ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelJesustypen im Film: Gibt es den typischen Jesusfilm?
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Christina Urban
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Christina Urban Jesustypen im Film: Gibt es den typischen Jesusfilm? 1 Eine Problemanzeige Bereits der Titel lässt den Problemhorizont erahnen, den die Thematisierung von J esusfiguren im Film sowohl aus einer filmästhetischen als auch aus einer exegetisch-hermeneutischen Perspektive beinhaltet. Dass es nämlich den typischen Jesusfilm und die charakteristische J esusfigur im Film nicht gibt, zeigen bereits ein Blick auf die schillernde Geschichte der J esusfilme seit 1897 1 ebenso wie die in jüngster Zeit des öfteren unternommenen Versuche, des Genres durch Spezifizierungen der einzelnen Filme in verschiedenste Subgenres 2 habhaft zu werden. Nun benötigt man jedoch zur Erarbeitung der unterschiedlichen J esustypen im Film nicht nur Beurteilungskategorien für eine filmästhetische Sichtweise, sondern auch für einen exegetisch-hermeneutischen Umgang mit dem Phänomen. Denn das Spannungsverhältnis zwischen der Bearbeitung biblisch-christlicher Traditionen und der je konstruierten filmischen Wirklichkeit der Person Jesus Christus stellt den tragenden Grund eines jeden Jesusfilms dar. Dieser bietet sodann kirchlicher-, theologischer- und religionspädagogischerseits genügend Zündstoff für eine kritische Diskussion des Phänomens. Fragt man nun zunächst nach einer filmästhetisch-theologischen Vorgabe zur Feststellung unterschiedlicher Jesustypen innerhalb des vielschichtigen Jesusfilm-Stoffes, so ist man sicher am besten beraten, sog. filmische Makrogattungen einer Untersuchung zugrunde zu legen. Denn diese halten erstens die Vergleichbarkeit der Filme untereinander aufrecht, da die meisten der bisher produzierten Filme sich unter diese Großgattungen unterordnen lassen. Zweitens ist aufgrund ihrer Allgemeinheit zugleich die Möglichkeit gewahrt, das je Spezifische eines jeden Films anhand der für ihn typischen Formelemente und Motive herauszuarbeiten. Als solche Makrogattungen können nun aus einer ausschließlich filmästhetischen Perspektive die Fiktion, die Dokumentation und dokumentarisch-fiktionale Mischformen sowie Kino- 54 und Fernsehfilme und Fernsehspiele gelten. 3 Filmästhetisch-theologisch soll hier sodann einzig von expliziten / direkten und impliziten / indirekten J esusfilmen ausgegangen werden. 4 Explizite Jesusfilme lassen sich so definieren, dass a) die Person Jesus direkt in ihnen vorgeführt wird, b) die Jesushandlung die Haupthandlung ist und c) ein Gesamtentwurf des Lebens J esu verfolgt wird. Eine primäre Orientierung an den Texten der Evangelien als weiteres Kriterium wird hier bewusst ausgeklammert, da sich ansonsten Filme wie etwa M. Scorceses >Letzte Versuchung< in keinen der Klassifizierungsversuche eingliedern lassen. Die Gattung der explizitenJesusfilme lässt sich sodann in zwei weitere relativ breitflächige Subgenres unterteilen, nämlich in historisierende und aktualisierende J esusfilme: Die historisierenden Filme streben neben der Einhaltung der Kriterien a)-c) nach einer Rekonstruktion des Jesusereignisses in seinem originären zeitgeschichtlichen Kontext in bezug auf den Drehort, Kostüme und Ausstattung (vgl. z.B. G. Stevens, ,Die größte Geschichte aller Zeiten<; N. Ray, >König der Könige<). Aktualisierende Jesusfilme hingegen nehmen im Grundgerüst Handlung und Dialoge der Evangelien auf, projizieren jedoch die Jesushandlung in die Gegenwart (vgl. z.B. D. Green, >Godspell<). Implizite J esusfilme unterscheiden sich von dieser Definition dadurch, dass die Person Jesu nicht ihr direktes Thema ist. Vielmehr werden menschliche Schicksale gezeigt, die das LebenJesu oder Bilder und Motive aus diesem durch eine Übersetzung in eine andere Zeit, einen anderen Ort oder eine andere Kultur übertragen. Indem die Jesusfigur in diesen Filmen indirekt präsent ist, wird das Leben Jesu zur angenommenen Matrix. Auf diese Kategorie von Jesusfilmen lässt sich der aus der Literaturwissenschaft bekannte Begriff der Transfiguration übertragen (vgl. z.B. T. Gilliam, >König der Fischer< oder St. Spielberg, >E.T. - Der Außerirdische,).5 Mit der Anwendung dieses Definitionsvorschlages auf die verschiedenen J esusfilme hat man ein erstes eher formales Raster zur Klassifizierung ZNT 6 (3. Jg. 2000) Cl11·i 1 stin.: tfrl: u.m Jest.i's.tvr,en itn Farn· (iibt C! : t cl~]•n t~/ i1{iscJu: ? n Jesusfilm 7 Christina Urban . ''- .... .,: ,; ; ~: Christina Urban,Jahrgang 1969, Studium der Evangelischen Theologie in Kiel, 2000 Promotion zum Thema Anthropologie im Johannesevangelium, 1998-2000 Assistentin am Institut für neutestamentliche Wissenschaft und Judaistik der Theologischen Fakultät der CAD Kiel, zur Zeit Gastvikarin in der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg in Berlin / Schlachtensee. von Jesustypen im Film gewonnen. Schwieriger gestaltet sich jedoch nun die Frage nach einem exegetisch-hermeneutischen Umgang mit den Jesusfiguren. So wird zwar in der Regel der klassische Katalog der zentralen Themen zum historischen Jesus, also etwa Geburt, Taufe, Versuchung, Verhältnis zum Täufer, Verkündigung und Wunder, Herrenmahl, Passion und Auferstehung, als Untersuchungsparameter an die jeweilige J esusfigur angelegt, aber gerade mit diesem Katalog sind zwei nicht unerhebliche Probleme verbunden. Erstens geht mit ihm die Frage nach der prinzipiellen Darstellbarkeit der Person Jesus Christus im Film einher. Allerdings soll hier von der Diskussion des grundsätzlichen Für und Wider abgesehen werden, da bereits mehrere Untersuchungen vorliegen, die sich entschieden dafür aussprechen, das Genre J esusfilm als eine selbständige Form der narrativen Evangelienauslegung zu verstehen. 