugleich deutlich, daß Jesus im Islam eine andere Bedeutung hat als im Christentum. Eine eingehende Betrachtung der Texte würde dies anhand vieler Einzelaspekte belegen. Hier sollen lediglich einige wenige zentrale Punkte zur Sprache kommen. So ist bemerkenswert, daß im Neuen Testament wie im Koran die Geburt J esu als Jungfrauengeburt dargestellt ist. Ein weiteres Thema ist das der Schöpfung durch Gottes Wort, wie sie in Vers 35 der 19. Sure thematisiert ist, wo es über Gottes schöpferisches Handeln heißt: »Wenn Er eine Sache beschlossen hat, sagt Er zu ihr: Sei, und sie ist.« Dies entspricht der paulinischen Aussage über Gott, »der da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, daß es sei.« 30 Im Koran wie im Römerbrief ist es das Wort Gottes, das schöpferisch wirkt. In Sure 19, 35 ist jedoch auch eine Aussage enthalten, die zumindest auf den ersten Blick eine 25 ZumThema klare Absage an die christliche Lehre der Gottessohnschaft enthält: »Es steht Gott nicht an, sich ein Kind zu nehmen.« Diese Aussage eröffnet, gerade weil sie den Unterschied zu christlichen Glaubensinhalten so deutlich benennt, den Weg zu einem interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen, in dem die christlichen Dialogpartnerinnen und -partner darlegen können, was sie unter Gottessohnschaft verstehen und was sie ihnen bedeutet. Ein synoptischer Vergleich würde noch weitere Themen zu Tage fördern, die in christlich-islamischen Dialogen von Bedeutung sind. Aber bereits dieser erste Blick auf die Texte dürfte gezeigt haben, daß vom Neuen Testament her ein christlichislamischer Dialog nicht nur möglich ist, sondern daß das Neue Testament den Christinnen und Christen eine Grundlage liefert, auf der sie diesen Dialog in Respekt vor der Andersartigkeit ihrer muslimischen Dialogpartnerinnen und -partner führen können. Anmerkungen 1 Wolfgang Grünberg u.a. (Hgg.), Lexikon der Hamburger Religionsgemeinschaften, Hamburg 1994. 2 Reinhart Hummel, Religiöser Pluralismus oder christliches Abendland? Herausforderung an Kirche und Gesellschaft, Darmstadt 1994. 3 Christen und Juden. Eine Studie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Herausgegeben im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh, 2 1976. 4 Christen und Juden, 9. 5 Zitiert nach: U. Schwemer (Hg.), Christen und Juden. Dokumente einer Annäherung, Gütersloh 1991, 182. 6 Vgl. die Dokumentation der Erklärung in: Freiburger Rundbrief, Neue Folge 6 (1999) 191. 7 Monika Tworuschka (Hg.), Der Prophet Gottes: Mohammed, Gütersloh 1986. 8 Ebd., S. 9-17. 9 So postuliert der evangelische Systematiker Reinhard Leuze, Christentum und Islam, Tübingen 1994, daß Muhammad christlicherseits als Prophet anerkannt werden sollte. 10 Eberhard Troeger, Der Islam in christlicher Sicht, in: Jahrbuch Mission 1986, Hamburg 1986, 72-80. 11 Ebd., S. 76. 12 Ebd., S. 77. 13 Ebd., S. 76. 14 Ebd., S. 77. 15 Ebd. 16 Ebd. 26 17 Ebd., S. 79. 18 Jürgen Kuberski, Mohammed und das Christentum. Das Christentum zur Zeit Mohammeds und die Folgen für die Entstehung des Islam (Disputationes religionum orbis, Sectio 0: Orient et occident 1 ), Bonn 1987. 19 Ebd., S. 82; 68. 20 Der Brief an die Hebräer. Übersetzt und erklärt von Hans-Friedrich Weiß (Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 13), Göttingen, 15 1991. 21 Ebd., 448. 22 Ebd., 464. 23 Ebd. 24 Ebd., 467. 25 W. Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, München/ Wien, 8 1962. 26 Ebd., 201. 29 Ebd. 28 Mt 5,46f. 29 Zitiert nach: Der Koran. Übers. von Adel Theodor Khoury (GTB 783) Gütersloh 1987, 230f. 30 Röm 4,17. Vorschau auf das nächste Heft Neues T~stament aktuell Bernd Wander Das frühe Christentum unter der Lupe Ein: zelbeiträge Steve Mason Aufstandsführer, Kriegsgefangener, Geschichtsschreiber: Der jüdische Historiograph Flavius Josephus und seine Bedeutung für das Verständnis des Neuen Testamentes Hannah Cotton Zur rechtlichen Stellung der Frau im Judentum des 1. Jahrhunderts Klaus Koenen Die Gestalt des Jona im AT und NT Kontro1i'erse Die Einheit der Urgemeinde - Fiktion oder Wirklichkeit? Franr; ois Vouga versus Roman Heiligenthal Hermeneutik und Vermittlung Christina Urban Jesus im Film Heft6 erscheint im Oktober 2000 ZNT 5 (3. Jg. 2000)
