ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2001
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Dronsch Strecker VogelWar Jesus ein Magier?
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2001
Peter Busch
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1. Jesus unter Magieverdacht In der antiken christlichen Literatur stoßen wir vereinzelt auf Hinweise, daß Außenstehende Jesus explizit einen Magier nannten. Beispielsweise referiert Justin in seinem »Dialog mit dem Juden Trypho« 79,7 spezielle polemische Stimmen: »Sie wagten es sogar, Jesus einen Magier (magos) und Volksverführer (laoplanos) zu nennen.« In den apokryphen Pilatusakten wird Jesus unter anderem bei Pilatus mit den Worten angeklagt: »Er ist ein Magier! «. Kein Zweifel - Jesus stand seit Alters unter Magieverdacht. Wie ist dies zu beurteilen? Das Verhältnis Jesu zu antiken Magiern soll Thema der folgenden Ausführungen sein. Dabei soll es - und darauf sei zu Beginn hingewiesen - nicht darum gehen, ob einzelne Handlungen Jesu (etwa die Heilungen nach Mk 5 oder die Einsetzung des Abendmahls) bzw. einzelne Worte (»Hefata«) auch magisch zu verstehen wären, sondern das Thema sei von den oben zitierten Quellen vorgegeben: War Jesus ein Magier? 2. Die These von M. Smith : Jesus war ein Magier Mit der These vom Magiertum Jesu ist in der neueren Forschung der Name des Althistorikers Morton Smith verbunden, dessen detaillierte und materialreiche Studie »Jesus der Magier« 1 mit folgenden Spitzenaussagen resümiert werden kann: Der historische Jesus war ein Magier, dessen religionsgeschichtlicher Rahmen weniger durch das zeitgenössische Judentum (vgl. S. 253f.) als vielmehr durch die antiken Wandermagier beschreibbar ist. 2 Diese These und die nachfolgende Diskussion stützen sich v.a. auf zwei Themenbereiche, die eine Schaltstelle zur Magie bieten: 2.1. Die jesusfeindliche Polemik Die beiden oben widergegebenen Stimmen zu Jesus als Magier sind Beispiele einer Jesus- und christenfeindlichen Polemik, die spätestens seit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert im »Wahren Wort« des Kelsos und bei der oben durch Justin kolportierten Aussagen greifbar ist. Smiths Argumentation verfolgt in diesem Zusammenhang eine Doppelstrategie: Erstens wertet er den antiken Magieverdacht gegen Jesus als Indiz für eine historische Tatsache: Jesus war tatsächlich ein Magier, und dies hat ein Echo in der gegnerischen Magiepolemik. 3 Zum anderen versucht er, diese schon lange vor dem 2. Jahrhundert, in der Zeit der synoptischen Tradition und sogar für die Lebenszeit Jesu nachzuweisen: Smith spielt hier immer wieder auf den Beelzebub-Vorwurf in Mk 3,20ff. an, dies treffe sich mit dem Magievorwurf der frühen antichristlichen Angriffe von jüdischer und heidnischer Seite. Die sorgfältige Rekonstruktion des durch die christliche Tradition angeblich unterdrückten Magieverdachts gegen Jesus macht nun den modernen Rekonstruktor selbst verdächtig, in einem geschlossenen hermeneutischen Zirkel zu argumentieren. Wenn Jesus beispielsweise nach dem Bericht der Evangelien - wie in Mk 5,13ff. - nicht so magisch wie erwartet reagiert, so liegt es nach Smith am Evangelisten, der die eigentliche magische Tradition herunterspielt (S. 191f.). Der methodische Ansatz, Nichtmagisches durch antimagische Korrektur oder durch Unterdrückung älterer Traditionen zu erklären, schafft hier ein selbstimmunisierendes System für die eigene Position. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Trennung von »primären« und »sekundären« Traditionen als willkürlich; primär sind nach Smith diejenigen Traditionen, die eine Nähe zur Magie aufweisen, sekundär bzw. »Gemeindebildung« sind die nichtmagischen Traditionen (beispielsweise die Lehre Jesu) (S. 222f.). 