6 Denn wird schon der Jesus der Evangelien mit Hilfe einer narrativen Theologie dargestellt, die dramatische Elemente wie den Dialog und die Handlung umfasst, dann sind diese Elemente gleichermaßen auch im Film anwendbar. Werden die Jesusfilme sodann als eine mögliche Antwort auf die Frage ,Wer ist Jesus Christus? < in dem Sinn verstanden, dass sie nicht unbedingt den ganzen Jesus Christus ZNT 6 (3. Jg. 2000) zeigen (müssen), sondern nur ein für den jeweiligen Film charakteristisches Jesusbild entwickeln, dann scheint der Weg zu einer filmischen Bearbeitung der Person Jesus Christus auch kirchlicherseits geebnet zu sein, ohne gegen dogmatisch gesetzte Topoi zu verstoßen. Jedoch tritt mit dieser Ansicht nun das zweite Problem in Beziehung, wenn man an Jesusfilme ausschließlich den klassischen Fragenkatalog des Lebens Jesu anlegt. So mag zwar auf den ersten Blick durch die Betonung der Entwicklung unterschiedlicher Jesus bild er auch im Film die chalcedonensische Unmöglichkeit der Darstellung des wahren Menschen und des wahren Gottes umgangen sein. Denn diese Entwicklung ist bereits in den vier kanonischen Evangelien, aber auch in außerkanonischen Evangelien, und dann durch die Jahrhunderte hinweg in vielen weiteren theologisch-dogmatischen oder philosophisch-ideologischen Entwürfen angelegt. Wenn man aber davon ausgeht, dass Regisseure mit ihrer filmischen Bearbeitung der Person Jesus Christus immer auch Exegese und Theologie treiben wollen, dann darf man nicht nur nach der Übersetzung, Interpretation und Aufarbeitung der historisch-kritisch gesicherten Daten des Lebens Jesu fragen. Vielmehr muß auch eine mögliche christologische Konzeption des jeweiligen Films aufgespürt werden. Denn gerade bei einem Verständnis der Jesusfilme und Jesusfiguren als narrative Evangelienauslegung im Sinne der narrativen Theologie der Evangelien selbst, darf die Frage nach Jesus als dem Christus nicht ausgeblendet werden. Denn jedes der vier kanonischen aber auch der nichtkanonischen - Evangelien bringt sein je spezifisches christologisches Konzept in der Darstellung der Person Jesus Christus zur Geltung. Damit befindet man sich nun im Zentrum der Problematik. Denn mit der Frage nach möglichen christologischen Aussagen über die J esusfiguren in den Filmen ist die letzte Bastion angegriffen, auf die sich kirchliche Medienvertreter mit ihrem vermeintlichen Monopolanspruch auf den Christus des Glaubens, also den vere deus des Chalcedonense, noch zurückziehen konnten. Doch was mit gutem Grund seit längerer Zeit an der sich seit Reimarus entfaltenden monographischen J esusliteratur kritisiert wird, dass nämlich zwischen dem historischen Jesus und dem Urchristentum ein Graben ohne Brücke liegt,7 man also den Grund zur 55 nachösterlichen Christologiebildung nicht beim historischen Jesus sucht, darf für die J esusfilme nicht übersehen oder gar ins Gegenteil verkehrt werden, nur damit die Möglichkeit einer filmischen Umsetzung der Person Jesus Christus gewahrt bleiben kann. Christologie im eigentlichen Sinn mag zwar nicht vor Ostern ihren Anfang nehmen8 und Jesu Selbsteinschätzung und die Anfänge der Christologie mögen voneinander zu trennen sein. 9 Auf der narrativen Ebene der Evangelien sind Christologie und Aussagen über den historischen Jesus jedoch so miteinander verwoben, dass sie eine erzählerische Einheit bilden, die auch in die J esusfilme versteht man sie als Literaturverfilmungen eingehen. Für die Suche nach Parametern zur Qualifizierung unterschiedlicher J esustypen bedeutet diese Einsicht, dass nicht nur der klassische Fragenkatalog zum Leben Jesu anzusetzen ist, sondern es muss auch diskutiert werden, wie in den Filmen christologische Aussagen auf die Jesusfigur übertragen oder neu entfaltet werden. 10 Hier nun stellt sich die Frage nach Einheit und Vielfalt in den vorhandenen christologischen Äußerungen, die bereits im Titel des Aufsatzes intendiert ist. Denn ebenso wie sich die urchristliche Christologie stürmisch entfaltet hat, 11 präsentieren auch die Jesusfilme immer neue christologische Varianten ihrer J esustypen. Nun haben für beide Bereiche, also für die Anfänge der Christologie überhaupt als auch für die Christologie in Jesusfilmen, folgende Fragen zu gelten: Enthalten sie »nur grenzenlose Vielfalt und konturenlose Fülle« 12 und sind sie durch Beliebigkeit und Zufälligkeit bestimmt? Oder gibt es für beide eine strukturierende Mitte, d.h. sind sie zwar vielfältig, aber sich in Basisaussagen einig? In den Anfängen der Christologie entstehtbedingt durch die innere Tendenz des Urchristentums selbst und durch seine Variatio aufgrund der soziokulturellen und religionsgeschichtlichen Einbindungen in seine Umwelt eine christologische Vielfalt, die sich kaum noch mit dem Stichwort Einheit beschreiben lässt. Wird hier dennoch von Einheit gesprochen, beinhaltet der Terminus oft Projektionen der Sprechenden, die sich nach einer Einheit im Sinne einer Eindeutigkeit sehnen, die aber unter geschichtlichen Bedingungen wohl kaum möglich ist, war oder je sein wird. Dennoch wird man ohne die Frage nach einer grundsätzlichen Einheit zur Qualifizierung für das sich konstituie- 56 rende Urchristentum als auch für die Jesustypen im Film nicht auskommen können. D.h. für diese beiden zunächst zeitlich, räumlich und inhaltlich völlig verschieden erscheinenden Themenfelder wird sich dennoch aufgrund der Fragestellung, nämlich wie diese Einheit auszusehen hat, eine große inhaltliche Nähe ergeben. Denn für beide steht ihr Selbstverständnis und damit verbunden die Wirklichkeitsauffassung der je handelnden Subjekte im Mittelpunkt insbesondere ihrer christologischen Aussagen. Für die Entwicklung der Christologie durch das Urchristentum hängt dieses Selbstverständnis ganz wesentlich mit dem Glaubensverständnis der ersten Gemeinden zusammen. Dieses Glaubensverständnis, begreift man es als menschlichen Kommunikationsakt, verfolgt nun das Ziel, dass gläubige Subjekte andere vom Evangelium überzeugen, so dass diese unter das Evangelium kommen (vgl. z.B. II Thess 1,2-10; Röm 1,8-16; Acta 15,7-11 ). Die grundlegende Erfahrung der urchristlichen Gemeinde, die ihren Anfang bei Jesus nahm, lässt sich nun als eine ganz spezifische Gotteserfahrung bestimmen, die zur Formulierung des eigenen Wirklichkeitsverständnisses führte. Für diese galt als Basisaussage, dass Gott in Christus war (II Kor 5,19). D.h. Gott gilt entweder als das durch Christus handelnde Subjekt oder Jesus ist der an Gottes Stelle Handelnde. Von diesem Einheitsgrund christlicher Wirklichkeitsdeutung entfaltet sich nun die Christologie. 13 Es gibt kein urchristliches Zeugnis, das sich nicht an diesem Dialog zur Formulierung der Christologie beteiligt. Dies hat man sich so vorzustellen, dass eine breitgefächerte Kommunikation über J esu Wirken und Geschick als endgültiger Selbstauslegung Gottes geschieht. Erstaunlicherweise findet nun im Rahmen der filmischen Auseinandersetzung mit der Person Jesus Christus ein ähnlicher dialogischer Vorgang statt bzw. liegt der Entwicklung der filmischen Christologie unter ganz anderen denkerischen, zeitlichen und räumlichen Verhältnissen eine ähnliche Basisaussage ihrer Diskussion zugrunde. Denn jede Jesusfigur im Film stellt den Versuch einer Lösung, einer Umsetzung bzw. einer Antwort auf das chalcedonensische Paradoxon von Jesus Christus als dem wahren Menschen und wahren Gott dar. 14 D.h. die Entwicklung der Christologie in den urchristlichen Gemeinden hin zur Aussage ZNT 6 (3. Jg. 2000) Christina Urban sic: : ,11rnt~11.um li: ·n Ffü,1: (! iföt es den i: ypisdum Jesusfilm? von Chalcedon wird auf unterschiedlichste Weisen in J esusfilme transponiert. Damit stellt sich nun allerdings die Frage, wie innerhalb dieser beiden chalcedonensischen Eckpfeiler von den Filmschaffenden Christologie verortet wird. Denn aufgrund der Einsicht in eine prinzipiell angelegte Subjektivität innerhalb des Religionsverständnisses und der Wirklichkeitsauffassung nicht nur des Urchristentums, sondern insbesondere auch der Jesusfilmschaffenden, gibt es ganz unterschiedliche Akzentuierungen in den Jesusdarstellungen der Filme. Von daher darf für die Filme ebenso wie für die J esusliteratur im allgemeinen sicher gelten, dass dieses Phänomen »u.a. auch als beglückende(r) Reichtum für unsere Weltorientierung zu begreifen« 15 ist. Allerdings muss hier eine letzte Einschränkung in bezug auf die filmische Umsetzung der Person Jesus Christus erfolgen, die zugleich auch als eine Entgegensetzung zum urchristlichen Umgang mit der Christologie und der Person Jesus Christus begriffen werden muss: Denn im Film geht es um die Aneignung und Exegesierung, d.h. um die Relecture 16 der in den urchristlichen Zeugnissen bereits vorliegenden Christologie. 17 Dies hat nun allerdings entscheidende Auswirkungen auf das Subjektverständnis der Filmschaffenden als handelnder Subjekte. Denn hier kommt es darauf an, ob die eigene Perspektive der Regisseure den Aussagegehalt der Texte dominiert, oder ob noch zwischen eigener Subjektivität und Relativität, d.h. zwischen der je eigenen Wirklichkeitssicht der Filmschaffenden und der der Texte unterschieden werden kann. Das bedeutet für die Filmschaffenden, dass sie sich methodisch und sachlich auf das Fremde und Andere der ntl. Texte einlassen müssen. Der dialogische Prozess, die Relecture von Jesus Christus in eine filmische J esusfigur scheint im Rahmen dieser Perspektive gelungen zu sein, wenn der Regisseur das ihm Fremde in seiner Figur transparent werden lassen konnte. Er misslingt jedoch immer dann, wenn die Filme gleichsam zufällig das vertreten, was bereits die Sicht des Filmschaffenden zur Person Jesus Christus immer schon war. Dies »zwingt zu der Nachfrage, ob der Interpret nicht gleichsam narzisstisch sein eigenes Spiegelbild liebt, und darum das, was er interpretiert, unter der Hand entsprechend gestaltet«. 18 Diese Beobachtungen nötigen zur Einführung eines letzten exegetisch-hermeneutischen Beurtei- ZNT 6 (3. Jg. 2000) lungsparameters im Hinblick sowohl auf die Christologie der Jesusfiguren als auch in bezug auf den Umgang mit historischen Daten des Wirkens und des Geschicks Jesu im Film. Für die Analyse der Jesusfiguren ist also auch nach solchen Deutemustern Ausschau zu halten, die den filmischen Jesustypus zur Richtschnur, zum Vorbild der eigenen Wirklichkeitssicht des Filmschaffenden stilisieren. Außerdem ist nach Deutemustern zu suchen, die über die historisch gesicherten Daten des Irdischen hinausgreifen (z.B. das zweite LebenJesu,JesuJugend oder Jesus als essenischer Geheimbündler) und nach ihren Auswirkungen auf die Jesusfigur insgesamt wie auf die durch sie implizierte christologische Übertragung und Relecture zu fragen. 19 2 Metamorphosen des biblischen Jesus Christus? Nun könnte man den Versuch unternehmen, die verschiedenen Jesusfiguren der ca. 150 bisher produzierten J esusfilme zunächst nach stereo typischen J esuscharakteren zu systematisieren, also etwa in J esusfiguren zu spezifizieren, die Jesus z.B. als den Juden, Jesus als Mann mit dem Schwerpunkt auf seiner Sexualität oder Jesus als Sozialisten, als Anwalt der Armen und sozial Benachteiligten betonen. 