2.2. Die Wunder- und Exorzistentätigkeit Jesu Zentral für Smiths Argumentation ist die Beobachtung, daß die Hauptlinien in allen vier Evangelien Zum Thema Peter Busch War Jesus ein Magier ? ZNT 7 (4. Jg. 2001) 25 Jesus als Wundertäter darstellen (S. 30); darum liegt nach Smith der Vergleich mit zeitgenössischen Wundertätern nahe, zuvörderst Apollonios von Tyana, der in der Überlieferung als Magier dargestellt wurde (S. 154). Jesus wird also in Zusammenhang mit »Wundertätern« gebracht, und diese Diskussion war in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, zur Zeit der Entstehung von Smiths Thesen, heftig im Fluß. Nach den weiter zurückliegenden Überlegungen zum »göttlichen Menschen« seit L. Bieler, 4 wurde damals einerseits vorgeschlagen, Jesu Wunder- und Exorzistentätigkeit in ein allgemeines, gemeinantikes Denkmuster einzuordnen (hier ist insbesondere O. Böcher zu nennen 5 ), andererseits, Jesus zu speziellen Wundertätern in Verbindung zu setzen. In letzterem Zusammenhang ist parallel zur Zuordnung Jesu zu jüdischen Charismatikern eines speziellen nordgaliläischen Typs durch G. Vermes 6 Smiths Vorschlag zur Einordnung Jesu in die Reihe gesamtantiker Magier zu werten. Damit ist Smiths These vom »Magier« Jesus - rein forschungsgeschichtlich gesehen - nichts anderes als ein ausführlich begründeter Vorschlag für einen speziellen religionsgeschichtlichen Hintergrund der Wunder und Exorzismen Jesu, der sich bewußt an der antiken Zauberliteratur orientiert. Nun hat sich knapp ein viertel Jahrhundert nach Smiths Thesen die poinierte und oftmals auch als skandalös aufgefaßte Spitzenaussage, Jesus sei tatsächlich Magier gewesen, in der Forschung nicht durchsetzen können. 7 Doch auch ohne diese Pointe Smiths bleibt die Frage nach der Nähe Jesu zur antiken Magie, die Smith materialreich zu belegen versuchte. Bei neueren Arbeiten zu den Wundern und Exorzismen Jesu ist eine ambivalente Haltung der Exegeten zur Verhältnisbestimmung Jesu zur antiken Magie erkennbar: Trotz einzelnen Tendenzen zur Distanzierung Jesu von magischen Praktiken 8 wird dennoch in neueren Arbeiten auf die Zauberpapyri, auf Amulettinschriften oder auf die Beschwörungspraxis verwiesen. Damit ist die bleibende Bedeutung von Smiths Studie darin zu sehen, daß er für die selbstverständliche Rezeption antiker magischer Texte bei der Jesusforschung einen entscheidenden Beitrag leistete, wenn auch seine Identifikation Jesu mit einem Magier heute so nicht allgemein akzeptiert wird. Damit ist die neutestamentliche Zunft nach wie vor zu einer Verhältnisbestimmung angehalten: Was hat denn nun Jesus mit einem antiken Magier gemeinsam? Wenn er auch nicht mit einem identisch ist - wo wären die Vergleichspunkte? Zur Beantwortung dieser Fragen sollen die folgenden Überlegungen einen Beitrag leisten. 3. Methodische Vorgaben für die Diskussion nach M. Smith Dringend für die oben gestellten Fragen notwendig ist eine religionsgeschichtlich abgesicherte Skizze zu antiken Magiern, und hier ist das religionsgeschichtliche Material seit Smiths Studie schon deutlich besser aufbereitet, was sich besonders an der Edition neuer magischer Textsammlungen und Hilfsmittel festmachen läßt, die Smith noch nicht kennen konnte. 9 Doch außerdem sind es zwei Punkte, die wir aufgrund der aktuellen Diskussion über Smiths Ausführungen zu antiken Magiern (insbesondere S. 143-163 der deutschen Ausgabe) hinaus bedenken müssen: Erstens skizziert Smith einen Magier als Wundertäter in Analogie zu einem »göttlichen Menschen«, wie er in den Schriften Lukians und Philostrats erscheint. Obwohl er dabei schon in verschiedene Magier«typen« differenziert, 10 bleibt es doch bei der Rekonstruktion eines bestimmten »Typen«, wie es auch seinerzeit L. Bieler für die Gestalt des »typischen theios aner«, des göttlichen Menschen, geleistet hatte. Diese Typisierung der theios-aner-Gestalt wird in der neueren Forschung zugunsten einer historischen Entwicklung der entsprechenden Vorstellung abgelehnt. 