20 Jedoch würde man hier sehr schnell der Problematik einer zu grob verallgemeinernden Typisierung unterliegen und Nuancierungen der einzelnen je voneinander erheblich divergierenden Jesusfiguren nicht eindeutig genug herausarbeiten können. Auch die generelle Einsatzmöglichkeit der Filme und Figuren in Katechese und Unterricht stellt eine nicht zu vernachlässigende Einschränkung in der Filmauswahl dar, da aus ganz verschiedenen Gründen (wie z.B. der (Über-)Länge der Filme oder ihrer Nichtverfügbarkeit bei den entsprechenden Leihstellen) sich nicht alle Filme zur Vorführung im Religions- oder Konfirmandenunterricht eignen. Unter Berücksichtigung dieser und der im ersten Teil extrahierten exegetisch-hermeneutischen Beurteilungskriterien der J esusfiguren und den filmästhetisch-exegetischen Klassifizierungen der Jesusfilme bietet sich nun in einem zweiten Schritt insbesondere im Blick auf ihren Einsatz in Katechese und Religionsunterricht die Diskussion dreier voneinander divergierender J esustypen, nämlich 57 dem Pasolinis, dem Arcands und dem Scorseses, auf der Grundlage folgender Kriterien an: Es ist an jede Jesusfigur die Frage nach dem Ob und dem Wie der Aufnahme des klassischen Katalogs zum Leben Jesu zu stellen. Sodann ist nach der Transponierung und Relecture von christologischen Aussagen, d.h. nach dem jeweiligen Versuch einer Antwort auf das chalcedonensische Paradoxon unter folgenden Bedingungen zu suchen: 1. Gibt es Deutemuster, die den filmischen Jesus zur Norm der eigenen Wirklichkeitssicht des Regisseurs machen, oder belässt er der Jesusfigur ihr je Eigenes und Fremdes? 2. Wie wird durch diese Raster und durch Deutemuster, die über historisch gesicherte Daten des Lebens Jesu hinausgreifen, der christologischen Relecture Rechnung getragen? Vor der Analyse der Jesustypen muss jedoch um des Verständnisses willen mit einer knappen Inhaltsangabe des jeweiligen Films eingesetzt werden. 2.1 Jesus von Montreal Zum Inhalt: Jesus von Montreal, Canada 1989, Regie: D. Arcand. In der kanadischen Hauptstadt Montreal wird einem jungen talentierten Schauspieler von einem katholischen Priester die Modernisierung des traditionellen Passionsspieles seiner Kirche angetragen. Gemeinsam mit vier bisher wenig erfolgreichen Schauspielerkollegen beginnt er das schwierige Unterfangen. Mit Hilfe geschichtlicher, archäologischer und kunstgeschichtlicher Forschungen wird auf der Grundlage der Markuspassion eine völlig neue und andersartige Inszenierung entworfen. Das Passionsspiel wird zum Erfolg, der Schauspieler der neue Liebling der kulturellen Schickeria Montreals; aber wegen der unorthodoxen Züge des Jesusbildes wird das Passionsspiel von den kirchlichen Behörden verboten. Die Schauspieler widersetzen sich dem Verbot, da sie zunehmend von dem Passionsspiel in ihrer eigenen Wirklichkeit in Bann gezogen worden sind. So kommt es bei einem polizeilichen Abbruch der letzten Aufführung zu Tumulten. Der Jesusdarsteller stürzt mitsamt dem Kreuz zu Boden und erleidet eine schwere Kopfverletzung. In einem katholischen Krankenhaus wird er abgewiesen. Doch noch einmal steht er auf und warnt die Menschen mit apokalyptischen Visionen in einer Metrostation. Schließlich stirbt er in einem jüdischen Krankenhaus. Mit den ihm entnommenen Organen ver- 58 hilft er einem Mann zu einem neuen Herz, eine Frau kann wieder sehen. Arcand läßt in seinem Film den Protagonisten Daniel Colombe eine J esusfigur für das Passionsspiel zeichnen, die aus den Resultaten der Jesus- Qumran-Debatte dieser Zeit, nämlich der achtziger Jahre, entwickelt wird, so dass auf der Filmebene sich Kritik seitens der Kirche an dem J esustypus von Colombes Passionsinszenierung zwangsläufig einstellen muss. D.h. neben dem klassischen Fragenkatalog zum Leben Jesu unter besonderer Berücksichtigung des mk und des joh Berichtes werden talmudische und qumranische Forschungsergebnisse in die filmische Transponierung der Jesusfigur einbezogen. Wie auf der Filmebene Pater Leclerc als Repräsentant der Institution der Kirche mit Unmut und unüberwindbaren Vorbehalten auf die exegetisch inspirierte Passionsinszenierung Colombes reagiert: »Die Ärmsten der Armen wollen nicht über Erkenntnisse der historisch-kritischen Forschung informiert werden, sondern die Gewißheit erhalten, daß der Sohn Gottes sie liebt«, so ist auf der filmischen Metaebene Arcand von Misstrauen gegen die Kirche geprägt: »Wenn man sich dem Neuen Testament zuwendet, es genau studiert, der Darstellung des Lebens J esu auf der Spur ist, so wird man folgendes herausfinden: Das ist doch der genaue Gegensatz zur Geschichte der katholischen Kirche. Hier taucht für mich ein ungeheurer Widerspruch im Vergleich des Evangeliums zur katholischen Kirche auf (... ). Dieser Abgrund zwischen den Propheten und der katholischen Kirche und ihrer Geschichte ist für mich so fundamental, daß ich darüber schreiben wollte«. 21 Liest man nun diese Ansicht mit einer zweiten Äusserung Arcands zusammen, dann gibt er mit seiner Bemerkung zugleich eine Lese- oder besser Sehanweisung vor allem für seine J esusfigur an die Hand: »Von allen weisen Worten, die im Verlauf der Geschichte gesagt und geschrieben worden sind( ... ), sind die Worte Jesu für mich die wichtigsten ( ... ). Sie sind für mich die bedeutendsten der Menschheitsgeschichte. Heißt das nun gläubig oder nicht gläubig sein? Ich weiß es nicht. Diese Worte sind für mich jedenfalls wesentlich und werden mich bis zu meinem Tod begleiten. Nicht weil sie ,göttlich< sind ich verstehe zwar sehr gut, daß man sie dafür halten kann. Mich als praktizierenden Katholiken zu bezeichnen, möchte ich aber ZNT 6 (3. Jg. 2000) Christina Urban .fosustypen 11,i Film: Gibt es den typischen Jesusfilm? lieber doch nicht. Für mich ist wichtig, daß ich in meinen Filmen von mir selbst spreche, von meinen Problemen, meinen Passionen, von meinem Verhältnis zur Religion, von meinen Konflikten«. 22 Für Arcands Jesustypus ergibt diese Aussage folgendes: Er geht auf Distanz zum vere deus und Jesu übernatürlicher Geburt und zeichnet ihn im Film nach talmudischer Tradition vielmehr als jüdischen Propheten J oschua Ben Pantera. Damit greift er auf die auch bei Origenes schriftlich fixierte Tradition des westlichen Diasporajudentums zurück, die Jesu Geburt als Fehltritt Marias mit einem römischen Soldaten erklärt. Hierbei handelt es sich um frühe talmudische Traditionen, die auch die >ToledotJesu< beeinflussten. 23 Auch die Auferstehung erhält eine spezifische Lesart von Arcand: Jesus ist nicht am dritten Tage auferstanden von den Toten, sondern »er war schon lange tot; fünf, zehn Jahre oder mehr. Seine Jünger hatten sich zerstreut, waren enttäuscht, verbittert und ohne Hoffnung«. Für die filmische Umsetzung bedeutet Arcands Äusserung, dass er, um sich einerseits der PersonJesu nach der biblischen, talmudischen und qumranischen Überlieferung nähern und andererseits gleichzeitig seine Konflikte und Passionen und sein Verhältnis zur Religion auch zum Ausdruck bringen zu können, permanent die Ebenen im Film wechselt. D.h. er greift auf nichtbiblische Deutemuster zurück und gelangt auf der Ebene der historischen Kritik durch die Inszenierung der Passion zu einer ernstzunehmenden, wenn auch eher distanzierten Auseinandersetzung mit dem Jesus von Nazareth des NT. Hier wird eine Figur gezeichnet, die vor allem das vere homo sehr stark in den Vordergrund der Relecture der Evangelien rückt. Im Gegensatz zu den bisher in Montreal supranaturalistisch aufgeführten Mysterienspielen von Jesu Passion gelangt Arcand durch seine bewusst subjektive Näherung auf der Ebene der Transfiguration innerhalb der unterschiedlichen filmischen Ebenen mit Hilfe der Figur Daniele Colombes zu einem hohen Reflexionsniveau der Person Jesu. Auf der inneren Ebene des Films verweist er so z.T. gleichsam durch eine fast platte Direktheit auf die auch gegenwärtige Relevanz der Person Jesu. Obwohl diese naturgemäß auf die Medienwelt bezogen wird, wird Arcands Wirklichkeitssicht dennoch nicht zur deutenden Maßgabe seines Jesustypus, da er sich auch bei der Inszenierung des Passionsspiels ZNT 6 (3. Jg. 2000) die reflektierende Distanz zum Thema bewahrt. »Nie verfällt es in direkten Abbildrealismus, sondern wird zur selbstreflektiven Annäherung an den Text der Evangelien«. 24 2.2 Pasolinis]esus Zum Inhalt: Das Erste Evangelium - Matthäus, Italien 1964, Regie: P.P. Pasolini. Pasolinis Jesusfilm steht im krassen Gegensatz zu dem Arcands insbesondere was die Ausstattung, Schauspieler und Technik, hier insbesondere die Mise en Scene, d.h. was gefilmt und wie es gefilmt werden soll, anbelangt. In der aufblühenden Farbfilmepoche wird ein Jesusfilm in schwarz-weiß einzig mit Laienschauspielern entlegener Dörfer der Abruzzen gedreht. Besonders bei der Suche nach seinem Jesus hat Pasolini sich schwergetan. Er fordert ein Antlitz, das Kraft und Entschlossenheit ausdrücken soll wie das der mittelalterlichen Christusdarstellungen, er will keinen Christus mit weichen Zügen und sanftem Blick wie in der Ikonographie der Renaissance. Auch die Wahl des Drehorts ist nicht einfach: Sowohl in Israel als auch in Jordanien ist immer etwas zu modern und industriell, denn da sind die Kibbuzim, die moderne Landwirtschaft, die Leichtindustrie, der Krieg in Israel. Das Heilige Land ist anderswo zu suchen, z.B. in Süditalien, das außer der veränderten Landschaft auch die unveränderten und ebenso einfachen wie schlichten Menschen bieten kann. Pasolinis Idee ist folgende: »Das Evangelium nach Matthäus Punkt für Punkt verfolgen, ohne daraus ein Drehbuch oder eine Umarbeitung zu machen. Es getreu in Bilder umsetzen, indem man ohne Auslassung oder Hinzufügung der Erzählung folgt (... ). Denn kein eingefügtes Bild könnte auf gleicher poetischer Höhe mit dem Text sein«. 25 Pasolini will weder nach den Ergebnissen der historisch-kritischen Methode noch nach eigenen ideologisch-hermeneutischen Vorstellungen die Matthäus-Geschichte rekonstruieren. Als Ziel seines Filmes möchte Pasolini »ein Leben vorführen, das ein wenn auch unerreichbares - Vorbild für alle ist«. 26 Grundlage des Films ist das Matthäusevangelium, wobei Pasolini von der Engelserscheinung bis zum Tod am Kreuz dessen Ablauf folgt. Auslassungen von Stoffen sind minimal. Diese sind jedoch nicht ungerechtfertigt (man vgl. z.B. das Fehlen einiger Wunder wie etwa die Stillung des 59 Sturms), da ihnen ähnliche Szenen entsprechen und sie so nicht den Duktus des gesamten Evangeliums verändern. Neben dem klassischen Fragenkatalog zum Leben Jesu in der mt Fassung nutzt Pasolini keine weiteren Legenden oder Quellen zur Darstellung seiner Jesusfigur. Diese ist vielmehr von Anfang an durch den Kreuzestod geprägt. So ist schon die Geburtsszene mit dem Schlusschor aus J.S. Bachs Matthäus-Passion (>Wir setzen uns mit Tränen nieder<) untermalt. Allerdings geht es Pasolini keineswegs um eine Interpretation des Evangeliums als verlängerter Passionsgeschichte, wie sie einst Kähler für Mk propagierte. Ganz im Gegenteil steht für Pasolini die Lehre J esu im Mittelpunkt, wobei es seine eigenen marxistischen Wertvorstellungen sind, die ihn in eine Beziehung zu dieser Lehre des mtJesus treten lassen: Insbesondere die eschatologische Forderung nach der Wiederherstellung eines durch den Lauf der Geschichte verlorenen Urzustandes ließ neben der Volkstümlichkeit und Unversöhnlichkeit sowie neben den ausgeprägten sozialen Zügen und der Betonung des Liebesgebotes als Gesetzeserfüllung den mtJesus zur Vorlage der Jesusfigur in Pasolinis Film werden. Nun darf man aus dieser Tatsache keineswegs vorschnell den Schluss ziehen, dass deshalb Pasolinis eigene Wirklichkeitssicht zu seinem Deutemuster des Jesustypus wurde. Denn er folgt mit dem Film getreu dem mt Text, wobei seine Relecture auf eine sehr narrative, indirekte