11 Man geht nicht mehr davon aus, daß die unterschiedlichen Aussagen der antiken Quellen über Wundertäter sich wie Mosaiksteine zu einem »Typus« des Wundertäters zusammensetzen lassen; vielmehr nimmt man sie heutzutage als unterschiedliche Aussagen zu unterschiedlichen Zeiten wahr, die in ihrer historischen Entwicklung darstellbar wären. Zweitens ist es in der neueren Magierdiskussion Konsens, die Außensicht (wie stellen sich Griechen und Römer einen Magier vor? ) und die Innensicht (wie wird und was ist ein wirklicher Magier? ) streng zu unterscheiden. Hier ist besonders F. Grafs 12 neuere Studie über Magie und Schadenszauber zu nennen, der diese Differenzie- 26 ZNT 7 (4. Jg. 2001) Zum Thema ZNT 7 (4. Jg. 2001) 27 Peter Busch War Jesus ein Magier ? Peter Busch Dr. Peter Busch, M.A., Jahrgang 1965, studierte in Tübingen und Heidelberg Theologie und Linguistik. Er arbeitet als Schulpfarrer an einem Gymnasium in Germersheim. rung methodisch betrieb. Es ist eben etwas anderes, ob jemand als Magier bezeichnet wird - und damit diffamiert oder gar angeklagt wird 13 -, oder ob jemand sich selbst als Magier bezeichnet. Eine derartige Unterscheidung hat Smith methodisch nicht betrieben. Seine Rekonstruktion eines antiken Magiers besteht mehrheitlich aus Fremdaussagen über Magier, und von der magischen Literatur werden hauptsächlich die magischen Zauberpapyri der Preisendanz’schen Sammlung erwähnt, dagegen spielen Amulette, Zaubertäfelchen und die archäologisch nachweisbaren Spuren der antiken Zauberkunst eine deutlich untergeordnete Rolle. Damit ist es eine ernstzunehmende Anfrage, ob Smith dem Bild eines Magiers - aus der Innensicht - gerecht geworden ist. Damit ist für die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu antiken Magiern in der Diskussion nach Smith konstitutiv: 1. die magischen Primärquellen werden als verstreute Hinweise zu Tätigkeiten verschiedener Magier gelesen, auf die Rekonstruktion eines »Typs« wird verzichtet, 2. Auf der Rezeption der magischen Primärquellen durch Smith aufbauend werden v.a. auf Selbstäußerungen von Magiern Wert gelegt, weniger auf Äußerungen Dritter über vermeintliche »Magier«. 4. Magier als Tradenten und Nutzer magischer Fachliteratur Die griechischen Begriffe magos oder goetes haben mannigfache Bedeutungsnuancen und können Marktschreier ebenso wie Weise bedeuten. Im folgenden sollen »Magier« allerdings nicht als Fremdbezeichnung verstanden werden. »Magier« sind also nicht Menschen, die von anderen als »Magier« bezeichnet, oftmals sogar beschimpft und diffamiert werden. Die Magier, mit denen in den folgenden Ausführungen Jesus ins Verhältnis gesetzt werden soll, sind andere: Es geht um Menschen, die sich selbst als »magos« bezeichnen würden oder sich in die Tradition solcher »magoi« einreihen. Da diese Traditionen für uns zuvörderst in der antiken Zauberliteratur, den Amuletten, Fluchtäfelchen und magischen Inschriften greifbar sind, nennen wir »Magier« in den weiteren Ausführungen Tradenten und Nutzer der antiken magischen Fachliteratur. Bislang ist eine historische Skizze dieser antiken Magier, trotz Myriaden von Untersuchungen zur antiken Magie, noch ein Desiderat. Dies dürfte auch an der Quellenlage selbst liegen, denn erstens sind die Originalstimmen antiker Magier überlagert von vielfältiger (oft polemischer) Fremdbezeichnung. Zweitens - und so geht es aus den Zauberpapyri an mehreren Stellen hervor - wird die magische Literatur oft als Geheimliteratur verstanden, so daß die Überlieferung durch mangelnde Abschriften als sehr lückenhaft angenommen werden muß. 5. Jesus und die Tradenten und Nutzer der magischen Fachliteratur Doch gehen wir von dem aus, was wir an magischen Überlieferungen haben und stellen salopp die Frage: Wäre den Tradenten und Nutzern der magischen Literatur Jesus als Kollege plausibel? 