Weise geschieht. Oft ist sie nur an der Art der Darstellerführung (Großaufnahmen, der Akzent liegt auf Gestik und Mimik und der Sprechweise) sowie der Schnitttechnik zu erkennen. Dies gilt auch für seine Jesusfigur: Der Jesus des Films ist weder mild noch gütig, er kennt kein Entweder-Oder. Sein erstes öffentliches Auftreten setzt diese Typisierung wirkungsvoll in Szene. Er tritt in einer Großaufnahme nach einem harten Schnitt ins Bild, um seine Tenne zu säubern. Pasolini entwirft das Bild eines kämpferischen Jesus, der vor allem Gerechtigkeit und soziales Engagement predigt. Diese Relecture des mt Jesus hat nun entscheidende Konsequenzen auch für die christologische Vorstellung der Jesusfigur resp. die Umsetzung des vere deus. Pasolini selbst gibt einen Leitfaden für sein Verständnis: »Ich glaube, daß Christus göttlich ist. Das heißt, (... ) daß die Menschlichkeit in ihm eine so hohe und ideale Form angenommen 60 hat, daß sie über die gewöhnlichen Begriffe von Menschlichkeit hinausgeht«. 27 Dennoch oder vielleicht gerade deshalb war das vere deus für Pasolini am schwersten filmisch umzusetzen. Mit Recht mag man fragen, ob er die Sequenz einer schwierigen Darstellung wie Jesu Wandeln auf dem See nicht hätte auslassen können. »Es gibt einige schreckliche Momente, für die ich mich schäme, (... ): die Wunder. Das Wunder der Brote und der Fische und Christus auf dem Wasser gehend: das ist ekelhafter Pietismus. Der Sprung von dieser Art Heiligen-Bilder-Szenen zu der leidenschaftlichen Gewalt und Politik seiner Predigten ist so groß, daß die Christus Figur des Films dem Publikum ein großes Gefühl des Unbehagens verbreitet( ... ) Christus (... ) ist in Wirklichkeit nicht schlecht, er ist nur voller Widersprüche«. 28 Ohne dass Pasolini einer blinden Aktualisierung oder Historisierung verfällt, gelingt es ihm gerade r; 1it dieser Darstellung des mt Jesus, die sich eingesteht, den ganzen Jesus Christus eben nicht auf Filmrollen binden zu können, das Paradoxon des vere homo et vere deus, seine eigene Auffassung von Christologie in Form einer filmischen Narratio zu präsentieren. 2.3 Die letzte Versuchung Christi Zum Inhalt: Die letzte Versuchung Christi, USA 1988, Regie: M. Scorcese. Im Unterschied zu den beiden ersten Filmen handelt es sich bei Scorceses Werk nicht unmittelbar um die Übertragung des biblischen Stoffes, sondern um den Versuch, sich durch die Verfilmung des Romans von N. Kazantzakis aus dem Jahr 1952 mit der Person Jesus von Nazareth, seiner Verkündigung und seinem Kampf bis zum Kreuz auseinanderzusetzen. Kazantzakis zeichnet einen von Gott Erwählten bzw. aus der Sicht J esu einen von Gott Heimgesuchten, der um seine Sendung ringt. Er arbeitet für die Römer, indem er für sie als Zimmermann die Kreuze für die Hinrichtungen herstellt. Als er sich über seinen Auftrag klar geworden ist, bricht er auf, lässt sich von Johannes taufen, sammelt Jünger um sich und kommt schließlich nach Jerusalem, um dort gekreuzigt zu werden. In einer letzten >Traumsequenz< erscheint ihm die durch einen dämonischen Engel verursachte >letzte Versuchung<, dass er nämlich eigentlich gar nicht am Kreuz sterben müsse. Er könne heiraten, zuerst Maria Magdale- ZNT 6 (3. Jg. 2000) Christina lJr·ban Jesusty1len im Film: Gibt es den typischen Jesusfihn? na, dann Maria und Martha, Sex und Kinder haben und schließlich als alter Mann in Frieden sterben. Judas, der in diesem ,Traum< auch auftaucht, führt Jesus dann zu seiner ursprünglichen Sendung zurück, zum Tod am Kreuz. Auch in diesem Film findet sich biblisches Traditionsgut. Daneben lassen sich aber auch gnostische und apokryphe >Versatzstücke< sowie ein Verschnitt östlicher und westlicher Geistes- und Kulturgeschichte ausmachen. Warum wird nun abschließend ein Jesustypus diskutiert, der nicht einmal ein biblisches oder wenigstens apokryphes Jesusbild transponiert? Ein Film, der zudem auch gerade im Vergleich zu Pasolinis und Arcands Jesusfiguren viel gescholten ist, der religiöse Gefühle beleidigt, der Leben und Sterben J esu missachtet, der alle kränkt, die ihre Hoffnung auf den Erlösungstod des menschgewordenen Gottessohnes gründen (H.W. Dannowski). Die Begründung mag nun insbesondere die, die dem Film und seinem Jesustyp ablehnend gegenüberstehen, in Erstaunen versetzen: Dieser Film samt seiner J esusfigur wurde zur Analyse ausgewählt, weil vielleicht gerade Scorcese mit seinem Jesus am meisten um das vere deus et vere homo und um seine Transponierung ringt. Bereits der aus der englischen Fassung übernommene Vorspann zum Film verdeutlicht, dass Scorcese vor allem daran interessiert ist, wie es zum Bewusstsein der Messianität Jesu kommen konnte: »Das doppelte Wesen Christi, die Sehnsucht des Menschen, so menschlich, so übermenschlich zu Gott zu gelangen, blieben mir stets ein tiefes, unergründliches Geheimnis«. Scorcese äußert sich zu seiner J esusfigur in ähnlicher Weise: »Gewöhnlich ist Jesus ausschließlich als Gott dargestellt worden. Er betrat einen Raum, und schon erstrahlte dieser( ... ). Und doch stellt ihn das Evangelium anders dar. (... ) Wegen der zwei Seelen in ihm, der menschlichen und der göttlichen, ist jeder Augenblick seines Lebens Konflikt und Sieg«. 29 Natürlich wurde im ersten Teil bereits deutlich herausgestellt, dass es für eine Antwort auf die Frage nach Jesu Selbstbewusstsein aus exegetischer Perspektive keine Antwort geben kann. Und so sind auch nicht nur aufgrund dieser Einsicht die Sequenzen des Films, die die MenschheitJesu psychologisierend nachzeichnen, als problematisch, ja bedenklich zu bezeichnen. So mag zwar auch die letzte Traumsequenz aus der Sicht Scorceses als eine Allegorie verstanden werden, die die Angst des ZNT 6 (3. Jg. 2000) Menschen vor seinem eigenen Sterben und die Drangst, im Leben die falsche Richtung eingeschlagen zu haben, herausarbeitet. Dennoch bleibt sie aus einer exegetischen Perspektive ebenso wie die Darstellung von Jesu Leiblichkeit im Stil eines magischen Realismus (insbesondere sei hier auf den Einsatz des Blutes Jesu hingewiesen) bedenklich. Auch die Widersprüchlichkeit der Person Jesus in sich selbst verleitet zum Kopfschütteln: So begegnet man einerseits dem barmherzigen, die Liebe predigenden Jesus, der andererseits im nächsten Moment axtschwingend zum fanatischen Eiferer wird. Obwohl sich Scorcese des Öfteren an überkommenen J esusklischees vergreifen mag, darf man auch ihm keineswegs den Verlust an Wahrhaftigkeit in bezug auf seine Jesusfigur unterstellen. Er versucht mit seiner spezifisch amerikanischen, an Hollywood erinnernden Transponierung den Beginn der Entwicklung der Christologie bereits beim Irdischen darzustellen. Endlich bleibt die Frage zu beantworten, ob es sich bei diesen drei J esusfiguren um Metamorphosen des biblischen Jesus Christus handelt. Versteht man den Begriff Metamorphose als völlige Umwandlung einer Person, so muss die Frage verneint werden. Bei allen drei Jesustypen handelt es sich um Transponierungen von Teileinblicken in die Person Jesus, wie sie nach der Schrift bezeugt wird. Anspruch auf eine vollständige Relecture bzw. Adaption der Person Jesus Christus erhebt keiner der drei Filme. Vielmehr bietet sich uns auf drei verschiedene Weisen das Ringen um das Paradoxon des vere deus et vere homo, wie es seit dem Beginn des altkirchlichen Bilderstreites belegt ist. Anmerkungen 1 Vgl. z.B. R. Zwick., Evangelienrezeption im Jesusfilm. Ein Beitrag zur intermedialen Wirkungsgeschichte des Neuen Testaments, StThPS 25, 1997, 56ff.; G. Albrecht, Jesus eine Filmkarriere. Entwicklungslinien des Jesus- Films und seiner Rezeption, in: Jesus in der Hauptrolle. Zur Geschichte und Ästhetik der Jesus-Filme, filmdienst extra (1992), 9-14; C. Urban,Jesus Christ Moviestar - Fiktion und Wirklichkeit, in: zB 2000, 27-39: 30ff. 2 Vgl. z.B. Zwick, Evangelienrezeption, 36ff. (Anm. 1); Urban, Jesus, 32ff. (Anm. 1); G. Langenhorst,Jesus ging nach Hollywood. Die WiederentdeckungJesu in Literatur und Film der Gegenwart, 1998, 36ff.; 54ff.; 199ff. 3 Für eine erste Annäherung an filmische Gattungen und 61 Programmformen vgl. K. Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart 2 1996. Zur grundlegenden Einführung in die Filmanalyse vgl. das Standardwerk von J. Monaco, Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. NA Reinbek 1997. Für Medientheorien der Gegenwart bietet F. Hartmann, Medienphilosophie, 2000, einen philosophisch-hermeneutischen Überblick, beginnend mit Descartes. 4 Problematisch erweisen sich andere Typisierungsversuche wie z.B. der Zwicks, Evangelienrezeption, 36ff. (Anm. 1 ), der die Vergleichbarkeit und allgemeine Merkmale von Jesusfilmen und -figuren insofern einschränkt, als er z.T. nur einen Vertreter pro konstruiertem Subgenre benennen kann. Zur ausführlicheren Kritik an diesem Ansatz Urban, Jesus, 32ff. (Anm. 1). 5 Zu den Möglichkeiten filmischer Transfiguration und dem Figurenpotential von Jesustypen vgl. M. Graff, Christus Inkognito. Eine theologische Spurensicherung im Film, in: Jesus in der Hauptrolle, 48-57. 6 Vgl. z.B. Zwick, Evangelienrezeption, 122H. (Anm. l); S. Alkier, Wunder Punkt Jesusfilm, in: PastTheol 86 (1997), 167-182; ders., Die Wunderwelt des Kino -Typen der Wunderdarstellung in Jesusfilmen, in: Braunschweiger Beiträge 88 (2 / 1999); Urban, Jesus, 27ff (Anm. 1). 7 Vgl. hierzu z.B.J. Becker,Jesus von Nazareth-ein Stoff, aus dem man Bestseller macht, in: zB 1999, 1-8. 8 Vgl. hierzu z.B. J. Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche (SES 155), Stuttgart 1993, 38ff. 9 Einen systematisierten Überblick und Einstieg in die Problematik, ob die christologischen Hoheitstitel einen Anhalt im Leben und Selbstverständnis Jesu haben, oder ob sie nachösterliche Deutungen sind und somit die Entfaltung der Christologie erst nachösterlich beginnt, bieten G. Theißen / A. Merz, Der historische Jesus. 2 1997, 447ff. Sodann F. Hahn, Methodenproblem einer Christologie des Neuen Testaments, VuF 15 / 2 (1970), 3-41; P. Pokorny, Die Entstehung der Christologie, 1985. 10 Die exegetische Perspektive Zwicks, Evangelienrezeption, 122 (Anm. 1), zur Untersuchung der Jesusfilme, nämlich 1) nach dem Rezeptionsverfahren der Filme, 2) der Berücksichtigung der Eigenart der ntl. Schriften und 3) die Aufnahme der elementarsten Erkenntnisse der Jesusforschung zu fragen, muss um einen Punkt erweitert werden. Es muss 4) auch die christologische Darstellung der jeweiligen J esusfigur eruiert werden. 11 Vgl. z.B. Becker, Urchristentum, 39 (Anm. 8). 12 Ebd., 39. 13 Diese christologische Grundlinie kann man zuerst bei Paulus studieren, der vor allem auf Jesu Geschick von Kreuz und Auferstehung abhebt, während die Evangelien im Gegensatz zu Paulus aufgrund ihrer narrativen Perspektive viel ausführlicher Jesus als handelndes Subjekt, also sein Wirken, schildern. Zur Einführung in die Entfaltung und die verschiedenen Ausformungen der nachösterlichen Christologie (z.B. Christusprädikatio- 62 nen, Christus als Endzeitherrscher, Christi Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft) vgl. z.B. Becker, Urchristentum, 44ff. (Anm. 8). 14 Stellvertretend vergleiche man nicht nur die intensive filmische, sondern auch literarische Auseinandersetzung Pasolinis mit der Problematik des vere homo et vere deus (vgl. die Tagebuchzitate aus den sog. Roten Heften bei N. Naldini, Pier Paolo Pasolini. Eine Biographie, 1991, 227-254). 15 Becker, Stoff, 8 (Anm. 7). 