14 Die Blickrichtung der folgenden Ausführungen ist also diametral zu der von M. Smith: Während Smith von der Jesusüberlieferung ausging und Ausflüge in das Thema Magie unternahm, wird in den folgenden Zeilen die magische Tradition als Ausgangspunkt genommen und von dort aus in die Jesusüberlieferung geschaut. Von dieser Perspektive erscheint zunächst vieles fremd und unvereinbar: 5.1. Eingang in den Traditionskreis Wie wird man Teil dieses Kreises der Benutzer und Tradenten magischer Literatur? F. Graf 15 hatte in seiner Studie auf die besondere Initiation des Magiers hingewiesen. Schon A. Dieterich, der womöglich einflußreichste Initiator der deutschsprachigen Magieforschung, hatte im »großen Pariser Zauberpapyrus« in PGM 4,475-829 eine magische Initiation zu rekonstruieren versucht, die an die Mysterienpraxis erinnert. 16 Demnach ist es möglich, daß einige Magier ihre Zugehörigkeit zur magischen Tradition durch eine Initiation bzw. eine magische Lehrzeit begründet haben könnten. Für die Jesustradition bildeten diese außerbiblischen Hinweise auf den Eintritt in die magische Traditionskette schon früh ein Einfallstor für magische Diffamierungen von außen, wie es aus den bei Origenes überlieferten Fragmenten des Kelsos zu ersehen ist. 17 Der matthäische Kindheitsbericht von der Flucht nach Ägypten wird dann als hauptsächliche Nahtstelle dafür angenommen, daß Jesus in Ägypten Glied der magischen Traditionskette wurde. Doch ist die »Flucht nach Ägypten« wie auch die Taufe Jesu nur mit weitreichenden Zusatzannahmen als Einführung Jesu in die Tradition der Magie deutbar. 5.2. Die magische Gelehrsamkeit Schon ein erstes Durchblättern der magischen Texte zeigt, daß die Tradenten der magischen Texte oftmals große Kenntnisse in der einschlägigen Fachliteratur besaßen. Magie zeigt sich hier als Buchwissenschaft, wie es sich auch im NT in Acta 19,19 mit der Verbrennung der »Zauberbücher« niederschlägt. Diese Bücher werden vom Tradentenkreis gelesen, es werden Hinweise zur (oft göttlichen) Entstehungsgeschichte der Texte weiter tradiert, wie in PGM 7,863: »Dieses Buch, zwölf Göttern eigen, wurde in Aphroditopolis gefunden, bei der größten Göttin Aphrodite Urania«, und man zitierte ausführlich aus anderen Werken, wie es aus PGM 13,24ff. deutlich wird: 18 Wie der Gotteskünder (theologos) Orpheus überliefert hat in seiner »Parastichis«: (Zauberworte), Erotylos in den »Orphica«: (Zauberworte), Hieros aber folgendermaßen: (Zauberworte), wie aber der heilige Name in der Schrift an König Ochos von Thphe, dem Hieroglyphenschreiber ausgesprochen wird: (Zauberworte), in den Erinnerungen des Euenos heißt es, der Name klinge bei den Ägyptern und Syrern (Zauberworte), nach Zoroaster dem Perser: (Zauberworte), in den Schriften des Purros aber: (Zauberworte), nach Mose aber in der »Archangelike« 19 : (Zauberworte), wie es aber im »Gesetz« auf hebräisch gelöst wird: Abraam, Isak, Iakob, aeo, eoa, oae, Ieu iee, ieo, Iao ia, ie,ao,ee,oe,eo, wie es aber im fünften Buch der Ptolemaika »eins ist auch das Ganze«, in diesem vortrefflichen Buch lautet (es beinhaltet die Entstehung des Geistes von Feuer und Finsternis): Herr der Ewigkeit, der Allschöpfer, alleiniger Gott, Unaussprechlicher (Zauberworte), und der große Name in Jerusalem, mit dem man das Wasser herauslockt, wenn sich keines in der Zisterne findet: (Zauberworte). Wie man sieht, wird hier eifrig aus der früheren magischen Literatur zitiert. Die Tradenten müssen demnach Auszüge dieser Literatur bzw. eine Fachbibliothek zur Verfügung gehabt haben, sonst wäre eine derartige Kompilation magischen Materials nicht leistbar. Es werden Auszüge aus früheren Büchern angefertigt (vgl. PGM 3,424ff: »Abschrift aus den Heiligen Büchern«), es werden zu einem speziellen Thema aus mehreren Büchern Variantenkataloge zusammengestellt (beispielsweise in PGM 2,44ff) - kurz, magische Literatur wird eifrig gelesen und weiter fortgeschrieben. Darum ist es methodisch auch legitim, die (gemessen an der Jesusüberlieferung) zumeist späteren magischen Texte als religionsgeschichtlichen Hintergrund für das NT heranzuziehen: Der Traditionsprozess dieser Literatur dürfte zeitlich sogar noch vor die Entstehung des NT zurückreichen. Durch diese knappen Beispiele wird angerissen, daß antike Magie etwas mit literarischer Gelehrsamkeit zu tun hat und sich antike Magier als Experten einer einschlägigen Fachliteratur erweisen. Dies alles ist nun bei der Jesusüberlieferung nicht zu erkennen. Nirgends wird angedeutet, daß Jesus spezielle magische Bücher rezipiert oder an der magischen Gelehrsamkeit teil hatte. 5.3. Die magische Fachsprache Bei intensiver Lektüre der magischen Literatur wird deutlich, daß sich in der Tradition dieser Texte eine regelrechte Fachsprache herausgebildet hat. Eine magische Handlung ist eine »praxis«, ein Zauberspruch ein »logos«, eine Dämonen- oder Götterbeschwörung ein »exorkismos«, ein Liebeszauber ein »philtron«, die Herbeiführung eines 28 ZNT 7 (4. Jg. 2001) Zum Thema Dämons eine »agoge«. Eine fundierte Darstellung dieser Fachterminologie - letztendlich eine »Formgeschichte der Magie« - ist ein dringendes Desiderat und bislang noch nicht erarbeitet. Nur soviel zeichnet sich ab, daß sich diese Fachterminologie - wenn überhaupt - nur in Spuren in der Jesusüberlieferung niederschlägt. Das Wort »exorkismos« beispielsweise als theoretischer Fachbegriff kommt in der ntl. Jesusüberlieferung nicht vor, ebensowenig »philtron« oder »agoge« (und außerhalb der Jesusüberlieferung in II Tim 3,10 keinesfalls als magischer Fachterminus). Obwohl Jesu Exorzismusbefehl (horkizo …) oder auch die Verwendung etwa von »desmos« in Mk 7,35 durchaus in magischem Kontext gelesen werden könnten, so ist eine breite Verwendung der magischen Fachsprache in der Jesusüberlieferung nicht belegbar. 5.4. Die professionelle Anwendung der magischen Texte Magische Literatur und magische Gelehrsamkeit sind kein Selbstzweck, sondern zielgerichtet: In den zahlreichen Anweisungen zur Anwendung wird deutlich, daß das Theoretische auch professionell in die Tat umgesetzt werden soll. Besonders J. Gagers 20 Buch stellt eine Auswahl der Anwendungsgebiete für Magie zusammen: unglücklich Verliebte versprechen sie durch magische Praxis eine innige Beziehung mit den Angebeteten, Circusbesucher einen günstigen Ausgang der Spiele und reichen Wettgewinn, Kranke ersehnen Heilung, Prozeßgegner ein günstiges Urteil, und privat Verfehdete schicken sich gegenseitig Tod und Teufel auf den Hals. So gesehen könnte man die vielen verschiedenartigen Begriffsbestimmungen der antiken Magie in eine teleologische Definition kanalisieren: Magie erweist sich aufgrund der Wahrnehmung der magischen Literatur als Problemlösesystem für den Alltag. Man könnte sich durchaus vorstellen, daß Menschen in der Antike zur Lösung ihrer Alltagsprobleme - vielleicht analog zur modernen Konsultation eines Therapeuten, Seelsorgers oder eines Börsenberaters - einen Magier aufsuchten, der ihnen per Auftragsarbeit Hilfe versprach. 21 Der Magier konnte in seiner Bibliothek die entsprechende »praxis« leicht nachschlagen - schließlich sind in der erhaltenen Zauberliteratur die Handlungsanweisungen per Überschriften so deklariert, daß sie ein schnelles Finden ermöglichten: Beispielsweise gliedern folgende Überschriften den oben schon zitierten »großen Pariser Zauberpapyrus« (PGM 4) von Zeile 286-469: »Pflanzenhebung« - »Wunderbarer Liebeszwang« - »Groll bannen«. Der Magier konnte so schnell die gewünschte »praxis« heraussuchen, setzte in die Namensleerstellen (die im Griechischen mit »to deina« bezeichnet sind, was unserem »N.N.« = »Nomen Nominandum« entspricht) die aktuellen Namen ein und führte das Ritual aus. Ein Liebhaber konnte somit per Auftragsarbeit seine Nebenbuhler ausschalten, gleichzeitig konnten allerdings auch seine Konkurrenten gegen ihn Magie in Auftrag geben. Diese kuriose Szenerie ist übrigens archäologisch gut bezeugt: Auf der Athener Agora wurden zwei Verfluchungstäfelchen gefunden, die beide mit der gleichen geübten Handschrift beschrieben waren und die mit dem gleichen Verfluchungsformular einmal die Zuneigung zweier Männer zu einer Frau, dann die ebendieser Frau zu ihrem eigentlichen Geliebten unterbinden sollen. 