16 Bei der sog. Relecture handelt es sich um einen Ansatz, dem es in erster Linie um intertextuelle Phänomene geht. Im Vordergrund steht die Beziehung zweier Einheiten zueinander, wobei das, was von der einen Einheit rezipiert wird, das in der Bezugseinheit Entwickelte als grundsätzlich gültig voraussetzt. Dabei wird die Relecture in einer doppelten Bewegung vollzogen: Erstens ist sie innovative und erklärende Rezeption. Zweitens verlagert sie hierbei zugleich den thematischen Schwerpunkt aufgrund ihrer eigenen Bedürfnisse und zeitgeschichtlichen Situation durch eine weitere Entfaltung des tradierten Sachverhalts. 17 Insofern kann z.B. nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Kommunikationsakt der Regisseure mit den Rezipienten darin besteht, dass die Rezipienten zum Glauben an einen biblisch-dogmatisch bezeugten Christus durch den jeweiligen Film kommen. Vielmehr geschieht hier oftmals eine kritische Aneignung der christologischen Aussagen des NT und der Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung. Pasolini konstatiert in bezug auf die Person Jesus Christus: »Obgleich meine Sicht der Welt religiös ist, glaube ich nicht an die Göttlichkeit von Christus« (zit. nach Naldini, Pasolini, 244 (Anm. 14. Zur Einführung in Pasolinis Beurteilung seiner Jesusfigur vgl. ebd.). Dennoch wurden auch Filme wie z.B. ,Jesus< von J. Heyman produziert, die die filmische Transponierung der ntl. Zeugnisse ausschließlich als Medium der Mission begreifen: »Der Film geht davon aus, daß die historisch-kritische Forschung ihrem Ende entgegen geht( ... ). Es geht mir bei diesen Filmen nicht darum, was meine Phantasie mir sagen möchte, sondern es geht mir darum, was Gott mir zu sagen hat( ... ). Die biblische Botschaft muß ja in meinem Leben eine Veränderung vollbringen« (Die Botschaft: Authentizität versus Interpretation. Interview zum ,Genesis-Projekt< mit R. Hänssler, in: mP 2 / 81, 10ff.). Gegen eine solche filmische Adaption ntl. Texte erheben sich nun aber gerade seitens der Exegeten kritische Einwände: »Die größten Versager sind( ... ) diejenigen, die bewußt fromm sein wollen. Es ist eben schwer Frömmigkeit glaubhaft darzustellen. Diejenigen, die sich fragend oder kritisch mit Jesus auseinandersetzten( ... ), wie etwa Pasolini, wirken für mein Empfinden überzeugender. Sie kommen auch dem, was die Evangelien über Jesus berichten, näher. Demnach können Jesusfilme sinnvoll sein, wenn sie von vornherein darauf verzichten, ein komplettes Bild der vita Jesu zu liefern, das es (... ) gar nicht gibt, sondern wenn sie sich der Aufgabe stellen, mit ZNT 6 (3. Jg. 2000) Chr'istina Urban Jesustvpen im film: Gibt es den typischen Jesusfilm? Hilfe des Mediums Film auf irgendeine Weise intensiv und kritisch mit dem, was uns von Jesus überliefert ist, oder auch was uns besonders an dieser Gestalt fasziniert, auseinandersetzen CT- Blank, Jesus-Filme aus exegetischer Sicht, in: Zur Debatte, 1978, 15). 18 Becker, Stoff, 9 (Anm. 7). 19 Hier wird bewusst auf eine weitere Klassifizierung des christologischen Konzepts in die für die J esusfilme beliebte Differenzierung einer ,Christologie von oben< und einer ,Christologie von unten< verzichtet, wobei die sog. ,Christologie von oben< filmisch beiJesu göttlichem Ursprung, der Jungfrauengeburt, Tod und Auferstehung einsetzt, während die ,Christologie von unten< bei der Geschichte Jesu in Raum und Zeit, also bei seinen Worten und Taten, seinem Glauben, Leiden, Sterben und Auferstehen, beginnt (vgl. hierzu z.B. M. Tiemann, bibel im film, 1995). Denn ein Film kann durchaus bei der Transponierung der Jungfrauengeburt nach Mt anfangen, ohne dass der Regisseur selbst in einer traditionell dogmatischen Formulierungwie z.B. Pasolinian der Göttlichkeit Jesu festhält, die die sog. ,Christologie von oben< mit ihrem Topos der Jungfrauengeburt jedoch einzig für sich reklamieren will. 20 So hat z.B. R. Heiligenthal, Der verfälschte Jesus. Eine Kritik moderner Jesusbilder, 1997, die Diskussion der neuerenJesusliteratur mit Hilfe dieser Raster geführt. 21 H.J. Schilde, sprach mit Arcand, in: Sie spielten Jesus. Eine Rolle hinterläßt Spuren, WDR vom 21.12.1991. 22 Ulrich, F., Interview mit Denys Arcand am Rande des Film-Festivals von Cannes 1989, Zoom Nr. 16 / 1989. 23 Vgl. hierzu aus jüdischer Sicht ausführlich, S. Ben-Chorin, Jesus im Judentum, 1970, 9f. 24 K.-E. Hagmann, in: Jesus in der Hauptrolle, 71. Eine vorzügliche didaktische Aufarbeitung und eine umfassende Materialsammlung zum Film bieten: R. Mack. / C. Ramsperger u.a. (Hgg.), Jesus - Neue Aspekte der Christologie. Der Spielfilm ,Jesus von Montreal, im Unterricht, calwer materialien, 1995. 25 Zit. nach: Tiemann, bibel, 147 (Anm. 19). 26 Ebd., 147. 27 zit. nach. E. Sciliano, Pasolini, 1985, 346. 28 0. Stack, Pasolini on Pasolini, 1969, 87ff., zitiert nach: Reihe Film 12, 123. 29 M. Scorcese, Zum Film ,Die letzte Versuchung ... < Interview, Pressemappe zum Film, Sept. 1988, in: epd-Dokumentation 7 / 89, 66f. In dieser epd-Dokumentation findet sich auch umfangreiches Material zur didaktischen Verwendung. ZNT 6 (3. Jg. 2000) MAINZER HYMNOLOGISCHE STUDIEN Herausgegeben von Hermann Kurzke in Verbindung mit dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie Elke Axmacher Johann Arndt und Paul Gerhardt Studien zur Theologie, Frömmigkeit und geistlichen Dichtung im 17. Jahrhundert Mainzer Hymnologische Studien 3, 2000, ca. 300 Seiten, ca. DM 86,-/ ÖS 628,-/ SFr 77,- ISBN 3-7720-2913-2 Die Studien belegen die enge Beziehung zwischen Erbauungsliteratur (J. Arndt) und Lieddichtung (P. Gerhardt) sowie deren Zusammenhang mit der Theologie der lutherischen Orthodoxie. Auf dem Hintergrund der hier erstmals untersuchten nachreformatorischen Freundschaftstheologie werden Gemeinsamkeit und Eigenart des Freundschaftsverständnisses in Gebet und Lied aufgezeigt. A. Francke Verlag Tübingen und Basel 63