22 Hier konnte wohl ein und derselbe Magier zwei direkte Konkurrenten gleichzeitig bedienen. Nun geht aus der Jesusüberlieferung mitnichten hervor, daß Jesus in seiner Eigenschaft als Wundertäter auf magische Formeln oder die magische Fachliteratur zurückgriff. Es ist - gerade bei Mk - die »Vollmacht Jesu« oder auch der »Geist«, der hier als Konzept an der Stelle der magischen Gelehrsamkeit steht. 6. Resümee Berührungspunkte zwischen den »Magiern« im oben bezeichneten Sinne und Jesus bestehen sicherlich in den Handlungsfeldern Krankenheilungen, Exorzismen, Sättigung von Menschen. Dies sind Alltagsprobleme, die nach der Jesusüberlieferung durch Jesus und nach der Zauberliteratur durch Magie gelöst werden konnten. Doch dies ist - aus der Perspektive der Zaubertexte - nur eine kleine Schnittmenge. Wir erfahren nichts davon, daß Jesus einen Liebeszauber für einen anderen Menschen ausübt, daß er eine Wunderhandlung für einen günstigen Wettausgang einleitet oder daß er durch entsprechende Praktiken einen Gerichtsprozeß manipuliert. Das Segment, das Jesus als ZNT 7 (4. Jg. 2001) 29 Peter Busch War Jesus ein Magier ? Wundertäter aus der Sicht der magischen Literatur bestreicht, ist nicht sehr groß. Vielleicht könnte man es mit dem Begriff »direkte Leiblichkeit« 23 abgrenzen: Jesus handelt überall dort, wo der Leib des Menschen direkt affiziert ist durch Krankheit, Unreinheit, Besessenheit, Hunger und Durst. In diesem Aktionsfeld spielen sich dann seine Wunderhandlungen ab. Hätten sich dann Jesus und die »Magier« in oben bezeichnetem Sinne über ihre Tagesgeschäfte ausgetauscht, so wären sie nach den obigen Ausführungen wahrscheinlich einander fremd gewesen: Eventuelle magische Lehrjahre, die magische Literatur, die magische Fachsprache und die magische Gelehrsamkeit als Grundlage für Exorzismen und Wunderhandlungen wären jedenfalls keine verbindenden Elemente gewesen. Aus diesem Grund hätten die Tradenten und Nutzer der antiken magischen Literatur (dieselben mögen dem Autor die ungeschützte Steilheit seiner Schlußthese nachsehen) Jesus kaum als Kollegen akzeptieren können. Anmerkungen 1 Smiths Buch Jesus the Magician, New York 1978, erschien deutsch unter dem Titel Jesus der Magier, München 1981 (im folgenden wird die deutsche Ausgabe zitiert). Als zusammenfassende Besprechung ist besonders die Rezension von J. Bühner, Jesus und die antike Magie. Bemerkungen zu M. Smith, Jesus der Magier, in: EvT 43, 1983, 156-175 zu empfehlen. 2 Vgl. die zusammenfassende Rekonstruktion vom Leben des Magiers Jesus bei Smith, 235ff. 3 Freilich ist an dieser Stelle auf andere Möglichkeiten zur Deutung des antiken Magieverdachts gegen Jesus hinzuweisen, nämlich als reine unhistorische Polemik, beispielsweise als späte Legitimation der Kreuzigung Jesu im Rahmen des römischen Prozeßrechts. Jesus ist dann also keinesfalls Magier gewesen, die postulierte Nähe zur Magie ist gegnerische Unterstellung, vgl. hierzu E. Bammel, Jesus der Zauberer, in: E. Bammel, Judaica et Paulina. Kleine Schriften II (WUNT 91), Tübingen 1997, 3-14. 4 L. Bieler, Theios Aner. Das Bild des ›göttlichen Menschen‹ in Spätantike und Frühchristentum I/ II, Wien 1935/ 36 (ND Darmstadt 1976). 5 O. Böcher geht in den beiden eigenständig veröffentlichten Teilen seiner Habilitationsschrift Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe (BWANT 90), Stuttgart/ Berlin 1970 und Christus Exorcista. Dämonismus und Taufe in Neuen Testament, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1972 von der allgemeinen Präsenz dämonischen Denkens in der antiken Weltsicht aus. Die Furcht vor Dämonen und die Entwicklung von Praktiken zu deren Abwehr seien gemeinantik und in jüdischer Ausprägung in die neutestamentliche Literatur eingegangen. 6 G. Vermes, Jesus the Jew: A Historian’s Reading of the Gospel, London 1973 (deutsch 1993). 7 Vgl. M.A. Powell, Jesus as a Figure in History. How Modern Historians View the Man from Galilee, Louisville 1998, 57: »Smith’s study has not found wide acceptance among historical Jesus scholars«. 8 Zu einer Distanz Jesu zur antiken Magie tendieren in jüngerer Zeit G. Twelftree, Jesus the Exorcist (WUNT II/ 54), Tübingen 1993, der Jesus primär im Rahmen des zeitgenössischen Exorzismus ansiedelt (vgl. ebd., 141- 156), ihn aber dennoch von der Magie distanziert, indem er betont, daß Jesus einige magische Techniken nicht anwendete, beispielsweise Zaubergeräte (ebd., 157ff.), Beschwörung höherer Mächte, (ebd., 159ff.), Beweis für den Erfolg (aaO., 164f.). Weiterhin stellt D. Trunk, Der Messianische Heiler. Eine redaktions- und religionsgeschichtliche Studie zu den Exorzismen im Matthäusevangelium, Freiburg, Basel, Wien 1994 (bes. 236) heraus, daß Jesus eher aufgrund seiner unmittelbaren charismatischen Autorität wirke und weniger durch (magische) Rituale und Beschwörungen. Dagegen läßt die differenzierte und ausführliche Studie von B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, Göttingen 1996 (bes. 312ff.) Jesus in einigen Aspekten und mit Abstrichen als Magier gelten. Als besondere Stimme ist in diesem Zusammenhang J.D. Crossan, The Historical Jesus: The Life of a Mediterranean Jewish Peasant, San Francisco 1991 (deutsch 1994) zu nennen, der G. Vermes’ Thesen aufgriff, dabei allerdings die Eingrenzung eines speziell nordgaliläischen Charismatikertyps nicht gelten ließ, sondern diesen Typ als Vertreter einer gemeinantiken jüdischen Volksreligion sah und Jesu dort einordnete. 9 Was die Kenntnisse magischer Zeugnisse anbetrifft, so konnte Smith auf mannigfache Vorarbeiten zurückgreifen, beispielsweise auf folgende Zusammenstellungen magischen Materials: die klassischen Sammlungen der Fluchtäfelchen (Defixionen) von R. Wünsch, Inscriptiones Atticae Aetatis Romanae, Defixionum Tabellae (IG III,3, Appendix), Berlin 1897 und von A. Audollent, Defixionum Tabellae, Paris 1904. An umfangreichen Anthologien der Zauberpapyri waren u.a. benutzbar: F.L.I. Griffiths/ H. Thompson, The Demotic Magical Papyri of London and Leiden I-III, London 1904-1921, die unersetzliche Zusammenstellung der Zauberpapyri (PGM = Papyri Graecae Magicae, Bände I-III) von K. Preisendanz, Leipzig/ Berlin, 1928-41 und die Sammlung mandäischer Beschwörungen von E.M. Yamauchi, Mandaic Incantation Texts. American Oriental Series 49, New Haven 1967. Doch schon ein Blick in die Ausgaben der ZPE seit 1978 30 ZNT 7 (4. Jg. 2001) Zum Thema zeigt, wie zahlreich magische Texte seitdem veröffentlicht wurden. Unter den hilfreichen und leicht zugänglichen magischen Textsammlungen, die Smith noch nicht benutzen konnte, seien genannt: Die um koptisches Material erweiterte englische Fassung der PGM von H.D. Betz, The Greek Magical Papyri in Translation, including the demotic spells, Chicago/ London, 1986; das Repertorium von D. Jordan, A Survey of Greek Defixiones not Included in the Special Corpora, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 16, 1985, 151- 197; die drei Bände von R. Merkelbach/ M. Totti (Hgg.), Abrasax. Ausgewählte Papyri religiösen und magischen Inhalts, 1990-1992, die Sammlung koptisch-christlicher magischer Texte von M. Meyer/ R. Smith, Ancient Christian Magic. Coptic Texts of Ritual Power, New York, 1994, die beiden Bände zu aramäischen Zauberformeln von J. Naveh/ S. Shaked, Amulets and Magic Bowls. Aramaic Incantations of Late Antiquity, Jerusalem 1985 und Magic Spells and Formulae. Aramaic Incantations of Late Antiquity, Jerusalem 1993, die wichtigen Studien zur jüdischen Magie von P. Schäfer/ S. Shaked, Magische Texte aus der Kairoer Geniza, Bde. 1-2, Tübingen 1995/ 1996; die hilfreiche Sammlung magischer Texte von J. Gager, Curse Tablets and Binding Spells from the Ancient World, Oxford 1992 - um nur eine Auswahl zu nennen. 10 Vgl. Smiths Ausführungen S. 147 über den Straßengaukler bei Orig, Cels 1,68: »Das Bild ist jedoch Karrikatur. Es stellt nur den untersten Typus des antiken Magiers dar. Wir haben andere Typen gesehen; die Bezeichnung erfaßt ein soziales Spektrum, das von Straßenjungen bis zu den Lehrern Neros reicht.« 11 Vgl. den neueren zusammenfassenden Überblick von E. Koskenniemi, Apollonius of Tyana: A typical theios aner? , in: JBL 117/ 3, 1998, 455-467. 12 F. Graf, Gottesnähe und Schadenzauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996. Vgl. hierzu auch die Panel Discussion: F. Graf, Magic in the Ancient World, in: Numen 46/ 3, 1999, 291-325 von S. Johnston. 13 Magischer Schadenzauber war schon seit dem Zwölftafelgesetz Kapitaldelikt. Zur juristischen Seite der Magie und den beiden bekannten Magieprozessen der lateinischen Literatur vgl. Graf, Gottesnähe, 58ff. 14 Die hier geforderte Plausibilität unterscheidet sich m.E. von dem »historischen Plausibilitätskriterium«, das in der ausführlichen Studie von G. Theißen/ G. Winter, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung. Vom Differenzkriterium zum Plausibilitätskriterium, Göttingen 1997, skizziert wird, da eine Verortung Jesu im Judentum / Christentum von vorn herein axiomatisch anerkannt werden kann, in der »Magie« allerdings nicht. Somit können bei den folgenden Ausführungen zum Unterschied zwischen der magischen Tradition und der Jesusüberlieferung die beiden von Theißen/ Winter aufgestellten Aspekte des Differenzkriteriums DKJ (Differenz zum Judentum) und DKC (Differenz zum nachösterlichen Christentum) nicht einfach um ein »DKM« (Differenz zur Magie) ergänzt werden, weil die Verortung Jesu in der magischen Tradition der Zauberpapyri nicht von vorne herein angenommen werden kann. 15 F. Graf, 1996, Gottesnähe, 83ff. 16 A. Dieterich, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903; in der weiteren Diskussion wurde von H.D. Betz, Secrecy in the Greek Magical Papyri, in: Kippenberg/ Stroumsa (Hgg.), Secrecy and Concealment: Studies in the History of Mediterranean and Near Eastern Religions, Leiden 1995, 153-175 als Vergleich die oft zitierte Initiation des Apuleius in den Isiskult in Apul Met 11 herangezogen (bes. S. 169ff.). Vgl. zum Text Merkelbach/ Totti, Abrasax 3, 155-183 (Pschai-Aion-Liturgie). 17 Vgl. Orig, Cels 1,28: Jesus hat seinen Lebensunterhalt in Ägypten bestreiten müssen und dort auch Magie gelernt. Zur Rezeption bei M. Smith, Magier, 104ff. 18 Knappe Kommentierung bei Betz, 1986, a.a.O. (Anm 9), 193f. 19 Die »Archangelike« des Mose, die wirkmächtige Zaubernamen enthält, ist auch in der »Titellosen Schrift« in den »Nag-Hammadi-Codices« (NHC) 2,5,102,8f. erwähnt. Auch hier geht es um die Wirkmacht von Namen. Reitzenstein, Poimandres. Studien zur griechischägyptischen und frühchristlichen Literatur, Leipzig 1904, 292f. wies schon vor der Entdeckung der Nag- Hammadi-Codices auf eine mögliche mittelalterliche Zitierung dieser Schrift hin. Zum Ganzen vgl. J. Gager, Mose in Greco-Roman Paganism (JBL Monograph Series XVI) Nashville/ New York 1972, 150. 20 J. Gager, 1992, Curse Tablets. Dieser teilte inhaltlich ein in: Defixionen zu Wettspielen, zum Bereich der Erotik, zum Gerichtswesen, zu Geschäft, Handel und Ausschank, für Gerechtigkeit und Rache; neben Tafeln gemischten Inhalts zählt er Tafeln mit Gegenzaubertexten als eigene Kategorie. 21 Ebd., 118, hat hier eine Szenerie entworfen, nach der ein Magier seinem Kunden für dessen Bedürfnisse mehrere Optionen - gestuft nach der Höhe der Vergütung - zur Auswahl anbot und nach der Wahl des Kunden den Text auf einem Metallplättchen niederlegte bzw. in einen schon vorher ausgearbeiteten Text die notwendigen Namen und einige Details zum vorliegenden Fall eintrug. Daraufhin sorgte der Magier dafür, daß das Täfelchen an einen wirkmächtigen Platz deponiert wurde. 22 Es handelt sich um Tafel 8 und 9 der 17 in »well V« der Athener Agora gefundenen Bleitafeln, vgl. D. Jordan, Defixiones from a Well Near the Southwest Corner of the Athenian Agora, in: Hesperia 54 (1985) 198-252. 23 Bei diesem Vorschlag ist »Leib« verstanden mit Berger, Historische Psychologie des Neuen Testaments (SBS 146/ 147), Stuttgart 1991, 83ff. als dem Menschen zugehöriger »Herrschaftsbereich Gottes oder der Sünde«. ZNT 7 (4. Jg. 2001) 31 Peter Busch War Jesus ein Magier ?
